Die Hungermacher – Warnungen der UNO, die westliche Sanktionspolitik führe zu Düngermangel

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Berlin ignoriert Warnungen der UNO, die westliche Sanktionspolitik führe zu Düngermangel und, zeitlich etwas verzögert, zur dramatischen Zuspitzung der globalen Ernährungskrise.

22.Sep.2022

german foreign policy logo

https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9031

BERLIN/NEW YORK (Eigener Bericht) – Die Bundesregierung ignoriert Warnungen der Vereinten Nationen, die westliche Sanktionspolitik könne zu krassem Düngermangel führen und die globale Ernährungskrise schon bald eskalieren lassen.

Ursache ist zum einen, dass die Sanktionen etwa gegen den russischen Finanz- und den Transportsektor den Düngerexport nach wie vor massiv behindern. Russland und Belarus stellten vor dem Krieg rund 20 Prozent aller Düngemittel weltweit her.
Hinzu kommt, dass die wegen der Embargopolitik dramatisch in die Höhe geschossenen Erdgaspreise die Düngemittelproduktion weltweit gravierend verteuern; die Zahl der Fabriken, die daher die Produktion einstellen müssen, nimmt auch in Europa zu. Während europäische Landwirte sich auf eskalierende Kosten einstellen müssen, ihren Bedarf aber notfalls durch teure Zukäufe im Ausland decken können, fehlt diese Option in ärmeren Staaten etwa in Afrika.
Dort könnte die Produktion von Nahrungsmitteln alleine wegen Düngermangels um mehr als ein Fünftel kollabieren.
UN-Generalsekretär António Guterres hat am Dienstag zum wiederholten Mal vor den Konsequenzen gewarnt. Berlin stört sich nicht daran und hält an den Sanktionen fest.

Blockierte Exporte

Den Hintergrund der anschwellenden Düngemittelkrise hat kürzlich in prägnanter Form die Weltbank beschrieben. Demnach wurden bis zum vergangenen Jahr rund 20 Prozent aller Düngemittel weltweit in Russland und Belarus hergestellt.[1]
Bei einzelnen Grundstoffen – etwa bei Potassium (:= Kalium) – kamen die beiden Länder gar auf einen Weltmarktanteil von gut 40 Prozent. Bereits im vergangenen Jahr verschärfte sich die Lage, als die Vereinigten Staaten und die EU Sanktionen gegen belarussische Düngemittelhersteller verhängten.[2]
Allerdings wies das Sanktionsregime der EU – vermutlich beabsichtigt – zunächst noch Lücken auf, die dazu führten, dass die Versorgung von Drittstaaten mit belarussischen Düngemitteln nicht kollabierte.[3]
Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine kommen jetzt freilich noch die Russland-Sanktionen hinzu. Zwar beteuert die EU, sie trage inzwischen penibel dafür Sorge, dass der Export von Düngemitteln wie auch derjenige von Getreide von den Sanktionen ausgenommen sei.
Dies trifft formal zu, ist aber praktisch beinahe bedeutungslos: Weil die Sanktionen unverändert die russische Finanzbranche, den Transportsektor und anderes treffen, werden nach wie vor Düngemittellieferungen in erheblichem Umfang blockiert; sie fehlen daher auf dem Weltmarkt.

Verzögert spürbar

Hinzu kommen weitere sanktionsbedingte Faktoren. Von den Zwangsmaßnahmen sind der Weltbank zufolge auch die Lieferketten der Düngemittelproduktion in Russland und Belarus betroffen.[4]
Dies schränkt die Herstellung ein. Auch deshalb hat Moskau begonnen, seine Düngemittelexporte gewissen Restriktionen zu unterwerfen, um sicherzustellen, dass die eigene Landwirtschaft auch unter noch weiter verschärften Bedingungen stets ihren Bedarf decken kann.
Darüber hinaus werden in der Düngemittelproduktion große Mengen an Erdgas verwendet, was die Kosten wegen des in die Höhe geschnellten Gaspreises massiv nach oben treibt. Dies wiederum schlägt sich auch auf Düngemittelhersteller außerhalb Russlands und Belarus‘ nieder.
Bei alledem muss berücksichtigt werden, dass Probleme der Versorgung mit Düngemitteln für eine gewisse Zeit für die Öffentlichkeit kaum wahrnehmbar sind. Wie die Weltbank konstatiert, wurden Nahrungsmittel, die heute konsumiert werden, oft vor sechs Monaten produziert – mit Hilfe von Dünger, der vor einem Jahr gekauft wurde.
Hohe Preise für Düngemittel schlagen sich deshalb mit gut einem Jahr Verzögerung, vielleicht gar noch mehr, in den Lebensmittelpreisen nieder.
Die Folgen der Russland-Sanktionen, die seit Ende Februar verhängt wurden, werden also, was die Düngemittel betrifft, erst nächstes Jahr in vollem Umfang spürbar sein.

