Seit Jahrzehnten viel diskutiert, nun offiziell: Grüner Wasserstoff als Energieträger – Die Geoökonomie des Wasserstoffs

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Hydrierkammer_1939

Hydrierkammer im Werk Tröglitz/Zeitz 1939

In den 1940er Jahren war die deutsche Industrie auf diesem Gebiet weltweit führend, konnte Benzin aus Kohle herstellen. Das geht natürlich bei entsprechendem Aufwand auch mit CO2.
Voraussetzung ist genügend umweltfreundlich erzeugter Strom und eine internationale Vernetzung, auch zum Wohl der Entwicklungsländer, deren Bevölkerung auch daran teilhaben sollte. Ob das allerdings im Sinne der Branchenriesen RWE und KruppThyssen ist, darf bezweifelt werden.
Hier 2 nun aktuelle Artikel zu dem Thema:

A. Die Geoökonomie des Wasserstoffs

EU bereitet Gründung einer „Europäischen Wasserstoffallianz“ vor. Berlin will in der Branche „globale Nummer 1“ werden.

german foreign policy logo

https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8328/
BERLIN/BRÜSSEL (Eigener Bericht) – Mit der Gründung einer „Europäischen Wasserstoffallianz“ am heutigen Mittwoch will die EU-Kommission europäische Unternehmen als führende Kräfte in der globalen Nutzung von Wasserstoff als Energieträger positionieren. Offizielles Ziel ist es, die Dekarbonisierung von Verkehr und Industrie voranzutreiben.

Dazu sollen Bereiche für regenerative Energien erschlossen werden, die diesen bislang verschlossen waren – so etwa der Antrieb von Schiffen oder das Befeuern von Hochöfen.
Als Mittel dazu gilt Wasserstoff, der aus erneuerbaren Quellen gewonnene Energie aufnehmen und jederzeit wieder abgeben kann. RWE kooperiert schon mit ThyssenKrupp bei der Herstellung klimaneutralen Stahls mit Hilfe von Wasserstoff.
Weil in Deutschland nicht genug erneuerbare Energie gewonnen werden kann, ist die Nutzung von Wind- und Solarkraft etwa aus Nordafrika geplant; mit Marokko besteht bereits ein Abkommen.
Auch die Bundesregierung strebt in der noch jungen Wasserstoffbranche eine globale Führungsposition an, gerät dabei allerdings in scharfe Konkurrenz vor allem zu Japan und China.

Ein neuer Energieträger

Kernziel der geplanten Nutzung von Wasserstoff als Energieträger ist es, Bereiche für erneuerbare Energien zu öffnen, die diesen bislang noch verschlossen sind: etwa den Antrieb von Flugzeugen und von Schiffen sowie bestimmte Tätigkeiten in der Industrie.
Wasserstoff hat die Eigenschaft, Energie speichern und bei Bedarf wieder freisetzen zu können, etwa mit Brennstoffzellen, wie sie schon heute manche U-Boote in Bewegung setzen. Herstellen lässt er sich, indem man mit Wind- oder Sonnenkraft Strom erzeugt und diesen nutzt, um per Elektrolyse Wasser in seine Bestandteile zu zerlegen – in Sauer- und eben in Wasserstoff.
Mit sogenanntem grünem Wasserstoff kann man dann mit Hilfe von Brennstoffzellen Autos und Schiffe antreiben oder Hochöfen befeuern. Ein Pilotprojekt treiben in Deutschland derzeit RWE und ThyssenKrupp voran: RWE will durch Elektrolyse aus erneuerbaren Energien Wasserstoff produzieren und ihn an das ThyssenKrupp-Stahlwerk in Duisburg liefern, wo er als Ersatz für die Einblaskohle dienen soll.[1]
Damit könne man bis zu 50.000 Tonnen klimaneutralen Stahl herstellen, heißt es. Die Bundesregierung will die Nutzung von Wasserstoff entschlossen vorantreiben; am 10. Juni hat sie eigens eine nationale Wasserstoffstrategie verabschiedet. Gefördert werden soll sie mit Milliardenbeträgen.

Wasserstoff aus der Sahara

Eine grundlegende Schwierigkeit für Berlin liegt darin, dass der Erzeugung erneuerbarer Energien in Deutschland selbst Grenzen gesetzt sind.
Das führt zum einen dazu, dass zumindest übergangsweise „blauer“ oder gar „grauer“ Wasserstoff genutzt werden muss; er wird aus Erdgas gewonnen, wobei Kohlendioxid entsteht und entweder freigesetzt („grauer“ Wasserstoff) oder gebunden und langfristig gelagert wird („blauer“ Wasserstoff).
Soll die Nutzung von Wasserstoff einen signifikanten Beitrag zur Dekarbonisierung leisten, ist „grüner“ Wasserstoff prinzipiell unverzichtbar. Dieser wird freilich auch auf lange Sicht lediglich zum Teil in der Bundesrepublik gewonnen werden können. Die Bundesregierung setzt daher auf umfassende Importe – und hat als Lieferanten Länder etwa in den Wüstengebieten Nordafrikas im Blick.
So hat Berlin schon am 29. November 2019 ein „Reformabkommen“ mit Marokko unterzeichnet, das unter anderem eine Kooperation bei der Produktion „grünen“ Wasserstoffs vorsieht.[2]
Weitere Liefervereinbarungen werden angestrebt; von „grünem Wasserstoff aus der Sahara“ ist immer häufiger die Rede.[3]

DesertecDesertec

Im Grundsatz ist der Plan nicht neu. Bereits die am 30. Oktober 2009 unter Beteiligung führender deutscher Konzerne (E.ON, RWE, Deutsche Bank) gegründete Desertec Industrial Initiative (Dii) zielte darauf ab, Wind- und Sonnenenergie in Nordafrika zu gewinnen und sie in die EU zu leiten; dies sollte freilich per Gleichstromleitung durch das Mittelmeer geschehen. Man werde bis 2050 womöglich gut 15 Prozent des EU-Energiebedarfs auf diesem Wege decken können, hieß es; von einem Gesamtinvestitionsvolumen von 400 Milliarden Euro war die Rede.[4]
Strategen planten bereits, die Dii zusätzlich zu ihrem ursprünglichen energiepolitischen Zweck auch zu nutzen, um eine enge politische Anbindung der nordafrikanischen Wind- und Sonnenenergielieferanten an die EU zu erreichen. Das ehrgeizige Vorhaben stieß jedoch rasch auf Widerstände aller Art. So waren die Lieferanten in spe nicht begeistert von dem deutschen Ansinnen, ihren Strom nach Europa verkaufen zu sollen, während sie selbst an Strommangel litten; der Unmut über neue neokoloniale Abhängigkeit von den europäischen Hauptmächten kam hinzu.
Die arabischen Unruhen von 2011 sowie der Libyenkrieg verkomplizierten die Lage weiter; nach und nach sprangen maßgebliche Konzerne ab, bis sich die Dii 2014 in eine kleinere Dienstleistungsfirma transformierte.[5]
An das Vorhaben, erneuerbare Energie aus Nordafrika nach Europa zu leiten, knüpft Berlin nun mit der neuen Wasserstoffstrategie an.

„Nummer 1 in der Welt“

Dabei legt die Bundesregierung ehrgeizige Ziele vor. Mit Blick auf die umfassende, überaus vielfältige Wertschöpfungskette, die die Produktion und die Nutzung von Wasserstoff bieten, hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier schon im Oktober 2019 gefordert, Deutschland solle „bei Wasserstofftechnologien die Nummer 1 in der Welt“ werden.[6]
„Deutsche Forschung und Unternehmen gehören zur Weltspitze bei Wasserstofftechnologien“, heißt es im Bundesministerium für Bildung und Forschung; es gebe durchaus „die einmalige Chance, mit unserem Know-How zum Ausstatter einer globalen Energiewende zu werden“.[7]
Die Bundesregierung hat entsprechend die in Entwicklung befindlichen Wasserstofftechnologien zur „Wertschöpfungskette von strategischem Interesse“ erklärt – in Kooperation mit der EU. Die Union hat nun angekündigt, am heutigen Mittwoch eine „Europäische Wasserstoffallianz“ zu gründen, die die Nutzung von Wasserstoff auf EU-Ebene vorantreiben soll. Der Führung der neuen Allianz sollen Konzerne wie Shell, Gasunie (Niederlande), SNAM (Italien) EDF (Frankreich) oder Daimler angehören.[8]
Es geht um lukrative Profite: Die gesamte EU-Wasserstoffbranche könne bis 2050 ein Volumen von 800 Milliarden Euro erreichen, ist zu hören.

