Milliardenprojekt Gesundheitsüberwachungskarte verzögert sich weiter

Der Artikel aus der Augsburger Allgemeinen ist schon fast 2 Monate alt und mir damals leider entgangen. Er ist aber sehr wichtig, dazu gibt es noch einen wichtigen Kommentar meiner Kollegin Silke Lüders vom Bündnis Stoppt die e-Card!eCard-neindanke

Ich erinnere daran, dass bisher alle Ärztetage dieses Projekt abgelehnt haben; dass die ursprünglich garantierte Freiwilligkeit auf Druck der Industrie seit 2015 abgeschafft ist; dass, nachdem die 5 regionalen Tests auf 10000er Niveau sämtlich gescheitert sind, vor der verpflichtenden Einführung auf die zuvor geplanten 100000-Tests verzichtet wurde.

Bei der Einführung ist über ein Jahrzehnt eine massive Meinungsmache der Leitmedien durch das Gesundheitsministerium und massive Korruptionsversuche bei den Ärztevertretern in den Gremien  zu beobachten.

Und hier der Artikel aus der AA:

Die Elektronische Gesundheitskarte soll schon seit vielen Jahren Vorteile für Patienten bringen. Doch bislang haben noch nicht einmal abschließende Tests begonnen.

Neue Zusatzanwendungen, die die Elektronische Gesundheitskarte von ihren Vorläufermodellen unterscheiden sollen, verzögern sich weiter. Nach Angaben der AOK Bayern werden Tests, mit denen erste neue Funktionen erprobt werden sollen, erst Mitte Dezember starten. Dann sollen rund 500 Arztpraxen im Nordwesten Deutschlands Probeläufe zu einem Abgleich der Versichertendaten beginnen. Im Mai 2017 sollen 500 weitere Praxen in Bayern und Sachsen dazu kommen, heißt es von der bundesweit größten AOK.

Elektronische Gesundheitskarte: Nur das Foto ist neu

Ursprünglich sollte die Karte bereits ab dem Jahr 2006 umfangreiche Zusatzfunktionen bieten, wie etwa einen Notfalldatensatz oder eine digitale Patientenakte. Davon ist bislang nichts umgesetzt, die neue Karte unterscheidet sich von der alten nur durch das Foto, das mittlerweile aufgedruckt ist.

Schuld an den Verzögerungen ist nach Ansicht des E-Card-Beauftragten der AOK Bayern, Georg Steck, vor allem die Industrie. Sie setze die Liefertermine für neue Karten-Lesegeräte, die möglichst hohe Datenschutzanforderungen erfüllen, immer weiter nach hinten. «Es wird regelmäßig nur verschoben», kritisiert Steck die Lieferfirmen. Hersteller wollen derzeit dazu nicht Stellung nehmen. So verweist die Telekom-Tochter T-Systems auf vertragliche Vereinbarungen, die Vertraulichkeit festlegten.

Siegfried Jedamzik, der Geschäftsführer der bayerischen E-Card-Initiative Baymatik, warnt unterdessen vor einem Scheitern der Karte. Wenn es weitere Verzögerungen gebe, würden in der Gesellschaft und der Politik Forderungen immer lauter, «das Projekt vielleicht doch mal einzustellen», sagt Jedamzik. Deshalb müssten neue Funktionen der E-Card endlich durchgesetzt werden, fordert der Baymatik-Chef.

Gleichzeitig könnten in den nächsten Jahren zusätzliche Kosten in Milliardenhöhe durch die E-Card entstehen. Bis jetzt ist nach Berechnungen des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung bereits über eine Milliarde Euro geflossen. Dazu könnte bis 2019 noch einmal deutlich über eine Milliarde kommen, heißt es aus Kassenkreisen. dpa/lby

Und hier der Kommentar:

Die unendliche Geschichte der e – Card: Einführung verzögert sich weiter

Selbstversuch bei der Barmer GEK: So wird meine Krankenversicherung gekapert

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

eCard-neindankePassend zur Zeit, in dem die Ärzte dazu gezwungen werden sollen, über die elektronische Gesundheitsüberwachungskarte jeden einzelnen Arzt-patienten-Kontakt an ein zentrales Datenerfassungssystem weiterzugeben, ein Experiment der Rheinischen Post:
http://www.rp-online.de/wirtschaft/unternehmen/so-wird-meine-krankenversicherung-gekapert-aid-1.4341498
Auszüge – So wird’s gemacht:

Mit einem Anruf und einem Brief ist es möglich, sich im Internet Zugang zu Patientendaten eines gesetzlich Versicherten zu verschaffen.

