Sevim Dagdelen (Die Linke) in China: Für Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Über die deutsch-chinesischen Beziehungen im Licht der »Zeitenwende«.
Gastvortrag von Sevim Dagdelen an der Shanghai International Studies University

https://www.jungewelt.de/artikel/452038.interessenausgleich-f%C3%BCr-freiheit-frieden-und-gerechtigkeit.html

Auszüge:
Wenn wir über die deutsch-chinesischen Beziehungen 2023 im Licht der Zeitenwende der Emanzipation des globalen Südens sprechen, müssen wir zuallererst über ein wichtiges Buch zum Verständnis der Gegenwart sprechen. Es heißt »The Economic Weapon. The Rise of Sanctions as a Tool of Modern Warfare« (1) und ist 2022 in den USA erschienen.

Der Autor ist Nicholas Mulder, ein »Assistant Professor of European Modern History at Cornell University« (2).
Nicholas Mulder zeichnet präzise nach, wie historisch Wirtschafts- und Finanzsanktionen als Waffe im modernen Krieg entwickelt wurden, angefangen im Ersten Weltkrieg und 1919 vom damaligen US-Präsidenten Woodrow Wilson beschrieben in ihrer Wirkung als »something more tremendous than war« (3).

Es gilt zu konstatieren, dass die USA, die NATO und ihre Verbündeten in Asien, Australien und Europa nicht nur durch die Lieferung von immer mehr und immer schwereren Waffen an die Ukraine einen Stellvertreterkrieg gegen Russland führen, sondern auch einen Wirtschaftskrieg mit dem Ziel, so drückte sich die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock aus, »Russland zu ruinieren«. Wirtschaftssanktionen sind ein Mittel der modernen Kriegführung oder, um in Anlehnung an den preußischen Militärtheoretiker Carl von Clausewitz zu sprechen: Sie sind die Fortführung der Politik mit anderen Mitteln.

Was aber haben diese Wirtschaftssanktionen gegen Russland mit den deutsch-chinesischen Beziehungen zu tun, und inwiefern fördern sie nach einem mephistophelischen Prinzip eine Zeitenwende und eine Emanzipation des globalen Südens?
»Ein Teil von jener Kraft, / Die stets das Böse will und stets das Gute schafft« – so lässt Goethe Mephistopheles seine Wirkung im Buch »Faust« selbst beschreiben.
Dazu muss man wissen, dass die Sanktionen gegen Russland bisher ihre beabsichtigte Wirkung verfehlten. Auch wenn der wirtschaftliche Schaden für Russland sicherlich beträchtlich ist, leiden vor allem die Europäer unter dem Wirtschaftskrieg, allen voran Großbritannien und Deutschland, deren Ökonomien in eine Rezession gerutscht sind.
In Deutschland wird es wohl nach 2022 mit vier Prozent auch in diesem Jahr Reallohnverluste für die Beschäftigten geben. *)

Weil der durchschlagende Erfolg im Wirtschaftskrieg bisher ausblieb, hat man sich jetzt auf eine weitere Ausweitung der Sanktionen versteift. Und hier kommt China ins Spiel.
Denn weil man analysiert, dass auch mögliche Umgehungen der Russland-Sanktionen künftig getroffen werden sollen, hat die EU ein elftes Sanktionspaket aufgelegt, bei dem auch chinesische Firmen getroffen werden sollen.
Zwar wurde einschränkend betont – offenbar um die Reziprozität durch China abzumildern –, es handele sich nur um Sanktionen gegen chinesische Firmen, die nach Russland von der EU aus liefern. Aber überzeugend ist dieses Argument in einer Zeit der globalisierten Produktion nicht wirklich.
Zwar wurde das elfte Sanktionspaket von Ungarn und Griechenland erst einmal gestoppt, um ungarische und griechische Firmen von der eigenen ukrainischen Sanktionsliste löschen zu können, aber vieles spricht dafür, dass dieser Weg von der EU und auch leider von der Bundesregierung unerbittlich weiter verfolgt werden wird, da es die USA sind, die hier insbesondere auf eine Ausweitung der Sanktionen gegen chinesische Unternehmen drängen, aber selbst im Hintergrund bleiben wollen, damit die Reziprozität dann vor allem Europa treffen wird.

Vasallenverhältnis zu USA

Man muss betonen, welches Potential zum gegenseitigen Nutzen ein Ausbau der deutsch-chinesischen Beziehungen haben könnte – im kulturellen, wissenschaftlichen und im Bildungsbereich, aber auch in der Verstärkung der Handelsbeziehungen sowie der Förderung vernetzter Produktionsketten und der dafür erforderlichen Infrastruktur.
Gerade im Bereich der Lese- und Rechtschreibkompetenz für Grundschüler, wo Deutschland immer schlechter abschneidet und weit hinter China zurückgefallen ist, gäbe es, um nur ein Beispiel zu nennen, Möglichkeiten des gegenseitigen Lernens.

Das Haupthindernis aber auf dem Weg zur Förderung der deutsch-chinesischen Beziehungen sehe ich in der mangelnden Souveränität der Bundesrepublik Deutschland. **)
Gerade im Stellvertreterkrieg der NATO in der Ukraine zeigt sich, dass Berlin in Sekundenbruchteilen außenpolitische Entscheidungen Washingtons nachvollzieht und sich, wie an der Frage der Lieferung deutscher Panzer ablesbar, sogar in die erste Reihe des Krieges schieben lässt.
Die Situation in Deutschland erinnert an die Situation im Lateinamerika der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, bei der eine Kompradoren-Bourgeoisie die Interessen von US-Konzernen durchsetzt.
Oft wird dabei auf die massive Präsenz von US-Truppen in Deutschland verwiesen, die seit 78 Jahren stationiert sind, oder auf die engmaschigen transatlantischen Netzwerke in Politik, Medien und Wirtschaft. Aber als alleinige Erklärung für die extreme Willfährigkeit, mit der die deutsche Politik gegenüber den USA oft agiert, reicht dies nicht aus.

Seit 1990 hat der US-Investmentfond Blackrock, mit über zehn Billionen US-Dollar weltweit die größte Gesellschaft verwalteten Vermögens, enorm in Deutschland investiert.
Blackrock ist an allen 30 Dax-Unternehmen entscheidend beteiligt und größter Anteilseigner bei acht von ihnen.
Sicher, Blackrock investiert auch in China, aber in keinem Fall kann von einer derart starken Stellung wie in Deutschland gesprochen werden. Diese Zusammenballung wirtschaftlicher Macht wirkt sich auf politische Entscheidungen in Deutschland aus. Das scheint mir unbestritten.
Hier ist wie im Bereich der NATO ein weites Feld für wissenschaftliche Untersuchungen, inwieweit dieses Investment politisch dazu beiträgt, in ein Vasallenverhältnis Deutschlands gegenüber den USA und vor allem den US-Konzernen übersetzt zu werden.

Prinzip der zwei Schwächen

Im Schach gibt es für die Endspiele eine Regel, die man das »Prinzip der zwei Schwächen« nennt. Diese Regel wird vom Westen in der internationalen Politik weithin nicht beachtet.
Das »Prinzip der zwei Schwächen« besagt folgendes: Manchmal reicht es trotz vorteilhafter Stellung nicht zum Gewinn. Ersteht dem Gegner jedoch mehr als eine Schwäche, dann rückt der Sieg in greifbare Nähe. Denn ein Schachfeldzug an zwei Fronten führt zur Überlastung und am Ende zur Niederlage.
Wenn man sich die Debatte um die Ausweitung der Wirtschaftssanktionen anschaut, dann wird offenbar, wie wenig dieses wichtige Prinzip der zwei Schwächen in der politischen Praxis Anwendung im Westen findet.

Aber wie im Stellvertreterkrieg scheint am Ende das All-In, ein Alles-oder-nichts-Prinzip zu herrschen, bei dem sowohl das Risiko eines Dritten Weltkriegs und zumindest eines Weltwirtschaftskriegs wächst mit möglicherweise verheerenden Folgen für die Bevölkerung auf dem gesamten Globus.
Eine Politik am Roulettetisch aber führt noch sicherer in den absoluten Verlust. Alles, was seit Ende des Zweiten Weltkriegs auch an internationalen Institutionen aufgebaut wurde, um an die Stelle des Krieges die Diplomatie und die Kooperation zu setzen, drohte eingerissen zu werden.
Und auf diese Vernunft, die sich einer Apokalyptik der Spieler verweigert, müssen die deutsch-chinesischen Beziehungen in Gegenwart und Zukunft gründen.

Mit Bezug auf das erzeugte Gegenteil muss man die Emanzipation des globalen Südens als Resultat des Wirtschaftskriegs des Westens ins Kalkül ziehen.
80 Prozent der Welt beteiligen sich nicht an den westlichen Sanktionen.
Immer lauter werden hingegen die Rufe nach eigenen Handelswährungen, da nur diese vor den Drittwirkungen westlicher Sanktionen wie vor der modernen Kriegführung des Westens auf lange Sicht zu schützen scheinen.

Lenin war auch ein Schachspieler. Bekannt sind die Fotos im Exil auf Capri, die ihn im Spiel gegen Maxim Gorki 1908 zeigen. Im Schach gibt es immer die Empfehlung, der Theorie zu folgen.
Aber zugleich gilt der höher gestellte Grundsatz »Tue, was du tun musst«, um eine Praxis und aus ihr eine Theorie zu entwickeln, die auf Gewinn abzielt.
Bei der Verteidigung der russischen Revolution ist dieser höher gestellte Grundsatz voll zum Tragen gekommen, und hier meine ich jetzt nicht nur Lenins neue ökonomische Politik, sondern den Kongress der Völker des Ostens von 1920.
Mit ihm wurde nichts weniger als ein Bündnis der unterdrückten kolonisierten Völker mit der Arbeiterklasse vorgeschlagen.
Ein Bündnis, das auf Emanzipation zielte, um die Sowjetunion zu schützen gegen eine Restauration des Kapitalismus.

Manchmal sind 100 Jahre wie ein Tag. Gegen den Versuch, der Welt ein neokoloniales Korsett mit Stellvertreterkriegen und Wirtschaftskriegen aufzuzwingen, zeigt sich Widerstand im globalen Süden.
Von einem Bündnis der Arbeiterklasse im Westen mit den Völkern des Südens würde die gesamte Welt profitieren, um statt auf Rüstungswahn, wirtschaftlichen Abstieg und Putsche auf Diplomatie, Kooperation und gegenseitigen Interessenausgleich zu setzen: für Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit in dieser Welt.

Übersetzungsanmerkungen

1 Die wirtschaftliche Waffe. Der Aufstieg von Sanktionen als Instrument moderner Kriegführung
2 Juniorprofessor für moderne europäische Geschichte an der Cornell University
3 etwas Schrecklicheres als Krieg

*: Siehe https://josopon.wordpress.com/2023/05/09/erst-klaut-er-ihnen-30-ihres-bescheidenen-wohlstandes-dann-halt-er-sie-mit-einem-burgerdialog-zum-narr-en-olaf-scholz/

**: https://josopon.wordpress.com/2023/05/19/die-vasallisierung-europas/

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.
Jochen

Stammtisch der DFG-VK Nordschwaben am Dienstag 16.5.2023 in Nördlingen, dazu ein wichtiger Beitrag von Dr.Ingrid Pfanzelt, IPPNW, zur Geschichte, Spaltung und möglicher Versöhnung der Friedensbewegung

dfg logo 2020 03 18 12 01 15

Liebe Friedensfreunde,

unser nächstes Treffen findet statt
Dienstag 16.05.2023, 19.30 Uhr
Cafe Alexanderplatz im Keller
Polizeigasse 13, Nördlingen.
Eintritt frei.
Themenvorschlag ist der folgende, soeben auf den NachDenkSeiten erschienene Artikel – daher bitte lesen!
https://www.nachdenkseiten.de/?p=97631

Friedensbewegung #1, #2 & #3:
Der mühsame Weg in Richtung Frieden

Es ist kompliziert, sich für den Frieden zu engagieren. Heute gibt es nicht mehr eine Friedensbewegung, es sind inzwischen drei verschiedene: die Alte, die Neue und die ganz Neue.
Und leider gibt es zwischen den Gruppen wenig Eintracht, sodass die Kriegsbewegung – bestehend aus Politik, Rüstungsindustrie und tiefem Staat – leichtes Spiel hat, mehr und mehr Menschen auf Kriegskurs zu treiben bzw. zu halten. Analyse und Interview von Andrea Drescher.

#1

Die alte Friedensbewegung aufgrund des Vietnamkriegs wurde mitgetragen von den Protesten der 68er-Bewegung und ging Hand in Hand mit der Ökologie- und Anti-AKW-Bewegung der 70er- und 80er-Jahre auf die Straße. Die damaligen Aktivisten kamen zum großen Teil aus dem politisch linken Spektrum und waren mehrheitlich antifaschistisch, antiimperialistisch bzw. anti-amerikanisch. Ausnahmen wie Herbert Guhl bestätigen diese Regel. Man traf sich im Bonner Hofgarten, bei der Startbahn West oder in Wackersdorf, um nur einige Schauplätze der damaligen Zeit zu nennen.
Die Gründung der Grünen war eine Folge dieser Bewegungen, wobei ich mir sicher bin, dass sich die damaligen Urgesteine Petra Kelly und Gert Bastian von dem, was aus dieser Partei heute geworden ist, genauso scharf distanzieren würden, wie ich das tue.

Reste dieser alten Friedensbewegung sind noch in verschiedenen Bündnissen aktiv – die Anti-Siko in München ist ein Beispiel dafür. Auch eine „Antifa“ gibt es noch.
Erschreckend ist aber, wie sehr von vielen dieser Organisationen inzwischen das transatlantische Narrativ geteilt wird.
Von grundsätzlicher Systemkritik, wie ich sie aus meiner Jugend kannte, ist kaum mehr etwas zu spüren.

#2

2014 entstand die neue Friedensbewegung, initiiert von Lars Mährholz in Berlin als Mahnwachen für den Frieden, die regelmäßig jeden Montag auf der Straße zu finden war.
Auslöser war der sich abzeichnende Krieg in der Ukraine – der dann nach acht Jahren Dauerbeschuss des Donbass 2022 plötzlich und unerwartet ausgebrochen ist.
Aber auch andere Themen kamen aufs Tapet bzw. ans offene Mikro. Ob die Kriege in Syrien, Jemen und Israel, Umweltzerstörung durch Glyphosat und Regenwaldzerstörung, Freundschaft mit Russland oder das Finanz- und Wirtschaftssystem: Diese Friedensbewegung, die in ihrer besten Zeit in über 230 Städten im deutschsprachigen Raum stattfand, griff viele systemkritische Themen auf.

alles nazis ausser juttaInsbesondere die Kritik am Geldsystem führte dazu, dass man sie als antisemitisch erklärte, denn wer das Geldsystem kritisiert, war laut der „linken“ Ikone Jutta Ditfurth bereits ein struktureller Antisemit. Diese Tatsache und das – seltsamerweise medial forcierte – Aufkommen der PEGIDA-Bewegung, die mit den Mahnwachen in einen Topf geworfen wurde, führten sehr schnell dazu, dass alte und neue Friedensbewegung nicht zusammenkamen und die Mahnwachenbewegung an Schwung verlor.
Der „Zusammenhang“ zwischen Friedensbewegung und „Rechten“ – in späterer Folge dann Antisemitismus und Nationalsozialismus – war geschaffen. Systemkritiker standen im „rechten Eck“, was für viele, darunter auch mich, sehr überraschend kam.

#3

2020 entstand aufgrund der Grundrechtseinschränkungen durch die vermeintlichen Gefahren von Corona eine Freiheitsbewegung, die nach und nach unter einer Friedens- und Freiheitsbewegung firmierte bzw. zu dieser mutierte. Ein für mich erschreckend großer Anteil der Demonstranten hatte deutlich mehr als 50 Jahre auf dem Buckel, es gab Veranstaltungen, bei denen ich das Durchschnittsalter auf 60 geschätzt habe. Auf allen großen Demos habe ich Menschen mit Rollator oder Rollstuhl mitlaufen bzw. -rollen sehen.
Es waren sehr „bürgerliche“ Demos, es war ein sehr buntes Publikum, und bei vielen, die ich traf, stellte ich fest: „Wir hätten uns auch in Bonn, Wackersdorf oder auf der Startbahn West treffen können.“

Auch zahlreiche Aktive der Mahnwachenbewegung von 2014 waren dort zu finden, zumindest jene, die sich nicht vor der virtuellen – korrekt viralen – Gefahr fürchteten.
Als der Impfdruck zunahm, nahm auch der Anteil junger Menschen und Familien mit Kindern zu. Es waren – nach meiner Wahrnehmung – alle politischen Strömungen von „rechtsaußen“ bis „linksaußen“ vertreten. Die überwiegende Mehrheit bildete aber die bürgerliche Mitte – viele bis dato meist völlig unpolitische Menschen, die ihrem Recht auf körperliche Selbstbestimmung Ausdruck verleihen wollten. Das mediale Framing der zunächst nur maßnahmenkritischen Bewegung mit Begriffen wie „Corona-Leugner“, „Impfgegner“ und natürlich „Antisemiten“ und „Nazi“, wurde dann fast eins zu eins auch auf die Menschen übertragen, die – als der Maßnahmendruck zurückging, die Kriegsgefahr aber zunahm – weiter auf die Straße gingen.

Die perfekte Spaltung

Die „alte“ Friedensbewegung wollte bzw. will mit „den rechtsoffenen Demonstranten“ dieser Friedensbewegung #3 nichts zu tun haben.
Am 18. Februar gab es daher anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz gleich zwei Friedenskundgebungen und Demonstrationszüge.
Am Marienplatz traf sich die Anti-Siko der alten Friedensbewegung, zeitgleich mobilisierte „Macht Frieden“, ein Bündnis von Graswurzelbewegungen, dem auch „München steht auf“ angehört – also Vertreter der Friedensbewegung #3 – für eine Veranstaltung am Königsplatz.

Ähnliches wiederholte sich in München anlässlich des Ostermarsches. Das Orga-Team von „Macht Frieden“ respektierte den Zeitplan des traditionellen Ostermarsches und legte die eigene Veranstaltung auf den Nachmittag, sodass Teilnehmer der alten Friedensbewegung vom Marienplatz im Anschluss noch zur Kundgebung am Odeonsplatz kommen konnten.
Eine versöhnliche Geste, um Alt und Neu zusammenzubringen. Tatsächlich mischten sich dann einige der „Alten“ unter die „Neuen“, man kam in Kontakt, sprach miteinander und konnte vielleicht einige Vorurteile abbauen.

Ein weiterer Versuch, die Spaltung zu überwinden, war die Rede einer Friedensaktivistin aus dem traditionellen Lager auf der Kundgebung von „Macht Frieden“. Ich lernte sie auf dem Ostermarsch der neuen Friedensbewegung („FB“) kennen.
Dr. Ingrid Pfanzelt
war und ist in der alten Münchner Friedensbewegung #1 gut vernetzt. Jetzt engagiert sie sich zunehmend für die Friedensbewegung #3. Nur #2 hat sie ausgelassen, da sie 2014 und 2015 zu viel Zeit in der Flüchtlingshilfe verbracht hat. Ihr Anliegen ist es, mit dazu beizutragen, die Spaltung in der Friedensbewegung zu überwinden, wie sie mir im Interview erzählte.

Kannst Du Dich kurz persönlich vorstellen?

Gerne. Ich heiße Ingrid Pfanzelt, bin 1956 in der Nähe von München zur Welt gekommen, habe mein Medizinstudium in Italien begonnen und in München beendet.
Nach meiner Facharztausbildung in Psychosomatischer Medizin habe ich mich 1993 in einer Kassenpraxis als psychoanalytische Psychotherapeutin und Homöopathin niedergelassen, in der ich immer noch arbeite. Ich habe zwei erwachsene Söhne und lebe in München.

Friedenspolitisch ging es bei mir in den 80ern los. Es war damals im alternativen Milieu üblich, sich für den Frieden zu engagieren. Ich habe in einer Land-WG auf einem Bauernhof gelebt und war am Anfang bei den Grünen mit dabei. Die Friedensbewegung war ein Teil der Grünen, Gerd Bastian und Petra Kelly waren unsere Vorbilder. Das hat damals große Kraft entwickelt.
Diese politische Sozialisation war gepaart mit der Anti-AKW-Bewegung. Es war Teil unseres WG-Lebens, mit unserem klapprigen VW-Bus nach Wackersdorf zu fahren und uns mit Wasserwerfern von der Polizei von der Straße fegen zu lassen.

Diese frühe ökologische Bewegung, die auch Themen wie Naturheilkunde und Spiritualität einschloss, war geprägt durch einen sehr regierungskritischen Kurs, der aus der 68er-Bewegung entstanden war. Unsere Generation war noch geprägt von der Auseinandersetzung mit den Vätern, die sich im Nationalsozialismus schuldig gemacht hatten und nun wieder in hohen Ämtern waren.
Deshalb gehörte eine kritische Auseinandersetzung mit dem Staat und den staatlichen Entscheidungen gegen den Willen der Bürger – Wiederaufarbeitungsanlage oder NATO-Doppelbeschluss – zu unserem aufklärerischen Selbstverständnis. Mehrere Hunderttausend Demonstranten im Bonner Hofgarten waren ein starkes Zeichen dieser kritischen Generation an die Politik.
Diese großen Demonstrationen waren ein Event, das viel Energie gab. Wir waren beseelt von dem gemeinsamen Friedenswillen und der Hoffnung, die Politik durch unseren mächtigen Straßenprotest beeinflussen zu können. Für den Frieden zu demonstrieren, gehört also seit gut 40 Jahren zu meinem Leben.

Du engagierst Dich aber jetzt nicht nur auf Demonstrationen, sondern auch für die IPPNW. Wofür steht diese Organisation?

Die IPPNW, die „International Physicians for the Prevention of Nuclear War“, ist eine ärztliche Friedensorganisation. Sie wurde 1980 als gemeinsame Friedensarbeit von einem US-amerikanischen und einem russischen Arzt gegründet und bekam 1986 den Friedensnobelpreis. Ihr wichtigstes Ziel war und ist es, die Menschen weltweit über die Risiken eines Atomkrieges und die medizinischen Folgen atomarer Katastrophen aufzuklären und sich für ein generelles Verbot von Atomwaffen einzusetzen.
Aus der IPPNW entstand die ICAN-KampagneInternational Campaign to abolish Nuclear Weapons – die 2021 eine Ratifizierung des Atomwaffenverbotsvertrags in der UN erreichte und die dafür ebenfalls 2017 den Friedensnobelpreis bekam.
Jetzt wäre ein weltweites Verbot von Atomwaffen jederzeit möglich, wenn die Staaten, die diese Waffen besitzen, auch Deutschland, diesen Vertrag ebenfalls unterzeichnen würden.

Seit einigen Jahren leite ich zusammen mit einem Kollegen die Regionalgruppe Oberbayern der IPPNW. Wir sind Partner des FRIBÜ München. Im Namen der IPPNW halte ich regelmäßig Reden zu den Hiroshima-Tagen in München, die vom FRIBÜ organisiert werden.

Was ist das Friedensbündnis München?

Das ist ein Zusammenschluss von verschiedenen Friedensinitiativen in München, die u.a. seit vielen Jahren die Anti-Siko-Proteste veranstalten. Das Anti-Siko-Bündnis ist ja nur ein temporäres Bündnis, das sich im Herbst zusammenfindet, um die Proteste zur Sicherheitskonferenz im Februar zu organisieren, und sich anschließend wieder auflöst.
Die IPPNW war immer dabei – dieses Jahr gab es das erste Mal eine Schwierigkeit.

Von was für Schwierigkeiten sprichst Du?

Es gab einen Eklat mit den Leuten aus der Antifa, da bei Anti-Siko auch Vertreter der freien Linken mitmachen wollten. Da diese sich auch bei „München steht auf“ engagieren, kam der Vorwurf der Querfront hoch. Die Antifa bezeichnet nämlich alle, die gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße gehen, als rechtsoffen und AfD-nah.
Es begann eine massive Diffamierungskampagne gegen die freie Linke durch die Antifa.

In unserer IPPNW-Regionalgruppe gab es dann die Diskussion, ob wir das Anti-Siko-Bündnis verlassen sollen, nachdem die Antifa so aggressiv auftrat. Als Friedensorganisation können wir nicht in einem Bündnis mitwirken, das Diffamierung und Gewalt toleriert. Als sich das Bündnis dann aber auch deutlich gegen Extremismus von Links positionierte, sind wir als IPPNW dabeigeblieben.
Ob wir zukünftig weiter mitmachen, steht, ebenso wie unsere Rolle bei der zeitgleich zur Siko stattfindenden Friedenskonferenz in München, in den Sternen.

Wieso?

Die Spaltung betrifft jetzt auch die IPPNW-Regionalgruppe. Ich war als Regionalsprecherin dafür, mit der – wie Du sagst – ganz neuen Friedensbewegung zu kooperieren. Andere waren das nicht.

Wie stehst Du zu „München steht auf“ (MsA)?

Ich war anfänglich in der maßnahmenkritischen Bewegung nicht aktiv, wurde aber im Laufe der Zeit zunehmend kritischer gegenüber der Impfung und den Maßnahmen.
Ich fühlte mich eigentlich immer der linksgrünen Szene zugehörig und war früher bei den Grünen, bis sie begannen, gegen die Menschen zu hetzen, die sich nicht impfen lassen wollten. Das betraf mich auch. Als Katarina Schultze von den Grünen dann im Landtag forderte, dass Ungeimpfte nicht mehr in Supermärkte zum Einkaufen gehen dürften, bin ich endgültig ausgetreten.

Ich war einfach nur noch entsetzt und wollte etwas gegen diese unsägliche Politik tun. Darum bin ich dann auch mal mittwochs zu den Demos von MsA gegangen.
Ich vermisste in dem offiziellen Corona-Diskurs die kritischen Stimmen, die ich dort fand. Und diese Szene ist jung und dynamisch: Die Organisatoren von MsA kommen aus der Generation meiner Söhne. Ich war irritiert, wie wenig regierungskritisch sich gerade die linke Szene beim Corona-Thema verhielt. Das offizielle Narrativ wurde von ihr ebenso unreflektiert übernommen wie später das Ukraine-Kriegs-Narrativ. Eine regierungskritische Haltung nahmen nur die Corona-Proteste ein, sie ging nach Beginn des Ukraine-Krieges in eine Anti-Kriegs-Haltung über.
Das primäre Thema war dann die Forderung nach Frieden. Ich war sehr berührt, als nach dem Kriegsbeginn jeden Mittwoch bei den Umzügen von MsA der Ruf „Frieden schaffen ohne Waffen“ durch Münchens Straßen schallte. Das erinnerte mich an die Anfänge der FB.