Globale Konkurrenz

Dabei ist die Konkurrenz in der Branche schon jetzt scharf. Japan etwa, das – im Gegensatz zur Bundesrepublik – auch auf wasserstoffbetriebene Pkw setzt, hat bereits im Jahr 2017 eine nationale Wasserstoffstrategie beschlossen und strebt es Beobachtern zufolge an, im Weltmaßstab die führende „Wasserstoffmacht“ zu werden.[9] Als Lieferanten „grünen“ Wasserstoffs hat es nicht Nordafrika, sondern Australien im Blick. Deutschlands härtester Konkurrent könne freilich, erklärt die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), China werden. Die Volksrepublik setzt in ihrer Industriestrategie „Made in China 2025″ ebenfalls auf die Nutzung von Wasserstoff; sie wird, so heißt es bei der SWP, energisch versuchen, ihre „Technologie- und Innovationsführerschaft voranzutreiben“.[10]
Darüber hinaus sei damit zu rechnen, dass „grüner“ Wasserstoff beim Ausbau der Neuen Seidenstraße einen bedeutenden Stellenwert einnehmen werde. Mit Blick auf die klar zunehmende globale Rivalität spricht die SWP von einer „Geoökonomie des Wasserstoffs“.

[1] Thyssen-Krupp und RWE schmieden Wasserstoff-Bündnis. handelsblatt.com 10.06.2020.

[2] Marokko und Deutschland unterzeichnen „Reformpartnerschaft“. marokko.ahk.de 02.12.2019.

[3] Kathrin Witsch: Desertec: Der Traum von der globalen Energiewende lebt weiter. handelsblatt.com 13.07.2019.

[4] S. dazu Kampf um den Wüstenstrom.

[5] S. dazu Ein gescheitertes Schlüsselprojekt.

[6] Altmaier: „Deutschland soll bei Wasserstofftechnologien Nummer 1 in der Welt werden“. bmwi.de 09.10.2019.

[7] Nationale Wasserstoffstrategie. bmbf.de.

[8] Frédéric Simon: LEAK: ‚European Hydrogen Alliance‘ ready for take-off. euractiv.com 06.07.2020.

[9] Martin Kölling: Japan will die Wasserstoffmacht der Welt werden. nzz.ch 27.09.2019.

[10] Kirsten Westphal, Susanne Dröge, Oliver Geden: Die internationalen Dimensionen deutscher Wasserstoffpolitik. SWP-Aktuell 37. Berlin, Mai 2020.

B.Timm Koch: Wasserstoffgedanke bedeutet die Zukunft

https://www.nachdenkseiten.de/?p=62796

In Industrie und Gesellschaft spricht sich allmählich herum, dass der Wasserstoffgedanke die Zukunft bedeutet.“ Das sagt Timm Koch, der sich mit dem „Super-Molekül“ Wasserstoff auseinandersetzt.
Der Autor beobachtet die aktuellen Vorstöße der Bundesrepublik in Sachen Wasserstoff genau und sieht Licht und Schatten. Die Bundesregierung habe ein gutes Ausgangspapier, das allerdings Schwächen aufweise. Ein Interview über die neuesten politischen Entwicklungen zum Thema Wasserstoff und die Möglichkeiten, diese Technologie weiter voranzutreiben. Von Marcus Klöckner.

„Deutschland wird dabei eine Vorreiterrolle einnehmen, wie wir es vor 20 Jahren bereits mit der Förderung der erneuerbaren Energien getan haben.“ Die Aussage stammt von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, es geht um die Wasserstofftechnologie. Herr Koch, was halten Sie von dem Vorstoß der Bundesregierung?

Bei der Förderung der erneuerbaren Energien läuft einiges schief. Hier wird der Preis für Ökostrom künstlich hochgehalten, während gleichzeitig unser Ausstieg aus der dreckigen Kohleverstromung bis ans Ende des nächsten Jahrzehnts verschoben wird. Da würde ich mich an Stelle des Ministers nicht so auf die Brust schlagen.
An der Wasserstoffstrategie der Bundesregierung stört mich das Wort „National“. Das bekommen wir in letzter Zeit viel zu häufig zu hören. Abgesehen davon halte ich das Papier für durchaus ambitioniert. Zudem wird es flankiert von der Norddeutschen und der Bayerischen Wasserstoffstrategie. Die Nordlichter beabsichtigen, bis 2030 fünf Gigawatt Elektrolyseleistung in Niedersachsen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein zu realisieren.
Es geht also vornehmlich darum, den üppig vorhandenen Windstrom in Form von „grünem“ H2 zu veredeln; sprich ihn lager-, transport- und somit auch grundlastfähig zu machen. Bayern hingegen stellt seine Strategie auf folgende drei Säulen:

  1. Innovation und Technologieführerschaft anstreben und weltweite Marktpotentiale erschließen und ausbauen.
  2. Industrielle Skalierung und Wirtschaftlichkeit beschleunigen.
  3. Wasserstoffanwendungen in Verkehr und Industrie und den Ausbau der Wasserstoff-Infrastruktur beschleunigt vorantreiben. (Quelle: Bayerische Wasserstoffstrategie)

Ich habe Markus Söder ein Exemplar meines Buches zukommen lassen. Er hat sich zwar nicht bedankt, aber wenigstens scheint er es gelesen zu haben.
In Süddeutschland fürchtet man aufgrund der taumelnden Autoindustrie um die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes. H2 soll den Neuanfang bringen.

Würden Sie uns bitte schildern: Worum geht es konkret? Was hat die Bundesregierung vor?

Insgesamt enthält das Papier 38 konkrete Maßnahmen. Sie betreffen die Erzeugung „grünen“ Wasserstoffs, seine Anwendungsgebiete, Förderung des Markthochlaufes, Forschung, Infrastruktur, Innovation und die Einbindung des Ganzen in EU-Prozesse. Sie alle aufzuzählen und zu kommentieren, würde den Rahmen dieses Interviews sprengen.
Ich beschränke mich also auf einige wenige Punkte, die ich für besonders erwähnenswert halte: Maßnahme Nummer 1 beinhaltet die seit langer Zeit von Vertretern der Branche geforderte Abschaffung der EEG-Umlage auf die Produktion von grünem Wasserstoff. Bisher werden die Produzenten dieses Stoffs, der ja in Wahrheit ein Speicher für ansonsten ungenutzt verpuffenden grünen Strom ist, preislich wie Endabnehmer behandelt. Weiterhin soll der Ausbau eines H2-Tankstellennetzes gerade auch für den Schwerlastverkehr gefördert werden, ebenso wie Reallabore, in denen Power-to-X-Systeme [Anmerkung Redaktion: Eine
Erklärung zu diesen Systemen findet sich etwa hier] im industriellen Maßstab untersucht werden sollen.

Da könnte man doch sagen: Das ist ein Anfang, oder?

Es ist ein gutes Ausgangspapier, das allerdings auch eine Reihe von Schwächen aufweist. Im Flugverkehr zum Beispiel sollen demnächst verstärkt synthetische Treibstoffe zum Einsatz kommen. Das muss man sich folgendermaßen vorstellen: Grüner Wasserstoff wird mit dem Kohlendioxid aus alten, dreckigen Industrien, wie etwa der Kohleverstromung, synthetisiert und so ein Kraftstoff generiert, der eine flüssige Form hat.
Dieser kann dann weiterhin in bekannter Form von Flugzeugdüsen verbrannt werden – und zwar in unserer Atmosphäre, wo CO2 bekanntermaßen besonders klimawirksam auftritt. Es gibt in zehn Kilometern Höhe ja auch keine Bäume, die das Zeug wieder aus der Luft herausholen könnten.

