Klassenkampf der »Troika« in Griechenland: gegen Senkung der Rüstungsausgaben und gegen Einführung einer Reichensteuer

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Erst mal ein Glückwunsch an Syriza und Tsipras. Mögen sie aus dem Fitzelchen an demokratischer Einflussnahme, den ihnen die Troika noch lässt, etwas zum Wohle des ganzen Volkes anfangen!
Oft werde ich angesprochen, warum Tsipras im ersten Durchgang einige wichtige Wahlversprechen nicht durchsetzen konnte. Hier rechnet ein Fachmann vor, wei der deutsche Staat am Elend Griechenlands mehr als 600 Millionen € verdient hat:
http://www.jungewelt.de/2015/09-18/001.php
Auszüge:

EU, EZB und IWF waren bei den Verhandlungen mit der griechischen Regierung gegen Senkung der Rüstungsausgaben und gegen Einführung einer Reichensteuer

Giorgos Chondros
Giorgos Chondros ist Gründungs- und Vorstandsmitglied der griechischen Partei Syriza. Diese ist heute nicht mehr das, was sie noch Anfang 2015 war: eine radikal linke Partei. Deren Vorsitzender Alexis Tsipras übernahm am 25. Januar in dem gebeutelten Land das Amt des Premiers, das er nach misslungenen Verhandlungen mit EU, EZB und IWF über neue Kredite zur Rückzahlung bestehender Verbindlichkeiten an ausländische Privatbanken am 20. August wieder abgab. Die Partei spaltete sich – ihr linker Flügel hat sich als »Laiki Enotita«, als Volkseinheit, neu formiert –, die übrigen Mitglieder wollen die mit der »Troika« ausgemachten harten sozialen Einschnitte auch in einer kommenden Regierung mittragen.
Die Verhandlungen wurden von der Gläubigerseite hart und bedingungslos geführt. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Schäuble, und damit die EU, hatte neben dem Einkassieren der fälligen griechischen Tilgungsraten noch die Demütigung der linken Regierung im Sinn.
Wie diese Verhandlungen verlaufen sind, beschreibt Chondros unter anderem in dem hier vorab veröffentlichten Kapitel seines Buches »Die Wahrheit über Griechenland, die Euro-Krise und die Zukunft Europas«. Der Band erscheint in diesen Tagen im Westend Verlag Frankfurt am Main. Er ist vor Tsipras’ Rücktritt geschrieben worden.

jW druckt den Abschnitt zu den Themen Rüstungsausgaben, Reichensteuer und über den Schuldenprofiteur BRD um die Anmerkungen und eine Tabelle gekürzt ab. (jW)

Eine der wesentlichen Fragestellungen der entstellenden Propaganda und verdrehenden Meinungsmache gegen Syriza lautet so: »Warum senkt ihr die Rüstungsausgaben eigentlich nicht?«
Dass diese Frage einer linken Regierung und einer linken Partei gestellt wird, erinnert an die rhetorische Figur des Oxymorons, bei der eine Formulierung aus zwei sich gegenseitig ausschließenden Begriffen gebildet wird – Beispiele: Hassliebe, eile mit Weile, es lebe der Tod. Die Linke in ihrer Gesamtheit ist ihrem Wesen nach eine pazifistische Kraft, die Abrüstung immer für unabdingbar gehalten hat und sie auch weiterhin fordert. Sie dringt auf die Auflösung aggressiver Organisationen wie der NATO, weil sie von der Möglichkeit einer friedlichen Koexistenz der Völker auf der Grundlage gegenseitigen Nutzens und einer gemeinsamen Zukunft überzeugt ist. Besonders Syriza fördert (…) die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zur Türkei auf allen Ebenen, damit die beiden Völker ohne den Rüstungswahnsinn in Frieden und Wohlstand koexistieren können.

Griechenland ist aufgrund des konstruierten Szenarios einer türkischen Bedrohung tatsächlich das Land mit den relativ höchsten Rüstungsausgaben in der EU und der NATO. Es ist bemerkenswert, dass die Ausgaben in diesem Bereich die Ausgaben im Gesundheits- oder Bildungsbereich um ein Vielfaches übersteigen.
Obwohl die Rüstungsausgaben in den Krisenjahren fielen, wie wir der Tafel mit Daten des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) entnehmen können, bleiben sie dennoch weiterhin auf relativ hohem Niveau.

Eine der ersten Forderungen der Troika war die Liquidation der griechischen Rüstungsindustrie. Vor allem drei einheimische Unternehmen, die Waffen, Militärfahrzeuge, Munition und so weiter herstellen und von hohem öffentlichen Interesse sind, sollten schließen, womit mehr als 2.500 Beschäftigte in die Arbeitslosigkeit geführt worden wären.
Es liegt auf der Hand, dass vor allem die deutsche und die französische Rüstungsindustrie zu den Nutznießern dieser Schließung gehört hätten. Griechenland wäre weiterhin ihr bester Kunde geblieben, aber eben ohne inländische Konkurrenz.

Als die Frage der Senkung der Personalkosten beim griechischen Militär, dessen Berufsoffiziere wegen der Umsetzung der Memoranden¹ bereits Gehaltseinbußen von mehr als 40 Prozent hinnehmen mussten, auf den Tisch kam, wurde die Einstellung teurer Rüstungsprogramme nicht gestattet. Es handelt sich dabei um Programme, die direkt und ohne internationale Ausschreibungen unterzeichnet wurden.
Also ist die Regierung dazu gezwungen, Rüstungsgüter zu veräußern, um die von den Gläubigern geforderten 200 Millionen einzusparen.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, ein Sozialdemokrat und ehemaliger Ministerpräsident Norwegens, »hat die griechische Regierung vor Kürzungen des Militärbudgets gewarnt. Er erwarte, dass Athen auch weiterhin zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts für Verteidigung ausgäbe«.
Allein das ist ein hinreichender Beweis dafür, dass dem bankrotten Griechenland durch das internationale Kapital mit dem Ziel kreditiert wird, weiterhin in der Lage zu sein, sich teure Rüstungssysteme zu kaufen. Und zugleich wird es dazu gezwungen, die eigene Industrie zugrunde zu richten.

Warum also senkt auch die linke Syriza-Regierung die Rüstungsausgaben nicht?

