Politik und Medien geschockt: Sozialdemokraten an die Spitze der SPD gewählt

Der PostillonDer Artikel https://www.der-postillon.com/2019/12/walter-borjans-esken.html
trifft es so gut auf den Punkt, dass ich ihn hier auszugsweise wiedergebe.

Berlin (dpo) – Ja, sind denn die Genossen jetzt völlig bescheuert geworden? Politiker nahezu aller Parteien sowie Kommentatoren zahlreicher Medien haben am Wochenende geschockt und verstört auf die Nachricht reagiert, dass die SPD zwei Sozialdemokraten an die Spitze der Partei gewählt hat.

„Sozialdemokraten an der Spitze der SPD? Sowas gab’s seit 20 Jahren nicht mehr! Das ist ja der komplette Wahnsinn!“, schreibt etwa ein Korrespondent auf zeitbildtagesspiegelschauwelt.de und ergänzt:
„Das wird der Untergang dieser stolzen Partei sein, die damals bei 40 Prozent stand und nach zwei Jahrzehnten Agenda-Politik und Neoliberalismus noch von 13 Prozent der Bevölkerung gewählt würde.“
Dass unter den SPD-Mitgliedern, die online über die Parteiführung abstimmten, offenbar sozialdemokratische Ideen die Runde machen, wurde mit großer Besorgnis aufgenommen.
„Der Verfassungsschutz sollte die sofort prüfen!“, fordern bereits erste Anhänger von Union und FDP. „Wobei… Sind sozialdemokratische Umtriebe überhaupt verfassungsfeindlich? Egal!“
Ähnlich schockiert zeigte sich Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (Gazprom), der parteiinterne Basisbefragungen offenbar nicht für lupenrein demokratisch hält, wenn sie nicht das gewünschte Ergebnis bringen:
„Ich habe das Verfahren für unglücklich gehalten und das Ergebnis bestätigt meine Skepsis.“
Experten befürchten, dass der Linksschwenk der SPD langfristig zu einem Abstieg wie dem der portugiesischen (Wahlergebnis: 36,34%) und spanischen (Wahlergebnis: 28%) Sozialdemokraten führen könnte, die derzeit beide mit linken Parteien koalieren.
Auch ein grauenhaftes Schicksal wie das der britischen Labour-Partei, die bei der letzten Wahl 40% erreichten (aktuelle Umfragen: 33%), sei nicht auszuschließen.
Die einzige Chance, ein derartiges Desaster abzuwenden, bestehe nun darin, dass die alte Garde um Olaf Scholz und Seeheimer Kreis den beiden Sozialdemokraten das Leben so schwer wie möglich macht.
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Dazu empfiehlt sich die Analyse der gleichgeschalteten Leim-Medien von Elmar Wigand im Neuen Deutschland zu lesen:
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1129573.esken-und-walter-borjans-ein-umhertaumelnder-zombie.html

Ein umhertaumelnder Zombie

Die Mitgliederabstimmung haucht der SPD trotz Gegenfeuers neues Leben ein, meint Elmar Wigand.

Die SPD lebt. Zumindest teilweise. Noch. Das ist der überraschende Befund der Mitgliederabstimmung zum Parteivorstand.
Aber was ist mit dem DGB und der »Qualitätspresse« los?

Wir waren uns sicher, dass Olaf Scholz die Abstimmung gewinnt. In meinem Bekanntenkreis fand sich niemand, der einen Kasten Bier auf Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans (kurz: Eskwabo) setzen wollte.
Galt doch die SPD bei uns als eine Art sado-masochistischer Zombie, der sich lustvoll quälen, verletzen und amputieren lässt.
Der keine Angst vor dem Untergang hat, weil er sowieso schon tot ist. Der auf der Suche nach Gehirn ziellos durch die Stadt taumelt. Der jeden bei jedem Schritt nach vorn zwei Schritte zur Seite wankt.

Mindestlohn? Ja, aber so erbärmlich niedrig, dass es nicht für eine Rente reicht. Und ohne Behörden, die in der Lage sind, Verstöße effizient zu ermitteln und zu bestrafen.
Equal-pay für Leiharbeiter? Ja, aber erst nach neun Monaten. Und mit Ausnahme von 24 000 DRK-Schwestern.
Grundrente? Ja, aber nur für Leute, die 35 Jahre durchgearbeitet haben – niemand aus meinem Stammtisch in Köln-Ehrenfeld wird das erreichen.
Grundrente:
Ja, aber nur erbärmliche 80 Euro mehr als die Grundsicherung, auf die wir sowieso zusteuern.

