„Kein Frieden für Palästina – Der lange Krieg gegen Gaza, Besatzung und Widerstand“ – Interview mit Helga Baumgarten

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Macht Sie das wütend, Frau Baumgarten?

Nachdenkseiten-Interview mit Helga Baumgarten, Politikwissenschaftlerin und Journalistin, von 1993 bis 2019 Professorin an der Universität Birzeit im Westjordanland, von Gabi Weber, promovierte Fachärztin.

GW: Frau Baumgarten, vor Kurzem ist Ihr 5. BuchKein Frieden für Palästina – Der lange Krieg gegen Gaza, Besatzung und Widerstandim Promedia-Verlag erschienen.
In Ihrem Vorwort schreiben Sie, dass ein Interview mit Ihnen am 12. Mai 2021 im ZDF-Mittagsmagazin zu einer von Ihnen völlig unerwarteten Reaktion Hunderttausender Menschen in Deutschland und weltweit geführt hatte. Was war da los?

HB: Dieses Interview im ZDF-Magazin hatte für mich völlig überraschende Konsequenzen.
Ich muss der Reihe nach gehen. Am Tag nach dem Interview (gerade 4 Minuten!!!) erschien ein wüster BILD-Artikel, der sowohl das ZDF als auch mich angriff. Vielleicht noch mehr das ZDF, weil es jemandem wie mir eine Plattform gab. Ich habe den Artikel nicht gelesen, weil ich grundsätzlich keine Bildzeitung lese.

Das Interview plus die Angriffe – wie üblich bei der Bildzeitung unter der Gürtellinie – verbreiteten sich in Windeseile auf Instagram (mit über 3 Millionen Klicks), auf Facebook und auf YouTube. Sehr, sehr viele Instagram-Follower waren offensichtlich deutsche Muslime.
Unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger, die mich auch per E-Mail kontaktierten, drückten damit ihre Enttäuschungen über die mangelnde Integration seitens der deutschen Mehrheitsgesellschaft aus. Viele berichteten mir, wie sie sich ausgeschlossen fühlen, diskriminiert und regelrecht gedemütigt. Stereotyp werden sie wohl immer als Terroristen abgestempelt.

Für sie war es wichtig gewesen, dass eine deutsche Wissenschaftlerin offen Partei ergriff für die unterdrückten Palästinenser in Jerusalem, im besetzten Palästina und vor allem auch im Gazastreifen. Und sie konnten offensichtlich kaum glauben, dass diese Wissenschaftlerin Kritik übte an der Besatzungsmacht Israel.

Der gesamte Komplex Islamophobie-Antisemitismus-Rassismus trat hier in den Vordergrund, und ich fühlte mich regelrecht gedrängt, darüber im Zusammenhang mit Jerusalem und den schlimmen Ausschreitungen durch die israelische Besatzungsmacht (auch wenn aus israelischer Sicht das besetzte Ost-Jerusalem Teil der ewig unteilbaren Hauptstadt des jüdischen Staates ist, vielleicht besser sein soll) sowie dem letzten Krieg Israels gegen die Menschen im Gaza-Streifen (sicher nicht gegen die Hamas oder den islamischen Jihad) etwas zu schreiben.
Die Kollegen vom Promedia-Verlag in Wien, Hannes Hofbauer und Stefan Kraft, nahmen meinen Vorschlag absolut positiv auf, und so entstand dieses neue Buch.

Ich versuche hier, ausgehend vom Mai 2021 (mit dem ZDF-Interview, den Instagram-Reaktionen, der Gewalt in Ost-Jerusalem, vor allem auf dem Haram al-Sharif, und schließlich dem Krieg gegen Gaza), zurückzugehen zum Jahr 1948 mit der Staatsgründung Israels und der Vertreibung von etwa 750 000 Palästinensern aus ihrer Heimat, und mich von dort durchzuarbeiten über den Juni-Krieg 1967, den Anfang des palästinensischen Widerstandes (1965 bzw. 1968), angeführt von Fatah und der PLO, über die erste Intifada 1987, die Osloer Periode 1993 und danach bis heute.

GW: Könnten Sie unseren Leserinnen und Lesern kurz erläutern, was der „Haram al-Sharif“ ist und was er für Muslime, Palästinenser und evtl. auch andere Menschen bedeutet?