Die Antwort lautet ganz einfach: »Weil uns die Gläubiger das nicht erlauben!«
Und wer profitiert von diesen aufgeblähten Rüstungsausgaben in Griechenland und der Türkei und dem so am Köcheln gehaltenen Konflikt zwischen den beiden Ländern?

BRD liefert die meisten Waffen

Von dieser Auseinandersetzung profitieren die zentralen Mächte der EU, zuallererst Deutschland und Frankreich. Gemäß dem aktualisierten Bericht der SIPRI liegt die Türkei mit 15,2 Prozent an erster Stelle der deutschen Rüstungsexporte, gefolgt von Griechenland an zweiter Stelle mit 12,9 Prozent.
En detail: Deutschland exportiert nach Griechenland primär »Leopard«-Panzer von Krauss-Maffei-Wegmann (KMW) und Kriegsschiffe von Thyssen-Krupp-Marine-Systems (TKMS). 2009 unterzeichnete das Unternehmen mit der Türkei einen Lizenzvertrag zur Herstellung von sechs deutschen U-Booten, deren Kosten sich auf zwei Milliarden Euro belaufen.
Auch die französische Rüstungsindustrie unterzeichnete einen Vertrag mit Griechenland über die Produktion von sechs Kriegsschiffen zum Preis von 2,5 Milliarden Euro. Und (…) der damalige deutsche Außenminister Guido Westerwelle schlug der griechischen Regierung während seines Besuchs in Griechenland 2010 vor, sich mit 60 Kampfflugzeugen des Typs »Eurofighter« zum Preis von fünf Milliarden Euro zu versorgen.

Natürlich spielt die »Lieblingsfirma« Griechenlands, Siemens, die zentrale Rolle im Waffenbusiness, denn sie ist der Lieferant der Brennstoffzellentechnik für die Firma HDW, welche die U-Boote für Griechenland herstellt, während sie auch einen Anteil von 49 Prozent an der KMW hält, welche Panzer herstellt. Der (PASOK-)»Sozialist« (…) und ehemalige Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Panos Beglitis, war sich sehr sicher und sagte: »Wir werden alle Rüstungsverträge der vorigen Regierung realisieren«, während der Verteidigungsminister und spätere Vorsitzende der Pasok, Evangelos Venizelos, kurze Zeit später erklärte: »Wir haben eine Lösung für die deutschen U-Boote gefunden, Griechenland wird sie abnehmen und 2,85 Milliarden Euro zahlen und auch zwei neue bestellen.«
Ich erinnere hier daran, dass er sich auf die U-Boote bezieht, die sich aufgrund eines Herstellungsfehlers zur Seite neigen.

Abschließend möchte ich ganz persönlich erklären, dass ich mit Leib und Seele für die drastische Einschränkung der Rüstungsausgaben stehe. Ich bin der Meinung, dass Organisationen wie die NATO in unserer Zeit keine Existenzberechtigung mehr haben. Ich behaupte sicherlich nicht, dass ein Land wie Griechenland die Möglichkeit hat, diese Ausgaben völlig auf null zurückzuführen, doch es könnte seine Verteidigung zu sehr viel geringeren Kosten sicherstellen. An dieser Stelle muss auf die Verantwortung der EU für die Sicherung ihrer Grenzen hingewiesen werden, aber auch auf die Notwendigkeit zur Verstärkung der Transparenz, indem alle Fälle von Schwarzgeldtransfers für Rüstungsprogramme thematisiert werden.
Auf jeden Fall ist die substantielle und in die Tiefe gehende Bewältigung der Rüstungsfrage zentral für die Schaffung eines »anderen Europas«. Eines Europas des Friedens und der Demokratie, eines Europas des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der Gerechtigkeit, eines Europas der offenen Grenzen und der Entwicklung.

Brüssel streicht Reichensteuer

Die zweite laufend wiederholte Frage ist: »Warum besteuert ihr eigentlich die Reichen nicht?« Das ist natürlich eine Provokation, weil sie sich an eine Regierung und besonders an eine Partei richtet, für die die Besteuerung der Vermögenden und gut Verdienenden eine wesentliche programmatische Aussage ist.
Die zwei Parteien, die Griechenland in den letzten zwei Jahrzehnten regierten, Pasok und Nea Dimokratia (politisch verschwistert mit SPD bzw. CDU), errichteten ein politisches System, das nicht nur Steuerasyle für Reiche, vor allem für die Reeder, bot, sondern auch dafür sorgte, dass mit ihrer Zustimmung zu verschiedenen gesetzlichen Maßnahmen und Regelungen ein großer Teil des öffentlichen Vermögens auf privilegierte Privatleute übertragen werden konnte.

In Griechenland stammt der größte Teil der Steuereinnahmen schon immer von den Beschäftigten, den Lohn- und Gehaltsempfängern des öffentlichen und privaten Sektors und natürlich aus den indirekten Steuern² (Griechenland verzeichnet den größten Unterschied zwischen indirekten und direkten Steuern, zugunsten der indirekten). Von insgesamt sechs Millionen Steuererklärungen, die 2014 eingereicht wurden, betrafen gerade einmal 38.000 Fälle – ganze 0,6 Prozent aller Steuererklärungen! – Einkommen von über 100.000 Euro. Darüber hinaus erklärten lediglich 375 Griechen ein Einkommen von über 500 000 Euro, und angeblich nur 144 erzielten ein Einkommen von über einer Million Euro.

Für die Syriza-Regierung ist die Besteuerung des Reichtums nicht nur ein Mittel zur Erhöhung der Staatseinnahmen, sondern ein Hauptinstrument zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit beziehungsweise des Gerechtigkeitsempfindens eines Volkes, das unter einer schweren ökonomischen, sozialen und politischen Krise leidet.
Das stellt auch die Hans-Böckler-Stiftung in einer aktuellen Studie fest: »Der Austeritätskurs in Griechenland hat die Einkommen der privaten Haushalte in dem Krisenland drastisch einbrechen und die Armut ansteigen lassen. (…) So verloren (…) die zehn Prozent Haushalte mit den niedrigsten Einkommen gegenüber 2008 rund 86 Prozent. (…) Die 30 Prozent der Haushalte mit den höchsten Einkommen verloren zwischen knapp 20 und 17 Prozent.«

Gemäß ihren Ankündigungen hat die Regierung Tsipras auch bereits mit der Umsetzung einer Reihe von Maßnahmen mit dieser Zielsetzung begonnen. So hat sie beispielsweise – unter großem Zuspruch der Bevölkerung – die Möglichkeit zur Zahlung von Steuerschulden und Sozialversicherungsbeiträgen in über hundert Raten veranlasst und damit viele Betroffene mit geringen und mittleren Einkommen entlastet. Sie hat die Verfahren zum Eintreiben der Steuern von mutmaßlichen griechischen Steuerflüchtlingen, die auf der Lagarde-Liste³ verzeichnet sind, beschleunigt – es wurden bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt bereits Hunderte Millionen Euro eingenommen, die sich bisher im Steuerasyl befanden. Sie bereitet derzeit ein Abkommen mit der Schweiz zum direkten Beistand bei der Aufdeckung von mutmaßlichen Schwarzgeldkonten griechischer Kontoeigentümer vor.

