»Nuit Debout« macht weiter – Hier die Möglichkeit, Solidarität mit den französischen Arbeitern zu bekunden !

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

http://arbeitsunrecht.de/mitmachen/solidaritaet-mit-protesten-in-frankreich/

Setzen Sie ein Zeichen: Unterstützen Sie diese Resolution mit einer Unterschrift!

Wir, Menschen aus Wissenschaft, Publizistik und Gewerkschaften aus Deutschland, erklären unsere Solidarität mit den Menschen in Frankreich, die gegen die Arbeitsrechts-„Reform“ weiter protestieren und streiken. Diese Streiks und Proteste sind berechtigt, notwendig und ein Vorbild für die gesamte Europäische Union.

So kann Demokratie nicht funktionieren

Wir protestieren gegen das Gesetz, das per Notverordnung am Parlament vorbei diktiert wird. Es stimmt weitgehend mit den Forderungen des Arbeitgeberverbandes MEDEF überein und richtet sich gegen die Meinung und Interessen der Mehrheitsbevölkerung. Diese Demokratur verschärft die Rechtsentwicklung in der Europäischen Union.

Wir protestieren ebenfalls gegen die massive Polizeigewalt und Verurteilungen, mit denen die Versammlungs- und Meinungsfreiheit der Streikenden und Protestierenden eingeschränkt wird.

Niedriglohngesetze nicht erfolgreich

Präsident François Hollande und Premierminister Manuel Valls haben auf angebliche Erfolge gleichartiger Gesetze in anderen EU-Staaten verwiesen.
Doch diese Erfolge gibt es nicht, im Gegenteil.

Die Bundesrepublik Deutschland, die unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) mit der Agenda 2010 am frühesten mit solchen „Reformen“ begann, wurde dadurch zum größten Niedriglohnstaat in Europa. Das schädigt nicht nur die Beschäftigten, die Arbeitslosen und vor allem die Jüngeren in Deutschland selbst, sondern auch die Volkswirtschaften der anderen EU-Mitgliedsstaaten, nicht zuletzt Frankreichs. Diese Reformen sind eine Ursache für die wachsende Arbeitslosigkeit in der ganzen EU.

Gewerkschaftsvermeidung und gesteigerte Arbeitshetze

Durch die Agenda 2010 und weitere Maßnahmen der Folgeregierungen wurden in Deutschland kollektive, transparent entwickelte Tarifverträge zurückgedrängt. Die Gewerkschaften werden geschwächt. Einzelbetriebliche Vereinbarungen führen unter dem internen Druck der Arbeitgeber – sie drohen mit der Schließung oder Verlagerung des Betriebs oder mit Entlassungen – zur noch weiteren Entgrenzung der Arbeitszeiten, zu Lohnsenkungen, zu unbezahlten Überstunden, zu noch mehr Teilzeit- und Minijobs, zu noch mehr befristeten oder sogar unbezahlten Arbeitsplätzen (Praktika).

Altersarmut und Burn-out

Selbst die deutsche Regierung muss mittlerweile zugeben: wegen der Niedriglöhne und begleitende Rentenkürzungen bildet sich bereits jetzt eine gewaltige Altersarmut. Pensionäre sind in wachsender Zahl zu Nebenarbeit gezwungen. Hunderttausende Niedriglöhne müssen staatlich subventioniert werden. Mithilfe von etwa tausend Tafeln muss der Hunger der Verarmten notdürftig gestillt werden. Die wachsende Unsicherheit und der unkontrollierte Leistungsdruck haben zu mehr Stress und einem Anstieg der psychischen Krankzeiten und Depressionen geführt.

Das Rattenrennen stoppen

Die nach deutschem Vorbild durchgezogenen Arbeitsrechts-„Reformen“ sind Teil eines zerstörerischen Standort-Wettbewerbs und haben zu Ungleichheiten geführt, die auch den demokratischen und sozialen Zusammenhalt in der EU schon jetzt schwer schädigen.