HB: Der Haram Al-Sharif ist für Muslime weltweit die drittwichtigste heilige Stätte nach Mekka und Medina. Diese Bedeutung erhielt ernach islamischer Lehredurch die Reise des Propheten Mohammad nach Jerusalem und sein Auffahren in den Himmel.
Die beiden Moscheen, die sich auf dem Haram Al-Sharif befinden, sind die Al-Aqsa-Moschee und der “Felsendom”, Qubbat As-Sakhra auf Arabisch.
Gebaut wurden sie von den Umayyaden und gehören damit zu den ältesten Moscheen weltweit. Für Palästinenserinnen und Palästinenser ist der Haram ihr zentrales religiöses, aber gleichzeitig auch nationales Symbol.

GW: Wir hören aktuell – wie so oft – kaum etwas aus Palästina/Israel – hat sich die Lage also wieder beruhigt?

HB: Ganz im Gegenteil. Wie wichtig dieses Buch mit den von mir aufgenommenen Themen ist, zeigt die schlichte Tatsache, dass die Entwicklungen, die im Mai 2021 in den Vordergrund traten, inzwischen in verschärfter Form weitergehen, mit immer mehr Gewalt seitens der israelischen Besatzungsarmee und der kolonialen israelischen Siedler überall in der West Bank – vom Norden (Jenin, Nablus mit Beita) bis hin in den Süden nach Hebron und bis zu den Dörfern und Weilern südlich von Hebron, mit Jerusalem nach wie vor im Zentrum.

Die Unterdrückung der palästinensischen Gesellschaft, der Menschen unter Besatzung, nimmt tagtäglich zu. Inzwischen nimmt diese Unterdrückung schon fast absurde Formen an, denn die israelische Regierung entblödet sich nicht, palästinensische Menschenrechtsorganisationen als Terrororganisationen zu verbieten (siehe z. B. ICAHD, Le Monde Diplomatique, Pax Christi, Addameer, und viele mehr).

GW: Worum geht es bei dieser neuerlichen Eskalation seitens Israels – in diesem Fall gegenüber den Menschenrechtsorganisationen?

HB: Israel scheint erneut zu versuchen, die Palästinenser als die unverbesserlich ewigen Terroristen darzustellen. Dies vor allem vor dem Hintergrund der zunehmenden internationalen Kritik an der illegalen, völkerrechtswidrigen Besatzung, am Siedlerkolonialismus und am Apartheidsystem, nicht zuletzt nach den vernichtend kritischen Analysen durch Human Rights Watch, B’Tselem und zuletzt am 1. Februar durch Amnesty International. Israels Regierung und insbesondere Verteidigungsminister Benny Gantz wollen offensichtlich selbst die weltweit positiv anerkannte palästinensische NGO-Gemeinde anschwärzen und ihnen die internationale politische und nicht zuletzt finanzielle Unterstützung nehmen.
Israel soll damit als ein Staat gesehen werden, der sich auf allen Ebenen gegen terroristische Angriffe verteidigen muss.

GW: Man sagt, der Palästina-Israel-Konflikt sei der am besten dokumentierte Konflikt weltweit. Viele Menschen sind müde, haben kein Interesse mehr an diesem seit Jahrzehnten andauernden „Schlamassel“ im Nahen Osten, für das in den Augen Vieler vor allem die Palästinenser verantwortlich sind, die „keinen Frieden wollen und alle großzügigen Angebote Israels“ verwerfen. Brauchen wir also ein weiteres Buch? Wenn ja, was ist neu in Ihrem aktuellen Buch?

HB: Ich denke, dass gerade vor diesem Hintergrund ein neuer Blick auf den „Konflikt“ eine wichtige Rolle spielen könnte. Deshalb habe ich nicht zuletzt versucht, die wichtigsten Entwicklungslinien seit 1948 kurz, knapp und allgemein verständlich (und hoffentlich auch spannend zu lesen!) aufzuzeigen.

Neu sind die in den letzten Jahren sich herausbildenden Konzeptualisierungen wie „ethnische Säuberung“, „Siedlerkolonialismus“ und Israel als „Apartheidstaat“. Wir verbinden ja den Begriff ethnische Säuberung zuerst und vor allem mit den Kriegen um Jugoslawien in den neunziger Jahren. Siedlerkolonialismus wird mit Ländern wie Algerien oder auch Australien und den USA in Zusammenhang gebracht, während es bis dato zuerst und vor allem Südafrika war, das weltweit als Apartheidstaat gegeißelt wurde.
Eine ganze Reihe meiner Kollegen sowie verschiedene internationale Organisationen haben nun eben diese allgemein bekannten Begriffe direkt auf Israel und Palästina angewandt und damit eine völlig neue Lesart und ein neues, sehr viel besseres, weil tiefer greifendes Verständnis der Entwicklungen seit 1948 ermöglicht.