In der Hauptsache sieht die Regierung die Installation eines neuen und gerechten Steuersystems vor, denn diejenigen, die bereits sehr viel mehr als alle anderen hatten, konnten ihr Vermögen während der Krise – wie auch anderswo – weiter erhöhen. Basierend auf dem einfachen Grundsatz, dass die Wohlhabenden ihren angemessenen Teil zum Wohlergehen der Gesellschaft beitragen sollen, enthielt das den Gläubigern Anfang Juni vorgeschlagene 47seitige Reformpaket eine Solidaritätsabgabe auf Jahreseinkommen über 500.000 Euro mit einem Satz von acht Prozent, die Erhebung einer Sonderabgabe von zwölf Prozent auf Unternehmensgewinne über 500.000 Euro und die Erhöhung der Unternehmenssteuer auf dieselben Gewinne von heute 26 Prozent auf 29 Prozent noch im Jahr 2015.

Zum großen Erstaunen aller wurden diese Maßnahmen aber von den Gläubigern mit der Begründung abgelehnt, sie würden die Konjunktur schwächen. Die Gläubiger forderten statt dessen mehr Ausgabenkürzungen, hauptsächlich im sozialen Bereich, bei den Renten und so weiter.
Es war nicht zuletzt diese Kontroverse, die die griechische Regierung dazu veranlasste, mit dem Referendum vom 5. Juli eine demokratische Entscheidung der Bevölkerung herbeizuführen.
Als dasselbe Thema eine Woche später, beim Gipfeltreffen am 12. Juli, erneut auf den Tisch kam, forderten die Gläubiger die Streichung der Regelung der achtprozentigen Solidaritätsabgabe auf Jahreseinkommen über 500.000 Euro und den Ersatz der damit zu erzielenden Einnahmen durch eine gleichwertige Einnahmequelle, vorzugsweise mittels Ausgabenkürzungen im sozialen Bereich. Was nur abermals belegt, dass das Griechenland auferlegte »Anpassungsprogramm« auch gleichzeitig ein Verfahren zur Umverteilung des Reichtums von unten nach oben ist, von den Vielen zu den Wenigen.
Es zeigt sich immer wieder und an verschiedenen Stellen, dass der Versuch von Syriza zur Umkehrung dieses Umverteilungsprozesses von unten nach oben auf den erbitterten Widerstand der Gläubiger trifft.

In der Konsequenz lautet die Antwort auf die Frage zur Besteuerung der Reichen: »Wir besteuern die Reichen deshalb nicht, weil uns die Gläubiger das nicht erlauben.«

Schuldenprofiteur Deutschland

Es gibt dann noch eine dritte – nein, keine Frage, sondern eine stereotyp vorgetragene Behauptung der deutschen Meinungsmacher. Eine gefährliche Behauptung, mit der der Erreger eines »passiven Hasses« gegen die griechische Regierung, gegen Syriza oder gegen »die Griechen« an sich verbreitet wird und jederzeit aktiviert werden kann.
Sie lautet: »Wir Deutschen zahlen für die Griechen.« Was meint, dass der selbst »fleißige und sparsame« deutsche Steuerzahler darauf gefasst sein muss, gegebenenfalls irgendwann dafür aufzukommen, dass »die Griechen über ihre Verhältnisse leben«.

Das stimmt natürlich vorne und hinten nicht. Weder der deutsche Staat noch die übrigen Länder der Euro-Zone haben Geld aus ihren Haushalten eingezahlt, sondern es sich bei der EZB zu einem jährlichen Zinssatz von ein Prozent bis drei Prozent geliehen, um es in der Folge zu einem höheren Zinssatz an Griechenland weiterzuverleihen, was ihnen logischerweise Geld einbrachte.
Im Zeitraum 2010/2011 etwa flossen aus diesem Zinsunterschied mehr als 300 Millionen Euro zusätzliche Mittel in die deutschen Staatskassen. Folglich legt der deutsche Steuerpflichtige nicht nur nichts drauf, sondern seine Regierung erzielt darüber hinaus sogar Einkünfte. Das ist auch weiterhin der Fall, obwohl die Zinsen auf griechische Anleihen seit 2012 gefallen sind.

Es wird geschätzt, dass Deutschland aus seinen über die KfW-Bank (Kreditinstitut für Wiederaufbau, jW) abgewickelten zwischenstaatlichen Krediten an Griechenland während des Zeitraums 2010 bis 2014 mehr als 360 Millionen Euro an Zinserträgen erzielt hat. Auch in dieser Hinsicht erweist sich noch ein weiteres Mal, dass die »Rettung« den Banken und nicht Griechenland galt und gilt.
Allerdings will ich nicht verhehlen, dass der deutsche und der europäische Steuerzahler in Zukunft tatsächlich Gefahr laufen, für die Bankverluste aufkommen zu müssen, nämlich dann, wenn Griechenland – oder welches krisengeschüttelte Land auch immer – zur Zahlung seiner Schulden nicht in der Lage sein sollte.
Und: Laut der Leibniz-Studie⁴ steht speziell Deutschland anders da: »Selbst wenn Griechenland seine derzeitigen Schulden überhaupt nicht zurückzahlen würde, hätte Deutschland von der griechischen Krise profitiert, also mehr eingenommen als dafür gezahlt.«
Übrigens war das der Grund für die Sozialisierung der privaten Schulden Griechenlands: die Absicherung der privaten oder teilprivaten Banken mit Mitteln aus den Staatshaushalten, letztlich also durch die Bürger des Staates. (…)

Der gerade bekanntgewordenen Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) zufolge profitiert Deutschland finanziell stark von der Krise in Griechenland. »Seit deren Ausbruch 2010 sei der deutsche Staatshaushalt um rund 100 Milliarden Euro oder gut drei Prozent im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt entlastet worden«, erklärte das Institut, heißt es in Die Presse vom 10. August 2015. Deutschlands zusätzliche Einnahmen von (kumuliert seit 2010) bis zu 100 Milliarden Euro sind besonders darauf zurückzuführen, dass die Zinsen für deutsche Anleihen stark gesunken sind, weil sie im Vergleich als sehr sicher eingeschätzt werden.
Somit übertreffen die Ersparnisse den deutschen Anteil an den bisherigen Rettungspaketen für Griechenland, der auf rund 90 Milliarden Euro beziffert wird.