Eine wirkliche Alternative wäre hier „Cryoplane“. In diesem gemeinschaftlichen Projekt von Airbus und 14 Staaten der Europäischen Union wurde ein Flugzeug ersonnen, durch dessen Düsen reiner, tiefgekühlter Wasserstoff strömt. Flugzeugdüsen mögen H2 nämlich tatsächlich „lieber“ als Kerosin, weil er völlig rückstandslos verbrennt.
„Cryoplane“ hätte konstruktionsbedingt einen Abstrich von 35% entweder an der Reichweite oder an der Passagierzahl bedeutet, was angesichts der Tatsache, dass es ohne Rechenkunststückchen tatsächlich in der Lage wäre, komplett CO2-neutral zu fliegen, wohl durchaus vertretbar wäre.
Das Projekt wurde bereits im Jahr 2000(!) in irgendwelche Schubladen entsorgt mit der Begründung, dass auf absehbare Zeit nicht genügend grüner Wasserstoff zur Verfügung stehen würde, damit es klimapolitisch Sinn mache. – Für mich ein klares Einknicken vor der Fossil-Lobby, das mit den synthetischen Treibstoffen seine Fortsetzung findet.
Immerhin will man nun die Forschung an mit Hybrid-Brennstoffzellen getriebenen Fluggeräten fördern. Die sind allerdings höchstens für die Kurzstrecke und eine begrenzte Passagierzahl attraktiv – mit anderen Worten für sogenannte Flugtaxis bzw. fliegende Autos.

Wenn die Brennstoffzelle wirklich eine Zukunft in Deutschland haben sollte, was müsste von politischer Seite getan werden?

Meiner bescheidenen Ansicht nach steht der Brennstoffzelle nicht nur in Deutschland, sondern weltweit eine rosige Zukunft bevor. Da ist alleine die Vielfältigkeit in ihren Anwendungsmöglichkeiten.
Man kann mit ihr Handys, Laptops, Fahrräder, Autos, Schiffe, Panzer, ja sogar komplette Kraftwerke betreiben. Die Politik täte daher gut daran, ihre Positionen zur Batterietechnik einem Faktencheck zu unterziehen. Neben allen möglichen Umweltaspekten bei der Rohstoffgewinnung für unsere Akkus, bei ihrer Entsorgung und den Problemen, wenn sie einmal in Brand geraten, ist vor allem ihr Gewicht ein Nachteil.
Ein Akku-LKW würde vor allem seine eigenen Batterien durch die Gegend fahren. Man kann auch nicht mit Batterietechnik die Sonne der Sahara einfangen und dem energiehungrigen Europa zugänglich machen. Die Dinger wären einfach zu schwer.
So etwas kann nur Wasserstoff leisten, und der treibt nun mal in den meisten Anwendungsbereichen am sinnvollsten die Brennstoffzelle an.

Was müsste noch getan werden?

Es müsste intensiver über eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit Staaten wie etwa Mauretanien nachgedacht werden, die die folgenden zwei Merkmale aufweisen können: Wüsten mit geringer Artendichte, dafür aber umso höherer Sonneneinstrahlung und einer langen Küstenlinie.
H2 aus Meerwasser zu beziehen, ist zwar technisch anspruchsvoller als die Süßwasservariante. Dafür aber wird Meerwasser ohne jeglichen Ressourcenwettbewerb sozusagen bis in alle Ewigkeit erhältlich.
Für die entsprechenden Länder bestünde von unserer Seite her ein hohes Interesse an Stabilität, damit die nötigen Investitionen sich auf Dauer bezahlt machen können. Solche Stabilität erreicht man am nachhaltigsten durch Wohlstand, Frieden, einen stabilen Sozialstaat und Bildung. Wasserstoff bietet hier die Möglichkeiten für Win-Win-Situationen.
Ob solche Aussichten den weltweiten Waffenschmieden gefallen dürften, sei dahingestellt.

„Wir brauchen ein Cape Canaveral des Wasserstoffs in Deutschland“. Das sagte Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU). Sie spricht gar von einer “Wasserstoffrepublik Deutschland”.
Wie ernst sind diese Aussagen zu nehmen?

Tatsächlich kaufe ich Frau Karliczek ihre H2-Begeisterung eher ab als dem Herrn Altmaier. Sie ist ja auch weniger verstrickt in die althergebrachten Strukturen unserer Dinosaurierindustrie.
Bei ihren Interviews, etwa mit dem SPIEGEL, nennt sie grünen Wasserstoff klar das „Öl von morgen“. Auch lehnt sie den sogenannten „blauen“ Wasserstoff als Um- bzw. Irrweg ab. Hier wird Wasserstoff aus fossilen Energieträgern wie etwa Erdgas oder Steinkohle gewonnen und das bei diesen Prozessen entstehende CO2 in die Erde gepresst. –
Wenn schon in unserer Atmosphäre nicht genug Platz für das Zeug ist, wie soll es dann im Erdinneren anders sein?
Weiterhin setzt sie sich für energetische Partnerschaften mit Afrika ein. – Frau Karliczek scheint eine kluge Frau mit Weitsicht zu sein. Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas mal über eine CDU-Politikerin schreiben würde. Tatsächlich aber macht diese ansonsten so problematische Partei in Sachen H2 eine wesentlich bessere Figur als etwa die GRÜNEN, von denen man das ja viel eher erwartet hätte.

Die Wasserstofftechnologie gibt es schon eine Weile. Warum hat sie es so schwer, sich durchzusetzen?

Wasserstoff ist das am häufigsten im Universum vorkommende Element. Angeblich hat bereits Paracelsus ihn entdeckt. Seither hat er viele Generationen von Wissenschaftlern fasziniert.
Das erste Auto schaffte es per Knallgasreaktion in seinem primitiven Motor (das übrigens während der Fahrt durch Elektrolyse hergestellt wurde) auf eine Geschwindigkeit von mehreren Metern pro Sekunde.
Wasserstoff hat sich als chemischer Grundstoff in der Industrie schon seit langem durchgesetzt und kommt auch bei der Raumfahrt zur Anwendung. Auf der anderen Seite ist die H2-Technologie allein schon durch ihr Versprechen auf Sauberkeit ein wirklich ernsthafter Konkurrent für Kohle, Erdöl, Atom und Co.
Entsprechend groß sind die Widerstände aus Kreisen, die genau mit diesen dreckigen Geschäftsmodellen immense Reichtümer anhäufen konnten.

Wer bei Google news „Brennstoffzelle“ eingibt, erfährt, dass Michelin sich an einem „Brennstoffzellen-Rennwagen-Projekt“ beteiligt, im LKW-Sektor, was diese Technologie angeht, Bewegung ist.
Außerdem ist zu vernehmen, dass die Berliner Polizei seit Anfang des Jahres auf zwei Wasserstoff-Fahrzeuge setzt. Was bedeuten solche Nachrichten?

In Industrie und Gesellschaft spricht sich allmählich herum, dass der Wasserstoffgedanke die Zukunft bedeutet. Schon Jules Verne hat in seinem Buch „Die geheimnisvolle Insel“ geschrieben: „Ich glaube, dass Wasser eines Tages als Brennstoff benutzt wird, dass Wasserstoff und Sauerstoff, aus denen es besteht, einzeln oder zusammen, eine unerschöpfliche Quelle von Hitze und Licht sein werden.“
Diese Vision scheint in immer greifbarere Nähe zu rücken. – Es wäre ein Schritt nach vorne, der das Zeug dazu hat, den homo industrialis auf eine Stufe der Zivilisation zu stellen.

Dürfen wir erfahren: Warum sind Sie von Wasserstoff so begeistert?

Wir brauchen ein Ende der Kriege um Erdöl, ein Ende des Flächenfraßes durch Braunkohle, ein Ende der äußerst gefährlichen Atomkraft und ein Ende der Ölkatastrophen auf unseren Meeren und Flüssen.
Wir müssen aufhören, die Regenwälder abzuholzen, um dort Ölpalmen für unseren „Bio“-Diesel bzw. Zuckerrohr für unser E10-Benzin zu pflanzen.
Auch die Ökobilanz unseres heimischen „Energiepflanzenanbaus“ ist verheerend. Ein Bauer, dessen Biogasanlage ich vor kurzem besichtigt habe, bezeichnete das Fleisch seiner intensiv im Großstall gehaltenen Kühe tatsächlich als „Abfallprodukt“ und ihre Milch als „Minusgeschäft“. Wichtig an diesen Kreaturen war ihm tatsächlich vor allem ihr Kot, den er in Form von Gülle sowohl als Düngemittel braucht, wie auch um die Gärprozesse in seinen Vergasungsanlagen zu steuern. – All diese Dinge gehören in den Mülleimer der Geschichte und H2 ist der Deckel, mit dem wir diese Mülltonne zu schließen vermögen.