Solidarität mit Lohnabhängigen? Nur mit Arbeitsspartanern, die »ihr ganzes Leben hart gearbeitet haben«.
Verbot von sachgrundlosen Befristungen und Kettenbefristungen? Verbot der Werkvertragsarbeit? Leider nein. In der GroKo nicht durchgesetzt.
Entschuldigung für die Hartz-Gesetze, die neoliberale Zurichtung und die Öffnung des Landes für aggressive Finanzinvestoren? Im Leben nicht.

Wir dachten, die SPD wanke zielstrebig auf den Abgrund zu und darüber hinaus.
Und wir haben ehrlich gesagt Gefallen am dem Schauspiel gefunden – auch wenn es für den Kampf gegen AfD und Pegida ein Desaster bedeutet.
Irgendwie gefielen uns das hilflose Gestotter, die aschfahlen gequälten Gesichter nach weiteren Wahlschlappen.
Wir dachten, Eskwabo hätte so viele Chancen wie Bernie Sanders gegen Hillary Clinton
.

Und jetzt plötzlich das! Die eine Erkenntnis ist: Die SPD ist möglicherweise doch kein Zombie.
Vielleicht ist die alte Tante SPD eher eine Wachkomapatientin, die plötzlich wieder aufwacht, sich die Kanülen aus dem Arm reißt, um im Flur herumzuwandeln.
Leider ist sie aber halbseitig gelähmt: Nur 50 Prozent der Mitglieder nahmen an der aufwendig vorbereiteten Abstimmung teil.
Und sogleich stürzen sich die Pfleger auf sie, um sie mit Spritzen ruhig zu stellen und ans Bett zu fesseln. Sie hat eigentlich keine Chance.

Jetzt kommt raus: Andere Patienten sind offenbar noch toter als die SPD. Erstens: der DGB-Bundesvorstand unter Reiner Hoffmann und der NRW-DGB unter Anja Weber. Reflexartig verabschiedeten beide – Seite an Seite mit dem Arbeitgeberverband – flehende Aufforderungen, die GroKo bitte unbedingt fortzusetzen.
Zweitens: die transatlantisch orientierte Mainstreampresse. Sie befindet sich in einem ähnlichen Zersetzungsprozess wie SPD und DGB. Messbar an sinkenden Auflagen und Werbeeinnahmen, zusammengelegten Redaktionen sowie zunehmend austauschbaren Veröffentlichungen.
Eine Kursänderung ist nicht in Sicht: Das transatlantische Politmilieu reagiert auf die bloße Andeutung einer Abweichung vom Kurs bereits mit Hysterie. Es verlangt Gehorsam und Selbstverleugnung – notfalls bis zum Untergang.

Was haben diese Leute eigentlich gegen Eskwabo? Walter-Borjans trug entscheidend dazu bei, viele kriminelle Reiche zu Selbstanzeigen und Uli Hoeneß in den Knast zu bringen, indem er als NRW-Finanzminister CDs mit Steuersündern aus der Schweiz ankaufen ließ. Damit verstieß er bewusst gegen die BRD-Doktrin »Der Staat verhandelt nicht mit Kriminellen« – in diesem Fall mit profitorientierten Whistleblowern.
Das ist unverzeihlich, das vergessen sie nicht.

Dabei sollten alle mal einen Gang runter schalten. Früher war es immer so, dass die SPD als Partei linke Positionen vor sich her getragen hat. Die SPD-Fraktionen in den Parlamenten haben sich bloß nicht darum gekümmert.
Unter Willy Brandt als SPD-Vorsitzendem wurde Friedenspolitik beschlossen. Helmut Schmidt hat als SPD-Bundeskanzler den NATO-Doppelbeschluss durchgepaukt.
Erst unter Gerhard Schröder wurden die Ämter des Kanzlers und Parteivorsitzenden zusammengelegt. Vermutlich kehrt die SPD jetzt wieder zu dem altbekannten Spiel zurück.

Jochen

Totengräber des DGB – Bündnis konservativer Gewerkschaften – mit einem Kommentar von Elmar Wigand

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Fracking, Kohleverstromung, TTIP, Anbiedern, Gabriels Schoßhündchen spielen – Wer hier mitgliederfreundliche Politik erwartet hat, sieht alt aus:
http://www.jungewelt.de/2015/04-17/013.php

Es hat sich angedeutet. Doch dass es die Chefs der Industriegewerkschaften IG Metall, IG BCE und IG BAU gemeinsam mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) auf eine offene Spaltung des DGB ankommen lassen würden, ist doch überraschend.
Vordergründig handelt es sich bei dem am Mittwoch gegenüber handverlesenen Medienvertretern präsentierten Papier um eine Kooperationsvereinbarung, die Abgrenzungsprobleme der beteiligten Organisationen vermeiden helfen soll.
Tatsächlich aber ist es eine Kampfansage an die Gewerkschaften im Dienstleistungsbereich, allen voran ver.di.
Noch mehr: Die Zukunft des DGB als handlungsfähiger Gewerkschaftsverbund steht auf dem Spiel.