„Schuss in den eigenen Fuß“

Gravierende Schwierigkeiten drohen dabei auch Europa. Als eine der Hauptursachen gilt der aufgrund der Embargopolitik in die Höhe geschnellte Erdgaspreis, der in der Herstellung von Düngemitteln bis zu 70 Prozent der Kosten ausmacht. Schon im März kündigten die ersten europäischen Hersteller an, sie begännen aufgrund der astronomischen Erdgaspreise ihre Düngemittelproduktion zu reduzieren; Dünger kostete damals bereits viermal so viel wie im Jahr zuvor.[5]
Im August war SKW Piesteritz, einer der größten deutschen Düngerhersteller, gezwungen, die Produktion stillzulegen.[6] Aktuell soll sie wieder hochgefahren werden; doch ist völlig unklar, ob sie auf Dauer gesichert werden kann.
Auch in anderen EU-Staaten, etwa in Polen, musste die Düngemittelherstellung teilweise dramatisch heruntergefahren werden. Zuletzt wurde am Dienstag bekannt, dass der norwegische Düngemittelgigant Yara International in diesen Tagen ein Werk in Belgien stilllegen wird. Das könnte nach Angaben aus Branchenkreisen in Frankreich das Angebot von Ammoniumnitrat, das als Düngemittel genutzt wird, um 10 Prozent senken.[7]
Das US-Magazin Forbes wies darauf hin, dass Düngemittel nur 0,1 Prozent zum russischen Staatsetat beitragen; ihren Import unmöglich zu machen, während die eigene Produktion kollabiere, sei „ein Schuss in den eigenen Fuß“.[8]

Minus 20 Prozent

Kaum absehbar sind die Folgen für ärmere Länder, so etwa für die Staaten Afrikas. Bereits Anfang August fehlten auf dem Kontinent laut Angaben der African Development Bank gut zwei Millionen Tonnen Düngemittel – eine Katastrophe für die Landwirtschaft, zumal sie über Jahrzehnte hin von westlichen Konzernen in die Abhängigkeit von Agrochemikalien jeglicher Art getrieben wurde.[9]
Der Düngermangel könne zu einem Einbruch der Agrarproduktion in Afrika um gut 20 Prozent oder sogar mehr führen, warnen Experten.[10]
In Westafrika, wo vor Kriegsbeginn zum Beispiel 70 Prozent des Potassiums :=Kaliums aus Russland und Belarus eingeführt wurden, haben sich die Düngemittelpreise bereits jetzt verdoppelt, in einigen Regionen sogar verdreifacht. Besonders schwer wiegt dies im Sahel, der ohnehin dramatisch vom Klimawandel betroffen ist, im Sommer unter der krassesten Dürre seit mehr als zehn Jahren litt und zudem Einbußen durch marodierende Jihadisten verzeichnet.[11]
Dabei leben etwa in Burkina Faso mehr als 80 Prozent der Bevölkerung ganz oder teilweise von der Landwirtschaft. Verantwortet wird die heraufziehende Katastrophe nicht von den Regierungen der betroffenen afrikanischen Staaten, sondern vom Westen, dessen Sanktionspolitik der Hauptauslöser des Düngemittelmangels ist.

UN-Initiativen

Die Vereinten Nationen suchen seit Monaten gegenzusteuern. UN-Generalsekretär António Guterres bemüht sich schon seit dem Frühjahr, parallel zu den Getreideexporten aus der Ukraine auch Düngemittellieferungen aus Russland im gewohnten Umfang zu ermöglichen. Der im Juli geschlossene Deal zwischen den Vereinten Nationen und Moskau bzw. Kiew sieht vor, beides gleichzeitig hochzufahren.
Moskau beklagt seit geraumer Zeit, das erweise sich bei den Düngemittellieferungen wegen der unveränderten westlichen Sanktionspolitik als unmöglich. Guterres hat seine traditionelle Rede zur Eröffnung der diesjährigen UN-Generalversammlung genutzt, um zum wiederholten Mal auf die dramatische Lage hinzuweisen. Es sei „notwendig“, endlich „die letzten Hindernisse für den Export russischer Düngemittel und ihrer Bestandteile, insbesondere Ammoniak, zu beseitigen“, erklärte Guterres; andernfalls könne es schon sehr rasch zu einem gravierenden Lebensmittelmangel kommen.[12] Schnelles Handeln sei dringend angesagt.

