Mit Hilfe der Grünen: Die USA planen die Zerstörung der deutschen Wirtschaft

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

So etwas hatte ich schon lange vermutet. Auf die Blödheit der grünen Parteispitze kann sich die Regierung der USA anscheinend grenzenlos verlassen,

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Man beachte in dem Text des geleakten Dokuments die Formulierung über die unvollständige Souveränität Deutschlands. Ein Leckerbissen für die „Reichsbürger“ ! Dank an Thomas Röper für die Übersetzung.

https://www.anti-spiegel.ru/2022/mit-hilfe-der-gruenen-die-usa-planen-die-zerstoerung-der-deutschen-wirtschaft/

Dass die USA die deutsche Wirtschaft zerstören wollen, gilt als Verschwörungstheorie und russische Propaganda, ist aber offensichtlich. Nun bestätigt das ein sehr interessantes Dokument.

Dass die anti-russischen Sanktionen den Effekt haben, die deutsche – und damit im Endeffekt auch die europäische – Wirtschaft zu zerstören, kann niemand bestreiten. Die Explosion der Energiepreise macht ganze Wirtschaftszweige unrentabel und wird entweder zu einer massiven Pleitewelle ganzer Branchen oder zu ihrer sofortigen Abwanderung in Länder außerhalb der EU führen. Das ist nicht mehr zu verhindern, denn inzwischen kostet Gas in Europa das Zehnfache dessen, was es noch vor anderthalb Jahren gekostet hat, und auch die Strompreise in Deutschland haben sich um über 1.000 Prozent erhöht.

Die geopolitische Lage

Die anti-russischen Sanktionen schaden der EU mehr als Russland und besonders bemerkenswert ist, dass die USA nur anti-russische Sanktionen verhängt haben, die ihnen kaum schaden. Während die EU im Auftrag der USA wirtschaftlichen Selbstmord begeht, halten sich die USA zurück und heben sogar Sanktionen wieder auf, wenn sie merken, dass sie ihnen ernsthaften Schaden zufügen können, was in der EU undenkbar ist.

Dass es seit hundert Jahren eines der wichtigsten geopolitischen Ziele der USA ist, Russland und Deutschland dauerhaft voneinander zu trennen, ist unter geopolitischen Analysten bekannt und wird in den USA auch ganz offen gesagt, nur deutsche „Qualitätsmedien“ halten es nicht für nötig, ihre Leser darüber zu informieren. Die Befürchtung der Geostrategen der USA ist es, dass ein Zusammengehen von deutscher Technologie und russischer Manpower und russischen Bodenschätzen die weltweite Vorherrschaft der USA beenden würden, weshalb es eines der obersten Ziele der USA ist, ein Zusammengehen von Deutschland und Russland zu verhindern.

Da die USA aktuell schwächer werden, befürchten sie, dass sie ein solches Zusammengehen von Deutschland und Russland nicht mehr ewig verhindern können. Daher liegt es aus amerikanischer Sicht nahe – Geopolitik ist nun einmal zynisch -, die deutsche Wirtschaft zu zerstören, bevor man ein Zusammengehen Deutschlands und Russlands nicht mehr verhindern kann. Eine zerstörte deutsche Wirtschaft würde die Gefahr für die USA abwenden.

Und genau das erleben wir gerade.

Ein interessantes Dokument

Leider muss ich wieder etwas tun, was ich sehr ungerne tue, nämlich über eine Information aus einer ungenannten Quelle berichten. Das habe ich vor wenigen Tagen bereits getan, als es um den Film ging, den Chodorkowski finanziert, in dem Merkel die Schuld an der aktuellen Gas- und Energiekrise und damit an Inflation und dem kommenden Zusammenbruch der Wirtschaft gegeben werden soll, um von der Verantwortung der aktuellen Regierungen abzulenken. Übrigens hat sich diese Information inzwischen als wahr erwiesen, denn im Netz sind erste Informationen über den Film aufgetaucht und er dürfte in den nächsten Tagen auf einem Filmfestival Premiere haben. Darüber werde ich dann gesondert berichten.

Nun wurde mir ein Dokument geschickt, wieder weil ein (allerdings anderer) Kollege dazu meine Einschätzung aus geopolitischer Sicht hören wollte. Ich kann die Echtheit des Dokuments nicht verifizieren, aber angeblich wurde es am 25. Januar 2022 an US-Regierungsbehörden verschickt und ist von irgendwem durchgestochen worden. Das Dokument trägt die Überschrift Schwächung Deutschlands, Stärkung der USAund dabei handelt es sich um eine geopolitische und wirtschaftliche Kurzanalyse mit Vorschlägen dazu, wie die deutsche Wirtschaft im Falle eines russischen Kriegseintritts in den ukrainischen Krieg im Donbass geschwächt werden kann, um die US-Wirtschaft zu stabilisieren oder sogar zu stärken. Das Dokument ist eine – in meinen Augen – sehr professionelle Analyse der aktuellen Situation.

Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Erstens, das Dokument ist echt, dann wäre es eine Sensation, weil es schon im Januar verfasst wurde. Zweitens, das Dokument ist nicht aus US-Regie­rungs­kreisen durchgestochen worden, sondern von jemand anderem (zu einem späteren Zeitpunkt) verfasst worden. In dem Fall wäre es eine sehr zutreffende Analyse der aktuellen Situation, wie man sie normalerweise auf Portalen professioneller und auf das Thema spezialisierter Think Tanks wie der RAND-Corperation findet. RAND_Corp_logoAuch sein Aufbau, sein Stil und die Formulierungen klingen so, wie ich sie aus öffentlichen Dokumenten transatlantischer US-Think Tanks kenne.

Ich habe das Dokument übersetzt, da es in jedem Fall lesenswert ist, selbst wenn es sich „nur“ um eine sehr professionelle Analyse handeln sollte. Sollte es allerdings tatsächlich ein durchgestochenes Dokument aus US-Regierungsbehörden sein, wäre es noch interessanter.

Gods_Own_CountryZur Erinnerung: Die USA haben die russische Militäroperation in der Ukraine provoziert und von langer Hand vorbereitet, Details dazu finden Sie hier. Vor allem das amerikanische Lend-Lease-Gesetz, mit dem die USA die Ukraine nun „gegen die russische Invasion“ mit Waffen versorgen, ist dafür ein klarer Beleg, denn es wurde schon am 19. Januar 2022 in den Kongress eingebracht, also über einen Monat vor Beginn der russischen Intervention.

Das ist für mich ein Hinweis darauf, dass das Dokument echt sein könnte, denn im Januar 2022, als die USA wussten, dass Russland keine andere Wahl mehr hatte, als in der Ukraine militärisch einzugreifen, dürften die Geostrategen in Washington Überstunden gemacht haben, um die Folgen abzuschätzen und die Reaktionen der USA vorzubereiten. Das Dokument ist – ich erinnere daran – demnach vom 25. Januar, was exakt zu diesem Szenario passen würde.

Daher habe ich das Dokument übersetzt und für alle, die sich in der Geopolitik nicht so gut auskennen, an einigen Stellen Erklärungen zum besseren Verständnis hinzugefügt. Ich erinnere daran, beim Lesen im Hinterkopf zu behalten: Wenn das Dokument echt sein sollte, wurde es vor sieben Monaten und einen Monat vor Beginn der russischen Intervention in der Ukraine verfasst.

Beginn der Übersetzung:

  1. Januar 2022

Vertraulich

Verteilung: WHCS, ANSA, Außenministerium, CIA, NSA, DNC

Zusammenfassung

Schwächung Deutschlands, Stärkung der USA

Der gegenwärtige Zustand der US-Wirtschaft deutet nicht darauf hin, dass sie ohne finanzielle und materielle Unterstützung von außen funktionieren kann. Die Politik der quantitativen Lockerung, auf die die FED in den letzten Jahren regelmäßig zurückgegriffen hat, sowie die unkontrollierte Ausgabe von Bargeld während der Covid-Lockdowns 2020 und 2021 haben zu einem starken Anstieg der Auslandsverschuldung und einer Zunahme des Dollarangebots geführt.

Die anhaltende Verschlechterung der Wirtschaftslage wird bei den bevorstehenden Wahlen im November 2022 höchstwahrscheinlich zu einem Verlust der Position der Demokratischen Partei im Kongress und im Senat führen. Ein Amts­enthebungsverfahren gegen den Präsidenten ist unter diesen Umständen nicht auszuschließen und muss unter allen Umständen vermieden werden.

Es ist dringend notwendig, dass Ressourcen in die nationale Wirtschaft fließen, insbesondere in das Bankensystem. Nur europäische Länder, die durch EU- und NATO-Verpflichtungen gebunden sind, werden in der Lage sein, diese ohne erhebliche militärische und politische Kosten für uns bereitzustellen.

Das Haupthindernis dafür ist die wachsende Unabhängigkeit Deutschlands. Obwohl es immer noch ein Land mit eingeschränkter Souveränität ist, bewegt es sich seit Jahrzehnten konsequent darauf zu, diese Einschränkungen aufzuheben und ein vollständig unabhängiger Staat zu werden. Diese Bewegung ist langsam und vorsichtig, aber stetig. Die Extrapolation zeigt, dass das Endziel erst in einigen Jahrzehnten erreicht werden kann. Wenn jedoch die sozialen und wirtschaftlichen Probleme in den Vereinigten Staaten eskalieren, könnte sich das Tempo erheblich beschleunigen.

Ein weiterer Faktor, der zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit Deutschlands beiträgt, ist der Brexit. Mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus den EU-Strukturen haben wir eine wichtige Möglichkeit verloren, die Aushandlung regierungsübergreifender Entscheidungen zu beeinflussen.

Es ist die Angst vor unserer negativen Reaktion, die im Großen und Ganzen das relativ langsame Tempo dieser Veränderungen bestimmt. Wenn wir eines Tages Europa verlassen, besteht für Deutschland und Frankreich eine gute Chance, zu einem vollständigen politischen Konsens zu gelangen. Dann könnten sich Italien und andere Länder des alten Europas – vor allem die ehemaligen EGKS-Mitglieder – dem unter bestimmten Bedingungen anschließen. Großbritannien, das derzeit nicht der Europäischen Union angehört, wird dem Druck des deutsch-französischen Duos allein nicht standhalten können. Wenn dieses Szenario eintritt, wird Europa nicht nur zu einem wirtschaftlichen, sondern auch zu einem politischen Konkurrenten der Vereinigten Staaten werden.

Außerdem wird das alte Europa, wenn die USA für eine gewisse Zeit von innenpolitischen Problemen heimgesucht werden, in der Lage sein, dem Einfluss der amerikanisch orientierten osteuropäischen Länder wirksamer zu widerstehen.