Von Andreas Gruhn

Es dauerte nur 14 Tage bis zur Wahrheit. Zwei Wochen, bis unser Tester fast alles über mich wusste:
Über meinen Zahnstein, den ich einmal im Jahr entfernen lasse. Über meine heftig blutende Wunde am Finger, die ein Kaninchenbiss verursacht hatte.
Und über einen operativen Eingriff, den ich lieber für mich behalte.
Als Patient wäre einem eigentlich am liebsten, dass alles geheim bleibt. Doch meine Patientendaten werden von meiner Krankenkasse offenbar so vertraulich behandelt wie die Mitgliederliste beim Kleingartenverein.
Wer fragt, der erhält Auskunft. Wie unser Tester, ein Experte, der anonym bleibt, professioneller Anbieter von Datenschutz-Dienstleistungen.

Es ist Freitag, der 6. Juni, und unser Experte wird von mir mit genau zwei Daten ausgestattet: mit meinem Namen und mit meiner Versichertennummer. Sofort beginnt er die Arbeit.
Im Internet findet er problemlos mein Geburtsdatum heraus. Um 16.59 Uhr an jenem Freitag ruft er bei meiner Krankenkasse an.
Der Mitarbeiter im Callcenter, so beschreibt es unser Tester, erfragt den Namen, die Versichertennummer und das Geburtsdatum. Und schon ändert unser Tester meine Adresse.
Meine Krankenkasse glaubt ihm, für sie wohne ich jetzt nicht mehr am Niederrhein, sondern in Bayern.

Adressänderung per Telefon

Am nächsten Tag besucht der Tester die Internetseite der Kasse. Dort gibt es einen „Persönlichen Bereich“, und es ist ein Kinderspiel, sich dort Zugang zu verschaffen.
Abgefragt werden wieder der Name, die Versichertennummer und das Geburtsdatum.
Jetzt sucht sich unser Tester einen Nutzernamen aus, wählt ein Passwort und hinterlässt auch noch eine eigens eingerichtete E-Mail-Adresse, die auf meinen Namen hindeutet, aber für den Vorgang unwichtig ist.

Noch hat er aber keinen Zugriff auf meine Patientendaten. Denn dazu braucht der Tester noch einen Aktivierungsschlüssel. Den verschickt die Kasse aus Sicherheitsgründen per Post – aber nicht an mich selbst, sondern an die Adresse, die unser Tester vorher am Telefon geändert hatte.
Am 13. Juni, also eine Woche nach Beginn des Versuchs, verlässt der Brief die Geschäftsstelle der Kasse.

Jetzt ist es nicht mehr aufzuhalten. Als unser Tester den Schlüsselcode erhält, schließt er die Registrierung auf der Internetseite der Kasse ab.
Jetzt ist er drin, und ich bin draußen. Ich höre in der Zeit nichts von der Kasse.
Wenn ich nichts davon wüsste, würde ich nicht einmal ahnen, was jetzt passiert. Und das ist gewaltig.

