Nord-Stream von USA gesprengt – Wer hatte je Zweifel daran? – Eine Kriegserklärung an Deutschland?

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Zwei Kommentare auf RT.de

1. von Dagmar Henn: Wer hatte je Zweifel daran?

dagmar henn

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https://pressefreiheit.rtde.live/meinung/162451-seymour-hersh-sprengte-grabstein-ueber/
Die deutschen Medien mühen sich nach Kräften, die Äußerungen der Journalistenlegende Seymour Hersh gar nicht ernst zu nehmen, die USA und Norwegen hätten die Sprengung der Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und 2 durchgeführt. Schließlich hätten sowohl das Weiße Haus in Washington, D.C. als auch die CIA erklärt, sie wären es nicht gewesen. Als wäre es jemals vorstellbar, dass sich Sprecher sowohl der Regierung als auch des Geheimdienstes vor die Kameras stellten und sagten: Ja, wir waren es.

Regierung auf Frage zu Nord-Stream-Sprengung: „Strengste Geheimhaltung, Staatswohl gefährdet“

Allerdings werden in der Berichterstattung auch fast alle Momente verschwiegen, in denen US-Vertreter eben solch einer Aussage schon sehr nahe kamen. Selbst Victoria Nuland hat erst vor wenigen Wochen vor dem US-Parlament ausgesagt und konnte dabei vor lauter Freude über die Zerstörung der Pipelines kaum mehr an sich halten, so dass es in Kommentaren dazu hieß, man habe ihr anmerken können, wie gerne sie sich dafür gelobt hätte.
Ein offizielles Dementi, noch dazu von der spärlichsten Art, würde unter normalen Umständen am Ende eines Artikels vermerkt, mehr nicht. Aber die deutschen Mainstream-Pressevertreter fühlen sich berufen, sich schützend vor den Hegemon zu werfen. Also wird ein wertloses Dementi so wortreich aufgeblasen, dass man es benutzen kann, um die eigentlich brisante Information zu verdecken. Der Bayerische Rundfunk titelt sogar gleich: „USA stellen klar: Haben Nord-Stream-Pipelines nicht gesprengt.“ Gut, dass wir darüber gesprochen haben.

Einzig der Artikel auf dem Werbeportal t-online.de benennt zumindest jenen Grund, warum alle die Dementis sehr skeptisch gesehen werden müssten. Denn die Sprengung der Pipelines „wäre ein Vorgang, der von der russischen Gegenseite und auch von Deutschland als kriegerischer Akt gewertet werden könnte“.
Allerdings nutzt auch hier der Autor obendrein diesen Grund, um stattdessen Hershs Darstellung sogar infrage zu stellen.

Nun, es gibt durchaus Möglichkeiten, das zu klären. Die US-Justiz ist bekannt für ihre aufwendigen und teuren Schadensersatzprozesse, und die Ermittlungen von Seymour Hersh könnten immerhin genügen, um die Regierung der Vereinigten Staaten zu verklagen. Dann bestünde beispielsweise die Möglichkeit, Angehörige der von Hersh benannten Marinetauchereinheit als Zeugen zu laden.
Und da in den USA Sammelklagen zulässig sind, die Zahl der durch die Sprengung Geschädigten sogar in die Millionen geht und sich darunter auch durchaus Zahlungskräftige befinden, ist ein solches Verfahren sogar wahrscheinlich, selbst wenn oder sogar vor allem dann, wenn der deutsche Bundeskanzler weiter so tut, als sei sein Name Hase – statt Scholz.

Der Fall Nord Stream: Europas nächster Krieg geht auf Warschaus Kappe

Es sind auch verschiedenste Konstellationen vorstellbar, unter denen in den USA selbst weiter nachgeforscht werden dürfte. Denn keineswegs alle US-Abgeordneten stützen die herrschende Ukraine-Politik, und die Enthüllungen von Hersh sind auch für die US-Innenpolitik durchaus heikel. Er erklärt beispielsweise, dass die Planungen für die Sprengung bereits im Dezember 2021 begonnen hätten.
Im Dezember 2021 hatte noch nicht einmal der russische Militäreinsatz in der Ukraine begonnen. Wenn zu diesem Zeitpunkt Handlungen in die Wege geleitet wurden, die unter normalen Umständen als Kriegsakt gegen auch mindestens einen eigenen engen Verbündeten gelesen werden müssen und damit das Potential hätten, die gesamte NATO zu sprengen, müssen sich die USA sehr sicher gewesen sein, dass es zu diesem Militäreinsatz kommen wird. Das wiederum ist nur dann möglich, wenn sie ihn selbst provozieren wollten. Sowohl das Ziel der Handlung als auch der Zeitpunkt des Planungsbeginns dürften bei einigen Angehörigen des US-Kongresses nicht gut ankommen. Noch weniger, wenn die Einheit, die die Sprengsätze nach Darstellung von Hersh im Sommer 2022 legte, extra deshalb ausgewählt wurde, weil diese spezielle Einheit eingesetzt werden konnte, ohne den Kongress darüber informieren zu müssen.

Das ist auch der von Hersh angegebene Grund, warum auf Minenräumung spezialisierte Marinetaucher – und nicht die bekannten Kampftaucher der Navy Seals – damit beauftragt wurden, die Sprengungen vorzubereiten. Den US-Kongress zu umgehen, klingt nach einer praktischen Lösung, ist aber ein zweischneidiges Schwert; wenn es aufgedeckt wird, nehmen das gelegentlich sogar jene Abgeordneten übel, die wahrscheinlich zugestimmt hätten, wären sie gefragt worden.

Wobei die Verlautbarung des US-Präsidenten Joe Biden auf der denkwürdigen Pressekonferenz mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz in Washington, D.C. am 7. Februar 2022 womöglich auch noch einen Einfluss auf die Einstufung dieser Pläne gehabt hat. Biden hatte damals – ohne irgendeine erkennbare Reaktion von Scholz – versichert, im Falle eines russischen Einmarsches „gibt es kein Nord Stream 2 mehr. Wir werden es beenden“.

US-Investigativjournalist Hersh: USA stecken hinter Nord-Stream-Anschlägen

Seine Quelle, so Hersh, berichtet, daraufhin hätten einige führende CIA-Leute entschieden, es handele sich bei einer Sprengung der Pipeline nicht mehr um eine verdeckte Operation, „weil der Präsident gerade erklärt hat, dass wir wissen, wie es geht“.
Damit wäre die Notwendigkeit, den US-Kongress zu informieren, entfallen. Die Entscheidung bezüglich der dabei eingesetzten Einheit blieb aber wohl bestehen.

Ob diese Einschätzung von den Abgeordneten im Kongress geteilt wird, wird sich zeigen. Schließlich befinden sich die USA auch bereits im Anlauf zu den nächsten Präsidentschaftswahlen, und eine Kriegshandlung gegen Verbündete ist durchaus dafür verwertbar. Ganz im Gegensatz zur Biden-Regierung, die sich mit ihrem Getöse zum vermeintlichen Skandal um Geheimdokumente in Mar-a-Lago letztlich ein Eigentor gönnte, wäre das Verhalten von Biden zu Nord Stream angesichts der möglichen Folgen ein wirklicher Skandal.
Die nächsten Tage werden zeigen, ob das Team von Donald Trump bereit ist, dieses Thema auszuschlachten. Dass es innerhalb der USA keinerlei Reaktion geben wird, ist jedenfalls äußerst unwahrscheinlich. Die Jagd ist bereits eröffnet.

Aber zurück zu Hersh. Die Sprengsätze, schreibt er, seien während des Manövers BALTOPS 22 gelegt, aber erst Monate später gezündet worden. Und die Zündung erfolgte dann durch die norwegische Marine. Der zweite Beteiligte wäre demnach nicht Großbritannien – wie von russischer Seite bisher vermutet –, sondern Norwegen. Was würde nun Norwegen motiviert haben, eine Kriegshandlung gegen europäische NATO-Verbündete zu unternehmen?

Neue Details: Wie die CIA die Anschläge auf die Nord Stream-Pipelines plante

Hersh vermerkt zur Person des derzeitigen NATO-Generalsekretärs Jens Stoltenberg, der zuvor norwegischer Regierungschef war, er habe bereits „seit dem Vietnamkrieg mit amerikanischen Diensten zusammengearbeitet“.
Diese Datierung ist allerdings problematisch; Jens Stoltenberg ist Jahrgang 1959; beim Ende des Vietnamkriegs war er erst fünfzehn, was zumindest ein recht ungewöhnliches Alter wäre, um für US-Dienste interessant zu sein. Vermutlich sind aber solche Kontakte eine Mitgift der Familie – schon sein Vater war Politiker: von 1979 bis 1981 norwegischer Verteidigungsminister und von 1987 bis 1989 sowie von 1990 bis 1993 Außenminister. Eine Tante mütterlicherseits war mit einem weiteren Verteidigungsminister verheiratet, und der junge Jens Stoltenberg war zehn Jahre lang Mitglied des Vorstands der Jugendorganisation der Arbeiterpartei, also der norwegischen Jusos (in dieser Zeit allerdings, zumindest nach außen, sogar NATO-Gegner).

Dass Stoltenberg gewissermaßen zur sozialdemokratischen Polit-Aristokratie Norwegens gehört, war mit Sicherheit hilfreich, um die Kooperation anzubahnen. Die Gründe, warum Norwegen dazu bereit gewesen sein könnte, liegen allerdings tiefer.
Der erste Grund ist recht offensichtlich: Norwegen ist selbst Öl- und Gasproduzent, konnte (leicht vorhersehbar) seinen Marktanteil in Westeuropa nach dem Ende von Nord Stream deutlich ausdehnen, und das obendrein zu noch höheren Preisen. Erdöl und Erdgas werden von staatlichen norwegischen Unternehmen gefördert, das staatliche Interesse ist in Norwegen also unmittelbar.

Es gibt allerdings noch einen weiteren Punkt: Norwegen besitzt einen der größten Staatsfonds weltweit. In diesen Fonds fließen nicht nur die Einnahmen der Sozialversicherungen, sondern auch Einnahmen aus der Öl- und Gasförderung (meine persönliche Erinnerung sagt mir, dass Norwegen ursprünglich die Einnahmen direkt ausschütten wollte, jedoch dazu gezwungen wurde, stattdessen den Umweg über einen Staatsfonds zu gehen. Leider liegt das zu lange zurück, um dafür auf die Schnelle Belege zu finden).

Damit ist das gesamte Sozialsystem Norwegens von der Entwicklung der Aktienkurse abhängig. Auch ein Zusammenbruch des US-Dollar-Systems würde dadurch massive Folgen für den norwegischen Staat haben.
Das ist zweifellos ein sehr starker Anreiz, sich für den Erhalt der US-Hegemonie einzusetzen, auch wenn eine Reihe von norwegischen Beteiligungen, etwa bei Henkel oder der Deutsche Post AG, darunter leiden dürfte.

Wer hat die Nord-Stream-Röhren sabotiert? Die Liste der Verdächtigen ist vergleichsweise kurz

https://pressefreiheit.rtde.live/meinung/150028-sabotage-bei-nord-stream-kampftaucher/

Dagmar Henn am 27 Sep. 2022: Kampfschwimmer besitzen in alphabetischer Reihenfolge Deutschland, Dänemark, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Norwegen, Österreich, Russland, Schweden, Schweiz, Südafrika und die Vereinigten Staaten. Dänemark besitzt keine U-Boote, hat aber den Vorteil, dass die Orte der Zwischenfälle in der Nähe des eigenen Staatsgebiets liegen, wenn auch außerhalb der Hoheitsgewässer. Auch Finnland besitzt keine U-Boote. Die restlichen Staaten auf der Liste erfüllen beide Kriterien. …
Versuche durch RT DE, bei einem deutschen biologischen Forschungsinstitut nachzufragen, ob es eventuell Auffälligkeiten aufgezeichnet hätte (wer den Gesängen der Schweinswale lauscht, zeichnet auch eventuelle Explosionen auf), endeten in einer Schlaufe aus „ist nicht im Haus“, „weiß ich nicht“ und „kann ich nicht finden“. Ein Indiz dafür, dass alternative Datenquellen bereits abgeschottet werden, was wiederum darauf hindeutet, dass deutsche Stellen mit involviert waren. Denn wenn es sich um eine Handlung gegen den Willen der Bundesregierung gehandelt hätte, hätte diese ein Interesse daran, gerade solche Schlupflöcher für wirkliche Informationen offen zu halten, bei denen sie selbst sich dann auf die berühmte glaubwürdige Abstreitbarkeit berufen kann. …

Praktisch gleichzeitig zur Sprengung von Nord Stream, nämlich am 27. September 2022, wurde die Baltic Pipeline eröffnet, die norwegisches Erdgas von West nach Ost, nämlich Polen transportiert. Zwar ist sie im Vergleich zu den vier Röhren von Nord Stream 1 und 2 winzig und hat nur eine Kapazität von 10 Milliarden Kubikmetern jährlich, aber die leistungsstärkere und günstigere Konkurrenz von Nord nach Süd ist wenigstens momentan aus dem Spiel.

Lässt sich die Darstellung von Hersh beweisen? Die erste Überprüfung ist sehr simpel. Die Zündung der Sprengsätze soll durch eine akustische Boje erfolgt sein, die eine Folge niederfrequenter Töne abgegeben haben soll, die sich von den üblichen Hintergrundgeräuschen klar unterscheiden müssen.
Dutzende von Mikrofonen, die in der Ostsee hängen, müssten diese Signale im entsprechenden Zeitraum aufgezeichnet haben, denn Schall breitet sich unter Wasser gut über Hunderte von Kilometern aus. Findet sich eine solche unikale Tonfolge in den Aufzeichnungen, dann ist der Rest der Geschichte vermutlich ebenso stichhaltig. Die Bundesregierung sollte das, sofern sie überhaupt an der Wahrheit interessiert ist, mit einer einzigen Runde von Telefonaten unter Verbündeten klären können.
Auch der dänische Marinegeheimdienst, vor dessen Nase das Ganze geschehen ist, dürfte spätestens jetzt in seinen Aufzeichnungen suchen, falls er das nicht schon längst getan hatte.

Die anonyme Quelle, auf die sich Seymour Hersh bezieht, ist aller Wahrscheinlichkeit nach in der CIA zu suchen. Das lässt sich an zwei Stellen seines Textes erkennen. Zum einen schreibt Hersh, die Änderung der norwegischen Pläne von einer ursprünglich unmittelbar, binnen 48 Stunden nach Platzierung der Sprengsätze geplanten Sprengung hin zu einer mit langer Verzögerung ausgelösten Sprengung habe bei der CIA für Unbehagen gesorgt: „Das erneuerte auch die Sorgen, die manche hatten, was die Notwendigkeit wie die Legalität der ganzen Operation anging.“ Und das sind schließlich Sorgen, die bei einem staatlich organisierten Akt des Terrors, einer Kriegshandlung, durchaus angebracht sind.
Und zum anderen zitiert er am Schluss des Artikels wörtlich die Quelle, die augenscheinlich sowohl die technische Planung bewundert als auch dem US-Präsidenten Joe Biden zugesteht, die „Eier“ für solch ein Aktion zu haben:

„Es war eine schöne Titelgeschichte. Dahinter war eine verdeckte Operation, die Experten ins Spiel brachte, und Ausrüstung, die auf ein verdecktes Signal hin funktionierte. Der einzige Fehler war die Entscheidung, es zu tun.

Nun, Hersh hat genug Piranhas in den Pool geworfen, um den Urheber bis auf das Skelett freizulegen. Auch wenn der deutsche Bundeskanzler bereit ist, seinen letzten Rest Selbstachtung, sofern noch vorhanden, auf ein wertloses US-Dementi hin preiszugeben, und auch wenn sich die Berliner Politblase überwiegend derart vom nationalen Interesse abwendet, dass es nicht einmal mehr nützen würde, sie zum Jagen zu tragen: Für interessante Schadensersatzklagen und für Unruhe innerhalb der US-Politik dürften diese Informationen allemal genügen. Denn der Rest der Welt außerhalb der westlichen Blase hatte ohnehin niemals Zweifel, wer die Röhren gesprengt hat: Cui bono?

2. von Gert Ewen Ungar: Eine Kriegserklärung an Deutschland?

https://pressefreiheit.rtde.live/meinung/150122-zerstorung-von-nord-stream-kriegserklarung/

G_E_UNGERMit der Sabotage von Nord Stream wurde die EU zum Kriegsschauplatz. Es ist klar geworden, dass es nicht um die Ukraine geht. Wir haben es mit einem Krieg der USA gegen Russland zu tun, der sich vor allem auch gegen Deutschland richtet. Weder die BRD noch die EU sind in diesem geopolitischen Spiel noch eigenständige Akteure.

Der Filmemacher Gonzalo Lira sieht im Sabotageakt gegen Nord Stream eine Kriegserklärung der USA gegenüber den Europäern. Insbesondere Deutschland sei vom wichtigsten Verbündeten der Krieg erklärt worden, legt er in einem Video dar. Das ist eine steile These, die aber nicht allzu schnell weggewischt werden sollte. Schon nach kurzer Überlegung ist klar, die USA sind zweifellos der größte Profiteur des Anschlags auf die europäische Gas-Infrastruktur. Sie haben zudem sowohl die Mittel als auch die Gelegenheit zur Ausführung.

Man muss Lira nicht in allem zustimmen. Aber mit der Sabotage von Nord Stream ist eines klar geworden: Der Schauplatz des Krieges hat sich vergrößert. Es ist nicht mehr nur die Ukraine, in der militärische Handlungen stattfinden. Es ist nicht mehr nur ein Wirtschaftskrieg zwischen dem Westen und Russland. Deutschland und die EU sind mit dem Anschlag auf Nord Stream zum Schlachtfeld geworden.

Die deutschen Medien deuten gemeinsam mit der deutschen Politik in Richtung Russland, wenn es um die Frage nach dem Schuldigen geht. Das ist allerdings wenig überzeugend. Den größten ökonomischen und machtpolitischen Vorteil haben die USA.

Zugegeben, es sind bisher alles Mutmaßungen und lediglich Indizien. Tatsächliche Beweise für eine Täterschaft gibt es aktuell nicht. Aber selbst dann, wenn sie zu einem späteren Zeitpunkt medial vorgeführt werden, ist größte Skepsis angebracht. Denn es geht um viel, um den machtpolitischen Einfluss über Westeuropa. Aktuell ermitteln Schweden, Dänemark und Deutschland, und auch die NATO hat ihren Einstieg in die Ermittlungen angekündigt. Alle sind Konfliktpartei in der Auseinandersetzung mit Russland. Objektive Ergebnisse sind in dieser Konstellation nicht zu erwarten. Es gilt daher, skeptisch zu bleiben.

Es ist wenig plausibel, dass Russland die eigene Infrastruktur zerstört, in die es zuvor Milliarden investiert hat. Zumal Russland all die Ziele, die der Westen dem Land unterstellt, durch bloßes Abschalten hätte ebenso erreichen können. Russland sitzt im wahrsten Sinne des Wortes am längeren Hebel und kann die Gasdurchleitung mit einem Knopfdruck beenden. Es ist nicht notwendig, die gesamte Infrastruktur zu beschädigen. Die Deutschen und die Europäer sollten sich fragen, wer hier ein größeres Interesse, wer das bessere Motiv und auch wer den geringsten Schaden hat. All das weist weg von Russland, und es weist in Richtung USA.

Forderungen nach Öffnung von Nord Stream 2 angesichts der Gasmangellage, wie sie aus der deutschen Zivilgesellschaft kamen, sind nun sinnlos. Die zumindest theoretische Verhinderung der kommenden Rezession hat sich erledigt. Das Schicksal Europas wirkt besiegelt – zumindest das wirtschaftliche. Der deutsche Konkurrent ist ausgeschaltet. Denn ganz gleich, wer für die Anschläge auf Nord Stream verantwortlich ist, hat Deutschland und die EU in Geiselhaft genommen, indem es der Region das ökonomische Rückgrat gebrochen hat.

Die Schäden an der Pipeline sind umfassend. Eine Reparatur sei schwierig, sagte Gazprom bereits. Ob Gazprom überhaupt ein Interesse an der Reparatur hat, ist zudem offen. Die Partner waren mehr als unzuverlässig in der Vergangenheit.
Auf jeden Fall wird sich in den kommenden Wochen und Monaten zeigen, wie realistisch die Politik Deutschlands und der EU ist, die versprach, sich relativ kurzfristig aus der Abhängigkeit von russischem Gas befreien zu können.

Es waren immer sehr vollmundige Ankündigungen: grüner Wasserstoff, Energiewende, enorme Investitionen und neue strategische Kooperationen. Dann legt mal los, möchte man sagen, denn jetzt rennt tatsächlich die Zeit davon. Vor dem Hintergrund der Geschehnisse entsteht der Eindruck, als hätten die EU und die deutsche Politik den Mund zu voll genommen. Klar ist auf jeden Fall, der Blow-up von Nord Stream war eine echte Zeitenwende.

Mit dem Anschlag soll offenkundig die Verbindung zwischen EU und Russland gekappt werden. Es ist nicht Russland, das daran ein Interesse hat. Es passiert zudem zu einem Zeitpunkt, an dem der Bürgerprotest in den westeuropäischen Staaten gegen die Sanktionspolitik der US-freundlichen politischen Eliten eskaliert.

Das Wohl Deutschlands und Europas wird jetzt dem Kriegsziel geopfert. Und das Kriegsziel wird damit eben auch deutlicher formulierbar. Es geht nicht um die Ukraine. Es geht nicht um deren territoriale Integrität. Es geht auch nicht um Demokratie gegen Autokratie. Dieser Krieg, das wurde deutlich, ist ein Krieg zwischen den USA und Russland.
Der Kriegsverlauf in der Ukraine wird durch den Anschlag auf Nord Stream nicht beeinflusst.

Jetzt ist Europa im Krieg angekommen. Und es zeigt sich, die EU verfügt über keine Mittel, in diesem Krieg zu bestehen, zumal dann nicht, wenn der Hegemon sich gegen sie wendet und bereit ist, Europa im Spiel um Macht und Einfluss zu opfern.
Die EU ist nicht souverän. Sollte der Feind Europas nicht im Osten, sondern tatsächlich im Westen stehen, dann ist Europa ohne jede Resilienz und allem, was jetzt kommt, schutzlos ausgeliefert.
Es muss nicht so sein, aber man sollte den Gedanken zulassen, dass die USA der Feind sind und der EU und Deutschland gerade den Krieg erklärt haben. Es ist an der Zeit.

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.

Jochen

Star-Journalist Seymour Hersh: Wie die USA Nord Stream gesprengt haben

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Thomas Röper hat den Artikel frisch, heute um 0:24 Uhr übersetzt:
https://www.anti-spiegel.ru/2023/die-details-werden-bekannt-wie-die-usa-nord-stream-gesprengt-haben/
Auszüge:
Seymour Hersh ist eine journalistische Legende, denn er hat bei der Aufdeckung der meisten Skandale der US-Regierung seit dem Vietnamkrieg mitgewirkt. Schon 1969 wurde er weltbekannt, als er während des Vietnamkriegs Kriegsverbrechen der US-Armee aufdeckte. 2004 publizierte er zum Folterskandal der US-Armee während des Dritten Golfkrieges im irakischen Abu-Ghuraib-Gefängnis, er war es, der als erster die wahre Geschichte über die Ermordung von Bin Laden veröffentlicht hat, er deckte politische Morde unter der Regierung von Bush und Obama auf, die Liste seiner Enthüllungen ist unglaublich lang.

Natürlich hat er sich damit keine Freunde gemacht, aber er scheint das sportlich zu sehen, denn er sagte dazu einmal:

„Es gab noch nie einen Präsidenten, der mich leiden konnte. Ich nehme es als Kompliment“

Das dürfte spätestens jetzt auch für Präsident Biden gelten, denn Hersh hat einen langen Artikel veröffentlicht, in dem er berichtet, wie die Biden-Regierung die Sprengung Nord Streams seit 2021 vorbereitet hat und wie dieser Akt von Staatsterrorismus umgesetzt wurde.

Ich habe diese Einleitung über Hersh geschrieben, weil ich darauf hinweisen will, dass Enthüllungen von Seymour Hersh ernst genommen werden sollten. Das gilt auch für diese über die Sprengung von Nord Stream.