Weil die Grundrechte-Bewegung schon seit drei Jahren den Straßenprotest organisiert, war es auch sie, die dann schnell einen Friedensprotest auf die Straße brachte – viel schneller als die Initiativen der alten Friedensbewegung. Deshalb habe ich versucht, Kooperationsmöglichkeiten zwischen alter und „neuer-neuer“ Friedensbewegung zu finden.
Es gab einige VertreterInnen des FRIBÜ, die kooperationsbereit waren. Mit ihnen veranstaltete die IPPNW-Regionalgruppe zusammen mit MsA und der „freien Linken“ eine Demo am 1. Oktober 2022, dem bundesweiten Aktionstag gegen den Ukraine-Krieg, auf der ich eine Rede hielt. Dabei kam es zu einem Eklat auf der Bühne. Ein Redner der Antifa beschimpfte die MsA-Teilnehmer der Demo als Nazis, mit denen man nicht auf einer Demo sein dürfe. Er übersah dabei, dass mindestens drei Viertel der Demonstranten Leute aus der Grundrechte-Bewegung waren.
Das zeigt recht gut die Realitätsverleugnung der Antifa.

Ich rief nach dieser Demo zu einer Dialoggruppe auf, die sich dann in regelmäßigen Abständen traf. Zwischen einzelnen Akteuren der alten und neuen FB entwickelte sich ein respektvoller und spannender Dialog, der allerdings nicht zu einer prinzipiellen Änderung der Haltung des FRIBÜ führte. Die Vorurteile sind leider nicht aufzubrechen. Es gibt zu große Widerstände vonseiten des FRIBÜ.
MsA als Vertreter der neuen FB ist kooperationsbereit, aber die Spaltung wurde von der Antifa forciert, und das Münchner Friedensbündnis konnte sich zu keiner eigenen friedensfähigen Position durchringen. Es wurde klar, dass sich in München zwei unterschiedliche Friedensbewegungen entwickelten.

Wie hast Du Deine Rolle als Brückenbauerin erlebt?

Einerseits als recht einsam, anstrengend und emotional verletzend, weil ich von meinen alten Weggefährten angegriffen und enttäuscht wurde.
Andererseits habe ich in der neuen Bewegung viele tolle jüngere Menschen kennengelernt, die einen offenen Geist und viel Mut haben, sich gegen den Strom zu stellen. Sie haben mich bei meinen Auftritten bei der neuen FB sehr unterstützt, denn mittlerweile werde auch ich von der SZ in die rechte Querdenker-Ecke gestellt. Das tut weh.

Mein sozialer Bezugsrahmen hat sich von Grund auf verändert. Frühere Freunde sind weggebrochen. Mit meinem Kollegen aus der IPPNW-Regionalgruppe hatte ich beispielsweise letzten Sommer vereinbart, dass wir beide versuchen möchten, Brücken zu bauen. Er ist auch Psychotherapeut, deshalb wollten wir den Dialog anstoßen.
Die erste Bewährungsprobe war dann die Vorbereitungsgruppe für die Friedenskonferenz, eine friedenspolitische Parallelveranstaltung zur Münchner Sicherheitskonferenz.

Die IPPNW ist seit einigen Jahren Mitveranstalter der FRIKO. Es kam die Idee auf, mit der Zivilgesellschaft mehr in Kontakt kommen, vielleicht eine Podiumsdiskussion mit Menschen zu führen, die sich noch nicht so lange für den Frieden engagieren. Mein Vorschlag, die Protagonisten von „München steht auf“ einzuladen, rief großen Widerstand und Ablehnung hervor. Es wurde unterstellt, dass das alles Rechte seien, obwohl niemand vom FRIKO-Team jemals mit den Leuten von MsA gesprochen hatte oder bei einer Demo gewesen war. Man folgte also nur den eigenen Vorurteilen.
Mein Kollege unterstützte mich leider nicht, sondern schloss sich den anderen an.

Ich habe mit vielen von „München steht auf“ gesprochen und kenne auch viele aus der Szene. Ich habe daher entsprechend dagegengehalten, da ich auf den Demos von MsA keine Rechten getroffen hatte, sondern nur Menschen begegnet war, die sich für Freiheit und Frieden engagieren. Aber meine ehemaligen politischen Weggefährten glaubten mir nicht, und mein Vorschlag wurde vom FRIKO-Team vehement zurückgewiesen. Als es dann noch um die Beurteilung einer Demonstration am 9. November ging, glaubte die FRIKO-Gruppe lieber der Süddeutschen Zeitung, die wieder einmal nur Nazis dort gesehen haben wollte, als mir, einer Augenzeugin, die vor Ort war.

Ich habe mich dann aus der Gruppe zurückgezogen, weil ich nicht mit Menschen zusammenarbeiten wollte, die selbst so wenig friedensfähig sind. Friedensfähigkeit bedeutet Gesprächsbereitschaft.
Eine Friedenskonferenz, auf der gefordert wird, dass Russland und die Ukraine sich zu Verhandlungen an einen Tisch setzen sollen, die aber selbst nicht zum Dialog bereit ist, verdient den Namen nicht. Diese Doppelmoral erleben wir zurzeit ständig in der Politik, da wollte ich nicht mitmachen. Es hat mich aber persönlich sehr getroffen, dass ich keine Unterstützung für meine Position von meinem Kollegen bekam. Unser gemeinsam abgesprochenes Brückenbau-Projekt war gescheitert. Nun musste ich allein weitermachen.
Ich empfand das so, als ob man mir in den Rücken fällt. Das hat sich dann später wiederholt.

Was ist denn passiert?

Einige Wochen später wurde ich von den Organisatoren der Anti-Siko-Demo des „Macht Frieden“-Bündnisses gefragt, ob ich auf ihrer Veranstaltung sprechen möchte. Der Vorstand von IPPNW verbot mir, dort in ihrem Namen zu sprechen, so wie ich das sonst immer tue. Die Begründung war: IPPNW dürfe nicht mit wissenschaftsfeindlichen, rechtsoffenen Corona-Leugnern in Verbindung gebracht werden.
So trat ich als Privatperson und nicht als Vertreterin der IPPNW auf. In einem Interview mit der SZ distanzierte sich dann der IPPNW-Vorsitzende von mir und behauptete, mein Auftritt sei nicht mit ihm abgesprochen gewesen, obwohl es natürlich abgesprochen war und das alles per Mail-Verkehr belegt ist.
Ich empfand das als sehr illoyal und persönlich verletzend. Es zeigt die tiefe Zerrissenheit in den herkömmlichen Friedensorganisationen. Wenn wir aber so miteinander umgehen, schwächen wir uns weiter systematisch selbst.

Wo siehst Du die größten Hindernisse einer Zusammenarbeit?

Die neue FB zeigte sich bisher sehr offen und kooperationsbereit. Vielleicht hat sie durch den medial angeheizten, scharfen Corona-Diskurs eine größere Dialogfähigkeit entwickelt als die traditionelle FB, die sich in den letzten Jahren des Friedens nicht mehr groß gesellschaftlich auseinandersetzen musste. Man hatte sich bequem in der Friedensnische eingerichtet.
Also liegen die größten Hindernisse meiner Erfahrung nach auf Seiten der alten FB. Das sind die unverrückbaren Bilder im Kopf, die Einordnung in ein politisches Raster mit links und rechts.

Die alten Aktivisten kommen aus der linken Szene und haben über die Jahre eine rigide linke Identität entwickelt, die nicht reflektiert werden kann.
Dann lässt man sich lieber von einer gewaltbereiten Antifa ein schlechtes Gewissen einreden, dass man nicht links genug sei und sich deshalb offensiv von allem distanzieren müsse, was die Antifa als Rechts definiert, statt sich eine neue, zeitgemäße Position zu erarbeiten.
Sie müsste sich allerdings fragen, was die hauptsächliche Aufgabe einer Friedensbewegung ist: Will sie einer radikalen linken Ideologie hundertprozentige Gefolgschaft leisten oder einen lagerübergreifenden Protest organisieren, um jetzt einen Krieg zu beenden?

Ein anderes Hindernis für eine Zusammenarbeit ist aber auch, dass sich die neue FB zu einem großen Teil aus der Grundrechtebewegung entwickelt, die während der Pandemie so diffamiert wurde.
Viele aus der alten FB waren mit den Corona-Maßnahmen konform und schlossen sich dem Vorurteil an, dass die Maßnahmenkritiker alle Corona leugnen und aus der rechten Ecke kommen würden.
Das zeigt ja auch die Reaktion des IPPNW-Vorstandes. Und plötzlich sollen diese „Aluhutträger“ ernst zu nehmende Friedensaktivisten sein? Das übersteigt die intellektuelle Flexibilität von altgedienten Friedensbewegten.
Da macht man es sich dann lieber einfach und stellt alle „Neuen“ unter den Verdacht, rechtsoffen zu sein.
In der Psychotherapie arbeite ich mit meinen Patienten immer daran, zu differenzieren. Wenn man in einem Gut-Böse-Schema stecken bleibt, gibt es keine psychische Entwicklung.
Diese Entwicklungsaufgabe müsste jetzt die alte FB leisten. Das Links-rechts-Schema taugt nichts mehr, wir müssen alle neu denken lernen.

Dazu gehört auch, einmal aus dem Kreislauf von Aktion und Reaktion herauszutreten und das gesellschaftspolitische Geschehen zu reflektieren. Als Psychoanalytikerin ist es mein tägliches Geschäft, die unbewusste Dynamik eines Verhaltens zu verstehen.
Warum tut sich also die alte FB so schwer, überhaupt einmal ins Gespräch zu kommen mit den Jungen? Ich glaube, da argumentiert die Antifa geschickt mit dem Vorwurf der Kontaktschuld.
Das heißt, man macht sich schuldig, wenn man Kontakt mit einem „Rechten“ hat. Sich schuldig zu machen, weil man die politische Gefahr von rechts nicht sehen könnte, die schon einmal Deutschland und die ganze Welt in den Abgrund gestürzt hat, davor fürchtet sich meine Generation, also die alte FB.
Ein Teil unserer politischen Identität wuchs aus der offensiven Abgrenzung gegen jegliche rechtsnationale Tendenz. Deshalb verfängt dieses Argument so gut. Dann wird kontraphobisch alles vermieden, was nur irgendwie in diese Richtung interpretiert werden könnte.

Schuldgefühle oder Angst zu erzeugen ist übrigens eine massenpsychologische Taktik. Mithilfe des sogenannten „Nudgings“ werden Affekte bewusst geschürt, um dann ein konformes Verhalten zu erzeugen, das den Akteuren im Hintergrund für ihre Zwecke dient.
In der Corona-Zeit war es die Angst vor Krankheit und Tod, jetzt ist es das Schuldgefühl, das die Agenda der Regierung stützt.
In beiden Fällen wird mit der Metapher von Ansteckung gearbeitet. Früher konnten wir uns mit einer Mikrobe anstecken, jetzt ist es das „Virus von rechts“. Und der Schutz vor Ansteckung ist in beiden Fällen die Vermeidung von menschlichem Kontakt.
Deshalb können rechtes und linkes Lager nicht zusammenkommen, solange diese irrationale Angst vor politischer Ansteckung herrscht.
Divide et impera
– die Spaltung der Gesellschaft dient den Mächtigen, um zu herrschen.

Wir brauchen wieder ein Zutrauen zu unserer gesunden Immunität – im physiologischen wie politischen Sinn. Dann können wir auch nicht von „rechts“ infiziert werden, selbst wenn wir mit Menschen in Kontakt kommen, deren politische Meinung in diese Richtung geht.

Was ist in deren Sinne denn „rechts“?

Das frage ich mich auch. Die alten politischen Koordinaten haben ja ausgedient, wenn die ehemals pazifistische Partei der Grünen für den Krieg wirbt und die AfD für Friedensverhandlungen.
Für eine friedensfähige Position ist es meiner Meinung nach auch nicht mehr so wichtig, aus welchem traditionellen politischen Lager man kommt.
Wenn man sich auf grundlegende Forderungen einigen kann, wie keine Waffen mehr zu liefern und Friedensverhandlungen aufzunehmen, ist das der kleinste gemeinsame Nenner, unter dem sich Menschen zusammentun können, die in anderen Punkten unterschiedlicher Meinung sein dürfen.

In der ganzen aufgeheizten Abgrenzungsdiskussion haben wir anscheinend vergessen, dass in einer parlamentarischen Demokratie die unterschiedlichen Parteien themenbezogen zusammenarbeiten.
Wenn ich auf einer Demo neben einem Mann gehe, der AfD wählt, aber jetzt für den Frieden demonstriert, ist er bei diesem Thema mein Mitstreiter. Deshalb muss ich nicht derselben Meinung wie er beim Thema Migration sein.
Und nur weil ich neben ihm gehe, bin ich nicht „rechts“. Dazu ist mein politisches Immunsystem zu stabil. Meine politischen Werte könnten sich aktuell eher an einer tiefen humanistischen und pazifistischen Haltung orientieren als an einem vereinfachten Links-rechts-Schema. Das wäre jetzt wichtig.
Wenn wir uns weiter in „links“ und „rechts“ spalten lassen, verrichten wir das Geschäft der Mächtigen selbst. Dann wird sich keine wirklich große neue FB entwickeln und die Kriegstreiber haben gewonnen.

Das mediale Framing funktioniert leider erstaunlich gut. Jeder Maßnahmenkritiker, jeder Impfskeptiker ist verdächtig, und dementsprechend werden „München steht auf“ und die Grundrechtebewegung als rechts wahrgenommen. Das gilt jetzt auch für alle, die für den Frieden auf die Straße gehen. Früher wurde man als „Corona-Leugner“, heute wird man als „Putinversteher“ beschimpft, wenn man nicht mit der Regierungspolitik einverstanden ist. Dabei muss Friedenspolitik doch immer Kritik an der Regierung sein, wenn diese einen Krieg unterstützt!

Wie meinst Du das?

Meine Entwicklung hin zu einer friedenspolitischen Position war, sich immer mit dem Regierungshandeln kritisch auseinanderzusetzen. Es ist logisch, dass die Maßnahmenkritiker auch kritisch beim Krieg sind, denn sie sind es, die der Regierung seit drei Jahren auf die Finger schauen. Aber ein kollektiver kritischer Geist, der in den 80er-Jahren etwas sehr Positives war, wird heute – insbesondere seit drei Jahren – negativ konnotiert. Dabei ist eine regierungskritische Haltung Grundvoraussetzung für die Friedensbewegung. Ich frage mich, warum nimmt die alte Friedensbewegung die regierungskritische Haltung der Grundrechtebewegung nicht als frischen Impuls für die eigene Mobilisierung auf?

Siehst Du eine Chance, die Gruppen zusammenzuführen?

Ich weiß es im Moment wirklich nicht. Die neue FB hat oft die Hand ausgesteckt, die von der alten nicht angenommen wurde, zumindest hier in München. Ich habe gehört, dass es in anderen Städten schon Annäherung gibt. Es wäre jetzt an den Alten, das Gespräch mit den Jungen zu suchen.
Es ist ja tatsächlich so, dass die Akteure der traditionellen FB alt sind. Wir sind nicht mehr viele und haben nicht mehr viel Kraft. Die Jungen können jetzt den Widerstand organisieren, sie haben Vitalität und Engagement und beherrschen die Klaviatur der sozialen Medien, um viele Menschen zu mobilisieren. Das wäre ein Booster für uns Alte!

Ich habe den Eindruck, die Widerstände gegen die Neuen werden gerade etwas geringer, weil man sieht, wie sich die Zahlen entwickeln. Am Königsplatz waren im Februar 20.000 Menschen, am Marienplatz nur 2.700. Bei der Osterkundgebung waren fünfmal so viel Leute bei „Macht Frieden“ wie beim traditionellen Ostermarsch.
Das Traurige ist aber, dass es insgesamt bei allen Kundgebungen viel zu wenige waren, wenn man sich die aktuelle Bedrohungslage ansieht. Vielleicht ist es gar nicht mehr so wichtig, dass die alte sich mit der neuen FB verbindet, denn die alte FB hat nicht mehr viel Gewicht. Die Neue muss ähnlich breit in der Gesellschaft aufgestellt werden wie damals in den 80ern.

Wo sind aber jetzt die Kirchen, die Gewerkschaften und die Klimabewegung? Die christliche Nächstenliebe ist doch eigentlich per se eine pazifistische Haltung, und gute Arbeitsbedingungen gibt es nur im Frieden. Wer sich für das Klima einsetzt, müsste sich auch für den Frieden engagieren, denn 5 Prozent der globalen CO2-Emissionen werden durch militärische Aktivitäten verursacht.
Durch den Ukraine-Krieg sind bisher 100 Mio. Tonnen CO2 zusätzlich in die Atmosphäre geschleudert worden. Die gigantische Zerstörung der Umwelt durch Krieg müsste doch alle Naturschützer zu Pazifisten machen. Der Krieg in der Ukraine ist nicht das notwendige Übel, um die Energiewende zu schaffen, wie uns einige erzählen wollen.
Der Krieg ist ein Teil der Klimakatastrophe. Deshalb müssten FFF und Letzte Generation sich der Friedensbewegung anschließen. IPPNW versucht schon seit Längerem, diese Gruppen für die Friedensarbeit zu gewinnen.

Wir dürfen nicht vergessen: Die Gefahr der nuklearen Eskalation wird immer größer. Wir waren noch nie so nahe an einem Atomkrieg wie aktuell. Deshalb wäre gerade jetzt die Stunde einer Friedensorganisation wie IPPNW, die seit 40 Jahren vor dem Atomkrieg warnt. Sie müsste sich mehr mit der neuen FB verbinden. Ein erster Schritt dazu wurde schon gemacht, als die IPPNW-Vorsitzende den Appell von Schwarzer / Wagenknecht unterzeichnete und deren Demo unterstützte. Die Berliner Demo war genauso lagerübergreifend wie die Münchner Anti-Siko-Demo am Königsplatz, deshalb ist es schwer verständlich, warum man sich von der Königsplatz-Demo eine Woche vorher noch so distanzierte. Aber vielleicht änderte sich in der Woche dazwischen etwas.
Jeder, der reinen Herzens für den Frieden ist, sollte in einer Friedensbewegung willkommen sein. Wir brauchen wieder eine starke Friedensbewegung wie in den 80ern, um diesen Krieg zu beenden, in dem jeden Tag tausend Menschen sterben, ein ganzes Land zerstört wird und die nukleare Katastrophe droht! Ich hoffe, dass wir das schaffen, bevor es zu spät ist.

Das hoffe ich auch. Einen 3. Weltkrieg braucht niemand. Danke für Dein Engagement! Wir sehen uns auf der Straße!

Unterstreichungen von mir.
Mit friedlichen Grüßen
Jochen, Sprecher der DFG-VK Nordschwaben, IPPNW

Unterschriftensammlung „Gewerkschafter sagen: Nein zum Krieg – Nein zum Krieg gegen den Sozialstaat“

Kollwitz_KriegIch hoffe, dass sich noch viele Gewerkschafter und andere Friedensfreunde dazu entschließen, den Aufruf zu unterschreiben !

Eine Unterschriftenliste zum Ausdrucken kann hier herunter geladen werden: Unterschriftensammlung

Ausgefüllte Listen, auch wenn nur eine Unterschrift darauf ist, bitte entweder per Post senden an: Gotthard Krupp, Postfach 120 364, 10593 Berlin oder per FAX an 030 3131662 oder einscannen und als .jpg an GotthardKrupp@t-online.de senden !

 

Politische Arbeitskreise für unabhängige Arbeitnehmerpolitik - Berlin

„Wer soziale Gerechtigkeit will, muss den Frieden erkämpfen“

Seit einem Jahr tobt ein grausamer Krieg in der Ukraine. Weder den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine noch die kriegerische Eskalation durch die Nato, unter Führung der USA, haben die russischen, die ukrainischen, und auch nicht die deutschen Arbeitnehmer*innen entschieden. Mit den Lieferungen immer schwererer Waffen und massiver Kriegsaufrüstung durch die europäischen Regierungen und die USA droht die Gefahr weiterer Eskalation, bis hin zu einem neuen Weltkrieg.

Für das 100 Milliarden Euro Aufrüstungsprogramm der Bundesregierung, inzwischen geht es um über 300 Milliarden Euro, und der Aufstockung der 2% des BIP des Rüstungshaushaltes auf 3% bis 2030 durch die Nato-Länder (für Deutschland ein zweistelliger Milliardenbetrag) soll die arbeitende Bevölkerung und Jugend einen hohen Preis bezahlen:

  • Mit einer neuen Offensive der Kaputtsparpolitik gegen die Krankenhäuser: Lauterbachs „Reform“ heißt das Aus für über 1.000 Kliniken.
  • Mit weiterem Reallohnverlust, so das „Angebot“ der öffentlichen Arbeitgeber, Regierungen…

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Europas Zukunft: Zehn Varianten des Abstiegs

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

dagmar henn

Ein intelligenter Kommentar von Dagmar Henn:
https://freeassange.rtde.live/meinung/168623-europas-zukunft-zehn-varianten-abstiegs/
Auszüge:

Es wird getan, als ginge es um die Ukraine; in Wirklichkeit geht es um eine Welt ohne Kolonialismus. Die überwiegende Mehrheit der Menschen in Europa könnte damit gut leben. Aber es fehlt die politische Kraft, um an die Stelle verbissener Verteidigung der alten Ordnung die neue zu setzen.

Überlegungen, wie die ganze gegenwärtige Krise – nicht nur in Bezug auf die ukrainische Front, sondern auf die globale Veränderung – für Europa enden könnte, beginnt man vielleicht am besten mit dem wünschenswerten Ergebnis. Für die weit überwiegende Mehrheit der europäischen Bevölkerungen wäre das eine Eingliederung in eine künftige Weltordnung souveräner Staaten mit gleichen Rechten.

In einer solchen Ordnung würden zwar die enormen Geldflüsse entfallen, die augenblicklich das Ergebnis der westlichen Macht sind, aber von diesen Geldflüssen profitiert nur eine verschwindende Minderheit. Für die allermeisten bieten die enormen, in wenigen Händen konzentrierten Geldbeträge nur Nachteile – um für all dieses Geld eine Verzinsung zu ermöglichen, steigen die Mieten und werden alle möglichen Lebensbereiche, wie das Gesundheitswesen, künstlich kommerzialisiert.

Nur als Beispiel dafür: In Deutschland besitzt gerade ein Prozent der Einwohner Wohnungen, in denen sie nicht selber leben. Darunter sind aber noch ein Menge Menschen, die etwa als Altersvorsorge genau eine Wohnung besitzen, die sie vermieten.
Nur dieses eine Prozent profitiert von den stetig steigenden Mieten. 99 Prozent haben davon einen Nachteil, denn selbst für die Eigentümer von selbstgenutztem Wohnraum wird der mögliche Vorteil eines steigenden Werts durch größere Probleme, dieses Eigentum überhaupt zu bilden, ausgeglichen.

Ein Verschwinden dieser Geldflüsse – was mit einem Bedeutungsverlust von Kolonialstrukturen wie IWF und Weltbank einhergeht – würde die Struktur des internationalen Handels verändern, der in vielen Bereichen heute von der Peripherie ins Zentrum fließt. An die Stelle des Abschöpfens müsste wieder ein Austausch von Gütern treten.
Dabei würde sich natürlich auch die Verteilung der Produktion ändern, weil eine Befreiung von kolonialen Lasten vielerorts eine nachholende Industrialisierung ermöglichen würde. Das heißt, die Rolle der jeweiligen Binnenmärkte würde in allen Ländern zunehmen.

Das klingt für deutsche Ohren, denen jahrzehntelang der Exportweltmeister als Ideal vorgesungen wurde, erst einmal irritierend, aber eine auf den Binnenmarkt konzentrierte Ökonomie ist für abhängig Beschäftigte ein Vorteil, weil die Löhne es ermöglichen müssen, die produzierten Waren auch zu erwerben.

Das wäre alles natürlich noch weit ausführlicher darzustellen; aber nehmen wir es einmal als gegeben an, dass eine Eingliederung auch der europäischen Länder in eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung möglich wäre.
Dennoch sind die politischen Machtverhältnisse augenblicklich derart von den Interessen maximal des obersten Promilles dominiert, das sich mit allen Kräften einer Veränderung der globalen Ordnung widersetzt. Um diese Zustände zu erhalten, wurden die demokratischen Mechanismen weitgehend außer Kraft gesetzt (die EU war dabei ein entscheidendes Mittel) und die öffentliche Meinung einer nie dagewesenen Kontrolle unterworfen. Wie also soll ein Weg von Zustand A in Zustand B möglich sein? Augenblicklich sind – trotz der massiven Proteste wie gerade in Frankreich – keine politischen Kräfte sichtbar, die im Stande wären, an den Machtverhältnissen im Innern des Westens etwas zu ändern.

Aber schließen wir die Möglichkeit nicht völlig aus; eine weitere Zuspitzung mag noch für Überraschungen sorgen.
Doch es gibt noch eine andere Variante, die aus einer westlichen Niederlage resultieren könnte, einen massiven wirtschaftlichen Zusammenbruch. Tatsächlich wäre dieser die zwangsläufige Konsequenz, wenn die erforderliche politische Anpassung an die geänderten globalen Verhältnisse nicht möglich ist.

Dabei sind folgende Punkte wichtig: Wirtschaftskrisen vom Kaliber 2008 oder 1929 sind chaotische Prozesse, und es hat zwar ab 2008 die Möglichkeit gegeben, die Folgen der Krise durch massive Geldschöpfung zu vertagen, aber weder war es möglich, ihre Entstehung zu verhindern, noch wurden die auslösenden Probleme auch nur ansatzweise gelöst.
Das heißt, wenn sich die verschiedenen Faktoren wie extreme Staatsverschuldung (insbesondere in den USA), massive Überbewertungen beispielsweise bei Immobilien und schwindender Einfluss des US-Dollars durch welchen Anstoß auch immer in eine große ökonomische Krise umsetzen, hat keine Regierung der Welt die Möglichkeit, das aufzuhalten.
Allerdings gibt es zwei Faktoren, die es möglich erscheinen lassen, dass diese Krise weitgehend auf den Westen beschränkt bleibt – je geringer der Einfluss des US-Dollars und je stärker die Abkopplung der ökonomischen Zonen, die der Westen mit seinen Sanktionen stetig weiter vorantreibt, desto besser die Chancen für den nichtwestlichen Teil der Welt, von dieser Krise nicht oder nur begrenzt betroffen zu werden.