Machtkampf hat Vorrang

Der Westen freilich streitet, das einhellige Urteil von Experten wie auch alle Appelle des UN-Generalsekretärs offen ignorierend, jegliche Verantwortung ab. „Unsere Sanktionen erlauben Russland ausdrücklich, Lebensmittel und Düngemittel zu exportieren“, behauptete US-Präsident Joe Biden gestern vor der UN-Generalversammlung, bewusst verschweigend, dass Finanz-, Transport- und andere Sanktionen die Ausfuhr aufs Schwerste behindern.[13]
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz wurde mit der Falschaussage zitiert, „die Ursache der globalen Ernährungskrise“ liege „nicht in den [im Westen] beschlossenen Sanktionen“.[14]
Jegliche Bereitschaft, der Sicherung der globalen Nahrungsmittelversorgung Vorrang vor dem Machtkampf gegen Russland einzuräumen, fehlt.

Mehr zum Thema: Nach uns die Sintflut, Nach uns die Sintflut (II) und Nach uns die Sintflut (III).

[1] Fertilizer volatility and the food crisis. worldbank.org 22.07.2022.

[2] S. dazu In der Sanktionsspirale.

[3] Most Belarus potash exports not affected by EU sanctions – analysts. financialpost.com 25.06.2021.

[4] Fertilizer volatility and the food crisis. worldbank.org 22.07.2022.

[5] Bert Fröndhoff, Maike Telgheder, Katrin Terpitz: Düngerhersteller drosseln Produktion: Weltweit drohen Einbußen bei Ernten. handelsblatt.com 11.03.2022.

[6] Johanna Michel: Gaspreise: Stickstoffdünger-Fabriken fahren Produktion herunter. agrarheute.com 24.08.2022.

[7] Olaf Zinke: Yara schließt Düngerwerke – steht Europa bald ohne Dünger da? agrarheute.com 21.09.2022.

[8] Kenneth Rapoza: Europe’s Other Crisis: Fertilizer Shortage For Farming. forbes.com 19.09.2022.

[9], [10] Eddy Wax, Bartosz Brzezinski: ‘Enormous‘ fertilizer shortage spells disaster for global food crisis. politico.eu 09.08.2022.

[11] Fertilizer shortages in conflict-torn Burkina Faso threaten crops and food security. northafricapost.com 26.08.2022.

[12] Secretary-General’s address to the General Assembly. un.org 20.09.2022.

[13] Biden: Russland will Ukraine auslöschen. zdf.de 21.09.2022.

[14] Bundeskanzler Scholz trifft den türkischen Staatspräsidenten Erdogan. bundesregierung.de 20.09.2022.

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.
Jochen

Dringend: Spendenaktion gegen genitale Frauenverstümmelung in Burkina Faso und Sierra Leone

Leider ist der folgende Text nur auf Englisch. Aber es gibt offensichtlich einige staatliche Institutionen, die auf den gespendeten Betrag noch das dreifache drauflegen, wenn die Spende bis Freitag 6:00 eingeht.
Ich warte übrigens noch ungeduldig darauf, dass sich eine gleichwertige Initiative mal gegen das millionenfache genitale Verstümmeln von männlichen Babys v.a. in Israel, Großbritannien und den U.S.A. richtet, das aus mir unerfindlichen, mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbarenden Gründen selbst in Deutschland straffrei ist...
Siehe zu der Gefährdung meinen Blogbeitrag hier:
https://josopon.wordpress.com/2015/06/13/es-gibt-noch-hoffnung-erfolgreiche-penistransplantation-nach-trauma-durch-beschneidungsritual/
Man soll doch auch mal vor der eigenen Haustür kehren.
Den satirischen Beitrag von Ulrich Kelber habe ich schon 2012 mal herumgeschickt:

Berlin, 14. Juli 2012, dpa

Der Vorsitzende der Glaubensgemeinschaft der Tsatinaten, Herr F. Tatzix, gab heute in Berlin eine Presseerklärung ab, deren Wortlaut wir hier gekürzt wiedergeben.


„Die Tsatinaten sind eine Glaubensgemeinschaft, die vor mehr als 1.700 Jahren in den Anden entstanden ist, und die bisher ihre Religion in Deutschland nur im engsten Familien- bzw. Stammeskreis ausgeübt haben. Wir sind daher in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt geblieben.

Wir verehren Tsatinatel, unsere höchste Gottheit, die wir uns in Gestalt eines einzelnen schwebenden Auges vorstellen, das  uns jederzeit liebevoll und fürsorglich anblickt, solange wir im Stande der Gnade sind.

tatsinatel

Ermutigt durch die Äußerungen der Repräsentanten sämtlicher im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien zum „Beschneidungsurteil“ und nach der ermutigenden Entscheidung des Deutschen Ethikrates http://www.ethikrat.org/presse/pressemitteilungen/2012/pressemitteilung-09-2012/ können wir nunmehr jedoch den Schritt in die Öffentlickeit wagen und hoffen sehr, dass auch unser Recht zur freien Religionsausübung Eingang in den Gesetzentwurf finden wird.