Dass die USA hinter der Sprengung stecken, dürfte niemanden überraschen. Für mich ist die Geschichte von Hersh aber noch aus einem weiteren Grund ein Schock: Einige Wochen nach der Sprengung hat sich jemand bei mir gemeldet, der behauptet hat, Soldat bei dem Manöver BALTOPS 22 gewesen zu sein und der gesehen haben will, wie ausgesprochen arrogant aufgetretene Spezialtaucher aus den USA auf dem Kriegsschiff, auf dem er gedient hatte, genau am Ort der späteren Sprengung das Anbringen von Minen „geübt“ hätten.
Diese Taucher seien zu seinem Schiff gebracht worden, nur für die „Übung“ im Bereich der Pipelines an Bord gewesen, hätten den Kontakt mit allen anderen Besatzungsmitgliedern gemieden, und seien dann wieder mit dem Hubschrauber abgeholt worden. Nach der Explosion der Pipelines einige Wochen später war er sich sicher, dass das die Männer waren, die die Sprengladungen angebracht hatten.
Leider konnte er für seine Geschichte keine Belege liefern und wollte anonym bleiben, weshalb ich nicht darüber berichtet habe, denn er konnte mir nicht Belastbares geben. Aufgrund einer Geschichte von jemandem, der seine Identität nicht preisgibt und keine Belege für seine Geschichte liefern kann, schreibe ich natürlich keinen Artikel.
Nach dem Artikel von Hersh bin ich jedoch sicher, dass dieser Informant, der sich damals bei mir gemeldet hat, die Wahrheit gesagt hat, weil seine Geschichte exakt zu dem passt, was Hersh veröffentlicht hat.

Ich habe den Artikel von Hersh komplett übersetzt. Seinen Originalartikel finden Sie hier. Im Anschluss an die Übersetzung habe ich noch die ersten Reaktionen der US-Regierung auf den Artikel von Hersh zusammengestellt.

Beginn der Übersetzung:

Wie Amerika die Nord Stream-Pipeline ausgeschaltet hat

Die New York Times nannte es ein „Mysterium“, aber die USA haben eine verdeckte Seeoperation durchgeführt, die geheim gehalten wurde – bis jetzt

Das Tauch- und Bergungszentrum der US-Marine befindet sich an einem Ort, der so obskur ist wie sein Name – an einem ehemaligen Feldweg im ländlichen Panama City, einer heute boomenden Ferienstadt in Florida, 70 Meilen südlich der Grenze zu Alabama.
Der Komplex des Zentrums ist so unscheinbar wie sein Standort – ein trister Betonbau aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, der an eine Berufsschule im Westen Chicagos erinnert. Auf der anderen Seite der heute vierspurigen Straße befinden sich ein Münzwaschsalon und eine Tanzschule.

Das Zentrum bildet seit Jahrzehnten hochqualifizierte Tiefseetaucher aus, die einst amerikanischen Militäreinheiten auf der ganzen Welt zugeteilt waren. Sie sind in der Lage, technische Tauchgänge durchzuführen, um sowohl das Gute zu tun – C4-Sprengstoff zu verwenden, um Häfen und Strände von Trümmern und nicht explodierten Sprengkörpern zu befreien – als auch das Schlechte, wie das Sprengen ausländischer Ölplattformen, das Verschmutzen von Einlassventilen für Unterwasserkraftwerke und die Zerstörung von Schleusen an wichtigen Schifffahrtskanälen.
Das Zentrum in Panama City, das über das zweitgrößte Hallenbad Amerikas verfügt, war der perfekte Ort, um die besten und wortkargsten Absolventen der Tauchschule zu rekrutieren, die im vergangenen Sommer erfolgreich das taten, wozu sie 260 Fuß (ca. 85 Meter) unter der Oberfläche der Ostsee befugt gewesen waren.

Im vergangenen Juni brachten die Marinetaucher im Rahmen eines weithin bekannten NATO-Sommermanövers namens BALTOPS 22 die fernausgelösten Sprengsätze an, die drei Monate später drei der vier Nord-Stream-Pipelines zerstörten, so eine Quelle mit direkter Kenntnis der Einsatzplanung.

Zwei der Pipelines, die unter dem Namen Nord Stream 1 bekannt sind, haben Deutschland und weite Teile Westeuropas seit mehr als einem Jahrzehnt mit billigem russischen Erdgas versorgt. Ein zweites Paar von Pipelines, Nord Stream 2 genannt, war bereits gebaut, aber noch nicht in Betrieb. Nun, da sich russische Truppen an der ukrainischen Grenze sammelten und der blutigste Krieg in Europa seit 1945 drohte, sah Präsident Joseph Biden in den Pipelines ein Mittel für Wladimir Putin, Erdgas für seine politischen und territorialen Ambitionen zu instrumentalisieren.
Adrienne Watson, eine Sprecherin des Weißen Hauses, antwortete auf Anfrage dazu in einer E-Mail: „Das ist falsch und völlig frei erfunden.“ Tammy Thorp, eine Sprecherin der CIA, schrieb ebenfalls: „Diese Behauptung ist komplett und völlig falsch.“

Bidens Entscheidung, die Pipelines zu sabotieren, kam nach mehr als neun Monaten streng geheimer Debatten innerhalb der nationalen Sicherheitscommunity in Washington darüber, wie dieses Ziel am besten zu erreichen sei. Die meiste Zeit über ging es nicht um die Frage, ob die Mission durchgeführt werden sollte, sondern darum, wie sie durchgeführt werden konnte, ohne dass bekannt wird, wer dafür verantwortlich war.

Es gab einen wichtigen bürokratischen Grund, sich auf die Absolventen der Tauchschule des Zentrums in Panama City zu verlassen. Die Taucher gehörten ausschließlich der Marine an und nicht dem amerikanischen Kommando für Sondereinsätze, dessen verdeckte Operationen dem Kongress gemeldet und der Führung des Senats und des Repräsentantenhauses – der so genannten Gang of Eight – im Voraus mitgeteilt werden müssen. Die Biden-Administration tat alles, um undichte Stellen zu vermeiden, als die Planung Ende 2021 und in den ersten Monaten des Jahres 2022 stattfand.

Präsident Biden und sein außenpolitisches Team – der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan, Außenminister Tony Blinken und Victoria Nuland, die Unterstaatssekretärin für Politik – hatten sich klar und deutlich gegen die beiden Pipelines ausgesprochen, die von zwei verschiedenen Häfen im Nordosten Russlands nahe der estnischen Grenze Seite an Seite auf einer Länge von 750 Meilen unter der Ostsee hindurch verlaufen und an der dänischen Insel Bornholm vorbeiführen, bevor sie in Norddeutschland enden.

Die direkte Route, die den Transit durch die Ukraine umging, war ein Segen für die deutsche Wirtschaft, die in den Genuss eines Überflusses an billigem russischem Erdgas kam – genug, um ihre Fabriken zu betreiben und ihre Häuser zu heizen, während die deutschen Verteilerunternehmen überschüssiges Gas mit Gewinn in ganz Westeuropa verkaufen konnten. Maßnahmen, die auf die US-Regierung zurückgeführt werden könnten, würden gegen das Versprechen der USA verstoßen, den direkten Konflikt mit Russland zu minimieren. Geheimhaltung war unerlässlich.

Von Anfang an wurde Nord Stream 1 von Washington und seinen anti-russischen NATO-Partnern als Bedrohung der westlichen Vorherrschaft angesehen. Die dahinter stehende Holdinggesellschaft, die Nord Stream AG, wurde 2005 in der Schweiz in Partnerschaft mit Gazprom gegründet. Gazprom ist ein börsennotiertes russisches Unternehmen, das enorme Gewinne für seine Aktionäre erwirtschaftet und von Oligarchen beherrscht wird, von denen bekannt ist, dass sie im Bannkreis Putins stehen.
Gazprom kontrollierte 51 Prozent des Unternehmens, während sich vier europäische Energieunternehmen – eines in Frankreich, eines in den Niederlanden und zwei in Deutschland – die restlichen 49 Prozent der Aktien teilten und das Recht hatten, den nachgelagerten Verkauf des preiswerten Erdgases an lokale Verteiler in Deutschland und Westeuropa zu kontrollieren. Die Gewinne von Gazprom wurden mit der russischen Regierung geteilt, und die staatlichen Gas- und Öleinnahmen machten in manchen Jahren schätzungsweise bis zu 45 Prozent des russischen Jahreshaushalts aus.

Amerikas politischen Befürchtungen waren real: Putin würde nun über eine zusätzliche und dringend benötigte wichtige Einnahmequelle verfügen, und Deutschland und das übrige Westeuropa würden von preiswertem, aus Russland geliefertem Erdgas abhängig werden – und gleichzeitig die Abhängigkeit Europas von Amerika verringern.
Tatsächlich ist genau das passiert. Viele Deutsche sahen Nord Stream 1 als Teil der Erlösung der berühmten Ostpolitik des ehemaligen Bundeskanzlers Willy Brandt, die es Nachkriegsdeutschland ermöglichen würde, sich selbst und andere europäische Nationen, die im Zweiten Weltkrieg zerstört worden waren, zu rehabilitieren, indem es unter anderem billiges russisches Gas als Treibstoff für einen florierenden westeuropäischen Markt und eine florierende Handelswirtschaft nutzen würde.

Nord Stream 1 war nach Ansicht der NATO und Washingtons schon gefährlich genug, aber Nord Stream 2, dessen Bau im September 2021 abgeschlossen wurde, würde, wenn die deutschen Aufsichtsbehörden zustimmen, die Menge an billigem Gas verdoppeln, die Deutschland und Westeuropa zur Verfügung stehen würde. Die zweite Pipeline würde außerdem genug Gas für mehr als 50 Prozent des jährlichen Verbrauchs in Deutschland liefern. Die Spannungen zwischen Russland und der NATO eskalierten ständig, unterstützt durch die aggressive Außenpolitik der Biden-Administration.

Der Widerstand gegen Nord Stream 2 flammte vor der Amtseinführung Bidens im Januar 2021 auf, als die Republikaner im Senat, angeführt von Ted Cruz aus Texas, während der Anhörung zur Bestätigung Blinkens als Außenminister wiederholt die politische Bedrohung durch billiges russisches Erdgas ansprachen. Bis dahin hatte ein geeinter Senat erfolgreich ein Gesetz verabschiedet, das, wie Cruz zu Blinken sagte, „[die Pipeline] in ihrem Lauf aufhielt“. Die deutsche Regierung, die damals von Angela Merkel geführt wurde, übte enormen politischen und wirtschaftlichen Druck aus, um die zweite Pipeline in Betrieb zu nehmen.

Würde Biden den Deutschen die Stirn bieten? Blinken bejahte dies, fügte aber hinzu, dass er die Ansichten des neuen Präsidenten nicht im Einzelnen erörtert habe. „Ich kenne seine feste Überzeugung, dass Nord Stream 2 eine schlechte Idee ist“, sagte er. „Ich weiß, dass er möchte, dass wir alle uns zur Verfügung stehenden Überzeugungsmittel einsetzen, um unsere Freunde und Partner, einschließlich Deutschland, davon zu überzeugen, das Projekt nicht weiterzuverfolgen.“

Einige Monate später, als der Bau der zweiten Pipeline kurz vor dem Abschluss stand, lenkte Biden ein. Im Mai verzichtete die US-Regierung in einer erstaunlichen Kehrtwende auf Sanktionen gegen die Nord Stream AG, wobei ein Beamter des Außenministeriums einräumte, dass der Versuch, die Pipeline durch Sanktionen und Diplomatie zu stoppen, „schon immer aussichtslos“ gewesen sei.
Hinter den Kulissen drängten Beamte der Regierung Berichten zufolge den ukrainischen Präsidenten Wladimir Selensky, der zu diesem Zeitpunkt von einer russischen Invasion bedroht war, dazu, den Schritt nicht zu kritisieren.

Das hatte sofortige Folgen. Die Republikaner im Senat, angeführt von Cruz, kündigten eine sofortige Blockade aller von Biden nominierten Kandidaten für Außenpolitik an und verzögerten die Verabschiedung des jährlichen Verteidigungshaushaltes über Monate hinweg bis tief in den Herbst hinein. Politico bezeichnete Bidens Kehrtwende in Bezug auf die zweite russische Pipeline später als „die eine Entscheidung, die Bidens Agenda wohl noch mehr gefährdet hat, als der chaotische militärische Rückzug aus Afghanistan.“

Die Regierung geriet ins Trudeln, obwohl sie Mitte November einen Aufschub in der Krise erhielt, als die deutschen Energieregulierungsbehörden die Genehmigung für die zweite Nord Stream-Pipeline aussetzten. Die Erdgaspreise stiegen innerhalb weniger Tage um 8 Prozent, da in Deutschland und Europa die Befürchtung wuchs, dass die Aussetzung der Pipeline und die wachsende Möglichkeit eines Krieges zwischen Russland und der Ukraine zu einem sehr unerwünschten kalten Winter führen könnten. In Washington war nicht klar, wo Olaf Scholz, der neu ernannte deutsche Bundeskanzler, steht. Monate zuvor, nach dem Fall Afghanistans, hatte Scholz in einer Rede in Prag öffentlich die Forderung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron nach einer eigenständigeren europäischen Außenpolitik unterstützt – ein klarer Hinweis darauf, dass man sich weniger auf Washington und dessen unberechenbares Handeln verlassen sollte.

Während dieser ganzen Zeit hatten sich die russischen Truppen an den Grenzen der Ukraine stetig und bedrohlich verstärkt, und Ende Dezember waren mehr als 100.000 Soldaten in der Lage, von Weißrussland und der Krim aus anzugreifen. In Washington wuchs die Besorgnis, und Blinken schätzte, dass diese Truppenstärke „in kurzer Zeit verdoppelt werden könnte“.

Die Aufmerksamkeit der Regierung richtete sich wieder einmal auf Nord Stream. Solange Europa von den Pipelines für billiges Erdgas abhängig blieb, befürchtete Washington, dass Länder wie Deutschland zögern würden, die Ukraine mit dem Geld und den Waffen zu versorgen, die sie brauchte, um Russland zu besiegen.

In diesem unruhigen Moment beauftragte Biden Jake Sullivan, eine ministerien-übergreifende Gruppe zusammenzustellen, die einen Plan ausarbeiten sollte.

Alle Optionen sollten auf den Tisch gelegt werden. Aber nur eine würde sich durchsetzen.

PLANUNG

Im Dezember 2021, zwei Monate bevor die ersten russischen Panzer in die Ukraine rollten, berief Jake Sullivan eine Sitzung einer neu gebildeten Arbeitsgruppe ein – Männer und Frauen aus den Stabschefs, der CIA, dem Außen- und dem Finanzministerium – und bat sie um Empfehlungen, wie auf Putins bevorstehende Invasion zu reagieren sei.

Es war das erste einer Reihe von streng geheimen Treffen in einem sicheren Raum im obersten Stockwerk des Old Executive Office Building, das an das Weiße Haus angrenzt und in dem auch das President’s Foreign Intelligence Advisory Board (PFIAB) untergebracht war. Es gab das übliche Hin- und Hergerede, das schließlich zu einer entscheidenden Vorfrage führte: Würde die Empfehlung, die die Gruppe dem Präsidenten übermittelte, reversibel sein – wie eine weitere Schicht von Sanktionen und Devisenbeschränkungen – oder irreversibel – also kinetische Aktionen, die nicht rückgängig gemacht werden könnten?

Den Teilnehmern wurde laut der Quelle mit direkter Kenntnis des Prozesses klar, dass Sullivan beabsichtigte, dass die Gruppe einen Plan für die Zerstörung der beiden Nord-Stream-Pipelines ausarbeiten sollte – und dass er die Wünsche des Präsidenten übermittelte.

In den folgenden Sitzungen erörterten die Teilnehmer die Optionen für einen Angriff. Die Marine schlug vor, ein neu in Dienst gestelltes U-Boot einzusetzen, um die Pipeline direkt anzugreifen. Die Luftwaffe diskutierte den Abwurf von Bomben mit verzögertem Zünder, die aus der Ferne gezündet werden könnten. Die CIA vertrat die Ansicht, dass der Angriff in jedem Fall verdeckt erfolgen müsse. Allen Beteiligten war klar, was auf dem Spiel stand. „Das ist kein Kinderkram“, sagte die Quelle. Wenn der Angriff auf die USA zurückgeführt werden könnte, „ist das eine Kriegshandlung“.

Damals wurde die CIA von William Burns geleitet, einem sanftmütigen ehemaligen Botschafter in Russland, der in der Obama-Regierung als stellvertretender Außenminister gedient hatte. Burns ermächtigte rasch eine Arbeitsgruppe der Agentur, zu deren Ad-hoc-Mitgliedern zufällig jemand gehörte, der mit den Fähigkeiten der Tiefseetaucher der Marine in Panama City vertraut war. In den nächsten Wochen begannen die Mitglieder der CIA-Arbeitsgruppe mit der Ausarbeitung eines Plans für eine verdeckte Operation, bei der Tiefseetaucher eingesetzt werden sollten, um eine Explosion entlang der Pipeline auszulösen.

So etwas war schon einmal gemacht worden. Im Jahr 1971 erfuhr der amerikanische Geheimdienst aus noch unbekannten Quellen, dass zwei wichtige Einheiten der russischen Marine über ein im Ochotskischen Meer an der russischen Fernostküste verlegtes Unterseekabel miteinander kommunizierten. Das Kabel verband ein regionales Marinekommando mit dem Hauptquartier auf dem Festland in Wladiwostok.
Ein handverlesenes Team von Mitarbeitern des US-Geheimdienstes CIA und der National Security Agency (NSA) wurde irgendwo im Großraum Washington zusammengetrommelt und arbeitete unter Einsatz von Marinetauchern, umgebauten U-Booten und einem Tiefsee-Rettungsfahrzeug einen Plan aus, mit dem es nach vielen Versuchen und Irrtümern gelang, das russische Kabel zu lokalisieren. Die Taucher brachten ein ausgeklügeltes Abhörgerät auf dem Kabel an, das den russischen Datenverkehr erfolgreich abfing und mit einem Abhörsystem aufzeichnete.

Die NSA erfuhr, dass hochrangige russische Marineoffiziere, die von der Sicherheit ihrer Kommunikationsverbindung überzeugt waren, ohne Verschlüsselung mit ihren Kollegen plauderten. Das Aufzeichnungsgerät und das dazugehörige Band mussten monatlich ausgetauscht werden, und das Projekt lief ein Jahrzehnt lang munter weiter, bis es von einem 24-jährigen zivilen NSA-Techniker namens Ronald Pelton, der fließend Russisch sprach, aufgedeckt wurde. Pelton wurde 1985 von einem russischen Überläufer verraten und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Die Russen zahlten ihm nur 5.000 Dollar für seine Enthüllungen über die Operation sowie 35.000 Dollar für andere russische Daten, die er zur Verfügung stellte und die nie veröffentlicht wurden.
Dieser Unterwassererfolg mit dem Codenamen Ivy Bells war innovativ und riskant und lieferte unschätzbare Erkenntnisse über die Absichten und Planungen der russischen Marine.

Dennoch war die ministerien-übergreifende Gruppe anfangs skeptisch, was die Begeisterung der CIA für einen verdeckten Tiefseeangriff anging. Es gab zu viele unbeantwortete Fragen. Die Gewässer der Ostsee wurden von der russischen Marine stark patrouilliert, und es gab keine Ölplattformen, die als Deckung für eine Tauchoperation genutzt werden konnten. Müssten die Taucher nach Estland fahren, direkt über die Grenze zu den russischen Erdgasverladedocks, um für den Einsatz zu trainieren? „Das wäre ein Ziegenfick“, wurde der Agentur gesagt.
Während „all dieser Planungen“, so die Quelle, „sagten einige Mitarbeiter der CIA und des Außenministeriums: ‚Macht das nicht. Es ist dumm und wird ein politischer Albtraum, wenn es herauskommt.’“

Dennoch berichtete die CIA-Arbeitsgruppe Anfang 2022 an Sullivans ministerien-übergreifende Gruppe: „Wir haben eine Möglichkeit, die Pipelines zu sprengen.“

Was dann kam, war verblüffend. Am 7. Februar, weniger als drei Wochen vor der scheinbar unvermeidlichen russischen Invasion in der Ukraine, traf sich Biden in seinem Büro im Weißen Haus mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz, der nach einigem Wackeln nun fest auf der Seite der Amerikaner stand. Bei der anschließenden Pressekonferenz sagte Biden trotzig: „Wenn Russland einmarschiert … wird es kein Nord Stream 2 mehr geben. Wir werden dem ein Ende setzen.“

Zwanzig Tage zuvor hatte Staatssekretärin Nuland bei einem Briefing des Außenministeriums im Wesentlichen dieselbe Botschaft verkündet, ohne dass die Presse darüber berichtet hätte. „Ich möchte Ihnen heute ganz klar sagen“, antwortete sie auf eine Frage, „Wenn Russland in die Ukraine einmarschiert, wird Nord Stream 2 so oder so nicht vorankommen.“

https://www.youtube.com/watch?v=OS4O8rGRLf8

Mehrere an der Planung der Pipeline-Mission beteiligte Personen zeigten sich bestürzt über die ihrer Meinung nach indirekten Anspielungen auf den Angriff.
„Es war, als würde man eine Atombombe in Tokio auf den Boden legen und den Japanern sagen, dass wir sie zünden werden“, sagte die Quelle. „Der Plan war für die Optionen, die nach der Invasion ausgeführt und nicht öffentlich bekannt gegeben werden sollten. Biden hat es einfach nicht kapiert oder ignoriert.“

Bidens und Nulands Indiskretion, wenn es denn eine solche war, könnte einige der Planer frustriert haben. Aber sie schuf auch eine Gelegenheit. Der Quelle zufolge waren einige hochrangige CIA-Beamte der Ansicht, dass die Sprengung der Pipeline „nicht länger als verdeckte Option betrachtet werden konnte, weil der Präsident gerade bekannt gegeben hatte, dass wir wüssten, wie man es macht.“
Der Plan, Nord Stream 1 und 2 zu sprengen, wurde plötzlich von einer verdeckten Operation, über die der Kongress informiert werden musste, zu einer geheimen Geheimdienstoperation mit militärischer Unterstützung der USA herabgestuft. Nach dem Gesetz, so die Quelle, „gab es keine rechtliche Verpflichtung mehr, den Kongress über die Operation zu informieren. Alles, was sie jetzt tun mussten, war, es einfach zu tun – aber es musste immer noch geheim sein. Die Russen haben eine hervorragende Überwachung der Ostsee.“

Die Mitglieder der Arbeitsgruppe der Agentur hatten keinen direkten Kontakt zum Weißen Haus und wollten unbedingt herausfinden, ob der Präsident ernst meinte, was er gesagt hatte, also ob die Mission nun genehmigt war. Die Quelle erinnerte sich: „Bill Burns kam zurück und sagte: ‚Tut es.’“

DIE OPERATION

Norwegen war der perfekte Ort für die Basis der Mission.
In den letzten Jahren der Ost-West-Krise hat das US-Militär seine Präsenz in Norwegen, dessen Westgrenze 1.400 Meilen entlang des Nordatlantiks verläuft und oberhalb des Polarkreises an Russland grenzt, erheblich ausgeweitet.
Das Pentagon hat durch Investitionen in Höhe von Hunderten von Millionen Dollar in die Modernisierung und den Ausbau von Einrichtungen der amerikanischen Marine und der Luftwaffe in Norwegen hoch bezahlte Arbeitsplätze und Verträge geschaffen, die vor Ort nicht unumstritten waren. Zu den neuen Arbeiten gehörte vor allem ein fortschrittliches Radar mit synthetischer Apertur weit im Norden, das tief in Russland eindringen kann und gerade zu dem Zeitpunkt in Betrieb genommen wurde, als die amerikanischen Geheimdienste den Zugang zu einer Reihe von Langstrecken-Abhörstationen verloren, mit denen sie in China hinein lauschen konnten.

Ein neu eingerichteter amerikanischer U-Boot-Stützpunkt, der seit Jahren im Bau war, wurde in Betrieb genommen, und mehr amerikanische U-Boote konnten nun eng mit ihren norwegischen Kollegen zusammenarbeiten, um eine große russische Nuklearstation 250 Meilen östlich auf der Halbinsel Kola zu überwachen und auszuspionieren. Die Amerikaner haben außerdem einen norwegischen Luftwaffenstützpunkt im Norden erheblich ausgebaut und der norwegischen Luftwaffe eine Flotte von Boeing-Poseidon-Patrouillenflugzeugen zur Verfügung gestellt, um die Langstreckenspionage gegen Russland zu verstärken.