Schwachstellen in der deutschen und der EU-Wirtschaft

Eine Zunahme des Ressourcenflusses von Europa in die USA ist zu erwarten, wenn Deutschland in eine kontrollierte Wirtschaftskrise gerät.

Das Tempo der wirtschaftlichen Entwicklung in der EU hängt fast alternativlos von der Lage der deutschen Wirtschaft ab. Es ist Deutschland, das die Hauptlast der Ausgaben für die ärmeren EU-Mitglieder trägt.

Das derzeitige deutsche Wirtschaftsmodell stützt sich auf zwei Säulen. Das sind der unbegrenzte Zugang zu billigen russischen Energieressourcen und zu billigem französischem Strom, dank des Betriebs von Kernkraftwerken. Die Bedeutung des ersten Faktors ist wesentlich höher. Eine Unterbrechung der russischen Lieferungen kann durchaus eine Systemkrise auslösen, die für die deutsche Wirtschaft und indirekt für die gesamte Europäische Union verheerend wäre.

Auch der französische Energiesektor könnte bald in große Probleme geraten. Die vorhersehbare Einstellung der von Russland kontrollierten Kernbrennstofflieferungen in Verbindung mit der instabilen Lage in der Sahelzone würde den französischen Energiesektor in eine kritische Abhängigkeit von australischen und kanadischen Brennstoffen bringen. Im Zusammenhang mit der Gründung von AUKUS ergeben sich neue Möglichkeiten, Druck auszuüben. Diese Frage würde jedoch den Rahmen des vorliegenden Berichts sprengen.

(Anm. d. Übers.: Das Thema sehe ich derzeit oft in Artikeln von Analysten, denn Russland beherrscht fast 50 Prozent des weltweiten Marktes für Reaktorbrennstäbe, weshalb Analysten die Frage diskutieren, wie die französischen und amerikanischen AKWs in Zukunft laufen sollen, wenn Russland den Export einstellen sollte. In diesem Zusammenhang sind die Entwicklungen in Mali wichtig, die derzeit Schlagzeilen machen, denn dort geht es keineswegs um den Kampf gegen irgendwelche Terroristen, sondern um die Sicherstellung von Uranlieferungen nach Frankreich, die mit einem Abzug der deutschen und französischen Truppen in Gefahr geraten könnten, Details dazu finden Sie hier. Daher ist AUKUS sehr wichtig, denn das neue Bündnis ist ein weiteres Machtinstrument der USA, um seinen Einfluss auf Australien auszudehnen.)

Eine kontrollierte Krise

Aufgrund von Koalitionszwängen hat die deutsche Führung die Lage im Land nicht vollständig unter Kontrolle. Dank unserer präzisen Aktionen war es möglich, die Inbetriebnahme der Pipeline Nord Stream 2 trotz des Widerstands der Lobbyisten aus der Stahl- und Chemieindustrie zu verhindern. Die dramatische Verschlechterung des Lebensstandards könnte die deutsche Führung jedoch dazu bewegen, ihre Politik zu überdenken und zur Idee der europäischen Souveränität und strategischen Autonomie zurückzukehren.

Der einzig gangbare Weg, Deutschlands Ablehnung russischer Energielieferungen zu garantieren, ist die Einbindung beider Seiten in den militärischen Konflikt in der Ukraine. Unser weiteres Vorgehen in diesem Land wird unweigerlich zu einer militärischen Antwort Russlands führen. Die Russen werden den massiven Druck der ukrainischen Armee auf die nicht anerkannten Donbass-Republiken natürlich nicht unbeantwortet lassen können. Das würde es ermöglichen, Russland zum Aggressor zu erklären und das gesamte Paket der zuvor vorbereiteten Sanktionen gegen das Land anzuwenden. (Anm. d. Übers.: Dass die Sanktionen von langer Hand vorbereitet waren, hat Bundeskanzler Scholz später mehrmals öffentlich gesagt)

Putin könnte seinerseits beschließen, begrenzte Gegensanktionen zu verhängen – vor allem gegen russische Energielieferungen nach Europa. Der Schaden für die EU-Länder wird also durchaus mit dem für die Russen vergleichbar sein und in einigen Ländern – vor allem in Deutschland – wird er höher sein.

Die Voraussetzung dafür, dass Deutschland in diese Falle tappen kann, ist die führende Rolle der grünen Parteien und Ideologie in Europa. Die deutschen Grünen sind eine stark dogmatische, wenn nicht gar eifrige Bewegung, was es recht einfach macht, sie dazu zu bringen, wirtschaftliche Argumente zu ignorieren. In dieser Hinsicht übertreffen die deutschen Grünen ihre Pendants im übrigen Europa. Persönliche Eigenschaften und die mangelnde Professionalität ihrer Führer – allen voran Annalena Baerbock und Robert Habeck – lassen vermuten, dass es für sie nahezu unmöglich ist, eigene Fehler rechtzeitig zuzugeben.

So wird es ausreichen, das mediale Bild von Putins aggressivem Krieg schnell zu formen, um die Grünen zu glühenden und hartgesottenen Befürwortern von Sanktionen zu machen, zu einer „Partei des Krieges“. Auf diese Weise kann das Sanktionsregime ohne Hindernisse eingeführt werden. Die mangelnde Professionalität der derzeitigen Führer wird auch in Zukunft keinen Rückschlag zulassen, selbst wenn die negativen Auswirkungen der gewählten Politik deutlich genug werden. Die Partner in der deutschen Regierungskoalition werden ihren Verbündeten einfach folgen müssen – zumindest so lange, bis die Last der wirtschaftlichen Probleme größer ist als die Angst, eine Regierungskrise zu provozieren.

Doch selbst wenn SPD und FDP bereit sind, sich gegen die Grünen zu stellen, werden die Möglichkeiten der nächsten Regierung, die Beziehungen zu Russland schnell genug wieder zu normalisieren, spürbar eingeschränkt sein. Die Beteiligung Deutschlands an umfangreichen Waffen- und Rüstungslieferungen an die ukrainische Armee wird unweigerlich ein starkes Misstrauen in Russland hervorrufen, was den Verhandlungsprozess ziemlich langwierig machen wird.

Sollten sich Kriegsverbrechen und die russische Aggression gegen die Ukraine bestätigen, wird die deutsche politische Führung nicht in der Lage sein, das Veto ihrer EU-Partner gegen Hilfen für die Ukraine und verschärfte Sanktionspakete zu überwinden. Das wird für eine ausreichend lange Kluft in der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland sorgen, die große deutsche Wirtschaftsunternehmen wettbewerbsunfähig machen wird.

Erwartete Folgen

Eine Verringerung der russischen Energielieferungen – im Idealfall ein völliger Stopp dieser Lieferungen – hätte katastrophale Folgen für die deutsche Industrie. Die Notwendigkeit, erhebliche Mengen russischen Gases für die Beheizung von Privathaushalten und öffentlichen Einrichtungen im Winter umzuleiten, wird die Engpässe weiter verschärfen. Stilllegungen von Industrieunternehmen werden zu Engpässen bei Komponenten und Ersatzteilen für die Produktion, zum Zusammenbruch der Logistikketten und schließlich zu einem Dominoeffekt führen.

In den größten Betrieben der Chemie-, Metallurgie- und Maschinenbauindustrie ist ein völliger Stillstand wahrscheinlich, da sie praktisch keine freien Kapazitäten haben, um den Energieverbrauch zu senken. Das könnte zur Schließung von Unternehmen mit kontinuierlichem Zyklus führen, was deren Zerstörung bedeuten würde. (Anm. d. Übers.: Das gilt zum Beispiel für die Stahlindustrie, denn wenn ein Brennofen einmal komplett heruntergefahren wird, ist er zerstört. Brennöfen müssen immer mit einer Mindestlast betrieben werden.)

Die kumulierten Verluste der deutschen Wirtschaft lassen sich nur ungefähr abschätzen. Selbst wenn die Einschränkung der russischen Lieferungen auf das Jahr 2022 begrenzt ist, werden die Folgen mehrere Jahre andauern, und die Gesamtverluste könnten 200 bis 300 Milliarden Euro erreichen. Das wird nicht nur der deutschen Wirtschaft einen verheerenden Schlag versetzen, sondern die gesamte EU-Wirtschaft wird unweigerlich zusammenbrechen. Wir sprechen hier nicht von einem Rückgang des Wirtschaftswachstums, sondern von einer anhaltenden Rezession und einem Rückgang des BIP allein bei der materiellen Produktion um drei bis vier Prozent pro Jahr in den nächsten fünf bis sechs Jahren. Ein solcher Rückgang wird unweigerlich zu einer Panik auf den Finanzmärkten führen und diese möglicherweise zum Zusammenbruch bringen.

Der Euro wird unweigerlich und höchstwahrscheinlich unwiderruflich unter den Dollar fallen. Ein starker Rückgang des Euro wird folglich seinen weltweiten Verkauf zur Folge haben. Er wird zu einer toxischen Währung und alle Länder der Welt werden seinen Anteil an ihren Devisenreserven rasch reduzieren. Diese Lücke wird in erster Linie mit Dollar und Yuan gefüllt werden.

Eine weitere unvermeidliche Folge einer lang anhaltenden wirtschaftlichen Rezession wird ein starker Rückgang des Lebensstandards und eine steigende Arbeitslosigkeit sein (bis zu 200.000 bis 400.000 allein in Deutschland), was die Abwanderung von qualifizierten Arbeitskräften und gut ausgebildeten jungen Menschen zur Folge haben wird. Es gibt heute buchstäblich keine anderen Ziele für eine solche Migration als die Vereinigten Staaten. Ein etwas geringerer, aber ebenfalls nicht unerheblicher Migrantenstrom ist aus anderen EU-Ländern zu erwarten.

Das untersuchte Szenario wird also sowohl indirekt als auch ganz direkt zur Stärkung der nationalen Finanzlage beitragen. Kurzfristig wird es den Trend der sich abzeichnenden wirtschaftlichen Rezession umkehren und darüber hinaus die amerikanische Gesellschaft konsolidieren, indem es sie von unmittelbaren wirtschaftlichen Sorgen ablenkt. Das wiederum wird das Risiko bei der Wahl verringern.

Mittelfristig (4-5 Jahre) könnten sich die kumulierten Vorteile der Kapitalflucht, der neu ausgerichteten logistischen Ströme und des geringeren Wettbewerbs in den wichtigsten Branchen auf sieben bis neun Billionen Dollar belaufen.

Leider dürfte auch China mittelfristig von diesem sich entwickelnden Szenario profitieren.