Selbst wenn Griechenland seine derzeitigen Schulden überhaupt nicht zurückzahlen würde, hätte Deutschland von der griechischen Krise profitiert, also mehr eingenommen als dafür gezahlt.

Zwar haben dem IWH zufolge auch andere Länder wie Frankreich in bezug auf ihre Zinseinnahmen profitiert, aber keines so viel wie Deutschland. Schäubles schwarze Null im Bundeshaushalt ist, wenn man so will, nur mit griechischer Hilfe zustande gekommen!

Anmerkungen

1 Darunter sind die Verträge mit EU, EZB und IWF gemeint, in denen festgelegt ist, unter welchen Bedingungen Geld aus Brüssel und Washington fließt. (jW)

2 Der damaligen französischen Finanzministerin Christine Lagarde wurde 2010 ein Datenträger mit entwendeten Kontodaten von über 2.000 griechischen Kunden der Schweizer Banktochter der HSBC zugespielt. Lagarde reichte diese Liste nach Athen weiter, wo sie zunächst keinen Anlass zu größeren Ermittlungen bot, aber zugleich doch mehrere politische Skandale auslöste.

3 Indirekte Steuer sind Verbrauchersteuer und treffen darum in erster Linie Beschäftigte. Direkte Steuern sind Einkommens- und Vermögenssteuer. (jW)

4 Wahrscheinlich ist eine Untersuchung des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle an der Saale (IWH) vom August 2015 gemeint. (jW)

Giorgos Chondros: Die Wahrheit über Griechenland, die Eurokrise und die Zukunft Europas, übersetzt von Céline Melanie Spieker. Westend Verlag, Frankfurt am Main 2015, 236 Seiten, 16,99 Euro – auch im jW-Shop erhältlich.

Jochen

Unter Geiern – deutsche Vorhaben für den Umbau von Wirtschaft und Verwaltung des griechischen Staates – Die griechische Machtprobe

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

german foreign policy logo

german foreign policy logo

Aktuell unter http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59079/print

pexels-photo-13966.jpeg

Hinweise auf die hiesigen privat-öffentlichen Verflechtungen, die dazu angelegt sind, das Land weiter auszuplündern, nachdem schon deutsche, französische und britische Privatbanken von den Griechen saniert wurden.
Weiter unten noch ein Kommemtar dazu von Michael R. Krätke.
Übrigens: die milliardenschweren Rüstungslieferungen – deutsche U-Boote und französicsche Fregatten – abzubestellen, diesen Vorschlag habe ich seitens der Troika noch nicht vernommen.
Auszüge:

Anhaltende Abwehr der Athener Regierung bringt zahlreiche deutsche Vorhaben für den Umbau von Wirtschaft und Verwaltung des griechischen Staates in Gefahr. Federführend sind das Auswärtige Amt (AA) und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ).
Kurzfristiges Ziel ist die Schließung deutscher Produktionsengpässe durch beschäftigungslose griechische Zulieferer und durch griechische Arbeitslose. Zum mittelfristigen Aktionsprogramm gehört die finanzielle Abschöpfung griechischer Kommunen und die Bereitstellung billiger griechischer Hilfskräfte für das deutsche Gesundheitswesen („Pflege-Urlaub auf Rhodos“).
Um zukünftig auch für höhere Anforderungen kompatibel zu sein, wird von Athen ein „Innovationssystem“ verlangt, das „Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung“ zugunsten „unternehmerfreundlicher Strukturen“ vernetzt. Als Koordinatorin der Maßnahmen firmiert eine „Deutsch-Griechische Versammlung“ (DGV), die „im Geiste der Graswurzelbewegung“ tätig sein soll.
Die DGV verfügt über keinerlei Rechtsfunktion. Ihre Berliner Anschrift ist eine Adresse der Bundesregierung. Die als zivilgesellschaftlich verkleidete Organisation, die unter anderem dem AA und dessen „Deutsch-Griechischem Jugendwerk“ zuarbeitet, setzte das Bundeskanzleramt auf dem ersten Höhepunkt der sogenannten Schuldenkrise ein. Die Berliner DGV-Adresse führt zum Parlamentarischen Staatssekretär im BMZ Hans-Joachim Fuchtel, einem CDU-Bundestagsabgeordneten aus Baden-Württemberg. Fuchtel ist seit 2011 „Beauftragter für die Deutsch-Griechische Versammlung“ [1] und ist auf die kommunale griechische Wirtschaft angesetzt.
Um deutschen Unternehmen lukrative Aufträge zu verschaffen, werden Repräsentanten griechischer Städte und Gemeinen zu „Workshops“ interessierter deutscher Betriebe eingeflogen. Sie sind Lieferanten hochpreisiger Exportprodukte. Entsprechende Anreisen zwecks Auftragsakquise fanden im Januar 2015 unter anderem in Backnang, Bamberg und Schwäbisch Hall statt und werden von der Bundesregierung bezahlt.
Bei den potenziellen Abnehmern aus griechischen Kommunen handele es sich um „parteilose oder konservative Politiker – darunter aber keine Syriza-Leute“, berichtet die Ulmer „Südwest Presse“.[2]

Exklusiver Zugriff

Als Nachweis für technische und logistische Kompetenz wurden den Griechen deutsche Erfahrungen mit „Komplettanlagen“ der Abfallwirtschaft präsentiert. Es handelt sich um millionenschwere Projektvolumen. Referenz ist die Lieferung an ein Bundeswehr-„Feldlager“ in Afghanistan.[3]
Ziel war es laut DGV, von den verarmten griechischen Gemeinden Aufträge für „zwei bis drei mobile Demonstrationsanlagen“ zu akquirieren – kofinanziert „durch Mittel der EU“. Auf diesem Umweg zapft das BMZ Brüsseler Regionaltöpfe an, die auch von EU-Drittländern finanziert werden, und leitet das Geld in deutsche Firmenkassen.
Gleichzeitig ist die Bundesregierung bemüht, EU-Konkurrenten auszusperren, und will sich exklusiven Zugriff auf das Griechenland-Geschäft sichern.