Im Gegenzug verärgerte die norwegische Regierung im November letzten Jahres die Liberalen und einige gemäßigte Abgeordnete im Parlament mit der Verabschiedung des ergänzenden Abkommens über die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich (SDCA). Das neue Abkommen sieht vor, dass die US-Justiz in bestimmten „vereinbarten Gebieten“ im Norden für amerikanische Soldaten zuständig ist, die außerhalb des Stützpunktes eines Verbrechens beschuldigt werden, sowie für norwegische Bürger, die beschuldigt oder verdächtigt werden, die Arbeit auf dem Stützpunkt zu stören.
Norwegen gehörte zu den Erstunterzeichnern des NATO-Vertrags im Jahr 1949, in den Anfängen des Kalten Krieges. Heute ist der Generalsekretär der NATO Jens Stoltenberg, ein überzeugter Antikommunist, der acht Jahre lang norwegischer Ministerpräsident war, bevor er 2014 mit amerikanischer Unterstützung auf seinen hohen NATO-Posten wechselte. Er war ein Hardliner in Sachen Putin und Russland und hatte seit dem Vietnamkrieg mit den amerikanischen Geheimdiensten zusammengearbeitet. Seitdem genießt er volles Vertrauen. „Er ist der Handschuh, der zur amerikanischen Hand passt“, sagte die Quelle.

Zurück in Washington wussten die Planer, dass sie nach Norwegen gehen mussten. „Sie hassten die Russen und die norwegische Marine war voller hervorragender Matrosen und Taucher, die seit Generationen Erfahrung in der hochprofitablen Tiefsee-Öl- und Gasexploration hatten“, sagte die Quelle. Außerdem konnte man darauf vertrauen, dass sie die Mission geheim halten würden. (Die Norweger könnten auch andere Interessen gehabt haben. Die Zerstörung von Nord Stream – falls die Amerikaner es schaffen sollten – würde es Norwegen ermöglichen, weitaus mehr eigenes Erdgas nach Europa zu verkaufen).

Irgendwann im März flogen einige Mitglieder des Teams nach Norwegen, um sich mit dem norwegischen Geheimdienst und der Marine zu treffen. Eine der wichtigsten Fragen war, wo genau in der Ostsee der beste Ort für die Anbringung des Sprengstoffs ist. Nord Stream 1 und 2, die jeweils über zwei Pipelines verfügen, waren auf ihrem Weg zum Hafen von Greifswald im äußersten Nordosten Deutschlands größtenteils nur eine Meile voneinander entfernt.

Die norwegische Marine fand schnell die richtige Stelle in den flachen Gewässern der Ostsee, nur wenige Meilen vor der dänischen Insel Bornholm. Die Pipelines verliefen in einem Abstand von mehr als einer Meile entlang eines Meeresbodens, der nur 260 Fuß tief war. Das wäre in Reichweite der Taucher, die von einem norwegischen Minenjäger der Alta-Klasse aus mit einem Gemisch aus Sauerstoff, Stickstoff und Helium aus ihren Tanks tauchen und C4-Sprengladungen an den vier Pipelines anbringen würden, die mit Betonabdeckungen versehen sind. Es wäre eine mühsame, zeitraubende und gefährliche Arbeit, aber die Gewässer vor Bornholm hatten einen weiteren Vorteil: Es gab keine größeren Gezeitenströmungen, die das Tauchen erheblich erschwert hätten.
Nach ein paar Nachforschungen waren die Amerikaner einverstanden.

An diesem Punkt kam wieder einmal die obskure Tiefseetauchergruppe der Marine in Panama City ins Spiel. Die Tiefseeschulen in Panama City, deren Schüler an den Ivy Bells teilnahmen, werden von den Elite-Absolventen der Marineakademie in Annapolis, die in der Regel nach dem Ruhm streben, als Seal, Kampfpilot oder U-Boot-Fahrer eingesetzt zu werden, als unerwünschtes Hinterland angesehen. Wenn man ein „Black Shoe“ werden muss, also ein Mitglied des weniger begehrten Überwasserschiffkommandos, gibt es aber zumindest immer einen Posten auf einem Zerstörer, Kreuzer oder Amphibienschiff. Am wenigsten glamourös ist die Minenkriegsführung. Ihre Taucher erscheinen nie in Hollywood-Filmen oder auf den Titelseiten populärer Zeitschriften.
„Die besten Taucher mit Tieftauchqualifikationen sind eine enge Gemeinschaft, und nur die allerbesten werden für die Operation rekrutiert und darauf hingewiesen, dass sie sich darauf einstellen müssen, zur CIA nach Washington gerufen zu werden“, sagte die Quelle.

Die Norweger und Amerikaner hatten einen Ort und die Agenten, aber es gab noch eine weitere Sorge: Jede ungewöhnliche Unterwasseraktivität in den Gewässern vor Bornholm könnte die Aufmerksamkeit der schwedischen oder dänischen Marine auf sich ziehen, die darüber berichten könnten.

Dänemark gehörte ebenfalls zu den ursprünglichen NATO-Unterzeichnern und war in Geheimdienstkreisen für seine besonderen Beziehungen zu Großbritannien bekannt. Schweden hatte einen Antrag auf Mitgliedschaft in der NATO gestellt und sein großes Geschick bei der Verwaltung seiner Unterwasserschall- und Magnetsensorsysteme unter Beweis gestellt, mit denen es erfolgreich russische U-Boote aufspürte, die gelegentlich in den entlegenen Gewässern der schwedischen Schären auftauchten und zum Auftauchen gezwungen wurden.

Die Norweger schlossen sich den Amerikanern an und bestanden darauf, dass einige hochrangige Beamte in Dänemark und Schweden in allgemeiner Form über mögliche Tauchaktivitäten in dem Gebiet unterrichtet werden mussten. Auf diese Weise konnte ein höherer Beamter eingreifen und einen Bericht aus der Befehlskette heraushalten und so die Pipeline-Operation isolieren. „Was ihnen gesagt wurde und was sie wussten, waren absichtlich unterschiedliche Dinge“, sagte die Quelle (die norwegische Botschaft, die um einen Kommentar zu dieser Geschichte gebeten wurde, hat nicht geantwortet).

Die Norweger waren der Schlüssel zur Überwindung anderer Hürden. Es war bekannt, dass die russische Marine über eine Überwachungstechnologie verfügte, die in der Lage war, Unterwasserminen aufzuspüren und auszulösen. Die amerikanischen Sprengsätze mussten so getarnt werden, dass sie für das russische System als Teil des natürlichen Hintergrunds erscheinen würden – was eine Anpassung an den spezifischen Salzgehalt des Wassers erforderte. Die Norweger hatten eine Lösung.

Die Norweger hatten auch eine Lösung für die entscheidende Frage, wann die Operation durchgeführt werden sollte. Seit 21 Jahren veranstaltet die amerikanische Sechste Flotte, deren Flaggschiff in Gaeta (Italien) südlich von Rom stationiert ist, jedes Jahr im Juni eine große NATO-Übung in der Ostsee, an der zahlreiche Schiffe der Alliierten aus der gesamten Region teilnehmen. Die aktuelle Übung, die im Juni stattfinden soll, wird als Baltic Operations 22 oder BALTOPS 22 bezeichnet. Die Norweger schlugen vor, dass dies die ideale Tarnung für das Verlegen der Minen sein würde.

Die Amerikaner lieferten ein entscheidendes Element: Sie überzeugten die Planer der Sechsten Flotte, das Programm um eine Forschungs- und Entwicklungsübung zu erweitern. An der Übung, die von der Marine bekannt gegeben wurde, war die Sechste Flotte in Zusammenarbeit mit den „Forschungs- und Kriegsführungszentren“ der Marine beteiligt. Bei der Übung, die vor der Küste der Insel Bornholm stattfinden sollte, sollten Taucherteams der NATO Minen verlegen, während die konkurrierenden Teams die neueste Unterwassertechnologie einsetzten, um die Minen zu finden und zu zerstören.

Das war sowohl eine nützliche Übung als auch eine raffinierte Tarnung. Die Jungs aus Panama City würden ihre Arbeit tun, und die C4-Sprengsätze würden bis zum Ende von BALTOPS22 an Ort und Stelle sein, mit einem 48-Stunden-Timer versehen. Alle Amerikaner und Norweger würden bei der ersten Explosion schon lange weg sein.

Die Tage zählten herunter. „Die Uhr tickte, und wir waren kurz davor, die Mission zu erfüllen“, sagte die Quelle.

Und dann: Washington überlegte es sich anders. Die Bomben würden immer noch während BALTOPS gelegt werden, aber das Weiße Haus befürchtete, dass ein Zeitfenster von zwei Tagen für ihre Detonation zu kurz vor dem Ende der Übung sein würde, und es wäre offensichtlich, dass Amerika beteiligt war. Stattdessen hatte das Weiße Haus eine neue Anfrage: „Können sich die Jungs vor Ort etwas einfallen lassen, um die Pipelines später auf Kommando zu sprengen?“

Einige Mitglieder des Planungsteams waren verärgert und frustriert über die scheinbare Unentschlossenheit des Präsidenten. Die Taucher in Panama City hatten wiederholt geübt, C4 an den Pipelines anzubringen, wie sie es bei BALTOPS tun würden, aber nun musste das Team in Norwegen einen Weg finden, um Biden zu geben, was er wollte – die Möglichkeit, einen erfolgreichen Ausführungsbefehl zu einem Zeitpunkt seiner Wahl zu erteilen.
Mit einer willkürlichen Änderung in letzter Minute beauftragt zu werden, war etwas, womit die CIA vertraut war. Allerdings wurden dadurch auch erneut Bedenken hinsichtlich der Notwendigkeit und Rechtmäßigkeit der gesamten Operation geäußert.

Die geheimen Befehle des Präsidenten erinnerten auch an das Dilemma der CIA in den Tagen des Vietnamkriegs, als Präsident Johnson angesichts der wachsenden Anti-Vietnamkriegsstimmung die Agentur anwies, gegen ihre Charta zu verstoßen, die ihr ausdrücklich verbot, innerhalb Amerikas zu operieren, indem sie die Führer der Kriegsgegner ausspionierte, um festzustellen, ob sie vom kommunistischen Russland kontrolliert wurden.
Die Agentur willigte schließlich ein, und im Laufe der 1970er Jahre wurde deutlich, wie weit sie zu gehen bereit war. Nach den Watergate-Skandalen enthüllten Zeitungen, dass die Agentur amerikanische Bürger ausspionierte, dass sie an der Ermordung ausländischer Staatschefs beteiligt war und die sozialistische Regierung von Salvador Allende untergrub.

Diese Enthüllungen führten Mitte der 1970er Jahre zu einer Reihe dramatischer Anhörungen im Senat unter der Leitung von Frank Church aus Idaho, bei denen deutlich wurde, dass Richard Helms, der damalige Direktor der Agentur, akzeptiert hatte, dass er verpflichtet war, die Wünsche des Präsidenten zu erfüllen, auch wenn das einen Verstoß gegen das Gesetz bedeutete.
In einer unveröffentlichten Zeugenaussage hinter verschlossenen Türen erklärte Helms reumütig, dass „man fast eine unbefleckte Empfängnis hat, wenn man etwas auf geheime Anweisung eines Präsidenten tut“. „Ob es nun richtig ist, dass Sie es haben sollten, oder falsch, dass Sie es haben sollen, [die CIA] arbeitet nach anderen Regeln und Grundregeln als jeder andere Teil der Regierung.“ Damit erklärte er den Senatoren, dass er als Leiter der CIA für die Krone und nicht für die Verfassung arbeite.

Die Amerikaner, die in Norwegen im Einsatz waren, arbeiteten mit der gleichen Dynamik und begannen pflichtbewusst mit der Arbeit an dem neuen Problem – der Fernzündung des C4-Sprengstoffs auf Bidens Befehl. Die Aufgabe war viel anspruchsvoller, als man in Washington angenommen hatte. Das Team in Norwegen konnte nicht wissen, wann der Präsident den Knopf drücken würde. Würde es in ein paar Wochen, in vielen Monaten oder in einem halben Jahr oder länger sein?

Das an den Pipelines angebrachte C4 würde durch eine Sonarboje ausgelöst, die kurzfristig von einem Flugzeug abgeworfen wird, aber das Verfahren erforderte modernste Signalverarbeitungstechnologie. Die an den vier Pipelines angebrachten Geräte zur zeitlichen Verzögerung könnten versehentlich durch die komplexe Mischung von Meeresgeräuschen in der stark befahrenen Ostsee ausgelöst werden – von nahen und fernen Schiffen, Unterwasserbohrungen, seismischen Ereignissen, Wellen und sogar Meerestieren. Um das zu vermeiden, würde die Sonarboje, sobald sie an Ort und Stelle ist, eine Abfolge einzigartiger tieffrequenter Töne aussenden – ähnlich denen einer Flöte oder eines Klaviers -, die vom Zeitmessgerät erkannt und nach einer voreingestellten Verzögerung von mehreren Stunden den Sprengstoff auslösen würden. („Sie wollen ein Signal, das robust genug ist, damit kein anderes Signal versehentlich einen Impuls senden kann, der den Sprengstoff zündet“, erklärte mir Dr. Theodore Postol, emeritierter Professor für Wissenschaft, Technologie und nationale Sicherheitspolitik am MIT. Postol, der als wissenschaftlicher Berater des Chefs der Marineoperationen im Pentagon tätig war, sagte, das Problem, dem sich die Gruppe in Norwegen wegen Bidens Verzögerung gegenübersah, sei eine Frage des Zufalls: „Je länger der Sprengstoff im Wasser ist, desto größer ist das Risiko eines zufälligen Signals, das die Bomben auslöst“)

Am 26. September 2022 warf ein P8-Überwachungsflugzeug der norwegischen Marine bei einem scheinbaren Routineflug eine Sonarboje ab. Das Signal breitete sich unter Wasser aus, zunächst zu Nord Stream 2 und dann zu Nord Stream 1. Wenige Stunden später wurde der Hochleistungs-C4-Sprengstoff ausgelöst und drei der vier Pipelines wurden außer Betrieb gesetzt. Innerhalb weniger Minuten konnte man sehen, wie sich Methangas, das in den stillgelegten Pipelines verblieben war, an der Wasseroberfläche ausbreitete, und die Welt erfuhr, dass etwas Unumkehrbares geschehen war.

FALLOUT

Unmittelbar nach dem Bombenanschlag auf die Pipeline behandelten die amerikanischen Medien den Vorfall wie ein ungelöstes Rätsel. Russland wurde wiederholt als wahrscheinlicher Schuldiger genannt, angespornt durch kalkulierte Indiskretionen aus dem Weißen Haus – ohne dass jemals ein klares Motiv für einen solchen Akt der Selbstsabotage jenseits einfacher Vergeltung gefunden wurde. Als sich einige Monate später herausstellte, dass die russischen Behörden in aller Stille Kostenvoranschläge für die Reparatur der Pipelines eingeholt hatten, bezeichnete die New York Times diese Nachricht als „Erschwerung der Theorien darüber, wer hinter dem Anschlag steckt.“
Keine große amerikanische Zeitung ging auf die früheren Drohungen gegen die Pipelines ein, die von Biden und Staatssekretärin Nuland ausgesprochen wurden.

Während nie klar war, warum Russland versuchen sollte, seine eigene lukrative Pipeline zu zerstören, kam eine aufschlussreichere Begründung für die Aktion des Präsidenten von Außenminister Blinken.
Auf einer Pressekonferenz im vergangenen September zu den Folgen der sich verschärfenden Energiekrise in Westeuropa befragt, beschrieb Blinken den Moment als einen potenziell guten:

„Es ist eine enorme Chance, die Abhängigkeit von russischer Energie ein für alle Mal zu beenden und damit Wladimir Putin die Energie als Waffe zur Durchsetzung seiner imperialen Pläne zu entziehen. Das ist sehr bedeutsam und bietet eine enorme strategische Chance für die kommenden Jahre, aber in der Zwischenzeit sind wir entschlossen, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um sicherzustellen, dass die Folgen all dessen nicht von den Bürgern in unseren Ländern oder in der ganzen Welt getragen werden.“

Kürzlich äußerte sich Victoria Nuland erfreut über das Scheitern der neuen beiden Pipelines. Bei einer Anhörung des Ausschusses für auswärtige Beziehungen des Senats Ende Januar sagte sie zu Senator Ted Cruz: „Wie Sie bin auch ich, und ich denke, die Regierung ist sehr erfreut zu wissen, dass Nord Stream 2 nun, wie Sie sagen, ein Haufen Metall auf dem Grund des Meeres ist.“

Die Quelle sah Bidens Entscheidung, mehr als 1.500 Meilen der Gazprom-Pipeline zu sabotieren, während der Winter näher rückte, wesentlich nüchterner. „Nun“, sagte er über den Präsidenten, „ich muss zugeben, dass der Kerl Eier hat. Er hat gesagt, er würde es tun, und er hat es getan.“

Auf die Frage, warum die Russen seiner Meinung nach nicht reagierten, antwortete er zynisch: „Vielleicht wollen sie die Möglichkeit haben, dasselbe zu tun, was die USA getan haben.“

Es war eine schöne Tarngeschichte“, fuhr er fort. „Dahinter steckte eine verdeckte Operation, bei der Experten vor Ort eingesetzt wurden und Geräte, die mit einem verdeckten Signal arbeiteten.“

„Der einzige Makel war die Entscheidung, es zu tun.“

Ende der Übersetzung

Die Reaktionen der USA

Bleibt noch hinzuzufügen, dass die Geschichte von der US-Regierung sofort dementiert wurde. Die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates sagte auf Anfrage der russischen Nachrichtenagentur TASS:

„Das ist eine absolute Lüge und totale Fiktion.“

Ein Pentagonsprecher antwortete auf Anfrage der russischen Nachrichtenagentur TASS:

„Die USA haben nichts mit der Explosion von Nord Stream zu tun.“

Die westlichen Medien sind an der Geschichte bisher anscheinend nicht interessiert. US-Außenminister Blinken und NATO-Generalsekretär Stoltenberg haben nach der Veröffentlichung des Artikels von Hersh eine gemeinsame Pressekonferenz in Washington gehabt, aber die westlichen Journalisten haben nicht nach Nord Stream gefragt.
Auf der Pressekonferenz durften amerikanische Journalisten insgesamt vier Fragen stellen, aber keine von ihnen betraf das Thema. Sie fragten nach dem Erdbeben in der Türkei und in Syrien, nach Flugzeugen für die Ukraine, nach der chinesischen Bedrohung für die USA und die NATO und nach dem chinesischen Ballon über den USA sowie nach den Aussichten für einen Beitritt Finnlands und Schwedens zur NATO.

Der Originalartikel ist hier einsehbar:
https://seymourhersh.substack.com/p/how-america-took-out-the-nord-stream

Und hier die Fortsetzung der Geschichte:

https://josopon.wordpress.com/2023/02/09/nord-stream-von-usa-gesprengt-wer-hatte-je-zweifel-daran-eine-kriegserklarung-an-deutschland/

Die Kriminalgeschichte von Viktoria Nuland wurde schon vor 2 Jahren hier schön beschrieben:
https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/509771/Staatsstreiche-und-Kriege-Seit-30-Jahren-ist-Victoria-Nuland-aktiv-nun-soll-sie-wiederkommen

Staatsstreiche und Kriege: Seit 30 Jahren ist Victoria Nuland aktiv – nun soll sie wiederkommen

US-Präsident Joe Biden zufolge soll die US-Diplomatin Victoria Nuland eine wichtige Rolle in der künftigen US-Außenpolitik spielen. Seit 30 Jahren zeichnet sie sich als aktive Unterstützerin von Putschen, Umstürzen und Kriegen gegen andere Staaten aus. Eine Dokumentation ihrer „Erfolge“

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.
Jochen

Der „Opa-Putsch“ – Neue Fakten und Gesprächspartner

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Was das wichtigste ist: Über eine Verwicklung der CIA in Richtung „Regime Change“ist nichts bekannt.
Warum sollten die auch, bequemer als mit Baerbock und dem erpressbaren Scholz kann die USA es eigentlich nicht haben.
Wichtiger Nachtrag vom 16.12.2022: Der konservative  Journalist Reichelt weist in diesem Video nach, wie die Regierung den Opa-Putsch inszenierte, um kurz danach ein Ermächtigungsgesetz durchzudrücken: 

https://www.youtube.com/watch?v=eW6LcHYu228
. So klar hatte ich das zuvor noch nie gesehen !
Hier auszugsweise die EPOCH TIMES https://www.epochtimes.de/politik/nach-reichsbuerger-razzia-forderungen-nach-neuem-bundestag-sicherheitskonzept-a4075422.html:

Nach „Reichsbürger-Razzia“: Forderungen nach neuem Bundestag-Sicherheitskonzept

Von Patrick Reitler

Im politischen Berlin verlangen immer mehr Stimmen einen verstärkten Schutz des Bundestags.
Hintergrund ist die Tatsache, dass mit der Berliner Richterin Birgit Malsack-Winkemann auch eine ehemalige Abgeordnete der AfD während der „Reichsbürger-Razzia“ verhaftet wurde. Die Unionsfraktion will klären lassen, wie Ermittlungsinterna vorab an die Presse gelangen konnten.

Zwei Tage nach der „Reichsbürger-Razzia“ vom 7. Dezember werden immer mehr Stimmen laut, die sich für verschärfte Sicherheitsmaßnahmen im Bundestag aussprechen. Der Grund: Unter den 25 festgenommenen Verdächtigen hatte sich nach Angaben der Generalbundesanwaltschaft auch die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete und Berliner Richterin Birgit Malsack-Winkemann befunden. Sie hatte nach dpa-Informationen auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Parlament Zugang zu den Gebäuden des Bundestages – ein Privileg, das allen ehemaligen MdB zustehe.

Scholz: Verfassungsschutzbehörden gefragt

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) habe es nach Beratungen mit den Länderchefs im Kanzleramt am Abend des 8. Dezember als einen „sehr bemerkenswerten und sehr schlimmen Vorfall“ bezeichnet, dass sich mit Malsack-Winkemann eine ehemalige AfD-Abgeordnete unter den Beschuldigten befunden habe. Das berichtet unter anderem die Zeitung „Welt“. Nun seien „autonome Entscheidungen der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder“ gefragt, sagte Scholz. Sie hätten „jeweils auf rechtlicher Grundlage eine Abwägung“ vorzunehmen. Deutschland sei ein „wehrhafter Staat“ mit einer „wehrhaften Demokratie“ mit Sicherheitsbehörden, die in der Lage seien, Rechtsverletzungen dieser Art „zu durchkreuzen“.

Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sprach in der RTL/ntv-Sendung „Nachtjournal spezial“ nach Agenturinformationen von einer „wehrhaften Demokratie“. Mitte April 2022 hatten Sicherheitsbehörden eine vierköpfige Gruppe sogenannter „Reichsbürger“ festgenommen, die unter anderem eine Entführung Lauterbachs geplant haben soll. Im Oktober 2022 war die mutmaßliche Rädelsführerin Elisabeth R. festgenommen worden, eine pensionierte Lehrerin.

Neues Sicherheitskonzept für den Bundestag?

Lauterbachs Parteigenosse, der Innenpolitiker Sebastian Hartmann, habe im Austausch mit der Funke Mediengruppe verlangt, „dringend“ die „bestehenden Kontakte“ Malsack-Winkemann ins Parlament und auch das gesamte Sicherheitskonzept des Bundestages zu überprüfen. Seiner Ansicht nach gehe es nicht um „Einzelfälle“. „Ich gehe davon aus, dass sie auf Hilfe von innen hoffte bei ihren Umsturzplänen“, so Hartmann.

Das sieht offenbar auch die stellvertretende Bundestagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) so. Im Gespräch mit der Funke Mediengruppe kündigte sie laut „dpa“ an, genau prüfen zu wollen, welche Sicherheitsvorkehrungen für den Bundestag nun anzupassen seien. Dazu werde man in „allen entscheidenden Gremien“ darüber sprechen.

Konstantin von Notz (Grüne), der Vorsitzende des parlamentarischen Gremiums zur Kontrolle der Geheimdienste, äußerte sich gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) nach Angaben der „Tagesschau“ ähnlich: „Wir müssen das Schutzkonzept für den Bundestag erhöhen, ohne den Alltag der demokratischen Abgeordneten zu sabotieren“, forderte von Notz. Das aktuelle Sicherheitskonzept des Bundestages sei nicht dafür gemacht, dass „Verfassungsfeinde mit Zutrittsprivilegien“ ins Parlament gewählt würden.

„Möglicher Änderungsbedarf bei der Sicherheit des Bundestages wird fortlaufend intern evaluiert und dann gegebenenfalls unverzüglich umgesetzt“, sagte Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) nach Informationen des „ZDF“ auf Anfrage der Funke Mediengruppe. Die Bundestagspolizei stehe im ständigen Austausch mit der Berliner Polizei und anderen Sicherheitsbehörden.