Gleichzeitig erlaubt uns die starke politische Abhängigkeit Europas von den USA, mögliche Versuche einzelner europäischer Staaten, sich China anzunähern, wirksam zu neutralisieren.

Ende der Übersetzung

Vor allem die Ausführungen über die Grünen und na­ment­lich über Baerbock und Ha­beck sind inter­essant, weil Baerbock gerade erst (am 31. August) offen gesagt hat, dass sie exakt das umsetzen will, was in diesem Dokument gefordert wurde. Die Details von Baerbocks Aussage in­klusive dem Link zu dem Video mit ihrer Aussage finden Sie hier.

Nachtrag

Einige Stunden, nachdem ich diesen Artikel geschrieben habe, habe ich zusätzlich zu dem „nackten“ Text auch das „Original“, also die Deckblätter, geschickt bekommen.
Dabei musste ich lachen, denn tatsächlich ist das Dokument von der RAND-Corporation verfasst worden. Ich habe so viele von deren Berichten und Studien gelesen, dass ich deren Stil schon in einem „nackten“ Text erkenne.
Den Verdacht, dass die RAND-Corporation der Verfasser ist, habe ich in diesem Artikel sofort angedeutet.

Derzeit prüft Mr. X mit seinen Möglichkeiten, ob das Dokument auch schon irgendwo, zum Bei-spiel auf Seiten der US-Regierung, veröffentlicht wurde, obwohl es ursprünglich als „vertraulich“ eingestuft worden ist.
Ich werde in den nächsten Tagen noch einmal auf das Dokument eingehen.

Über Kommentare hier würde ich mich freuen

Jochen

Noam Chomsky: Sozialismus in Zeiten der Reaktion

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Im Original hier:
https://diefreiheitsliebe.de/politik/sozialismus-in-zeiten-der-reaktion-im-gespraech-mit-noam-chomsky/
Auszüge:

chomsky american dreamObwohl er auf die 90 zugeht, wächst Noam Chomskys Werk immer noch. Und er gibt, zum Glück für die internationale Linke, noch immer Interviews. Wenige Tage vor seinem 88. Geburtstag gab Chomsky ein Interview in seinem Büro in Cambridge, Massachusetts. Das Gespräch führte Vaios Triantafyllou, ein Student an der Universität von Pennsylvania.
Chomsky sprach über alles von Sozialismus, die menschliche Natur und Adam Smith, bis zu Donald Trump. (Das Transkript wurde aus Gründen der Lesbarkeit verdichtet und redigiert.)

Mit Trump im Amt sieht Chomsky eine Zukunft in Bigotterie und Kleinkrämerei. Aber wir haben noch immer die Wahl: „Ob sie gelingen“, sagt Chomsky über die „teile und herrsche“-Taktiken, „hängt von der Art des Widerstands ab, die Menschen wie du dem entgegensetzen.“

Jacobin Mag: Wie sollten Sozialisten über die Beziehung von Reformen zur Humanisierung des bestehenden Produktionssystems (wie es Bernie Sanders vorschlägt) und dem langfristigen Ziel einer gänzlichen Abschaffung des Kapitalismus denken?

Noam Chomsky: Zunächst muss man sich vergegenwärtigen, dass der Begriff „Sozialismus“, wie alle Begriffe des politischen Diskurses, mehr oder weniger seine Bedeutung eingebüßt hat. „Sozialismus“ hat mal etwas bedeutet. Wenn wir weit genug zurückblicken, war damit die Kontrolle über die Produktion durch die Produzenten gemeint, die Abschaffung der Lohnarbeit, die Demokratisierung aller Lebenssphären: Produktion, Handel, Bildung, Medien, Arbeiterkontrolle über die Betriebe, gesellschaftliche Kontrolle der Gesellschaft usw. Das hieß „Sozialismus“ früher.

Aber diese Bedeutung hat er keine hundert Jahre beibehalten. Tatsächlich waren die sogenannten sozialistischen Länder die anti-sozialistischten Länder der Welt.
Arbeiter hatten mehr Rechte in den Vereinigten Staaten und in England als in Russland, und dennoch wurde es Sozialismus genannt.

Was Bernie Sanders betrifft, ist er ein anständiger und ehrbarer Mensch, den ich unterstütze. Doch was er als „Sozialismus“ bezeichnet, ist Liberalismus im Stile des New Deal. Wahrscheinlich wären seine aktuellen Forderungen keine große Überraschung für General Eisenhower.
Dass sie als politische Revolution bezeichnet werden, zeigt, wie sehr das politische Spektrum nach rechts gerückt ist – vor allem in den letzten 30 Jahren, seit die neoliberalen Programme institutionalisiert wurden. Was Sanders fordert, ist eine Restauration des New Deal-Liberalismus, was eine sehr gute Sache ist.

Zurück zu deiner Frage, sollten wir uns fragen: Sollten Leute, die sich um andere Menschen, um deren Leben und ihre Bedürfnisse kümmern, versuchen, das bestehende Produktionssystem zu humanisieren, so wie du es sagst? Die Antwort ist: Auf jeden Fall – es ist besser für die Menschen.

Sollten sie sich gleichzeitig weiter für das langfristige Ziel einsetzen, die kapitalistische Organisationsweise der Produktion abzuschaffen? Selbstverständlich. Sie hatte ihre Erfolge. Aber sie basiert auf sehr brutalen Annahmen, unmenschlichen Annahmen.
Die Grundannahme ist, dass eine Klasse von Menschen, kraft ihres Besitzes und ihres Reichtums einer anderen, gewaltigen Klasse befehlen kann.
Und dass diese andere diesen Befehlen zu folgen hat, weil ihnen der Zugang zu Wohlstand und Macht fehlt. Das ist inakzeptabel.

Also, ja, der Kapitalismus sollte abgeschafft werden. Aber es handelt sich hier nicht um Alternativen. Es sind Vorgänge, die zusammengehen.

Jacobin Mag: Eines der Hauptargumente, das gegen Sozialismus vorgebracht wird, ist, die menschliche Natur selbst wäre von Egoismus und Konkurrenzdenken geprägt. Wie würdest du antworten?

Noam Chomsky: Man darf nicht vergessen, dass der Kapitalismus bisher nur eine kurze Periode der menschlichen Gesellschaft darstellt. Es gab nie einen reinen Kapitalismus, sondern immer nur die eine oder andere Variante. Der Grund dafür: Reiner Kapitalismus würde sich sofort selbst vernichten.
Also haben die geschäftstüchtigen Klassen immer massive staatliche Interventionen gefordert, um die Gesellschaft vor den zerstörerischen Effekten der Marktkräfte zu schützen. Es sind oft Geschäftsleute, die hier die Führung übernehmen, weil sie nicht wollen, dass alles zerstört wird.

Es gab also die eine oder andere Form von Staatskapitalismus während einer extrem kurzen Spanne der Menschheitsgeschichte, aber das sagt uns sehr wenig über die menschliche Natur. Bei der Betrachtung menschlicher Gesellschaften und Beziehungen kann man alles finden: Egoismus, Altruismus, Mitgefühl.

Nehmen wir Adam Smith, den Schutzheiligen des Kapitalismus. Was dachte er darüber? Er hielt Mitgefühl für den menschlichen Hauptinstinkt. Man muss sich ansehen, wie er den Begriff der „unsichtbaren Hand“ verwendete. Auf welche Art er diesen Begriff verwendete. Es ist nicht schwer, das heraus zu finden, weil er es maßgeblich zwei mal getan hat: jeweils in seinen beiden Hauptwerken.

Einmal erscheint der Begriff in Wohlstand der Nationen und läuft auf eine Kritik neoliberaler Globalisierung hinaus. Was er sagt, ist, dass wenn England, wenn die Fabrikanten und Kaufleute im Ausland investierten und von dort importierten, Gewinne machen könnten. Doch das wäre schädlich für England. Aber ihr Pflichtgefühl gegenüber ihrem Heimatland reiche aus, so dass es unwahrscheinlich sei, dass sie das täten – geschützt durch eine „unsichtbare Hand“ bliebe England von dem verschont, was wir neoliberale Globalisierung nennen. Das ist das eine Mal.

Das andere Mal benutzt er den Begriff in Theorie der ethischen Gefühle (das nicht oft gelesen wird, doch Smith selbst hielt es für sein Hauptwerk). Er ist ein Egalitarier.
Er glaubte an Gleichheit als Resultat, nicht Gegensätzlichkeit. Adam Smith ist eine Figur der Aufklärung, eine vor-kapitalistische.

Er sagt, wenn, vermutlich in England, ein Landeigner das meiste des Landes besäße und andere Menschen hätten nichts mehr, wo sie leben könnten, so wäre das nicht schlimm – der reiche Landeigner, kraft seines Mitgefühls für andere, würde die Ressourcen unter ihnen verteilen. Mit einer „unsichtbaren Hand“ landeten wir in einer ziemlich egalitären Gesellschaft. Das ist sein Konzept der menschlichen Natur.

Das ist nicht die Art, in welcher „die unsichtbare Hand“ von Leuten gebraucht wird, mit denen man Kurse besucht oder deren Bücher man liest. Das zeigt einen Unterschied in der Doktrin – aber nicht in der menschlichen Natur. Was wir über die menschliche Natur wissen, ist, dass sie all diese Facetten hat.

Jacobin Mag: Denkst du, es ist notwendig, konkrete Vorschläge für eine zukünftige sozialistische Ordnung zu entwerfen, eine solide Alternative, die bei den meisten Menschen Anklang findet?

Noam Chomsky: Ich glaube, viele Menschen haben Interesse an authentischen sozialistischen Langzeitzielen (die nicht das sind, was für gewöhnlich „Sozialismus“ genannt wird). Sie sollten sorgfältig darüber nachdenken, wie so ein Projekt funktionieren sollte – ohne zu sehr ins Detail zu gehen, denn vieles kann nur im Experiment erlernt werden. Und wir wissen auf keinen Fall genug darüber, wie Gesellschaften im Detail geplant werden könnten.
Der große Rahmen aber könnte ausgearbeitet werden und viele der spezifischen Probleme können diskutiert werden.

Und das sollte Teil des allgemeinen Bewusstseins sein. So könnte der Übergang zum Sozialismus stattfinden. Wenn er ein Teil der Erkenntnis, des Bewusstseins und des Strebens einer großen Mehrheit der Bevölkerung wird.

Sehen wir uns als Beispiel eine der großen Leistungen in diese Richtung an, vielleicht die größte: Die anarchistische Revolution in Spanien 1936.
Sie wurde jahrzehntelang vorbereitet: in der der Bildung, im Aktivismus und in den Bemühungen, erlitt manchmal Rückschläge, doch als der Faschismus angriff, hatten die Menschen eine Vorstellung davon, welche Gesellschaftsorganisation sie wollten.