Deutsche Finanzaufsicht

Ein vom polnischen Finanzminister gefordertes EU-Investitionsprogramm in Höhe von 700 Milliarden Euro, das auch für nicht-deutsche Investoren in Griechenland interessant gewesen wäre, blockte Berlin ab. Stattdessen verlangen das BMZ und die von MdB Fuchtel geführte DGV eine auschließlich griechische „Förderbank“, da „jeder Nationalstaat seinen eigenen Weg mit eigenen Modellen gehen“ solle.[4]
Dieser „eigene Weg“ führt in Griechenland über die deutsche Finanzaufsicht: „Mit Hilfe der Kreditanstalt für Wiederaufbau hat Fuchtel in Griechenland die Einrichtung eines Förderinstituts vorangetrieben“ – leichte Beute für Berlin.

„Job of my Life“

frankreich 1942

frankreich 1942; die Tradition der Arbeitskräfteanwerbung im Ausland reicht bis ins Deutsche Kaiserreich zurück

Da nach Berechnungen der Agentur für Arbeit zwischen 2011 und 2012 rund 33.000 deutsche Ausbildungsplätze unbesetzt blieben, forcierte das BMZ bis vor kurzem den Arbeitskräftetransfer von Griechenland nach Deutschland. Die Anwerbemaßnahmen werden als „Mobilitätsinitiative“ für junge Europäer dargestellt und mit irrlichternden Namen belegt („MobiPro-EU“). Sie vernebeln das deutsche Interesse an einer europaweiten Steuerung des ausländischen Arbeitskräftepotentials, das auch spanische Jugendliche nach Deutschland lockt („Job of my Life“).
Die Anwerbekosten teilen sich Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und das Bundesarbeitsministerium – für ahnungslose griechische Arbeitslose paradiesische Verheißungen (german-foreign-policy dokumentiert griechische Dankesbekundungen hier).

Wirtschaftslenkung

Um griechische Jugendliche langfristig für den Einsatz nach deutschen Standards zu erziehen, hat Berlin mit dem Umbau des griechischen Berufsschulwesens begonnen – angeleitet von der Deutsch-Griechischen Handelskammer, der DEKRA-Holding (Stuttgart) und „führenden (deutschen) Reiseunternehmen“.[5]
Staatlicher Finanzier ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung. „Berufsschulen konnten bereits in Attika und in Heraklion aufgebaut werden“ und führen „nun fast 100 griechische Schülerinnen und Schüler im Alter von 18 bis 20 Jahren“ zu einem deutschen Diplom der Industrie- und Handelskammern (IHK).
Damit „verbessert sich die Arbeitssuche der Jugendlichen“, verklärt die Bundeszentrale für politische Bildung die deutsch zentrierte Wirtschaftslenkung. Das nach deutschen Normen ausgebildete griechische Arbeitskräftepotenzial soll unter anderem „die Bereiche Landwirtschaft, Transport, Logistik, Kfz und Mechanik“ abdecken.

Souveränitätsverlust

Um in Griechenland deutsche Verwaltungspraktiken einzuführen, ruft die Verwaltungsschule des deutschen Gemeindetags Mitarbeiter des griechischen Staates zur Teilnahme an deutschen „Fachseminaren“ auf; unter Beteiligung von MdB Fuchtel und dem BMZ wurden dafür in einem Pilotprojekt „zehn Plätze“ bereitgestellt, schreibt die „Stuttgarter Zeitung“.[6]
Allerdings stehen nach deutscher Ansicht „die griechischen Strukturen“ einem durchgreifenden Umbau im Wege: „Mentalität und Institutionen müssten sich ändern.“ Statt zentraler Kontrolle über das griechische Kommunalwesen solle Athen „Subsidiarität“ walten lassen – eine Umschreibung für den Verlust hoheitlicher Vorbehalte zugunster direkter Eingriffe in die untere und mittlere Ebene der Wirtschafts- und Finanzverwaltung durch Dritte, zum Beispiel durch die Bundesrepublik Deutschland. Ähnliche Forderungen erhebt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und hat dabei einen Gesamtumbau des griechischen Staates im Sinn.[7]
Die Forderungen zielen auf einen schleichenden Souveränitätsverlust von Staat und Gesellschaft.

Fachkräfte und Maschinen vorhanden

Solange diese Maßnamen noch nicht greifen oder auf Athener Widerstand stoßen, nutzt das Auswärtige Amt (AA) die kurzfristigen Vorteile des griechischen Wirtschaftsdesasters.
Nach Vorgesprächen im deutschen Generalkonsulat in Thessaloniki bietet eine Internetplattform mit dem sinnigen Namen ProGreece Unternehmen in der Bundesrepublik „Produktions- und Dienstleistungskapazitäten“ [8] notleidender griechischer Firmen an.
„Aufgrund der akuten Wirtschaftskrise“ sind zahlreiche Betriebe „nicht ausgelastet“, wirbt ProGreece: „Geschäftsmöglichkeiten für Ihr Unternehmen – Beseitigen Sie Ihre Produktionsengpässe, indem Sie griechische Überkapazitäten nutzen.“ Auch „Fachkräfte sind vielerorts ebenso vorhanden wie geeignete Maschinen“ – Griechenland als verlängerte deutsche Werkbank inklusive ortsansässigem „Humankapital“.