Bereits im Sommer 2019 war ein Konzept vorgestellt worden, nachdem der Sicherheitsbereich rund um das Reichstagsgebäude stärker gegen Terroranschläge geschützt werden soll. Dazu soll ein 2,50 Meter tiefer und 10 Meter breiter Graben quer über den Platz der Republik und ein Sicherheitszaun an der Rampe zum Westportal gebaut werden. Als Begründung wurde eine verschärfte Bedrohungslage genannt.

Lambsdorff will Richtergesetz verschärfen

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff machte sich im Interview mit der Zeitung „Welt“ dafür stark, „das Richterinnen- und Richtergesetz“ klarer zu fassen.
Es gelte, „hier ganz deutlich auszuschließen, dass solche Leute Recht sprechen in Deutschland, die eine feindliche Einstellung zu unserer Rechtsordnung als solcher haben“. Bei Birgit Malsack-Winkemann handele es sich um eine „offenkundig verfassungsfeindlichen Person“, so Graf Lambsdorff.

Nach Informationen der „Berliner Zeitung“ wurde von seiten des Berliner Landgerichts inzwischen ein Disziplinarverfahren gegen Malsack-Winkemann eingeleitet.
Die Berliner Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) habe angekündigt, „alle Instrumente“ zu nutzen, um Malsack-Winkemann entlassen zu können.

Wer hatte die Presse vorab informiert?

Die Unionsfraktion im Bundestag beantragte nach Informationen des Onlineportals „t-online“ für Montag, den 12. Dezember, eine Sondersitzung des Rechtsausschusses.
Der Ausschuss solle mithilfe des Erkenntnisstands von Bundesregierung und Generalbundesanwalt der Frage nachgehen, ob und wie im Zusammenhang mit der Razzia „Ermittlungsinterna“ unerlaubt weitergegeben und veröffentlicht worden seien.
Sollte sich der Verdacht bestätigen, dass Interna durchgestochen worden seien, so gefährde das den Rechtsstaat, sagte Günter Krings (CDU), der rechtspolitische Sprecher der Fraktion.

Dass der genaue Zeitpunkt und die Namen und Adressen der Zielpersonen der Großrazzia vom 7. Dezember bestimmten Pressevertretern bereits zwei Wochen vorher bekannt gewesen seien, hatte die Linken-Abgeordnete Martina Renner noch am Tag der Ereignisse in einem ntv-Interview geäußert. Sie selbst habe bereits Mitte der vorangegangenen Woche davon erfahren.
Das Ganze habe auf sie deshalb „wie eine PR-Aktion“ gewirkt. Es sei möglicherweise darum gegangen, zu zeigen, „dass die Politik nicht nur Aktionspläne gegen rechts verabschiedet, sondern gegen die Terrorgefahr auch erfolgreich vorgeht.“

[Mit Informationen von Agenturen]

Anmerkung der Redaktion: Im vorstehenden Fall handelt es sich lediglich um einen Verdacht. Unsere Redaktion folgt dem Grundsatz der Unschuldsvermutung.
Ob und in welchem Rahmen eine tatsächliche Schuld o. g. Akteure besteht, ist gerichtlich festzustellen.

Mein Kommentar: Man lese dazu Elias Davidsson: „Psychologische Kriegsführung“

Ich vermute, dass es dem Staat darum geht, die psychologische Grundlage für neue Gesetze zur weiteren Einschränkung der Grundrechte zu schaffen, z.B. schon erwähnt die Beweislastumkehr.
Betroffene müssen dann beweisen, das sie keine negative Einstellung dem Staat gegenüber haben.
Das dürfte schwerer fallen als den Asylbewerbern der Einbürgerungstest.

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.
Jochen

Zum 8. und 9.Mai 2022, das Gedenken an die „östlichen Völker“ betreffend – Hintergründe zu diesem 9.Mai von Thomas Röper

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Liebe Friedensfreunde, Kollegen, Genossen,
wie zuletzt 2020 haben Heiner Holl und ich am 8.Mai auf dem Nördlinger Friedhof rote Nelken an den Gräbern von ermordeten russischen und ukrainischen Kriegsgefangenen niedergelegt, die in den hiesigen Betrieben als Zwangsarbeiter beschäftigt waren. Auf dem Gedenkstein steht:
IN DIESEM FRIEDHOF RUHEN 49 ANGEHÖRIGE ÖSTLICHER VÖLKER ALS OPFER DES KRIEGES 1939-1945.

Und aktuell auszugsweise ein guter Artikel von Thomas Röper zum Tage, der sich wohltuend von den Speichelleckereien der hiesigen Medien-TUIs (so B.Brecht *) abhebt:
https://www.anti-spiegel.ru/2022/warum-der-9-mai-den-russen-so-wichtig-ist-und-wie-im-westen-die-geschichte-umgeschrieben-wird/

Warum der 9. Mai den Russen so wichtig ist und wie im Westen die Geschichte umgeschrieben wird

Am 9. Mai wird in Russland der Sieg über Nazideutschland gefeiert, was in Russland einer der wichtigsten Feiertage ist. Umso schockierter ist man in Russland über die zunehmenden Bestrebungen im Westen, die Geschichte umzuschreiben.

Der 9. Mai ist in Russland einer der wichtigsten Feiertage, weil der 2. Weltkrieg in Russland immer noch präsent ist.
Die Sowjetunion, deren Rechtsnachfolger Russland ist, hat in dem Krieg 27 Millionen Menschen verloren.
Das bedeutet, dass jedes zweite Opfer des 2. Weltkrieges aus der Sowjetunion kam.
Dieser Blutzoll hat in Russland Spuren hinterlassen und selbst junge Menschen, die keine Kriegsveteranen mehr kennengelernt haben, wissen genau, wo ihre Vorfahren gekämpft oder den Krieg durchlitten haben. Diese Erinnerungen werden in Russland von Generation zu Generation weitergegeben.

Die Feiern zum 9. Mai sind in Russland ein Volksfest, dessen Ausmaße man es sich in Deutschland kaum vorstellen kann. Dabei dominiert aber kein Hass auf Deutsche, sondern Stolz auf das von den Vorfahren erreichte.
Besonders beeindruckend ist dabei jedes Jahr das unsterbliche Regiment, bei dem Menschen mit Plakaten mit Bildern ihrer Vorfahren unterwegs sind. In Petersburg, wo ich lebe, ziehen die Menschen eng an eng ber eine vierspurige Straße im Stadtzentrum und der Zug dauert Stunden. Wenn Millionen Menschen mit diesen Bildern an einem vorbeiziehen, bekommt ein Gefühl für die vielen Menschen, die in dem Krieg gelitten haben, wie es keine Doku vermitteln kann. Und das sind nur die Menschen einer Stadt.

Ich habe 2020 einen sehr ausführlichen Artikel über diese Feierlichkeiten geschrieben und möchte das hier nicht wiederholen, bei Interesse können Sie es hier nachlesen https://www.anti-spiegel.ru/2020/75-jahre-nach-kriegsende-wie-die-geschichte-fuer-die-tagespolitik-missbraucht-wird/ , auch Bilder und Videos habe ich in dem Artikel gezeigt. Heute geht es mir um etwas anderes.

Die Erinnerung wach halten

In Russland wird die Erinnerung an den Krieg anders wach gehalten als in Deutschland. In Deutschland liegt der Fokus der Erinnerungen nicht mehr auf dem Krieg, sondern er liegt auf den deutschen Verbrechen. In Deutschland wird, wenn es um den Zweiten Weltkrieg geht, immer weniger ber den Krieg selbst gesprochen, sondern über die Verbrechen deutscher Soldaten und über Konzentrationslager.

Das sind wichtige Themen, aber sie lenken von dem Krieg selbst und dem Leid, das er gebracht hat, ab. Anstatt an Leid und Tod zu denken, das einfache Soldaten und wehrlose Zivilisten im Krieg er- und berleben mussten, wird in Deutschland an die eigene Schuld erinnert.
Das übrigens versteht man auerhalb von Deutschland, also in den meisten anderen Ländern, kaum. In Russland zum Beispiel sind die Menschen immer sehr überrascht, wenn ich davon erzhle, denn die Russen trennen zwischen den wirklichen Tätern, also aktiven Nazis, und den einfachen Deutschen, die auch unter dem Krieg gelitten haben.
Und die Russen verstehen nicht, wie man sich für etwas eine eigene Schuld zurechnen kann, das Jahrzehnte vor der eigenen Geburt geschehen ist.

In Russland wird bei der Erinnerung an den Krieg kaum über Konzentrationslager gesprochen. In Russland wird über den Krieg selbst gesprochen. Darüber, wie junge Männer eingezogen wurden und welche Grausamkeiten sie dann an der Front durchleben mussten, wie sie verwundet wurden, wie sie zusehen mussten, wie ihre Freunde gefallen sind. Es wird über das Schicksal der Zivilisten gesprochen, die im belagerten Leningrad verhungern, oder in den Kellern von Stalingrad ausharren mussten. Oder ber die Menschen auf dem Lande, deren Dörfer niedergebrannt wurden.

In Russland wird die Erinnerung an den Krieg selbst wach gehalten. An die Grausamkeiten des Krieges an sich, während es bei der Erinnerung in Deutschland eher um die Erinnerung an die eigenen Verbrechen geht.

Der Unterschied zwischen Russland und Deutschland

Und dieser Unterschied macht etwas mit den Menschen, denn wenn ich mir die derzeitigen Medienberichte und Aussagen von deutschen Politikern anhöre, dann sehe ich, dass sie die Angst vor dem Krieg selbst verloren haben. Wie sonst kann ein Friedrich Merz sagen, er htte keine Angst vor einem Atomkrieg https://www.n-tv.de/politik/Merz-Habe-keine-Angst-vor-Atomkrieg-article23303793.html ?
Wie sonst lsst sich erklären, dass ein Robert Habeck sagen kann, er habe keine Angst vor einem dritten Weltkrieg https://www.welt.de/politik/deutschland/article238542871/Robert-Habeck-Angst-vor-einem-Dritten-Weltkrieg-Habe-ich-nicht.html ?

Das waren nur zwei von ganz vielen Beispielen der letzten Tage, die mich ehrlich schockiert haben. Wissen diese Leute nicht, was sie da sagen?
Ist in Deutschland die kollektive Erinnerung an die Grausamkeiten und das Leid des Krieges derartig ausgelöscht worden, als die Medien 20 Jahre lang alle amerikanischen Angriffskriege verharmlost haben?

Kein russischer Politiker wrde so etwas sagen. In Russland ist die kollektive Erinnerung an das Leid des Krieges noch wach und kein russischer Politiker kme auf die Idee, derartigen Unsinn von sich zu geben, wie man ihn von den westlichen Politikern allenthalben hrt.
Glauben die wirklich, dass sie einen dritten Weltkrieg berleben wrden? Und wenn ja, was wre das dann fr ein Leben?
Ein Leben im Bunker, weil man nicht mehr raus an die Luft kann. Und weil Lebensmittel auch im Bunker zu Ende gehen knnen, wrden sie eben nicht den Strahlentod, sondern den Hungertod sterben.

Ist diesen Leuten das nicht bewusst, wenn sie so etwas von sich geben?

Das Umschreiben der Geschichte in der Ukraine

In Russland ist der Kampf gegen Nazis und Neonazis bis heute ein beherrschendes Thema. Mir ist klar, dass die westlichen Medien bestreiten, es gebe in der Ukraine ein neonazistische Regierung. Um diesen Artikel nicht zu lang werden zu lassen, gehe ich darauf hier nicht im Detail ein, denn dass die Ukraine von Neonazis regiert wird, habe ich oft genug erklärt und belegt, Beispiele finden Sie hier:
https://www.anti-spiegel.ru/2022/wie-der-westen-nazis-verteidigt/
https://www.anti-spiegel.ru/2022/in-der-ukraine-gibt-es-keine-nazis/

https://www.anti-spiegel.ru/2022/uns-kann-es-jetzt-nicht-darum-gehen-zwischen-boesen-russen-und-guten-russen-zu-unterscheiden/
Würde man es in Deutschland mit dem Kampf gegen Nazis ernst meinen, müsste man sich Russland gegen die Ukraine anschließen.
In den dortigen Geschichtsbüchern wird der Zweite Weltkrieg kaum erwhnt, stattdessen ist der Nationalheld des Landes Stefan Bandera, der in der SS-Division Galizien auf Seiten der Nazis gekämpft hat und grausamste Kriegsverbrechen gegen ganze Dörfer begangen hat, übrigens auch an Polen, was immer wieder zu Spannungen zwischen Polen und der Bandera verehrenden Ukraine geführt hat.
Dass der wichtigste Nationalheld der heutigen Ukraine ein Nazi und SS-Mann war, wird in Deutschland jedoch verschwiegen.

Wie sehr die neonazistischen Regierungen, die der Maidan-Putsch in der Ukraine an die Macht gebracht hat, die Geschichte umschreiben wrden, wurde in Deutschland sptestens am 7. Januar 2015 sichtbar. Damals war der ukrainische Ministerpräsident Jazenjuk in Deutschland und in den Tagesthemen und sagte https://www.youtube.com/watch?v=RqKtRhYvKxc&t:

Wir können uns alle sehr gut an den sowjetischen Einmarsch in die Ukraine und Deutschland erinnern.

Das hat er gesagt, ohne dass die Moderatorin mit der Wimper gezuckt oder es hinterfragt htte. Aber das ist es, was ukrainische Kinder heute in der Schule lernen.

Ein weiteres Beispiel für das Umschreiben der Geschichte in der Ukraine ist der ukrainische Botschafter in Deutschland, der am 8. Mai 2022, also jetzt, nach der Kranzniederlegung am Berliner Ehrenmal auf die Frage eines Journalisten, wer denn 1945 Berlin befreit habe, geantwortet hat https://t.me/AntiSpiegel/4116:

Die Ukraine!

Das Umschreiben der Geschichte im Westen

Und auch im Westen wird die Geschichte fleißig umgeschrieben. Die Rolle der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg wird immer mehr marginalisiert, obwohl es die Sowjetunion war, die im Kampf gegen die Nazis den größten Blutzoll entrichtet und die militärische Entscheidung gebracht hat.
Wenn US-Präsidenten an das Kriegsendes erinnern, reden sie vom Sieg der USA und ihren Alliierten und erwähnen die Sowjetunion mit keinem Wort.

Und auch in Deutschland wird der Fokus in den Geschichtsbchern und Dokus immer mehr von der Sowjetunion weggelenkt und auf die Rolle der Westalliierten gelenkt. Dabei testet man aus, wie weit man schon gehen kann.
So hat der Spiegel zum Beispiel 2020 zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz allen ernstes geschrieben https://www.anti-spiegel.ru/2020/geschichtsfaelschung-oder-peinlicher-fehler-laut-spiegel-und-us-botschaft-haben-die-usa-auschwitz-befreit/:

Auschwitz war das größte Vernichtungslager der Nazis. Sie ermordeten dort mindestens 1,1 Millionen Menschen. Vor 75 Jahren wurde es von der amerikanischen Armee befreit.

Von wem???

Und das ist keine Ausnahme, davon gab es in dem Jahr viele Beispiele, auch von amerikanischen Botschaften in Europa, die das gleiche gemeldet haben.
Mir kann keiner erzählen, dass das nur dumme Versehen waren, das sind orchestrierte Versuche, um auszutesten, was man mit dem Umschreiben der Geschichte in Schulbüchern und Dokus schon erreicht hat und ob es nennenswerten Protest gegen solche Geschichtsrevisionen gibt.

In diesem Jahr wird die Erinnerung an das Kriegsende im Westen generell heruntergespielt. Gedenkveranstaltungen mit Beteiligung von Vertretern Russlands werden abgesagt, Bundeskanzler Scholz ist zu keiner einzigen Gedenkveranstaltung gegangen, sondern hat nur eine Rede an die Nation gehalten, in der er weniger an das Kriegsende, als an die Notwendigkeit erinnert hat, Putin entschlossen entgegenzutreten.
Es war keine Gedenkrede für das Kriegsende, es war eine Kriegsrede gegen Russland.

Der Ekel in Russland

In Russland, wo die Geschichte anders gelehrt wird, also so, wie sie sich tatsächlich zugetragen hat, rufen diese offenen Versuche, die Geschichte umzuschreiben, regelrechten Ekel hervor.
In Russland findet sich übrigens kein Mensch, der das, was derzeit in der Ukraine vor sich geht, gut findet.

Aber in Russland weiß man, welche Kräfte in Kiew regieren und im Donbass seit acht Jahren Krieg gegen Zivilisten führen.
Man feiert den Krieg nicht, aber ber 80 Prozent der Russen unterstützen ihn https://vesti7.ru/video/2408805/episode/08-05-2022/, weil es aus ihrer Sicht keine andere Mglichkeit mehr gegeben hat, gegen diese Nazi-Regierung in Kiew vorzugehen.
Acht Jahre lang hat Russland seit dem Maidan geduldig verhandelt, aber der Westen war in Sachen Kiew auf dem rechten Auge blind und hat Kiew gewähren lassen.

Putin hat es in seiner Rede zum Beginn der russischen Intervention in der Ukraine deutlich gesagt https://www.anti-spiegel.ru/2022/putins-komplette-rede-an-das-russische-volk-zum-beginn-der-militaeroperation/:

Wir wissen aus der Geschichte, dass die Sowjetunion 1940 und Anfang 1941 alles getan hat, um den Ausbruch des Krieges zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Dazu gehört auch, dass man buchstäblich bis zur letzten Minute versucht, den potenziellen Angreifer nicht zu provozieren, indem man die notwendigsten und naheliegendsten Schritte zur Vorbereitung auf die Abwehr des unvermeidlichen Angriffs nicht durchgeführt oder aufgeschoben hat. Und die Schritte, die schlielich unternommen wurden, waren katastrophal verspätet.

Infolgedessen war das Land auf den Einmarsch Nazi-Deutschlands, das am 22. Juni 1941 ohne Kriegserklärung unser Land angriff, nicht vollstndig vorbereitet. Der Feind konnte gestoppt und dann vernichtet werden, allerdings zu einem kolossalen Preis.
Der Versuch, dem Aggressor am Vorabend des Groen Vaterländischen Krieges zu gefallen, war ein Fehler, der unser Volk teuer zu stehen kam. In den ersten Monaten der Kämpfe haben wir große, strategisch wichtige Gebiete und Millionen von Menschen verloren. Wir werden einen solchen Fehler nicht ein zweites Mal machen, dazu haben wir kein Recht.

Russische Werte vs. westliche Werte

Ob es einem gefällt, oder nicht, aber so sehen es auch die Russen. Nach acht Jahren Verhandlungen, nach acht Jahren Appeasement-Politik gegenüber Kiew, während die ukrainische Armee im Donbass Zivilisten ermordet hat https://www.anti-spiegel.ru/2020/osze-bericht-75-der-zivilen-opfer-des-krieges-in-der-ukraine-sind-opfer-der-regierungstruppen/, haben die Russen keinen anderen Weg mehr gesehen, als militrisch einzugreifen.

Und es ist nicht nur so, dass über 80 Prozent der Russen Putins Entscheidung unterstützen, ganze 89 Prozent sind der Meinung, Russland sollte nach seinen eigenen Werten leben und sich nicht um das scheren, was der Westen als seine Werte propagiert. Dabei geht es um das Verdrehen der Geschichte, wie es im Westen blich geworden ist, dabei geht es aber auch um das aggressive Vertreten von Political Correctness, LGBT, Gender, Cancel-Culture (was übrigens Geschichtsrevision in Reinkultur ist) und so weiter.

In Russland kann jeder nach seiner Fasson glücklich werden, aber die traditionellen Werte wie Familie stehen im Vordergrund.
Im Westen ist es inzwischen ein Qualitätsprdikat für Politiker, wenn sie homosexuell sind, in Russland zählt die Leistung eines Menschen als Qualittsprädikat und seine Vorlieben im Schlafzimmer sind seine Privatangelegenheit.

Die Kinder des Donbass

Zum Abschluss will ich ein Beispiel zeigen. Die Menschen im Donbass wissen seit acht Jahren was Krieg ist, das gilt besonders für die Kinder, die kein anderes Leben als den Krieg kennen. Ich habe vor einigen Tagen über Faina berichtet, ein 13-jähriges Mädchen aus Lugansk https://www.anti-spiegel.ru/2022/ein-maedchen-aus-lugansk-antwortet-dem-kinderkommentar-aus-den-tagesthemen/, das dadurch bekannt wurde, dass es vor der UNO aufgetreten ist und seitdem offene Briefe an vor allem westliche Politiker schreibt, in denen es auf die Lage in seiner Heimatstadt hinweist.

Faina hat zum Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland einen langen offenen Brief geschrieben, den sie an ihre Vorfahren gerichtet hat.
Darin hat sie sich im Namen der heutigen Generationen bei der Generation der Kriegsteilnehmer dafür entschuldigt, dass es zugelassen wurde, dass die Nazi-Ideologie, gegen die die Kriegsgeneration unter Einsatz ihres Lebens gekämpft hat, in der Ukraine, ihrer ehemaligen Heimat, wieder an die Macht gekommen ist.
Unter anderem hat sie sich in dem Brief bei ihrer Urgroßmutter entschuldigt und weil der Brief zu lang ist, um ihn vollstndig zu zitieren, nehme ich dieses Beispiel:

Hallo, Ur-Oma Elsa. Entschuldige, dass der gelbe Stern wieder in Mode ist, nur diesmal für die Russen. Jetzt sagen sie, der Russe sei kein Befreier, sondern ein Untermensch. Wie vertraut. Während der Pogrome in Lemberg und Kiew sagte man dasselbe ber Dich. Wer hat denen das Recht gegeben, zu entscheiden, wer würdig ist, ein Mensch zu sein und wer nicht? Das waren wir. Durch unsere Gleichgltigkeit gegenber unserer Geschichte.

Es wäre schön, wenn man sich auch im Westen wieder an die Geschichte erinnern wrde, anstatt sie mithilfe von Cancel-Culture gewaltsam umzuschreiben. Manchmal können wir auch von 13-jhrigen Kindern, die im Krieg viel zu früh erwachsen werden mussten, eine Menge lernen, denn:

Wer die Geschichte nicht erinnert, ist verurteilt, sie neu zu durchleben.

Hoffen wir, dass es nicht so weit kommt und erinnern uns an den Krieg und gedenken der unschuldigen Opfer auf allen Seiten und hren wir auf, die Geschichte für heutige politische Ziele umzuschreiben. Sonst müssen wir sie vielleicht wirklich neu durchleben.

Soweit Thomas Röper.

Dieses bedenkend fordere ich die Ukraine zum sofortigen Beginn von Friedensverhandlungen und die westliche Entente zum sofortigen Stopp aller Waffenlieferungen auf !

Brecht_TUI-Roman*:Siehe https://josopon.wordpress.com/2016/09/27/salven-aus-den-verlagshausern-der-anteil-der-medien-an-den-kriegen-des-westens/
https://josopon.wordpress.com/2014/
07/25/politiker-und-journalisten-im-wahn-ihrer-ideologie-die-weiswascher-sind-wieder-da/

https://josopon.wordpress.com/2021/01/08/abstosende-heuchelei-eine-systemjournalistin-des-dlf-lasst-sich-uber-julian-assange-aus/

sowie auf den NachDenkSeiten https://www.nachdenkseiten.de/?p=83648

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.
Jochen

Russland bombardiert eine Geburtsklinik? Marianna und die neue Brutkastenlüge

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Ein schönes Beispiel darüber, wie westliche Propaganda funktioniert, bei Thomas Röper:
https://www.anti-spiegel.ru/2022/russland-bombardiert-eine-geburtsklinik-marianna-und-die-neue-brutkastenluege/

Ich hätte es nicht geglaubt: Ganz aktuell war abends 1m 10.3. 2022 noch ein Teil dieses Videos in der ARD-Sendung „Kontraste“ zu sehen ! Jedoch ist das originale youtube-Video nur noch über VPN sichtbar, mit ALtersbeschränkung und seit 11.3.2022 auch nur noch um  ca.1min verkürzt sichtbar. Immerhin taucht die Hauptdarstellerin, die am Anfang noch auf der Bahre in den Krankenwagen getragen wird, später noch mal stehend mit einem Kind auf dem Arm auf. Youtube blendet den Hinweis ein, dass der Kanal von der ukrainischen Regierung finanziert wird.