Neu ist auch meine Darstellung von Gaza seit 2006. Ich sehe dort einen einzigen langen Krieg – offiziell gegen die „radikalislamische Hamas“ – tatsächlich jedoch mit brutaler Gewalt gegen eine schutzlose Zivilbevölkerung, mit immer neuen Gewalteskalationen vor allem von israelischer Seite wie 2006, 2008/9, 2012, 2014, 2021.

GW: Hier würde ich gerne direkt ansetzen: Wir erleben ja nicht nur im Palästina-Israel-Konflikt, wie sehr Wörter – und Sprache im Allgemeinen – für Propagandazwecke missbraucht werden. Früher galt die Fatah als „Terrororganisation“, seit einigen Jahren wird diese als „gemäßigt“ und Hamas als „radikal-islamisch“ bezeichnet. Sprache wird dazu verwendet, den schon seit Jahrzehnten andauernden Konflikt auf die 2006 mittels legaler Wahlen an die Regierung gekommene Hamas zu reduzieren.
Dabei werden die Rollen von „Opfer“ und „Täter“ ständig ausgetauscht und somit Verwirrung gestiftet. Sie haben bereits zwei Bücher über die Hamas geschrieben – wie ist die Situation aktuell im Gaza-Streifen?

HB: Gaza ist eine nicht enden-wollende Tragödie. Deshalb verwende ich ja den Begriff „Der lange Krieg gegen Gaza“ als Untertitel meines Buchs.
Und Kollegen haben die Kriege gegen Gaza noch viel länger zurückverfolgt. Auch darauf nehme ich in meinem Buch wenigstens kurz Bezug.

Gaza ist derzeit nach wie vor (seit 2006) vollständig abgeriegelt und es fehlt dort an allem: angefangen von einer kontinuierlichen Stromversorgung über mangelndes sauberes Wasser und Trinkwasser bis hin zur immer massiveren Arbeitslosigkeit. Die israelische Blockade verhindert jegliche Veränderung.
Die lokale Hamas-Regierung hat sich unter diesen Bedingungen immer mehr in Richtung einer autoritären Kontrollinstanz entwickelt. Die Rechnung bezahlen die Menschen. Auch die Politik der sulta, also der Regierung in Ramallah, trägt nicht bei, hier einen Schritt nach vorne zu unternehmen.

Die von Israel genehmigte finanzielle Unterstützung durch Qatar lindert die Probleme zu einem gewissen Grad. Aber sie reicht nicht aus.
Ohne Aufhebung der Blockade kann sich in Gaza nichts grundsätzlich ändern und verbessern.

GW: Wie stellt sich der „palästinensische Widerstand“ zurzeit dar – gibt es Unterstützung von außerhalb?

HB: Der Versuch des bewaffneten Widerstandes der Hamas und des islamischen Jihad wird wohl unterstützt aus dem Libanon, also durch Hizbullah, und durch den Iran.

Seit Mai 2021 erleben wir zunehmenden Widerstand gegen die israelische Besatzung durch die gesamte palästinensische Zivilgesellschaft weltweit, also in den besetzten palästinensischen Gebieten, in Israel selbst sowie in der regionalen und internationalen Diaspora. Es sind vor allem auch jüngere Palästinenserinnen und Palästinenser, die aktiv sind und die wohl auch nicht mehr primär an bestimmte Organisationen gebunden sind. Eine ungeheuer wichtige Entwicklung, so denke ich.

Die internationale Solidarität, nicht zuletzt von Jüdinnen und Juden in den USA durch z.B. Jewish Voice for Peace oder den Publizisten Peter Beinart, hat langfristige Veränderungen durchlaufen und die Karten gerade auch in den USA völlig neu gemischt.
Diese Entwicklungen zeichnen sich offensichtlich auch in Deutschland ab mit Organisationen wie Jüdische Stimmen für Gerechten Frieden in Nahost, BIP (Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern e.V.), aber auch Pax Christi und die gesamte, wieder mehr in den Vordergrund rückende Solidaritätsbewegung.

GW: Auch über die in Deutschland umstrittene BDS-Bewegung (BDS steht für Boykott, Desinvestition und Sanktionen) – als eine Form des palästinensischen Widerstands – schreiben Sie in Ihrem Buch. Könnten Sie unseren LeserInnen und Lesern erklären, was es mit dieser von mehr als 170 zivilgesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften gegründeten Bewegung auf sich hat?

HB: Mein Buch versucht, ein realistisches Bild der BDS (Boykott, „Divestment“, Sanktionen) zu zeichnen, anstelle des verzerrten Bildes, das vor allem die deutschen Medien uns vermitteln, unterstützt nicht zuletzt durch den unsinnigen Bundestagsbeschluss 2019 zu BDS.