Der ökonomische Zusammenbruch (denn darum würde es sich für den Westen handeln) ist gewissermaßen der Joker im Spiel, der zumindest partiell unabhängig von den militärischen und politischen Entwicklungen jederzeit auftauchen kann; einzig die Wahrscheinlichkeit des Eintritts steigt im Zeitverlauf beständig.
Dabei ist die wahrscheinlichste Variante eine Mischung aus der Weltwirtschaftskrise 1929 ff. und der deutschen Inflation 1923, also 2008 auf Steroiden mit einer Hyperinflation als Dreingabe. Falls, oder eher, wenn diese ökonomische Krise zuschlägt, dann ist der globale Westen handlungsunfähig, außer in einem einzigen Punkt, der leider ein Problem bleiben wird, solange in den USA die Neocons das Sagen haben – er befindet sich immer noch im Besitz nuklearer Waffen.
Diesen Punkt zu diskutieren, ist allerdings unnütz, das Ergebnis steht fest.

Diese ökonomische Erschütterung wird zwangsläufig, über kurz oder lang, auch das politische Gefüge erschüttern; schlicht deshalb, weil innerhalb des Bestehenden kein Ausweg möglich ist. Das Vertagen der Krisenfolgen wie nach 2008 funktioniert nicht mehr; sollten zu diesem Zeitpunkt noch größere Reste der alten Position des US-Dollars übrig sein, dürften sie sich nach Einsetzen dieser Krise in unvorstellbarer Geschwindigkeit verflüchtigen, schon allein, weil jeder Staat außerhalb des westlichen Kerns bemüht sein wird, in diese Entwicklung nicht mit hineingezogen zu werden.

Wie tief der Absturz wird, und wie lange es zu einer Erholung brauchen wird, hängt nicht nur in diesem rein ökonomischen Szenario davon ab, ob sich ausreichend politische Kräfte finden, die eine Rekonstituierung demokratischer Prozesse tragen und eine ökonomische Anpassung im Interesse der Bevölkerung vorzunehmen im Stande und willens sind.
Die gegenwärtige politische Elite in den europäischen Ländern dürfte dafür vollständig untauglich sein. Wobei die ganzen gegenwärtigen Bemühungen, einen Dissens und die Bildung politischer Gegenkräfte mit allen Mitteln zu verhindern, letztlich absurd sind – weder die globale Veränderung noch die ökonomische Krise werden dadurch verhindert, was bedeutet, dass letztlich dadurch auch die Macht der gegenwärtigen Eliten nicht gesichert werden kann; aber die Entwicklung eines Europas, das der Welt nicht mehr als Kolonialherr gegenübertritt, und damit die Möglichkeit eines Auswegs aus der Krise werden sabotiert.

Legen wir den Joker beiseite und betrachten, welche Entwicklungen auf der politischen Ebene möglich sind – ohne zu vergessen, dass in den meisten Versionen der Joker früher oder später dennoch ins Spiel kommt.

Die erste Version wäre eine lineare Verlängerung der Gegenwart. Die gesamte EU bleibt den USA völlig hörig, die USA selbst setzen ihr „Solange es nötig ist“ auf stetig weiter schrumpfendem Gebiet fort und eröffnen zusätzlich eine zweite Front gegen China, in die sich die EU ebenfalls ziehen lässt. Wenn man die Aussagen beispielsweise des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell liest, ist diese Version durchaus möglich.
Während die Kämpfe in der oder vielmehr um die Ukraine aufrechterhalten werden und langsam Richtung polnischer Grenze geschoben werden, könnte eine Auseinandersetzung zwischen den USA und China sehr schnell eskalieren, schlicht deshalb, weil in einem weitgehend maritimen Konflikt für China gar keine andere Möglichkeit bestünde, als die Flugzeugträgergruppen der USA anzugreifen. Freundliche Hilfe Russlands in der einen oder anderen Art, um auch mit den US-U-Booten umgehen zu können, kann man voraussetzen. Eine schnelle Eskalation hieße eine schnelle Niederlage der USA. Eine derart sichtbare, unverkennbare Niederlage, dass die ökonomische Krise vermutlich auf dem Fuß folgen würde.
Welche Folgen das in den gegenwärtig politisch tief gespaltenen USA hätte, ist schwer vorherzusagen, aber das wirksamste Mittel gegen ein Umschlagen in einen Bürgerkrieg könnte dann der Mangel an Munition sein.
Auf jeden Fall wäre das Resultat ein völliger Glaubwürdigkeitsverlust der einen Seite, und politische Instabilität. In vermindertem Maß gilt das auch für Europa, das zu diesem Zeitpunkt dank der mit Sicherheit eingeführten Sanktionen gegen China in einer Rezession steckt, selbst ohne Aktivierung der großen Krise. Das wäre dann ein langsamerer Abstieg, der aber, gerade weil langsamer, die Kontrolle durch die bestehende Macht verlängert und damit die Bildung politischer Gegenkräfte weiter verzögert.

Version zwei wäre ein mehr oder weniger schneller Rückzug der USA von der ukrainischen Front, um „die Hände frei“ für China zu haben, wie das jüngst der CDU-Verteidigungspolitiker in geradezu freudiger Erwartung formulierte, weil er eine „deutsche Führungsrolle“ in der Ukraine erhoffte. Das sind Untervarianten A und B –
A wäre eine Übernahme der Führung in der EU in Bezug auf die Ukraine durch Deutschland, was eine Verlangsamung zur Folge hätte (Russland hat es nicht eilig, und das deutsche Militär will sich auf keinen Fall in der Ukraine wiederfinden) und womöglich zu Versuchen von EU-Seite führt, das Ganze einschlafen zu lassen; eine realistischere Option, wenn die Grünen nicht länger Teil der Regierung wären. Es ist aber, dank der gründlichen Vorarbeit von Angela Merkel bei Minsk, nicht allzu wahrscheinlich, dass sich Russland auf deutsche Verhandlungspartner einlässt.
Schon der Versuch würde allerdings zu Problemen zumindest mit Polen und den Balten führen, die, gäbe es eine deutsche Regierung mit einem Ansatz von Rückgrat, durch Verweis auf die EU-Subventionen beherrschbar wären; allerdings auch nur, solange die EU als Rahmen existiert. Wenn allerdings die Mittel knapp werden, weil die EU in der Rezession versinkt, fehlt das Mittel, Polen zu kontrollieren, und ein abrupter Wechsel hin zu Untervariante B mit Billigung der USA ist nicht auszuschließen.
B: Das wäre die Eskalation durch den Einsatz polnischen Militärs, um den Krieg selbst dann fortzusetzen, wenn Kiew personell dazu nicht länger im Stande ist. Die bei weitem unberechenbarste Version, zum einen wegen der innigen Nähe der jetzigen polnischen Regierung zu den US-Neocons, zum anderen, weil die Reaktion der Bundesregierung auf polnische Reparationsforderungen, der nicht einmal ein Verweis auf Oberschlesien über die Lippen kam, fürchten lässt, dass sie in diesem Fall zwar zumindest eine Zeit lang das Mitmarschieren verweigern würde, aber nicht im Stande wäre, daraufhin auf Abstand zu gehen. In welchem Fall das Auftauchen des Jokers geradezu einer Erlösung aus einem langen Elend gleichkommen könnte. Außer, es fänden sich noch andere EU-Staaten, die das polnische Spiel nicht mitmachen wollten.

Vermutlich ebenfalls in Richtung der polnischen Variante dürfte es gehen, sollten in der Ukraine Armee und Staat plötzlich zusammenbrechen. Dann würde das Ganze wahrscheinlich mit einer humanitären Erzählung bekränzt, was dafür sorgt, dass Deutschland und Frankreich diesem Marsch in den Sumpf wenig entgegensetzen. Die EU-Spitze wäre ohnehin mit wehenden Fahnen mit dabei. Das Ergebnis wäre eine partielle Umkehrung der ersten polnischen Variante – erst die polnische Intervention, gefolgt vom Rückzug der USA, die sich dann darauf verlassen könnten, den Rest der EU in der Falle zu haben.
Das wäre der langsamste und schmerzhafteste Niedergang, enthielte aber bei einer entsprechenden russischen Reaktion und einem Durchmarsch bis weit in den Westen zumindest die Hoffnung, dass sich das Problem der gegenwärtigen politischen Eliten erledigt hat.

Das größte Risiko für das Bestehen der EU ist die Entwicklung in Frankreich. Dort dürften die Proteste zunehmen, wenn sich die wirtschaftliche Lage in der EU verschlechtert; aber für einen Sturz Macrons und ein Entrinnen aus der Umklammerung durch die EU dürften friedliche Proteste nicht genügen, auch dann nicht, wenn sie mit Generalstreiks kombiniert werden. Das haben die Auseinandersetzungen in der Euro-Krise in Griechenland und Portugal bewiesen. Nicht einmal 12 Prozent der Bevölkerung auf der Straße genügten 2013 in Portugal, auch nur die Regierung zum Rücktritt zu zwingen.
Ein Ende der EU, das die Voraussetzung für eine Rückkehr zu demokratischen Zuständen wäre, würde erfordern, dass mindestens Frankreich oder Deutschland aussteigt; ein Austritt Ungarns würde nicht genügen. Dass der ökonomische Angriff der USA auf Europa Deutschland als erstes Ziel hatte, hat die Binnenverhältnisse sogar stabilisiert, weil die deutsche Dominanz in den letzten beiden Jahrzehnten die Hauptquelle für Unmut war.
Die jetzigen europäischen Politiker dürften eher an diesem Rahmen festhalten, um damit die Möglichkeit ihres Sturzes zu verringern, selbst wenn das ganze Staatenbündnis bis zum Hals im Wasser steht.
Unter diesem Gesichtspunkt wäre die polnische Variante fast vorteilhaft, weil sie die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Zwangsrahmen zerbricht, etwas erhöht.

Gesetzt den Fall, der Krieg in der Ukraine schleppt sich ohne Ausweitung auf China hin bis zu den US-Wahlen, gäbe es noch die Variante, dass ein neu gewählter US-Präsident Donald Trump in Kiew anruft und trocken mitteilt, jetzt gäbe es nichts mehr, was das Problem Ukraine per Zusammenbruch lösen würde.
Die EU-Führung würde vermutlich einige Wochen brauchen, um sich von der Schockstarre zu erholen, aber eine kleinere Version des polnischen Szenarios ist dennoch nicht ausgeschlossen. Allerdings sind die US-Wahlen erst Ende 2024.

Gänzlich unwahrscheinlich ist leider die Version, dass die Führung der EU sich eines Besseren besinnt und sich von den USA abkoppelt. Das würde im Prinzip die weichste Landung ermöglichen – ein Ende der Unterstützung der Ukraine, eine geordnete Auflösung der EU und eine, wenn auch mühsame, Neuorientierung hin auf die multipolare Welt. Der beste Zeitpunkt dafür wäre der Moment, wenn die USA ihren Fokus auf China verschieben. Aber ein Blick auf das Brüsseler Personal genügt, um diese Version ins Reich der Märchen zu verweisen.

Eine wirklich optimistische Variante, nach der in ein, zwei, drei europäischen Ländern die vorhandenen Regierungen entmachtet und die NATO aus dem Land gekegelt wird, um anschließend unter zumindest möglicher Umgehung einer tiefen ökonomischen, politischen und sozialen Krise die Anpassung an die neuen Verhältnisse zu beginnen, ist derzeit nicht sichtbar.

Das ist die wirkliche Tragik der Entwicklung. Denn die europäische Geschichte ist nicht nur eine des jahrhundertelangen Raubes rund um die Welt, der von oben orchestriert wurde; sie ist auch eine Geschichte eines jahrhundertelangen Kampfes von unten um politische Rechte und die politische Macht; ein Kampf, ohne den weder die Idee von Menschenrechten noch von Demokratie noch die des Völkerrechts je geboren worden wäre.
Aber die Erinnerung an diesen Teil der Geschichte, mit seinen Siegen und Niederlagen, seinen Errungenschaften und Widersprüchen, wurde erfolgreich ausgelöscht.

Selbst die Franzosen scheinen vergessen zu haben, wie man die Bastille stürmt.

Mein Kommentar: Irgendwie habe ich hier nicht mitbekomen, wo die eine Version aufhört und die nächste anfängt. Nur den Schluss kann ich vollumfänglich teilen.
Über Eure Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.

Ukraine: Das Drehen an der Eskalationsspirale geht weiter

Nachrichten einer Leuchtturmwärterin

Siehe petraerler@substack.com

Ukraine: Das Drehen an der Eskalationsspirale geht weiter

Die Risiken steigen, jetzt auch noch im Umgang mit China

Am 5. Dezember 2022 berichte dasWall Street Journal, die USA hätten die an die Ukraine gelieferten Himars manipuliert, um deren Reichweite zu verringern. Russisches Territorium sollte nicht erreichbar sein.
Zur Begründung hieß es, dass sei eine notwendige Maßnahme, um eine Kriegsausweitung zu verhindern.

https://www.wsj.com/articles/u-s-altered-himars-rocket-launchers-to-keep-ukraine-from-firing-missiles-into-russia-11670214338

Das ganze Jahr 2022 war davon geprägt, dass die Unterstützung für die Ukraine auf keinen Fall dazu führen sollte, dass aus dem Stellvertreterkrieg eine direkte militärische Konfrontation mit Russland wird.
Diejenigen, die dieses Mantra wie eine Standarte hochhielten, erzählten allerdings auch, dass die Ukraine den Krieg gewinnt. Sie versicherten, dass die NATO der Ukraine „nur“ mit Aufklärung half und wiesen die Idee, mit Soldaten in die Kampfhandlungen einzugreifen, weit von sich. Falls sich westliche Militärs in die Ukraine verirrten, dann allenfalls als Söldner oder Freiwillige.
Nun aber ist die Katze aus dem Sack: Die Ukraine ist nicht auf dem Siegespfad, sondern auf der Verliererstraße, und das Oberkommando der US-Armee weiß das.
Denn das war der Adressat der geheimen Dokumente, die plötzlich in die Öffentlichkeit gelangten.
Dort war auch bekannt, dass es „boots on the ground“ gibt, in der Mehrzahl britische, aber Amerikaner sind auch dabei.
Offenbar weiß das auch der demokratische Gegenkandidat von Joe Biden, Kennedy, denn dessen Sohn war erklärtermaßen dabei.
Das Durchsickern der Kriegsrealität ist immer ein gefährlicher Augenblick. Wie geht man damit um, dass der „Siegfrieden“ nicht erreichbar scheint?

Die Versuchung scheint sehr groß, an der Eskalationsspirale weiter zu drehen.

Plötzlich erklärt der NATO-Generalsekretär ohne Not, der legitime Platz der Ukraine sei in den euro-atlantischen Strukturen.
Aktuell von der FAZ:
https://www.youtube.com/watch?v=LPQ5YoRtRsE&utm_source=substack&utm_medium=email&ab_channel=faz

Frau Nuland enthüllte schon vor einigen Wochen anlässlich einer Veranstaltung der Carnegie Stiftung, dass die USA von militärischen Anlagen auf der Krim wüssten. Das seien legitime militärische Ziele für die Ukraine. Die USA würden Angriffe darauf unterstützen. Der Kyiv Independent berichtete umgehend:
https://kyivindependent.com/nuland-us-supports-ukraine-striking-targets-in-crimea/

Nun hat offenbar auch der deutsche Verteidigungsminister gar kein Problem mehr, wenn es um tiefe militärische Schläge auf russisches Territorium geht, solange es nur keine Zivilisten trifft.
Alle wundern sich, wenn Medwedjew in gewohnt aggressiver Tonlage zurückschlägt.
Niemand wundert sich, wie es sein kann, dass alle möglichen westlichen Politiker in Kiew herumspazieren können, völlig ungefährdet. Keine einzige russische Waffe schlägt auch nur irgendwo in der ukrainischen Hauptstadt bei politischen Besuchsterminen ein, keine einzige Waffe wurde auf den Präsidentensitz, den Regierungssitz oder das ukrainische Parlament gerichtet.
Nur vom „Überraschungsbesuch“ des US-Präsidenten ist bekannt geworden, dass Washington und Moskau das vorher koordinierten und Moskau eine Sicherheitsgarantie aussprach. Man muss annehmen, dass es nicht die erste und nicht einzige blieb.
Auch in Syrien gab es Absprachen zwischen den USA und Russland, um zu verhindern, dass man versehentlich in eine direkte Konfrontation verstrickt ist.
Anscheinend ist das dem deutschen Verteidigungsminister nicht klar.
Ihm scheint offenbar auch nicht klar, dass eine Kriegsausweitung auf das Territorium des russischen Bären durch die Ukraine nicht aus eigenen militärischen Beständen geleistet würde. Die sind erschöpft. Die Ukraine könnte eine derartige Kriegsausweitung nur mit westlichem Gerät bewältigen, einschließlich solchem aus deutschen Lieferungen. Nimmt er das billigend in Kauf?
Selenskyj_beggingDer nimmermüde Melnyk hat das Kiewer Dilemma nun auf den Punkt gebracht: Die Ukraine brauche zehn Mal mehr westliche Militärhilfe, um die russische Aggression in diesem Jahr beenden zu können
Nach der Melnyk-Rechnung wären das 500 Mrd. Dollar Militärhilfe noch in diesem Jahr:
https://www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-ukraine-samstag-271.html

Melnyk mahnte den Westen, die „Dimension des Krieges“ zu begreifen. Was Kiew will, wäre schließlich nicht so teuer wie der Zweite Weltkrieg.
Ist das so?
Dass in Kiew gewusst wird, wie verzweifelt die Lage ist, war spätestens im Herbst 2021 eindeutig, als Präsident Selenskyj nach einem nuklearen Erstschlag der NATO auf Russland rief. Vermeintliche Sieger in einer Schlacht rufen nicht nach der Zerstörung des Gegners durch Dritte und schon gar nicht nach einem Atomkrieg.
Nur die Einsicht in eine drohende militärische Niederlage erklärt, warum ein „verirrter“ Einschlag einer angeblich russischen Rakete auf polnischem Territorium zur sofortigen präsidialen Feststellung in Kiew führte, nun sei der NATO-Bündnisfall gegeben.
Inzwischen berichtete die Washington Post, Kiew hätte bis Dezember 2022 auch mit dem Gedanken gespielt, in Syrien die Kurden zu benutzen, um die gegen Russland in Syrien in Stellung zu bringen.
Die Kurden hätten von Kiew allerdings die Ausbildung an den dafür notwendigen Waffen verlangt und Geheimhaltung.

https://www.washingtonpost.com/national-security/2023/04/20/russia-ukraine-war-syria-attacks/

Die Kurden dementierten alles. Aber irgendjemand hat der Washington Post so viele geheime Dokumente gegeben (300) und der/ die hat sich etwas dabei gedacht. Offenbar nahm die Washington Post an, auch dieses Dokument wäre echt. Sonst wäre nicht berichtet worden.
Die Washington Post ist überhaupt nicht verdächtig, pro-russisch zu sein. Ihr wird manchmal eine Nähe zur CIA unterstellt. Sei es wie es sei, es ist ein abenteuerlicher Gedanke, nun den Stellvertreterkrieg auf Syrien auszuweiten. Das hätte wie ein Sprengsatz in der NATO gewirkt, denn in der Frage der syrischen Kurden sind die USA und die Türkei schwer über Kreuz.
So muss man hoffen, dass der deutsche Verteidigungsminister auch wieder auf dem Boden der Realität landet.

500 Milliarden, die ein Sieg in diesem Jahr bräuchte – woher nehmen, wenn nicht stehlen?

Die NATO hat das Kriegsgerät nicht, dass sie der Ukraine liefern könnte, und was sie liefern könnte, könnten die Ukrainer nicht bedienen. Also muss man es als Ruf nach einem direkten Aufmarsch der NATO an der Seite der Ukraine betrachten. Oder als Teil einer Schuldzuweisung, wer am Ende den Krieg verlor, die Ukraine oder die NATO.
Es gibt kein deutsches Interesse, den Ukrainekonflikt zu einem Dritten Weltkrieg ausarten zu lassen.
Die Pistorius-Aussage lässt nur den Schluss zu, dass dem Mann die deutschen Interessen offenbar unklar sind, er das nachplappert, was einige Kreise in Washington und London vorplappern
Die Gefährlichkeit dieser Kreise ist nicht zu unterschätzen, denn die haben Selenkyj an ihrer Leine.
Die wissen am besten, dass sich das Fenster der Gelegenheit schließt (oder möglicherweise längst geschlossen hat), Russland ein für alle Mal „zu ruinieren“.
Das hat mit den Sanktionen leider nicht geklappt, trotz der Versicherung von Biden, der Rubel wäre demnächst nur noch „rubble“ (Schutt/Müll).
Das hat nicht mit der militärischen Unterstützung für die Ukraine geklappt.

Was fällt denen nun als Nächstes ein?

Es ist ja nicht nur die Ukraine, wo alle schönen Vorherrschaftsträume platzen. Eine ganze Welt ist in Bewegung geraten, in einer Weise, wie sich manche das nicht vorstellen konnten.
Russland und China sind verbündet. Keines der Länder ist isoliert. Der Nahe und Mittlere Osten befriedet sich selbst, unter russischem und chinesischem Einfluss.
Der französische Präsident will ein Verbündeter der USA bleiben, aber kein Vasall in Sachen Taiwan werden.
Das Theater um unlimitierte ukrainische Getreideexporte nach einigen mitteleuropäischen EU-Staaten, die deren lokale Märkte zerrütten, zeigt vor allem, dass in bestimmten sensiblen Sektoren die EU einen freien Handel mit Ukraine (trotz der des Krieges massiv eingeschränkten Kapazitäten) nicht verkraften kann, was eine zügige EU-Mitgliedschaft der Ukraine schon aus ökonomischen Gründen in weite Ferne verschiebt.
Das Diskussionsniveau (Dieser Streit freut Putin bzw. hoffentlich werde die polnische Regierung abgewählt, zeigt nur, dass Nachdenken rar geworden ist.)
Die viel beschworene Einigkeit der NATO ist mehr als brüchig, wie die unmittelbaren Reaktionen auf Stoltenbergs Ausführungen zu einer ukrainischen NATO-Mitgliedschaft zeigten.
Aus Berlin verlautete, das komme zu Unzeit und Budapest tweetete „What?

https://www.politico.eu/article/viktor-orban-hungary-ukraine-nato-membership-aspirations-twitter/

Und wie gesagt, da ist immer noch Macron, über den sich nun alle herzlich empören, auch wenn alle inzwischen wissen müssten, dass Macron seine Geistesblitze hat, aber nie nachhaltig agiert.
Aktuell erinnerte sich Macron, dass Taiwan nicht unabhängig ist, sondern anerkanntermaßen Teil von China.
Offenbar kennt er die offizielle US-Linie, wonach sie keine Unabhängigkeit Taiwans anstrebten, allerdings erwarten, dass alle (innerchinesischen) Konflikte friedlich gelöst werden.

https://www.state.gov/u-s-relations-with-taiwan/

Und schon „weiß“ jeder, Macron ist den Chinesen auf den Leim gegangen. Die lachen sich ins Fäustchen, wenn in der EU Streit herrscht, so wie die Russen angeblich auch immer den Dissens organisieren.
Tatsächlich verbalisierte Macron, dass es nicht im europäischen Interesse liegt, in einen tiefen Konflikt mit China zu stürzen. Denn die EU hat keine globale Machtambition. Das unterscheidet sie von den USA.
EU-KniefallDie USA haben weltweite Interessen und fühlen sich berechtigt, sie weltweit geltend zu machen. Seit längerem lassen die USA jeden wissen, dass sie die vorherrschende Macht im asiatisch-pazifischen Raum sind und bleiben wollen.

Taiwan ist nur die Strohpuppe.

Gemäß der Resolution 2758 der UN-Vollversammlung aus 1971 ist in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen der einzig legitime Vertreter Chinas die Chinesische Volksrepublik.

https://digitallibrary.un.org/record/192054

Insofern gibt es im Fall Taiwans Parallelen zur Ukraine, nur mit umgekehrten Vorzeichen. So wie die Ukraine zum Nagel im Fleisch Russlands erkoren wurde, ist es Taiwan im Fall Chinas.
Aus der Sicht Pekings ist Taiwan abtrünnig, aus der Sicht Kiews ist es der Donbass. In dem einen Fall erfolgen US-Militärhilfen nach Taiwan, im anderen gab es seit 2016 US-Militärhilfen zum Kampf gegen den Donbass. Das Ganze hat sich, wie jeder weiß, zu einem veritablen Stellvertreterkrieg ausgeweitet, der in einem Dritten Weltkrieg münden kann.

Und was macht die deutsche Außenministerin im Jahr 2023 in Peking?
Statt Peking zu versichern, Deutschland werde auf keinen Fall ein weiteres Drehen der Konfliktspirale mit China befürworten, sondern entschieden auf langfristige friedliche Kooperation und friedliche Streitbeilegung setzen, erklärte sie, man würde in Sachen Taiwan „keine Eskalation hinnehmen.“
Was heißt das denn?
Man kann es bedauern oder nicht, im Völkerrecht gibt es keinerlei rechtliche Grundlage für die Umsetzung solcher Drohgebärden. Was der Westen machen sollte, wäre die Versöhnung innerhalb China zu befördern, Aber das ist nicht der Plan.
Ein direkter Eingriff zugunsten Taiwans, wie ihn die USA immer wieder androhen, wäre völkerrechtswidrig.
Aber wen schert schon das Völkerrecht, wenn es um geopolitische Interessen der USA geht, bei denen Deutschland keinen Blumentopf zu gewinnen, aber alles zu verlieren hat.
Glücklicherweise gibt es in Deutschland innerhalb der SPD, aber auch in der Wirtschaft, noch Stimmen, die das begreifen. Dazu muss man nicht „vom Völkerrecht kommen“.
Es reicht, zu wissen, dass Konflikt und Konfliktanheizung in gerader Linie zum Zusammenbruch alles Vertrauens führen, was eine Grundlage des friedlichen Zusammenlebens von Staaten ist.
2004, als die große EU-Erweiterung erfolgte, fand es Deutschland wichtig, festzustellen, dass wir nunmehr nur noch von Freunden umgeben sind. Das ist Teil unserer nationalen Sicherheit.
Danach strebt jeder Staat. Jeder Staat hat das Recht dazu.
Es reicht, sich den Krieg in Europa vor Augen zu führen, um zu wissen, dass ein solcher Krieg im Ergebnis steht, wenn man durch die Welt trampelt wie ein Elefant im Porzellanladen, nur das Eigeninteresse vor Augen, nie um Ausgleich und schon gar nicht um Freundschaft besorgt.
Wir können uns noch so oft erzählen, alles wäre unprovoziert gewesen, an allem wäre nur das aggressive, imperiale Russland schuld. Das ist schlichte Selbsttäuschung.
Wir werden aus dem Fahrstuhl der Konflikteskalation nie aussteigen können, wenn wir die Täuschung nicht beenden.
2011 hat der inzwischen verstorbene Russlandexperten Cohen, der nie zu den „Falken“ in Washington zählte, in den USA die russische Sichtweise erklärt. Damals hat kaum einer zugehört.
Vielleicht könnte die deutsche Politik, die kürzlich in Kanzlergestalt versprach, ein bisschen mehr anderen zuhören zu wollen, das nunmehr nachholen und anfangen nachdenken.
Denn alles begann mit einem gebrochenen Versprechen im deutschen Einigungsprozess.

https://www.youtube.com/watch?v=mciLyG9iexE

Ulrike_Guérot-Oskar _LafontaineNoch als Nachtrag ein Hinweis auf eine hervorragende Videodiskussion vom 27.03.2023:

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.
Jochen

Ende des Ukraine-Stellvertreterkrieges: Eine Niederlage, die die Welt verändern wird

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

alexander neu

alexander neu

Aktuelle Analyse von Dr.Alexander Neu. Beide hier geschilderten Ausgänge sind für die deutsche Bevölkerung im Endeffekt nachteilig. Um so wichtiger wäre es, wenn unsere Regierung sich um eine diplomatische ausgleichende Lösung bemühen würde, die eine einvernehmliche Beendigung des Konflikts statt einem Alles-Oder-Nichts anstrebt.
Und hier auszugsweise der Text aus den NachDenkSeiten:
https://www.nachdenkseiten.de/?p=96345

Eine Niederlage, die die Welt verändern wird

Die Debatten zur bevorstehenden Frühjahrsoffensive der ukrainischen Sicherheitskräfte gegen die russische Armee zwecks Rückeroberung des verlorenen Territoriums laufen heiß. Überschattet wird diese Debatte um die Leaks eingestufter US-amerikanischer Dokumente. Da dieser Krieg ein mehrdimensionaler Krieg ist, mithin also auch ein Stellvertreterkrieg zwischen dem Westen und Russland, sollen in diesem Artikel die geopolitischen Implikationen der jeweiligen Niederlagen beleuchtet werden. Von Dr. Alexander Neu.