Wir stimmen mit den Streikenden und Protestierenden in Frankreich überein: Die abhängige Arbeit muss aufgewertet, deren finanzielle und moralische Herabwürdigung muss beendet werden! Auch Flüchtlinge dürfen nicht für Lohn-Dumping missbraucht werden!

Kämpfen wofür?

Wir schließen uns der Forderung von Attac Frankreich an:

  • Lohnerhöhungen insbesondere für die unteren Einkommensgruppen!
  • Investitionen müssen in Arbeitsplatz-schaffende Produkte fließen, etwa in den ökologischen Umbau der Systeme für Transport und Energie!
  • Investitionen in Bildung und Ausbildung für alle!
  • Arbeitszeitverkürzung für alle!
  • Beendigung des zerstörerischen Lohndumping-Wettbewerbs zwischen den EU-Mitgliedsstaaten!

Hier unterschreiben !

Erstunterzeichner_innen

Initiativen: Makroskop Mediengesellschaft (Prof. Dr. Heiner Flassbeck, Dr. Paul Steinhardt) | Labour Net Germany (Mag Wompel) | aktion./.arbeitsunrecht (Jessica Reisner) | Lunapark21 (Dr. Winfried Wolf) | Welt der Arbeit (Franz Kersjes) | Naturfreunde Deutschlands (Uwe Hiksch) | Sand im Getriebe (Marie-Dominique Vernhes) | Klartext (Prof. Rainer Roth ) |

Dazu auch der Soziologe und Aktivist Clouet über die Ziele der Protestbewegung »Nuit Debout« im Interview

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1015170.protestieren-bis-zum-ruecktritt.html

Herr Clouet, die Europameisterschaft hat begonnen, die Streiks gehen weiter. Will die Protestbewegung die gesamte EM sabotieren?
Wenn ich zwischen der EM und meiner Zukunft wählen muss, dann wähle ich meine Zukunft. Ich habe gar kein Problem damit, die EM zu sabotieren. Wenn die Regierung uns dazu drängt, bleibt uns keine andere Wahl. Sie setzt sich einfach über das Parlament hinweg und drückt ein Gesetz durch, obwohl es die Mehrheit der Franzosen ablehnt.

Wie lange ist das noch durchzuhalten?
Die sozialen Bewegungen werden immer größer und stärker. Sie entwickeln immer neue Aktionsformen. Zum Beispiel gibt es seit Wochen in Paris vergünstigte Stromtarife, weil die Gewerkschaft CGT den Stromanbieter EDF besetzt hat. Die meisten Arbeitnehmer unterstützen die Streiks auch weiterhin.

Auch wenn sie dafür lange Arbeitswege und stundenlanges Warten vor Tankstellen in Kauf nehmen müssen?
Viele Leute sagen natürlich, dass es nicht immer ganz einfach ist. Aber deshalb fordern sie nicht von den Gewerkschaften, die Streiks zu beenden. Die meisten sind sich einig, dass die Regierung hier die Schuld trägt.

Es gab in den vergangenen Wochen aber auch viele Verletzte, ein Demonstrant liegt sogar im Koma.
Die Strategie der Polizei war von Anfang an sehr gewalttätig. Außerdem gibt es einige Autonome, die die Demonstrationen künstlich anheizen, kleine Läden und öffentliche Einrichtungen beschädigen. Wir wissen leider nicht, wie viele Autonome für die Polizei arbeiten. Aber wir glauben, dass die Steinewerfer Teil der Polizeitaktik sind. Mittlerweile werden auch Gewerkschaftler der CGT von den Autonomen angegriffen. Die Polizei nutzt sogenannte Ordnungstechniken, die eskalierend wirken.

Was genau kann man sich darunter vorstellen?
Zum Beispiel werden die Demos in zwei oder drei Teile aufgespalten. Dann wird ständig Tränengas auf die Leute geschossen, die friedlich demonstrieren. Daraufhin kommt es zu gewaltsamen Reaktionen einiger Demonstranten und damit rechtfertigt die Polizei dann ihren Angriff.