Wir haben auch andere Beispiele. Sagen wir, der Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Auswirkung des Zweiten Weltkriegs waren für den größten Teil Europas verheerend.

Doch es brauchte nicht lange, die staatskapitalistischen Demokratien wieder aufzubauen, denn sie waren in den Köpfen der Leute vorhanden.

In anderen Teilen der Welt, die verwüstet wurden, war das nicht möglich. Die Leute hatten kein Konzept im Kopf. Menschliches Bewusstsein macht eine Menge aus.

Jacobin Mag: Syriza kam mit dem Versprechen von Sozialismus an die Macht. Doch schlussendlich kooperieren sie mit der EU und sind auch nicht zurückgetreten, nachdem sie gezwungen wurden, die Austeritätspolitik zu übernehmen. Wie können wir einen ähnlichen Ausgang in Zukunft vermeiden?

Noam Chomsky: Ich denke, die wahre Tragödie Griechenlands – abseits der Brutalität der europäischen Bürokratie, der Brüsseler Bürokratie, und die der nordischen Banken, die wahrlich bestial waren – dass die Griechenland-Krise gar nicht hätte ausbrechen müssen. Man hätte sie verhältnismäßig leicht ganz zu Anfang bewältigen können.

Aber es ist soweit gekommen, und Syriza mit dem erklärten Versprechen ins Amt eingezogen, die Krise zu bekämpfen. Tatsächlich haben sie ein Referendum abgehalten, das Europa entsetzt hat: Der Gedanke, dass es Menschen erlaubt sein sollte, über ihr eigenes Schicksal zu entscheiden, ist schlicht ein Anathema für die europäischen Eliten – wie kann Demokratie nur wirklich gestattet werden (selbst in dem Land, in dem sie erfunden wurde)?

Als Ergebnis dieses kriminellen Akts, Menschen zu fragen, was sie wollen, wurde Griechenland noch mehr bestraft. Die Forderungen der Troika wurden wegen dem Referendum viel harscher. Sie befürchteten einen Dominoeffekt – wenn wir Rücksicht auf die Nöte der Menschen nehmen, könnten andere auf denselben Gedanken kommen und sich die Plage der Demokratie verbreiten. Also müssen wir sie an der Wurzel ausrotten.

Danach hat Syriza kapituliert und seitdem Dinge getan, die ich für inakzeptabel halte.

Du fragst, wie die Menschen darauf antworten sollen? Sie sollten etwas besseres schaffen. Das ist nicht einfach, besonders, wenn sie isoliert sind. Griechenland allein ist in einer sehr verletzlichen Lage. Wenn die Griechen die Unterstützung progressiver linker und populärer Kräfte woanders in Europa gehabt hätten, hätten sie den Forderungen der Troika vielleicht Widerstand leisten können.

Jacobin Mag: Was denkst du über das System, das Castro nach der Revolution in Kuba geschaffen hat?

Noam Chomsky: Ja, was Castros tatsächliche Ziele waren, das wissen wir nicht. Vom ersten Moment an wurde er massiv eingeschränkt durch die raue und grausame Attacke der herrschenden Supermacht.

Wir müssen uns erinnern, dass buchstäblich innerhalb von Monaten, nachdem Castro ins Amt kam, Flugzeuge von Florida aus anfingen, Kuba zu bombardieren.
Innerhalb eines Jahres beschloss die Eisenhower-Administration im Geheimen, aber mit Nachdruck, die Regierung [auf Kuba] zu stürzen.
Danach kam die Invasion in der Schweinebucht. Die Kennedy-Administration war rasend über das Scheitern der Invasion und begann augenblicklich einen großen Terrorkrieg, einen Wirtschaftskrieg, der über die Jahre immer schärfer wurde.

Unter diesen Bedingungen ist es erstaunlich, dass Kuba überlebt hat. Es ist eine kleine Insel direkt vor der Küste einer großen Supermacht, die sie zu zerstören versucht, und war offensichtlich zum Überleben ihre ganze vorherige Geschichte von den USA abhängig. Aber irgendwie haben sie überlebt. Es ist war, dass es eine Diktatur war: viel Grausamkeit, viele politische Gefangene, viele wurden getötet.

Man muss sich vorstellen, dass der US-Angriff auf Kuba ideologisch als absolut notwendig dargestellt wurde, um uns vor den Russen zu verteidigen. Aber sobald die Russen verschwunden waren, wurde der Angriff noch schärfer. Es gab dazu kaum Erklärungen, aber es bestätigt dir, dass die vorherigen Behauptungen Lügen waren, die sie mit Sicherheit waren.

Wenn man sich interne US-Dokumente ansieht, dann wird klar, welche Bedrohung von Kuba ausging. Damals in den 60ern betrachtete das Außenministerium die von Kuba ausgehende Gefahr als Castros erfolgreiche Missachtung der US-Politik, welche auf die Monroe-Doktrin zurück ging.
Die Monroe-Doktrin begründete den Anspruch – sie hatten es damals noch nicht durchsetzen können, aber es war der Anspruch – die westliche Hemisphäre zu beherrschen. Und Castro hatte das erfolgreich infrage gestellt.

Das kann nicht toleriert werden. Es ist, wie wenn jemand sagt, „lasst uns in Griechenland Demokratie einführen“, und wir können das einfach nicht tolerieren, also müssen wir die Bedrohung mit ihren Wurzel ausreißen. Niemand darf erfolgreich den Meister der Hemisphere, eigentlich der Welt, herausfordern – darum diese Rage.

Aber die Reaktionen blieben gemischt. Es gab Errungenschaften, wie das Gesundheitssystem, die Alphabetisierung und so weiter. Der Internationalismus war unglaublich.
Es gibt einen Grund, warum Nelson Mandela nach Kuba reiste, um Castro zu loben und dem kubanischen Volk zu danken, kaum war er aus dem Gefängnis entlassen.
Das ist eine Dritte-Welt-Reaktion, und das verstehen sie.

Kuba spielte eine enorme Rolle bei der Befreiung Afrikas und der Überwindung der Apartheid. Es hat Ärzte und Lehrer in die ärmsten Gegenden der Welt geschickt: nach Haiti, nach Pakistan nach dem Erdbeben, beinahe überall hin. Der Internationalismus ist einfach erstaunlich. Ich denke, so etwas hat es in der Geschichte noch nicht gegeben.

Die Errungenschaften im Gesundheitssystem waren erstaunlich. Die Gesundheitsstatistiken in Kuba waren ähnlich denen in den Vereinigten Staaten – bei diesem Unterschied an Reichtum und Macht.

Auf der anderen Seite gab es eine scharfe Diktatur. Also gab es beides.

Ein Übergang zum Sozialismus? Darüber können wir nicht einmal sprechen. Die Bedingungen machten es unmöglich, und wir wissen nicht einmal, ob das gewollt war.

Jacobin Mag: In den vergangen Jahren sind in den USA zahlreiche Bewegungen entstanden, die die derzeitige soziale und wirtschaftliche Organisationsform kritisieren. Wie dem auch sei: Die meisten haben sich gegen einen gemeinsamen Feind vereint, anstatt sich um eine gemeinsame Vision zu sammeln. Wie sollten wir über die Lage sozialer Bewegungen und deren Fähigkeit, sich zu einen, denken?

Noam Chomsky: Nehmen wir die Occupy-Bewegung. Occupy war keine Bewegung, es war eine Taktik. Man kann nicht für immer in einem Park nahe der Wall Street sitzen. Nicht länger als ein paar Monate.

Es war eine Taktik, die ich nicht voraus gesehen hatte. Wenn mich jemand gefragt hätte, ich hätte davon abgeraten.

Aber es war ein großer Erfolg, ein enormer Erfolg, mit einer großen Auswirkung auf das Denken und Handeln der Menschen. Das ganze Konzept, wie Reichtum konzentriert wird (1 Prozent und 99 Prozent) – das Wissen war sicherlich da, irgendwo im Hintergrund, aber so wurde es nach vorn gekehrt.
Es wurde sogar in den Massenmedien herausgestellt (z.B. im Wall Street Journal) – und es führte zu vielen Formen von Aktivismus, es stärkte Menschen und so weiter. Aber es war keine Bewegung.

Die Linke, in einem übergreifenden Sinne, ist sehr atomisiert. Wir leben in hoch atomisierten Gesellschaften. Die Leute sind ziemlich oft allein: Nur du und dein iPad.

Die großen Organisationszentren, wie etwa die Arbeiterbewegung, wurden ernstlich geschwächt, in den Vereinigten Staaten sehr ernstlich, von der Politik.
Das passierte nicht wie ein Hurrikan. Die Politik wurde so gestaltet, um die Organisationen der Arbeiterklasse zu untergraben.
Der Grund dafür ist nicht nur, dass Gewerkschaften für die Rechte von Arbeitern kämpfen, sondern auch, dass sie einen demokratisierenden Effekt haben.
Es sind Institutionen, in denen Menschen ohne Macht zusammenkommen können, sich gegenseitig unterstützen, etwas über die Welt lernen, ihre Ideen ausprobieren, Programme initiieren können – das ist gefährlich. Das ist wie ein Referendum in Griechenland. Es ist zu gefährlich, um es zu erlauben.

Wir sollten uns vergegenwärtigen, dass es während des Zweiten Weltkrieges und der Großen Depression einen Aufschwung breiter, radikaler Demokratie gab, überall auf der Welt. Er nahm verschiedene Formen an, aber er war da, überall.

In Griechenland war es die Griechische Revolution. Und sie musste niedergeschlagen werden. In Ländern wie Griechenland wurde sie mit Gewalt nieder gerungen.
In Ländern wie Italien, wo amerikanische und britische Truppen 1943 einmarschierten, wurde er nieder gerungen durch Angriffe auf und die Zerschlagung anti-deutscher Partisanen und die Wiederherstellung der traditionellen Ordnung.
In Ländern wie den Vereinigten Staaten wurde dieser Aufschwung nicht mit Gewalt niedergeschlagen – der Kapitalismus hat diese Macht hier nicht – aber es wurden, beginnend in den späten 1940ern, große Anstrengungen unternommen, um die Arbeiterbewegung zu unterminieren und zu zerstören. Und es ging weiter.

Das wurde wieder fortgeführt unter Reagan, es wurde fortgeführt unter Clinton, und heute ist die Arbeiterbewegung extrem schwach (in anderen Ländern hat es andere Formen angenommen). Aber das war eine dieser Institutionen, in welcher Menschen zusammen kamen, um gemeinsam zu handeln und mit gegenseitiger Unterstützung, und auch andere solche Institutionen wurden stark dezimiert.