Ungeachtet des Ausgangs der angekündigten Frühjahrsoffensive, ob nun der definitive Showdown oder eine von vielen Offensiven der einen oder der anderen Konfliktseiten, soll im Folgenden über die Konsequenzen einer Niederlage, die irgendwann eine der beiden Konfliktseiten erleiden wird, reflektiert werden. Dabei sollen nicht die Niederlagen bzw. die diversen Formen der militärischen Niederlagen der Ukraine oder Russlands auf dem ukrainischen Schlachtfeld thematisiert werden.
Diesen Aspekt habe ich bereits in einem Beitrag mit dem Titel „Was heißt Sieg oder Niederlage für Russland versus für Ukraine und den Westen? Eine Analyse“ in den NachDenkSeiten im Februar beleuchtet: Der Sieg der einen Konfliktseite ist die Niederlage der anderen Konfliktseite auf dem Schlachtfeld – absolut oder in diversen Abstufungen, wie ich es dort ausgeführt habe.

Da dieser Krieg ein mehrdimensionaler Krieg ist, mithin also auch ein Stellvertreterkrieg zwischen dem Westen und Russland, vielleicht auch Chinas und anderer Staaten des Globalen Südens, sollen die geopolitischen Implikationen der jeweiligen Niederlagen beleuchtet werden – ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, da die Wirklichkeit nie in klaren Kategorien wirkt.

Szenario 1: Russlands Niederlage

Verlöre Russland den Krieg gegen die Ukraine und somit gegen den Westen, so wäre eine ganze Kettenreaktion von Konsequenzen für Russland und darüber hinaus denkbar, ja sogar in dem einen oder anderen Fall wahrscheinlich.

Erstens würde sich zeigen, dass Russland nicht einmal eine „Regionalmacht“ ist, um es mit den Worten B. Obamas zu benennen. Denn Russland erwiese sich als unfähig, einen Staat unmittelbar an seiner eigenen Grenze militärisch zu besiegen. Einmal von den diversen Unterstützungsmaßnahmen der NATO abgesehen, die tatsächlich bislang das militärische Überleben der Ukraine absichern – zwar zu einem enorm hohen menschlichen und infrastrukturellen Preis -, würde dieses Bild eines russischen Riesen auf tönernen Füßen vorherrschen.
Mit diesem Image als nicht einmal vollwertige Regionalmacht könnten sich Staaten im post-sowjeti­schen Raum (Kaukasus und Zentralasien) ermuntert sehen, neue Partner – vornehmlich im Westen zu suchen. Selbst wenn diese Staaten keinen eigenen Antrieb auswiesen, sich neue Partner zu suchen, könnten sie genötigt werden, sich dem „Sieger“ des Ukraine-Krieges „anzunähern“. Weißrussland wäre der vermutlich erste Kandidat, der in der euro-atlantischen Sphäre aufginge.

Mehr noch, die bislang mehr oder minder latenten Separatismusphänomene (Stichwort: Tschetschenien) insbesondere in der Kaukasusregion könnten wieder Auftrieb gewinnen. Der starke Mann Tschetscheniens, R. Kadyrow, ist zwar – noch – ein treuer Gefolgsmann Putins.

Angesichts dieses besonderen Loyalitätsverhältnisses genießt Tschetschenien eine – im Vergleich zu den übrigen föderalen Subjekten – herausragende Autonomie innerhalb der russischen Föderation. Jedoch könnten bei einer russischen Niederlage die innerrussischen Karten neu gemischt werden.
Dass ein solches Szenario nicht abwegig ist, zeigt die Flexibilität des Vaters und Amtsvorgängers von R. Kadyrow, A. Kadryow. Dieser rief 1994 im allgemeinen Schwächezustand der russischen Staatlichkeit unter B. Jelzin den Dschihad, also den Heiligen Krieg, gegen Russland aus. Später, 1999, wechselte er die Fronten und wurde 2003 zum Präsidenten des russischen Föderationssubjektes Tschetschenien. 2004 starb A. Kadyrow bei einem Anschlag.
Insbesondere das enge Loyalitätsverhältnis zwischen R. Kadyrow und W. Putin sichert den Bestand Tschetscheniens in der russischen Föderation. Was aber, wenn Russland den Krieg und somit auch die Autorität im eigenen Haus verliert? Zumal auch das politische Überleben des gegenwärtigen russischen Präsidenten, W. Putin, dann mehr als fragwürdig erscheint. Selbst wenn R. Kadyrow loyal zur russischen Staatlichkeit stünde, heißt das nicht, dass Kadyrow seine Macht dauerhaft sichern könnte, wenn sein bisheriger Schutzgarant W. Putin wegfiele.
Mit einem erneuten Aufbrechen eines Bürgerkrieges in Tschetschenien könnte ein separatistischer Dominoeffekt entstehen
– zunächst in den föderalen Subjekten des Kaukasus und ggf. darüber hinaus bis hin zur Dismembration der russischen Föderation.

Und tatsächlich wird in westlichen Redaktionsstuben und vielleicht auch Thinktanks und politischen Organisationen über die Zerschlagung der russischen Föderation spekuliert. Die Aussage des US-amerikanischen Verteidigungsministers Austin, „wir wollen, dass Russland so weit geschwächt wird, dass es zu etwas wie diesem Einmarsch in die Ukraine nicht mehr in der Lage ist“, offeriert sehr viel Interpretationsspielraum.
Diese Aussage muss nicht als der Wille zur Zerschlagung Russlands interpretiert werden, kann aber auch nicht ausgeschlossen werden – oder zumindest als nette Nebenwirkung nicht unwillkommen sein. Andere westliche Akteure reden da bereits Klartext unter dem Begriff „de-colonizing Russia“. So veröffentlichte das US-amerikanische Magazin „The Atlantic“ am 27. Mai 2022 einen Beitrag mit dem Titel „Decolonize Russia“.

Darin wird von „kolonialen Besitztümern“ des Kremls gesprochen und namentlich Tschetschenien, Tartastan, aber sogar Sibirien und die Arktis erwähnt. Der Autor C. Michel fordert, der Westen müsse das 1991 begonnene Projekt (gemeint ist die Auflösung der Sowjetunion) zu Ende führen.
Weiter: Der Kreml müsse sein Imperium verlieren, um das Risiko weiterer Kriege zu vermeiden, womit gedanklich an Austins Forderung der Schwächung Russlands zwecks Verhinderung seiner Kriegsfähigkeit angeknüpft wird.
csce-logoInwiefern diese Forderungen im politischen Washington diskutiert werden, zeigt sich an einem online-briefing unter dem Titel:
„DECOLONIZING RUSSIA – A Moral and Strategic Imperative“veranstaltet am 23. Juni 2022 durch die sogenannte „Commission on Security and Cooperation in Europe“ – auch bekannt als US-Helsinki-Kommission. Einer der Panelisten war der oben bereits erwähnte C. Michel.

Diese Institution ist nicht irgendein Thinktank oder eine regierungsseitig finanzierte NGO. Es handelt sich hierbei um eine staatliche bzw. eine Regierungskommission (csce.gov), deren Mitglieder nahezu vollständig aus den beiden US-Kongresskammern, dem Senat und dem Abgeordnetenhaus, entsandt werden. Sie werden vom US-Präsidenten, dem US-Außen­ministerium, dem Pentagon (US-Verteidigungsministerium), dem Handelsministerium und den Präsidenten des US-Senats sowie dem Sprecher des Repräsentantenhauses bestimmt.
Die US-Helsinki-Kommission beschreibt ihren Charakter als eine „unabhängige US-Regierungs­kommission, welche amerikanische nationale Sicherheit und nationale Interessen voranbringt durch die Förderung von Menschenrechten, militärischer Sicherheit und wirtschaftlicher Zusammenarbeit in 57 Staaten“. Die US-Kommission versteht sich somit als selbstmandatierter Hüter der OSZE und deren Ziele – ist mithin kein OSZE-Organ.

Und diese Kommission debattiert ernsthaft über die Zerlegung Russlands. Dass diese Diskussion über eine Zerschlagung der russischen Staatlichkeit Moskau nicht verborgen bleibt, versteht sich von selbst.
So verkündete Russland jüngst eine aktualisierte außenpolitische Strategie, in der der Westen als „existenzielle Bedrohung” für Russland qualifiziert wird sowie die Absicht, die „Dominanz der Vereinigten Staaten und anderer unfreundlicher Länder in der Weltpolitik“ zu beseitigen.

Die Niederlage Russlands würde einen Prozess beschleunigen und intensivieren, der für Russland ein zentrales Motiv für den Krieg gegen die Ukraine darstellt. Erstens die fortgesetzte NATO-Erweiterung – auch weiter in den post-sowjetischen Raum hinein.
Und zweitens würde die Ukraine zu einem hochgerüsteten anti-russischen Bollwerk mit dem Image, Russland besiegt zu haben, ausgebaut. Westliche, vor allem US-amerikanische und polnische Truppen würden direkt an der Grenze Russlands stationiert werden.
Ein für Russland dauerhaftes Trauma. Bereits jetzt hat sich die NATO mit der Aufnahme Finnlands um weitere 1.300 Kilometer an der russischen Grenze erweitert.

Szenario 2: Niederlage der Ukraine

Die Niederlage der Ukraine wäre auch angesichts des Stellvertreterkrieges eine Niederlage des Westens. Es hätte massive Auswirkungen auf das Image der USA als Supermacht, der NATO als größte und mächtigste Militärallianz der Menschheitsgeschichte, der EU als europäisches Integrationsprojekt und der Ambition, unter Führung der USA ein Juniorglobalplayer zu sein.
Es hätte Auswirkungen im Verhältnis der europäischen, insbesondere der osteuropäischen Staaten zu Russland. Auch wenn die NATO- und EU-Mitgliedsstaaten angesichts des Krieges näher zusammengerückt sind, muss es kein Dauerzustand werden. Diese beiden internationalen Regierungsorganisationen bestehen aus Nationalstaaten mit eigentlich auch jeweiligen nationalen Interessen.
So schert beispielsweise Ungarn immer wieder aus dem Chor aus und unterhält bilaterale Sonderbeziehungen mit Russland, wie jüngst mit der Sicherung zusätzlicher Energieströme, was von den westlichen Partnern nicht mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen wird. Doch im Einzelnen:

USA

Der relative Machtverlust der USA im globalen System würde beschleunigt. Nicht zuletzt dürfte der fluchtartige Rückzug der USA aus Afghanistan 2021 dazu beigetragen haben, dass die USA als kein zuverlässiger Schutzfaktor mehr wahrgenommen werden.
Der Einfluss der USA selbst auf historische Verbündete wie Saudi-Arabien nimmt bereits jetzt ab. Saudi-Ara­bien scheint sich auf Verhandlungsinitiative Chinas mit dem Iran auszusöhnen, und plötzlich ist der Frieden für den Jemen möglich. Syrien und das NATO-Mitglied Türkei nähern sich unter russischer Vermittlung wieder an. In beiden Fällen spielen die USA nicht nur keine Rolle, sondern die Vermittlungen unterlaufen sogar die geopolitischen Interessen Washingtons.
Die OPEC+ hat kürzlich beschlossen, die Fördermengen, wie von den USA gefordert, nicht zu erhöhen, sondern, wie von Russland gewollt, abzusenken.
Die De-Dollarisierung, also der Abbau der Nutzung des US-Dollars für den internationalen Handel, nimmt immer schnellere Formen an. Immer mehr Staaten finanzieren ihren bilateralen Handel mit ihren Nationalwährungen. Das Zahlungssystem SWIFT erhält perspektivisch Konkurrenz, sodass die nicht-westliche Welt künftig sich dem Sanktionsdruck der USA auch in diesem Bereich immer mehr zu entziehen vermag, womit das inflationär verwendete Schwert der US-Sanktions­politik zur Disziplinierung unbotmäßiger Staaten an Effektivität verlieren wird.

Mit diesen Maßnahmen schwinden die Einflussmöglichkeiten und gleichsam die Einnahmen der USA, womit sich mittelfristig die Frage stellen wird, ob die USA ihre Militärausgaben (858 Mrd. US-Dollar im laufenden Haushaltsjahr 2023) weiterhin stemmen werden können, ob sie die nahezu 1.000 US-Militärstandorte auf den diversen Kontinenten, mit denen die USA ihre militärische Macht projizieren, weiter unterhalten können, etc.

NATO

Dieser US-amerikanische Machtverlust wirkte sich unmittelbar auf die Kohärenz der NATO aus. Es setzten sich vermutlich zentrifugale Kräfte frei, da das Image der NATO, die diesen Krieg selbst zum Schicksal ihres Seins erklärt hat, als wirkmächtigste Militärallianz in der Menschheitsgeschichte effektiv beschädigt wäre und sodann eine nie dagewesene Legitimationskrise erzeugte.
Wenn 31 Mitgliedsstaaten mit einem Militärbudget von über 1,175 Billionen US-Dollar (Stand 2021), davon alleine die USA 801 Mrd. US-Dollar (Stand 2021), und einem Gesamt-BIP von nahezu 40 Billionen US-Dollar (Stand 2021) im Vergleich zu Russland mit einem Militärbudget von 66 Mrd. US-Dollar (Stand 2021) und einem BIP mit vergleichbar mageren 1,8 Billionen US-Dollar (Stand 2021) eine Niederlage einfahren, dann hinterlässt dies einen katastrophalen Eindruck auf den Rest der Welt.

Europäische Union

Die EU, die sich derweil zunehmend an den USA ausrichtet und sich den US-Vorgaben bereitwillig fügt, müsste sich angesichts einer westlichen Niederlage im Sinne des Aspekts einer echten europäischen Souveränität wohl neu erfinden, will sie nicht in die absolute Bedeutungslosigkeit stürzen.
Vielleicht würden im Falle einer Niederlage die Vorstellungen des französischen Präsidenten E. Macron von einem selbstständigeren Europa dann doch auch konstruktive Debatten in den übrigen europäischen Hauptstädten und in Brüssel entfalten, statt sie durch gesinnungsethische Reflexe als quasi Hochverrat zu brandmarken.
Sollte der künftige US-Präsident wieder D. Trump heißen oder jemand von seinem Typus, müsste diese Debatte in Europa ohnehin nolens volens alsbald geführt werden
. Für ein souveränes und selbstständiges Europa zu sein, heißt nicht gegen die USA zu sein, es sei denn, man betrachtet alles jenseits der Unterwerfung unter die USA als anti-amerikanisch. Dass es solch unterkomplexes Denken gibt, zeigen die gegenwärtigen Reaktionen auf Macrons Äußerungen.

Russland würde als Sieger hingegen vermutlich bestrebt sein, entweder die EU zu zerlegen und zu den europäischen Staaten jeweils bilaterale Beziehungen gemäß den russischen Interessen aufzubauen. Oder aber sich die EU gefügig zu machen, um einen „unfreundlichen“ Akteur dauerhaft auszuschalten.
Eine EU ist weder unter US-amerikanischer noch unter russischer Führung für uns Europäer wünschenswert – unsere Interessen sind bei seriöser Betrachtung weder mit denen Russlands noch mit denen der USA deckungsgleich.

Fazit

Der Epochenwandel von der unipolaren westlichen hin zu einer multipolaren Weltordnung wird durch eine kriegerische Unordnung begleitet.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und der damit einhergehende Stellvertreterkrieg sind eindeutige – zwar nicht zwangsläufige, jedoch erwartbare – Symptome des Epochenwandels. Zugleich manifestiert und beschleunigt der Krieg den Epochenwandel. Selbst wenn Russland den Krieg mit all den oben genannten möglichen Konsequenzen verlieren sollte, scheint mir der Entwicklungsprozess hin zu einer neuen multipolaren Weltordnung, in der China und der Globale Süden als Kraftzentren die internationale Ordnung mitgestalten werden, unaufhaltsam.
Eine Niederlage Russlands würde sicherlich den Transformationsprozess verlangsamen und vor allem China in eine schwierige Situation bringen, da der große Partner im Norden, also Russland, wegfiele
. Ein zerlegtes oder gar ein pro-westliches Russland stellte für China das Worst-case-Szenario in den geo-, sicherheits- und energiepolitischen Entwicklungen dar.

Der Westen würde im Falle einer Niederlage in atemberaubendem Tempo an globaler Macht einbüßen. Internationale Regierungsorganisationen, die aufgrund westlicher Blockade sich den neuen Machtverhältnissen nicht anpassten, würden durch neue internationale Foren und Institutionen unter Führung der BRICS-Staaten marginalisiert.

Schon jetzt sind die G20 relevanter als die G7. Schon jetzt wenden sich immer mehr Staaten aus allen Kontinenten dem BRICS-Format zu.

Beide Maximalziele, die mögliche Zerschlagung der russischen Staatlichkeit auf der einen sowie die „Beseitigung“ der westlichen Dominanz auf der anderen Seite, zeigen zwei Dinge: Erstens, es handelt sich, wie kritische Beobachter von Anfang an feststellten, eben nicht nur um einen ukrainisch-russischen Regionalkrieg, sondern auch und vor allem um einen geopolitischen Weltordnungskrieg zwischen dem Westen und Russland und ggf. weiteren Staaten der nicht-westlichen Welt.
Und zweitens, die Entschlossenheit beider Seiten wirkt wie zwei aufeinanderzu rasende Züge, bei denen jeweils die Bremsen zuvor mit Absicht ausgebaut wurden, um der Gegenseite die eigene Entschlossenheit zu demonstrieren – keine gute Perspektive für den Weltfrieden.

Bei Russland geht es in diesem Konflikt als Minimalziel um die Sicherung des Status als Großmacht sowie den Anspruch, dass seine Sicherheitsinteressen und somit seine staatliche Existenz berücksichtigt werden – maximal um die Beseitigung der westlichen Globaldominanz und, wenn möglich, um die Kontrolle über den post-sowjetischen Bereich und über Europa.

Für den Westen geht es um das Anhalten und bestenfalls Zurückdrehen der Uhr in Richtung der von den USA geführten unipolaren Weltordnung.
Mindestens aber um das staatliche Überleben der Ukraine und ihrer wie auch immer gearteten Anbindung an EU und NATO.

Die Realität einer Niederlage für die eine oder andere Seite wird jeweils irgendwo im breiten Spektrum liegen.

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Wie recht er doch hatte: Fritz Pleitgen über die Ukraine-Krise im Jahr 2014

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Aus der SChweiz kommt eine Erinnerung:
https://globalbridge.ch/wir-recht-er-doch-hatte-fritz-pleitgen-ueber-die-ukraine-krise-im-jahr-2014/

Auszüge:

(Red.) Fritz Ferdinand Pleitgen, geboren 1938 in Duisburg und gestorben am 15. September 2022 in Köln, war mehr als nur ein prominenter Journalist. Von 1995 bis 2007 war Pleitgen Intendant des Westdeutschen Rundfunks, von 2001 bis 2002 Vorsitzender der ARD und von 2006 bis 2008 Präsident der Europäischen Rundfunkunion EBU. Vor allem aber war er ein blitzgescheiter Beobachter, Analyst und Kommentator.
Im Herbst 2014 schrieb er für die damalige deutsche Vierteljahreszeitschrift DIE GAZETTE einen Beitrag über die Ukraine-Krise unter der Headline «Das EU-Abkommen als Provokation». Hätten die deutschen Politiker diesen Artikel gelesen, zu verstehen versucht und in großer Schrift übers Bett gehängt, wir hätten heute keinen Krieg in der Ukraine.
Es lohnt sich, diesen Artikel heute nochmals zu lesen, um zu verstehen, warum die westlichen politischen Decision-Makers heute eine völlig falsche und vor allem hochgefährliche Politik betreiben.(cm)

Die westlichen Regierungen – und leider auch fast alle westlichen Medien – machen es sich einfach: Die Ukraine-Krise ist allein Putins Werk.
Doch ganz so simpel ist es nicht. Die EU hat mit ihrer Forderung an die Ukraine, sich in ihrer Ausrichtung zwischen der EU und Russland zu entscheiden, die ukrainischen Eigenheiten und Realitäten klar missachtet. Die damit entstandene Zerreißprobe geht aufs Konto der EU.

In der Ukraine-Krise haben wir ein eindeutiges Bild. Die Guten sind im Westen, der Schurke sitzt im Kreml.
Die Sichtweise ist praktisch. Mag die Situation immer komplizierter werden, mögen die Ereignisse eine unfassbare Dynamik entfalten, wir haben ein sicheres Urteil: hinter allem Übel steckt Putin, der russische Präsident. Von Anfang an!

Die Vorwürfe, die gegenüber Wladimir Putin erhoben werden, sind in der Tat schwerwiegend. Die Annexion der Krim, die nach einer Volksabstimmung unter Bedingungen einer militärischen Besetzung durchgezogen wurde, ist mit den Prinzipien KSZE-Schlussakte von Helsinki nicht zu vereinbaren. Das Gleiche gilt für die militärische Unterstützung der Separatisten im souveränen Nachbarstaat Ukraine. Wenn Vorgänge dieser Art akzeptierte Praxis werden, dann geht Europa mit Sicherheit schweren Zeiten entgegen.

Aber wie ist es zu dieser Entwicklung gekommen? Wenn sich Historiker künftiger Generationen frei von Emotionen und Vorurteilen mit der Ukraine-Krise beschäftigen sollten, dann werden sie den Westen kaum von erheblicher Mitschuld freisprechen können.
Sie werden, so fürchte ich, mit wissenschaftlicher Kühle feststellen, dass die schwerste Ost/ West-Krise seit dem Berliner Mauerbau durch das Vorhaben der Europäischen Union ausgelöst wurde, ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine abzuschließen.

Was hat die EU falsch gemacht? Sie hat, um es mit den Worten des deutschen Sicherheitsexperten Wolfgang Ischinger zu sagen, die Ukraine-Verhandlungen betrieben, als handele es sich um einen Staat wie Island. Wohl wahr!
Der Vergleich macht die Fahrlässigkeit deutlich, mit der die Europäische Union vorgegangen ist. Von allen potenziellen Assoziierungskandidaten war und ist die Ukraine, was die innere Verfassung und die geopolitische Lage angeht, der mit Abstand problematischste.

In dem Land am Dnjepr hat sich zwar seit dem 19. Jahrhundert eine nationale Identität entwickelt, aber geschichtlich, religiös und kulturell ist es alles andere als homogen. Durch die Ukraine verläuft, so der Historiker Heinrich August Winkler, die historische Grenze zwischen dem lateinischen und dem orthodoxen Europa. Der eine und größere Teil will nach Westen, der andere ist eher Russland zugewandt.

Die Ukraine, ein Staat in fragiler Verfassung

Geschichtlich hat das Land seit der Kiewer Rus mit 1 500 Jahren zwar eine beachtliche Strecke zurückgelegt, aber als unabhängige staatliche Einheit ist es mit gut zwei Jahrzehnten noch blutjung und auf Grund seiner Geschichte entsprechend ungefestigt.
Der Ukraine wäre noch einige Zeit zu gönnen gewesen, um zu einer geschlossenen nationalen Identität zu finden. Ein Staat in dieser fragilen Verfassung hätte vernünftigerweise nicht einer extremen Zerreißprobe ausgesetzt werden dürfen.

Verbietet sich deshalb ein Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine? Keineswegs! Es kommt auf die Umstände an.
Das Land gehört zweifelsfrei zu Europa. Es befindet sich in größten wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten, es braucht dringend Hilfe. Aber Hilfe für einen Staat ist nicht so einfach.
Die EU hat es bislang nicht geschafft, trotz des Einsatzes von Milliarden Euro das kleine Griechenland aus dem Schlamassel zu holen. *) Wie soll das für die weit größere Ukraine mit ihren noch grundsätzlicheren Problemen funktionieren?

Für eine wirkungsvolle Unterstützung müssten die bestmöglichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Im Fall der Ukraine wurden sie eher abgeschafft.
Das Land benötigt für seine wirtschaftliche Gesundung mit Sicherheit auch den russischen Markt, mit dem es bislang eng verflochten war.
In den Ländern der EU werden sich die ukrainischen Produkte schwer absetzen lassen. Deshalb wäre es ratsam gewesen, für ein Assoziierungsabkommen ein Konzept zu entwickeln, das Russland in einer erträglichen Form mit einschließt.

Nun haben wir Konfrontation statt Gemeinsamkeit. Dass es so gekommen ist, daran trägt nach gängiger westlicher Darstellung und Überzeugung allein Putin Schuld. Stimmt das?
Man muss kein Globalstratege wie Henry Kissinger sein, um zu wissen, dass kluge internationale Politik nicht nur die Interessen der unmittelbar Beteiligten berücksichtigt, sondern auch die des Umfelds.

Kalkül ohne Berücksichtigung des Umfeldes

Der Westen ist über dieses Prinzip in verblüffend sträflicher Weise hinweggegangen. Die Europäische Union hat nicht nur ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, sondern ebenfalls mit Georgien und Moldawien vorbereitet und inzwischen auch politisch abgeschlossen. Dadurch wird der Status quo in Europa einseitig verändert, weil der Westen mit einem Schlag direkt an die Grenzen von Russland vorrückt.
Im vorigen Jahrhundert wäre eine Veränderung des Status quo gleich um mehrere hundert Kilometer ein Kriegsgrund gewesen – für Ost wie für West.