Wie Sie wissen, wurde BDS 2005 von mehr als 170 zivilgesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften gegründet. Inzwischen unterstützt die gesamte palästinensische Zivilgesellschaft ausnahmslos BDS. Omar Barghouti, einer der Gründer von BDS, wird nicht müde zu betonen, dass die BDS eine gewaltlose Bewegung ist. Mit Anti-Semitismus hat sie nichts zu tun.
Die im Juli verstorbene Esther Bejarano, die Auschwitz überlebt hat, blieb Zeit ihres Lebens Antifaschistin und Kommunistin und hat nicht zuletzt auch deshalb BDS unterstützt. Niemand innerhalb der BDS-Bewegung kämpft, so Barghouti, gegen Jüdinnen und Juden.
Der Widerstand der BDS richtet sich einzig und allein gegen Israel als Apartheid-Staat, der die Palästinenserinnen und Palästinenser unterdrückt, mit Gewalt bekämpft, nie als gleichberechtigte Menschen anerkannt hat und sie vielmehr regelrecht entmenschlicht.

Die Regierung Südafrikas war die erste, die BDS ohne Vorbehalte unterstützte. Der vor Kurzem verstorbene Bischof Tutu stand fest auf der Seite der Palästinenser in ihrer an das südafrikanische Beispiel angelehnten Boykottbewegung. Gerade Tutu betonte, genau wie Omar Barghouti, dass es der BDS um den Kampf gegen die und den Boykott der rassistischen israelischen Politik geht, nicht gegen Jüdinnen und Juden.

Die BDS fordert eine „ethische De-Kolonisierung“ und die Herstellung einer echten, langanhaltenden und ethischen Koexistenz. Das wird aber nur möglich durch eine grundlegende Veränderung in Israel, wo die Unterdrückung der Palästinenser zusammen mit den kolonialen Privilegien für israelische Jüdinnen und Juden enden muss.

GW: Ganz aktuell ist ein neuer Report von Amnesty International über die israelische Apartheid gegenüber den Palästinensern erschienen.
Glauben Sie daran, dass all diese vielen Berichte, nicht eingehaltenen UN-Resolutionen und Protestaktionen irgendwann dazu führen können, dass im Nahen Osten Frieden herrscht?

HB: Glauben ist eine Sache … ich hoffe aber, dass all diese Berichte, nicht zuletzt der Amnesty-International-Bericht, eine Rolle spielen werden in einem langwierigen Prozess der Veränderung. Ich sehe diese Veränderungen, nicht zuletzt seit Mai 2021. Eine Rolle spielt zum einen der anhaltende Widerstand der Palästinenser in den besetzten Gebieten, in Israel und überall in der Welt.
Eine weitere Rolle spielt die Solidaritätsbewegung, nicht zuletzt auch in Deutschland. Hier ist noch viel zu tun, aber selbst in Deutschland bewegt sich etwas.

Schließlich ist es die israelische Politik mit ihrer unsäglichen Brutalität, die inzwischen „den Bogen überspannt“. Ich denke nicht, dass sie noch lange so weitermachen kann. Ich hoffe es, für die Menschen in Palästina, für die sehr kleine israelische Linke und Solidaritätsbewegung mit den Palästinensern, aber auch generell für die Menschen in Israel, die sicher nicht für immer unter einer autoritären Apartheidregierung leben wollen.

GW: Frau Baumgarten, erlauben Sie mir noch eine letzte Frage: Aktuell erleben wir einmal mehr, wie sehr in der Politik mit Doppelstandards gearbeitet wird – auf der einen Seite drücken unsere Politiker viele, um nicht zu sagen alle Augen zu, wenn es um die völkerrechtswidrige Annexion palästinensischen Landes, Vertreibung und Inhaftierung tausender Palästinenser inklusive Kinder (siehe z.B. Military Court Watch, DCI), Siedlerterrorismus, Bombardierung einer wehrlosen Bevölkerung unter Besatzung usw. geht. Auf der anderen Seite erheben unsere Politiker viele „moralische Zeigefinger“ im Konflikt um die Ukraine, benennen eindeutig und einseitig den angeblichen Aggressor und treiben uns an den Rand eines Krieges mitten in Europa. Macht Sie das wütend?

HB: Ich bin vor allem schockiert über die unsäglich dumme und so extrem gefährliche Kriegshetze, die derzeit von den USA bis Europa um sich greift, angefeuert von Politikern, die leider enorme militärische Macht kontrollieren und einsetzen können.