Welche Vorteile hat die Brennstoffzelle?

Ihre noch längst nicht ausgereizten Potentiale reichen so weit, dass ich mir hinsichtlich des Verbrenners den Vergleich zwischen einem Smartphone und einem Schnurtelefon zu wagen getraue.
Allein ihre deutlich überlegene technische Leistung beinhaltet das Versprechen auf eine Zukunft der sauberen Energie.

Mit welchen Schwierigkeiten hat es die Politik, aber auch die Ingenieure, die sich mit der Technologie auseinandersetzen, zu tun?

Die Politik muss sich mit den Kräften des Beharrens auseinandersetzen. Der vermasselte Kohleausstieg, wo Konzernen, die eigentlich zu Reparationszahlungen verpflichtet werden müssten, mit Steuergeldern der Hintern vergoldet wird, zeigt deutlich die Investitionen von RWE und Konsorten in die Käuflichkeit unserer politischen Klasse. Hier muss wesentlich energischer gegengesteuert werden.
Ingenieure auf der anderen Seite brauchen viel Geld für ihre Forschungen und Innovationen und zudem die politischen Rahmenbedingungen, damit sich all dies am Ende auch auszahlen kann.
Die Forschung an wasserstoffproduzierenden Blaualgensystemen ist ein Beispiel für einen chronisch unterfinanzierten Aspekt, der viel mehr Beachtung verdienen sollte.

Würden Sie bitte einen Ausblick wagen. Wir haben das Jahr 2030. Wie wird es dann mit der Wasserstofftechnologie in Deutschland aussehen?

Timm_Koch_SupermolekuelIn zehn Jahren dürften wir uns, wenn wir auf die ernsthafte Umsetzung der H2-Strategie vertrauen, mitten in der Phase des Markthochlaufs befinden.

Lesetipp: Koch, Timm: Das Super-Molekül. Wie wir mit Wasserstoff die Zukunft erobern. Westend Verlag. 2019. 173 Seiten.

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Jochen

Arbeiterfeind W.Clement gibt INSM-Ausbeutungsbibel heraus, SPD-Gabriel schwenkt das Weihrauchfass dazu

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Der bekennende Feind unnützer Esser, ehemals Superentsolidarisierungsminister der SPD, Wolfgang Clement, gibt mit massiver propagandistischer Unterstützung von Gabriel ein Märchenbuch der INSM heraus – Thema: „Was uns Kapitalisten stark und die Arbeiter schwach macht“.
Gabriel_Clement2001Wie immer wird nicht gefragt, was für wen gut ist. Jeder Arbeiter kann sich aber gerne über die aufgehende Schere zwischen Lohneinkommen und Unternehmergewinnen machen.
Kai van de Loo kommentiert hier:

„Das Deutschland-Prinzip“: Die merkwürdige wirtschaftspolitische Rezeptur der INSM

http://www.nachdenkseiten.de/?p=26718
Auszüge:

Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), die sich selbst als „überparteiliches Bündnis aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft“ zur Werbung für die Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft bezeichnet und von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie finanziert wird, hat ein neues Buch mit dem Titel Das Deutschland-Prinzip. Was uns stark macht vorgestellt. Das Buch versteht sich laut INSM als „Impuls für die zentrale Debatte über die richtigen Weichenstellungen, die Deutschlands Erfolg und Wohlstand auch in Zukunft sichern sollen“ und will die „Prinzipien… der Erfolgsgeschichte“ der deutschen Volkswirtschaft hervorheben. Kai van de Loo unterzieht die wirtschaftspolitische Rezeptur des „Deutschland-Prinzips“ dieser PR-Organisation der Arbeitgeber einer kritischen Analyse.

Offizieller Herausgeber des Buches ist der gegenwärtige Kuratoriumsvorsitzende der INSM (und Ex-SPD-Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, Ex-NRW-Ministerpräsident/Minister und heutige FDP-Wahlkämpfer als „Sozialdemokrat ohne Parteibuch“) Wolfgang Clement. Die öffentliche Vorstellung des Buches erfolgte am 3. Juli in Berlin im Beisein und mit einer persönlichen Begleitrede des aktuellen Bundeswirtschaftsministers, Vizekanzlers und SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel.
Clement und Gabriel zeigten dabei auf dem Podium ein großes Maß an Übereinstimmung und „spielten sich die Bälle zu“, so etwa berichtet es SPIEGEL online.
Herr Gabriel lobte sehr, dass „wir mal darüber reden, was gut ist in unserem Land“, und dass es sich beim „Deutschland-Prinzip“ um „ein wirklich gutes Buch“ über die Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft handelt, das er, wäre er noch Politiklehrer, sogar „im Unterricht einsetzen“ würde. (Über die Buchpräsentation und Gabriels Auftritts wurde u.a. berichtet auf handelsblatt.com, und spiegel.de)

Dies sind aus Sicht eines kritischen, den Grundwerten der Sozialdemokratie grundsätzlich nahe stehenden Ökonomen, der Volkswirtschaftslehre auch unterrichtet, schon genügend Gründe, um sich das Buch und seine wirtschaftspolitische Rezeptur einmal näher anzuschauen.

Deutschland, eine Erfolgsgeschichte aus Prinzip (laut INSM)

Das Buch ist sehr dick (480 Seiten) und vom Stoff an sich recht vielseitig angelegt. Es enthält zahleiche Beiträge (Analysen, Kommentare, Interviews, Reportagen etc.) zu unterschiedlichen Themen eines illustren Autorenkreises, darunter u. a. je sechs deutsche Bundesminister und Ministerpräsidenten, EU-Kommissionspräsident Juncker, Bundesbankpräsident Weidmann, CDU-Generalsekretär Tauber, der Fraktionschef der Grünen im Bundestag Hofreiter, , die Ökonomie-Professoren Hüther und Sinn, taz-Chefredakteurin Pohl und BILD-Chefredakteur Diekmann, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Kardinal Marx, ferner diverse Unternehmer und Manager, Journalisten, Schauspieler und Sportler. Insgesamt sind 178 – laut INSM – „kluge Köpfe“ vertreten.
Die Beiträge sollten aus der jeweiligen Autorensicht beschreiben, „warum es Deutschland so gut geht und wie das so bleiben kann.“ Wie schon der Titel des Buchs ein recht selbstgefälliger Anspruch, denn dass es unserem Land so gut geht und ob Eliteweisheiten auch die ganzen Bevölkerung dienen, lässt sich mit guten Gründen bezweifeln. (Das ist jedoch keine Aussage über die Güte einzelner Beiträge.) Hier soll allerdings nicht auf die sehr unterschiedlichen Einzelbeiträge des Buches eingegangen werden, sondern aus volkswirtschaftlicher Perspektive auf die fünf wesentlichen Elemente bzw. „Erfolgsfaktoren“ des „Deutschlands-Prinzips“, die von der INSM gesondert herausgearbeitet worden sind und auch in einer gesonderten Broschüre dargestellt werden.