Glauben Sie wirklich daran, dass die Regierung das umstrittene »El-Khomri-Gesetz« noch zurückziehen wird?
Das Gesetz wurde bereits geändert – allerdings nicht zum Besseren. Nachdem die Regierung den ersten Entwurf in den Senat gegeben hat, wurde es von den konservativen Senatoren noch einmal komplett umgeschrieben. Nun ist es neoliberaler als vorher. Jetzt kommt es zurück ins Parlament – auch dort kann sich noch viel ändern.
Wahrscheinlicher ist aber, dass die Regierung wieder den Artikel 49.3 der Verfassung benutzt und ihre eigenen Leute im Parlament in eine Mehrheit zwingt. Nach dem Artikel kann die Regierung die Abgeordneten vor die Wahl stellen: Entweder für die Regierung und das Gesetz mit Ja oder gegen die Regierung und das Gesetz mit Nein zu stimmen. Wenn sich Ende Juni genug Sozialisten für ein Nein entscheiden, kann die Regierung gestürzt werden. Darauf warten wir.

Keine Änderung des Gesetzes, sondern gleich Neuwahlen?
Ich glaube, das ist die einzig vernünftige Lösung. Denn es gibt viele Sozialisten, die nicht zwischen dem Gesetz und der Regierung wählen wollen.

Viele Linke in Deutschland blicken gespannt nach Frankreich, denn Proteste in Deutschland, beispielsweise gegen die Hartz-Gesetze im Jahr 2004, werden nicht annähernd so stark ausgetragen. Da kommt das Klischee von den revolutionären Franzosen und den braven Deutschen auf.
Ich glaube nicht, dass es hier um kulturelle Unterschiede geht. Die Hartz-IV-Gesetze sind viel klüger durchgesetzt worden als unser »El-Khomri-Gesetz«. Wir hatten keine Hartz-Kommission mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, die sich in den Gesetzgebungsprozess einbringen konnten. Das »El-Khomri-Gesetz« wurde allein von der Regierung geschrieben – ohne Sozialpartner. Danach waren alle Gewerkschaften dagegen und selbst der Arbeitgeberverband – allerdings weil es ihm nicht liberal genug war. Außerdem trafen die Hartz-Gesetze nur eine Minderheit, nämlich die schwächsten Glieder der Gesellschaft. In Frankreich wären durch die Veränderung des Arbeitsrechts fast alle Arbeitnehmer betroffen. Das erklärt, warum so viele Franzosen die Streiks in Kauf nehmen und selbst auf die Straße gehen: Sie sind einfach fast alle betroffen.

Was sagt das über die sozialdemokratischen Regierungen beider Länder aus?
Die deutsche Sozialdemokratie geht viel klüger vor, wenn es darum geht, die Lebensbedingungen von Leuten zu verschlechtern. Für konservative Parteien ist es generell schwerer, soziale Kälte zu organisieren, da sie von vornherein die Gewerkschaften und viele Arbeitnehmer gegen sich haben. Sozialdemokraten glauben am Anfang noch, die Sozialpartner auf ihrer Seite und die tun sich auch schwer damit, gegen ihre politischen Partner zu agieren. Außerdem nähern sich die beiden sozialdemokratischen Parteien immer mehr der neoliberalen Einheitspolitik in Europa an.

Zur Person – privat

Hadrien Clouet ist Doktorand der Soziologie am Pariser Institut für politische Studien Sciences Po. Der Arbeitsmarktexperte engagiert sich in der Protestbewegung »Nuit Debout«, die seit Ende März auf dem Platz der Republik in Frankreichs Hauptstadt gegen die geplante Reform des Arbeitsrechts demonstriert. Über 70 Prozent der Franzosen lehnen das nach der Ministerin Myriam El Khomri benannte Gesetz ab.