Dass überall in der Welt mit zweierlei Maß gemessen wird … das kennen wir zur Genüge. Die Schwachen erhalten nirgends Unterstützung. Politik wird fast überall auf ihre Kosten gemacht. Die Palästinenser sind dafür das Paradebeispiel.
Was mich außerdem schockiert und auch wütend macht, ist die Leugnung der Realität, also die lange Reihe von NATO-Beschlüssen und Aktionen gegen Russland, die sicher nicht dem Frieden dienen.
Was mich jedoch absolut in Wut versetzt, ist die israelische Gewaltpolitik gegen die Palästinenserinnen und Palästinenser, die sich seit 2021 Tag für Tag weiter zuspitzt und ein unerträgliches Ausmaß erreicht hat.
Doch schauen wir nach vorn und hoffen, dass die Palästinenser mit Hilfe der internationalen Solidaritätsbewegung und nicht zuletzt mit Hilfe von Berichten wie dem soeben erschienenen von Amnesty International das Blatt wenden können. Hoffen wir, dass sich auch die Palästinenser endlich Freiheit und Gerechtigkeit erkämpfen können, die ihnen viel zu lange verwehrt wurden.

GW: Ich danke Ihnen für das Interview.

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.

Israelkritik unerwünscht: Meinungsfreiheit in Deutschland in Gefahr?

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Vertreter palästinensischer und jüdischer Organisationen wollten in Bonn über „Israels rechte Freunde in Europa und in den USA“ informieren. Daraufhin starteten Pro-Israel-Aktivisten kurzerhand eine Kampagne zur Verhinderung dieser „antisemitischen“ Veranstaltung.
k leukefeldWie gut organisiert die Meinungsmache, politische Einflussnahme und Korruption seitens der Israel-Lobby zum Schaden der USA dort funktioniert, das haben bereits John J.Mearsheimer und Stephen M.Walt in ihrem gleichnamigen, sehr ausführlichen Buch bereits 2007 analysiert, ebenso Findley in seinem Buch „Die Israel-Lobby“.

paul findleydie israel lobby

Die gleichen Muster zeichnen sich, wie kaum anders zu erwarten, auch in Deutschland ab, inklusive der Faktenfälschung, Zensur und dem Verstoß gegen alle Regeln der Sozialwissenschaft und Publizistik in der Wikipedia, siehe hier: https://josopon.wordpress.com/2018/09/08/wie-ein-antideutscher-fanatiker-in-wikipedia-seit-jahren-hetzartikel-unterbringt-die-linke-schadigt-und-warum-bish-er-niemand-ihn-bremst/.

Unsere Freundin Karin Leukefeld, mir von zahlreichen Vorträgen in Augsburg bekannt, deckt hier eine „Verschwörung“ auf.
Es ist kein Wunder, dass sie das nicht in den deutschen Leim-Medien veröffentlichen kann, deshalb hier, und mit einigen wichtigen Verweisen:

https://deutsch.rt.com/meinung/84317-meinungsfreiheit-in-deutschland-in-gefahr/

Auszüge:

Referent ist der Wirtschaftsforscher Shir Hever, ein israelischer Staatsbürger jüdischen Glaubens, der in Deutschland lebt.
Veranstalter ist die Bonner Sektion der Palästinensischen Gemeinde Deutschland. Mitveranstalter sind unter anderen die „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“ und eine Bonner Gruppe, die die Kampagne „Boykott, Desinvestition, Sanktion“ (BDS) unterstützt.

Die 2007 in Berlin gegründete „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“ gehört zu einer europäischen Föderation von 18 Organisationen in neun europäischen Ländern, die sich 2002 zusammenschlossen.
Die 2005 ursprünglich von der palästinensischen Zivilgesellschaft gegründete BDS-Kampagne orientiert sich an dem Vorbild der Anti-Apartheidbewegung in Südafrika.
Sie richtet sich gegen die israelische Besatzungspolitik und die Ungleichbehandlung der arabischen Israelis.

Unter dem Motto „Nein zum Judenhass – Nein zum BDS“ hatten die Internet-Portale „Ruhrbarone“, Honestly Concerned und eine bundesweite Twittergemeinde zum Protest gegen die Veranstaltung aufgerufen. Wochenlang hatten Aktivisten aus ganz Deutschland gegen die Veranstaltung der Palästinensischen Gemeinde Deutschland in Bonn getwittert, geschrieben und polemisiert. Veranstalter und Referent seien „Antisemiten, Neonazis und Islamisten“, die den Staat Israel zerstören wollten, behaupteten sie. Wer ihnen Räume zur Verfügung stelle, sei nicht besser.

Zwei Mal waren sie bei den Vermietern von Veranstaltungsräumen erfolgreich, die Stadt Bonn entfernte sogar die Veranstaltungsankündigung aus dem öffentlichen Terminkalender.
Würde es ein drittes Mal gelingen, den Vortrag zu stoppen?