Um es vorwegzunehmen: Diese fünf Erfolgsfaktoren sind vom fachlichen Gehalt sehr dünn und im Hinblick auf die wirtschaftspolitischen Implikationen, zurückhaltend formuliert, sehr einseitig. Sie beinhalten ein wirtschafts- bzw. neoliberales Weltbild, das zudem sehr einfach gestrickt wird.
Eigentlich erkläre sich das „Deutschland-Prinzip“ von selbst und sei ganz einfach, so der Kuratoriumsvorsitzende Clement, in der INSM-Pressemitteilung: „Innovationen, Freiheit, offene Grenzen und Solidarität sind die Grundlagen unserer Wirtschaftskraft und damit unseres Wohlstands.“ Deutschland habe „nicht zufällig Erfolg, sondern aus Prinzip, dem Deutschland-Prinzip.“ Eben darauf gründe sich die „Wirtschaftskraft des Exportweltmeisters“.
Im Vorwort der Broschüre heißt es zur Erläuterung dieses Deutschland-Prinzips: „Ein guter Wirtschaftsstandort schafft gute Arbeit und die Voraussetzungen für soziale Gerechtigkeit. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern ist Deutschland gestärkt aus der Weltwirtschaftskrise herausgekommen.“ (Eine Aussage, die nahezu wörtlich zum Repertoire unserer Bundeskanzlerin gehört.)
Das „Deutschland-Prinzip“ bedeutet demnach, der Wirtschaftsstandort Deutschland ist prinzipiell richtig gepflegt worden, andere haben das wohl nicht so getan. Doch was an dieser Standortpflege nun deutschlandspezifisch ist oder wodurch Deutschland sich von anderen so prinzipiell unterscheidet, wird gar nicht erklärt. Inwiefern „Deutschland“ wirklich gestärkt aus der Weltwirtschaftskrise herausgekommen ist und woran das zu messen ist, auch nicht. Und ob es vielleicht einen direkten Zusammenhang gibt, weshalb es Deutschland volkswirtschaftlich derzeit in mancher Hinsicht besser geht und anderen europäischen Ländern schlechter, wird ebenfalls nicht untersucht.
Wohl aber wird verdeutlicht, wie die INSM die zuvor genannten Erfolgskriterien aus ihrer Anschauung heraus füllt und welche Botschaften sie verkünden will.

Bevor auf die Einzelheiten eingegangen wird, ist festzustellen, dass es etliche wichtige Aspekte gibt, über die man zwar in dem einen oder anderen Gastbeitrag des Buches etwas Gescheites findet, aber trotz der evident großen Bedeutung und teilweise enormen Aktualität schlicht nichts in den INSM-Ausführungen zum „Deutschland-Prinzip“ und der Erfolgsgeschichte des Wirtschaftstandortes Deutschland. Dazu gehören beispielsweise die Fragen der wirtschaftlichen Zukunft Europas und der Währungsunion, die Ursachen und Folgen der internationalen Finanzkrise, die Nachhaltigkeit unseres heutigen Wirtschaftsmodells, die große Exportlastigkeit des deutschen Wirtschaftswachstums und das dadurch enorme außenwirtschaftliche Ungleichgewicht, die hierzulande keineswegs bewältigte Massenarbeitslosigkeit und die Prekarisierungstendenzen am deutschen Arbeitsmarkt, der geringe volkswirtschaftliche Produktivitätsfortschritt, der langjährige Niedergang der Investitionsquote in Deutschland und die auch hier große und tendenziell zunehmende Schieflage in der Einkommens- und Vermögensverteilung … Aber es soll ja eben über die positive wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und die Stärken unserer Volkswirtschaft informiert werden.
Auch was die großen volkswirtschaftlichen Herausforderungen für die Zukunft angeht, benennen Herr Clement und die INSM keinen der vorgenannten Aspekte, sondern explizit nur diese drei: „Demografie“, „Vernetzung und Digitalisierung“ sowie den „Fachkräftemangel“ bzw. dessen Behebung durch Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland. Aktuell besondere Sorgen bereiten aus Sicht der INSM (bzw. der von ihr repräsentierten Teile der Wirtschaft) außerdem die Bürokratie, die Regulierung, die „Umverteilung“ oder die hohen Energiekosten.
Als Volkswirt könnte man es an dieser Stelle gleich so sagen: Viele echte volkswirtschaftliche Probleme interessieren die INSM anscheinend kaum oder sie will sie „prinzipiell“ nicht thematisieren, schon gar nicht makroökonomische Fragestellungen, Probleme und Zusammenhänge, die über übliche Unternehmerperspektiven hinausgehen.
Das „Deutschland-Prinzip“ beinhaltet also volkswirtschaftlich eine stark eingeschränkte Sichtweise.

Dafür werden als volkswirtschaftliches Erfolgsrezept die fünf sog. Erfolgsfaktoren des „Deutschland-Prinzips“ als miteinander verzahnte, vorgeblich tiefe ökonomische Grundeinsichten widerspiegelnde Leitgedanken der Sozialen Marktwirtschaft präsentiert, und zwar im Originalwortlaut wie folgt:

  • Wohlstand entsteht aus Wirtschaftskraft“
  • „Wirtschaftskraft entsteht durch Innovation“
  • „Innovation braucht Freiheit“
  • „Freiheit wächst mit Europa und der Welt“
  • „Die Soziale Marktwirtschaft macht unser Land gerecht“

Diese fünf Erfolgsfaktoren sollen nun unter die Lupe genommen und fachlich einmal genauer mit dem abgeglichen werden, was man in volkswirtschaftlichen Standardlehrbüchern dazu nachlesen kann. Dabei zeigt sich, wie wenig Substanz die wirtschaftspolitische Rezeptur der INSM besitzt.

Einzelbetrachtung der Erfolgsfaktoren

„Wohlstand entsteht aus Wirtschaftskraft“

Die INSM erläutert: „Nur mit einer wachsenden Wirtschaft verbessern sich die Lebensbedingungen für alle.“ Und danach heißt es: „Mit dem Bruttoinlandsprodukt steigt der Wohlstand: Die Haushalte haben nicht nur mehr Vermögen, sondern können sich auch von ihrer Arbeit mehr leisten.“

Eigentlich eine Binsenweisheit. Doch abgesehen davon dass Wohlstand i.S.v. Lebensqualität keineswegs nur vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) abhängt, da viele Wohlstandsfaktoren (wie Gesundheit, Freizeit, Autonomie, Zufriedenheit, Umwelt etc.) gar nicht unmittelbar im BIP erfasst werden, ist die vorgenannte Aussage auch nur dann so pauschal richtig, wenn das BIP und sein Zuwachs über steigende Arbeitseinkommen entsprechend breit verteilt werden und keine Arbeitslosigkeit herrscht.
Ob aus dem Einkommenszuwachs auch Vermögen gebildet werden kann (und von wem hauptsächlich), ist eine zweite Frage. Auf beide Fragen geht die INSM nicht ein.
Es ist ebenfalls zu eng, Wirtschaftskraft allein mit dem BIP gleichzusetzen, denn das BIP kann zumindest kurz- und mittelfristig auch aus Gründen steigen, die langfristig eine Schwächung der Wirtschaftskraft bedeuten (Unfallereignisse, Rüstungsproduktion, Umweltverschmutzungen, Finanzmarktblasen, Lohndumping etc.)
Gleichzeitig kann es eine Reihe von Faktoren der Wirtschaftskraft im Sinne des volkswirtschaftlichen Produktionspotenzials geben, die im aktuellen BIP nicht zum Tragen kommen, etwa aufgrund einer Konjunktur- oder Strukturkrise, durch die vorhandene Kapazitäten brach liegen.

An anderer Stelle wird der Zusammenhang von Wirtschaftskraft und Wohlstand von der INSM historisch zu belegen versucht: „Immer wieder war es die Wirtschaftkraft, die in Deutschland für mehr Wohlstand gesorgt hat: mehr Steuern, mehr Beschäftigung, mehr Spielraum für sozialen Ausgleich. Diese Formel der Sozialen Marktwirtschaft zeigte ihre Wirkung erstmals in der langen Aufbauphase nach dem Krieg, dann wieder nach der Wiedervereinigung und zuletzt in den Wirkungen der Agenda 2010.“

Ausgerechnet die Agenda 2010 in ihre Bedeutung und Tragweite mit dem ordnungspolitischen Grundkonzept der Sozialen Marktwirtschaft und der außerordentlichen wirtschaftlichen Wiederaufbauleistung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg gleichzusetzen, mag eine Interpretation sein, die sich speziell Herr Clement als einer der Hauptprotagonisten wünscht; in der Fachwelt ist bisher niemand so weit gegangen, denn es lässt sich sachlich nicht begründen, unabhängig von den sehr kontroversen Einschätzungen der Wirkungen der Agenda 2010.
Außerdem hat gestiegene Wirtschaftskraft nicht nur in Deutschland auch schon lange vor 1945 und in allen Zeiten danach für mehr Wohlstand gesorgt. Nicht zuletzt in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren, die hier von der INSM ausgeblendet werden. (Obwohl die Broschüre auch mit Fotos der früheren Bundeskanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt bestückt ist.)