Falls jemand mit Beispielen über Fake-News russischer offizieller Nachrichtenagenturen dienen kann, werde ich das nach Verifikation natürlich auch hier veröffentlichen. Da die Fotos beim Anti-Spiegel sehr groß sind, bitte ich sie ggf. da nachzuschauen.
Auszüge:

Westliche Medien berichten entrüstet über einen angeblichen russischen Angriff auf eine Geburtsklinik in Mariupol.

Die „Opfer“ sind jedoch Schauspieler, wie jeder leicht überprüfen kann.

Die russischen Streitkräfte haben schon am 7. März gemeldet, dass die Geburtsklinik in Mariupol, die nun angeblich von russischen Streitkräften bombardiert wurde, geräumt war und zu einem Stützpunkt des Asow-Bataillons umfunktioniert worden ist.
Wir haben also zwei Versionen der Geschichte: Die Regierung in Kiew beschuldigt Russland, eine Geburtsklinik bombardiert zu haben, Russland sagt, das Ganze sei eine inszenierte Propaganda-Veranstaltung. Machen wir uns auf die Spurensuche.

Darf ich vorstellen: Marianna

Fotos, die in den Medien herumgereicht werden, zeigen eine schwangere Frau, die aus der Geburtsklinik evakuiert wird.

Außerdem werden Bilder gezeigt, auf denen eine schwangere Frau auf eine Bahre weggetragen wird. Bei genauem Hinsehen stellt man fest, dass es die gleiche junge Frau ist.

Sie wurde allerdings umgekleidet, wobei unter der neuen Kleindung noch der Pyjama herausschaut, in dem sie die Treppe heruntergekommen ist.
Hat man eine schwangere Frau nach dem Verlassen des gerade bombardierten Krankenhauses auf der Straße umgezogen, bevor man sie auf eine Bahre gelegt und zum Krankenwagen gebracht hat?

Ist das realistisch, wenn man Schock und Verletzungen bedenkt, die in einer solchen Situation zu erwarten sind?
Wir werden gleich sehen, wie das abgelaufen ist, denn wir werden die junge Frau noch wiedersehen.

Zunächst stellt sich die Frage: Wer ist die Frau eigentlich? Sie heißt Marianna und ist eine Beauty-Bloggerin aus Mariupol, also ein Fotomodel.
Jeder kann sich ihren Account auf Instagram anschauen, indem man dort nach „gixie_beauty“ sucht.

Das leere Krankenhaus

Der ukrainische Präsident Selensky hat auf Telegram ein Video aus der Geburtsklinik gepostet, das unmittelbar nach der Explosion gefilmt wurde, wie man an den noch brennenden Feuern und der Uhrzeit des Posts erkennen kann. Das Video ist schockierend, aber es hat einen Schönheitsfehler: Es zeigt zwar das zerstörte Innere des Krankenhauses, aber nirgends sind Blut, Tote oder Verletzte zu sehen.

Dafür erzählt der Filmende auf Russisch, dass die russische Luftwaffe gerade eben eine Geburtsklinik bombardiert hat. Und um es dramatischer zu machen, brüllt er in dem offensichtlich leeren Gebäude: „Ist hier jemand?“

Bei den in dem Video gezeigten Schäden müssten in einem in Betrieb stehenden Krankenhaus aber alle Patienten und Mitarbeiter, die auf der Seite mit den zerstörten Fenstern gewesen sind, da waren ja Patientenzimmer, von den umherfliegenden Scheiben und Splittern schwer verletzt oder getötet worden sein. Es gibt aber weder Opfer, noch Blut.

Das Propaganda-Video

Auf YouTube wurde ein Video von der Explosion und den Minuten danach veröffentlicht. Jeder Profi kann erkennen, dass das Video mit einer professionellen Kamera mit Stabilisator aufgenommen wurde, ein Handyvideo wäre total verwackelt, vor allem bei den Szenen, wo der Kameramann läuft. .

Наслідки авіаудару по дитячій лікарні та пологовому в Маріуполі

Übrigens ist auf dem Titelbild wieder Marianna zu sehen, dazu kommen wir gleich. Zunächst zu anderen Details des sehr interessanten Videos. In Minute 0.45 wird gezeigt, wie Marianna auf der Bahre die Treppe heruntergetragen wird, die sie auf dem ersten oben gezeigten Foto noch selbst in ihrem Pyjama heruntergelaufen ist. Zum Vergleich hier noch einmal Marianna im Pyjama auf der Treppe.

Hier wird sie dann auf der Bahre die selbe Treppe heruntergetragen

Dass Marianna auf der Bahre liegt, sieht man in der nächsten Einstellung, als sie aus dem Krankenhaus getragen wird.

Und natürlich erkennt man Marianna auch auf dem oben gezeigten Foto, das ein anderer Fotograf aufgenommen hat. In dem Video sind andere Einstellungen gezeigt und ihr Bauch ist in dem Video verpixelt. Es müssen also viele Kameras und Fotoapparate dabei gewesen sein. Die Kamera verfolgt Marianna bis zum Krankenwagen.

Regieanweisungen

Es gibt noch mehr Szenen in dem nur dreieinhalb Minuten langen Video, die zeigen, dass das ein gestelltes Video ist.
Zum Beispiel in Minute 1.31 kommt eine Frau mit einem Kind auf dem Arm (das auch ganz ruhig ist und nicht weint) in aller Ruhe aus der Geburtsklinik. Sie ist ganz und gar nicht in Panik, wie man es nach einem solchen Vorfall erwarten sollte. Sie fragt stattdessen auf Russisch in aller Seelenruhe „Und wohin soll ich gehen?“

Es gibt noch mehr solche Szenen, die merkwürdig sind. Zum Beispiel kommt in Minute 1.42 ein Junge auch in aller Seelenruhe aus dem Krankenhaus, der aber aber in Minute 1.50 plötzlich hysterisch heult und von einem Soldaten beruhigt wird, bevor er zurück in das Krankenhaus geht. Wozu gehen er und die anderen zurück ins Krankenhaus, aus dem sie gerade erst nach einem Luftangriff „geflohen“ sind? Um das Herauskommen noch einmal zu filmen?

Der Soldat ist übrigens auch interessant, denn in Minute 0.40 verbindet er einer Frau vollkommen unprofessionell den Kopf, wobei hektisch in Richtung Kamera schaut, als wolle er sich vergewissern, dass er alles richtig macht. Wozu aber verbindet ein Soldat überhaupt einen Kopf, wenn das ein Krankenhaus ist, in dem sich massenhaft Ärzte und Schwestern aufhalten, die das wesentlich besser können, als er?

Marianna ist überall

In Minute 2.09 sehen wir übrigens Marianna wieder. Dieses Mal steht sie, wie auf dem Titelbild des Videos zu sehen, eingehüllt in eine Decke vor dem Krankenhaus. Dabei hat man sie doch schon auf der Bahre in einen Krankenwagen gebracht, wobei der ganze Weg von der Bahre gefilmt wurde: Die Treppe herunter (die sie vorher schon selbst im Pyjama heruntergegangen war), über den zerstörten Vorplatz bis in den Krankenwagen. Und plötzlich steht sie mit wieder vor dem Krankenhaus, dieses Mal in eine Decke gehüllt.

Ab Minute 2.13 ist auch unser Soldat wieder da. Dieses Mal erzählt er dem Kameramann, was passiert ist und wie sie die Verletzten evakuieren.

Immer zum „richtigen“ Zeitpunkt

Jeder kann ohne allzu großen Probleme erkennen, dass die Aufnahmen von dem angeblichen russischen Angriff gestellt sind.
Und sie kamen zu einem passenden Zeitpunkt, denn Selensky hat am gleichen Tag erneut um eine Flugverbotszone der NATO gebettelt, da kam ein russischer Bombenangriff auf eine Geburtsklinik als „Argumentationsverstärker“ gerade zum richtigen Zeitpunkt.

Das hat System, denn wir alle erinnern uns an die große Explosion in Charkiw, deren Bilder die Medien tagelang gezeigt haben. Auch die kam praktischerweise unmittelbar bevor Selensky sich in einer dramatischen Ansprache an das EU-Parlament gewandt hat.

Mich erinnert die Geschichte mit der „Geburtsklinik“ an die Brutkastenlüge. Vorfälle in Geburtskliniken, Angriffe auf wehrlose Neugeborene, schockieren jeden Menschen und schalten das sachliche Denken ab. Genau das ist der Sinn von Propaganda: Sie soll die Emotionen entfesseln und die gewollte Stimmung inklusive Feindbild erschaffen.

Kriegspropaganda anstatt kritischem Journalismus

Wenn man so einfach aufzeigen kann, dass der angebliche Luftangriff auf die „Geburtsklinik“ eine inszenierte Geschichte der ukrainischen Regierung war, warum können die „Journalisten“ der westlichen „Qualitätsmedien“ das nicht? Oder anders gefragt: Warum erklärt mir kein „Qualitätsjournalist“, warum das kein Fake war und wie Marianna als „bemitleidenswertes Opfer“ des russischen Luftangriffs gleich dreimal in verschiedenen Rollen in dem Video auftaucht, das den angeblichen russischen Angriff beweisen soll?

Das ist Kriegspropaganda in Reinkultur, die den im Leitfaden für Kriegspropaganda festgelegten Regeln folgt. Hierbei wird Regel 5 befolgt, die besagt: „Der Feind begeht wissentlich Gräueltaten“

Ich bin sicher, wir werden diese hübsche Frau noch öfter in der Opferrolle sehen. DDie Evakuierung von Mariupol wird nämlich noch eine Weile dauern, und die Ukaine beeilt sich bisher nicht gerade mit Waffenstillstandsverhandlungen.

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.
Jochen

„Kein Frieden für Palästina – Der lange Krieg gegen Gaza, Besatzung und Widerstand“ – Interview mit Helga Baumgarten

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Macht Sie das wütend, Frau Baumgarten?

Nachdenkseiten-Interview mit Helga Baumgarten, Politikwissenschaftlerin und Journalistin, von 1993 bis 2019 Professorin an der Universität Birzeit im Westjordanland, von Gabi Weber, promovierte Fachärztin.

GW: Frau Baumgarten, vor Kurzem ist Ihr 5. BuchKein Frieden für Palästina – Der lange Krieg gegen Gaza, Besatzung und Widerstandim Promedia-Verlag erschienen.
In Ihrem Vorwort schreiben Sie, dass ein Interview mit Ihnen am 12. Mai 2021 im ZDF-Mittagsmagazin zu einer von Ihnen völlig unerwarteten Reaktion Hunderttausender Menschen in Deutschland und weltweit geführt hatte. Was war da los?

HB: Dieses Interview im ZDF-Magazin hatte für mich völlig überraschende Konsequenzen.
Ich muss der Reihe nach gehen. Am Tag nach dem Interview (gerade 4 Minuten!!!) erschien ein wüster BILD-Artikel, der sowohl das ZDF als auch mich angriff. Vielleicht noch mehr das ZDF, weil es jemandem wie mir eine Plattform gab. Ich habe den Artikel nicht gelesen, weil ich grundsätzlich keine Bildzeitung lese.

Das Interview plus die Angriffe – wie üblich bei der Bildzeitung unter der Gürtellinie – verbreiteten sich in Windeseile auf Instagram (mit über 3 Millionen Klicks), auf Facebook und auf YouTube. Sehr, sehr viele Instagram-Follower waren offensichtlich deutsche Muslime.
Unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger, die mich auch per E-Mail kontaktierten, drückten damit ihre Enttäuschungen über die mangelnde Integration seitens der deutschen Mehrheitsgesellschaft aus. Viele berichteten mir, wie sie sich ausgeschlossen fühlen, diskriminiert und regelrecht gedemütigt. Stereotyp werden sie wohl immer als Terroristen abgestempelt.

Für sie war es wichtig gewesen, dass eine deutsche Wissenschaftlerin offen Partei ergriff für die unterdrückten Palästinenser in Jerusalem, im besetzten Palästina und vor allem auch im Gazastreifen. Und sie konnten offensichtlich kaum glauben, dass diese Wissenschaftlerin Kritik übte an der Besatzungsmacht Israel.

Der gesamte Komplex Islamophobie-Antisemitismus-Rassismus trat hier in den Vordergrund, und ich fühlte mich regelrecht gedrängt, darüber im Zusammenhang mit Jerusalem und den schlimmen Ausschreitungen durch die israelische Besatzungsmacht (auch wenn aus israelischer Sicht das besetzte Ost-Jerusalem Teil der ewig unteilbaren Hauptstadt des jüdischen Staates ist, vielleicht besser sein soll) sowie dem letzten Krieg Israels gegen die Menschen im Gaza-Streifen (sicher nicht gegen die Hamas oder den islamischen Jihad) etwas zu schreiben.
Die Kollegen vom Promedia-Verlag in Wien, Hannes Hofbauer und Stefan Kraft, nahmen meinen Vorschlag absolut positiv auf, und so entstand dieses neue Buch.

Ich versuche hier, ausgehend vom Mai 2021 (mit dem ZDF-Interview, den Instagram-Reaktionen, der Gewalt in Ost-Jerusalem, vor allem auf dem Haram al-Sharif, und schließlich dem Krieg gegen Gaza), zurückzugehen zum Jahr 1948 mit der Staatsgründung Israels und der Vertreibung von etwa 750 000 Palästinensern aus ihrer Heimat, und mich von dort durchzuarbeiten über den Juni-Krieg 1967, den Anfang des palästinensischen Widerstandes (1965 bzw. 1968), angeführt von Fatah und der PLO, über die erste Intifada 1987, die Osloer Periode 1993 und danach bis heute.

GW: Könnten Sie unseren Leserinnen und Lesern kurz erläutern, was der „Haram al-Sharif“ ist und was er für Muslime, Palästinenser und evtl. auch andere Menschen bedeutet?

HB: Der Haram Al-Sharif ist für Muslime weltweit die drittwichtigste heilige Stätte nach Mekka und Medina. Diese Bedeutung erhielt ernach islamischer Lehredurch die Reise des Propheten Mohammad nach Jerusalem und sein Auffahren in den Himmel.
Die beiden Moscheen, die sich auf dem Haram Al-Sharif befinden, sind die Al-Aqsa-Moschee und der “Felsendom”, Qubbat As-Sakhra auf Arabisch.
Gebaut wurden sie von den Umayyaden und gehören damit zu den ältesten Moscheen weltweit. Für Palästinenserinnen und Palästinenser ist der Haram ihr zentrales religiöses, aber gleichzeitig auch nationales Symbol.

GW: Wir hören aktuell – wie so oft – kaum etwas aus Palästina/Israel – hat sich die Lage also wieder beruhigt?

HB: Ganz im Gegenteil. Wie wichtig dieses Buch mit den von mir aufgenommenen Themen ist, zeigt die schlichte Tatsache, dass die Entwicklungen, die im Mai 2021 in den Vordergrund traten, inzwischen in verschärfter Form weitergehen, mit immer mehr Gewalt seitens der israelischen Besatzungsarmee und der kolonialen israelischen Siedler überall in der West Bank – vom Norden (Jenin, Nablus mit Beita) bis hin in den Süden nach Hebron und bis zu den Dörfern und Weilern südlich von Hebron, mit Jerusalem nach wie vor im Zentrum.

Die Unterdrückung der palästinensischen Gesellschaft, der Menschen unter Besatzung, nimmt tagtäglich zu. Inzwischen nimmt diese Unterdrückung schon fast absurde Formen an, denn die israelische Regierung entblödet sich nicht, palästinensische Menschenrechtsorganisationen als Terrororganisationen zu verbieten (siehe z. B. ICAHD, Le Monde Diplomatique, Pax Christi, Addameer, und viele mehr).

GW: Worum geht es bei dieser neuerlichen Eskalation seitens Israels – in diesem Fall gegenüber den Menschenrechtsorganisationen?

HB: Israel scheint erneut zu versuchen, die Palästinenser als die unverbesserlich ewigen Terroristen darzustellen. Dies vor allem vor dem Hintergrund der zunehmenden internationalen Kritik an der illegalen, völkerrechtswidrigen Besatzung, am Siedlerkolonialismus und am Apartheidsystem, nicht zuletzt nach den vernichtend kritischen Analysen durch Human Rights Watch, B’Tselem und zuletzt am 1. Februar durch Amnesty International. Israels Regierung und insbesondere Verteidigungsminister Benny Gantz wollen offensichtlich selbst die weltweit positiv anerkannte palästinensische NGO-Gemeinde anschwärzen und ihnen die internationale politische und nicht zuletzt finanzielle Unterstützung nehmen.
Israel soll damit als ein Staat gesehen werden, der sich auf allen Ebenen gegen terroristische Angriffe verteidigen muss.

GW: Man sagt, der Palästina-Israel-Konflikt sei der am besten dokumentierte Konflikt weltweit. Viele Menschen sind müde, haben kein Interesse mehr an diesem seit Jahrzehnten andauernden „Schlamassel“ im Nahen Osten, für das in den Augen Vieler vor allem die Palästinenser verantwortlich sind, die „keinen Frieden wollen und alle großzügigen Angebote Israels“ verwerfen. Brauchen wir also ein weiteres Buch? Wenn ja, was ist neu in Ihrem aktuellen Buch?

HB: Ich denke, dass gerade vor diesem Hintergrund ein neuer Blick auf den „Konflikt“ eine wichtige Rolle spielen könnte. Deshalb habe ich nicht zuletzt versucht, die wichtigsten Entwicklungslinien seit 1948 kurz, knapp und allgemein verständlich (und hoffentlich auch spannend zu lesen!) aufzuzeigen.

Neu sind die in den letzten Jahren sich herausbildenden Konzeptualisierungen wie „ethnische Säuberung“, „Siedlerkolonialismus“ und Israel als „Apartheidstaat“. Wir verbinden ja den Begriff ethnische Säuberung zuerst und vor allem mit den Kriegen um Jugoslawien in den neunziger Jahren. Siedlerkolonialismus wird mit Ländern wie Algerien oder auch Australien und den USA in Zusammenhang gebracht, während es bis dato zuerst und vor allem Südafrika war, das weltweit als Apartheidstaat gegeißelt wurde.
Eine ganze Reihe meiner Kollegen sowie verschiedene internationale Organisationen haben nun eben diese allgemein bekannten Begriffe direkt auf Israel und Palästina angewandt und damit eine völlig neue Lesart und ein neues, sehr viel besseres, weil tiefer greifendes Verständnis der Entwicklungen seit 1948 ermöglicht.

Neu ist auch meine Darstellung von Gaza seit 2006. Ich sehe dort einen einzigen langen Krieg – offiziell gegen die „radikalislamische Hamas“ – tatsächlich jedoch mit brutaler Gewalt gegen eine schutzlose Zivilbevölkerung, mit immer neuen Gewalteskalationen vor allem von israelischer Seite wie 2006, 2008/9, 2012, 2014, 2021.

GW: Hier würde ich gerne direkt ansetzen: Wir erleben ja nicht nur im Palästina-Israel-Konflikt, wie sehr Wörter – und Sprache im Allgemeinen – für Propagandazwecke missbraucht werden. Früher galt die Fatah als „Terrororganisation“, seit einigen Jahren wird diese als „gemäßigt“ und Hamas als „radikal-islamisch“ bezeichnet. Sprache wird dazu verwendet, den schon seit Jahrzehnten andauernden Konflikt auf die 2006 mittels legaler Wahlen an die Regierung gekommene Hamas zu reduzieren.
Dabei werden die Rollen von „Opfer“ und „Täter“ ständig ausgetauscht und somit Verwirrung gestiftet. Sie haben bereits zwei Bücher über die Hamas geschrieben – wie ist die Situation aktuell im Gaza-Streifen?

HB: Gaza ist eine nicht enden-wollende Tragödie. Deshalb verwende ich ja den Begriff „Der lange Krieg gegen Gaza“ als Untertitel meines Buchs.
Und Kollegen haben die Kriege gegen Gaza noch viel länger zurückverfolgt. Auch darauf nehme ich in meinem Buch wenigstens kurz Bezug.

Gaza ist derzeit nach wie vor (seit 2006) vollständig abgeriegelt und es fehlt dort an allem: angefangen von einer kontinuierlichen Stromversorgung über mangelndes sauberes Wasser und Trinkwasser bis hin zur immer massiveren Arbeitslosigkeit. Die israelische Blockade verhindert jegliche Veränderung.
Die lokale Hamas-Regierung hat sich unter diesen Bedingungen immer mehr in Richtung einer autoritären Kontrollinstanz entwickelt. Die Rechnung bezahlen die Menschen. Auch die Politik der sulta, also der Regierung in Ramallah, trägt nicht bei, hier einen Schritt nach vorne zu unternehmen.

Die von Israel genehmigte finanzielle Unterstützung durch Qatar lindert die Probleme zu einem gewissen Grad. Aber sie reicht nicht aus.
Ohne Aufhebung der Blockade kann sich in Gaza nichts grundsätzlich ändern und verbessern.

GW: Wie stellt sich der „palästinensische Widerstand“ zurzeit dar – gibt es Unterstützung von außerhalb?

HB: Der Versuch des bewaffneten Widerstandes der Hamas und des islamischen Jihad wird wohl unterstützt aus dem Libanon, also durch Hizbullah, und durch den Iran.

Seit Mai 2021 erleben wir zunehmenden Widerstand gegen die israelische Besatzung durch die gesamte palästinensische Zivilgesellschaft weltweit, also in den besetzten palästinensischen Gebieten, in Israel selbst sowie in der regionalen und internationalen Diaspora. Es sind vor allem auch jüngere Palästinenserinnen und Palästinenser, die aktiv sind und die wohl auch nicht mehr primär an bestimmte Organisationen gebunden sind. Eine ungeheuer wichtige Entwicklung, so denke ich.

Die internationale Solidarität, nicht zuletzt von Jüdinnen und Juden in den USA durch z.B. Jewish Voice for Peace oder den Publizisten Peter Beinart, hat langfristige Veränderungen durchlaufen und die Karten gerade auch in den USA völlig neu gemischt.
Diese Entwicklungen zeichnen sich offensichtlich auch in Deutschland ab mit Organisationen wie Jüdische Stimmen für Gerechten Frieden in Nahost, BIP (Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern e.V.), aber auch Pax Christi und die gesamte, wieder mehr in den Vordergrund rückende Solidaritätsbewegung.

GW: Auch über die in Deutschland umstrittene BDS-Bewegung (BDS steht für Boykott, Desinvestition und Sanktionen) – als eine Form des palästinensischen Widerstands – schreiben Sie in Ihrem Buch. Könnten Sie unseren LeserInnen und Lesern erklären, was es mit dieser von mehr als 170 zivilgesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften gegründeten Bewegung auf sich hat?

HB: Mein Buch versucht, ein realistisches Bild der BDS (Boykott, „Divestment“, Sanktionen) zu zeichnen, anstelle des verzerrten Bildes, das vor allem die deutschen Medien uns vermitteln, unterstützt nicht zuletzt durch den unsinnigen Bundestagsbeschluss 2019 zu BDS.

Wie Sie wissen, wurde BDS 2005 von mehr als 170 zivilgesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften gegründet. Inzwischen unterstützt die gesamte palästinensische Zivilgesellschaft ausnahmslos BDS. Omar Barghouti, einer der Gründer von BDS, wird nicht müde zu betonen, dass die BDS eine gewaltlose Bewegung ist. Mit Anti-Semitismus hat sie nichts zu tun.
Die im Juli verstorbene Esther Bejarano, die Auschwitz überlebt hat, blieb Zeit ihres Lebens Antifaschistin und Kommunistin und hat nicht zuletzt auch deshalb BDS unterstützt. Niemand innerhalb der BDS-Bewegung kämpft, so Barghouti, gegen Jüdinnen und Juden.
Der Widerstand der BDS richtet sich einzig und allein gegen Israel als Apartheid-Staat, der die Palästinenserinnen und Palästinenser unterdrückt, mit Gewalt bekämpft, nie als gleichberechtigte Menschen anerkannt hat und sie vielmehr regelrecht entmenschlicht.

Die Regierung Südafrikas war die erste, die BDS ohne Vorbehalte unterstützte. Der vor Kurzem verstorbene Bischof Tutu stand fest auf der Seite der Palästinenser in ihrer an das südafrikanische Beispiel angelehnten Boykottbewegung. Gerade Tutu betonte, genau wie Omar Barghouti, dass es der BDS um den Kampf gegen die und den Boykott der rassistischen israelischen Politik geht, nicht gegen Jüdinnen und Juden.

Die BDS fordert eine „ethische De-Kolonisierung“ und die Herstellung einer echten, langanhaltenden und ethischen Koexistenz. Das wird aber nur möglich durch eine grundlegende Veränderung in Israel, wo die Unterdrückung der Palästinenser zusammen mit den kolonialen Privilegien für israelische Jüdinnen und Juden enden muss.