Von der Kontrolle beim Zahnarzt bis zum letzten Medikament

Als unser Experte sich anmeldet, aktiviert er den Service „Patientenquittungen“.
Jetzt dauert es noch wenige Tage, bis die Kasse nach und nach ins Internet stellt: meine Kontrollbesuche beim Zahnarzt, meine Fleischwunde, meine Operation, in letzterem Fall sogar mit genauer Diagnose, Behandlungsmethode und Name des Arztes.
Unser Tester könnte genau sehen, welche Medikamente mir in den vergangenen zwei Jahren verschrieben wurden. Welche Krankenhäuser ich wann und aus welchem Grund besucht habe.
Er kann sehen, wer bei einer Familienversicherung noch mitversichert ist. Er kann sich einen Auslandskrankenschein ausstellen lassen auf meinen Namen, aber an seine Adresse.
Anfang dieser Woche erhält er sogar eine neue elektronische Gesundheitskarte an die durch ihn veränderte Adresse.
Und in der gesamten Zeit fragt meine Krankenkasse nicht ein einziges Mal: Andreas, bist du es wirklich? Für sie bin ich offenbar zweifelsfrei identifiziert.

Mit den Informationen Name, Versichertennummer und dem Geburtsdatum hat der Experte meine Krankenversicherung gekapert, ohne mich auch nur ein einziges Mal gesehen zu haben. Und ohne meine Versichertenkarte auch nur ein einziges Mal in der Hand gehalten zu haben.
Auf diese Weise könnte also jeder Arbeitgeber, der die entsprechenden Daten immer zur Verfügung hat, den Gesundheitszustand seiner Mitarbeiter ausspionieren.
Wer ein Portemonnaie mit Versichertenkarte findet, hat ebenfalls sofort alle notwendigen Daten zur Hand. Sie stehen auf Vorder- und Rückseite der Karte.

Vielleicht wäre noch mehr möglich: Unser Tester hat eine Versichertenkarte auf meinen Namen bekommen, die sofort gültig ist und auf der er problemlos auch sein eigenes Foto aufbringen lassen könnte (meine Kasse hatte mein originales Foto jedenfalls nie überprüft).
Könnte er jetzt zum nächsten Arzt gehen und sich behandeln lassen? Sogar gleichzeitig, wenn ich auch beim Arzt bin?
Ich frage mich: Wann würde es auffallen, bis jemand merkt, dass da jemand mitliest? Oder sogar meiner Versicherung benutzt?

All das tun wir nicht, brechen den Test rechtzeitig ab. Ich bin froh, als die 14 Tage vorbei sind. Und ich wieder das Kommando über meine Krankenversicherung übernehme.

Wie die Barmer Ersatzkasse auf den Test reagiert hat, lesen Sie hier.

Auszüge:

Die Barmer erklärte unseren Test zum Einzelfall. Es müsse sich „um einen Fehler eines Mitarbeiters handeln, der offensichtlich nicht alle Vorschriften zur Identifikation eingehalten“ habe. Die Kasse spricht von „strengen Sicherheitsvorschriften“. Denn anders als im Test sei für den Datenzugriff zwingend auch die Angabe von Wohnort und Geburtsdatum erforderlich. Diese Informationen stehen teilweise ebenfalls unverschlüsselt auf der Mitgliedskarte und sind auch fast immer im Internet zu finden. Arbeitgebern liegen sie ohnehin vor.

Die Barmer kündigte an, „die internen Kontroll- und Sicherheitsvorschriften erneut zu überprüfen und gegebenenfalls zu verschärfen“. Außerdem werde umgehend „ein weiteres Sicherheitsseminar für die Mitarbeiter durchgeführt“. Auch das Bundesversicherungsamt als Aufsichtsbehörde kündigte Maßnahmen an: „Wir nehmen Ihre Schilderungen zum Anlass, die Rechtssicherheit der Kommunikation zwischen Versicherten und Krankenkassen einer grundsätzlichen Prüfung zu unterziehen“, so die Behörde.

Auch andere Krankenversicherungen wie AOK, Techniker, DAK oder Betriebskrankenkassen bieten ihren Mitgliedern die Verwaltung von Kundendaten im Internet an. Die Online-Angebote dieser Kassen waren nicht Gegenstand unseres Tests. Der Dachverband der Gesetzlichen Krankenkassen erklärt, dass diese Online-Zugänge von den einzelnen Kassen verantwortet werden. „Folgerichtig können wir auch nichts zu etwaigen Sicherheitsproblemen sagen“, so der Verband.

Quelle: RP

Jochen