Zustimmen kann man der INSM, dass das Wirtschaftswachstum und gestiegene Wirtschaftskraft i.d.R. mehr Steuern, mehr Beschäftigung und mehr Spielraum für sozialen Ausgleich bedeuten. Ob Letzterer genutzt wurde und wird, ist damit jedoch nicht gesagt.
Das Steueraufkommen hängt natürlich nicht nur von der Wirtschaftsentwicklung, sondern auch vom Steuersystem und den damit verfolgten wirtschafts- und finanzpolitischen Zielen ab. Und auf den Beschäftigungsstand wirken weitere Einflussfaktoren ein, insbesondere die jeweilige Arbeitsmarktpolitik.

Die INSM wartet ferner mit einigen Zahlen als Beleg für den Wohlstandseffekt der Sozialen Marktwirtschaft auf und präsentiert dazu das BIP sowie das Bruttovermögen privater Haushalte der Jahre 2013 und 1991. Beide Größen verzeichnen einen Zuwachs um den Faktor +/- 2 herum. Gewiss eindrucksvoll, aber keineswegs deutschlandspezifisch – ein ähnliches Wachstum dieser Größen gab in vielen Teilen der Welt. Bei den INSM-Angaben handelt es sich außerdem um eine Darstellung reiner Nominalwerte, also ohne Berücksichtigung der Inflationsrate, weshalb damit nicht das reale Wachstum ausgewiesen wird, das beträchtlich kleinere Werten aufzeigt.
Überdies findet weder ein längerfristiger historischer noch ein internationaler Vergleich statt, anhand dessen man diese Zahlen vernünftig einordnen kann.

Die INSM springt dafür abrupt in die Gegenwart, und um zu belegen, wie gut die Situation der deutschen Volkwirtschaft heute sei, und verweist auf die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von 30,2 Millionen, die „so hoch wie nie zuvor“ ist, sowie auf den Anstieg der Reallöhne , die „seit 2012 um 3,1% gestiegen“ sind. Damit soll wohl – eine eigene, doch nahe liegende Interpretation, explizit wird das nicht gesagt – zum Ausdruck gebracht werden, dass die angesprochene Agenda 2010 die Beschäftigung in Deutschland wieder erhöht hat (übrigens wird die noch stärker gestiegene nicht-sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nicht erwähnt, wohl um die Aufmerksamkeit auf den Zuwachs „guter Arbeit“ zu lenken) und dass nun sogar kräftige reale Lohnzuwächse (jetzt wird auf einmal auch real gerechnet) erreicht werden können.
Warum und um wie viel die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Deutschland vorher geringer war, erfährt man nicht, auch nicht, wieso die Löhne erst seit wenigen Jahren wieder real steigen und weshalb in der ganzen Zeit seit Mitte der 1990er Jahre – in denen auch der Rahmen der Soziale Marktwirtschaft bestand – eine so lange Durststrecke der realen Lohneinkommen zustande gekommen ist.
Der Anstieg der Reallöhne hat überdies auch mit der niedrigen Inflation zu tun und weshalb die INSM den Anstieg ausgerechnet seit 2012, dh. für einen Dreijahreszeitraum (3,1% beträgt der reale Anstieg der Bruttolöhne im Zeitraum 2012 bis 2014 insgesamt) bleibt unerfindlich, es sei denn, es sollte für eilige Leser der Eindruck erweckt werden, es handele sich um eine jährlichen Reallohnzuwachs – dieser war seit 1992 niemals so hoch).
Kein Wort widmet die INSM der Prekarisierung am Arbeitsmarkt und dabei auch bei der von ihr herausgestellten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung etwa durch die Ausweitung von Zeit- und Werkverträgen. Sie äußert sich auch mit keinen Wort zu der zwar quantitativ verminderten, aber noch immer bestehenden Massenarbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung bzw. der permanenten Verletzung des Ziels der Vollbeschäftigung in Deutschland.
Die Zahl der registrierten Arbeitslosen liegt bei 2,8 Millionen (davon 2,0 Millionen in Westdeutschland – hier ist die Arbeitslosenzahl 2015 immer noch höher als 1990 und auch 1980!) , die offizielle Zahl der „Unterbeschäftigten“ (d.s. die zusätzlich arbeitslos Gemeldeten in Arbeitsgelegenheiten, Qualifizierungsmaßnahmen, Krankheit etc.) liegt bei 3,7 Millionen und weitere rd. 3 Millionen Erwerbstätige würden nach der jüngsten Arbeitskräfteerhebung des Statistischen Bundesamtes mehr arbeiten als sie es tun, überwiegend weil sie bislang nur Teilzeitarbeitsverhältnisse haben. Manche Regionen Deutschlands, nicht nur im Osten, haben auch heute noch zweistellige Arbeitslosenquoten, bundesweit ist diese seit mehr als 30 Jahren nicht unter 6 % gesunken. Offenbar schöpft Deutschland sein Arbeitskräftepotenzial bei weitem nicht aus.

Ebenso wenig sagt die INSM etwas zur heutigen Qualität der Arbeitsplätze und der Produktivität der Arbeitskräfte. Wie kommt es eigentlich, dass es in Deutschland schon seit einiger Zeit neue Rekorde der Beschäftigung und der Zahl der Erwerbstätigen gibt, aber das Arbeitsvolumen 2014 immer noch geringer war als 1992, dass trotz der größeren Zahl der eingesetzten Arbeitskräfte das BIP nur so schwach wächst (1,6% in 2014, aber bloß 0,1% in 2013 und 0,4% in 2012, seit dem Inkrafttreten der Agenda 2010 im Jahr 2005 waren es im Durchschnitt knapp 1,3% p.a.) und dass die Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigen in den letzten Jahren teilweise sogar rückläufig war?
Stimmt hier vielleicht etwas nicht mit der so gepriesenen deutschen Wirtschaftskraft?

„Wirtschaftskraft entsteht durch Innovation“

Gerade technologische Innovationen hätten Deutschlands Wirtschaft stark gemacht (was keineswegs falsch ist, aber sicherlich nicht für alle Bereich gilt, denn auch in Deutschland wurde und wird technologisch kopiert und adaptiert), und seine Wirtschaftskraft begründet.
Die INSM präsentiert dazu ein Länderranking der „Innovationskraft“ des Instituts der deutschen Wirtschaft (hier eine unparteiische Quelle?), wonach Deutschland international 2012 auf dem sechsten Rang lag, und vergleicht das deutlich höhere Pro-Kopf-BIP der innovationsstärksten Länder in diesem Ranking mit dem der Innovationsschwächsten. Was die vor Deutschland liegenden Länder (Finnland, Schweiz, Südkorea …) in der Innovationspolitik ohne „Deutschland-Prinzip“ besser gemacht haben, wird jedoch nicht erläutert.

Doch der INSM geht es vor allem um die Zukunft. Damit sich unsere Lebensbedingungen in Deutschland weiter „so positiv“ entwickeln können, „müssen die Voraussetzungen für wirtschaftliche Wertschöpfung durch Innovation und Produktion stimmen“, fordert sie und sieht zugleich im „Fortschritt Deutschlands wichtigsten Rohstoff“, denn unser Land habe „kaum Bodenschätze“ (was so nicht stimmt, denn rd. drei Viertel der mineralischen Rohstoffe werden aus heimischen Lagerstätten gewonnen – importiert werden müssen hauptsächlich Erdöl und Metallerze).
Gemäß den Berechnungen des Sachverständigenrates Wirtschaft würden rd. 60% des Wachstums der kommenden Jahre vom technologischen Fortschritt getragen.
Unklar bleibt bei der INSM, wie hier technologischer Fortschritt genau definiert ist, ob er mit den vorher thematisierten Innovationen, also eigenen Marktneuheiten der deutschen Wirtschaft bei Produkten, Verfahren oder Organisationsformen gleichzusetzen ist und welche Prämissen die Prognose des Sachverständigenrats sonst noch gemacht hat; klar ist dagegen, dass das Wachstum in Deutschland voraussichtlich nicht durch starken Zuwachs an Realkapital mittels Sachinvestitionen, Bevölkerungswachstum oder Erschließung neuer Territorien und Rohstoffvorkommen kommen wird, womit der technologische und technisch-organisatorische Fortschritt als fundamental einzige Möglichkeit bleibt.