Nach zwei fürchterlichen Weltkriegen und einem zuweilen beängstigenden Kalten Krieg, in dem beide Seiten nicht einen Millimeter ihres jeweiligen Herrschaftsbereichs preisgaben, ist das nonchalante Vorgehen des Westens erstaunlich. Man mag sich wenig Böses dabei gedacht haben, aber Putin hat es sicher getan. Russische Herrscher sind misstrauische Gesellen. Seitdem ihr Land von den Mongolen überrannt wurde, pflegen sie eine chronische Empfindsamkeit in Sicherheitsfragen.

Nicht von ungefähr wird der 4. November in Erinnerung an die Befreiung von den polnischen Besatzern 1612 als ein nationaler Feiertag begangen. 1612, das ist über 400 Jahre her. Daran heute noch mit einem Feiertag zu erinnern, erscheint uns im Westen seltsam.
Aber diese Art von Geschichtspflege ist für Russland symptomatisch. Der Argwohn vor der Gefahr von außen gehört zum Wesen der Moskauer Politik. Zwei Invasionen (Frankreich und Deutschland), die fast zum Untergang des Staates führten, haben das Misstrauen gegenüber dem Westen nachhaltig bestätigt.
Im politischen Umgang mit Moskau sollten diese historischen Erfahrungen der Russen nicht außer Acht gelassen werden.

Empfindsamkeit in Sicherheitsfragen ist nicht allein eine russische Spezialität. Auch die USA zeichnen sich dadurch aus.
Beispiele gibt es dafür genug. Kuba wird seit Jahrzehnten boykottiert, das harmlose Karibik-Inselchen Grenada wurde mit einem Krieg überzogen und gegen die Sandinistas in Nikaragua wurde mit den Contras interveniert, um sich den Kommunismus vom Leib zu halten.

Große Mächte können höchst unangenehme Nachbarn sein. Die Balten und Polen haben überaus schlechte Erfahrungen mit Russland gemacht. Ihr Bedürfnis, endlich in sicheren Verhältnissen zu leben, ist deshalb mehr als verständlich. Entsprechend gerechtfertigt war die Aufnahme in die Nato.
Dadurch steht das westliche Militärbündnis jetzt vor den Toren von St. Petersburg, zumindest politisch. Russland hat das bislang hingenommen, sicher ohne Begeisterung.
Jeder Schritt, der darüber hinausgeht, sollte wohl überlegt und gut abgesprochen sein. Die drei Assoziierungsabkommen sind mehr als ein Schritt, sie sind, um im Bild zu bleiben, ein gewaltiger Satz. Mit Georgien, Moldawien und der Ukraine wechseln gleich drei ehemalige Sowjetrepubliken, die jahrhundertelang von Russland beherrscht wurden, in den Westen; auf eigenen Wunsch.

Für Moskau bedeutet die Entscheidung der drei Nachbarn nicht nur einen schweren Prestigeverlust, sondern auch geopolitisch eine beachtliche Schwächung. Wieso? In den Assoziierungsabkommen geht es zwar im Wesentlichen um Wirtschaft, aber auch um die Abstimmung in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik, was prompt den russischen Argwohn vor der Einkreisung durch den Westen weckte.

Kiew – Mutter der russischen Städte

Dass sich Georgien und Moldawien in die Obhut der EU begeben, hat Moskau mehr oder weniger hingenommen. Aber die Ukraine im westlichen Lager?
Das war und ist dem Kreml und auch großen Teilen der russischen Bevölkerung zu viel. Die Ukraine ist für Russland nicht ein Land wie jedes andere.
Mit der Ukraine, insbesondere mit dem Osten, verbinden die Russen enge wirtschaftliche und familiäre Beziehungen, vor allem aber gemeinsame Geschichte. Nicht von ungefähr gilt Kiew als die Mutter aller russischen Städte.

Der kritischste Punkt im Tauziehen um die Ukraine zwischen dem Westen und Russland war die Krim mit Sewastopol, dem Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte. Es war klar, dass der Hafen bei einem Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU quasi unter westliche Kontrolle geraten würde.
Es war auch klar, dass Putin dies niemals zulassen würde. Aber ungeachtet dieses Gefahrenpotentials blieb Brüssel bei seiner unmissverständlichen Alternative für Kiew: entweder EU oder Russland. Ein gemeinsames Konzept wurde nicht ausgelotet. Wie es weitergegangen ist, wissen wir.

Es bietet sich nun an, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Der Westen hat seine Ziele, den Abschluss der Assoziierungsabkommen, durchgesetzt. Die jetzige Führung in der Ukraine hat erreicht, was sie wollte: die Anbindung an die EU.
Der größte Scoop scheint Putin mit der Kaperung der Krim gelungen zu sein.
Auf den ersten Blick also allesamt Gewinner. Aber um welchen Preis?
Die Beziehungen des Westens zu Russland stecken in einer gefährlichen Sackgasse; zu eigenen Lasten und zum Nachteil der internationalen Politik. Zusammenarbeit zur Lösung unerträglicher Krisen, wie in Syrien, findet nicht statt.

Die Ukraine hat über das Assoziierungsabkommen die Krim verloren; ob dauerhaft, wird sich herausstellen. Überdies befindet sie sich in einem mörderischen Bürgerkrieg, um die Herrschaft über den Osten des Landes wiederzugewinnen. Die Wirtschaft geht darüber mehr und mehr zugrunde.
Und Putin? Er hat demnächst den Westen direkt vor seiner Tür, was nicht ohne Auswirkungen auf die künftige Entwicklung Russlands sein wird, was zu einer Frage von „to be or not to be“ werden könnte.
Diese Aussicht macht uns seine Reaktionen sicher nicht sympathischer, aber vielleicht verständlicher.

Die Suche nach Gemeinsamkeiten blieb aus

Angesichts dieser Bilanz lässt sich feststellen, dass von keiner Seite politische Spitzenleistungen vollbracht wurden, zumal Reaktion und Gegenreaktion vorherzusehen waren. Es ist schulbuchmäßig gekommen, wie es nicht hätte kommen dürfen.
Entsprechend hoch sind die Verluste. Statt Gemeinsamkeiten zu suchen, schaukelte man sich gegenseitig in eine gefährliche Krise hoch.
Die westlichen Sanktionen schaden massiv der russischen Wirtschaft, werden Putin aber nicht zum Beidrehen zwingen. Prominente Vertreter der geistigen Elite Russlands äußern zwar beißende Kritik am Kurs des Kremls, doch Putin erhält auch vehemente Zustimmung aus Kunst und Kultur und aus der Bevölkerung sowieso. Mit ihrer entfesselten Propaganda tragen die führenden Medien zu dieser Einstellung entschieden bei.

Russland fühlt sich missverstanden

Das Gefühl, vom Westen auf bösartige Weise missverstanden und verleumdet zu werden, ist nichts Neues in Russland. Selbst Feingeister wie Alexander Puschkin fühlten sich zu heftigen Zurechtweisungen des Westens aufgerufen.
Als 1831 russische Truppen in Warschau brutal gegen den Aufstand polnischer Offiziere und Soldaten vorgingen und deswegen im Westen, insbesondere in der französischen Deputiertenkammer, scharfe Proteste auslösten, feuerte der größte aller russischen Dichter eine Breitseite auf „die Verleumder Russlands“, die es in sich hat. In diesem Gedicht heißt es:

„Die Ihr mit Worten droht, versucht’s nur nicht mit Taten!
Der alte Recke ist nicht auf dem Bett erschlafft!
Greift er zum Bajonett, dann zeigt er seine Kraft.
Reizt Russlands Zaren nicht! Ihr wäret schlecht beraten!
Mag ganz Europa uns bekriegen,
Der Russe weiß, wie stets, zu siegen.“

Ähnlich ist es aus dem Russland von heute zu vernehmen.

Da in der jetzigen Auseinandersetzung zwischen dem Westen und Russland viel zu verlieren ist, bietet es sich an, das lateinische Sprichwort zu beachten: was immer Du tust, handele klug und bedenke das Ende.
Wir können natürlich zu immer härteren Strafmaßnahmen greifen, auch militärische Optionen wahrnehmen, aber wir müssen davon ausgehen, dass Putin ebenso hart dagegenhalten wird, zumal für ihn mehr auf dem Spiel steht als für den Westen.
Wo das endet, weiß niemand. Sicher ist nur, dass Fragen des Völkerrechts bei einer solchen Entwicklung immer weniger eine Rolle spielen werden.

Nichts ist unmöglich

Meine Hoffnungen ruhen auf der deutschen Regierung. In dem Konflikt mit Russland beweist sie bislang Augenmaß und Weitsicht. Dadurch sind Überreaktionen vermieden und der Kontakt zu Moskau gehalten worden.
Zusammen mit ihren Ukraine-erprobten Partnern Frankreich und Polen sollte die Regierung in Berlin den Westen dazu bringen, gemeinsam mit Moskau drei Ziele anzustreben: Waffenstillstand, demokratische Hoheit Kiews über die Ostukraine und ein vernünftiges Verhältnis zu Russland. Naive Träumerei?
Nichts ist unmöglich! Im Kalten Krieg galt das Problem Berlin als unlösbar und als unberechenbarer Gefahrenherd für einen Atomkrieg. Ständig kam es darüber zu brisanten Ost-West-Krisen. Doch dann setzten sich die vier Siegermächte zusammen und schafften eine Lösung. Die Kriegsgefahr war gebannt und das Leben in der geteilten Stadt wurde erträglich.

Wäre heute ein solcher Durchbruch in der Ukraine-Krise möglich? Sicher, insbesondere der Ukraine wäre es zu wünschen.
Aber ich fürchte, man wird es weiter auf beiden Seiten mit Druck und immer schärferen Strafaktionen versuchen. Das ist bequemer als neue Wege zu gehen, um eine Friedensordnung auszuarbeiten, die allen gerecht wird.

Zum Originalartikel von Fritz Pleitgen in «DIE GAZETTE» Nr. 43 Herbst 2014 als PDF hier anklicken.
Christian Müller, Herausgeber der Plattform «Globalbridge.ch, war damals Chefredakteur der deutschen Vierteljahreszeitschrift «DIE GAZETTE».

*) Ich stelle sehr in Frage, dass die EU mit ihrer Troika das überhaupt wollte. Ein schwaches Griechenland konnte um so besser ausgeplündert werden, z.B. durh FRAPORT, vermittelt von Wolfgang Schäuble.

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Jochen

Heiner Holl zum Krieg in der Ukraine

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

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Ein langer, lesenswerter, gut verständlicher Text eines viel wissenden Pädagogen

Wie man den Krieg in der Ukraine auch sehen kann und sollte

H_HollHeiner Holl, 25. 2. 2023

Man kann doch nicht – also einfach mir nichts, dir nichts – ein Nachbarland überfallen, was ich selbstverständlich auch genauso sagen würde, wenn es denn so wäre. Diese auch von mir verurteilte Vorgehensweise der russischen Führung, die natürlich nicht nur aus Putin besteht, habe auch ich nicht kommen sehen und war und bin wie die meisten schlicht fassungslos über das Vorgehen Russlands.
Dies kann aber doch nicht als alleinstehend angesehen werden, wie dies durch die Erfindung einer „Zeitenwende“ durch Scholz und seiner Entourage suggeriert werden sollte; leider bei den meisten Menschen auch erfolgreich. Es gibt schlicht keinen einzigen ernst zu nehmenden Hinweis auf Eroberungsgelüste der Mächtigen in Russland, (der jetzige Krieg in der Ukraine hat zu „Einverleibungen“ geführt, ok, das ist sicher auch ein Fehler der Russen). Falls dir welche bekannt sein sollten, bin ich für jede Info sehr dankbar. *) Dazu thematisiert immer wieder z.B. John J. Maersheimer, einer der profiliertesten, angesehensten, unabhängigen, keineswegs linken US-amerikanischen Ökonomen sehr fundiert nachvollziehbar und überzeugend.
Leute wie Roderich Kiesewetter (MdB, CDU) kann sowas aber nicht anfechten. Er und andere Multiplikatoren werden nicht müde, hartnäckig falsch in dieses Horn des angeblich imperialistischen Putin zu blasen. Frau Stramm-Stillgestanden, sorry Strack-Zimmermann, hat mir auf meine Frage, wo denn ein Beleg für ihre wiederholt geäußerten Behauptungen über die Angriffslust der Russen zu finden sei, geantwortet, sie habe sich auf einen Artikel von Putin vom 12.7.21 bezogen. Er habe sich angeblich in dieser Weise ausgelassen.
Auch nach nochmaligem, zweimaligen Lesen dieses ellenlangen durchaus hochinteressanten Artikels konnte ich beim besten Willen nichts finden, das man auch nur annäherungsweise in diese Richtung interpretieren könnte. Ihre Antwort war dann, sie habe nicht wörtlich zitiert, sie habe „paraphrasiert“, auf deutsch also verfälscht, schlicht gelogen.

Jeffrey Sachs, ein weiterer amerikanischer, bedeutender, angesehener, ernst zu nehmender, höchstrangiger Ökonom, Autor, Politik-Analyst, Russland-Kenner und inzwischen auch vehementer Kritiker der US-Präsidenten und Regierungen der vergangenen Jahrzehnte war es, der schon kurz nach dem terroristischen Anschlag auf die Gas-Pipelines mit eindeutigen Vorwürfen gegen die ach so bessere Biden-Regierung hervorgetreten ist.
Seymour Hersh, der wohl bedeutendste investigative, vielfach ausgezeichnete Journalist, hat inzwischen seine Recherche-Ergebnisse vorgelegt: Es waren die Amis, von langer Hand vorbereitet, nach dem (durch die deutschen Grünen herbeigeführten) Stopp der Gaslieferungen durchgeführt und von der deutschen Regierung demütig schwurbelnd hingenommen – was, beabsichtigt, zu unseren heutigen Energie-Hochpreisen geführt hat. Von solchen Leuten hört man in unserer so wunderbar „freien“ Presse so gut wie überhaupt nichts. Warum wohl? Wie sich unsere Regierung in dieser Sache verhält, ist nicht hinnehmbar. Mit der gebetsmühlenhaft vorgetragenen Lüge von den Gas- und Öl-Liefer-Stopps durch Putin hat sie den Unverschämt
heiten der Kriegsgewinnler Tür und Tor geöffnet. Die Zeche zahlen die „Kleinen“, abgesahnt wird in präzedenzloser Weise durch die Superreichen und tatsächlich Mächtigen – wie dies auch durch Oxfam angeprangert wurde. Folgen: natürlich keine.

Apropos: Putin hat sich immer wieder mal ziemlich – auch ausgiebig – mit der Darstellung der Geschichte Russlands beschäftigt, z.B. in dem bereits erwähnten, von vielen genannten, aber wahrscheinlich von den meisten gar nicht gelesenen Artikel vom 12.7.21, oder in seiner Rede vom 21.2.22 im weltweiten Fernsehen. Große Teile widmet er dabei der Überfall-Geschichte Russlands, als Opfer natürlich.

Dass die Wikinger nicht nur die britische Küste, sondern auch das Gebiet des späteren Russlands heimsuchten, also auch schon Täter waren, sei dahingestellt. Die Waräger (Rurik) haben vor über 1000 Jahren jedenfalls die Kiewer Rus gegründet, der Name Russland kommt daher. Das Gebiet der heutigen Ukraine ist somit das historische Ursprungsland Russlands (ähnlich der Kosovo als Herzland Serbiens).

988 wurde die griechisch-orthodoxe christliche Konfession eingeführt; das Zentrum Russlands als Großfürstentum und schließlich Zarenreich verlagerte sich später nach Moskau.
Im Hochmittelalter wurde Russland mehrere Male auf grausamste Weise von den blutrünstigen Reiterhorden der Mongolen überfallen und jahrhundertelang teilweise besetzt gehalten (die Zeit der „Goldenen Horde“ unter anderem).
Nach den Kreuzzügen in Palästina machten sich die „Deutsch-Herren“ (= Kreuzritter) auf, haben das Baltikum erobert, der Nationalheld Alexander Newski konnte sie besiegen. Die Polen errichteten zusammen mit den Litauern ein Riesenreich, das von der Ostsee bis fast zum Schwarzen Meer reichte, inklusive auch zeitweise Moskau. An der russisch besiedelten Schwarzmeerküste hatten sich inzwischen die Osmanen breitgemacht, was dann unter Jekaterina Velikaya, also Katarina der Großen zusammen mit der Krim erobert wurde.
Iwan IV, der angeblich „Schreckliche“, konnte endlich im 16. Jahrhundert die Tataren besiegen und hinauswerfen. Dann kam mehr als ein Krieg von Schweden gegen Russland.
Spätestens 1812 kam der Überfall Napoleons, der Krimkrieg 1853-56 ist dann schon auch von Russland als aggressiv gegen das osmanische Reich zu benennen, England und Frankreich mischten sich auf der Seite der geschwächten Osmanen ein. Es ging keineswegs nur um die Krim; eher fast schon ein kleiner Weltkrieg um Land, Ressourcen und Handelsrouten.
1914, nachdem das Deutsche Reich ihm den Krieg erklärt hatte, ging Russland zum Angriff über, musste aber 1918 die Besetzung und Ausplünderung der Ukraine durch das kaiserliche Deutschland nach dem Diktatfrieden von Brest-Litowsk hinnehmen, inklusive Hungersnot.
Nach der Oktober-Revolution 1917 kam der Bürgerkrieg und die Überfälle von allen Seiten: Amerika, England, Japan, Finnen, auch deutsche Freikorps durften nicht fehlen, die Bedrohung des revolutionären Russland war absolut existentiell. Die neu entstehende Sowjet-Union konnte alle wieder rauswerfen; Stalin als Nachfolger Lenins setzte jetzt alles daran, seinen Staat mit den bekannten brutalsten Methoden verteidigungsbereit zu machen, besonders gegen Nazi-Deutschland, dessen „Führer“ Hitler schon in seinem „Kampf“ die Eroberung von „Lebensraum im Osten“ und die Vernichtung der „jüdisch-bolschewistischen Herrschaft“ propagiert hatte.
Die sowjetfeindlichen Kulaken usw. der Ukraine mussten in den 30er Jahren den Holodomor, die große Hungersnot erleiden, aber in ähnlichem Ausmaß litten auch große Gebiete Russlands, es ging eben nicht nur gegen die Ukrainer, wie immer wieder behauptet.
Die bolschewistische Innenpolitik war furchtbar, aber nicht alleine nur gegen die feindlich gesinnten Ukrainer gerichtet. Im Winterkrieg 39/40 griff dann die Sowjetunion den Nachbarn Finnland an, weil die nämlich inzwischen zu Waffenbrüdern der deutschen Nazis zu werden drohten. Die Nazis hatten im Nichtangriffspakt Deutschland-Sowjetunion 1939 den Sowjets Finnland und Ostpolen als Interessensphäre überlassen. Beide Gebiete waren zu Zarenzeiten Teile des russischen Reiches gewesen, Ostpolen sogar mehrheitlich (weiß-)russisch besiedelt. Ohne diesen Angriffskrieg der Sowjets wäre Leningrad im GVK (= Großer Vaterländischer Krieg) kaum zu halten gewesen. Die Zahl der Toten nur in dieser einen sowjetischen Stadt, niedergemacht, meist dem Hungertod überlassen durch die immer noch bei vielen Deutschen als „sauber“ empfundenen Wehrmacht (dass die SS noch schlimmer war, macht es nicht besser) überstieg deutlich eine Million Menschen.
Putins Familie gehört zu den Belagerten, sein älterer Bruder kam um. Selbst wenn sich die Stadt ergeben hätte, wären die Bewohner dem Hunger zum Opfer gefallen. Die Deutschen kannten keinerlei Gnade oder Mitleid. Die Nazis hätten die Kapitulation nicht angenommen; das gleiche Schicksal war für Moskau geplant.

Der Generalplan Ost nannte 30 Millionen dem Hungertod zu überlassende slawische Untermenschen alleine in der Sowjetunion (die Zahl wurde ja fast erreicht). Am 27.1.23 (Gedenktag für die Opfer des Nazi-Regimes) wurden von B. Bas im Bundestag eine große Zahl von Menschengruppen als Opfer des NS-Regimes aufgezählt, alles fürchterliche Tatsachen. Nur: die mit weitem Abstand größte Gruppe der Opfer, nämlich die Russen, kamen nur als „slawische Völker“ vor! Wie tief können intelligente Menschen noch sinken?!? Fast vier Millionen Sowjet-Soldaten haben die Deutschen gezielt allein in deutschen Gefangenenlagern an Seuchen verrecken, meist aber verhungern lassen.

Diese Aufzählung der Überfälle auf Russland im Laufe der Jahrhunderte erhebt keinen Anspruch auf Vollzähligkeit, ist nur das, was mir ganz spontan zu diesem Thema aus dem Gedächtnis einfällt. Existentielle Bedrohung ist für Russen historisch in die Seele gebrannt.
Sie sehen sich seit dem Bruch der Versprechen, die NATO nicht auszudehnen, wieder in einer akuten existentiellen Bedrohungssituation. Vor allem, weil von Seiten der USA inzwischen praktisch alle Rüstungsbegrenzungs- und Abrüstungsverträge gekündigt worden sind, in der Zwischenzeit in Polen und Rumänien Raketenstellungen eingerichtet wurden, die praktisch ohne Vorwarnzeit sowohl Moskau als auch St. Petersburg treffen können. Mit der Ukraine als NATO-Mitglied ist diese Bedrohungssituation deutlich gesteigert, wie dies Rußland immer wieder in aller Dringlichkeit und Deutlichkeit erklärt hat.

Als die Sowjetunion 1962 Atomraketen auf Cuba stationieren wollte – als Antwort auf die Stationierung der US-Jupiter-Raketen in der Türkei, drohte Kennedy sofort mit Atomkrieg. Nur weil Chruschtschow nachgab und die Raketen wieder zurückholte, konnte dieses Weltende vermieden, sprich auf unbestimmte Zeit verschoben werden.

Nachdem also zum wiederholten Mal Russland alleine von den Deutschen überfallen und spätestens 1945 im gesamten von der Wehrmacht im Krieg besetzten Gebiet total zerstört worden war, hat die Sowjetführung unter Stalin schon sieben Jahre nach dem ungeheuerlichen Vernichtungskrieg mit geschätzten 27 Millionen getöteten Sowjetmenschen das Angebot unterbreitet, die Deutschen mögen sich doch bitte schön baldigst wiedervereinigen. Die allereinzigste (!) Bedingung war: (Achtung, aufgemerkt!) kein Beitritt zur NATO! Also Bündnis-Neutralität wie Schweiz, Schweden, Österreich, Jugoslawien usw.
Nein_zur_Nato_DDR1957So stark wurde schon damals die NATO für die damalige Sowjetunion als existentielle Bedrohung empfunden, war sie doch nach dem bekannten Motto der selbsternannten westlichen Hegemonie-Macht USA ausdrücklich gegen die kommunistische Sowjetunion gegründet worden: „Keep the US in, the Sowiets out and the Germans down“, also feindlich gesinnt gegen alles, was zur Konkurrenz werden könnte, alles Linke oder gar Kommunistische sowieso.
Wie leider nicht anders zu erwarten, hat die westdeutsche Regierung dieses Angebot nicht richtig zur Kenntnis nehmen wollen. Die Wiedervereinigung wäre gegen den alleinigen Preis der Neutralität möglich gewesen. Stattdessen ist man 1955 in die NATO eingetreten, im Gegensatz zum ebenfalls in vier Besatzungszonen geteilten Kriegsverliererland Österreich, das sich 1955 problemlos und praktisch ohne nennenswerte Kosten wiedervereinigen konnte. Deutschland hatte hingegen durch die verspätete Wiedervereinigung 1990 astronomische Summen, nämlich mehrere Billionen dafür aufzubringen.

Dass die „Revolution“ der Ostdeutschen friedlich verlief, ist einzig und allein der Tatsache zuzuschreiben, dass Gorbatschow diesen Aufstand nicht mit Waffengewalt niederschlug – nicht, wie immer behauptet wird, den friedlichen Demonstranten.
Alle Besatzungstruppen, auch die sowjetischen zogen 1955 vereinbarungsgemäß aus dem neutralen Österreich ab. In der DDR blieben sie stationiert, mit Atombewaffnung, wie auch in der BRD mit westlichen Besatzungstruppen und allen Möglichkeiten für einen atomaren Weltkrieg z. B. aus Versehen. Mehrere Fälle von fast ausgebrochenen Welt-Atomkriegen sind bekannt.

Erst in diesem Schicksalsjahr 1955 wurde, wegen (!) des Eintritts Westdeutschlands in die NATO, der Warschauer Pakt gegründet, eben weil es der Sowjetunion nicht gelang, einem Gürtel neutraler Staaten als Cordon Sanitaire zu etablieren. So wichtig ist auch heute wieder den Russen eine Pufferzone an den eigenen Grenzen. Die Bundeswehr wurde aufgebaut, nach sehr problematischen Vorstellungen des damaligen Verteidigungsministers Strauß sollte sie auch atomar bewaffnet werden (dieses Ziel hatte er wohl bis zu seinem Tod 1988 im Auge, Wackersdorf wäre dazu der Durchbruch gewesen).
F-35_BomberHeute möchte die BRD unbedingt eine „atomare Teilhabe“ beibehalten, kauft für zig-Milliarden F-35 Atombomber in den USA, um die modernisierten Atombomben in Büchel mit je bis zu ca. 200 kT TNT Sprengkraft im Fall des Falles Richtung Osten zu tragen. Bis Polen würden sie wohl kommen, die Totalzerstörung Mitteleuropas wäre die unausweichliche Folge (die Bomben auf Japan 1945 hatten nur ca. 16kT Sprengkraft, sowas nennt man heute „Mini-Nukes“!).

Die Atomic Scientists haben die „Doomsday Clock“ (Weltuntergangsuhr) immer weiter Richtung Mitternacht geschoben, jetzt, 2023, steht sie auf gerade noch 90 Sekunden vor der Mitternacht der Weltvernichtung durch einen Atomkrieg, der wegen faktisch nicht mehr vorhandener Vorwarnzeit jederzeit auch unbeabsichtigt ausbrechen kann. Einen nicht auszuschlie­ßenden Atomwaffeneinsatz im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg nennen Leute, die sich Politikwissenschaftler deutscher Provenienz nennen, in Talkshows „Quatsch“ und „Blödsinn“, (ja gehts noch?).

Es war der 4-Sterne-US-General Lee Butler, der es treffend vor ca. 30 Jahren so zusammenfasste; „We escaped the Cold War without a nuclear holocaust by some combination of skill, luck and divine intervention …. probably the latter in greatest proportion…….“. (Wir sind im Kalten Krieg davon gekommen ohne einen nuklearen Holocaust – dank einer Kombination aus Geschick, Glück und göttlichem Eingreifen) . . . Göttliches Eingreifen, so weit sind wir schon gekommen, dass nur noch das helfen soll . . .