Dazu auch eine Kritik des französischen Wirtschaftswissenschaftlers Thomas Piketty am Arbeitsmarktgesetz der Regierung:

Auszüge:
Während die sozialen Spannungen Frankreich zu blockieren drohen und die Regierung weiterhin den Dialog und Kompromiss verweigert, erweist sich das Gesetz zur Reform des Arbeitsmarkts immer deutlicher als das, was es ist: ein heilloses Durcheinander, ein weiteres in einer fünfjährigen verpatzten Regierungszeit, und vielleicht das schlimmste.
Die Regierung will uns glauben machen, dass sie den Preis dafür zahlt, Reformen voranzubringen, und dass sie allein gegen alle Formen von Konservatismus kämpft. Die Wahrheit sieht auch bei diesem Thema anders aus: Die Regierungsmacht vervielfältigt die Improvisationen, Lügen und den handwerklichen Pfusch.
Das zeigte sich bereits beim Thema Wettbewerbsfähigkeit. Die Regierung stieg damit ein, dass sie – zu Unrecht – die Kürzungen der Arbeitgeberbeiträge zurücknahm, die die vorherige Regierung veranlasst hatte, bevor sie ein unwahrscheinliches Monsterverfahren startete, und zwar in Form eines Steuerkredits, der darauf zielte, den Unternehmen einen Teil der ein Jahr zuvor geleisteten Beiträge zu erstatten, wobei sie einen enormen Reibungsverlust wegen des Mangels an Verständlichkeit und Nachhaltigkeit ihrer Maßnahmen bewirkte. Stattdessen hätte sie eine ehrgeizige Reform der Finanzierung der Sozialversicherung angehen sollen.

Blogbeitrag von T. Piketty vom 2.6.2016: http://piketty.blog.lemonde.fr/2016/06/02/loi-travail-un-effroyable-gachis/.
Aus dem Französischen von Marion Fisch.

Jochen

Paul Krugman: Bundesrepublik ist wichtigster Verursacher des sich entfaltenden ökonomischen Desasters i n der Eurozone

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Tomasz Konicz 05.12.2014

Der Wirtschaftsnobelpreisträger benennt die Bundesrepublik als den wichtigsten Verursacher des sich entfaltenden ökonomischen Desasters in der Eurozone

http://www.heise.de/tp/artikel/43/43529/1.html
Auszüge:

Selten hat ein Leitartikel in der New York Times (NYT), dem führenden meinungsbildenden Medium der USA, die Wirtschaftspolitik der BRD dermaßen scharf kritisiert wie der am 30. November publizierte Kommentar[1] des Wirtschaftsnobelpreisträgers Paul Krugman.

Der beliebte und einflussreiche Ökonom, der als der prominenteste Exponent der nachfrageorientierten Wirtschaftstheorie des Keynesianismus[2] gilt, nahm in seiner Kolumne wahrlich kein Blatt vor dem Mund.
Die Eurozone befinde sich am Rande einer Deflation, die den Währungsraum in eine „verlorene Dekade“ stürzen könne, ähnlich der schweren deflationären Krise, die Japan in den 90er Jahren heimsuchte.

Die Schuldigen, deren „Fehlverhalten“ für das „Zeitlupen-Desaster“ in Europa verantwortlich sei, befänden sich nicht in „Griechenland oder Italien oder Frankreich“, sie seien in „Deutschland“ zu suchen:

„Wenn du versuchst, die Länder zu identifizieren, deren Politik sich vor der Krise außerhalb der Norm („out of line“) bewegte und nach Krisenausbruch Europa schadete, und die sich weigern, aus dieser Erfahrung zu lernen, dann deutet alles auf Deutschland als den übelsten Akteur.“