Doch alles bleibt ruhig an diesem Abend, die Gegner der Veranstaltung scheinen müde geworden zu sein oder tauchen zumindest hier nicht auf. Als Shir Hever mit seinem Vortrag beginnt, erweist sich der Raum als zu klein. Die Türen zum Foyer werden weit geöffnet, Stühle und ein Lautsprecher aufgestellt, so dass viele weitere Zuhörer teilnehmen können.

Die Vorgeschichte

Anfang Januar hatte die Palästinensische Gemeinde in Bonn den Termin auf dem öffentlichen Veranstaltungsportal der Stadt Bonn angekündigt: „Israels rechte Freunde in Europa und den USA“ war das Thema, Referent war der Wirtschaftsforscher Shir Hever, promoviert an der Freien Universität Berlin.
Informiert werden sollte über „rechte evangelikale Christen“ in den USA, die großen Einfluss auf die US-Administration ausüben. Auch immer mehr rechte populistische Parteien in Europa üben heute den Schulterschluss mit der Regierung von Benjamin Netanjahu. Israel versuche Kritiker mit dem Vorwurf des Antisemitismus mundtot zu machen, doch weltweit nehme die Unterstützung der Palästinenser zu.

Die Veranstalter verwiesen auf Forderungen, die durch das Völkerrecht, den Haager Gerichtshof und durch UN-Resolutionen untermauert werden: Siedlungsbau, Besatzung und die Belagerung Gazas müssten ein Ende haben. Mauern und Zäune müssten verschwinden, die arabisch-palä­stinensischen Bürger Israels sollten gleichberechtigt anerkannt werden, die palästinensischen Flüchtlinge hätten das Recht, in ihre Heimat zurückzukehren.

Das Kölner FDP-Mitglied Marca Goldstein-Wolf startete mit Freunden eine Gegenkampagne auf Twitter und Facebook. Nicht das Thema der Veranstaltung störte sie, es waren die Unterstützergruppen, die in der Anzeige genannt waren.
Insbesondere ging es um die „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“ und eine Bonner Gruppe, die die Kampagne „Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen“ (BDS) unterstützt.

Die BDS-Kampagne wurde – wie gesagt – 2005 von der palästinensischen Zivilgesellschaft gestartet, um Israel dazu zu bringen, das Völkerrecht und die Menschenrechte der Palästinenser anzuerkennen. Vorbild ist der Internationale Boykott gegen den Apartheidstaat Südafrika, der 1994 zum Sturz der Apartheid-Regierung geführt hatte. Mehr als 170 palästinensische und Dutzende von israelischen Organisationen sowie auch viele Gruppen und Einzelpersonen weltweit unterstützen die Kampagne.

Marca Goldstein-Wolf allerdings sieht das – wie der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu – als große Gefahr. „BDS ist ein ernstzunehmender Feind, der in verlogener Kritik an Israel Judenhass verpackt“, sagte sie der Jerusalem Post. „Wir müssen uns dem mit aller Macht und überall entgegenstellen.“ Besonders wichtig sei es, „die Bevölkerung über die Machenschaften dieser Anti-Semiten aufzuklären“, denn die BDS-Kampagne greife den jüdischen Staat an.

Unterstützung kam von Aras Nathan Keul, Mitglied im Vorstand der Deutsch-Israelischen Gemeinde und Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Volker Beck von Bündnis 90/Die Grünen. Keul twitterte an den Bonner Oberbürgermeister und behauptete, die Stadt Bonn werbe für eine Veranstaltung, bei der „mit antisemitischen Stereotypen zum Ende Israels aufgerufen wird“. Rückendeckung erhielt Keul von seinem Arbeitgeber Volker Beck. Er habe ebenfalls beim Bonner Oberbürgermeister gegen die Veranstaltung protestiert. Der Vorgang verstoße zudem gegen eine Entschließung des nordrhein-westfälischen Landtages, die im September 2018 auf Antrag der Partei Bündnis 90/Die Grünen verabschiedet worden war. Die Fraktionen von CDU, FDP, SPD und Grünen im Landtag von Nordrhein-Westfalen verurteilen darin die BDS-Kampagne als „klar antisemitisch“ und fordern landeseigene Einrichtungen auf, der Kampagne kein Forum zu bieten. Bei Parteien, Kirchen, Gerichten, Medien bundesweit und im politischen Berlin ist die Gleichung „BDS = antisemitisch“ weithin anerkannt. Angesichts des massiven Twitter-Protestes löschte die Stadt Bonn den Veranstaltungseintrag. „Wir bedauern den Eintrag sehr und bitten um Entschuldigung dafür“, hieß es.