Beim Klima sind wir damit schon auf dem „richtigen“ Weg, da wird sogar divine intervention nicht mehr viel nützen, obwohl seit Jahrzehnten bekannt ist, was notwendig wäre oder gewesen wäre, um unseren Nachkommen eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen, nur: die Profite waren und sind immer wichtiger.

Nach dem Ende der Sowjetunion zogen die Russen ihre Truppen aus allen (!) Ländern des Ostblocks zurück, Comecon, die Wirtschaftsgemeinschaft des Ostblocks, zerfiel in viele Nationalstaaten, die Sowjetunion ebenfalls, der Warschauer Pakt wurde aufgelöst. Die SPD hat im Dezember 1989, also kurz nach dem Mauerfall in ihrem neuen Grundsatzprogramm, gültig bis 2007, die Auflösung des Warschauer Pakts (WP) gefordert, aber eben auch der NATO, ja der NATO! Übrigens auch Frankreich unter Mitterand. Ein neues Sicherheitssystem für ganz Europa inklusive Russlands wurde vorgeschlagen. (Der WP ist weg, der eigentliche Sinn und Zweck der NATO ist mit dem Verschwinden der Sowjetunion auch weg. Was macht die NATO? Sie verschwindet nicht, sie wendet sich ihren seitdem „beliebten“ „out of area“-Einsätzen zu. Inzwischen weitet sie ihren Wirkungskreis auf den indopazifischen Raum aus, schließlich gilt es, langfristig auch China als Konkurrent auszuschalten.)
Diese Zerschlagung des Ostblocks in viele kleinere Teile war ganz im Sinne der westlichen Hegemoniemacht USA. Der Truppenabzug der Russen erfolgte jedoch einzig und alleine, weil die West-Mäch­tigen Gorbatschow und Jelzin hochheilige Eide geschworen hatten, die NATO „not one inch“ nach Osten auszudehnen (die dazu zahlreich! verfügbaren öffentlich zugänglichen, aber hartnäckig abgestrittenen Dokumente sind bei der GWU **) in Washington jederzeit abrufbar, Überraschung!: es sind viele!).

Gorbatschow „schenkte“ dem Westen die ganze DDR, die sogar auch in die NATO durfte, mit der leider kaum überraschenden Folge, dass die Versprechen innerhalb kurzer Zeit samt und sonders gebrochen wurden, vom Westen natürlich.

Um nicht weiter abzuschweifen: Wenn ich diesen Angriffskrieg verurteile, wie alle außer den Putin-Schwurblern, dann komme ich jedenfalls trotzdem nicht umhin, der unmittelbaren Vorgeschichte ein näheres Augenmerk zu widmen. Das Völkerrecht gilt nicht nur für Russland, wie es scheinen mag, sondern für alle, sogar für die US-Amerikaner, die sich nachweislich einen Dreck um dieses Völkerrecht scheren, offensichtlich und erklärtermaßen machen, was sie wollen. Hauptsache ist, es dient letztendlich ihren wirtschaftlichen und Hegemonie-Interessen. Eine von der amerikanischen Regierung offiziell aufgestellten Liste der über 250 militärischen Eingriffe seit 1991 weltweit, kleineren und größeren Ausmaßes – sehr vieles davon alles andere als völkerrechtssauber – ist frei zugänglich, eine Lektüre dieser zwar sicher nicht vollständigen (die regime changes fehlen nämlich darin), aber aufschlussreichen Dokumente wäre allen Interessierten – und erst recht Interessepflichtigen – sehr zu empfehlen. Wenigstens z.B. die Irak-Kriege, die Feldzüge gegen Afghanistan, Libyen, Syrien und auch weitere sind hoffentlich vielen bekannt, (es blieben nach Eingreifen der NATO, oder ihrer Mitglieder, ausnahmslos zerstörte failed states übrig).
Der Kosovo-Krieg 1999 ist vielen schon aus dem Blickfeld entschwunden, liegt ja schon 25 Jahre zurück. Es war die verteidigungsfreudige, mit ihren 50 Jahren ohne ursprüngliche Sinnsetzung verbliebene NATO, die sich auch hier völkerrechtswidrig und brutal mit Angriffen auf die Infrastruktur und die Bevölkerung von ganz Serbien, unter aktiver Beteiligung der deutschen Bundeswehr, höchst unrühmlich hervorgetan hat. Die Kosovo-Albaner der sog. UCK waren bis etwa Ende 1998 offiziell Terroristen, ab Januar 1999 plötzlich Freiheitskämpfer. Scharping als deutscher Verteidigungs-, sorry völkerrechtwidriger Angriffskriegsminister, hat mit völlig unglaubwürdigen Lügen wie die von einer „Hufeisen“-Strategie des sicher alles andere als harmlosen Milosevich die erfolgreiche Hetze betrieben. Kürzlich hat unser Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk (ÖRR) seine Rolle so charakterisiert „Scharping planschte lieber im Pool, als sich um einen anstehenden Auslandseinsatz zu kümmern“, wie tief kann dieser ÖRR noch sinken? Und dies, ohne dass das überhaupt auffällt.
Wie sehr die Verteidigerrolle der NATO durch die Offensivrolle in den Hintergrund gedrängt wurde, ist leicht und fundiert nachlesen, Daniele Ganser wäre hier eine brauchbare Quelle, den man folgerichtig als „Verschwörungstheoretiker“ diffamiert. Joschka Fischer als grüner AA-Chef legte noch was drauf mit seinem „Nie wieder Auschwitz“, was bestenfalls als eine strafbewehrte Verniedlichung des Holocausts einzustufen wäre. Aber wen schert es, wenn man – wie heute wieder – so den grünen Pazifismus gründlich abstreifen kann.
Die deutsche Kohl-Regierung hatte schon 1991 eine höchst ungute Rolle gespielt, die Sezessionsbestrebungen von Slowenien und Kroatien ohne Absprache mit den europäischen EU- und NATO-Partnern umgehend durch die staatliche Anerkennung durch Außenminister Genscher belohnt, worauf die jugoslawische Zentralregierung militärisch eingriff (Putin hat sich das bei der Anerkennung der Donbas-Republiken zum Vorbild genommen, hat sich dafür aber immerhin acht Jahre Zeit genommen). Der Balkankrieg der 90er Jahre begann, nahm einen grausamen Verlauf mit u.a. Bombardierung von Sarajewo, dem Massaker von Srebreniza und der Vertreibung von ca. 200.000 Serben aus der kroatischen Krajina, nur einen Monat nach Srebreniza durch die noch reichlich ustascha-faschistischen Kroaten. Wie viele bei dieser Vertreibung umgekommen sind, wurde nie und nirgends auch nur gefragt, geschweige denn untersucht.
Im Kosovo, einer serbischen Provinz, dem historischen Herzland Serbiens, wurden die jugoslawischen Ordnungskräfte immer massiver von der terroristischen UCK angegriffen, was z.B. Milosevich schon am 28.6.1989 (600. Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld = Kosovo Polje) zum Anlass nahm, den Serben im Kosovo seine Unterstützung gegen die albanischen Kosovaren zuzusagen („Ab jetzt werdet ihr Kosovo-Serben nicht mehr geschlagen“).

Schon in den 80er Jahren den Kosovo-Serben wurde durch ihre muslimischen albanischen Mit-Kosovaren dermaßen zugesetzt, dass weit über 100.000 Serben die Provinz verließen. Im Endeffekt war das Hauptziel erreicht, nämlich die Zerstückelung Jugoslawiens und die Auslöschung des letzten Restes sozialistischer Regierung in Europa. In diesem Sinne ist auch die Zerschlagung des Ostblocks und der Sowjetunion, zukünftig auch Russlands zu sehen, wenn es nach dem Willen der USA geht. Schlussendlich wurde auch das Kosovo als eigenständiger Staat durch den Westen anerkannt, allerdings im Gegensatz zur Krim ohne eine Volksabstimmung, was Obama allerdings doch fälschlich behauptete.
Inzwischen sind die meisten jetzt selbständigen Teile Jugoslawiens Mitglieder der NATO und damit unter der Kontrolle der westlichen Konzerne.

Dieses „Verteidigungs“-Bündnis, das sich vor allem seit Ausschaltung der Sowjetunion durch eine ganze Reihe von völkerrechtswidrigen Angriffskriegen meist für Ressourcen wie Öl usw. – auszeichnete, wurde vier Jahre nach Gründung der UNO ins Leben gerufen, was eigentlich den Weltfrieden sichern sollte. Der Völkerbund war vor dem zweiten Weltkrieg unter tatkräftiger deutscher Hilfe ausgeschaltet worden; es sieht nicht gut aus, dass Weltkrieg III verhindert werden kann. Die UNO ist unter dem Vetorecht der fünf Atomnationen Amerika, Russland, Frankreich, Großbritannien und China zum zahnlosen Tiger verkommen.
Die NATO strickt eifrig an ihren Plänen, das jetzige Russland so zu schwächen, dass es das Haupt nicht mehr zu erheben in der Lage sein kann. Das große Projekt der Zerstückelung des heutigen Russlands in viele kleinere, nach Nationalitäten orientierten Kleinstaaten steht spätestens seit den veröffentlichten Ideen des einflussreichen Z. Brzezinski auf der Tagesordnung, um sie der Reihe nach unter amerikanische Kuratel zu stellen und wie ein erlegtes Stück Großwild auswaiden zu können. Es leuchtet sehr wohl ein, dass sich die imperiale Hegemoniemacht USA die riesige Landmasse (den halben Erdteil) mit 17 Mio. qkm der heutigen russischen Föderation, voller ausbeutbarer wertvoller Ressourcen, mit nur ca. 145 Mio. Einwohnern praktisch menschenleer, als „fetten Braten“ nicht entgehen lassen.
Erst als der dem Westen willfährige Jelzin sich den Nachfolger Putin Ende 1999 geholt hatte, wurden diese schon ziemlich konkret gewordenen Pläne – zur Wiedervorlage – ad acta gelegt. Seitdem ist Putin der „Böse“. Mit dem Alkoholiker Jelzin hatten die Strippenzieher im Westen leichtes Spiel. Die Wiederwahl Jelzins 1996 wurde mit Dollarmilliarden durch Clinton sichergestellt, um die begonnene Ausplünderung durch Oligarchen und multinationale Konzerne fortsetzen zu können, das einfache Volk erlebte eine sehr schlimme Zeit von Entbehrungen, Verlust der staatlichen Ordnung, bis hin zu Versorgungskrisen, in Teilen Hungersnöte. Den Kapitalismus mit seinen angeblich segensreichen Auswirkungen aufgepfropft zu bekom­men, hat die heutigen Russen ziemlich geprägt, einer der Gründe, warum Putin so viel Unterstützung hat.

Die NATO wird weiter als Verteidigungsbündnis verkauft, da z.B. unsere Bevölkerung immer so gut wie alles glaubt, auch dieses. Erstaunlich viele fachkundige Menschen in den USA, so intellektuelle Größen wie Noam Chomsky, George F. Kennan, Jack Matlock, William Burns usw. warnten immer wieder, dass durch die NATO-Erweiterung nach Osten, entgegen allen Versprechen, eine hochgefährliche Situation entstehen könne. Trotz aller Warnungen wurden 1999 Polen, Ungarn und die Tschechei in die NATO aufgenommen, 2004 die bal­tischen Republiken, die Slowakei, Slowenien, Rumänien und Bulgarien – in sehr vielen dieser Staaten feiert der jeweils eigene Nationalismus fröhliche Urstände, in der Ukraine als bereits auserwählter NATO-Kandidat besonders heftig. Seitdem stehen immer wieder auch deutsche Soldaten direkt an der russischen Grenze, ähnlich nahe an Petersburg/Leningrad wie vor 80 Jahren die verbrecherische Hitler-Wehrmacht.

Putin, der noch in seiner vor dem Bundestag mit stehenden Ovationen des gesamten Hauses gehaltenen Rede am 25.9.2001 sehr konstruktive und friedenssichernde Vorschläge gemacht hatte, hat 2007 bei der Sicherheitskonferenz in München in aller Klarheit gesagt, dass es so nicht weitergehen könne und die Ausdehnung des NATO-Gebietes auf die Ukraine eine nicht hinnehmbare existentielle Bedrohung Russlands darstellen würde. Jelzin hatte schon 1997 davor gewarnt, die Ukraine in die NATO aufzunehmen.

2008 hat trotzdem Bush jr. in Bukarest, gegen den erbitterten Widerstand von Merkel(!) und Sarkozy, durchgedrückt, dass nicht nur der Ukraine, sondern auch Georgien eine NATO-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt wurde, jedoch ohne klare Fristangabe. Wie sagte doch eine bedeutende Politperson bei ihrem Abschied am 2.12.21 geradezu beschwörend: „Ich möchte dazu ermutigen, auch zukünftig die Welt immer auch mit den Augen des anderen zu sehen, also auch die manchmal unbequemen und gegensätzlichen Perspektiven des Gegenübers wahrzunehmen, sich für den Ausgleich der Interessen einzusetzen.“ Genau dieses Argument kam auch 2008 in Bukarest – beides von A. Merkel. Ihre Zapfenstreichrede 2021 kam nicht mal drei Monate vor dem Einmarsch der Russen in die Ukraine. Diese wichtige Merkel-Aus­sage wurde aber – überhaupt nicht erstaunlich – von niemanden auf Seiten der Medien auch nur wahrgenommen: zitiert wurde sie nirgendwo, weder Print noch Funk oder Fernsehen. Aufgefallen ist er in der Friedensbewegung, die leider bundesweit nicht in der Lage ist, breite Medienaufmerksamkeit zu erreichen.
Wie konnte Frau Merkel nur darauf kommen, mit dieser dringenden Mahnung, die eigentlich eine banale Selbstverständlichkeit ist, in Erinnerung bleiben zu wollen? Wahrscheinlich haben die zuständigen Stellen doch nicht alles getan, den Krieg zu verhindern, vielleicht eher, diesen sogar provokativ herbeizuführen. Fragen über Fragen.

Anfang August 2008 glaubte der Präsident von Georgien, Saakaschwili, durch massiven Beschuss der seit Jahren abtrünnigen, russlandfreundlichen Provinz Südossetien die NATO animieren zu können, ihm bei dieser vom Zaun gebrochenen Aggression beizustehen. In Südossetien standen damals russische Friedenstruppen, die die Spannungen an der heiklen Grenze eindämmen sollten. Zur Verteidigung herangeholte russische Truppen sind dann erst in Georgien einmarschiert, fast bis Tiflis vorgedrungen. Innerhalb von fünf Tagen war dieser Spuk vorbei – die NATO hatte nicht eingegriffen, die russischen Truppen zogen sich zurück. Noch heute wird dieses Ereignis immer wieder als Angriff der Russen auf Georgien dargestellt, obwohl alles längst durch internationale Gremien als Angriff des neuen NATO-Kandidaten Georgien richtiggestellt worden ist. Wen interessiert schon die Wahrheit, wenn der Russ‘ immer der Böse sein soll und muss.

2010 kam in der Ukraine durch demokratische Wahl V. Janukovich als Präsident an die Macht, der die engen historischen, kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland im Gegensatz zu seinem EU-freundlichen Vorgänger V. Juschtschenko aufrechterhalten und die Ukraine, sogar laut Verfassung, neutral halten wollte. Juschtschenko war aus der „orangenen“ Revolution von 2004 als Sieger hervorgegangen, er hatte die Annäherung an den Westen gesucht, was durch die von Janukovich demokratisch einwandfrei gewonnene Wahl zunächst auf die lange Bank geschoben war.
Weil mit Präsident Janukovich die Ukraine den Fängen des westlichen „Werte“-Kapitals zu entgleiten drohte, wurde massiv mit Dollar-Milliarden (V. Nuland, US-Staatssekretärin, nannte 2014 fünf Mrd. $, eine geradezu astronomische Summe für solche Zwecke) dafür gesorgt, dass die nationalistischen Kräfte in der Ukraine auch militärisch aufgebaut wurden, heute wird das elegant über NGOs, die sich harmlos anhören, erledigt. Bis 2014 wurden so z.B. die Nazi-Nachfolger, die Bandera-Anhänger beim „Rechten Sektor“, die Swoboda-Partei, die Asow-Leute usw. soweit aufgebaut, dass der Putsch vom Februar 2014 gelingen konnte.

„Slava Ukraini“ – so grüßt man heute wieder allgemein in der Ukraine, was zu deutsch am treffendsten mit „Sieg Heil!“ zu übersetzen wäre, die hartgesotteneren Nazis grüßen mit „Geroyam Slava“ zurück (= Ruhm den Helden, gemeint sind die ukrainischen Nazis, die bis ca. 1955 z.B. unter Bandera nazitreu gegen die Sowjets gekämpft haben. Sie haben sich im 2. WK eifrigst am Juden-, Polen-, Kommunisten-Massenmord aktiv beteiligt). Heute nennt man sowas üblicherweise Terroristen, aber was ist heute schon üblich, erst recht, wenn es gegen Linke geht?)
Diese Patrioten haben es geschafft, dass die Ehrendenkmäler für Sowjettruppen, sehr viele Ukrainer darunter, geschleift werden, dagegen werden die protzigen Denkmäler für Bandera und seine Nazischergen wieder errichtet, Nazi-Straßennamen ersetzen in großer Zahl die früheren, heute unliebsamen Namen der Befreier, wie Bundespräsident R. von Weizsäcker am 8.5.1985 im Bundestag sie zu nennen wagte. Wer heute in Deutschland „Sieg Heil!“ ruft, kann im Knast landen, der ukrainische Nazi-Gruß ist täglich aus dem Munde des ukrainischen Präsidenten zu hören, auch deutsche höchstrangige Politiker entblöden sich nicht, das gleiche zu tun. Sind die so dumm, oder so unwissend, oder beides oder gar Schlimmeres?

Als Ende 2013 ein Assoziierungsabkommen mit der EU zur Unterschrift anstand, was sogar auch Janukovich anfänglich befürwortete, machte Putin die ukrainische Regierung darauf auf­merksam, dass die von der EU geforderte Einstellung der wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland voraussichtlich zu erheblichen Schwierigkeiten führen würde. Stattdessen stellte er sogar einen 17 Mrd. Dollar-Kredit in Aussicht, Präsident Janukovich machte daraufhin einen Rückzieher und unterschrieb nicht. Zur Erinnerung: Die Alt-Kanzler Schmidt, Kohl, Schröder, der Ex-EU-Kommissar Verheugen, der Braunschweiger Ex-Regierungspräsident Lange, Ex-Außenminister Genscher, Ex-Entwicklungsminister Eppler, Ex- EU-Kommissionspräsident Juncker, der US-Ökonom Maersheimer und sicher noch viele andere haben alle dieses Assoziierungsabkommen als sehr gefährlich erkannt und dringendst davor gewarnt, die Ukraine auf diese Weise von Russland zu entfremden. Die Vorgaben Brzesinskis waren aber gewichtiger, der gesagt hatte: Die Ukraine ist der Dreh- und Angelpunkt, um Russland entscheidend zu schwächen, ohne die Ukraine ist Russland keine Großmacht mehr. Auch Kissinger riet dazu, den Frieden durch die Neutralität der Ukraine zu erhalten. Damit wäre ja die Ukraine offen nach beiden Seiten geblieben und würde auch als Pufferstaat dienen können.

Dieser nur allzu begründete Rückzieher führte zu zunächst friedlichen Pro-EU-Demon­stra­tionen auf dem (Euro-)Maidan, dem großen prächtigen Platz in Kiew, vorwiegend getragen durch die von den US-Amerikanern unterstützten Neonazis, die teilweise sogar mit Nazi-Hakenkreuzen marschierten. Die Proteste eskalierten allerdings bis Februar 2014, als dann auch Vertreter des Westens versuchten, die Gemüter zu kühlen. Steinmeier, Fabius und Sikorski, alle drei Außenminister ihrer Länder Deutschland, Frankreich und Polen berieten mit Präsident Yanukovich, Klitschko und anderen; sogar dem Ober-Nazi Tyanibok (berühmtes Zitat dieses Neo-Nazis aus Wikipedia: „Ukrainische Patrioten kämpften gegen Russen, gegen die Deutschen, gegen Judenschweine und sonstiges Gesindel, welches uns den ukrainischen Staat wegnehmen wollte! Man muss endlich die Ukraine den Ukrainern geben!“) und kamen tatsächlich zu einem Kompromiss, der die gewalttätigen Proteste beenden sollte.
Allerdings hatten die Nazi-Protestler inzwischen dafür gesorgt, die Stimmung auf dem Maidan „explodieren“ zu lassen. Es gab plötzlich massiven Scharfschützenbeschuss aus den Obergeschossen von zwei durch die Aufständischen beherrschten Gebäuden, dem Konservatorium und einem Hotel. Es wurde unterschiedslos in die Menge der Demonstranten und Ordnungskräfte geschossen, gezielt auf Menschen. Es müssen mindestens drei Scharfschützen gewesen sein, die laut unbestätigten Berichten (le verità nascoste, leider nur italienisch, deshalb hierzulande nicht zur Kenntnis genommen) aus Georgien geholt und vor Ort mit Präzisionswaffen ausgerüstet wurden.

Professionell und nachvollziehbar wurde dieser Massenmord mit über 100 Opfern und zahlreichen Verletzten nie aufgeklärt. Die ukrainischen Nazis schoben alles Präsident Janukovich in die Schuhe, der daraufhin Morddrohungen erhielt und sich über Charkow, den Donbas und die Krim nach Russland absetzen konnte. Seine Absetzung als Präsident erfolgte eindeutig rechtswidrig, weil die gesetzlichen Vorgaben nicht eingehalten wurden.

Vorher hatte V. Nuland („Fuck the EU“), damals wie heute Vize-Außenministerin der USA und für die Ukraine und den Coup zuständig, zusammen mit US-Botschafter Pyatt die Weichen für die neue Putsch-Regierung gestellt: Statt Klitschko sollte Jazeniuk Ministerpräsident werden, drei seiner Minister kamen aus den Reihen der radikalen Neo-Nazis, insgesamt ein klassischer Regime-Change à la USA und alles andere als demokratiekonform.
Wenn also vorher eher die mehrheitlich russischsprachigen Ukrainer aus dem Osten und Süden des Landes politisch führend waren, waren jetzt die extrem nationalistischen ukrainisch-sprachigen aus dem Westteil am Ruder. Eine Situation, die in diesem Vielvölkerland aus Russen, Ukrainern, Rumänen, Ungarn und Polen immer wieder zu Spannungen geführt hatte.

Wenige Tage später wurde Turtschinow als (nicht gewählter) Übergangspräsident installiert, vom jetzt Neonazi-dominierten Parlament u.a. ein Gesetz erlassen, das die russische Sprache im Verkehr mit Behörden praktisch verbot (das allerdings vom Übergangspräsidenten T. dann doch nicht in Kraft gesetzt wurde. Später kamen aber sehr wohl Vorschriften gegen die russisch-sprachigen Ukrainer). Schon dieses Gesetz gegen den offiziellen Gebrauch der russischen Sprache brachte die überwiegend russisch-sprachigen und dem Regimewechsel kritisch entgegenstehenden Donbas-Oblaste Donezk und Lugansk dermaßen auf die Palme, dass sie umgehend die Unabhängigkeit von der Zentralregierung erklärten und die Gründung ihrer Volksrepubliken vorbereiteten und durchführten – der Zündfunke für den Bürgerkrieg im Donbas. Dieser Bürgerkrieg, intern ausgetragen in den neu gebildeten Volksrepubliken DNR und LNR, wurde bald von den Separatisten „gewonnen“, jedenfalls hatten sie ab jetzt die Entscheidungsgewalt. Inwieweit dabei russische Einmischung eine Rolle gespielt hat, ist völlig unklar.

Putin seinerseits erkannte, dass die seit 1783 auf der Krim stationierte russische Schwarzmeerflotte in Sewastopol durch Maßnahmen einer neonazilastigen Zentralregierung mit NATO-Aspirationen in Kiew bald auf NATO-Territorium liegen könnte und bereitete eine Volksabstimmung vor, die am 16.3.2014 mit überwältigender Mehrheit für den Anschluss an Russland ausging. Diese Volksabstimmung hatte u.a. dadurch einen friedlichen Verlauf, weil Putin dafür gesorgt hatte, die auf der Krim stationierten ukrainischen Militärtruppen durch die aus Sewastopol ausschwärmenden dort stationierten russischen Soldaten, als „grüne Männchen“ ohne Rang- und Hoheitsabzeichen getarnt, insbesondere die Kasernen des ukrainischen Militärs abriegelten. Die ukrainischen Soldaten konnten noch wollten eingreifen.
Erstaunlicherweise wurde diese Sezession/Annexion der Krim zwar kritisiert, aber doch ziemlich klaglos im Westen hingenommen. Noch 2015 nahm die deutsche Wirtschaft, gestützt von der GroKo-Bundesregierung in Zusammenarbeit mit Gazprom die Nord-Stream2-Gas­leitung in Angriff. Von einer möglichen Einschränkung der Energielieferungen aus Russland war nie die Rede, schließlich hatte man sich im Westen auf die billigen Energielieferungen langfristig eingestellt.
Die Grünen maulten zwar unisono mit den USA, das war’s dann aber auch schon. Diese Gaslieferungen waren ja konstitutives Element des deutschen Energie-Wende-Plans gedacht als Übergangslösung für den Ausfall der Atom- und Kohleenergie, auf die man durchaus sinnvollerweise zur Klimarettung verzichten wollte.

Da vor allem die immer noch schwachen ukrainischen Regierungstruppen sich z.T. auch weigerten, mit militärischer Gewalt gegen die separatistischen Landsleute vorzugehen, wurden die meist aus der West-Ukraine stammenden Milizen des Nazi-Asow-Regiments geholt, die ohne Vorbehalte gegen die Russen des Donbas vorzugehen bereit waren. Ab 14.4.2014 wurden also die Separatisten von außen beschossen. Das anfängliche Vorrücken der Separatisten konnten gestoppt werden, alles spielte sich aber vorerst auf dem Gebiet des Donbas ab.

Zu welchen Verbrechen die Faschisten der Ukraine fähig sind, zeigte sich am 2.5.2014 in Odessa. Mehrere Dutzend Maidan-kritische Demonstranten wurden von diesen Rechtsextremen am und im brennenden Gewerkschaftshaus ums Leben gebracht. Auch diese Verbrechen wurden nie aufgeklärt.