Jacobin Mag: Was können wir von Donald Trump erwarten? Bereitet sein Aufstieg den Boden für eine Neudefinierung und Vereinigung einer sozialistischen Bewegung um eine gemeinsame Vision in den Vereinigten Staaten?

Noam Chomsky: Die Antwort darauf liegt grundsätzlich bei dir und deinen Freunden. Es hängt wirklich davon ab wie Menschen, besonders junge Menschen, reagieren.
Es gibt eine Menge Möglichkeiten, die ergriffen werden könnten. Aber das ist auf keinen Fall zwangsläufig.

Nehmen wir an, was wahrscheinlich geschehen wird. Trump ist extrem unvorhersehbar. Er weiß selbst nicht, was er plant. Aber was passieren könnte, ein Beispiel für ein mögliches Szenario: Viele Menschen, die für Trump gestimmt haben, Menschen aus der Arbeiterklasse, haben 2008 für Obama gestimmt. Sie wurden verführt von Slogans wie „Hope“ und „Change“. Sie haben weder Hoffnung noch Veränderung bekommen, sie wurden desillusioniert.

Dieses Mal haben sie für einen anderen Kandidaten gestimmt, der Hoffnung, Veränderung und eine ganze Reihe toller Sachen versprochen hat. Aber er wird sie nicht liefern. Also, was wird in ein paar Jahren geschehen, wenn er nicht geliefert hat und dieselbe Wählerschaft wieder desillusioniert ist?

Wahrscheinlich macht das herrschende System das, was es unter solchen Umständen für gewöhnlich macht. Unter den noch Verwundbaren einen Sündenbock suchen, um sagen zu können: „Ja, ihr habt nicht bekommen, was wir versprochen haben – und der Grund sind diese wertlosen Menschen, die Mexikaner, die Schwarzen, die syrischen Immigranten, die Sozialschmarotzer. Das sind diejenigen, die alles zerstören. Wir müssen sie verfolgen! Die Schwulen, das sind die Schuldigen!“

Das könnte passieren. Das ist in der Geschichte wieder und wieder passiert mit allen hässlichen Konsequenzen.

Ob sie Erfolg haben werden, liegt an der Art des Widerstands, den Menschen wie du dem entgegensetzen. Die Antwort auf die Frage liegt bei dir, nicht mir.

Veröffentlicht im Jacobin Mag und übersetzt von David Dannys.

 

Jochen

Das TTIP-Regime: Wie transatlantische Handelseliten die Welt dominieren

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Guter Übersichtsartikel mit vielen Verweisen aus: »Blätter« 10/2015, Seite 55-66
https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2015/oktober/das-ttip-regime

globepuppetvon Petra Pinzler

Heute vor gut 50 Jahren begann ein Prozess, von dessen Folgen damals noch niemand etwas ahnte. Ein Prozess, der die Handelspolitiker zu den Schlüsselfiguren des globalen Kapitalismus machen wird: die schleichende Ausweitung ihrer Kompetenzen.
Nach und nach eroberten sie sich immer neue Gestaltungsmacht – tief hinein in immer neue Bereiche der Gesellschaft.
Nach und nach gelang es ihnen, die eine Idee durchzusetzen: Handel ist gut, mehr Handel ist besser. Handel wird damit zum Ziel an sich.

Der amerikanische Linguist George Lakoff hat beschrieben, wie Sprache, wie eine bestimmte Bezeichnung für eine bestimmte Politik dafür sorgen kann, dass Menschen sie anders wahrnehmen. Schon in den 1960ern beginnt das in der Handelspolitik durch die Karriere einer Wortkombination.
Sie lautet: „nichttarifäre Handelshemmnisse“.
Zunächst nimmt diese Wortkombination über den engen Zirkel der Fachleute hinaus kaum ein Mensch wahr – und auch heute kennen viele Leute sie noch nicht.
Und doch ermöglicht sie einen anderen Blick auf die Politik und die Gesellschaft, einen Blick, den bewusst oder unbewusst immer größere Teile der Eliten übernehmen.

Ein nichttarifäres Handelshemmnis ist alles, was neben Zöllen den Export und Import behindert. Wenn beispielsweise Deutschland die Produktion von Stahl subventioniert, dann wird es für Südkorea schwerer, dieses Material hierher zu exportieren. Also sind Subventionen nichttarifäre Handelshemmnisse.
Wenn umgekehrt Südkorea nur Ventile erlaubt, die eine Norm erfüllen, welche nur die heimischen Hersteller produzieren, dann macht dies das Geschäft für deutsche Konkurrenten schwerer.
Doch unter den Begriff fällt noch viel mehr: Gesetze zum Schutz von Umwelt oder Arbeitnehmern, die Bevorzugung lokaler Unternehmen oder auch Regeln für den Umgang mit geistigem Eigentum.
Das alles in einen Begriff zu packen, folgt einer bestechend einfachen Logik: Wenn alles ein Hindernis ist, kann alles in Frage gestellt werden.
Man muss dann nicht mehr ausführlich erklären, warum man beispielsweise eine globale Ausschreibung für die Aufträge von Kommunen erzwingen will. Das ist dann eine logische Konsequenz.
Und so kann man mit ein wenig Phantasie den Markt in immer neue Bereiche der Gesellschaft vordringen lassen. Ist es nicht auch ein Handelshemmnis, wenn Hamburg sein Stromnetz wieder ins Eigentum der Stadt zurückholt?
Handelspolitik spiegelt immer auch den Zeitgeist: Liberalisierung und Privatisierung gelten bei vielen Regierungen ab Mitte der 1980er Jahre als das Patentrezept für Wachstum und Wohlstand.

Niemals zuvor oder danach haben Diplomaten gemeinsam so umfassend viele neue Regeln für den Welthandel gesetzt wie zwischen 1986 und 1994 in der sogenannten Uruguay-Runde. Sie verhandelten über insgesamt 15 Bereiche, Zölle waren nur noch ein kleiner unter vielen anderen.
Sie erfanden einen Streitschlichtungsmechanismus, Methoden, um die Subventionen für die Landwirtschaft und die Textilindustrie zu reduzieren, Regeln für Dienstleistungsmärkte. Sie beschlossen die Gründung der Welthandelsorganisation (WTO).
Sie versprachen sich gegenseitig, künftig noch mehr zu liberalisieren: die Finanzmärkte, die Telekommunikation, die Schifffahrt. Am Ende unterschrieben sie Abkommen, die bis heute wirken und sich hinter Abkürzungen wie GATS, TRIPS oder TRIMS verstecken.

Es sind die Jahre, in denen in den USA Ronald Reagan zum Präsidenten gewählt wird und die sogenannten Reagonomics durchsetzt. Der Republikaner propagiert die Reduzierung von Steuern, die Privatisierung bislang staatlicher Aufgaben und Unternehmen. Eben das ganze Instrumentarium des Neoliberalismus. Dazu gehört auch die Annahme: Wenn die Wirtschaft nur ordentlich von Regeln befreit wird und dann boomt, wird von dem Reichtum schon genug nach unten durchsickern.
„Unter den Tendenzen, die Wirtschaftswissenschaften schaden, ist die verführerischste und in meinen Augen auch giftigste die Beschäftigung mit Verteilungsfragen“, erklärt der Nobelpreisträger Robert Lucas Jr. von der University of Chicago, einer der einflussreichsten amerikanischen Ökonomen der vergangenen Jahrzehnte.

Solche Ideen machen Schule, zumal sie – zumindest anfänglich – Aufbruchsstimmung vermitteln und einen einfachen Weg weisen, um die massive Verschuldung der Staaten abzubauen. Denn es gibt in jenen Jahren ja tatsächlich ein Problem: Anfang der 1980er Jahre sind viele Industrieländer überschuldet und zugleich unnötig stark reguliert. Es ist die Zeit, in der es in Deutschland nur ein Telefon gibt: Es ist grau, hat eine Wählscheibe und darf nur von der Post installiert werden.
Da klingen die Botschaften der Neoliberalen verführerisch: Statt hoher Staatsausgaben lieber viel Privatinitiative. Statt unbeweglicher Bürokratien besser schnelle Unternehmer. Statt des Schutzes alter Privilegien viel Raum für neue Initiativen.

Der Durchmarsch der Eisernen Lady

Auch in Europa setzen sich diese Ideen durch. In Großbritannien regiert die Eiserne Lady Margaret Thatcher, die im großen Stil die Staatsbetriebe privatisiert, die Gewerkschaften bekämpft und die Finanzmärkte von staatlicher Aufsicht befreit. „Es gibt keine Alternative“, begründet sie ihre radikale Politik. Und ihren Kritikern, die das Auseinanderbrechen der Gesellschaft in Arm und Reich befürchten, hält sie trocken entgegen: „Es gibt keine Gesellschaft. Es gibt nur Männer, Frauen und Kinder.“

Heute, im Rückblick, weiß man, wie viel Sinnvolles die Schocktherapie von Thatcher und Reagan unnötigerweise zerstörte. Wie ihr Furor nötige Reformen ins Absurde steigerte. Die staatliche britische Bahn, die immer zu spät kam, funktioniert heute als privates Monopol auch nicht besser.
Überhaupt leidet Großbritannien noch Jahrzehnte später darunter, dass damals die industrielle Basis des Landes nicht, wie behauptet, durch eine Radikalkur befreit, sondern eher zerstört wurde und sich nie davon erholt hat. Neidisch schauen die Briten heute auf die deutschen Unternehmen. Und leben von den Geschäften, die in der Londoner City gemacht werden und damit an den Börsen der Welt.

Die 1980er und frühen 90er Jahre haben auch mentale Spuren hinterlassen. Sie veränderten das Denken der Eliten, verankerten den Glauben an die grundsätzlich Wohlstand steigernde Wirkung des Marktes tief im Bewusstsein.
Dies hat sicher damit zu tun, dass 1989/90 der „Eiserne Vorhang“ fiel und das real existierende Gegenmodell zum Kapitalismus endgültig diskreditiert war. Es liegt aber auch am gedanklichen Rahmen, den die neoliberalen Meinungsführer in jenen Jahren so erfolgreich verbreiten konnten.
Die Idee von der grundsätzlich Wohlstand steigernden Wirkung der „freien Märkte“ setzte sich in den Köpfen fest – ohne dass noch gefragt wurde, ob das tatsächlich stimmt und wessen Spielraum und Wohlstand das genau erhöht.