Meinungsfreiheit in Gefahr

In einem offenen Brief an den Oberbürgermeister forderten die Veranstalter diesen auf, sich eindeutig „für die Meinungsfreiheit und das Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung“ zu positionieren.

Einen jüdischen Israeli wie Shir Hever als „Antisemiten“ zu diffamieren, sei „grotesk und mehr als bedenklich“. Verwiesen wurde auf ein Interview mit dem international bekannten Dirigenten Daniel Barenboim mit der Saarbrücker Zeitung, in dem dieser erklärte, warum er sich „schäme, Israeli zu sein“.

Erinnert wurde auch an eine Erklärung des Trierer Bischof Stephan Ackermann, der nach einem Bischofstreffen im Heiligen Land erklärt hatte:

„Die Bischöfe beklagen (…) Diskriminierung und Ausgrenzung von Christen und anderen Minderheiten in Israel“. Das trage zur „Erosion der Ideale von Gleichheit, Gerechtigkeit und Demokratie bei.“

Der Oberbürgermeister wurde eingeladen, den Vortrag mit Shir Hever zu besuchen, um sich „selber ein Bild zu den Vorwürfen zu machen“. Doch der Oberbürgermeister kam nicht. Stattdessen schickte er an die Veranstalter einen Brief. Die Löschung des Veranstaltungseintrages auf dem städtischen Kalender sei nicht unter öffentlichem Druck erfolgt, betonte er. Aus Sicht der Stadt Bonn sei der Text „pauschal und einseitig“ israelfeindlich gewesen und „letztlich antisemitisch“. Das alles sei „ein toller erster Erfolg für Bonner Verhältnisse“ freute sich Malca Goldstein-Wolf auf Twitter. Sie hatte zu einer Gegendemonstration unter dem Motto „Nein zu Judenhass – Nein zum BDS“ aufgerufen. Aus Berlin wünschte der Bundestagsabgeordnete Volker Beck „Viel Glück“.

Aufklärung gegen Diffamierung

Die Veranstalter in Bonn ließen sich nicht einschüchtern. George Rashmawi vom Vorstand der Palästinensischen Gemeinde kritisierte, dass „die Vortragsgegner nicht auf Argumente (….) eingehen“. Es handele sich „um Verleumdung und Hetze mit dem einzigen Ziel, die Veranstaltung zu verhindern.“
Letztlich, so Rashmawi, gehe es nicht mehr nur um die Auseinandersetzung mit der Politik Israels, es gehe „grundsätzlich um die Meinungsfreiheit.“ Die Veranstaltung werde stattfinden.

Den Bonner Oberbürgermeister und die Öffentlichkeit informierten sie ausführlich über das Twitter-Netzwerk, das bundesweit um den Publizisten Henryk M. Broder und Benjamin Weinthal, einen Journalisten der Jerusalem Post, entstanden ist. Broder gilt seit langem als scharfer Kritiker von jedem, der es wagt, Israel zu kritisieren. Die von Juden in Deutschland gegründete „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“ bezeichnete er als eine „Bande von Antisemiten“.

Weinthal sorgte mit dem Artikel „Proteste führen zur Absage einer BDS-Veranstaltung in Bonn“ für internationale Aufmerksamkeit. Als Mitarbeiter der „Stiftung für die Verteidigung der Demokratien“ in Washington, D.C. lebt er in Berlin und gilt als „Augen und Ohren der Stiftung in Europa“, wie es auf deren Webseite heißt.
Im Vorstand und Beirat der 2001 nach den Anschlägen in New York gegründeten Stiftung sind verschiedene hochrangige Mitarbeiter der US-Geheimdienste CIA und FBI vertreten.

Die mitveranstaltende „Bonner Jugendbewegung“ trug umfangreiches Material zusammen, recherchierte und veröffentlichte ihr aufklärerisches Hintergrundmaterial auf ihrem Internetportal.
Intensiv setzten sie sich mit Vorwurf auseinander, die BDS-Boykott-Kampagne der palästinensischen Zivilgesellschaft sei vergleichbar mit dem Aufruf der deutschen Nationalsozialisten „Kauft nicht bei Juden“ und folglich antisemitisch. Der Vergleich sei falsch, denn „der grundlegendste Unterschied zwischen dem Israelboykott von BDS und der ‚Kauft nicht bei Juden‘-Masche der Faschisten aber ist, dass sich Ersterer ausgehend von der Bevölkerung gegen einen kapitalistischen Nationalstaat richtet und … (Letzteres sich historisch) ausgehend von einem kapitalistischen Nationalstaat gegen die Bevölkerung … (und) eine unterdrückte Minderheit der Bevölkerung richtet(e)“, so die jungen Bonner.