Schöner Schein

Zu den deutschen Maßnahmen unter Beteiligung des Auswärtigen Amtes gehört die politische Überhöhung der deutschen Wirtschaftslenkung durch Organisationen mit völkerverbindendem oder humanitärem Anspruch.
Insbesondere seit sich kritische Nachfragen aus der neuen Athener Regierung häufen, ist MdB Fuchtel „extrem wortkarg“ [9] und betont die altruistischen Motive seiner Griechenland-Mission. Sie soll „letztlich in ein Deutsch-Griechisches Jugendwerk einmünden“, ein AA-Projekt, „dessen Einrichtung die DGV aktiv unterstützt“.[10]
Für den schönen Schein des AA-Projekts ist auch Wolfgang Hoelscher-Obermeier unterwegs. Als früherer Generalkonsul in Thessaloniki hatte er sich bei ProGreece für die deutschen Geschäftsmöglichkeiten eingesetzt, mit denen das griechische Desaster ausgebeutet werden kann – jetzt bewirbt er das „Deutsch-Griechische Jugendwerk“ bei einer ahnungslosen deutschen Kirchengemeinde in Berlin und tritt als Kontakter zu der vom Bundeskanzleramt gesteuerten „Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) auf.
Beide Organisationen hält das AA bereit, um Athener Forderungen nach Rückzahlung der deutschen Massakerschulden zu unterlaufen (german-foreign-policy berichtete [11]).

Bitte lesen Sie auch Auszüge aus Dankesbriefen griechischer Jugendlicher an die „Deutsch-Griechische Versammlung“.

Weitere Informationen und Hintergründe zur deutschen Griechenland-Politik finden Sie hier: Die Folgen des Spardiktats, Ausgehöhlte Demokratie, Wie im Protektorat, Nach dem Modell der Treuhand, Verelendung made in Germany, Vom Stellenwert der Demokratie, Auspressen und verdrängen, Austerität tötet, Die Strategie der Spannung, Millionen für Milliarden, Erbe ohne Zukunft, Todesursache: Euro-Krise, Kein Licht am Ende des Tunnels, Plan B für Griechenland, Domino-Effekt, Europas Seele, Teutonische Arroganz und Die Bilanz des Spardiktats.

[1] Sechster Fortschrittsbericht der deutsch-griechischen Versammlung. grde.eu Januar 2015.
[2] 35 Bürgermeister und Berater aus Griechenland holen sich Ideen in Schwäbisch Hall. www.swp.de 06.03.2015.
[3] Sechster Fortschrittsbericht der deutsch-griechischen Versammlung. grde.eu Januar 2015.
[4] Staatssekretär Fuchtel wirbt für Förderbanken in Krisenländern. www.welt.de 22.09.2014.
[5] Der Schatz der Kommunen. Eine deutsch-griechische Erfolgsstory. Bundeszentrale für politische Bildung, 24.06.2014.
[6] Der Austausch kommt voran. www.stuttgarter-zeitung.de 11.09.2014.
[7] Griechendland: Ohne den Aufbau eines Innovationssystems wird es nicht gehen. DIW Wochenbericht Nr.39/2014.
[8] Was ist ProGreece? ww.pro-greece.com/de/what-is-progreece.
[9] Hans-Joachim Fuchtel beim Thema Griechenland wortkarg. www.pz-news.de 22.02.2015.
[10] Der Schatz der Kommunen. Eine deutsch-griechische Erfolgsstory. Bundeszentrale für politische Bildung, 24.06.2014.
[11] S. dazu Politischer Steuerungsauftrag, Restitution und Ein trauriger Tag.

Kommentar: Die griechische Machtprobe

https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2015/april/die-griechische-machtprobe

Wer an die Macht kommt, muss sich im Machtspiel behaupten; wer gegen eine Phalanx der übrigen Machthaber die Regeln des Spiels ändern will, hat es schwer.
Darum geht es seit dem Amtsantritt der neuen Regierung in Athen.
Die griechische wie die europäische Linke halten die Austeritätspolitik für gescheitert, die heutigen Verwalter der Eurokrise wollen dagegen Recht behalten und die Austeritätspolitik unverändert weitertreiben, ohne Rücksicht auf Verluste.

Es geht also, viel mehr als ums Geld, ums Prinzip. Die Syriza-Regierung fordert die neoliberale Orthodoxie heraus, sie muss scheitern und abgestraft werden, selbst um den Preis eines Staatsbankrotts und eines ungewollten Grexits, der die Gläubiger, auch die deutschen, viel Geld kosten würde.
Denn sollte Syriza auch nur ein wenig Erfolg haben, könnten in Spanien, Portugal und anderswo noch mehr Wähler auf dumme Gedanken kommen.

Kluge Köpfe, aber ohne Erfahrung

Syrizas Wahlsieg war berauschend für die griechische wie für die europäische Linke: Wir können gegen die bisherige ökonomische Doxa der Austerität Wahlen gewinnen und an die Regierung kommen. Wir können den Kurs ändern, den Politikwechsel betreiben statt eines bloßen Austauschs des Regierungspersonals.
Allerdings besteht Griechenlands neue Regierung zwar aus klugen Köpfen, doch diese haben kaum Erfahrung auf dem internationalen politischen Parkett.
Die Minister spielen seit zwei Monaten unter hohem Druck gegen alle und machen dabei zahlreiche handwerkliche Fehler, die vermeidbar wären. Die Bluffs, die sich oft widersprechenden Parolen, die rasch abwechselnden und oft improvisierten Vorschläge – all das hat die neue Regierung eine Menge Sympathien gekostet.

Dass Tsipras, Varoufakis und Co. auf der europäischen Bühne Lärm schlagen und bluffen, ist nur zu verständlich. Schließlich fechten sie gegen eine Wand der Ablehnung, an der bisher all ihre konstruktiven Vorschläge abgeprallt sind: Europäische Schuldenkonferenznjet aus Berlin.
Dabei ist es ein sinnvoller Vorschlag, weil Merkel und Co. es durch die vertagte Griechenlandrettung 2010 geschafft haben, aus einem anfangs überschaubaren Randproblem eine Euro- und EU-Krise zu machen.
Die Kopplung des griechischen Schuldendienstes an das Wirtschaftswachstum? Abermals njet aus Berlin; obwohl den Vorschlag viele Ökonomen, auch in Deutschland, unterstützen, um Griechenland endlich wieder Luft zum Atmen zu verschaffen.
Das gilt auch für den Überbrückungskredit bis Mai 2015, um fällige Schulden bedienen zu können und derweil ein anderes Reformprogramm in die Wege zu leiten – doch auch dazu njet aus Berlin, wie natürlich auch zum Stopp des Ausverkaufs öffentlichen Eigentums und der Massenentlassungen im öffentlichen Sektor.
Daher steckt die neue Athener Regierung in der Zwickmühle – ökonomisch wie politisch.