In unserer Gemeinschaft ist es viele tausend Jahre alte Tradition, den 2-jährigen Knaben ein Auge auszustechen. Dies geschieht natürlich nach 

  1. umfassender Aufklärung und Einwilligung der Sorgeberechtigten
  2.  qualifizierter Schmerzbehandlung
  3.  fachgerechter Durchführung des Eingriffs sowie
  4.  Anerkennung eines entwicklungsabhängigen Vetorechts des betroffenen Kindes,

wie es der Deutsche Ethikrat gefordert hat.

Dabei entscheiden die nächsten Verwandten jeweils in einem mehrtägigen Ritual, ob das linke oder das rechte Auge des Knaben dem Tsatinatel, unserer höchsten Gottheit, als einzelnes Auge geopfert wird.
Die Enukleation des Auges gibt geistige Kapazitäten frei, die dann dem „Blick nach innen“ dienen können.

Leider mussten wir bisher dieses Ritual und den anschließenden heiligen Akt des Augenstechens (bei uns die „Bestechung“ genannt), heimlich im Verborgenen durchführen und den eigentlichen heiligen Akt regelmäßig als Unfall tarnen.

Wir sind sehr erfreut, dass uns in naher Zukunft ein Gesetz ermöglichen wird, aus dem Untergrund heraus zu treten und die Bestechung der Knaben nun öffentlich vornehmen zu lassen.

Hierfür möchten wir uns schon jetzt ganz herzlich bei den Initiatoren des Gesetzes bedanken!

xyz Hoherpriester der Tsatinatischen Glaubensgemeinschaft“

Und hier der Spendenaufruf von AI Großbritannien:
For the next 72 hours every £1 you donate will equal £4. Will you join the revolution against FGM?
View this email online:

http://webmail.amnesty.org.uk/_act/link.php?mId=J9187964728817089710428826523320&tId=218962349&subjId=89419

Amnesty International UK

‚It is a pain that remains with a woman for life‘

        Bibata Ouedrago, women’s rights activist, Burkina Faso.

Today you have the opportunity to make a real difference to the lives of thousands of girls at risk of female genital mutilation (FGM).

We are working with local activists in Burkina Faso and Sierra Leone to change attitudes and stand up for the rights of women and girls.
They are leading a revolution, but they need your help.

 

Until 6pm on Friday every £1 you donate will be worth £4 – at no extra cost to you.*


Joachim, will you join the revolution against FGM?

Donate now – make four times the impact    
 
 Dear Joachim,

‘The pain these women suffer is an atrocious, unforgettable pain. I can say this personally. I was mutilated. It is a pain that remains with a woman for life’ – Bibata Ouedrago, women’s rights activist, Burkina Faso.

When Bibata Ouedrago was a young girl, her genitals were cut. It was an experience so painful and traumatic that she is still haunted by it.
And she is not alone – an estimated 76 per cent of all women living in Burkina Faso have experienced a form of FGM.
And for all of life-long damage it can do to a woman’s health, it has no positive outcomes. Not one. Put simply, it is a violation of the rights of women and girls.

But Bibata and other women’s rights activists like her are leading a revolution against FGM. Through community workshops, theatre performances and local radio broadcasts, they are changing traditional attitudes in their communities. Will you join them?

Donate to help end FGM now and every £1 you give will be worth £4*

There is still so much to do. Working with activists like Bibata, we aim to reach 8,000 girls across Sierra Leone and Burkina Faso who are at risk. 

For the next 72 hours every £1 you donate will be multiplied by four.*
So if you donate £25 it will be topped up to £100 at no extra cost to you

Donate now and make four times the impact!

Thank you so much for your support, together we can end FGM in Burkina Faso and Sierra Leone.
 
Best wishes,
Olivia Fleming
Head of Individual Giving
Amnesty International UK

*Thanks to matched funding from the UK Government, The Mohamed S. Farsi Foundation and other friends of Amnesty International, all donations you make before 6pm Friday 8 July – up to a total of £50,000 – will be worth four times the amount you give.
After the total is reached, all gifts to this appeal before 18 July will still be doubled by the UK government.

Donate now – make four times the impact

Supporting Amnesty with a regular gift or donation is the best way you can help us achieve our long term goals.
Your help will allow us to keep up the pressure,
demanding justice for victims of human rights abuses.