GW: Ganz aktuell ist ein neuer Report von Amnesty International über die israelische Apartheid gegenüber den Palästinensern erschienen.
Glauben Sie daran, dass all diese vielen Berichte, nicht eingehaltenen UN-Resolutionen und Protestaktionen irgendwann dazu führen können, dass im Nahen Osten Frieden herrscht?

HB: Glauben ist eine Sache … ich hoffe aber, dass all diese Berichte, nicht zuletzt der Amnesty-International-Bericht, eine Rolle spielen werden in einem langwierigen Prozess der Veränderung. Ich sehe diese Veränderungen, nicht zuletzt seit Mai 2021. Eine Rolle spielt zum einen der anhaltende Widerstand der Palästinenser in den besetzten Gebieten, in Israel und überall in der Welt.
Eine weitere Rolle spielt die Solidaritätsbewegung, nicht zuletzt auch in Deutschland. Hier ist noch viel zu tun, aber selbst in Deutschland bewegt sich etwas.

Schließlich ist es die israelische Politik mit ihrer unsäglichen Brutalität, die inzwischen „den Bogen überspannt“. Ich denke nicht, dass sie noch lange so weitermachen kann. Ich hoffe es, für die Menschen in Palästina, für die sehr kleine israelische Linke und Solidaritätsbewegung mit den Palästinensern, aber auch generell für die Menschen in Israel, die sicher nicht für immer unter einer autoritären Apartheidregierung leben wollen.

GW: Frau Baumgarten, erlauben Sie mir noch eine letzte Frage: Aktuell erleben wir einmal mehr, wie sehr in der Politik mit Doppelstandards gearbeitet wird – auf der einen Seite drücken unsere Politiker viele, um nicht zu sagen alle Augen zu, wenn es um die völkerrechtswidrige Annexion palästinensischen Landes, Vertreibung und Inhaftierung tausender Palästinenser inklusive Kinder (siehe z.B. Military Court Watch, DCI), Siedlerterrorismus, Bombardierung einer wehrlosen Bevölkerung unter Besatzung usw. geht. Auf der anderen Seite erheben unsere Politiker viele „moralische Zeigefinger“ im Konflikt um die Ukraine, benennen eindeutig und einseitig den angeblichen Aggressor und treiben uns an den Rand eines Krieges mitten in Europa. Macht Sie das wütend?

HB: Ich bin vor allem schockiert über die unsäglich dumme und so extrem gefährliche Kriegshetze, die derzeit von den USA bis Europa um sich greift, angefeuert von Politikern, die leider enorme militärische Macht kontrollieren und einsetzen können.

Dass überall in der Welt mit zweierlei Maß gemessen wird … das kennen wir zur Genüge. Die Schwachen erhalten nirgends Unterstützung. Politik wird fast überall auf ihre Kosten gemacht. Die Palästinenser sind dafür das Paradebeispiel.
Was mich außerdem schockiert und auch wütend macht, ist die Leugnung der Realität, also die lange Reihe von NATO-Beschlüssen und Aktionen gegen Russland, die sicher nicht dem Frieden dienen.
Was mich jedoch absolut in Wut versetzt, ist die israelische Gewaltpolitik gegen die Palästinenserinnen und Palästinenser, die sich seit 2021 Tag für Tag weiter zuspitzt und ein unerträgliches Ausmaß erreicht hat.
Doch schauen wir nach vorn und hoffen, dass die Palästinenser mit Hilfe der internationalen Solidaritätsbewegung und nicht zuletzt mit Hilfe von Berichten wie dem soeben erschienenen von Amnesty International das Blatt wenden können. Hoffen wir, dass sich auch die Palästinenser endlich Freiheit und Gerechtigkeit erkämpfen können, die ihnen viel zu lange verwehrt wurden.

GW: Ich danke Ihnen für das Interview.

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.

Syrischer Außenminister im Interview: Für eine politische Lösung der Krise

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Das Massenelend in Syrien, verursacht durch die Sanktionen des Westens und die Übergriffe aus der Türkei und seitens der USA sind in den letzten Monaten seit Corona und insbhesondere seit des Zusammenbruchs von Afghanistan in den Hintergrund geraten.
Hier nun aktuell ein Interview der anerkannten, immer wieder mutig vor Ort recherchierenden Karin Leukefeld auf den NachDenkSeiten:
https://www.nachdenkseiten.de/?p=80440
Auszüge:

Syrien leidet unter den Folgen des Krieges, unter Sanktionen und unter „Brain Drain“ durch Fluchtbewegungen. Unter anderem zu diesen Themen hat die Nahostkorrespondentin Karin Leukefeld in Damaskus ein Gespräch mit dem syrischen Außenminister Dr. Feisal Mekdad geführt.

Es war 2012/13, als ich die Möglichkeit hatte, Sie als Vize-Außenminister zu interviewen. Thema war damals der beginnende Krieg und ich fragte Sie, ob die Entwicklung in Syrien vergleichbar sei mit der Entwicklung in Europa nach dem 2. Weltkrieg. Die Politik des »Eisernen Vorhangs« sollte die Sowjetunion isolieren, es entstanden zwei deutsche Staaten.
Ich möchte Ihnen heute die Frage erneut stellen: Wird es eine Mauer durch Syrien, wird es eine Spaltung durch die Region in Ost und West geben?

Nein. Natürlich gibt es eine Spaltung zwischen West und Ost, das ist ganz klar. Der britische Poet Rudyard Kipling sagte einmal: »Der Osten ist der Osten und der Westen ist der Westen. Und beide werden niemals zusammenkommen.«[1] Ich bin nicht so pessimistisch wie er. Ich mag keine Mauern und hoffe, daß niemand kommt, um uns einzumauern. Interne Mauern in Syrien wird es nie geben, die Gesellschaft wird das nie akzeptieren.

Allerdings versuchen einige ausländische Mächte tatsächlich Mauern in unserem Land zu errichten. Sehen wir uns an, was die Türkei macht.[2]
Ihr Handeln ist gefährlich und absolut unakzeptabel. Genauso unakzeptabel ist, was die Amerikaner im Nordosten des Landes machen. Sie versuchen den Eindruck zu erwecken, als wollten sie dort einen neuen Staat auf syrischem Territorium errichten. Das wird nicht geschehen, aber sie sorgen für Probleme.
Sie unterstützen dort Milizen und zögern damit eine politische Lösung der Krise hinaus, die wir anstreben. Aber wir sind sicher, daß die Amerikaner eines Tages abziehen werden.

al-NusraDie Türkei unterstützt im Norden und Nordwesten Terrorgruppen. Sie bewaffnet sie und leistet jede Art von Unterstützung für Jabhat al Nusra und den »Islamischen Staat« und andere. Mehr als 100.000 Terroristen sind seit 2011 aus der Türkei über die Grenze nach Syrien gelangt. Die Türkei drosselt den Wasserdurchlauf des Euphrat, davon sind viele Gebiete in Syrien betroffen. Es gibt eine Vereinbarung zwischen der Türkei, Syrien und dem Irak, wonach die Durchlaufmenge des Euphratwassers nach Syrien 500 Kubikmeter Wasser pro Sekunde beträgt. Jetzt erhalten wir nur 200 oder 250 Kubikmeter. Das gefährdet die Entwicklung und die Landwirtschaft und zwar sowohl in Syrien als auch im Irak.

Die Türkei verhält sich im Norden Syriens wie eine Kolonialmacht. Sie versucht, das türkische Curriculum an den Schulen durchzusetzen, sie kidnappt geradezu die gedankliche Entwicklung unserer Kinder. Sie verhindert, daß die Kinder in die befreiten Gebiete Syriens gelangen können, um dort ihre Examen abzulegen. Die Türkei versucht, im Nordwesten einen kleinen Kolonialstaat zu etablieren. Das ist völlig unakzeptabel.

Wir wollen keine neuen Kriege

Elf sehr schwierige Jahre liegen hinter Syrien und natürlich akzeptiert Syrien diese ausländische Anwesenheit nicht. Aber Syrien unternimmt militärisch auch nichts dagegen.
Warum kämpft Syrien nicht gegen die türkische Armee und treibt sie zurück? Welchen Weg geht Syrien, um sich gegen die fremde Besatzung zu wehren?

Wir wollen keine neuen Kriege im Mittleren Osten auslösen, die nicht mehr aufhören. Für die syrische Führung ist die Einheit des Landes, dessen territoriale Integrität ein unantastbares Prinzip. Syrien wird nie aufhören, den Rückzug dieser beiden Mächte von syrischem Territorium zu fordern. Die Türken haben diese Region 500 Jahre lang regiert, aber schließlich sind sie abgezogen.

Und die Amerikaner waren in Afghanistan, sie waren in Vietnam, sie waren in so vielen Ländern der Welt, aber schließlich sind sie immer in ihr Land zurückgekehrt. Uns geht es darum, die Krise durch politische Diskussion und Dialog zu lösen. Dafür müssen wir alle friedlichen Mittel einsetzen.
Wir wollen, daß nicht noch mehr unserer Infrastruktur zerstört wird. Und natürlich geht es um die Menschen, denn in allen Kriegen leiden die Menschen. UN-SicherheitsratUnd es gibt Resolutionen des UNO-Sicherheitsrates, die jeder respektieren muß. Wir respektieren sie.

Vor zehn Jahren schlossen die EU-Länder ihre Botschaften und zogen ihr Personal aus Syrien ab, einschließlich aller Organisationen, die in Syrien erfolgreich für die Zusammenarbeit mit Syrien gearbeitet hatten. Gibt es Anzeichen, daß die EU ihr Verhalten gegenüber Syrien ändern wird?

Wir wollen, daß die EU sich ändert und einige EU-Länder haben sich auch schon geändert. Es gibt direkte politische Vertretungen von sechs Ländern in Damaskus. Sie sind hier. Und ihre Botschaften sind geöffnet und sehr aktiv. Wir sind mit ihnen in Diskussion.
Natürlich haben wir auch Vertretungen in verschiedenen EU-Ländern. Unsere Botschaft in Paris ist weiterhin geöffnet. Unsere Botschaft in Berlin ist geöffnet. Selbst die Vertreter der Europäischen Union kommen täglich in unser Ministerium, um mit uns über die humanitäre Situation zu sprechen. Manchmal ergeben sich daraus auch politische Diskussionen.

Warum weiß kaum jemand, daß europäische Botschaften ihre Vertretungen in Damaskus wieder geöffnet haben?

Einige haben Angst vor anderen einflußreichen Ländern wie den USA, Frankreich oder anderen. Wir freuen uns, wenn sie zurückkehren und viele haben uns angesprochen und wir sind in Verbindung. Bis auf zwei, drei Länder, die einen harten Kurs verfolgen.

Zu denen auch Deutschland gehört?

Ich möchte Deutschland nicht so beschreiben. Unsere Botschaft in Berlin ist geöffnet. Und weil es sehr viele Syrer in Deutschland gibt, hoffen wir darauf, dass unsere beiden Regierungen bald ins Gespräch kommen.

Die Sanktionen sind unmenschlich

Ziemlich zu Anfang des Konflikts – schon 2011 – verhängte die EU einseitige wirtschaftliche Strafmaßnahmen gegen Syrien. Diese wurden Jahr für Jahr verlängert und in der EU-Kommission scheint niemand daran zu denken, sie wieder aufzuheben. Welche Auswirkungen haben diese Sanktion in Syrien?

Die Sanktionen sind verheerend. Sie sind unmenschlich, sie sind unmoralisch, sie sind unakzeptabel. Weil sie die normalen Menschen treffen.
Anders, als die EU immer vorgibt, kann Syrien keine direkten Finanzgeschäfte mit irgendwelchen Banken unternehmen. Wir können keine Medizin kaufen, keine Ersatzteile, nicht einmal Dünger können wir kaufen.
Die EU erklärt, daß die Sanktionen die humanitäre Hilfe nicht beträfen. Das Gegenteil ist der Fall. Sie betreffen hauptsächlich humanitäre Hilfsgüter.
Und sie verhindern, daß selbst Unternehmen aus der EU und deren Partner Syrien und die Syrer erreichen können. Kürzlich gab es einige Erleichterungen seitens der USA, aber von der EU haben wir nichts dergleichen gesehen. Wir glauben nicht, daß die Völker Europas es zulassen wollen, daß so eine aggressive Politik fortgesetzt wird, die unschuldige Syrer, Kinder, Frauen, Schutzbedürftige tötet. Nur den schwachen Menschen schaden die Sanktionen, nicht dem syrischen Staat.

Diese Politik behindert ja auch Syrer, die ihre Heimat wegen des Krieges verlassen mußten und zurückkehren möchten…

Wenn diese Sanktionen weiterhin zur Verarmung des syrischen Volkes führen, warum sollten die Flüchtlinge nach Syrien zurückkehren wollen?
Von unserer Seite begrüßen wir die Rückkehr aller Syrer, ohne irgendwelche Vorbedingungen. Um denen zu helfen, die zurückkehren wollen, versuchen wir mit internationalen Nichtregierungsorganisationen und den humanitären Organisationen der UNO zu kooperieren.

Es gibt Berichte, wonach die Rückkehrer nicht sicher sind.

Es gibt keine Maßnahmen gegen diejenigen, die zurückkehren. Wir sagen allen, die Probleme haben, die sie lösen können, daß sie kommen sollen.
Präsident Assad hat eine Reihe von Dekreten erlassen, damit niemand aus politischen Gründen Probleme bei der Rückkehr haben wird. Wenn es gegen jemanden ein Strafverfahren gibt, wenn beispielsweise jemand seine Schwester getötet hat, sagen wir das den Betreffenden.
Wenn sie zurückkommen möchten, sollen sie kommen. Aber sie müssen sich dem Strafverfahren stellen. Alle Syrer, die jetzt außerhalb des Landes sind, heißen wir willkommen. Die EU-Propaganda, laut der die Bedingungen in Syrien eine Rückkehr nicht erlaubten, ist absurd.

Wir haben dem Hochkommissar der Vereinten Nationen vorgeschlagen, diesen Menschen zu helfen und ihnen einen einmaligen Geldbetrag zu geben, damit sie zurückkehren können. Das ist bei der Rückkehr in alle Länder der Welt so üblich, nur nicht im Fall Syriens. Sie geben den Rückkehrern nichts, weil die westlichen Länder, die Geberländer, nicht wollen, daß Rückkehrer dieses Geld erhalten. Aber alle Syrer, Flüchtlinge, Vertriebene sind in ihrer Heimat willkommen und ich möchte dieses Interview nutzen, um sie alle einzuladen, nach Syrien zurückzukehren.

»Brain-Drain«

Im Libanon gibt es nach offiziellen Angaben rund 1 Millionen syrische Flüchtlinge. Präsident Aoun hat selbst vor der UN-Vollversammlung darum gebeten, dass die UNO helfen möge, diese Menschen in ihre Heimat zurückzubringen. Sie sagen nun, Syrien sei mit verschiedenen Akteuren, einschließlich der UNO im Gespräch. Heißt das, daß eine Lösung für diese Menschen in greifbarer Nähe ist?

Fast 1,2 Millionen Flüchtlinge sind aus verschiedenen Ländern zurückgekehrt. Was andere seit zwei Jahren an der Rückkehr gehindert hat, ist das Corona-Virus. Das hat die Rückkehr von vielen beeinträchtigt. Wir sind mit Aufnahmeländern im Gespräch, um Möglichkeiten für die Rückkehr zu koordinieren.
Aber was wir wirklich sehen wollen ist, daß die UNO die Menschen zur Rückkehr ermutigt. Wie ich schon sagte, wird die UNO von den westlichen Staaten, den Geberländern, kontrolliert. Diese wollen nicht, daß die Menschen zurückkehren. Und die Syrer im Libanon beispielsweise haben Angst, die Unterstützung zu verlieren, die sie dort erhalten. Würde ihnen dieses Geld auch in Syrien gegeben, würden sie nach Syrien kommen.

Warum geben die westlichen Geberländer Millionen dafür, daß Flüchtlinge in verschiedenen Ländern und in den Lagern dort bleiben, anstatt ihre Rückkehr zu unterstützen?

Natürlich hat diese Sache viel mit »Brain-Drain« zu tun. Viele Menschen, die Syrien verlassen haben und heute beispielsweise in Deutschland sind, sind unsere besten Ärzte, Architekten, Designer, Ingenieure, Köche…
Deutschland hat eine überalterte Gesellschaft und braucht Intellektuelle und gut ausgebildete Leute aus anderen Ländern. Deutschland sollte erlauben, daß diese Menschen zurückzukehren. Wir werden sie mit Würde und in Freiheit empfangen und sie unterstützen, wenn sie Hilfe brauchen. Wir hoffen, dass die Deutschen und die deutsche Regierung das verstehen. Immerhin gibt es jetzt eine neue Regierung in Deutschland.

Ich möchte auf einen Prozess zu sprechen kommen, der kürzlich vor einem Gericht in Koblenz gegen einen ehemaligen syrischen Offizier zu Ende gegangen ist und der in Deutschland anhaltend für Schlagzeilen gesorgt hat. Was denken Sie darüber, daß deutsche Gerichte – die auf das „Weltrechtsprinzip“ berufen – über etwas verhandeln und Recht sprechen, was in Syrien geschehen sein soll?

Ich bin nicht der Meinung, daß diese Gerichte völkerrechtlich zuständig sind. Es sind einzelne Gerichte in verschiedenen Ländern, die politischen Vorgaben genügen sollen. Was wäre wohl, wenn eine deutsche Person von einem syrischen Gericht angeklagt würde? Alle westlichen Staaten würden dagegen auf die Barrikaden gehen.

Hinter uns liegen zehn sehr schwierige Jahre. Terroristen aus verschiedenen europäischen Ländern sind in unser Land eingedrungen und einige stehen dafür jetzt in ihren Herkunftsländern vor Gericht. Doppelmoral bringt die EU-Staaten nicht weiter. Sie sollten alle diese Kriminellen nach Syrien schicken, damit wir ihre Verbrechen untersuchen und sie verurteilen können.
Viele dieser Kriminellen sind noch in Syrien, im Lager Al Hol gibt es etwa 60.000. Die Europäer sollten dorthin gehen und sich diese Leute ansehen, die hier Verbrechen begangen haben. Sie haben den »Islamischen Staat« unterstützt, der Syrer tötete.

Gerade erst habe ich aus einem im Westen veröffentlichten Bericht erfahren, daß mehr als 150.000 Soldaten der syrischen Armee von diesen Terroristen getötet wurden. In der EU wird nur über das nachgedacht, was in ihrem Interesse ist.
Den Interessen Syriens wird jedoch auf andere Weise gedient, und wir sind bereit, bei Verbrechen, die von diesen Terroristen auf syrischem Territorium begangen werden, sofort zu handeln.

Es heißt, in Syrien gebe es keine vertrauenswürdige Rechtsprechung.

Wir haben gute Richter in Syrien und es gibt viele Gerichte. Wir sollten keine Zweifel über die Rechtssysteme anderer Staaten verbreiten. Das Internationale Recht definiert alle Verbrechen, die vor lokalen Gerichten verhandelt werden sollten, nicht vor Gerichten in anderen Ländern.
Wenn hier jemand verhaftet wird, unterliegt diese Person dem Gesetz. Das gilt für alle.

Sie sagten, Syrien ist mit verschiedenen EU-Ländern im Gespräch, auch mit der EU, und Sie zeigen sich optimistisch, daß die Situation sich in Zukunft ändern wird. Was erwartet Syrien von der EU und den EU-Staaten, um das Zerwürfnis, den tiefen Graben zu überwinden?

Wir müssen die Vergangenheit hinter uns lassen. Die Deutschen haben die Tragödien des Ersten und Zweiten Weltkriegs hinter sich, aber solche historischen Entwicklungen müssen überwunden werden. Wir hoffen, daß unsere Ansprechpartner in der EU verstehen werden, daß Syrien ein souveräner Staat ist, mit einem eigenen Rechtssystem, einem eigenen politischen System, und daß Syrien alles verhindern wird, was das Leben unschuldiger Menschen mit terroristischen Angriffen gefährden könnte. Das ist das Recht eines jeden Staates.

Ich fordere alle Länder in Europa auf, EU-Mitglieder und nicht-Mitglieder der EU, eine neue Herangehensweise im Umgang mit internationalen Problemen zu finden. Sie sollten nicht auf ihren Fehlern beharren.
Die syrische Regierung ist zu Gesprächen auf der Basis der UNO-Charta, der Menschenrechtscharta und des Internationalen Rechts bereit. Wir müssen uns darüber einigen, wie wir im Kampf gegen terroristische Angriffe gemeinsam reagieren können.

Die Europäer sind meiner Meinung nach sachlich und befassen sich mit der Realität, sie sind keine Träumer. Einige Länder wollten sich zwar hinter Konzepten wie »Regime Change« verstecken und versuchten, die Lage im Mittleren Osten zu ändern.
Die anhaltende Besatzung Israels von Palästina, der syrischen Golan-Höhen, von einigen Teilen des Libanon – alles das gehörte zum realen Hintergrund dieses Konflikts in Syrien, der von westlichen Staaten unterstützt und finanziert wurde. Von den USA, Britannien und von Frankreich als ehemaliger Kolonialmacht. Was Deutschland betrifft, so hoffen wir auf einen neuen Anfang, um Völker und Länder zusammenzubringen, anstatt die Unterschiede zwischen den Zivilisationen und Kulturen zu vertiefen.

Sie sollten ihre Botschaften in Damaskus wieder öffnen?

Das ist eine natürliche Sache, um zu verstehen, was hier geschieht. Wenn die Europäer weiter ihre Augen verschließen, sehen sie nichts. Ihre Botschaften sind ihre Augen in Syrien. Wir wollen alle syrischen Botschaften in Europa öffnen und wir wollen, daß alle diese Länder ihre Botschaften in Damaskus wieder öffnen. Nur durch diese Art von Kommunikation kann man sich gegenseitig besser verstehen, und die Europäer können die Realität Syriens besser verstehen. Jetzt folgen sie Illusionen und Berichten, die vor der Realität keinen Bestand haben, die mit dem wirklichen Geschehen hier wenig zu tun haben.

UNO-Resolutionen werden nicht respektiert

Wo bleibt dann der Prozess, den die UNO in Genf versucht in Gang zu halten?

Wir unterstützen diesen Prozess ausdrücklich, den die UNO in Gang gebracht hat. Unsere Regierung hat das wiederholt deutlich gemacht.
Die Sache ist nur, daß sich manchmal Länder in diesen Prozess einmischen und das verstößt gegen das Prinzip, daß Syrer sich mit Syrern treffen und eine Vereinbarung finden, ohne ausländische Einmischung. Das sind die Grundlagen des Genfer Prozesses, von dem wir aber leider nicht viel sehen. Wir hören Erklärungen hier und da gegen Syrien, manchmal auch gegen die UNO. Und wir sehen, daß selbst UNO-Resolutionen nicht respektiert werden.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Im Juli 2021 hat der UNO-Sicherheitsrat die Resolution 2585 verabschiedet. Damit wurden sogenannte frühzeitige Erholungs-Projekte, grenzüberschreitende und Frontlinien überschreitende Aktivitäten genehmigt. Wir haben unsere Verpflichtungen erfüllt, aber die EU verweigert die Umsetzung dieser Resolution.
Die Türkei hat keine Lieferungen zugelassen, die Frontlinien überschreitend in den nicht besetzten Teil Syriens geschickt werden sollen.

Das einzige, was die Türkei an humanitärer Unterstützung zuläßt, geht an die terroristischen Gruppen nordöstlich von Aleppo und in den Nordwesten. Die Lieferungen gehen an den »Islamischen Staat« und an die Nusra Front, die die humanitäre Hilfe kontrollieren. Entweder sie verkaufen die Hilfsgüter – ich betone das ausdrücklich – oder sie geben die Hilfe an die mit ihnen verbündeten Gruppen weiter oder sie behalten sie für sich selbst. Das akzeptieren wir nicht. Die westlichen Staaten haben erklärt, daß sie das überwachen, aber es wurde kein Überwachungsmechanismus aktiviert.

Werden die »frühzeitigen Erholungs-Projekte« umgesetzt?

Die EU weist das kategorisch zurück. Darum habe ich gesagt, sie setzen die Resolution nicht um. Weder die »frühzeitigen Erholungs-Projekte« noch die anderen Prinzipien. Wir verlangen ein Minimum an Respekt für Resolutionen der UNO.