Bei seiner Argumentation verweist Krugman auf die extremen Unterschiede bei der Preis- und der Lohnentwicklung in Deutschland einerseits und Frankreich und den USA andrerseits. Demnach sind seit der Euroeinführung 1999 die Preise französischer Waren und Dienstleistungen (ausgedrückt im BIP-Deflator[3] jährlich um 1,7 Prozent angestiegen, bei den Lohnstückkosten betrug der Anstieg 1,9 Prozent.
Beide Zahlen befänden sich laut Krugman in Übereinstimmung mit dem Inflationsziel der EZB von knapp unter zwei Prozent.
Eine ähnliche Entwicklung der Warenpreise und Lohnstückkosten habe auch in den USA stattgefunden.
In Deutschland sei der BIP-Deflator hingegen nur um einen Prozentpunkt gestiegen, die Lohnstückkosten sogar nur um 0,5 Prozent, was sich „weit außerhalb der Norm“[4] befunden habe.

Der Nobelpreisträger verweist hier selbstverständlich nur auf die Folgen des deutschen Sozialkahlschlags, der kurz nach der Euroeinführung von der Schröder-Fischer Regierung im Rahmen der Hartz-Arbeitsgesetze durchgepeitscht wurde – und der zu einer massiven Absenkung des Lohnniveaus sowie zur Ausbildung des europaweit größten Niedriglohnsektors führte (siehe hierzu: Happy Birthday, Schweinesystem![5]).
Lohnkahlschlag, weitgehende Prekarisierung des Arbeitslebens und gnadenlose Arbeitshetze[6] ermöglichten erst die massiven Konkurrenzvorteile der deutschen Exportindustrie, die sich in den von Krugman genannten Zahlen manifestieren.

Deutschlands Politik: „Ruiniere deinen Nachbarn“

Diese Konkurrenzvorteile führten zur Ausbildung der gigantischen Handels- und Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands gegenüber der Eurozone[7], die von Krugman als das eigentliche „Wettbewerbsproblem“ in dem europäischen Währungsraum ausgemacht werden:

„In anderen Worten, wenn es überhaupt ein Wettbewerbsproblem in Europa gibt, dann wird es überwiegend durch Deutschlands Beggar-thy-neighbor-Politik verursacht, die im Endeffekt Deflation in die Nachbarstaaten exportiert.“

Der Begriff „Beggar-thy-neighbor“ (Wörtlich; „Schnorre bei deinem Nachbarn“. Sinngemäß übersetzt: „Ruiniere deinen Nachbarn“) etablierte sich im angelsächsischen Sprachraum während der großen Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts.
Er bezeichnet eine aggressive Wirtschaftspolitik, die darauf abzielt, vermittels Handelsüberschüssen die Krisenfolgen auf andere Länder abzuwälzen.

Mit den Handelsüberschüssen werden auch Arbeitslosigkeit und Schulden exportiert. Die Waren, die in der BRD im Rahmen der Handelsüberschüsse produziert werden und hier „Arbeitsplätze sichern“, führen zum Niedergang der Industrien in den Zielländern dieser Exportoffensiven – und zum Anstieg der dortigen Arbeitslosenquote.
Die deutschen Handelsüberschüsse generieren selbstverständlich Defizite in den Importländern, die zu deren weiterer Verschuldung führen.
Und das ist der springende, absurde Punkt an der deutschen Beggar-thy-neighbor-Politik: Das hiesige exportfixierte Modell beruht letztendlich auf der Auftürmung eben jener Auslandsschulden, die im deutschen Krisendiskurs so vehement verteufelt werden.

Wie genau dieser nun endlich von Krugman offen thematisierte Ausplünderungsmechanismus im Fall der Bundesrepublik funktioniert, konnten Telepolis-Leser schon vor mehreren Jahren nachvollziehen (siehe: Der Exportüberschussweltmeister[8]).
Und es war eben diese erfolgreiche deutsche Beggar-thy-neighbor-Politik, die den ungeheuren Machtzuwachs der BRD innerhalb der Eurozone erst ermöglichte, der die europaweite Durchsetzung des nun in die Deflation führenden deutschen Spardiktats zur Folge hatte (Das großgehungerte Deutschland[9]).
In dieser machtpolitischen Dominanz Berlins innerhalb der Eurozone ist die Ursache dafür zu suchen, dass „die europäischen Politiker weiterhin entschlossen scheinen, die falschen Länder und falschen Politikansätze für ihr Schicksal verantwortlich zu machen“, wie es Krugman formulierte.