Die INSM sieht diese „Grundlage“ indessen als „in Deutschland gefährdet“ an, weil andere Länder technologisch aufgeholt haben und Innovationen nicht die nötige Unterstützung in Deutschland finden. Beleg sei, dass die Patentanmeldungen 2013 in allen patentstarken Ländern außer Deutschland gestiegen sind.
Nun sind technologische Vorsprünge gewiss ein Vorteil für die Gewinnerzielung, aber nicht Voraussetzung für volkswirtschaftlichen Wohlstand insgesamt. Wenn andere Länder technologisch aufholen, bedeutet das zugleich doch auch wachsende Märkte und Absatzmöglichkeiten für deutsche Technologieprodukte. Und es bedeutet einen intensivierten Wettbewerb, der den Fortschrittsprozess weiter antreibt. Demgegenüber sind die Patentanmeldungen in einem Einzeljahr wenig aussagekräftig und kein Nachweis, dass Innovationen (die patentgeschützten und anderen Erfindungen nachlaufen) nicht die „nötige Unterstützung“ (von der Politik oder der Gesellschaft?) finden. Was die nötige Unterstützung wäre, bliebe ohnehin zu klären.

„Innovation braucht Freiheit“

Die INSM erläutert im Anschluss an die Ausführungen zur Bedeutung von Innovationen dann, dass neue Ideen nur wirtschaftliche Realität werden können, wenn der Staat nicht „überreguliert“ und dass „weniger Bürokratie mehr Neuentwicklungen“ bedeuten würde.
Vor allem Unternehmen forschungsstarker Branchen würden staatliche Überregulierung als Hindernis für neue Produkte betrachten. Gleichzeitig würden sich besonders kleine Unternehmen, die oft Marktneulinge und damit besonders innovativ sind, durch bürokratische Vorgaben eingeschränkt sehen. Ein Silicon Valley sei schon deshalb „in Deutschland nicht vorstellbar, weil die berühmten Garagen wegen angeblicher Mängel beim Brandschutz und der Beleuchtung geschlossen würden.“

Das einzige konkrete Beispiel, das die INSM hier anführt, ist ebenso polemisch wie hypothetisch. Bei allen andern Aussagen fehlen klare Beispiele oder Kriterien.
Zweifellos gibt es lästige und manchmal überflüssige Bürokratie sowie Erscheinungsformen einer Überregulierung, die auch sinnvolle wirtschaftliche Aktivitäten einengen. Doch es gibt es ebenso einleuchtende und volkswirtschaftlich gut begründbare bürokratische Anforderungen sowie fatale Erfahrungen mit Unterregulierungen (vom Pharma- bis zum Finanzsektor).

Die Nachhaltigkeit von Innovationen setzt mitunter voraus, dass sie nicht beliebige Entfaltungsmöglichkeiten haben, sondern bestimmte Hürden übersprungen und Rahmenbedingungen eingehalten werden. Der zuvor von der INSM angeführte Patentschutz, das Erfindermonopol, beinhaltet z.B., dass die Freiheit von Nachahmern jedenfalls befristet eingeschränkt wird. Die INSM lässt die sachlich nötige Differenzierung vermissen.

Es ist ja keineswegs falsch, dass Innovationen Freiheitsspielräume brauchen. Doch den großen Begriff der „Freiheit“ auf die möglichst freie Entfaltung wirtschaftlicher Neuerungsaktivitäten zu verengen, ist schon allein unter ökonomischen Gesichtspunkten unhaltbar.
Außerdem brauchen Innovationen nicht nur Freiheit von staatlichen Beschränkungen, sondern u. a. auch offene, nicht-vermachtete und nachfrageseitig aufnahmefähige Märkte, günstige Bedingungen für die Finanzierung und vielfach staatliche Grundlagenforschung und FuE-Förderung.

Hemmnisse für Innovationen durch Formen der Bürokratie und Dirigismus gibt es übrigens nicht nur durch den Staat, sondern auch auf privater Ebene, gerade in manchem Großunternehmen. Auch die deutsche Metall- und Elektroindustrie dürfte da kaum eine Ausnahme sein.

„Freiheit wächst mit Europa und der Welt“

Hier heißt es zunächst, die Globalisierung und der Freihandel machten Deutschland stärker und ohne Zugang zu internationalen Märkten wäre unser reales Pro-Kopf-Einkommen um 50% geringer. Wie das abgeschätzt worden ist, wird nicht erklärt.
Ökonomen wissen seit Ricardo um die möglichen Vorteile des internationalen Freihandels und auch um dessen Beschränkungen. Diese gelten für alle Länder.
Für den internationalen Handel gibt es diverse bi- und multilaterale institutionelle Regelungen, wie etwa die WTO, auf europäischer Ebene die Binnenmarktregelungen.
Ein spezifisches „Deutschland-Prinzip“ erschließt sich daraus gerade nicht. Richtig ist, dass die deutsche Volkswirtschaft inzwischen eine Exportquote von über 50% aufweist, und Autarkie eine total unrealistische, hypothetische Annahme wäre. Unter welchen Bedingungen der internationale Handel

Die INSM setzt allerdings im nächsten Gedankenschritt den Freihandel mit Freiheit gleich, die mit der Globalisierung immer weiter wachse (jetzt nicht als Freiheit zur Innovation, sondern als Freiheit zum Exportieren und Importieren und grenzüberschreitenden Investieren), und sie schiebt an dieser Stelle sofort ein Plädoyer für das zwischen der EU und den USA geplante Freihandelsabkommen TTIP hinterher, wodurch „die Exporte in die USA langfristig um ein Drittel steigen“ könnten (diesmal ohne eine Quelle für diese Schätzung anzugeben). Erneut wird der Freiheitsbegriff unzulässig verengt.
Auf die Streitpunkte und Probleme bei TTIP wird überhaupt nicht eingegangen. Die Absicht dahinter ist leicht zu erraten und verstimmt.

Die INSM schneidet in diesem Kontext noch einen weiteren grundlegenden und aktuellen Gesichtspunkt an. Sie spricht sich ausdrücklich für mehr Zuwanderung aus, allerdings jetzt nicht aus Gründen der Freiheit, sondern wegen der wirtschaftlichen Nützlichkeit: Zuwanderer sorgten für Wachstum, sicherten gemeinsam „mit uns“ (den alteingesessenen Einwohnern) den Wohlstand in Deutschland und stärkten unser „Wirtschaftssystem“ (hier hätte die INSM allerdings zutreffend sagen müssen: „unsere „Wirtschaftskraft“, zumal sie das System ja eben unverändert lassen will).
Und warum ist da so optimistisch? „Produzieren für die Weltmärkte braucht … Menschen mit internationalen Wurzeln.“ Hier habe Deutschland „Potenzial“, denn es sei „unter Zuwanderern so beliebt wie nur noch die USA“ und der Anteil derjenigen Ausgebildeten mit Hochschulabschluss sei bei den Zuwanderern (mit 29%) größer als bei den Deutschen („nur“ 19%). Woran das liegen mag, wird von der INSM nicht erörtert.

„Die Soziale Marktwirtschaft macht unser Land gerecht“

Laut INSM hat in Deutschland „jeder … die gleichen Chancen“, nämlich „die Möglichkeit, zum Wohlstand beizutragen und an ihm teilzuhaben“.
Über die Unterschiede im Umfang dieser Beitrags- und Teilhabemöglichkeiten sowie in deren Relationen sagt die INSM indes nichts, sprich: Verteilungsfragen werden beim Thema Gerechtigkeit von ihr gar nicht thematisiert.

Dagegen behauptet die INSM ausdrücklich, die Soziale Marktwirtschaft ermögliche „jedem … zugleich ein Leben in Würde“ und führt dazu an: „Während das Einkommen im EU-Schnitt bei fast jedem dritten Haushalt nicht ausreicht, kommen in Deutschland 91% gut zurecht.“
(Als Quelle für diese Aussage wird eine Eurostat-Umfrage für das Jahr 2013 angegeben, die auf eigenen Einschätzungen privater Haushalte bezüglich der Frage, ob sie „schlecht mit ihrem Einkommen auskommen“ beruht; als Beleg ist das methodisch zumindest angreifbar.)
Was ein „Leben in Würde“ bedeutet, ist sicherlich Interpretationssache. Folgt man hier der INSM, können es aber 30% (!) der Haushalte in der EU nicht führen. Ein großer Teil Europas wäre demnach keine Erfolgsgeschichte!