Nine Eleven ff.: Die Doha-Runde und ihr Scheitern

Gut zehn Jahre nach der globalen Zäsur von 1989 stellte sich die Lage dagegen völlig anders dar.
Im November 2001 auf dem Gipfel der Welthandelsorganisation (WTO) in Doha klang die Abschlusserklärung streckenweise so, als ob der Vertreter einer Dritte-Welt-Gruppe sie geschrieben hätte: „Die Mehrzahl der WTO-Mitglieder sind Entwicklungsländer. Wir wollen ihre Bedürfnisse und Interessen ins Zentrum des Arbeitsprogramms stellen. Wir erkennen an, dass alle Menschen von den Möglichkeiten und den Wohlfahrtsgewinnen des internationalen Handels profitieren müssen.“

Der Grund für diesen neuen Ton waren jedoch nicht die Argumente der inzwischen stark aufgekommenen Globalisierungskritiker. Es war vielmehr der 11. September 2001. Der Tag, an dem fundamentalistische Terroristen zwei Flugzeuge in das World Trade Center in New York lenkten. Der Terroranschlag verändert die Weltpolitik in vielerlei Hinsicht. Der Schock über dieses Attentat sitzt noch tief, als im Dezember die Konferenz in Doha stattfindet.

In jenen Tagen eint die Weltpolitiker nicht nur das Entsetzen, sondern auch eine völlig zutreffende Analyse: Wenn man den Zulauf zu den religiösen Fundamentalisten stoppen will, muss man den armen Ländern mehr Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Man muss die Perspektivlosigkeit bekämpfen und deswegen die Regeln des internationalen Handelssystems umformulieren.
Beispielsweise so, dass sich der Norden verpflichtet, die Subventionen für die eigenen Landwirtschaften zu kappen, damit sie nicht länger die Märkte des Südens zerstören. In Doha, so der erklärte Wille aller, solle eine Entwicklungsrunde beginnen.
Doch der Wille reicht nicht weit. Das liegt sicher daran, dass die Interessen der Länder immer unterschiedlicher werden. Brasilien teilt heute mit Niger nicht mehr Interessen als mit Belgien. Doch die Hauptverantwortlichen für das Scheitern der Doha-Runde sind die EU und vor allem die USA. Sie haben nicht die Kraft, ihre Privilegien wirklich aufzugeben und etwas Grundsätzliches zu ändern.

Jagdish Bhagwati von der New Yorker Columbia University, einer der weltweit berühmtesten und einflussreichsten Handelsexperten der Welt, klagt im Sommer 2015 in Berlin: Das Doha-Abkommen sei im Rückblick daran gescheitert, dass es in den USA niemand wollte, weder die Gewerkschaften noch die Umweltverbände, aber auch nicht die Wirtschaft. Für Letztere sei einfach zu wenig herausgesprungen.

Das neue Jahrtausend: Wir öffnen viele kleine Clubs

Am Ende des alten Jahrtausends also nichts Neues: Abkommen, die der Wirtschaft der reichen Länder nichts nutzen, werden nicht abgeschlossen. Bis heute ist Doha nicht fertigverhandelt.

Stattdessen erleben wir eine neue Entwicklung: Es gründen sich viele exklusive Clubs, mal aus zwei Ländern, mal aus einer Handvoll, mal schließt sich eine geographische Region zusammen, mal sind es weit entfernte Handelspartner.
Die Zahl der sogenannten bilateralen oder regionalen Handelsabkommen explodiert: Am 7. April 2015 zählt die Welthandelsorganisation sage und schreibe 612 regionale Handelsabkommen, davon sind 406 bereits in Kraft getreten. Inzwischen gibt es kaum noch ein Land der Erde ohne die Mitgliedschaft in einem solchen Club.

Die kanadische Politikwissenschaftlerin Noemi Gal-Or nennt das Welthandelssystem deswegen eine „Mehrfachhelix“. Man könnte auch sagen: Die Regierungen benehmen sich wie Katzen, die mit Wollfäden spielen. Sie schaffen ein kaum zu entwirrendes Knäuel.

Und wieder setzen die beiden großen Wirtschaftsmächte den Trend. In Washington und Brüssel hat man in den 1990er Jahren längst erkannt, dass sich manches viel leichter durchsetzen lässt, wenn nur ein großer Verhandler am Tisch sitzt und ein paar kleinen Ländern die Bedingungen diktieren kann. Die Großen können bei bilateralen Gesprächen Bedingungen formulieren, die in der WTO unvorstellbar wären: Vor allem die Amerikaner machen davon eifrigen Gebrauch. Politisches Wohlverhalten wird dabei verlangt.

Freihandelspartner, so sagte im Mai 2003 in einer Rede der ehrgeizige US-amerikanische Handelsrepräsentant Robert Zoellick, der später Weltbankpräsident wurde, müssten „als Minimum“ auch in Fragen der Außenpolitik und der nationalen Sicherheit kooperieren. Doch es geht auch um alle möglichen Regeln, die der eigenen Industrie nutzen.
In einem Abkommen mit Singapur, das noch zu Zeiten von George W. Bush verhandelt wurde, wird zum Beispiel die Öffnung des dortigen Marktes für amerikanische Finanzdienstleister vereinbart, dazu kommen der Schutz amerikanischer Investitionen und Urheberrechte sowie anderer typischer Brancheninteressen.
Sogar der Kaugummihersteller Wrigley hat es geschafft, die Regierung für sich einzuspannen. In Singapur ist der Import von Kaugummi nämlich in jener Zeit verboten. Natürlich ist das lächerlich, doch das ist für diese Geschichte nicht der springende Punkt. Interessant ist, wie sehr eine einzige Firma ihr Interesse zu dem eines ganzen Landes machen kann.

Von NAFTA zu CETA und TTIP: Der Wettlauf zwischen USA und EU

Das erste tiefgreifende regionale Abkommen der Amerikaner ist NAFTA (North American Free Trade Agreement), das 1994 die Wirtschaft der USA mit der Mexikos und Kanadas zusammenbindet. Europa ist zu jener Zeit mit der Erweiterung der EU beschäftigt, auch sie ist ja ein großes Liberalisierungsprogramm, allerdings flankiert durch Übergangsregeln und Hilfsprogramme. Doch die EU schließt auch Verträge mit fernen Ländern – in Asien, Afrika und Südamerika. Gleich eine ganze Reihe von European Partnership Agreements hat sie mit afrikanischen Regierungen in den vergangenen Jahren unterzeichnet und dabei immer wieder auch Exporterleichterungen für die mächtige europäische Agrarindustrie durchgesetzt, obwohl oft genug dokumentiert wurde, wie unsere subventionierten Billighühner oder unsere Milch die lokalen afrikanischen Bauern in den Ruin treiben.

Der ehemalige mexikanische Staatspräsident Ernesto Zedillo nennt den europäisch-amerikanischen Wettlauf um bilaterale Handelsabkommen eine „Strategie des Teilens und Herrschens“. Tatsächlich sind die EU und die USA mal globale Konkurrenten und mal Partner. Beide eint und trennt dasselbe Ziel: Sie wollen schneller als die anderen neue Märkte für ihre Unternehmen erschließen und deren Rechte ausbauen – jeweils ohne selbst zu viel dafür geben zu müssen. Dabei nutzen sie den jeweils anderen zugleich als Argument und Druckmittel.

Deswegen verhandeln die beiden Riesen auch heute weiter – und weiter. Einen „Dominoeffekt“ nannte das der Genfer Wirtschaftsprofessor Richard Baldwin. Derzeit sind sie im Gespräch mit den meisten südostasiatischen Staaten. Das große Projekt der USA heißt TPP (transpazifische Partnerschaft) und umfasst Australien, Brunei, Kanada, Chile, Japan, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur und Vietnam.

Die EU wiederum verhandelt jeweils getrennt mit einer Reihe dieser Länder, außerdem unter anderem mit China und Indien. Ein Abkommen mit Singapur ist fertig verhandelt, aber noch nicht von den Parlamenten abgesegnet, und auch das kanadisch-europäische Abkommen CETA ist fast fertig, hat aber von den Parlamenten ebenfalls noch kein grünes Licht erhalten.

Mit dem geplanten europäisch-amerikanischen Abkommen TTIP, über das seit 2013 verhandelt wird, wollen die USA und die EU nun den größten Wirtschaftsraum der Welt schaffen. Ohne die Abkommen CETA mit Kanada und TTIP mit den USA werde Europa von den boomenden asiatischen Ländern abgehängt, warnte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel im November 2014 im Bundestag: „Sind wir als Europäer draußen vor, dann ist das für eine Exportnation wie Deutschland eine mittlere Katastrophe.“ Dann seien Hunderttausende Arbeitsplätze in der Industrie gefährdet. Dies treffe nicht den öffentlichen Dienst oder Parlamentarier, sondern Facharbeiter und Angestellte. „Die werden das am Ende bezahlen müssen.“

Aber ist die Liberalisierung wirklich ein Wettlauf, bei dem den Letzten die Hunde beißen? Sigmar Gabriel findet das. Barack Obama auch. Die EU-Kommission ebenfalls. Und so spielen die Katzen weiter.

Die Welt der Zukunft: Alte Ideen in immer neuen Paragraphen

„Diese Verträge sind die Plage des Welthandelssystems“, findet dagegen Jagdish Bhagwati. Durch die Vielzahl an Abkommen entstehe ein unüberschaubarer Wust an Regeln, die am Ende den Handel nicht erleichtern, sondern erschweren werden. Weil sich die komplizierten Regeln gegenseitig ausschließen. Tatsächlich hat allein das geplante CETA-Abkommen zwischen Kanada und der EU 1634 Seiten.

Trotz der neuen Vielfalt ist eines auffällig: Immer wieder tauchen ähnliche Ideen in veränderter Form in unterschiedlichen Verträgen auf – selbst wenn sie zuvor anderswo von Volksvertretern abgelehnt wurden. „Was sie bei der WTO nicht geschafft haben, das versuchen sie jetzt bilateral – und durch die Globalisierung eines Rechtssystems, das vor allem ihnen nutzt“, sagt Melinda St. Louis. Mit „sie“ meint die Handelsexpertin der Bürgerrechtsorganisation Public Citizen die exportstarken Multis und die Branchen, die weltweit Geschäfte machen und ihre Rechte entsprechend abgesichert sehen wollen.