Globale Verschuldungsdynamik

Dennoch ist eine Schuldzuweisung Krugmans an die Adresse „der Deutschen“ bei nüchterner Betrachtung mit einer entscheidenden Einschränkung zu versehen. Selbstverständlich ist Berlin aufgrund des europaweit oktroyierten Spardiktats für den desaströsen Krisenverlauf in der Eurozone verantwortlich, doch hat die deutsche Beggar-thy-neighbor-Politik die Krise genauso wenig ausgelöst wie die ihr korrespondierende Verschuldungsdynamik in den südlichen Euroländern.
Diese gigantischen Ungleichgewichte in den Handelsbilanzen finden sich ja auch in den Handelsbeziehungen zwischen den USA und China – und sie sind nur die Folge einer globalen Verschuldungsdynamik, die unvermindert anhält.

Allein zwischen 2008 und 2013 ist der globale Schuldenberg von 180 Prozent der Weltwirtschaftsleistung auf 212 Prozent geklettert[10].
Hierin äußert sich gerade die gegenwärtige kapitalistische Systemkrise. Der Spätkapitalismus kann ohne diese Schuldenberge – und die daraus erwachsenen Handelsungleichgewichte – nicht mehr funktionieren, weil er an seiner eigenen industriellen Produktivität erstickt.
Nur noch vermittels kreditgenerierter Nachfrage kann das System den Anschein der Funktionsfähigkeit aufrecht erhalten (siehe hierzu: Die Krise kurz erklärt[11]).

Dies bedeutet aber letztendlich auch, dass Krugmans nachfrageorientierter Keynesianismus die Krise ebenso wenig lösen kann wie der deutsche Sparsadismus. Konjunkturpakete und Deficit Spending können aber den vollen Ausbruch der Krisendynamik zumindest hinauszögern.
Zudem besteht ein essenzieller politischer Unterschied zwischen dem neoliberalen Sparwahn und der nachfrageorientierten Krisenpolitik.
Die mit dem fulminant gescheiterten Spardiktat einhergehende Unterwerfung unter die sich zuspitzenden „Sachzwänge“ der kollabierenden „Märkte“ fördert die krisenbedingte Herausbildung von rechtsextremen Ideologien der Unterwerfung, wie sie gegenwärtig in sehr vielen europäischen Ländern zu beobachten ist.
Der Neoliberalismus erweist sich auch in dieser Systemkrise als ein Steigbügelhalter des Faschismus.
Linkskeynesianische Politik, wie sie von Krugman propagiert wird, eröffnet hingegen mit ihrer Priorisierung der Massennachfrage zumindest die emanzipatorische Option, im weiteren Krisenverlauf die menschlichen Bedürfnisse vor die amoklaufenden „Sachzwänge“ des Marktes zu stellen.

Anhang: Links

[1] http://www.nytimes.com/2014/12/01/opinion/paul-krugman-being-bad-europeans.html
[2] http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/19777/keynesianismus
[3] http://de.wikipedia.org/wiki/BIP-Deflator
[4] http://krugman.blogs.nytimes.com/2014/11/30/the-european-outlier/
[5] http://www.heise.de/tp/artikel/38/38753/
[6] http://www.heise.de/tp/artikel/38/38240/
[7] http://www.heise.de/tp/bild/38/38753/38753_5.html
[8] http://www.heise.de/tp/artikel/38/38239/
[9] http://www.heise.de/tp/artikel/38/38819/
[10] http://www.theguardian.com/business/2014/sep/29/record-world-debt-financial-crisis-eurozone-geneva-report
[11] http://www.heise.de/tp/artikel/36/36123/
[12] http://www.heise.de/tp/ebook/ebook_11.html

Jochen