Syrien hat sich immer für die UNO und das Internationale Recht stark gemacht. Syrien war dabei, als die Organisation der Vereinten Nationen gegründet wurde, wenn ich mich recht entsinne…

Ja, das stimmt…

OPCW_logo…aber jetzt sehen wir, daß sogar der UNO-Sicherheitsrat zu einer Bühne für Angriffe gegen Syrien geworden ist. Ein Thema ist die Frage der Chemiewaffen. Syrien hat der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) seinen Bestand gemeldet und zur Vernichtung übergeben. Dies wurde von der OPCW am 23. Juni 2014 bestätigt.
Dennoch forderte die Hohe Vertreterin für Abrüstungsfragen, Izumi Nakamitsu, kürzlich im UNO-Sicherheitsrat Syrien auf, mit der OPCW zusammenzuarbeiten. Sie sagte, die syrische Erklärung über die Einhaltung des Chemiewaffenübereinkommens sei »immer noch ungenau«. Worum geht es bei der Auseinandersetzung?

Wir brauchen keine Chemiewaffen

Darauf möchte ich als Vorsitzender des »Nationalen Komitees für die Umsetzung der Vereinbarung zwischen Syrien und der OPCW über die chemischen Waffen« antworten. In den Jahren 2013, 2014, 2015 und auch noch 2016 waren die Bedingungen in Syrien sehr schwer. Die Kontrolleure und Ermittler der OPCW kamen hierher und wir haben uns genau in diesem Raum, wo wir jetzt sitzen, getroffen. Mit dabei war Sigrid Kaag, die später Ministerin in der holländischen Regierung wurde. Gemeinsam haben wir alles besprochen, erklärt und abgeschlossen. Natürlich kann man so eine Erklärung nicht in sechs Tagen verfassen, also schickte die OPCW eine Delegation, die uns dabei half, die Erklärung zu verfassen. Wir informierten sie vollständig über das Programm. Allerdings hatten wir über einige Orte keine Informationen, weil wir sie nicht erreichen konnten, sie waren von den bewaffneten Gruppen besetzt. Darüber konnten wir keine abschließenden Angaben machen oder Beweise darüber vorlegen, was dort geschah. Aber es war ganz klar, daß die syrische Regierung vollständig zur Zusammenarbeit bereit war.

Wir brauchten solche Waffen nicht, so einfach war das. Wir wollten solche Waffen auch nicht mehr, obwohl Israel über alle die Massenvernichtungswaffen verfügt – nukleare, chemische und biologische Waffen. Aber für uns war klar, wir wollten sie abschaffen, weil sie unmenschlich und unmoralisch sind.
Die chemischen Waffen stammten noch aus einer Zeit, in der es ganz andere Entwicklungen in dieser Region gab. Verschiedene ausländische Kräfte kämpften um Einfluß, wir suchten nach Waffen, um uns verteidigen zu können. Gegen die USA, gegen Israel, gegen die Türkei und andere. Niemals hatten wir vor, unser Volk damit zu töten.

Als wir Tonnen von diesem Material aus der syrischen Wüste zum Mittelmeer transportierten, um es dort auf Schiffe aus den USA, Norwegen, Finnland und Frankreich zu verladen, hat uns niemand gefragt, ob wir etwas verstecken würden. Und warum sollten wir etwas verstecken wollen, wenn wir gleichzeitig diese Waffen der OPCW zur Vernichtung übergeben!

Wie dem auch sei, es gibt Länder, in denen die Ansicht vertreten wird, daß dieses Thema sich gut eignet, um die syrische Regierung weiter zu attackieren und ihre Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen. Sie haben das Thema im Technischen Sekretariat der OPCW benutzt, um es bis vor den UNO-Sicherheitsrat zu bringen. Wir halten den Sicherheitsrat nicht für den richtigen Ort, um diese Frage zu erörtern, weil es sich um ein technisches Problem handelt. Aber die internationalen Kampagnen gegen Syrien gehen weiter.

Wir haben dem Technischen Sekretariat auch angeboten, die Wissenschaftler der OPCW und Syriens zusammen zu bringen, um gemeinsam die tatsächliche Lage zu untersuchen. Sie haben das abgelehnt und setzen den Druck gegen Syrien fort, aus politischen Gründen. Das ist die aktuelle Lage.

Ich versichere Ihnen, Syrien hat den Besitz von chemischen Waffen verurteilt, wir akzeptieren diese Waffen unter keinen Umständen. Weder in Syrien noch andernorts dürfen sie unter irgendwelchen Vorwänden eingesetzt werden. Wir sind zur Zusammenarbeit mit der OPCW bereit um zu beweisen, daß Syrien sich an seine Ablehnung von chemischen Waffen hält.
Aber in der OPCW wird eine Resolution nach der anderen gegen Syrien vorgelegt, wobei die Unterstützung dafür bei den Mitgliedstaaten abnimmt. Die letzte Resolution wurde nur von 50 Ländern angenommen, andere haben sich enthalten, haben dagegen gestimmt oder waren gar nicht erst zur Abstimmung erschienen.

Die Blockaden des Westens gegen Syrien scheinen vom Osten nicht unterstützt zu werden. Syrien hat Beziehungen mit Rußland, dem Iran, China und Indien.
Das war schon vor 2011 so, aber die Beziehungen haben sich verstärkt. Im Iran hieß es nach der Islamischen Revolution 1979, das Land sei „Weder Ost noch West“. Aber nun haben Iran und China ein langfristiges und finanzstarkes Abkommen unterzeichnet, Iran wendet sich dem Osten zu. Auch Syrien hat ein Abkommen mit China unterzeichnet, wird auch Syrien sich nach Osten wenden?

Ich bin nicht der Meinung, daß uns irgendjemand zwingen kann, auf dieser oder jener Seite zu stehen. Wir folgen unseren Interessen. Aber wo kann unser Platz sein, wenn die westlichen Länder sich gegen Syrien positionieren?
Natürlich müssen wir unsere Wirtschaft umstellen und unsere Politik muß sich an den Interessen des syrischen Volkes orientieren, am Internationalen Recht und an der Charta der Vereinten Nationen.

Wenn aber Länder das alles nicht respektieren und einen »Regime Change« in Syrien anstreben, wo sollen wir dann hin? Können wir der USA-Administration zustimmen oder der französischen Regierung, die Syrien besetzen wollen, die Kampfjets schicken, um Syrien anzugreifen?
Während die Russische Föderation sagt, wir verstehen die rechtmäßige Position Syriens und unterstützen das Land?

In so einer Lage werden wir natürlich an der Seite Rußlands, Chinas, des Iran und anderer Länder sein, die verstanden haben, daß wir ein multipolares System brauchen. Ein multipolares System, um das bestehende internationale Kräfteverhältnis zu verändern, in dem die westlichen Länder versuchen die Länder der ganzen Welt gegen deren Willen zu dominieren und zu beherrschen. Mit dieser Einmischung, wenn er auf Kosten anderer, sich entwickelnder Länder nur die eigenen Interessen verfolgt, wird der Westen immer mehr Länder dazu bringen, den gleichen Weg zu gehen wie der Iran, Syrien und andere.

Für Kooperation

Die geographische und geopolitische Lage Syriens macht das Land zu einer Brücke zwischen Ost und West. Syrien ist ein Tor zum Mittelmeer und nach Europa und umgekehrt die Tür nach Asien.

Das ist richtig und diese Position wollen wir auch haben. Vor diesem terroristischen Krieg gegen Syrien war es so, daß wir die Region zwischen den Fünf Meeren zusammenführen wollten.[3]
Wir haben uns um eine Ost-West-Zusammenarbeit bemüht, wir verhandelten mit der Europäischen Union über ein Abkommen und unsere Beziehungen mit den USA waren nicht so schlecht. Letztlich ist es der Konflikt zwischen Israel und den arabischen Staaten, der eine gute Entwicklung in unserer Region verhindert.

Würden die syrischen Golan-Höhen an Syrien zurückgegeben, würden die Palästinenser ihr historisches Recht auf einen eigenen Staat in Palästina bekommen und würde das libanesische Territorium befreit, das noch unter israelischer Kontrolle ist, dann könnte unserer Meinung nach diese Region Frieden finden, und die Welt auch. Die Probleme gibt es, weil einige Akteure eine gesamte Region für ihre eigenen Interessen kontrollieren wollen.

Gibt es Anzeichen, daß die westlichen Staaten diese Position verstehen?

Ich hoffe natürlich, daß die Konflikte eher heute als morgen ein Ende finden. Doch noch werden die Probleme von Kriminellen und Hetzern ausgenutzt.

Sie haben das 2009 von Präsident Baschar al Assad vorgestellte »Fünf-Meeres-Projekt« erwähnt, den Plan einer Kooperation der Staaten zwischen dem Kaspischen Meer, dem Schwarzen Meer, dem Mittelmeer, dem Roten Meer und dem Persischen Golf. Dessen Ziel war es, Syrien, die Türkei, Libanon und Jordanien zusammenzubringen. Es gab Infrastrukturprojekte, der Handel sollte erleichtert werden, auch die Visabestimmungen.
Mit dem Krieg war das vorbei, die Grenzen Syriens waren und sind teilweise noch geschlossen. Nun gibt es die Entscheidung, den Libanon mit Strom und Gas durch die Arabische Gas Pipeline zu versorgen, die Ägypten, Jordanien, Syrien und den Libanon verbindet. Die Öffnung der Pipeline und der Stromversorgung verzögert sich, was ist der Grund?

Ich möchte betonen, daß wir von der regionalen und internationalen Zusammenarbeit überzeugt sind. Das »Fünf-Meeres-Projekt« umspannte ein weites Gebiet und hat damals in vielen Ländern große Aufmerksamkeit erregt. Es gab einige Staaten, denen diese Entwicklung nicht gefiel weil sie meinten, Syrien würde »zu gefährlich« werden. Ich meine das im Sinne von »zu stark«. Dann wurden diese Terroristen geschickt, die alles zerstörten, was an guten Vereinbarungen zum Wohle der Völker in dieser Region entstanden war.

Wenn ein arabisches Land mit einer Herausforderung konfrontiert ist, wie es jetzt aktuell im Libanon der Fall ist, können wir unabhängig von unseren Positionen auf keinen Fall gegen die Interessen dieses Volkes arbeiten, und der Libanon ist uns sehr wichtig. Wir haben wiederholt eine große libanesische Delegation von Ministern empfangen und es gab Treffen in Jordanien. Es gab zwei, drei Treffen zum Thema Strom und zwei, drei Treffen zum Thema Gas. Ohne zu kommentieren, was andere tun oder denken, kann ich Ihnen sagen, daß wir sofort zugestimmt haben. Was notwendig ist, um Strom und Gas in den Libanon zu leiten, wurde in Syrien fertiggestellt. Sowohl der Minister für Elektrizität als auch der Minister für Öl und andere Ressourcen haben erklärt, daß Syrien für das Projekt bereit ist.

Was das Zögern von anderen betrifft, müssen diese Länder erklären. Allerdings haben wir gehört, daß die USA-Administration noch nicht endgültig entschieden hat, ob die USA-Sanktionen gegen Syrien angewendet werden sollen, wenn Strom und Gas für den Libanon durch Syrien geleitet wird. Die USA müssen das mit den anderen Staaten klären. Wir hoffen, daß das Projekt den Libanesen nutzt und ihre schwierige Situation nicht weiter verlängert wird.

Kürzlich konnte man überraschenden Besuch in Damaskus sehen, der Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate kam zu Gesprächen.
Wird Syrien in die Arabische Liga zurückkehren?

Die Frage, ob Syrien in die Arabische Liga zurückkehrt, ist nicht so sehr das Problem. Sie wissen, daß dieses Gremium keine wirkliche Entscheidungsmacht hat, es sind die Mitgliedstaaten, die entscheiden. Syrien arbeitet mit der Mehrheit der arabischen Staaten gut zusammen. 14 von den insgesamt 22 Mitgliedstaaten der Arabischen Liga (einschließlich Syrien) sind in Damaskus mit Botschaften vertreten. Selbst Dschibouti, das nie in Syrien vertreten war, hat jetzt eine Botschaft in Damaskus eröffnet. Zwei Länder könnten noch gegen die Rückkehr Syriens in die Liga sein, aber für uns sind die bilateralen Beziehungen mit allen arabischen Staaten wichtig.
Ich will nicht einzelne Länder hervorheben, jedes arabische Land ist eingeladen, wieder normale Beziehungen mit Syrien aufzunehmen. Syrien ist dazu bereit, um die Arabische Position in der Geopolitik des Mittleren Ostens zu stärken.

Dabei geht es auch um die Türkei, die arabische Länder angreift. Die Türkei positioniert sich in Libyen, in Syrien, im Jemen, im Irak, im Sudan, in Somalia, in Dschibouti. Als arabische Staaten müssen wir unsere Kontakte festigen und zusammenarbeiten. Wie kann ein arabisches Land, das die Muslim-Bruderschaft verurteilt, mit der Türkei kooperieren? Solche Widersprüche möchten wir beenden. Die arabischen Länder haben gemeinsame politische, geographische, wirtschaftliche und kulturelle Interessen. All dies bringt uns zusammen und wir sollten uns nicht spalten lassen durch Loyalitäten zu Positionen, die den arabischen Ländern nicht helfen werden, sich zu entwickeln und die neuen Herausforderungen zu bewältigen. Ganz gleich, ob es sich um ökologische oder humanitäre Herausforderungen handelt.
Die ganze Welt steht vor vielen Herausforderungen. Wenn wir uns nicht zusammenschließen, werden wir alle bedroht sein.

In diesen Tagen war eine Delegation der Palästinensischen Autonomiebehörde in Damaskus …

Ja und wir hatten gute Gespräche. Syrien glaubt an die Gerechtigkeit der palästinensischen Sache. Dies war eine Delegation der Führung der Fatah. Wir haben ihnen unsere Überzeugung mitgeteilt, daß sie ohne die Einheit der palästinensischen Fraktionen die Unterstützung der ganzen Welt verlieren würden. Syrien würde niemals seine Positionen aufgeben, wenn es um die Rechte des palästinensischen Volkes geht. Sie können sehen, daß sich derzeit die gesamte Region in eine Richtung bewegt, die den Kampf um Gerechtigkeit für das palästinensische Volk nicht fördern wird …

Das Abraham Abkommen zwischen Israel und einigen Golfstaaten steht dem entgegen?

FM: Ganz genau. Wir wollen keine neue Seite aufschlagen, auf der die arabischen Konflikte sich vertiefen, anstatt dass die arabische Einheit sich durchsetzt.
Wir wollen, daß sich die Palästinenser zusammenschließen, ihre eigenen Probleme diskutieren und Lösungen finden, und sie werden dabei immer die Hilfe Syriens finden. Das macht es auch anderen arabischen Ländern leichter, sie zu unterstützen.

Das Interview führte Karin Leukefeld (leukefeld.net). Es ist am 1. Februar 2022 in der Zeitung „Laetzebuerger Vollek“ (Luxemburg) erschienen.

Titelbild: Der syrische Außenminister Dr. Feisal Mekdad im Gespräch mit der Nahostkorrespondentin Karin Leukefeld in Damaskus. Quelle: Syrisches Außenministerium, Damaskus, 12.01.2022

[«1] “Oh, East is East and West is West, and never the twain shall meet”, Rudyard Kipling. kiplingsociety.co.uk/poem/poems_eastwest.htm

[«2] Die Türkei baut entlang der Grenze zu Syrien an vielen Orten eine Mauer. Um Azaz, das etwa 60 km nördlich von Aleppo liegt, wird von der Türkei auf syrischem Territorium eine Mauer zwischen Azaz und Afrin errichtet: al-monitor.com/originals/2022/01/turkey-isolating-azaz-rest-syrian-territory

[«3] Fünf-Meeres-Strategie: 2009 von Präsident Bashar al Assad vorgestellter Plan einer Kooperation der Staaten zwischen dem Kaspischen Meer, dem Schwarzen Meer, dem Mittelmeer, dem Roten Meer und dem Persischen Golf.

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.

Jochen

Kasachstan – Schwankender Gefährte

Kasachstan_EmblemZu den Hintergründen des nicht leicht zu durchschauenden Konfliktes erschien schon Dezember 2021 ein Artikel in der jungen Welt. Ich frage mich, woher innerhalb von nur 4 Tagen die Aufständischen über Maschinenpistolen und andere militärische Ausrüstung verfügten.
Kasachstan ist ein Verbündeter Russlands. Aber wachsender Nationalismus und US-amerikanische Ambitionen untergraben die Freundschaft

Von Harald Projanski

https://www.jungewelt.de/artikel/415898.gus-staaten-schwankender-gef%C3%A4hrte.html

Vielen ist Kasachstan nur ein Begriff aus dem Film »Borat« des britischen Komikers und Schauspielers Sacha Baron Cohen, auch wenn man in dem Ulkfilm über das Land nichts erfährt. Kaum bekannt ist, dass es sich bei der ehemaligen Sowjetrepublik Kasachstan um den größten mit Russland verbündeten Staat handelt.

Russische Staatsmedien erwecken oft den Eindruck, dass zwischen der Russischen Föderation und der Republik Kasachstan alles bestens läuft. »Wir schätzen aufrichtig die Freundschaft mit dem brüderlichen kasachischen Volk, unsere Beziehungen, die Partnerschaft«, zitierte im November etwa die Moskauer Regierungszeitung Rossiskaja Gaseta den russischen Premierminister Michail Mischustin. Der Handel zwischen beiden Ländern, so Mischustin, solle in diesem Jahr mit umgerechnet mehr als 16 Milliarden US-Dollar (etwa 14 Milliarden Euro) eine »Rekordhöhe« erreichen.

Die Republik Kasachstan ist mehr als siebenmal so groß wie die BRD. Das Land hat 18,8 Millionen Einwohner. Mit Russland verbindet Kasachstan eine Grenze von mehr als 7.000 Kilometern Länge. Der kasachische Staat gehört zur Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) und zur Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit (OVKS), gemeinsam mit Russland, Kirgistan, Tadschikistan, Belarus und Armenien. Das Land ist Mitglied in der von Russland koordinierten Eurasischen Wirtschaftsunion. Kasachstans 2019 gewählter Präsident Kassym-Schomart Tokajew, geboren 1953, ist ein Absolvent der Moskauer Diplomatenhochschule MGIMO und war noch in der Sowjetunion als Diplomat in China tätig. Er ist aufgewachsen als Sohn eines sowjetischen Schriftstellers und Veteranen der Roten Armee – scheinbar ein idealer Partner für Moskau.

Routiniert beherrscht Tokajew die offiziellen Floskeln der Völkerfreundschaft. Der kasachische Präsident rühmt gegenüber Russland die »Freundschaft unserer Völker«, die es zu »bewahren« gelte. Im Interview mit der russischen Regierungszeitung spricht er von den »unzerstörbaren Banden der Freundschaft«, die Kasachstan und Russland vereinten. Zum Staatschef Kasachstans ist Tokajew als Günstling des früheren Präsidenten Nursultan Nasarbajew aufgestiegen, dem er als Außenminister und stellvertretender Regierungschef gedient hatte.

Nasarbajew, geboren 1940, war in Kasachstan noch zur Sowjetzeit im Juni 1989 auf den Posten des Ersten Sekretärs der Kommunistischen Partei Kasachstans gelangt und gehörte 1990/91 dem letzten Politbüro der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) an. Danach ließ er sich 1991 zum Präsidenten wählen, mit bewährten Methoden, die ein Ergebnis von 98,80 Prozent brachten. Noch 2015 bescherte ihm die Wahlkommission ein Resultat von 97,75 Prozent. Im März 2019 legte er sein Amt nieder und protegierte als Nachfolger Tokajew, damals Vorsitzender des Oberhauses. Der benannte sogleich die

kasachische Hauptstadt Astana zu Ehren seines Vorgängers in Nur-Sultan um.

Nursultan Nasarbajew blieb gleichwohl Chef des mächtigen Sicherheitsrates und führt die Staatspartei »Nur Otan« (Licht des Vaterlandes), die sich im Kern aus Staatsbediensteten rekrutiert. Als Parteichef lässt er immer wieder mal Spitzenbeamte antreten, inklusive des Premierministers.Der »Elbasi«, der »nationale Führer«, wie sich Nasarbajew nennen lässt, predigt ihnen, sie sollten die »Stabilität« und die führende Rolle der Partei im Lande sichern – es ist eine Fürstenherrschaft mit einem Hauch von spätsowjetischem Charme.

Nasarbajew sorgte auch dafür, dass seine Tochter Dariga am Tag seines Rücktritts zur Sprecherin des Oberhauses gewählt wurde. Theoretisch wäre sie damit im Fall eines Rücktritts oder Todes des Präsidenten automatisch Staatsoberhaupt geworden. Doch am 2. Mai 2021 setzte Präsident Tokajew die Nasarbajew-Tochter überraschend ohne Begründung als Parlamentssprecherin ab. In der kasachischen Elite gewann Tokajew damit an Ansehen und Gewicht. Denn Dariga Nasarbajewa ist in der Führungsschicht von Bürokraten und den mit ihnen verbandelten »Bisnessmen« nicht beliebt. Wer sie während der Siegesfeier bei der Präsidentenwahl im Dezember 2005 in einem Sportpalast in der Hauptstadt Astana erlebte, konnte sich davon einen Eindruck machen. Da versammelten sich um sie Hofschranzen vor dem Hintergrund eines großen Transparents mit der Parole: »Mit Nasarbajew in eine leuchtende Zukunft!« Listig lächelnd sah sich die für ihre Überheblichkeit bekannte Präsidententochter damals als künftige Herrscherin des Landes. Doch außerhalb von Konzertsälen traf die gelernte Opernsängerin Nasarbajewa eher selten den richtigen Ton. Amtsträger wie auch Durchschnittsbürger bemerkten, dass der Präsidententochter jenes taktische Geschick abgeht, das ihren Vater jahrzehntelang im Amt gehalten hatte.

Dazu gehörte bei Nasarbajew auch die Fähigkeit, den Spielraum seines Staates gegenüber Moskau zu erweitern, ohne Russland oder die Russen in Kasachstan zu provozieren. Vor allem im Norden Kasachstans ist Russisch die vorherrschende Alltagssprache. Historisch war diese Region der Süden Sibiriens. Die sowjetische Führung fügte 1936 südliche Gebiete der Russischen Föderativen Sowjetrepublik in die Kasachische Sowjetrepublik ein. Damit sollte das rückständige Steppengebiet mit seiner überwiegend analphabetischen Bevölkerung in den werdenden sozialistischen Staat integriert werden. Dabei waren die Arbeiterklasse und die Ingenieursintelligenz der kasachischen Sowjetrepublik überwiegend russisch.

Das hat Folgen bis heute. In einer Volkszählung von 2009 bezeichneten sich 23,7 Prozent der Bürger Kasachstans als Russen. Der Anteil der überwiegend Russischsprachigen liegt weit höher, im Norden sind es teilweise mehr als 90 Prozent. Russisch hat den Status einer »offiziellen Sprache«, was bedeutet, dass es auch im Verkehr mit Behörden verwendet werden kann. Das liegt auch daran, dass selbst ein großer Teil der Staatsangestellten Russisch besser beherrscht als die Staatssprache Kasachisch.

Herabsetzung der Russen

Doch seit der Unabhängigkeit Kasachstans hat sich die Lage der russischen Bevölkerung im Lande kontinuierlich verschlechtert. In Wirtschaft, Verwaltung und Politik wurden und werden Russen teils erheblich diskriminiert. Der neue Staat nahm mehr und mehr ethnokratische Züge an. Die Staatsbürokratie und das mit ihr verbandelte Businesskonglomerat von Klanstrukturen nährt sich vor allem durch Exporte von Öl und Gas.