Den eigentlichen Startschuss zum Krieg in der Ukraine gab die ukrainische Regierung am 14.4.2014. (Nicht der 24.2.22, als die russischen Truppen in die Ukraine einmarschierten, ist Auslöser dieses verheerenden Schlachtens). Ab diesem Tage wurden die Donbas-Volksrepu­bliken mit schwerer Artillerie massiv beschossen. Rücksicht auf zivile Bevölkerung, Infrastruktur, Schulen oder Krankenhäuser gab es nicht.
Dieser Beschuss dauerte als Krieg niederer Intensität bis Mitte Februar 2022 an. Von internationaler Seite wurde versucht, durch Waffenstillstandsabkommen Minsk 1, und nach dessen Scheitern Minsk 2, die Feindseligkeiten einzudämmen. Deutschland, Frankreich, die Ukraine und Russland konnten sich tatsächlich auf dem Papier einigen. Vor allem aber von ukrainischer Seite wurden diese Vereinbarungen nicht eingehalten. Die pflichtvergessenen Garantiemächte D und F kümmerte das wenig.
Als Ergebnis dieses Beschusses niedrigen Niveaus ist mit geschätzten insgesamt ca. 14.000 Toten und erheblichen Zerstörungen im Donbas zu benennen. A. Merkel hat im Dezember 2022 offen zugegeben, dass die Minsk-Abkommen für den Westen den versteckten Zweck hatten, der Ukraine genügend Zeit zu verschaffen, um aufzurüsten. Vor allem mit US-Hilfe massiv vorangetrieben, wurden tausende junge ukrainische Soldaten von amerikanischen Ausbildern militärisch trainiert. In den Minsk-Abkommen war u.a. sogar vorgesehen, den Donbas-Oblasten eine schon länger geforderte weitgehende Autonomie mit freien Wahlen zuzugestehen, was in einer bis spätestens Ende 2015 neu auszuarbeitenden ukrainischen Verfassung festgezurrt werden sollte. Über die Krim sollte erst nach ca. 15 Jahren weiterverhandelt werden, die schweren Waffen sollten umgehend zurückgezogen werden.

2019 stand wieder die Präsidentschaftswahl in der Ukraine an. Der Oligarch Poroschenko, der 2014 zum Präsidenten gewählt worden war, und neben anderen W. Selenski waren Kandidaten. Selenski trat mit dem Plan an, im Donbas endlich Frieden zu schaffen, die extreme – übrigens auch heute immer noch weitgehend bestehende – Korruption zu bekämpfen. Nach der Wahl, die Selenski mit großer Mehrheit gewinnen konnte, war von Frieden im Donbas bald nicht mehr die Rede, schlicht weil der rechte Sektor Selenski mit dem Tode bedrohte. Schnell war er von seiner Friedensabsicht abgerückt. Angeblich hat es in der Korruptionsfrage Fortschritte gegeben. Die Ukraine ist aber immer noch als das mit weitem Abstand korrupteste Land Europas eingestuft, nur Russland steht in dieser Rangfolge noch schlechter da.

Selenski hat sich schon 2014 auch wie folgt geäußert: „In the East and in Crimea the people want to speak Russian. Leave them alone, just leave them alone. Legally provide them the right to speak Russian. Language should never divide our country. I am of Jewish heritage, I speak Russian. I am a citizen of Ukraine. I love this country and I don’t want to be part of another. Russia and Ukraine are brotherly people, I know many millions, thousands of people who live in Russia and who are wonderful.
We are one colour, one blood, we understand each other, irrespective of language. „

(Russland und Ukraine sind Brudervölker, wir sind eine Farbe, ein Blut, wir verstehen einander, unabhängig von Sprache.)

Selenskis Militärberater O. Arestovych gab noch vor der Wahl 2019 ein gespenstisch beeindruckendes, längeres Interview mit seiner Sicht auf die kommenden Jahre. Seine Voraussagen sind mit überraschend hoher Genauigkeit Wahrheit geworden. Die Ukraine, deren Führungselite das Land in die NATO führen wollte, müsse erst einen verheerenden Krieg mit Russland durchmachen, der in den Jahren 2020 bis 2022 – und zwar mit „99,9%iger Wahrscheinlichkeit“ – stattfinden würde. Ohne diesen Krieg hätte die Ukraine keinerlei Chance, in die NATO aufgenommen zu werden, denn durch diesen Krieg solle Russland so weit geschwächt werden, dass es die Weigerung, die Ukraine für die NATO „frei“ zu geben, aufgeben müsse.
Die dafür notwendige Ausstattung mit modernen Waffen würde von den USA und den westlichen Staaten geliefert werden. Die USA hatten und haben natürlich ein großes Interesse daran, Russland niederzuringen, ohne mit eigenen Soldaten, also direkter Beteiligung der NATO selbst antreten zu müssen.

Die Rechtslastigkeit der Regierungen der Nach-Maidan-Zeit, also auch der Selenski-Regierung, zeigt sich nur zu deutlich in den zahlreich verbotenen oppositionellen Parteien, Zeitungen, Fernsehstationen usw. Opposition findet in der Ukraine schlicht nicht mehr statt, Demokratie sieht anders aus. Davon hört man hier im Westen allerdings so gut wie nichts, die Unterdrückung der Opposition in Russland füllt hingegen die Gazetten; auch hierzulande ist es praktisch höchst ungehörig, wenn nicht klammheimlich verboten, sich kritisch zum Ukrainekrieg zu äußern. Vom Westen sind inzwischen fast alle kulturellen, sozialen, wissenschaftlichen und sportlichen Kontakte mit der russischen Seite gekappt worden, russische Künstler in Deutschland mussten sich z.B. vom russischen Vorgehen in der Ukraine schriftlich distanzieren, sonst waren sie ihren Job los.

Im März 2021 verkündete Selenski, militärisches Ziel sei, die gesamte Ukraine, den Donbas und die Krim zurückzuerobern, das Jahr 2021 war der Vorbereitung dieser Rückeroberung gewidmet. Putin legte noch im Dezember 2021 auf Anforderung der USA seine Vorschläge für Verhandlungen vor, im Wesentlichen wollte er die garantierte Neutralität der Ukraine, die Nicht-Ausdehnung der NATO, den Rückzug der westlichen Truppen aus den früheren Ostblockstaaten.
Der Westen ging nicht darauf ein, Verhandlungen aufzunehmen, kanzelte das Papier als unerfüllbar ab. Schon im Januar massierte Selenski seine Truppen an der Kontaktlinie zum Donbas und ab dem 15.2.22 setzte wieder extrem massiver Beschuss auf den Donbas ein, bis zu vierzigmal heftiger als im Durchschnitt der vorausgegangenen Zeit (alles fein säuberlich von der OSCE dokumentiert). Sechs Tage später, am 21.2.22 erklärte Putin, die Donbas-Volks­republiken würden als unabhängige Staaten anerkannt, am 22.2.22 wurde dieser Beschluss in der russischen Duma abgesegnet, ein Beistandspakt wurde ratifiziert, die Volksrepubliken forderten daraufhin die russische Hilfe an. Am 24.2. 22 wurde dann, wie bekannt, der schon seit acht Jahren andauernde Ukraine-Krieg mit dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine wesentlich ausgeweitet.

Der Krieg begann also nicht am 24.2.22, wie uns die westlichen Medien glauben machen wollen, sondern mit dem militärischen Eingreifen des ukrainischen Militärs am 14.4.2014 gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen der Donbas-Republiken, nach einer jahrzehntelangen Vorgeschichte, die mindestens bis 1990 zurückreicht.

In den Tagen vor dem Einmarsch befand sich Putin quasi in einer Dilemma-Situation: greift er angesichts des massiven Beschusses des Donbas durch die ukrainische, von den Amis kriegsbereit hochgerüstete Armee nicht ein, muss er mit massivem Druck der eigenen Bevölkerung rechnen, marschiert er aber doch ein, ist er international endgültig unten durch. Der Einmarsch war tatsächlich dermaßen umfangreich und erdrückend, so dass anscheinend von russischer Seite fest damit gerechnet wurde, die ukrainische Führung setze sich ins Ausland ab und die Ukraine ergebe sich nach wenigen Tagen, wie 2008 in Georgien, um die zu erwartenden großen Schäden und Opfer zu vermeiden.
Selenski und seine Führungsriege jedoch gaben nicht klein bei, der Regierungschef blieb in Kiew. Nach wenigen Tagen wurden die ersten Waffenstillstandsverhandlungen in Belarus aufgenommen, die Ende März in Istanbul tatsächlich zu einer Einigung führten. Diese unterschriftsreife Einigung wurde dann aber doch nicht von der Ukraine angenommen. Sie war von Erdogan vermittelt worden, dem türkischen Ministerpräsidenten, und enthielt die Kompromisse, die Selenski und Putin eingegangen waren, um die Ausweitung des Krieges zu verhindern, im Wesentlichen, was schon im Minsk II-Abkommen 2015 erreicht, aber nicht eingehalten worden war. Der israelische Ex-Minister­präsident Bennett hatte seinerseits schon kurz vorher mit beiden Seiten getrennt Gespräche geführt, mit guten Aussichten auf einen Verhandlungserfolg, was dann auch in das Istanbuler Papier mit einging.

Vor Kurzem hat Bennett bestätigt, dass unter Druck der USA dieser Verhandlungsabschluss eines Waffenstillstands nicht zustande kam, er sei gezielt blockiert worden. B. Johnson wurde umgehend nach Kiew geschickt, um eine Übereinkunft zu verhindern und den Ukrainern zu versichern, sie würden alles bekommen, was sie an Waffen und Material benötigen, um die russischen Truppen aus dem Land zurückzudrängen, den gerade anlaufenden Krieg also militärisch zu gewinnen. Auch Deutschland und Frankreich wollten laut Bennett dieses Abkommen nicht. Frau Baerbock sprach aus, worum es eigentlich ging: Russland zu ruinieren.
Inzwischen ist sie noch deutlicher geworden: Wir sind im Krieg mit Russland. Der Westen liefert Waffen, inzwischen immer mehr und immer tödlichere, schickt aber die Menschen der Ukraine in die blutige Schlacht. Seit diesem Zeitpunkt kann leider die Situation getrost als völlig verfahren bezeichnet werden. Eine Lösung scheint nicht in Sicht, die Zahl und das Ausmaß der Schäden und Opfer auf beiden Seiten nehmen immer weiter zu und vor allem Selenski weigert sich jetzt strikt zu verhandeln, solange russische Truppen sich noch auf ukrainischem Boden befänden.
Die militärischen Ergebnisse und Vorstellungen der russischen Seite sind auch nicht gerade dazu angetan, einen Verhandlungserfolg, so es denn zu Verhandlungen kommen würde, für wahrscheinlich oder möglich zu halten. Eine Ausweitung zu einem neuen, dritten Weltkrieg kann leider nicht ausgeschlossen werden.

USA-NATO führt übrigens nicht nur den Stellvertreterkrieg gegen Rußland in der Ukraine, die Ukrainer sind die Leidtragenden, das Kanonenfutter, sondern auch gegen Europa und speziell gegen Deutschland als Konkurrenten, erlassen – sogar mit Billigung der „Bündnispartner“ .- massive Sanktionen gegen Rußland, die aber vor allem genau die eigenen Verbündeten treffen, sprengen laut Seymour Hersh am 26.9.22 die vier gewaltigen Pipelines der Nord Stream. Angeblich völlig unschuldig.
Jetzt soll der Sicherheitsrat der UNO diesen Terrorakt untersuchen (Jeffrey Sachs, Ray McGovern). D, S, Dk, N hüllen sich in Schweigen, also (und es würde mich nicht wundern, wenn genau das rauskommen würde) ein demütig hingenommener Terrorangriff durch einen angeblich Verbündeten.
Eigentlich ein kriegerischer Akt, ein Fall für Artikel 5 des Nato-Vertrags durch die Führungsmacht dieser Nato gegen Deutschland und Europa.
Zig Mrd Verluste an Investition, Zwang zum Kauf der maßlos überteuerten Ersatz-Energie, Inflation, usw. USA offiziell „very gratified“ (V. Nuland) durch Pipelinesprengung, die angeblich völlig ungeklärt ist (Aliens??).
Biden selbst hatte, sogar in Anwesenheit des begossenen Pudels Scholz, die Zerstörung der Leitungen am 7.2.22 angekündigt. Verkackeimern können wir uns wirklich selber, dazu brauchen wir die Amis nicht. Oder soll jetzt der Rest der Nato gemeinsam die USA militärisch angreifen und dort Ordnung schaffen?!?…………..

Dieser lange Text enthält leider keine Querverweise. Wer so etwas möchte, dem sei das aktualisierte Buch von Thomas Röper empfohlen, in dem sehr ausführlich zitiert wird.

*: Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.

**; George-Washington-University

Jochen

Sahra Wagenknecht im NachDenkSeiten-Interview: „Natürlich ist auf unserer Kundgebung in Berlin jeder willkommen“

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Heute ganz aktuell und ausführlich. Gut, dass es die NachDenkSeiten gibt.
https://www.nachdenkseiten.de/?p=94067
Auszüge:

Sahra Wagenknecht stellt sich den Fragen unserer Leser. Im Interview spricht sie über das Zustandekommen des Manifests, die „armselige Debattenkultur“ in Deutschland und stellt klar, dass sie sich nicht, wie zuvor kolportiert, für einen Ausschluss von AfD-Mitgliedern bei der geplanten Friedenskundgebung am 25. Februar vor dem Brandenburger Tor ausgesprochen hatte.
Zudem geht sie auf die Kritik ein, das Manifest für Frieden würde die Vorgeschichte des Konfliktes ausblenden und Russland einseitig als Aggressor darstellen und skizziert ihren Ansatz für einen ersten Waffenstillstand.
Abschließend beantwortet sie die Frage, die uns in Dutzenden Leserbriefen erreichte: Wann sie plane, ihre eigene Partei zu gründen. Das Interview führte Florian Warweg.

Frau Wagenknecht, Sie haben kürzlich zusammen mit der Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer das „Manifest für Frieden“ initiiert und rufen gemeinsam zur Friedenskundgebung am 25. Februar um 14 Uhr vor dem Brandenburger Tor auf. Können Sie uns verraten, wie es zu dieser Zusammenarbeit kam und wer da auf wen zugegangen ist?

Ich habe mit Alice Schwarzer seit knapp einem Jahr Kontakt. Ich hatte ihr damals geschrieben und mich für ihren Offenen Brief an Scholz bedankt, über den ich unglaublich froh war.
Wir haben uns danach hin und wieder geschrieben, und im Januar, als die Debatte über die Lieferung von Kampfpanzern hochkochte, kam Alice Schwarzer auf mich zu und sagte: Wir müssen etwas machen. Da war ich natürlich sofort dabei.

Der Spiegel kürte Sie beide zu „Verliererinnen des Tages“ und erklärt, Ihr Aufruf lese sich, als käme er direkt aus der Feder des Kreml-Pressesprechers. In eine ähnliche Kerbe haut die FAZ, dort ist das Manifest eine „Propaganda-Hilfe für Putin“, in der taz wird Ihr Anliegen als „politobszön“ und „amoralisch“ bezeichnet, in der Süddeutschen war mit Verweis auf den Politologen Herfried Münkler von „Komplizenschaft mit dem Aggressor” die Rede.
Die Reaktion von CDU- und Ampel-Vertretern war ähnlich vernichtend, auch aus der eigenen Partei hagelte es massive Kritik.
Wieso reagiert Ihrer Meinung nach der mediale und politische Mainstream mit so viel Häme und geradezu Hass auf eine Petition, die sich für Friedensverhandlungen und einen Stopp der „Eskalation der Waffenlieferungen“ ausspricht, also noch nicht einmal einen generellen Stopp von Waffenlieferungen an die Ukraine fordert?

Ja, das Niveau der politischen Debatte in Deutschland ist wirklich armselig und die Konformität der großen Medien in dieser Frage einer Demokratie unwürdig. Warum sind sie so?
Die ZDF-Sendung Die Anstalt hatte vor längerer Zeit mal eine sehr aufklärende Sendung über die engen Verbindungen zwischen einflussreichen deutschen Journalisten und U.S.-Think-Tanks.
Und selbst, wo es keine solchen Bande gibt: Die meisten Journalisten leben in der grünen Blase, in der Kriegsbesoffenheit aktuell en vogue ist.

Jetzt sind Sie und Frau Schwarzer ja bei weitem nicht die Einzigen, die derzeit verbal dermaßen angegangen werden, weil sie sich für Friedens-Verhandlungen aussprechen. Man denke nur an die hysterischen Kampagnen gegen Gabriele Krone-Schmalz und Ulrike Guérot.
Wie erklären Sie sich diesen zunehmenden Drang in Politik und Medien, Menschen mit anderen Meinungen und Einschätzungen zum Umgang mit dem Ukraine-Krieg nicht nur zu kritisieren, sondern sie bewusst moralisch abzuwerten? Was bedeutet das für die Debattenkultur in unserem Land?

Wer keine guten Argumente hat, muss es mit Emotion und Moralisierung versuchen. So funktioniert die Cancel Culture ja auch auf anderen Gebieten. Und wie mit den mutigen Frauen Gabriele Krone-Schmalz und Ulrike Guérot umgegangen wird, schafft ein Klima der Einschüchterung.
Tatsächlich haben uns ja auch Einige, die wir als Erstunterzeichner angesprochen hatten, mehr oder minder deutlich gesagt, dass sie zwar unser Anliegen teilen, sich diesem öffentlichen Shitstorm nicht aussetzen möchten. Interessant ist aber, dass trotz des Hasses und der Häme, die über uns ausgekippt wurden, in nur einer Woche eine halbe Million Menschen unser Manifest unterzeichnet haben.
Das übertrifft alle Erwartungen. In Umfragen ist eine Mehrheit für Verhandlungen und gegen die Ausweitung der Waffenlieferungen.
Die Menschen lassen sich von der medialen Propaganda – so muss man es ja leider nennen – Gott sei Dank immer weniger beeindrucken.

Neben der schon erwähnten Kritik, die Ihnen „Kreml-Propaganda“ vorwirft, gibt es auch eine ganz anders geartete Kritik, die der Petition vorwirft, einseitig Russland als Aggressor zu benennen und dabei die Vorgeschichte zu ignorieren, angefangen vom Maidan-Putsch, über den jahrelangen massiven Beschuss ziviler Ziele im Donbass ab 2014 durch die ukrainische Armee bis zur massiven Präsenz von NATO-Beratern und dem Eingeständnis Angela Merkels, Minsk II sei nur Mittel zum Zweck gewesen, um die Ukraine gegen Russland aufzurüsten.
Wie bewerten Sie diese Kritik und mit welchen Argumenten würden Sie diejenigen versuchen zu überzeugen, die erklären, dass sie diesen „grundsätzlich guten Aufruf“ deswegen nicht unterzeichnen können, dies doch noch zu tun?

Wir wissen um die Vorgeschichte des Krieges und ich selbst habe sie öffentlich immer wieder thematisiert. Dieser Krieg wäre verhinderbar gewesen und Teile des politischen Establishments der USA haben es geradezu darauf angelegt, dass der Konflikt militärisch eskaliert.
Es war immer klar, dass Russland nicht hinnehmen wird, dass die Ukraine ein militärischer Vorposten der Vereinigten Staaten wird und dann möglicherweise Raketen an der russischen Grenze stehen, die Moskau in fünf Minuten erreichen können.
Trotzdem ist es meine tiefe Überzeugung: Krieg ist nie eine Lösung. Mit dem Befehl zum Einmarsch hat die russische Führung Völkerrecht gebrochen und sich schuldig gemacht. Das muss man ohne jede Einschränkung verurteilen. Es gibt immer auch andere Wege.
Aber selbst wer das anders sieht: Es geht doch jetzt darum, alle Kräfte zu bündeln, um Druck für einen schnellen Verhandlungsfrieden auszuüben.
Da sollten wir an einem Strang ziehen und brauchen jede Unterschrift – und jeden Kundgebungsteilnehmer am 25. Februar in Berlin.

Kommen wir auf die von Ihnen geplante Friedenskundgebung am 25. Januar vor dem Brandenburger Tor zu sprechen.
Es wird kolportiert, dass Sie AfD-Mitglieder und -Wähler von der Teilnahme an der Kundgebung ausgeschlossen haben. Können Sie das so bestätigen?
In diesem Zusammenhang erreichten uns auch zahlreiche Leserzuschriften, die die Gretchenfrage in Bezug auf die Teilnahme von AfD-Mitgliedern stellen und ganz grundsätzlich fragen, ob es in dieser existenziellen Frage von Krieg oder Frieden nicht geboten sei, mit den Kräften aller politischen Lager zusammenzuarbeiten, ohne dabei alle sonstigen politischen Differenzen zu verschweigen. Was ist Ihre Haltung dazu?

Natürlich ist auf unserer Kundgebung jeder willkommen, der ehrlichen Herzens für Frieden und gegen Waffenlieferungen demonstrieren möchte.
Was wir nicht dulden werden, sind rechtsextreme Flaggen, Embleme und Symbole. Dass so etwas auf einer Friedenskundgebung nichts zu suchen hat, sollte sich eigentlich von selbst verstehen.
Immerhin steht der Rechtsextremismus in der Traditionslinie eines Regimes, das den schlimmsten Weltkrieg seit Menschheitsgedenken vom Zaun gebrochen hat.
Zu der schwachsinnigen Debatte, wir seien „rechtsoffen“, fällt mir ansonsten nur der Hinweis ein, dass nicht der Ruf nach Frieden, sondern die bei vielen unserer Kritiker zu beobachtende Unterstützung von Militarismus und Krieg seit ewigen Zeiten Kennzeichen rechter Politik ist. In diesem Sinne haben wir leider eine „rechtsoffene“ Regierung und die Grünen sind die Schlimmsten darin.

Da wir gerade von Allianzen sprachen. Deutschland ist zweifelsfrei das Schlüsselland in Europa in der Frage Krieg oder Frieden mit Russland.
Gab es beim Verfassen des Manifests aber auch die Überlegung, dieses auf andere europäische Staaten auszuweiten und nicht nur an Olaf Scholz zu richten?
In Frankreich hätte das Manifest beispielsweise vermutlich auch viel Unterstützungspotenzial. Gab es schon Gespräche in diese Richtung, etwa mit Jean-Luc Mélenchon, zu dem Ihr Mann gute Verbindungen unterhalten soll?

Wir haben Mitte Januar zum ersten Mal darüber nachgedacht, eine solche Initiative zu starten, am 10. Februar wurde das Manifest mit 69 prominenten Erstunterzeichnern veröffentlicht, seither tun wir alles, um die Kundgebung auch ohne starke Organisationen im Rücken solide vorzubereiten.
Wir haben in dieser Situation noch keine Möglichkeit gehabt, an einer europaweiten Vernetzung zu arbeiten. Aber es ist eine wichtige Anregung, die wir in Zukunft gern umsetzen werden.

Mehrere Leserzuschriften haben uns erreicht, die sich hilfesuchend an Sie wenden und um Argumentationshilfe für Diskussionen im Bekannten- und Freundeskreis bitten, was denn konkret umsetzbare Vorschläge für einen aktuellen Verhandlungsfrieden zwischen der Ukraine (plus westliche Unterstützer) sowie Russland wären. Was antworten Sie diesen Lesern?

Nach übereinstimmender Aussage des ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Bennet und des türkischen Außenministers gab es im Frühjahr bereits Gespräche und eine so starke Annäherung zwischen Moskau und Kiew, dass ein Friedensschluss in greifbarer Nähe war. Verhindert wurde er damals durch London und Washington.
Kern des Ukraine-Konflikts war immer die Frage einer NATO-Mitgliedschaft, die Frage möglicher westlicher Militärbasen und Raketenrampen.
Im Frühjahr waren die Russen offenbar bereit, sich für ein Zugeständnis in dieser Frage hinter die Linien des 24. Februar 2022 zurückzuziehen. Ob das heute noch möglich wäre, weiß ich nicht.
Mit der Annexion der Regionen Luhansk und Donezk hat Putin Fakten geschaffen, hinter die er kaum zurückgehen wird.
Aber das zeigt doch wieder: Je länger der Krieg dauert, desto schwieriger wird ein Kompromiss. Aktuell sehe ich eigentlich nur den Weg, die Frontlinie zunächst einzufrieren und später ein UN-beaufsichtigtes Referendum in diesen Gebieten durchzuführen.

seymour hersh

seymour hersh

In den letzten Tagen sorgte die Recherche des renommierten US-Investigativ-Reporters Seymour Hersh für Furore, in welcher er erklärte, Nord Stream sei auf direkten Befehl des US-Präsidenten Joe Biden gesprengt worden.
Bereits vor der Hersh-Veröffentlichung war offensichtlich geworden, dass die Bundesregierung keinerlei Interesse zeigt, die mutwillige Zerstörung eines der größten und teuersten Infrastrukturprojekte Europas wirklich aufklären zu wollen.
Was ist Ihre Einschätzung der Lage? Kennt die Bundesregierung den Täter, traut sich aber aus diversen Gründen nicht, dies öffentlich kundzutun?

Die Bundesregierung gibt jedenfalls selbst zu, dass sie mehr weiß, als sie öffentlich sagt. Kollegen im Bundestag und auch ich selbst haben sie mehrfach dazu befragt und immer wurde die Antwort verweigert, nicht, weil man vorgab, nichts zu wissen, sondern „aus Gründen des Staatswohls“.
Wer eins und eins zusammenzählen kann, dürfte keinen großen Zweifel daran haben, wer die Pipeline gesprengt hat. Zumal Biden das ja faktisch in der Pressekonferenz mit Scholz angekündigt hat.
Die russisch-deutschen Pipeline-Projekte waren den Amerikanern immer ein Dorn im Auge, schon zu Beginn der Zusammenarbeit in den achtziger Jahren.
Und tatsächlich gibt es auch nur einen großen Profiteur: Alle Experten sind sich einig, dass das nunmehr aus Europa verbannte preiswerte russische Gas in Zukunft nahezu vollständig durch das sehr viel teurere US-amerikanische Flüssiggas ersetzt wird.

Im Zusammenhang mit Nord Stream, dem Sanktionsregime und dem Krieg in der Ukraine erreichten uns viele Leserzuschriften mit einer Frage an Sie, die sich so zusammenfassen lässt:
Wie können wir, Deutschland und EU, uns aus der desaströsen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Hörigkeit und Abhängigkeit von den USA lösen?
Was bräuchte es, um dies überhaupt zu einem realistischen Szenario zu machen?

Also, in erster Linie bräuchte es einen Bundeskanzler mit Rückgrat. Und Koalitionspartner, die ihn dabei unterstützen.
Auf europäischer Ebene sollte die Bundesregierung die Zusammenarbeit mit Ländern wie Frankreich suchen, die sich traditionell ein unabhängigeres, souveränes Europa wünschen.