„Der Erfolg unseres Protestes macht uns heute Probleme“, stellt St. Louis fest. Tatsächlich war es für die Antiglobalisierungsbewegung vergleichsweise leicht, die Runden der WTO ins Visier zu nehmen und den Einfluss der Lobbys zu enttarnen. Die bilateralen Abkommen, die hingegen heute von Regierungen in ganz unterschiedlichen Hauptstädten mit ganz verschiedenen Partnern verhandelt werden, lassen sich dagegen viel schwerer verfolgen.
Die Handelspolitik wird so zu einer Art Wettlauf mit unfairen Mitteln: Erfahren die Kritiker früh genug vom Inhalt eines geplanten Abkommens und organisieren sie dann eine Kampagne, um vor der Einschränkung der demokratischen Rechte oder sozialen Errungenschaften zu warnen, so kann das Abkommen scheitern. Doch im Stillen plant die Handelselite dann einfach das nächste Abkommen. Oder konkret: Während die Proteste über das europäisch-amerikanische Abkommen TTIP langsam Wirkung zeigen, verhandelt die EU-Kommission in unserem Namen still und leise in Genf über TISA. Das soll die Dienstleistungsmärkte in Europa, den USA, Japan und 21 weiteren Ländern öffnen. Die Handelspartner können das, weil die Kritiker meist defensiv agieren. Zu viel mehr haben sie weder Zeit noch Energie oder Mittel. Sie bekämpfen konkrete Projekte: TTIP, TTP, CETA und wie die Verträge sonst noch heißen. Manchmal gewinnen sie sogar. Die Frage ist nur, wie lange und wie oft das künftig so sein wird.

Der Kampf um TTIP und CETA

Immerhin: Das Ende der Geschichte ist offen – jedenfalls was TTIP und CETA anbelangt. Zum Glück hat der Protest die Stimmung im Lande mehr und mehr gedreht. Selbst das anfangs so euphorische Wirtschaftsministerium behauptet jetzt nur noch: „Die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft ist ein außergewöhnliches gemeinsames Projekt, das erhebliche Wachstums- und Beschäftigungseffekte erzielen kann. TTIP wird der EU und den USA neuen Schwung für Wirtschaft und Arbeitsmarkt bringen.“

Auf der Webseite der EU-Kommission heißt es, dass eine „unabhängige Studie und frühere Handelsabkommen nahelegen, dass TTIP für Jobs und Wachstum sorgen“ werde. Statt der Zahlen werden jetzt nette Geschichten erzählt wie die von Claus Olson, dem Marketingchef, und seinen dänischen Mette-Munk-Bäckereien. Die müssen sechs Prozent Zoll bezahlen, wenn sie in die USA exportieren wollen. Denen könne TTIP sehr nutzen und so mehr Jobs schaffen, so die Kommission. Möglich ist das.
Es könnten aber auch Jobs verloren gehen. Nur wo? Darüber steht kein Wort auf der Webseite.

Welche Branche durch TTIP einen Nutzen hat und welche nicht, welche Arbeitnehmer vielleicht ihren Job loswerden könnten – solche Fragen werden von den TTIP-Befürwortern weiter ignoriert. Die Kritiker, die das fragen, gelten in Brüssel als altbackene Protektionisten.
Dabei bedeutet so eine Untersuchung ja nicht, dass deswegen gleich das Projekt fallen muss. Sie würde aber ermöglichen, die Verlierer schon früh zu finden – und über mögliche Alternativen für sie nachzudenken.

Aber haben Sie die EU-Kommission oder die Bundesregierung schon einmal über mögliche Verlierer von TTIP reden hören? Statt auf eine ernsthafte Debatte einzugehen, erzählt Brüssel lieber Geschichten über Bäckereien. Denis Novy, Associate Professor of Economics an der University of Warwick, ist einer der wenigen, die vorsichtige Aussagen über negative Effekte wagen: „Es wird unzweifelhaft auch Verlierer geben. Beispielsweise wird die Landwirtschaft im Mittelmeerraum schrumpfen.“
Klar, wenn die amerikanische Agroindustrie wirklich massiv auf den europäischen Markt drängt, wird das den Südeuropäern zu schaffen machen. Ausgerechnet die europäischen Länder, die schon von der Eurokrise hart getroffen wurden, könnten durch TTIP dann noch einmal verlieren.

Na und, könnte man als zynischer Deutscher womöglich dazu sagen, solange wir gewinnen. Aber kann es uns wirklich kalt lassen, wenn ein politisches Projekt die Unterschiede in Europa noch weiter verstärkt?

Es gibt zudem noch ein verstecktes Problem. TTIP wird – wie andere bilaterale Abkommen zuvor – Warenströme massiv umlenken. Genau das ist ja das Ziel.
Die Grenzen zwischen den USA und der EU sollen fallen, automatisch werden die Außengrenzen damit vergleichsweise undurchlässiger. Oder konkret: Durch TTIP können wahrscheinlich deutsche Scheibenwischer leichter in die USA exportiert werden und amerikanische Mixer leichter hierher.
Das aber wird Folgen für den Rest der Welt haben. Es könnte nicht nur der Import aus anderen Regionen schwieriger werden – durch neue, komplizierte transatlantische Regeln. Sondern auch der Export dorthin.

In China beispielsweise wird TTIP sehr klar als ein Plan verstanden, der das Land ökonomisch ausgrenzen soll. In Brasilien wird das ähnlich gesehen. Noch wehren sich die dortigen Regierungen nicht aktiv. Aber das muss nicht so bleiben, zumal das ökonomische und damit auch das politische Gewicht jener Regionen in den kommenden Jahrzehnten eindeutig wachsen wird.

„Es herrscht Angst draußen, was TTIP bedeutet“, sagt Arancha González vom International Trade Center (ITC). Das Center unterstützt Entwicklungsländer dabei, fit für den Weltmarkt zu werden. González kennt viele Firmenchefs aus Afrika, Asien oder Lateinamerika und weiß daher: Gerade in kleineren Ländern fürchten Unternehmer, von dem großen Markt ausgeschlossen zu werden, auch, weil die neuen Regeln ohne sie geschrieben werden.
Sie sorgen sich, dass die Grenzen der neuen Handelszonen gerade für höherwertige Produkte schwerer überwindbar werden. Der Grund ist die komplizierte Rechtslage, die durch TTIP für all die entstehen wird, die nicht dazugehören.

„Freihandelszonen funktionieren nur, wenn die Herkunft von Produkten klar dokumentiert wird“, stellt Heribert Dieter von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin fest. Denn das sei ja ihr Sinn: Die Produkte, die in der Zone hergestellt werden, sollen frei verkauft werden. Die von draußen gerade nicht, für die muss ein Importzoll bezahlt werden. Also muss man sicher sein, wo etwas herkommt. Je komplexer jedoch ein Produkt wird, je mehr Vorprodukte unterschiedlicher Herkunft darin stecken, so Dieter, desto schwieriger wird diese Dokumentation – und umso teurer.

Was soll beispielsweise ein spanischer Textilunternehmer tun, der Baumwollstoff aus Kenia importiert und den fertigen Rock in die USA exportieren will? Er müsste genau dokumentieren, wo das Vorprodukt herkommt und wie viel Wert durch das Zusammennähen hinzugekommen ist. Wie viel das sein muss, damit der Rock als „europäisch“ gilt und deswegen zollfrei nach Amerika verschifft werden darf, bestimmen die sogenannten Ursprungsregeln. Gut möglich, dass dem Produzenten die Bürokratie zu aufwendig ist – und er die Baumwolle dann lieber bei amerikanischen Farmen kauft. Die haben ja auch billige Angebote, weil sie hoch subventioniert werden. Der Afrikaner hätte dann das Nachsehen.

Durch das NAFTA-Abkommen ist genau so etwas passiert: In den NAFTA-Ländern, also in den USA, in Mexiko und in Kanada, dürfen zollfrei nur Baumwollprodukte verkauft werden, deren Rohstoff aus US-amerikanischer Quelle stammt. „Wenn die USA und die EU nicht wollen, dass TTIP dem ärmsten Kontinent schadet, dann sollten sie sich vor den eigentlichen Verhandlungen damit beschäftigen und nicht erst später als einem von vielen Themen“, fordert deswegen schon lange die Niederländerin Eveline Herfken, die einst als Entwicklungsministerin und danach als stellvertretende Generalsekretärin der UN und Beraterin von Kofi Annan gearbeitet hat. Erfolglos.

Afrika als Kollateralgeschädigter

Im Mai 2015, auf dem G7-Treffen in Elmau, bekräftigen die G 7-Regierungschefs zwar wieder einmal, dass sie den Handel für die armen Länder erleichtern wollen – indem sie das „Trade Facilitation Agreement“ umsetzen. Es soll jenen helfen, die Einfuhrhindernisse der großen Märkte besser zu bewältigen. Doch das sind leere Worte.

„Kaum jemand hat sich in Deutschland wirklich darum gekümmert, welche Bedingungen die EU den afrikanischen Ländern in den vergangenen Jahrzehnten diktiert hat“, klagt Uwe Kekeritz, Abgeordneter der Grünen im Bundestag und einer der wenigen Politiker, die sich um Handel und Entwicklung kümmern. Er weiß, dass die Handelspolitiker und Unternehmer die Entwicklungsländer meist als Absatzmärkte sehen und deren Bedürfnisse so meist aus dem Blick geraten.
Auch weil die Öffentlichkeit kaum je etwas anderes von ihnen verlangt: Als die EU in den vergangenen Jahren beispielsweise eine ganze Reihe von Abkommen mit afrikanischen Staaten verhandelt hat, regte das niemanden auf.[1]
Kekeritz fürchtet, dass das bei TTIP ähnlich ist. Bisher hat ihn noch niemand vom Gegenteil überzeugen können.

Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph E. Stiglitz fordert aus dem gleichen Grund, dass alle neuen Handelsabkommen zunächst die Länder des Nordens für die Produkte aus dem Süden öffnen müssen. Was für ein frommer Wunsch! Man kann sich kaum ein Projekt vorstellen, das davon weiter entfernt ist als TTIP.

Können wir uns, die Tiere und die Umwelt überhaupt noch schützen?

Eine Frage schließlich ist bisher komplett unbeantwortet: Wie sollen Politiker in einem durch TTIP veränderten System künftig überhaupt mehr Schutz durchsetzen können? Denn darum geht es schließlich bei Standards: um Schutz.
Seit langem fordern Umweltgruppen beispielsweise im Bereich der Pestizide oder auch der Umwelthormone strengere Regeln. Sollte die EU sie dann durchsetzen, würden die Produzenten einfach rufen: Achtung, Amerika! Und dort produzieren. Für den transatlantischen Marktplatz.