Unter Verweis auf den israelischen Soziologen und Professor für Geschichte und Philosophie Moshe Zuckermann heißt es weiter: „Israelkritik, Antisemitismus und Antizionismus (sind) drei verschiedene Dinge.“ Diese Differenzierung sei die wichtigste Grundlage für eine Auseinandersetzung mit Israel und seiner Politik.

Die Veranstalter hatten Erfolg. Eine Woche später war ein neuer Raum gefunden.

Die Vermieter der alten Villa hatten sich nicht einschüchtern lassen und die Polizeipräsenz sollte vor möglichen Protesten schützen. Dicht gedrängt und im Foyer hatten die Menschen Platz genommen, mitten unter ihnen auch die ältere Dame.

Der Vortrag

Shir Hever begann mit dem Gedenken an Ahmad Abu Jamal aus Gaza, dessen Foto er zeigte. Der 30-Jährige war Ende Januar im Norden des Gazastreifens von israelischen Soldaten angeschossen und schwer verletzt worden. Nun war er gestorben. Der anhaltende Protest der Palästinenser im Gaza-Streifen gegen die israelische Belagerung – der „Große Marsch der Rückkehr“ – sei kein „Terrorismus“, wie es Israel darstelle. Der Protest sei ein Ausdruck von Hoffnung auf eine bessere Zukunft, so Hever.

Im Vortrag ging es um die engen Kontakte, die der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in aller Welt zu extrem rechten und populistischen Gruppen und Parteien aufnimmt, die teilweise offen antisemitisch und rassistisch auftreten. Ob Berlusconi oder neuerdings Salvini in Italien, Marine Le Pen in Frankreich, Geert Wilders in Holland, Heinz-Christian Strache in Österreich, Donald Trump in den USA, Andrzej Duda in Polen, Viktor Orbán in Ungarn oder jüngst Jair Bolsonaro in Brasilien, Netanjahu sucht den Schulterschluss mit ihnen. Beide Seiten profitierten von dem Kontakt.

Die extrem rechten und populistischen Parteien könnten Kritik an Rassismus oder Antisemitismus in ihrer Politik mit dem Hinweis zurückweisen, sie unterstützten Israel und hätten beste Kontakte zum israelischen Ministerpräsidenten. Sie wollten Waffen, Drohnen, Überwachungstechnologie und Know-How übernehmen und seien auch an israelischer Ausbildung in der Aufstandsbekämpfung interessiert. Die Mauer, die Israel als „Sicherheitszaun“ gegen die Palästinenser errichtet habe, sei ein „Exportschlager“.
Was Israel gegen die Palästinenser mache, wollten die rechten Populisten gegen Flüchtlinge in Europa, in Brasilien, in den USA machen. „Die Beziehung zu Israel legitimiert ihre Politik“, so Hever.

Netanjahu befürchte derweil eine zunehmende Isolierung auf der internationalen Bühne. Er wolle „neue Freunde“ in der Welt präsentieren, während die bisher befreundeten Regierungen und Parteien sich von ihm und seiner Politik abwendeten. Frühere israelische Regierungen hätten solche Beziehungen abgelehnt, doch für Netanjahu sei dies die Wahlkampfstrategie für die bevorstehenden Parlamentswahlen.

Für die Wahlen am 9. April in Israel sagte Shir Hever „einen Kampf zwischen den populistischen extrem Rechten und der Sicherheitselite, also den Generälen“ voraus. Die Generäle verlören ihren Einfluss auf die Öffentlichkeit, das solle gestoppt werden.
Der ehemalige Oberkommandierende der Israelischen Streitkräfte, Generalleutnant Benny Gantz trete zu den Wahlen an, um „die Macht wieder zurück in die Hände der alten Sicherheitselite zu bringen“, so Hever im Gespräch mit der Autorin.

Sollte das Korruptionsverfahren gegen Benjamin Netanjahu noch vor den Wahlen eröffnet werden, habe Benny Gantz vielleicht eine Chance, Ministerpräsident zu werden.
Dennoch werde er die Macht werde nicht erringen, denn „die Macht gehört heute der populistischen extremen Rechten. Dafür steht nicht nur Netanjahu, sondern auch Miri Regev, die Kulturministerin, Gilad Erdan, der Minister für Öffentliche Sicherheit und Strategische Angelegenheiten.“
Die genannten Politiker seien gefährliche extreme Populisten, betonte Hever und fügte dann hinzu: „Aber ehrlich gesagt sind die Generäle gefährlicher. Sie sagen vielleicht nicht viel, aber sie schießen viel.“