Die wohl unangenehmste Frage für Sie haben wir uns in alter Tradition für den Schluss aufgehoben. Wie bereits erwähnt, hatten wir im Vorfeld des Interviews unseren Lesern angeboten, uns Fragen an Sie zuzuschicken.
Die Reaktion war geradezu überwältigend, uns erreichten über 350 Fragen. 84 davon, also 24 Prozent der eingegangenen Zuschriften, hatten folgendes Thema in unterschiedlichen Frage-Formulierungen zum Inhalt: „Wann gründen Sie endlich Ihre eigene Partei?“, „Warum haben Sie noch keine eigene Partei gegründet?“, „Was hindert Sie daran, eine neue Partei zu gründen?“, „Wird zu den Europawahlen eine neue Bewegung/Partei unter Mitwirkung von Ihnen antreten, die sich kompromisslos gegen Waffenlieferungen und Sanktionen stellt, oder bleibt es beim Schaulaufen?“.

Das ist eine wichtige Frage, über die ich natürlich, wie viele andere, nachdenke. Es ist ja tatsächlich so, dass es eine riesige Leerstelle im politischen System gibt.
Die Linkspartei fällt als relevante Kraft für Frieden und Gerechtigkeit nach dem Urteil vieler Wähler aus, seit die Parteispitze die woken Grünen kopiert und bei wichtigen Themen Angst vor der eigenen Courage hat.
Insofern wäre da schon Bedarf für eine neue Partei, die rund 30 Prozent der Menschen endlich einmal wieder eine Stimme gibt.
Aber es ist in Deutschland nicht leicht, eine neue Partei zu gründen. Es gibt viele Fallstricke. So ein Projekt ohne solide Vorbereitung zu beginnen, hätte wenig Aussicht auf Erfolg.

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.
Jochen

Gibt es eine Verhandlungslösung in der Ukraine?

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Aktuell auf den NachDenkSeiten:

RAND-CorporationDie Rufe nach einer Verhandlungslösung im Ukraine-Krieg werden langsam lauter. Vor kurzem löste die Studie „Avoiding a Long War der RAND-Corporation in westlichen Hauptstädten Konsternation aus, weil erstmals ein der US-Regierung nahestehendes Institut einen Tabu-Bruch beging, indem es die Ukraine implizit aufforderte, Verhandlungen mit Russland aufzunehmen [1].
Die Überlassung von gut und gerne 20 Prozent des ukrainischen Territoriums an die Russische Föderation, welche die Administration Biden der Regierung in Kiew offenbar vorschlug, ist Teil der vorgeschlagenen Verhandlungslösung. Es lohnt sich, die Studie einmal genauer anzuschauen.
Von Ralph Bosshard, mit freundlicher Genehmigung von Globalbridge.ch, wo der Artikel zuerst erschienen ist.

Die Studie war eventuell einfach als Versuchsballon gedacht, mit welchem die US-Regierung auszuloten versuchte, inwieweit die europäischen Verbündeten bereit sind, Verhandlungen mit der russischen Seite zuzulassen [2].
Nachdem gerade in multilateralen Foren seit 2013 eine Atmosphäre geschaffen worden war, in welcher Verhandlungen als Zeichen der Schwäche ausgelegt werden, ist das Umfeld für solche ungünstig. Alleine schon die Aufnahme von Verhandlungen wird von einigen eifrigen Transatlantikern als Niederlage betrachtet werden. Manche von ihnen werden sich fragen müssen, wie man eine derartige Niederlage kommunizieren soll oder ob es besser ist, zurückzutreten.

Fast sieht es so aus, als ob Dmitry Medvedev Recht behält, der einmal sagte, die USA hätten noch jeden Verbündeten früher oder später im Stich gelassen [3]. Mit den bisherigen Waffenlieferungen haben namentlich die USA der Ukraine gezeigt, dass ihre Unterstützung nicht unbegrenzt ist. Die RAND-Studie fordert genau das.
Auch in Kiew weiß man, dass nur durchschlagende Erfolge weitere Waffenhilfe sichern. Derartige Erfolge erzielte die ukrainische Herbstoffensive im letzten Jahr aber nicht und solche sind mit den versprochenen Waffen wohl auch nicht zu erreichen [4].
Ein bloßer Waffenstillstand, wie ihn die RAND-Studie als eine Handlungsoption vorschlägt, dient in erster Linie US-amerikanischen und westeuropäischen Interessen, aber nicht ukrainischen.
Eine Unterbrechung der Kampfhandlungen und erst recht ein c würden wohl die militärische Unterstützung des Westens an die Ukraine versiegen lassen [5].
Damit träte wieder die Situation der Jahre 2014 bis 2022 ein, und je länger so ein  dauerte, desto grösser wäre die Gefahr, dass aus dem de facto Zustand ein dauerhafter wird.

Der Westen militärisch geschwächt

Offenbar bereitet das „atemberaubende“ indirekte militärische Engagement einiger NATO-Verbündeter maßgebenden Kreisen in den USA Kopfschmerzen [6].
Der Erfolg von Bundeskanzler Olaf Scholz, der die Lieferung von US-Panzern an die Ukraine zur Vorbedingung für die Lieferung deutscher „Leopard-2“ Panzer machte, mag dieses Unbehagen noch verstärkt haben.

Russland versuchte im vergangenen Frühjahr mit zahlenmäßig schwächeren Kräften die numerisch stärkere ukrainische Armee handstreichartig zu überrennen, was nicht gelang. Mit der Mobilisierung von Reservisten korrigierte Russland sein Defizit an Personal und zerschlug die Hoffnungen auf einen kurzen Krieg.
Klar ist aber, dass keine der beiden Parteien einen absoluten militärischen Sieg erkämpfen kann [7]. Unklar ist, wie stark die Ukraine militärisch wirklich ist.
Eine deutsche Quelle sprach unlängst von 700’000 Mann Personalstärke und von Verlusten von um die 100’000 Mann [8]. Zur Wahrung US-amerikanischer Interessen fordert die RAND-Studie eine Klärung der militärischen Hilfe an die Ukraine bzw. die Erstellung eines langfristigen Hilfsprogramms.
Weiter fordert die Studie, zukünftige militärische Hilfe an die Ukraine müsse an die Bedingung geknüpft werden, dass die Ukraine in Waffenstillstandsverhandlungen eintrete [9].
Das zeigt, dass die Waffenlieferungen zumindest aus den USA nicht dazu dienen, der Ukraine die Rückeroberung des Donbass und der Krim zu ermöglichen, sondern ihre Verhandlungsposition gegen Russland zu verbessern. Jetzt, wo die Waffenreserven Westeuropas langsam schwinden, schmelzen die notwendigen Ressourcen dahin.
Die Waffen, die in der Ukraine zerstört werden, fehlen in naher Zukunft schon woanders. Das ist möglicherweise der Hintergrund der Aussage von US-Präsident Joe Biden, dass der Krieg mittels Verhandlungen beendet werden müsse [10].

Enttäuschte Hoffnungen auf einen Umsturz in Moskau

Allein schon der Beginn von Verhandlungen würde bedeuten, dass verschiedene Ambitionen westlicher Außenpolitik nicht umgesetzt werden können. Es wird dem Westen nicht gelingen darzulegen, dass sich militärische Aggression nicht lohnt, denn selbst wenn Russland sich auf die Waffenstillstandslinie von Minsk zurückziehen müsste, die bis zum 24. Februar vergangenen Jahres Bestand hatte, ist der Schaden an der internationalen Ordnung angerichtet [11].
Bisher war man davon ausgegangen, dass jede Lösung, welche Sewastopol, die Krim und die vier Oblaste im Südosten der Ukraine in russischem Besitz belässt, für den Westen inakzeptabel sei.

In der Schwächung Russlands durch den Krieg in der Ukraine erblicken die Autoren der RAND-Studie nur einen moderaten Vorteil für die USA, da diese nun noch enger an China gebunden werde.
Das dauernde finanzielle und materielle Engagement der USA und die enormen Investitionen in die Ukraine führten dazu, dass Washington sich nicht anderen Problemen widmen und keine Kooperation mit Russland in anderen Bereichen eingehen könne, beklagten die Autoren [12].
Ein konkretes Beispiel ist die Frage der nuklearen Proliferation, wo sich Russland als „Spoiler“ betätigen könnte. Erste konkrete Auswirkungen könnte das im Zusammenhang mit dem Iran haben: Wenn Russland dem Iran im Gegenzug für die militärische Unterstützung, welche dieser ihm momentan leistet, bei Bedarf Kernwaffen zur Verfügung stellt, analog der nuklearen Teilhabe einiger NATO-Staaten, dann kann dieser sein Kernwaffen-Programm einstellen und die Aufhebung der gegen ihn gerichteten Sanktionen fordern.
Ein solches Vorgehen müsste helles Entsetzen im gesamten Nahen Osten auslösen. Es wird wohl nicht kommuniziert werden, aber damit rechnen muss man in Israel und am Persischen Golf sehr wohl.

Um seinem Ziel der territorialen Wiederherstellung der Ukraine näherzukommen, braucht Zelensky einen Regimewechsel in Moskau, der nach den Erfahrungen der letzten Monate aber unwahrscheinlich ist. Von einem Machtwechsel erwarten sich auch die Autoren der RAND-Studie keine radikalen Veränderungen:

Putin’s war could very well continue without Putin“ [13].

Und ein neuer Präsident im Kreml wird auch nichts an den geopolitischen Widersprüchen und den geostrategischen Realitäten ändern können.

Solange der Westen nicht selbst mit eigenen Truppen auf Seiten der Ukraine in den Krieg eintritt, werden viele unbeteiligte Länder denken, der Westen schicke gerne Waffen und Geld in Kriegsgebiete und überlasse Tod und Zerstörung anderen.

Angst um die Wirtschaft

Ein Friedensabkommen würde den US-Interessen besser dienen als ein Waffenstillstand, ist aber unwahrscheinlich [14]. Am wichtigsten sei aber die Vermeidung eines langen Kriegs in der Ukraine.
Dieses Ziel ist für die USA wichtiger als die Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine, hält die Studie implizit fest, denn ein langer Krieg bringe den USA und der gesamten Weltwirtschaft enormen wirtschaftlichen Schaden [15]. Die Umstellung auf Kriegswirtschaft, die von manchen in Westeuropa schon gefordert wurde, würde den wirtschaftlichen Schaden noch weiter vergrößern.

Der RAND-Studie sagt auch, dass die territorialen Verluste, welche die Ukraine bis Dezember 2022 erlitt, keine vitalen wirtschaftlichen Konsequenzen für die Ukraine hätten [16].
Andererseits müssten die USA nun den ukrainischen Staat solvent erhalten, während gleichzeitig Westeuropa Millionen ukrainischer Flüchtlinge finanzieren müsse [17].
Als Folge der massiv höheren Energiepreise sei in Westeuropa bereits eine Übersterblichkeit im Umfang von 150’000 Menschen entstanden.

Wie lange Russland brauchen wird, um sich von den wirtschaftlichen Auswirkungen des Kriegs zu erholen, wird sich zeigen. Trotz gegenteiliger Meldungen wird sich der Schaden des Kriegs für die russische Wirtschaft in Grenzen halten.
Verschiedene Prognosen sagen für das laufende Jahr einen Rückgang der Wirtschaftsleistung von 0,8 bis 4 % voraus, während der IMF sogar ein bescheidenes Wachstum von 0,3 % prognostiziert [18].

Gebietsstreitigkeiten in der Ukraine und anderswo

Egal, ob ein Waffenstillstand oder ein Friedensabkommen zustande kommt, die USA und der Westen werden die Gebietsgewinne Russlands in der Ukraine formell niemals anerkennen [19].
Damit ist ein weiterer protracted conflict in Osteuropa gewiss, obendrein mit Beteiligung eines der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats.
Die P5 müssten eigentlich als Garanten der internationalen Ordnung nach Ende des Zweiten Weltkriegs funktionieren. Diese ist nun selbst in Gefahr.

Dass Moskaus eigentliches Ziel die Annexion von Gebieten im Südosten der Ukraine war, wurde spätestens im vergangenen September klar, als sich Russland diese Gebiete einverleibte [20].
Seither zeigte sich, dass mit zunehmender Dauer des Kriegs auch die Gefahr weiterer russischer Gebietsgewinne besteht.

Zwischenlösungen, wie zum Beispiel die Verschiebung der Entscheidung über den Status der betroffenen Gebiete, analog der von niemandem anerkannten Republik Artsakh (Berg-Karabach) gemäss den Madrider Prinzipien, sind wohl vom Tisch. Auch eine weitere Option wie die Belassung als nicht-anerkannte politische Gebilde wie Pridnistrowien (Transnistrien), Südossetien, Abchasien oder auch dem nicht allgemein anerkannten Kosovo, scheidet mittlerweile aus.
Dasselbe gilt auch für einen Autonomiestatus, für den Fall, dass die Ukraine die Kontrolle über seine Gebiete wiedererlangen sollte. Über Lösungen wie im Südtirol oder in Nordirland wird mit Kiew in diesem Fall nicht mehr zu diskutieren sein.

Ausschluss der Hauptbetroffenen

Es wäre naiv zu glauben, die Frage des Status der von Russland annektierten Gebiete sei mit einer Volksabstimmung zu lösen. Einer Volksabstimmung auf der Krim widersetzte sich die Ukraine immer mit dem Hinweis auf aktive russische Propaganda. Sämtliche, in den Regionen Donezk, Lugansk, Zaporozhie, Kherson und der Krim durchgeführten Volksabstimmungen sind aus völkerrechtlicher Sicht ungültig. Nachträglich als ungültig erklärte Volksabstimmungen kennt man im Süden der Ukraine aus der Geschichte durchaus [21].
Es hat wohl keinen Sinn, dieser Serie ein weiteres Element beizufügen.

Gerade dem Aspekt der Bevölkerung widmet die RAND-Studie wenig Beachtung, was allein schon vielsagend ist. Einzige Aussage ist, es liege im Interesse der USA, möglichst viele Ukrainer russischer Herrschaft zu entziehen [22]. Seit dem 24. Februar vergangenen Jahres flohen 8 Mio. Ukrainer nach Westeuropa und deren 3 Mio. nach Russland.
Je länger der Krieg dauert, desto kleiner wird die Wahrscheinlichkeit, dass diese Menschen in ihre Heimat zurückkehren, worauf sie grundsätzlich ein Recht haben, unabhängig davon, wo sie Schutz gesucht haben. Auch von einem Massenexodus aus der Krim ist bis dato nichts bekannt.
Insofern findet eine Abstimmung mit den Füssen statt. Verlässliche Zahlen über die Anzahl Menschen, die in den betroffenen Oblasten im Südosten der Ukraine verblieben, sind derzeit nicht erhältlich. Zusammen mit den Flüchtlingen dürften sie gut und gerne einen Viertel der ukrainischen Bevölkerung darstellen.
Mit der weiter zu erwartenden Abwanderung aus der Ukraine und den üblichen demographischen Problemen könnte das dazu führen, dass die Ukraine mittelfristig einen Drittel seiner ursprünglichen personellen Ressourcen verliert. Die westliche Gastfreundschaft könnte zum ukrainischen Niedergang führen.

Ob nach all den Ereignissen seit 2014 noch ein friedliches Zusammenleben von Menschen ukrainischer mit solchen russischer Muttersprache in einem politischen Gebilde möglich ist, darf bezweifelt werden. Vielmehr wird man davon ausgehen müssen, dass die Region eine «harte Grenze» braucht, wie Berg-Karabach heute.
Die Vertreter des Panslawismus und die Anhänger der «Brudervolk»-Theorie werden ihre Ansichten überarbeiten müssen.

Eine konsequente Ukrainisierung mit der damit einhergehenden „Umerziehung“ der russischsprachigen Minderheit von ursprünglich einem Viertel der Bevölkerung ist unannehmbar, wenn die Staatengemeinschaft nicht alle Lösungen von Minderheitenproblemen wie Südtirol, Nordirland und andere nachträglich desavouieren möchte.
Gänzlich inakzeptabel wäre eine ethnische Säuberung analog den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien in den Neunzigerjahren. Die Frage, ob die Ukraine das tun würde, ist kaum zu beantworten.
Sicher ist aber, dass eine Friedenslösung entsprechende Garantien für die russischsprachige Bevölkerung und die Rückkehrer aus Russland beinhalten müsste. Ein westliches Land kommt als solche Garantiemacht nicht in Frage, ganz bestimmt nicht nach den vielen Sanktionsmassnahmen im Westen gegen Menschen russischer und auch belarussischer Staatsbürgerschaft [23].
Dass die Menschen im Donbass und auf der Krim sich in keine Experimente einlassen wollen, ist nachvollziehbar. Die Antwort der ukrainischen Regierung auf Fragen von Amnestie und Wiederherstellung der sozio-ökonomischen Verbindung, wie sie im Minsker Massnahmenpaket festgehalten sind, wird ein wichtiger Indikator sein für ihre Einstellung gegenüber den Menschen im Donbass.

Mögliche Nachkriegsordnung

Für Russland bleibt die Bündnisfreiheit der Ukraine nach wie vor eine der zentralen Forderungen, zumal die Entstehung einer hochgradig militarisierten Frontlinie mitten durch die Ukraine als Folge eines Waffenstillstands zu erwarten ist [24].
Aber Russland hat kein Vertrauen in die Vertragstreue der Ukraine und des Westens und geht von einer Fortsetzung des Sanktionsregimes als Teil des Wirtschaftskriegs aus. Dazu mögen auch Äußerungen westlicher Spitzenpolitiker beigetragen haben, wonach eines der Ziele des Kriegs in der langfristigen Schwächung Russlands bestehe [25].
Umgekehrt wird die Ukraine russischen Versprechungen keinen Glauben schenken und Garantien für ihren neutralen Status fordern, sollte ein solcher zustande kommen.

Die russische Armee wird sich innerhalb weniger Jahre von den Personalverlusten, die sie erlitten hat und erleidet, erholen. Dann wird sie die einzige Armee in Europa darstellen, die Erfahrung in der Führung eines langen Kriegs hoher Intensität hat. Gerade diejenigen Staaten, welche die Ukraine am eifrigsten unterstützen, werden befürchten müssen, von Russland für ihr Verhalten bestraft zu werden. Mit zunehmender Dauer des Kriegs erhöht sich die Gefahr eines präemptiven Schlags gegen Länder, die sich anschicken, auf Seiten der Ukraine militärisch zu intervenieren.
Die Regime-Wechsel-Strategie gegen Russland, welche einige Länder immer noch betreiben, könnte Moskau zu Vergeltungsmaßnahmen motivieren, wenn es als Folge westlicher Politik zu inneren Unruhen in Russland kommen sollte. Dasselbe gilt wohl auch für Belarus.

Ratlosigkeit der Berater

Wie eine von den Autoren der RAND-Studie gewünschte Friedenslösung aussieht, ist kaum zu sagen. Im Sinne der Erwägungen um Territorium, Bevölkerung, Sprache und anderer Punkte des Minsker Massnahmenpakets wird eher klar, wie sie nicht aussehen kann.
Klar ist auch, dass die RAND-Studie keine Grundlage für eine dauerhafte Friedenslösung sein kann. Sie ist ausschliesslich auf US-amerikanische Interessen ausgerichtet und lässt jene aller anderen Beteiligten, inklusive der Ukraine selbst, ausser Acht.
Für eine sogenannte Denkfabrik einer Administration, die für sich einen Führungsanspruch in der Weltpolitik reklamiert, ist das einfach zu wenig.

Siehe zum Think Tank «RAND Corporation» auch «US-Militärberater attestieren Putin ein defensives Verhalten» (von Christian Müller)

[«1] Siehe Samuel Charap, Miranda Priebe: Avoiding a Long War, U.S. Policy and the Trajectory of the Russia-Ukraine ConflictRAND Corporation, Januar 2023, online unter rand.org/pubs/perspectives/PEA2510-1.html. Forderungen nach Verhandlungen: Willy Wimmer: Verhandeln jetzt: neues Verhandlungsangebot Moskaus muss ergriffen werden, bei World Economy, 11.02.2023, online unter world-economy.eu/nachrichten/detail/verhandeln-jetzt-neues-verhandlungsangebot-moskaus-muss-ergriffen-werden/.

[«2] Siehe Roger Koeppel: Pentagon-Denkfabrik fordert: Frieden mit Putin. Nur wird der Bericht in deutschen Mainstream-Medien totgeschwiegen, bei Die Weltwoche, online unter weltwoche.ch/daily/pentagon-denkfabrik-fordert-frieden-mit-putin-nur-wird-der-bericht-in-deutschen-mainstream-medien-totgeschwiegen/. Zusammenfassung unter seniora.org/politik-wirtschaft/rand-corporation-studie-einen-langen-krieg-vermeiden. Vgl. Moritz Eichhorn, Maximilian Beer: Bericht; US-Präsident bot Putin im Januar 20 Prozent der Ukraine für Frieden an, bei Berliner Zeitung, 02.02.2022, online unter berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/bericht-us-praesident-joe-biden-bot-wladimir-putin-20-prozent-der-ukraine-im-gegenzug-fuer-frieden-an-li.313482.

[«3] Medvedev, Dmitri “Nu vot i nachalos’. . . ,” Telegram Kanal, t.me/medvedev_telegram/213, 18.11.2022: Wörtlich “ Америка всегда бросала своих друзей и своих лучших «сукиных сынов». Так будет рано или поздно и в этот раз“, übersetzt: Amerika hat seine Freunde und seine besten „Hurensöhne“ immer im Stich gelassen. Also wird es auch dieses Mal früher oder später soweit sein. Mit dem Begriff Hurensöhne spielte Medvedev auf das Bonmot an: „He may be a son if a bitch, but he is our son of a bitch„. Zum Ursprung dieses Bonmots siehe Kevin Drum: „But He’s Our Son of a Bitch„, bei Washington Monthly, 16.05.2006, online unter washingtonmonthly.com/2006/05/16/but-hes-our-son-of-a-bitch/.

[«4] Vgl. Ralph Bosshard: Leopard-Panzer an der Grenze der Geografie, bei Global Bridge, 31.01.2023, online unter globalbridge.ch/leopard-panzer-an-der-grenze-der-geografie/.

[«5] Siehe Charap, Priebe, a.a.O., S. 19.

[«6] Siehe Charap, Priebe, a.a.O., S. 5

[«7] Zum Verlauf der „Militärischen Sonderoperation“ siehe „Q4 : Losers and Winners; a Contrarian Review of Political and Military Ramifications after 300+ Days of Conventional Conflict in the Ukrainian Theatre of Operations„, bei Cf finnem research, Januar 2023., online unter files.finnem.net/Cf%20Q42022%20Winners%20and%20Losers.pdf. Vgl. Charap, Priebe, a.a.O., S. 8, 17.

[«8] Zu Personalstärken und -verlusten siehe telegram.me/s/Soldaten_und_Reservisten. Die Zahl von 100’000 wurde vom Vorsitzenden der US-Stabschefs, General Milley und vom ehemaligen Generalinspekteur der deutschen Bundeswehr, General Kujat verwendet. Siehe „Soll der Krieg durch Gewalt zu Ende gehen oder durch Verhandlungen?“, Interview mit Harald Kujat in Preußische Allgemeine, 02.02.2023, online unter paz.de/artikel/soll-der-krieg-durch-gewalt-zu-ende-gehen-oder-durch-verhandlungen-a8297.html. Wenn die Behauptungen des Vertreters der DNR stimmen, dann ist davon auszugehen, dass 50’000 davon infolge Tods oder Invalidität als unwiederbringliche Verluste betrachtet werden müssen. Vgl. Charap, Priebe, a.a.O., S. 18.

[«9] Siehe Charap, Priebe, a.a.O., S. 21.

[«10] Ebd., S. 9, 21-23, 26.

[«11] Ebd., S. 6, 11.

[«12] Siehe das Minsker Protokoll vom 01.09.2014 auf der Homepage der OSZE: osce.org/files/f/documents/a/a/123258.pdf. Deutsche Übersetzung auf der Homepage der „Welt“, online unter welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/thema_nt/article131986171/Das-Minsker-OSZE-Protokoll-fuer-eine-Feuerpause.html. Das Minsker Maßnahmenpaket war Teil der Resolution 2202 des UN-Sicherheitsrats vom 17.02.2015: in deutscher Sprache online unter un.org/depts/german/sr/sr_14-15/sr2202.pdf. Vgl. Charap, Priebe, a.a.O., S. 11.

[«13] Siehe Charap, Priebe, a.a.O., S. 13.

[«14] Ebd., S. 15.

[«15] Ebd., S. 16.

[«16] Ebd., S. 7.

[«17] Den aktuellen Stand der Flüchtlingszahlen publiziert das UN HCR laufend auf deiner Homepage: unter Operational Data Portal, online unter  data.unhcr.org/en/situations/ukraine. Vgl. Charap, Priebe, a.a.O., S. 8f.

[«18] Siehe „IMF predicts Russian economy to rebound in 2023„, bei The Bell, 04.02.2023, online unter thebell.io/en/imf-predicts-russian-economy-to-rebound-in-2023/.

[«19] Siehe Charap, Priebe, a.a.O., S. 6.

[«20] Ebd., S. 12, 15.

[«21] Die Volksabstimmungen in den Oblasten Donetsk, Lugansk Zaporozhie und Kherson fanden große Beachtung in den westlichen Medien. Siehe „Russland meldet hohe Zustimmung bei „Referenden“, bei Tagesschau, 27.09.2022, online unter tagesschau.de/ausland/europa/scheinreferenden-russland-ukraine-101.html. Diese Volksabstimmungen werden allgemein als völkerrechtswidrig beurteilt. Am 20.01.1991 sprachen sich in einer Volksabstimmung 93 Prozent der Krimbewohner für die Wiederherstellung der ehem. Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik Krim (ASSK) als Subjekt der UdSSR aus und folglich für den Verbleib in der Sowjetunion. Am 17.03.1991 stimmten 70,2 % aller abstimmenden Ukrainer bei einem Referendum für den Verbleib in der UdSSR. Trotzdem erklärte sich wenig später die Ukraine unabhängig.

[«22] Siehe Charap, Priebe, a.a.O., S. 7.

[«23] Siehe „Aktueller Stand der Sanktionen gegen Belarus, Überblick über die restriktiven Maßnahmen der EU“, besonders “ Entgegennahme von Bankkontoeinlagen und Notifizierungspflicht über Bankkontoeinlagen“, auf der Homepage der Wirtschaftskammer Österreich, online unter wko.at/service/aussenwirtschaft/Aktueller_Stand_der_Sanktionen_gegen_Belarus.html. Diese und ähnliche Bestimmungen werden auch auf belarussische und russische Privatpersonen angewendet.

[«24] Nachweise Neutralität Ukraine. Siehe Charap, Priebe, a.a.O., S. 14.

[«25] Siehe Matt Murphy: Ukraine war; US wants to see a weakened Russia, bei BBC News, 25 April 2022, online unter bbc.com/news/world-europe-61214176. Vgl. Charap, Priebe, a.a.O., S. 20.

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Jochen