Wirtschaftlich ist Griechenland auch nach zwei Umschuldungen pleite, vielleicht nur noch „pleiter“ als zuvor. Fest steht: Schulden in Höhe von gut 322 Mrd. Euro, was einer Schuldenquote von über 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht, kann ein Land wie Griechenland niemals zurückzahlen.
Schulden sind nun mal kein moralisches, sondern ein ökonomisches Problem, und die griechische Zentralbank wie die Athener Börse spielen nicht in der gleichen Liga wie die der USA oder auch Japans, das sich eine Schuldenquote von über 243 Prozent leisten kann.
Der Grund: Japan ist nach wie vor ein Schwergewicht in der Weltökonomie, dessen Finanzinstitutionen die Anleihen des eigenen Staates eisern im eigenen Portefeuille halten und damit der Finanzspekulation entziehen. Japan zahlt daher nur Minizinsen auf seine Staatsschulden.

Die griechische Volkswirtschaft ist dagegen nicht in der Lage, derart hohe Auslandsschulden zu tragen – und sie wird dies auch mittels noch so brutaler Gesundschrumpfungskuren nicht werden. Denn die Umschuldungen wurden stets mit neuen Staatsschulden finanziert, während gleichzeitig dank der unsinnigen Sparpolitik der Troika die gesamte Wirtschaftsleistung drastisch schrumpfte (um über 25 Prozent) und die Arbeitslosigkeit sich verfünffachte.
Erreicht wurde im Ergebnis bloß die Verschiebung der griechischen Staatsschulden. Die deutschen, französischen, britischen und sonstigen Banken und Fonds, die 2010 um ihre griechischen Staatsanleihen bangten, sind längst aus dem Schneider. Mittlerweile befinden sich über 80 Prozent der ausstehenden griechischen Staatsanleihen in den Händen öffentlicher Gläubiger.
Positiv daran ist: Diese Schuldner können, anders als private Banken, warten, sogar sehr lange. Sie brauchen mit ihren „Geldanlagen“ auch keine Geschäfte zu machen und sie brechen nicht zusammen, falls sie sie abschreiben müssten. Ein Vorschlag, der auf dieser schlichten Einsicht beruht, lautet daher, man soll die Schulden schlicht „vergraben“, sprich: vorläufig ruhen lassen. In jedem Falle spricht einiges dafür, die „Schuldenkrise“ in Rest-Europa etwas entspannter zu sehen als gemeinhin üblich.[1]

Was dagegen, da der ganze Schuldentransfer mit Krediten unterschiedlicher Laufzeiten finanziert wird, jetzt umso mehr drängt, ist eine Lösung für Griechenland, um aus dem skurrilen Umleitungsgeschäft auszubrechen: Die ersten Hilfskredite wurden gebraucht, um den Privatgläubigern ihre Griechen-Bonds abzukaufen, die jetzigen Hilfskredite werden dafür benutzt, um die älteren Hilfskredite des IWF und der Eurogruppe zu bedienen.
Und weil das Land nach wie vor von den internationalen Finanzmärkten ausgeschlossen ist, werden ständig weitere Kredite fließen müssen, um die anhaltenden Liquiditätsprobleme zu lösen.

Uneinlösbare Versprechen

Politisch hat Syriza ebenfalls große Probleme: Im Wahlkampf wurden Verprechen gemacht, die sich kaum halten lassen.
Auch wenn ein Zurückdrehen vieler Sparmaßnahmen angesichts der akuten Notlage eines Drittels der griechischen Bevölkerung richtig, notwendig und angemessen wäre, fehlt der neuen Regierung dafür schlicht das nötige Kleingeld – eben weil die Steuereinnahmen weggebrochen sind und weil sie die Hilfskredite von der Troika nicht nach Belieben verwenden kann.

Auf den anfangs geforderten Schuldenschnitt zu verzichten und ein weiteres Reformpaket vorzulegen – das waren schon erhebliche Zugeständnisse der Athener Regierung an ihre Gegenspieler in Brüssel und Berlin.
Aber mehr noch: Alle geplanten Notmaßnahmen gegen die humanitäre Krise im Lande wurden unter Finanzierungsvorbehalt gestellt.
Mit reiner Symbolpolitik allein – aus „Troika“ mach‘ die „Institutionen“ – wird sich das griechische Wahlvolk auf Dauer jedoch ebenso wenig abspeisen lassen wie der linke Parteiflügel.

Die notorisch schlechte Steuermoral zwackt die neue Regierung allerdings noch härter. Unter dem Troika-Regime haben sich die Griechen zudem angewöhnt, den alten Volkssport der Steuervermeidung und -hinterziehung als patriotischen Widerstand gegen die ausländischen „Besatzer“ zu begreifen.
Die griechischen Selbstständigen – immerhin ein Drittel der Erwerbstätigen, also doppelt so viel wie in der EU insgesamt – versteuern regelmäßig weniger als 50 Prozent ihrer tatsächlichen Einkommen.
Viele griechische Großunternehmen, darunter die Reedereien, der nach dem Tourismus wichtigste Wirtschaftszweig, zahlen faktisch keine Steuern, und auch die Mehrwertsteuer wird systematisch hinterzogen. Dazu kommen die unversteuerten und ins Ausland transferierten Oligarchen-Milliarden, die derzeit teils auf Schweizer Konten liegen oder in britischen Immobilien stecken.

Das Elend der Austerität

Die Regierung Tsipras bekam nach einigem Gefeilsche nur eine viermonatige Verlängerung des bisherigen Hilfsprogramms durch die Geldgeber (EZB, IWF, Europäische Kommission bzw. Eurogruppe, also die Euroländer), inklusive aller bisher erteilten Auflagen.
Im Gegenzug erhielt sie nur die Konzession, sich ihr eigenes Reformprogramm schneidern zu dürfen, das sie sich aber wiederum von den „Institutionen“ genehmigen lassen muss.

All das wird Griechenland nicht aus der Bredouille befreien. Die griechische Wirtschaft wächst wieder, trompeteten dagegen die Austerianer 2014: Nach sechsjährigem Schrumpfen verzeichnete Griechenland ein Wachstum um 0,6 Prozent, während im gleichen Jahr der Kapitalstock des Landes um weitere 18 Prozent (gemessen am BIP) abnahm. Doch für Schäuble und Co. war dieses „Wachstum“ der Beweis, dass die bittere Medizin der Austerität positive Wirkung zeigt.