Im Weiteren wird von der INSM noch einmal herausgestellt, dass die Soziale Marktwirtschaft es „jedem ermöglicht, seine Potenziale zu entfalten“. Die dafür im Einzelnen nötigen formalen und materialen Freiheitsrechte und deren Realsierung werden aber nicht erörtert.
Stattdessen wird an dieser Stelle betont, dass Deutschland „fast 30% seines BIP für Soziales aus(gibt) – so viel, wie kaum ein anderes Land für Rentner, Arbeitslose, Kranke und andere Empfänger zahlt.“ Diese Argumentationslinie verwundert, denn der Sozialstaat hat zwar viel mit sozialer Sicherheit, aber eher wenig mit Potenzialentfaltung zu tun. Er schützt mehr vor Potenzialzerstörung.
Und die als so hoch gepriesene Quote der Sozialleistungen in Deutschland liegt mit fast 30% tatsächlich nur genau im Durchschnitt der EU-28 und unter derjenigen der skandinavischen Länder, Frankreichs, der BENELUX-Staaten, Österreichs und bis vor kurzem auch noch Griechenlands (als Sonderfall mit einem viel tieferen absoluten Niveau und wie bekannt einer ganz besonderen Problematik).

Auf Basis dieser dürren Angaben zieht die INSM gleichwohl den weit reichenden Schluss, die Soziale Marktwirtschaft habe Deutschland „zu einem der gerechtesten Länder der Welt gemacht.“
Das ist die eigene Beurteilung der INSM, die man nicht teilen muss, aber auch nicht widerlegen kann, denn Gerechtigkeit ist eine Werturteilsfrage und Vergleiche hängen vom Maßstab ab. Doch so weit es dafür objektivierbare Kriterien gibt wie etwa den Gini-Koeffizienten der Einkommenskonzentration, gibt es allein in der EU eine Reihe von Ländern mit erheblich größerer Gerechtigkeit.
Und wie passt zum „Deutschland-Prinzip“ die Zunahme der Ungleichheit der Einkommens- und Vermögensverteilung in längerfristigen Vergleichen, wie sie beispielsweise das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung festgestellt hat?

Damit befasst sich die INSM jedoch nicht. Sie blickt demgegenüber nach vorn und ist der Auffassung, dass es „noch gerechter geht“. Wer nun glaubt, sie spricht wenigstens in diesem Zusammenhang auch einmal Verteilungsgesichtspunkte an, irrt. „Noch gerechter“ ginge es, so dass Credo der INSM , „wenn wir stärker in Bildung investieren, Energiekosten wie Bürokratieaufwand senken und die ausufernden Subventionszahlungen abbauen.“ Speziell „die Kosten der Energiewende wachsen immer weiter – seit 2000 flossen bereist 101,2 Milliarden Euro an Subventionen.“ (Gemeint sind hier wohl die Differenzkosten zum Strompreis im Aufkommen der EEG-Umlage.) Verteilungsdiskussionen werden einfach zurückgewiesen. Statt sich auf wohlstandsfördernde Rahmenbedingungen zu konzentrieren, so die INSM, sei die aktuelle Politik „oft bestimmt durch Regulierung, Bürokratie, Anspruchsdenken und Umverteilungsplänen … Statt um Verteilung muss es in der Politik wieder um die Frage gehen, wie der Wohlstand erwirtschaftet wird.“

Dass das Erwirtschaften und Verteilen des Wohlstands in einer Marktwirtschaft, zumal in der Sozialen Marktwirtschaft, zusammengehören, dass mehr Verteilungsgleichheit bei Chancen wie Ergebnissen (die zugleich die nächsten Chancen formen) unter Umständen mehr Effizienz bedeuten kann und dass „Anspruchsdenken“ und „Umverteilungspläne“ ihre Ursache auch darin haben können, dass es eine Umverteilung zu Lasten größerer Bevölkerungsgruppen von unten und auch der Mitte nach oben zur Bevorteilung der reichsten Schichten gegeben hat, wird von der INSM nicht angesprochen, geschweige denn erwogen.
Es bleibt ihr Geheimnis, wie sie mit der von ihr praktizierten Tabuisierung der Verteilungsfrage eine glaubwürdige Aussage über „mehr Gerechtigkeit“ erreichen will.
Für die Forderung der INSM nach mehr Investitionen in die Bildung gibt es stichhaltige volkswirtschaftliche Gründe, auch verteilungspolitische. Diese müssten jedoch benannt, erörtert und ausgeleuchtet werden – denn mehr Bildung führt nicht automatisch zu mehr Gerechtigkeit -, und sie müssten mit nachvollziehbaren Finanzierungsvorschlägen unterlegt werden, damit man sie ernst nehmen kann.

Was die INSM schließlich zur Energiewende bemerkt, ist ein durchaus ernsthaftes Argument. Denn der Subventionsanteil für die Erzeugung von Strom aus erneuerbarer Energien ist in den letzten Jahren sehr stark gestiegen. Diese Subventionen fließen aber nicht aus dem Staatshaushalt, sondern müssen von allen Stromverbrauchern ohne Rücksicht auf ihre jeweilige soziale Lage über die EEG-Umlage auf den Strompreis getragen werden, während wohlhabende Haushalte von den Vergütungen für Solaranlagen auf ihren Hausdächern oder von den Erträgen aus Investmentbeteiligung beispielsweise an Windkraftprojekten mit staatlich gesicherter Rendite profitieren.
Die Bundesregierung hat mit der letzten EEG-Novelle diese Entwicklung begrenzt, aber keineswegs zurückgedreht. Eindeutig gerechter im Sinne einer ausgeglicheneren Lastenverteilung als die Umlage- wäre eine Steuerfinanzierung, aber davon spricht auch die INSM nicht. Überdies müssen aus volkswirtschaftlicher Sicht bezüglich der Gesamtkostenbelastung der Energiewende verschiedene weitere Strompreisfaktoren berücksichtigt werden.
Daher schlägt die Expertenkommission zum Monitoring der Energiewende als maßgeblichen Indikator die sog. „Letztverbraucherausgaben für Elektrizität“ im Verhältnis zum BIP vor. Gemäß ihrer letzten Stellungnahme zum Fortschrittsbericht Energiewende der Bundesregierung vom Dezember 2014 hat diese Belastung zuletzt (2013 gegenüber 2012) etwas zugenommen (Anstieg von 2,5 % auf 2,6 %), erscheint aber weiter verkraftbar. Allerdings empfehlen die Experten eine nach Branchen und Endverbrauchergruppen differenzierte Betrachtung der Energiekostenbelastung anstatt so pauschaler Aussagen, wie sie auch die INSM hier macht.

Was die INSM gerade in diesem Kontext erstaunlicherweise nicht thematisiert: Die deutsche Energiewende mit ihren planwirtschaftlichen Zielsetzungen und den vielen lenkenden Maßnahmen für den Energiebereich steht an sich in einem prinzipiellen Konflikt zu den Grundsätzen einer Marktwirtschaft.
Solange der Verbindlichkeitscharakter der politischen Zielvorgaben der Energiewende aber nicht in Frage gestellt wird, was fast niemand tut, auch die INSM hier nicht, und die Energiewende mit dem ihr zugrunde gelegten Energiekonzept als gesamtstaatliches Investitionsprojekt verstanden und gesellschaftlich akzeptiert wird, ergeben sich zwingend zusätzliche „Energiekosten“ im Sinne von Finanzierungslasten, die von der Volkswirtschaft zu tragen sind, und zwar solange bis die Ziele erreicht sind und die davon erwarteten ökonomischen und ökologischen Früchte geerntet werden können. Wann das sein wird und welche Nebenwirkungen das hat, ist eine offene Frage.
Da die deutsche Energiewende international bislang einzigartig ist und mit ihr gewollt eine Vorreiterrolle eingenommen wird, stellt sie gewissermaßen ein Deutschland-Prinzip eigener Art dar. Über dieses wäre eine intensive Auseinandersetzung sinnvoller, so die Meinung des Autors dieser Zeilen, als über die Schmalspur-Ökonomie des Deutschland-Prinzips der INSM.

Jochen