Das systematische Herabsetzen der Russen im staatlichen und wirtschaftlichen Leben Kasachstans führte seit den 1990er Jahren zur massenhaften Abwanderung russischer Fachkräfte. Einer offiziellen kasachischen Statistik zufolge haben allein in den Jahren 2015 bis 2020 rund 219.000 Menschen Kasachstan verlassen. Nach einer Studie des Russischen Instituts für Strategische Studien in Moskau waren 70 Prozent der im Jahre 2020 Ausgewanderten Russen. Russische Emigranten nennen als Gründe einen Mangel an Arbeitsplätzen, ein Sinken des Lebensstandards, Korruption und Diskriminierung bei der Arbeitssuche. Der sinkende Lebensstandard ist eine Folge des wirtschaftlichen und sozialen Niedergangs Kasachstans als Transithandelsland, wozu auch die Auswirkungen der antirussischen Sanktionspolitik westlicher Staaten beitrugen. Hinzu kamen die jahrelang sinkenden Öl- und Gaspreise. Die jährlichen Wachstumsraten schrumpften von acht Prozent im Jahre 2012 auf 4,1 Prozent im Jahre 2018.
In jüngster Zeit versuchen kasachische Nationalisten verstärkt, die Früchte der wachsenden Unzufriedenheit zu ernten. Zu den Wortführern der nationalistischen Kräfte in Kasachstan gehört der Aktivist und Unternehmer Muchtar Taischan, Jahrgang 1973. Der ehemalige Mitarbeiter der Prä-sidentenadministration unter Nasarbajew und Absolvent der Warschauer Universität gehört zu jenen Vertretern der staatskapitalistischen Klasse, die sich nach einer Anerkennung als Klassenbrüder durch die Bourgeoisien der entwickelten kapitalistischen Länder sehnen. Als Mittel dazu setzen Taischan und seine Anhänger auf eine Mischung aus düsterer Darstellung der sowjetischen Geschichte und Russophobie. Ausdruck findet dies in seiner These zum Tag des Sieges über den Hitlerfaschismus: »Vor und nach 1945 waren wir ein Kolonialvolk, und wir sind es geblieben.« Taischan nahm zur Jahreswende 2013/14 in Kiew an Kundgebungen auf dem Maidan teil, die im Februar 2014 zum Rechtsputsch und Beginn des ukrainischen Bürgerkrieges führten.
Von ukrainischen Ultrarechten ließ sich auch der kasachische Nationalistenführer Kuat Achmetow inspirieren. Er organisierte im August »Sprachpatrouillen« seiner Bewegung »Tyl Maidana«, die russischsprachige Bürger Kasachstans an öffentlichen Plätzen, etwa auf Märkten bedrängten, weil sie Russisch sprachen. Achmetow wurde am 19. August festgenommen, doch bald wieder freigelassen und setzte sich in die Ukraine ab.

Der kasachische Präsidentenberater Erlan Karin behauptete, verantwortlich für die Sprachpatrouillen sei eine »Informationspanik in unserem nördlichen Nachbarland«. Gemeint ist Russland. Der Tokajew-Berater rief die Nationalisten lediglich auf, »vorsichtiger in ihren Äußerungen und ihrer Tätigkeit« zu sein. Karin weiß, wovon er spricht: In den Jahren 2013/14 war er als Lehrer an der American University in Washington, D. C. tätig, einer Pflanzschule für US-Hilfswillige auf der ganzen Welt.

Vorbild Ukraine

Den Hintergrund für die wachsende Stärke der Nationalisten in Kasachstan analysiert der Historiker und Kasachstan-Experte des Moskauer Instituts für die GUS-Länder Andrej Grosin: In Kasachstan seien nationalistische Kräfte »in staatliche Strukturen eingedrungen«, in den »Nationalen Rat für Demokratisierung beim Präsidenten« und ins Parlament. Diese Nationalisten, so Grosin arbeiteten derzeit an Gesetzen über die Rehabilitierung der Turkestanischen Legion der Hitler-Wehrmacht.
In den Reihen dieser ab 1942 geschaffenen Kollaborateurstruppe dienten auch angeworbene kasachische Kriegsgefangene aus der Roten Armee. Ein weiteres Gesetzesprojekt der Nationalisten, so Grosin, betreffe die Hungersnot in Kasachstan in den Jahren 1932/33, die als Genozid gegen die Kasachen dargestellt werden soll, obwohl gleichermaßen auch Russen von der Katastrophe betroffen waren. Kasachische Nationalisten kopieren dabei die Drehbücher ihrer ukrainischen Gesinnungsgenossen. Die versuchen seit dem Maidan 2014 verstärkt, die Hungersnot in der Ukraine in jenen Jahren als Genozid am ukrainischen Volk darzustellen, obwohl es dafür in den Archiven keinen Beleg gibt. Schützenhilfe erhalten die kasachischen wie auch die ukrainischen Nationalisten dabei unter anderem vom US-amerikanischen Sender Radio Liberty.

Wie Kasachstans Präsident Tokajew mit der wachsenden nationalistischen Gefahr umgeht, zeigen seine öffentlichen Auftritte. Er versucht, das Problem zu ignorieren, und deckt dabei seinen Gehilfen Karin, der als Schirmherr der Nationalisten agiert. So predigte Tokajew im Funktionärsjargon die »weitere Stärkung des Systems der Verteidigung der Menschenrechte«, ohne die Rechte russischsprachiger Menschen in seinem Land auch nur zu erwähnen. Er sagt nur gelegentlich, die »Verwendung« des Russischen dürfte »nicht verhindert« werden. Doch Tokajew lässt gleichzeitig weiter an Plänen arbeiten, die schon unter Nasarbajew beschlossen wurden: Die kyrillische Schrift soll zugunsten der lateinischen abgeschafft werden.

Insgesamt spiegeln Tokajews Auftritte vor Funktionsträgern des Staates die tiefe Krise des postsowjetischen Systems wider. In seiner ausführlichen »Botschaft« zur Lage des Landes am 1. September 2021 räumte Tokajew »Ungleichgewichte in der sozialökonomischen Entwicklung« ein – eine dezente Umschreibung für Massenarbeitslosigkeit und eine wachsende soziale Spaltung zwischen Stadt und Land.

Korrupter Petrostaat

Große Teile der Bevölkerung des Gasexportlandes haben keinen Gasanschluss. Die Profite aus den Exporten von Energieträgern eignet sich eine Klasse von Rentiers des kasachischen Beamtenkapitalismus an. Dabei erweist sich das klanartige System als immer schwerer lenkbar. Dies zeigt sich auch an den verbalen Eiertänzen des Präsidenten. In seinem Lagebericht vom 1. September monierte er eine »übermäßige Präsenz des Staates in der Wirtschaft«. Und er sprach von einem »quasistaatlichen Sektor« der Wirtschaft, dessen »Effizienz, Transparenz und Rechenschaftspflicht« möglichst »erhöht« werden sollte. Tokajew erwähnte, die »Hälfte der kriminellen Fälle« im Bereich Landwirtschaft befasse sich mit Subventionsbetrug, und beklagte insgesamt eine »wachsende Zahl von Betrugsfällen«, auch mit Finanzpyramiden. Und er mahnte, »der wirksame Kampf gegen Korruption muss fortgesetzt werden«.

Wie dieser Kampf geführt werden soll, sagte er nicht. Aus den Einlassungen des Staatschefs ergibt sich das Bild eines quasifeudalen, korrupten Petrostaates, der den Kapitalismus der freien Konkurrenz nur imitiert und zusehends ins Kriminelle driftet. Das Steppenland Kasachstan erweist sich politisch und ökonomisch als Sumpf. Bemerkungen Tokajews in dieser Rede, die »Reserven an finanzieller Stabilität« seien »nicht unbegrenzt«, beweisen zudem, dass Kasachstan von der Substanz lebt. Die Regierung verfeuert die Reserven aus dem durch Öl- und Gaseinnahmen früherer Jahre gefüllten »Nationalen Fonds«, um größere Klassenkonflikte zu vermeiden. Zugleich versucht die Staatsführung, die Eskalation von Konflikten zwischen der korrupten Bürokratie und den verarmenden Massen durch politische Manipulation zu verhindern.

So kündigte der Präsident im September an, seine Administration werde »einen wirksamen Mechanismus« zur Unterstützung von »Bürgerinitiativen« ausarbeiten. Worauf das hinausläuft, zeigt die Entwicklung des parteipolitischen Spektrums des Landes in den letzten Jahren. Schon Vorgänger Nasarbajew verstand es, reale politische Konkurrenz prophylaktisch zu verhindern.

Dabei stand er vor zwei Problemen: Zeitweilig drohten die Spaltung der bürokratischen Verwalterkaste und das Anwachsen einer linken, von Kommunisten geführten Opposition. Die positiven Erinnerungen von Millionen Kasachen an die soziale Sicherheit in der sowjetischen Gesellschaft prägen nach wie vor das Alltagsbewusstsein. Nasarbajews Machtapparat gelang es im Jahre 2004, die Kommunistische Partei Kasachstans mit Repression und Korruption zu spalten. Zwölf Mitglieder des Zentralkomitees verließen die KP. Sie gründeten eine »Kommunistische Volkspartei Kasachstans«, die sich im Jahre 2020 in »Volkspartei Kasachstans« umbenannte. Deren Führung sorgt im Chor der politischen Elite für eine leicht dissonante Zweitstimme mit Plädoyers für eine »sozial gerechte Gesellschaft«. Mit dem Segen der auf betreutes Wählen abonnierten Staatsführung kam die pflegeleichte Mitte-links-Partei bei der Parlamentswahl im Januar dieses Jahres auf 9,1 Prozent. Die Nasarbajew-Partei »Nur Otan« verbuchte 71,1 Prozent.

Um die führende Rolle als harmlose Opposition konkurriert die »Volkspartei« im Parlament mit der Partei »Ak Schol« (Leuchtender Weg), die bei der Wahl 10,95 Prozent verbuchte. Deren Vorsitzender, Asat Peruaschew, war zuvor als Berater und Bereichsleiter in der Präsidentenadministration tätig gewesen. Danach hatte er zunächst als Generaldirektor von »Aluminum Kasachstan« vom Kuchen des Staatskapitalismus genascht. Anschließend war er in die Führung von »Nur Otan« aufgestiegen, bis er 2011 sein Talent als elastischer Oppositionspolitiker entdeckte.

Kommunisten verboten

Im selben Jahr erfuhren Kasachstans Kommunisten aus der Presse, dass ein Gericht der Hauptstadt die Tätigkeit ihrer Partei »angehalten« hatte. Das nahm ihr die Möglichkeit, an Wahlen teilzunehmen. Im Jahr darauf wurde die Partei auf Antrag des Justizministeriums per Gerichtsbeschluss »liquidiert«. Seither arbeitet die KP, die nach Angaben der Wahlkommission 2008 noch mehr als 54.000 Mitglieder hatte, trotz Verbot weiter, auch mit Unterstützung ihrer Bruderpartei, der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation. Offenkundiger Anlass für das Verbot der KP war ihre erfolgreiche Bündnispolitik. Ab 2009 engagierten sich die Kommunisten in einem breiten Aktionsbündnis mit anderen demokratischen Kräften, darunter auch Sozialdemokraten.

Schon vor dem Verbot der KP hatte Nasarbajew sich einer Konkurrenz aus den Reihen der Staatsbürokratie durch Verbot entledigt. Im November 2001 formierte sich die Partei »Demokratische Wahl Kasachstans«, geführt von bisherigen hohen Amtsträgern des Regimes. Zu den Gründern gehörten ein ehemaliger Energieminister, ein ehemaliger Arbeitsminister, zwei Exvizeminister für Finanzen und Verteidigung und ein früherer Leiter der »Staatsagentur für die Kontrolle strategischer Ressourcen«. Hinzu kamen führende Bankiers. In der Partei, die mit liberalen Losungen auftrat, sammelte sich ein jüngerer Teil der Staatsbürokratie und der Kompradorenbourgeoisie. Die Partei suchte Annäherung an den Westen, vor allem an die USA, und wollte sich stärker von der sowjetischen Vergangenheit und auch von Russland abgrenzen.

Zwar konnte die »Demokratische Wahl Kasachstans« 2002 bei einer Kundgebung in der Hauptstadt kaum mehr als 2.000 Menschen mobilisieren. Dennoch drohte eine Spaltung des Staatsapparates, worauf Nasarbajew mit systematischer Repression antwortete. Gegen führende Mitglieder wurden Strafverfahren eingeleitet, unter anderem wegen Machtmissbrauchs. Parteigründer Muchtar Abljasow wurde 2018 in Abwesenheit wegen eines Auftragsmordes zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt. Die Vorwürfe sind im einzelnen schwer nachprüfbar. Die Verfahren spiegelten in jedem Fall sowohl die politische Lenkung der Justiz als auch die kriminellen Praktiken bei der Entstehung des Staatskapitalismus in den neunziger Jahren wider. Im Kern gilt für den Showdown zwischen Nasarbajew und dieser Opposition das Wort Kurt Tucholskys über Situationen, in denen »Gauner Gauner Gauner nennen«.

US-Casting

Einer der Parteiführer der »Demokratischen Wahl Kasachstans«, Galimschan Schakijanow, siedelte 2012 in die USA über. Parteichef Abljasow zog nach Frankreich um, das ihn im September 2020 als politischen Flüchtling anerkannte. Abljasow ließ 2017 die zwischenzeitlich zerfallene »Demokratische Wahl Kasachstans« wieder aufleben – politisch im Fahrwasser der US-Strategie, ablesbar auch an Stellungnahmen gegen China. Ähnlich wie die Nawalny-Gruppe in Russland propagiert die Organisation das »kluge Abstimmen«, um Einfluss auf legale Oppositionsparteien zu nehmen. In Kasachstan ist die Partei seit 2018 als »extremistisch« verboten. Am 8. März 2021 gelang es der über Messengerdienste und soziale Netzwerke organisierten Truppe, etwa 2.000 bis 3.000 Teilnehmerinnen in der kasachischen Hauptstadt zu einem »Marsch der Frauen« zu mobilisieren – ein Probelauf.
Das US-amerikanische Casting von Kandidaten für einen antirussischen Umsturz in Kasachstan hat begonnen.

Nach Afghanistan: Die Ära der Straflosigkeit

Westliche Militärs töteten in Afghanistan tausende Zivilisten und begingen Kriegsverbrechen. Fast nichts davon wurde vor dem endgültigen Abzug gesühnt.

(Eigener Bericht) – Mit dem endgültigen Abzug der westlichen Truppen aus Afghanistan am morgigen Dienstag gehen auch zwei Jahrzehnte tödlicher westlicher Angriffe auf Zivilisten sowie systematischer westlicher Kriegsverbrechen am Hindukusch zu Ende. Bis zum Abschluss des US-Abzugsabkommens mit den Taliban im Februar 2020 kamen durch Luftangriffe westlicher Streitkräfte und Spezialkräfteoperationen laut UN-Angaben jährlich hunderte Zivilisten zu Tode – mindestens 559 im Jahr 2019. Zahllose Unbeteiligte wurden bei US-Drohnenattacken getötet; laut Unterlagen, die ein Whistleblower durchstach, war zeitweise nur eines von zehn Drohnenopfern ein von den US-Militärs zur Ermordung freigegebenes „Ziel“. Informationen, die für die Drohnenangriffe benötigt wurden, wurden auch von deutschen Stellen an US-Militärs weitergeleitet; dies gilt auch für Informationen, die zu Verschleppung und Folter von Verdächtigen durch die CIA führten. Australische Spezialtrupps begingen Morde an wehrlosen Zivilisten als Initiationsritual. Westliche Kriegsverbrechen blieben in aller Regel straflos – bis heute.

Zivile Todesopfer

Die westlichen Streitkräfte, die jetzt wohl endgültig aus Afghanistan abziehen, haben bei ihren Operationen am Hindukusch bis zuletzt regelmäßig eine hohe Zahl an Zivilisten umgebracht. Die Opferstatistiken der Vereinten Nationen ordnen etwa von den 3.804 Zivilisten, deren Tod durch Kriegshandlungen im Jahr 2018 verlässlich dokumentiert wurde, mindestens 1.185 Angriffen der diversen Truppen zu, die auf Seiten der Regierung in Kabul kämpften; mindestens 406 von ihnen kamen demnach bei Einsätzen westlicher Militärs ums Leben. Im Jahr 2019 stieg die Zahl der zivilen Todesopfer westlicher Truppen auf mindestens 559; ein Rückgang ließ sich erst nach dem US-Abzugsabkommen mit den Taliban im Februar 2020 konstatieren. Immer wieder haben die westlichen Streitkräfte Luftangriffe durchgeführt, die wegen ihrer eklatanten Opferzahl zum Gegenstand der internationalen Medienberichterstattung wurden. Im Juni 2007 etwa kamen bei einem Luftangriff in der Provinz Helmand, dem letzten in einer langen Serie an Bombardements, bis zu 80 Menschen, die meisten von ihnen Zivilisten, zu Tode.[1]
Am 5. Mai 2019 starben bei einem US-Bombardement angeblicher Drogenlabore mindestens 30, vermutlich 60 oder gar mehr Zivilisten. Während die USA behaupten, es habe sich um Taliban gehandelt, beklagt die UNO hingegen den Tod von zivilen Arbeitern, Frauen und Kindern.[2]

„Man nahm das hin“

Die Liste ließe sich verlängern. Sie umfasst nicht zuletzt das gezielte Bombardement einer großen Anzahl von Zivilisten, das am 4. September 2009 vom deutschen Oberst Georg Klein befohlen wurde. Die Bomben trafen Hunderte Menschen, die sich bei einem feststeckenden Tanklastwagen eingefunden hatten, um Benzin für ihre Familien abzuzweigen; über hundert Zivilisten kamen zu Tode. Klein hatte den Luftangriff gegen ausdrückliche Warnungen der US-Piloten angeordnet, die darauf hingewiesen hatten, es handele sich bei der versammelten Menschenmenge offensichtlich nicht um Aufständische.[3]
Abgesehen von Luftangriffen sind Zivilisten oft bei Operationen von – häufig US-amerikanischen – Spezialkräften zu Tode gekommen. Erst vor kurzem berichtete der Potsdamer Militärhistoriker Sönke Neitzel unter Berufung auf umfangreiche Interviews mit deutschen Afghanistan-Veteranen von außergewöhnlich hohen zivilen Opferzahlen: „Wenn bei Operationen der amerikanischen Spezialkräfte Zivilisten auch mal im dreistelligen Bereich umkamen, nahm man das hin.“[4]
Regelmäßig am Hindukusch im Einsatz waren auch Trupps des deutschen Kommando Spezialkräfte (KSK). Ob und, wenn ja, zu wievielen zivilen Opfern diese Einsätze führten, ist aufgrund der strikten Geheimhaltungspraxis der Bundesregierung nicht bekannt.

Zufallsopfer: neun von zehn

Zahlreiche zivile Todesopfer forderten auch die US-Drohnenattacken, die vor allem US-Präsident Barack Obama dramatisch ausweitete. Das Londoner Bureau of Investigative Journalism, das die Drohnenangriffe seit Jahren systematisch analysiert, listet für Afghanistan inzwischen mehr als 13.000 derartige Attacken auf. Die Zahl der Todesopfer wird mit zwischen 4.100 und über 10.000 angegeben, die Zahl der nachweislich zivilen Todesopfer mit 300 bis 900.[5] Laut Recherchen der Onlineplattform The Intercept dürfte diese Zahl zu niedrig sein. Wie The Intercept bereits im Oktober 2015 unter Berufung auf Dokumente berichtete, die ein Whistleblower übergeben hatte, fanden sich unter den mehr als 200 Todesopfern einer US-Drohnenkampagne von Januar 2012 bis Februar 2013 im Nordosten Afghanistans lediglich 35, die auf US-Ziellisten verzeichnet waren. Während fünf Monaten lag der Anteil derjenigen, die ungeplant mit Drohnen umgebracht wurden, bei fast 90 Prozent.[6] Daniel Hale, der Whistleblower, der den Einblick in die Abgründe der US-Drohnenmorde ermöglichte, wurde im Juni zu einer Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt.[7]
Angaben, die der Vorbereitung von Drohnenattacken dienten – Mobilfunkdaten von Verdächtigen etwa -, wurden auch von deutschen Stellen an US-Einheiten weitergegeben. Die Bundesrepublik ist damit in die US-Drohnenmorde involviert.[8]

Zu der hohen Zahl ziviler Todesopfer im Rahmen von Kriegsoperationen kommen gezielte Morde ohne jeden Anlass hinzu. So belegt ein im Herbst 2020 veröffentlichter Untersuchungsbericht, dass Angehörige australischer Spezialkräfte mindestens 39 Afghanen gänzlich willkürlich umbrachten. Auf einem Video ist beispielsweise dokumentiert, wie ein australischer Soldat einen wehrlos in einem Kornfeld liegenden afghanischen Zivilisten mit drei Schüssen aus nächster Nähe ermordete. Dem Untersuchungsbericht zufolge handelt es sich bei diesen Morden an unbewaffneten Zivilisten außerhalb jeglichen Kampfgeschehens um ein Initiationsritual, mit dem neue Mitglieder der australischen Spezialeinheit ihre angebliche soldatische Eignung unter Beweis stellen mussten. Die Praxis wurde demnach „blooding“ genannt.[9]
Morde außerhalb des Kampfgeschehens werden auch US-Soldaten vorgeworfen. So berichtet der Militärhistoriker Neitzel, laut Berichten deutscher Militärs seien „selbst hartgesottene Soldaten des KSK“ (Kommando Spezialkräfte) „erschüttert“ gewesen, „als ihnen Amerikaner nonchalant davon berichteten, wie sie gefangene Taliban exekutierten“.[10]
Auch für Morde britischer Spezialkräfte an afghanischen Zivilisten liegen klare Hinweise vor.[11]
Konsequenzen hatten die Willkürmorde für die westlichen Soldaten fast nie.

Verschleppung und Folter

Kaum aufgeklärt und stets straflos sind nicht zuletzt zahllose Fälle der Verschleppung Verdächtiger in Foltergefängnisse im Rahmen des „Anti-Terror-Kriegs“ seit dem Herbst 2001. Die Praxis betraf auch Afghanistan, wo Personen, die – zutreffend oder unzutreffend – jihadistischer Terroraktivitäten bezichtigt wurden, aufgegriffen, in Verliese verschleppt und dort brutal gefoltert wurden. Nach Erkenntnissen des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) kann bei mindestens 54 Personen klar aufgezeigt werden, dass Angehörige der US-Streitkräfte in Afghanistan sie folterten, misshandelten sowie sexualisierte Gewalt an ihnen verübten. Dieselben Verbrechen an 24 Personen lassen sich dem IStGH zufolge auch CIA-Mitarbeitern nachweisen.[12]
Zumindest in einige der Fälle ist die Bundesrepublik involviert: Deutsche Stellen lieferten den USA nicht nur Informationen, die zur Verschleppung und Festsetzung auch deutscher Staatsbürger führten; Mitarbeiter mehrerer deutscher Geheimdienste (Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutz) wie auch Polizeibehörden (Bundeskriminalamt) verhörten Verschleppte in afghanischen Folterkerkern, darunter Khaled el-Masri aus Ulm [13] und Ahmad S. aus Hamburg [14].
Berichte von Murat Kurnaz aus Bremen, er sei in einem US-Lager in Kandahar nicht nur festgehalten und gefoltert, sondern auch von KSK-Soldaten geschlagen worden, wiesen die Bundeswehr und die Bundesregierung zurück. Neutralere Zeugen bestätigten Kurnaz‘ Version.[15]

Quellen

[1] Jason Burke: ‚Up to 80 civilians dead‘ after US air strikes in Afghanistan. theguardian.com 01.07.2007.

[2] UNAMA Special Report: Airstrikes on alleged drug-processing facilities. Farah, 5 May 2019. Kabul, October 2019. unama.unmissions.org.

[3] S. dazu Die Bomben von Kunduz. https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/4637/

[4] Sönke Neitzel: Deutsche Krieger. Vom Kaiserreich zur Berliner Republik – eine Militärgeschichte. Berlin 2020. S. 547.

[5] Strikes in Afghanistan. thebureauinvestigates.com.

[6] Jeremy Scahill: The Assassination Complex. theintercept.com 15.10.2015.

[7] Chip Gibbons: Daniel Hale Went to Prison for Telling the Truth About US Drone Warfare. jacobinmag.com 05.08.2021.

[8] S. dazu Zur Tötung vorgeschlagen. https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/6517/

[9] Matthew Doran: Afghanistan war crimes report released by Defence Chief Angus Campbell includes evidence of 39 murders by special forces. abc.net.au 19.11.2020. S. dazu Bilanz von 18 Jahren. https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8449/

[10] Sönke Neitzel: Deutsche Krieger. Vom Kaiserreich zur Berliner Republik – eine Militärgeschichte. Berlin 2020. S. 547.

[11] Panorama Investigation: War crimes scandal exposed. bbc.co.uk 17.11.2019.

[12] Situation in Afghanistan. Summary of the Prosecutor’s Request for authorisation of an investigation pursuant to article 15. International Criminal Court. 20 November 2017.

[13] S. dazu Wer ist „Sam“, der deutsche Foltergesandte? https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/2733/

[14] Hans Leyendecker: „Hochkonkret“ oder „abstrakt“? sueddeutsche.de 01.11.2010.

[15] Brite bestätigt: KSK misshandelte Kurnaz. tagesspiegel.de 24.01.2008.