Dabei sind alle relevanten ökonomischen Daten für Griechenland katastrophal: Das Land verarmt dramatisch, sein wirtschaftliches Potential schrumpft weiter, die Investitionen sind seit 2011 negativ.
Heute gibt es eine Million Erwerbstätige weniger als 2008, die jungen und gut ausgebildeten Griechinnen und Griechen wandern in Massen aus (über 50 000 pro Jahr laut einer Zählung der Europäischen Kommission). Es wird Jahre, vielleicht Jahrzehnte dauern, bis die Schäden halbwegs wieder behoben sind, die die Austeritätspolitik der Troika angerichtet hat.

Tsipras und seine Truppe können derzeit nur auf die Einsicht ihrer Geldgeber hoffen. Doch bislang ist davon wenig zu spüren. Obwohl die Eurogruppe und einige Parlamente, auch der Bundestag, dem bewusst vage gehaltenen griechischen Reformplan Ende Februar zugestimmt haben, ist die Lage hoch verfahren.
Der eigentliche Grund dafür: Austerianer verstehen unter „Reform“ etwas ganz anderes als der Rest der Menschheit.
Die neue griechische Regierung hat dagegen umfassende Strukturreformen angekündigt: eine Steuerreform, eine Finanzreform, eine Reform der öffentlichen Verwaltung, eine Reform des Sozialstaats. Das sind Reformen im eigentlichen Sinne, die aber schwer zu machen sind und kurzfristig eher Geld kosten als Geld bringen.
Denn: Der griechische Staatsapparat ist traditionell schwach (man kennt nicht einmal die genaue Zahl und Verteilung der Beschäftigen im öffentlichen Dienst), die griechische Bürokratie ist notorisch un(ter)qualifiziert und technisch schlecht ausgestattet. Management und Kontrolle der öffentlichen Finanzen sind schlecht (es gibt mehr als 14 000 Haushaltsposten im griechischen Staatshaushalt), der unterbesetzten griechischen Steuerverwaltung entgeht so regelmäßig mehr als ein Drittel der eigentlich fälligen Steuern.
Die politische Kultur ist zudem tief von Korruption, Klientelismus und rent-seeking geprägt; der gesamte Staat ist mit den Apparaten der großen (Alt-)Parteien verfilzt. Griechenland verfügt zudem über einen schiefen Korporatismus: Die Gewerkschaften sind extrem stark im öffentlichen Sektor, aber extrem schwach im privaten. Der Sozialstaat ist in wesentlichen Teilen, etwa bei der Arbeitlosenversicherung, unzureichend ausgebaut; gleichzeitig gibt es einen rigiden Schutz für die Beschäftigten, vor allem im öffentlichen Sektor. Das Land hat ein vollausgebautes öffentliches Gesundheitssystem auf europäischem Niveau, gleichzeitig aber die höchsten privaten Gesundheitsausgaben in der ganzen EU (ebenso verhält es sich im Erziehungswesen).
Und schließlich verfügt Griechenland über einen großen (schwarzen oder grauen) informellen Sektor in der Wirtschaft.[2]

All das will die neue Regierung reformieren. Eine solche Lösung der griechischen Krise ist längst überfällig, sie wäre der Hebel, um die fatale und überflüssige „Eurokrise“ endlich zu beenden – zum Nutzen ganz Europas. 2010 wurden die Weichen dank Merkel und Co. falsch gestellt, seither steigen überall die Wogen des Nationalismus und der offenen Europafeindschaft. Eine andere Krisenpolitik, ein Ende der Spardiktate nach Einheitsmuster, ist daher dringend notwendig. Wer den Euro- bzw. EU-Feinden den Wind aus den Segeln nehmen will, muss den Kurs rasch ändern. Der Regierungswechsel in Athen bietet dazu die Chance, allen Pannen und Ungeschicklichkeiten der neuen Mannschaft zum Trotz.

Verbündete tun not

Nachgeben werden Merkel, Schäuble und Co. allerdings nur, wenn die griechische Linksregierung Verbündete in Europa sucht und findet.
Und zwar solche, die – anders als die zum Teil viel zu unkritischen Syriza-Bejubler innerhalb der deutschen Linken – über politische Macht verfügen. Solche aber gibt es durchaus: Jean-Claude Juncker und die EU-Kommission wollen keinen Grexit, ihnen kommt der Gegenwind für die Oberlehrer aus Deutschland durchaus gelegen.
Das EU-Parlament hat zwar wenig zu sagen (zumindest auf kurze Sicht), aber moralische Unterstützung kommt auch von dort. Der eigentliche, natürliche Verbündete wäre allerdings die europäische Sozialdemokratie, immerhin in etlichen Euroländern eine (mit)regierende Partei. Der SPD käme daher eine Schlüsselrolle zu.

Syriza und die heterodoxen Ökonomen, die mit der europäischen Linken sympathisieren, haben die große Chance, endlich eine Alternative zum bisherigen „Brüsseler Konsens“ der Austeritätspolitik vorzulegen, auf die viele so sehnsüchtig warten, nicht nur in den Krisenländern.
Zum erfolgreichen Kurswechsel braucht es allerdings eine klare wirtschaftspolitische Strategie. Hand und Fuß (und Kopf) muss diese haben, sonst ziehen die Sozialdemokraten nicht mit.
Allerdings haben sich – außer Schäuble – bisher nur wenige im EU-Politikbetrieb auf eine Totalblockade der demokratisch legitimierten Regierung Tsipras festgelegt. Die europäischen Sozialdemokraten sollten daher die Chance zum solidarischen Schulterschluss nutzen – auch zum eigenen strategischen Vorteil.
Denn die Halbstarken von links werden sie so schnell nicht wieder los. Besser daher, sich mit ihnen zu verbünden, um die europäische Karre endlich aus dem Dreck zu ziehen, als mit den verbohrten Austeritätsideologen immer weiter hineinzufahren.

[1] Vgl. dazu Jannis Milios, Verhandlungen über die Schuld, in: „Sozialistische Politik und Wirtschaft“ (SPW), 1/2015, S. 4-7.

[2] Vgl. Kevin Featherstone, The Greek Sovereign Debt Crisis and EMU: A Failing State in a Skewed Regime, in: „Journal of Common Market Studies”, 2/2011, S. 193-217; Michael Mitsopoulos und Theodore Pelagidis, Explaining the Greek Crisis: From Boom to Bust, Basingstoke 2010.

(aus: »Blätter« 4/2015, Seite 5-8)

Jochen