Besonders spüren würde das die Landwirtschaft. Es würde die Chance endgültig ruinieren, sie doch noch einmal anders, umweltfreundlicher zu gestalten.
Bisher existiert in Europa der „Farm-to-Fork“-Ansatz. Diese Idee ist ein fester Bestandteil der EU-Gesetzgebung, nach ihr arbeiten Behörden. Sie bedeutet, dass vom Bauernhof bis hin zur Gabel des Verbrauchers die gesamte Lieferkette hygienisch und ungefährlich sein muss. Nirgendwo sollte ein großes Risiko lauern. Eine Gefahr, wenn sie doch eintritt, soll so früh wie möglich erkannt und bekämpft werden können. Lebensmittel, so die Idee, sind so in jedem Zustand sicher. Auch deswegen reicht es in Europa beispielsweise nicht, die Hühner nur kurz vor dem Verkauf durch ein Chlorbad von Salmonellen zu befreien, die sie sich in dreckigen, überfüllten Massenställen geholt haben.

Man kann sicher darüber streiten, ob das europäische Verfahren der Hühnerzucht so viel besser ist als das amerikanische. Wirtschaftsminister Gabriel spottet gern über die Sorgen, die die Deutschen wegen des Chlorhühnchens haben. Er sagt dann, dass es auch nicht viel gesünder sei, europäische Hühner zu essen, die mit Antibiotika gefüttert wurden. Da hat er wahrscheinlich recht. Auch hätte er damit recht, wenn er sagte, dass auch hierzulande Tiere in riesigen, unhygienischen Ställen großgezogen werden. Damit die einigermaßen gesund bleiben, bekommen sie nämlich die Antibiotika ins Futter, die später im Fleisch nachweisbar sind.[2]

Dennoch unterscheidet sich die europäische Idee grundsätzlich von der amerikanischen: Hier muss nicht nur das Endprodukt gesund sein. „Wenn Hühner wie in den USA zur Desinfizierung beim Schlachten durch ein Chlorbad gezogen würden, ist der Anreiz für hohe Hygienestandards in Ställen gering“, warnt Deutschlands oberster Verbraucherschützer Klaus Müller.

Und in der Tat: Den Konsumenten und damit die Politiker und die Behörden betrifft es auch, wie gesunde Lebensmittel produziert werden. Anders gesagt: Wir dürfen fordern, dass es dem Huhn halbwegs gut geht. Denn genau solche Ideen sorgen dafür, dass die Regeln für die Produktion strenger werden, die Ställe größer und der Einsatz von Antibiotika vielleicht irgendwann sinkt. Nur deshalb wurde die Käfighaltung verboten.[3]

Solche Wünsche kosten aber Geld. Sie machen die Hühnerzucht tendenziell teurer und die Hühnerschenkel in den Supermarktregalen auch. Sollten künftig, dank der Handelsabkommen, doch amerikanische Hühnchen hier verkauft werden, wächst die Konkurrenz. Das wiederum schafft Druck auf die hiesigen Bauern, noch billiger zu produzieren oder eben die Landwirtschaft aufzugeben, weil sie den Preiskrieg nicht führen können. TTIP würde so, quasi als unbeabsichtigte Nebenwirkung, die Standards senken.

Ein fairer Handel ist möglich

Dabei gibt es längst konkrete Alternativen. Vier Jahre lang haben mehr als 50 Organisationen an ihrem Alternativen Handelsmandat gearbeitet. Mit dabei waren Attac, Menschenrechtsgruppen, große entwicklungspolitische Organisationen wie Misereor und Oxfam, Umweltorganisationen und der Kleinbauernverband Via Campesina. Organisationen aus dem Süden haben mitgemacht und von den Auswirkungen der EU-Handelspolitik auf die armen Länder berichtet. Am Ende entstand ein Papier, in dem neben wolkigen Wünschen für eine bessere Welt durchaus handfeste und realitätsnahe Vorschläge zu lesen sind.
Beispielsweise, dass über alle Verhandlungen vorher informiert wird, dass Abkommen kündbar sein müssen, dass sie zu UN-Konventionen passen müssen.

Das klingt banal. Aber schon diese drei Forderungen umzusetzen, wäre ein riesiger Schritt. Denn sie betreffen den Kern der Probleme. In den vergangenen Jahren sind Handelspolitiker nicht nur immer weiter in wichtige gesellschaftspolitische Bereiche vorgedrungen. Ebenso gefährlich ist ja, dass sie ein eigenes, global wirksames Recht entwickelt haben, und zwar nicht nur durch die Schiedsgerichte. Sie haben das gesamte Handelsrecht losgelöst von anderen völkerrechtlichen Regeln weiterentwickelt: von den Menschenrechtskonventionen oder denen zum Schutz der Umwelt. Der Göttinger Völkerrechtler Peter-Tobias Stoll nennt das den „Autismus des Handelsrechtes“.

Die Folgen sind absurd. Im Moment belohnt das globale Handelssystem die Zerstörung der Natur und des Menschen. Die Beschränkung des Warenverkehrs wird von der WTO in Genf bestraft, Regierungen müssen dafür zahlen.
Werden aber bei der Produktion die Umwelt verdreckt oder die Arbeiter misshandelt, dann spielt das keine Rolle. Schlimmer noch: Das Handelsrecht verhindert sogar, dass die Importländer dieser Waren sich gegen so etwas wehren.
„Das ist nicht mehr zeitgemäß“, sagt Michael Windfuhr vom Deutschen Institut für Menschenrechte. Längst habe die UN andere Konventionen verabschiedet. Handelsregeln müssten mit denen mehr verzahnt werden. Damit sie den Kampf gegen die Verletzung von Menschenrechten stärken, nicht schwächen. Nötig wäre, das komplett veraltete internationale Handelsrecht zu entstauben.

Das könnte schon mit dem nächsten Abkommen beginnen, denn es existieren dafür sehr konkrete Ideen. Die EU-Kommission müsste sie nur aufgreifen und genauso selbstbewusst vortragen wie die USA ihre Anliegen. Denn es gibt Vorschläge, wie die Regeln, nach denen bei der WTO geurteilt wird, reformiert werden könnten. Vorschläge, wie auch die globalen Unternehmen mehr zur Verantwortung gezogen werden könnten.

Denn auch das ist ein großes Problem: Bisher reden alle immer über die Verantwortung der Staaten. Was aber ist mit den Konzernen, die die globalen Lieferketten organisieren? Auch sie könnte man verpflichten, beispielsweise bei ihren Zulieferern aus anderen Ländern darauf zu achten, dass die mit ihren Mitarbeitern fair umgehen.

Alternative TTIP light

Noch fehlt es aber auch hier am politischen Willen in Brüssel und in Washington. Dabei könnte TTIP vergleichsweise leicht zum Modellvertrag werden, denn beiden Partnern sollte es nicht schwerfallen, ein paar dieser Ideen zu unterschreiben, zumindest wenn sie ihre eigenen Worte und Werte ernst nehmen. Dadurch, dass sie beispielsweise die Rechte von Arbeitnehmern garantieren, würden sie nicht nur in ihren eigenen Gesellschaften wieder an Zustimmung gewinnen. Sie könnten ganz leicht auch weltweit Zeichen setzen und zeigen, dass sie nicht für die Globalisierung von privatem Schiedsrecht zugunsten weniger Investoren kämpfen, sondern für die Globalisierung der Menschenrechte, des Umweltschutzes.

Europa und die USA sollten ganz schnell ein TTIP light verabschieden, lautet ein ganz konkreter Reformvorschlag: Sie könnten ein paar Zölle streichen, ein paar unumstrittene Regeln angleichen, und fertig ist das Ganze – erst einmal. Unter anderem haben das Sebastian Dullien, Joseph Jannig und Adriana Garcia vom ECFR vorgeschlagen.
Noch besser wäre, wenn sich auch noch ein gemeinsamer Umweltstandard entwickeln ließe, der nicht zu weniger, sondern zu mehr Schutz führt – beispielsweise des Klimas. Danach wäre dann Zeit, grundsätzlicher über die Handelspolitik nachzudenken und zu diskutieren, wie sie umweltfreundlicher und menschengerechter werden kann. Wie Europa auch in diesem Feld erst nehmen kann, wozu es sich selbst in seinen Verträgen verpflichtet hat und was seine Bürger wollen: ein Wirtschaftsmodell zu schaffen, das Menschen und Natur nicht schadet, sondern nutzt.

Doch solche Ideen finden in Brüssel und Berlin wenig Anhänger. Zu viele Leute haben schon zu viel ihres persönlichen Ansehens mit einem Erfolg von TTIP verbunden. Sie haben das Projekt deswegen immer mehr überfrachtet, als eine Art Heilsbringer, nun muss es zu viele Bedingungen gleichzeitig erfüllen. Es soll nun schnell zu Ende gebracht werden, Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama haben das auf dem G 7-Gipfel in Elmau wieder gefordert. Es soll so ambitioniert sein wie kein Abkommen zuvor – also mehr Bereiche des jeweils anderen Marktes öffnen denn je. Es soll Werte transportieren. Der Wirtschaft nutzen. Die Bevölkerung nicht zu sehr beunruhigen. Die Exporte steigern, aber der Umwelt nicht schaden. Etwas Besseres werden, als es andere Länder der Welt zustande gebracht haben, diese aber nicht ausschließen. Und es soll von den Parlamenten verabschiedet werden.

Das ist wie die Quadratur des Kreises. Wie die Maut, nur viel gefährlicher. Vielleicht muss also doch erst noch ein Abkommen scheitern und noch eines, damit dann ganz neu angefangen werden kann.

Fest steht: Die gesamte Welthandelspolitik gehört neu geordnet, sie muss den Wirtschaftspolitikern weggenommen werden – bevor die in den nächsten Verträgen festschreiben, was niemand mehr rückgängig machen kann. Denn das ist wohl die größte Gefahr aller Handelsabkommen: Hat die EU sie erst einmal abgeschlossen, können sie quasi nicht mehr gekündigt werden. Sie sind dann geltendes Völkerrecht – und hinter das kann keine deutsche Regierung zurück.


[1] Vgl. dazu Sarah Lempp, Hunger durch Handel. Die EU-Wirtschaftspolitik und ihre Folgen für Westafrika, in: „Blätter“, 2/2014, S. 73-80. (D. Red.)

[2] Vgl. dazu Annett Mängel und Maria Rossbauer, Riskante Resistenzen: Die Antibiotikakrise, in: „Blätter“, 1/2015, S. 17-20. – D. Red.

[3] Beim europäisch-amerikanischen Streit über das Rindfleisch herrscht immer noch Waffenstillstand. 2009 waren beide Seiten die Sache erst einmal leid, die Anwälte hatten sich müde gekämpft, und es war allen Beteiligten klar: Nachgeben würde niemand. Also einigte man sich darauf, dass die EU eine Einfuhr von einer bestimmten Menge garantiert hormonfreiem Rindfleisch erlauben würde. 2014 lag die Quote dafür bei 48 200 Tonnen. Die USA reduzierten im Gegenzug die Strafzölle.