»Diese Kooperation ist gegen niemanden gerichtet, sondern nur für uns«, zitiert die Süddeutsche Zeitung vom Donnerstag den Vorsitzenden der Chemiegewerkschaft (IG BCE), Michael Vassiliadis.
Doch diese Aussage darf bezweifelt werden. Wenn sich vier Einzelgewerkschaften zusammentun – und die anderen vier DGB-Organisationen bewusst außen vor lassen – ist das eine klare Botschaft. Sie richtet sich vor allem gegen ver.di. Die 1.000-Berufe-Gewerkschaft steht naturgemäß im Zentrum der Abgrenzungsprobleme. Mit der IG BAU hat sie sich in der Vergangenheit heftig um die Vertretung der Reinigungskräfte in Krankenhäusern gestritten. Während dieser Konflikt weitgehend beigelegt ist, eskaliert die Auseinandersetzung mit der IG Metall zusehends.

Deren Vorsitzender Detlef Wetzel erklärte schon vor seiner Wahl Ende 2013 kategorisch: »Alles, was zur Wertschöpfungskette eines Endprodukts gehört, muss in unserem politischen Fokus sein.« Soll heißen: Die gesamte Lieferkette, sämtliche Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Herstellung von Autos, Maschinen etc. werden von der IG Metall erfasst.
Sicherlich macht es Sinn, zum Beispiel bei der Ausgliederung von Unternehmensteilen dafür Sorge zu tragen, dass die direkt Betroffenen in ihrer angestammten Gewerkschaft bleiben können, die ihnen Unterstützung im alten Stammbetrieb verschafft.
Doch zu klären sind derlei Fragen nur in solidarisch geführten Verhandlungen.

Offensichtlich ist: Es geht vor allem um das Anliegen der Apparate, die Mitgliedszahlen und damit ihre Finanzkraft zu stabilisieren. Mit dem Interesse der abhängig Beschäftigten als Klasse hat das nichts zu tun.
Doch der Konflikt hat auch einen politischen Kern. Die beteiligten Organisationen sind allesamt streng sozialdemokratisch ausgerichtet. Regierungskritische und gesellschaftspolitische Kampagnen lehnen sie anders als ver.di, GEW und NGG kategorisch ab.
Auch beim Gesetz zur »Tarifeinheit« wird die politische Spaltung deutlich. Empörend ist, dass sich DGB-Chef Reiner Hoffmann öffentlich auf die Seite einer Fraktion stellt. Er könnte damit zum Totengräber des Gewerkschaftsbundes werden, dem er selbst vorsitzt.

Dazu noch auszugsweise ein Kommentar von Elmar Wigand im ND:
http://www.neues-deutschland.de/artikel/969093.fragwuerdiges-buendnis-der-dgb-bolschewiki.html

Besondere Aufmerksamkeit ist generell immer dann gefragt, wenn Dinge hervorgehoben werden, die eigentlich für alle Beteiligten klar sein sollten.

Am 15. April luden vier Gewerkschaftsbosse in Berlin zu einem Pressegespräch. Die Spitzen der DGB-Gewerkschaften IG Metall, IG BCE, EVG und IG BAU gaben eine erweiterte Kooperation bekannt (»nd« berichtete). Dieser nach gesundem Menschenverstand eigentlich selbstverständliche Vorgang – dass Gewerkschafter, die zudem noch im selben Dachverband sind, eng kooperieren wollen – lässt Raum für Interpretationen und gibt Auskunft über die Verfassung der DGB-Gewerkschaften in Zeiten der Großen Koalition.
Dreh- und Angelpunkt dieser DGB-internen Viererbande ist bei näherer Betrachtung ihr Verhältnis zu zentralen Politik-Projekten der SPD in dieser Legislaturperiode.

Das erstaunliche Binnenbündnis innerhalb des DGB bahnte sich bereits durch ähnliche PR-Termine an. Am 16. November 2014 traten die Vier als »Allianz für Vernunft in der Energiepolitik« vor die Presse und leisteten Lobbyarbeit für Fracking in Deutschland. Das wegen möglicher Umweltgefahren höchst umstrittene Verfahren »dürfe nicht von vornherein ausgeschlossen werden«, sagte IG BCE-Chef Vassiliadis damals. Er war mit dem Vorstandsvorsitzenden von ExxonMobil Deutschland, Gernot Kalkoffen, in die USA gereist, »um sich über die US-Energiepolitik und die Erfahrungen mit Fracking zu informieren«. Offensichtlich konnte er überzeugende Erkenntnisse gewinnen, an denen er andere Gewerkschaftsgranden teilhaben ließ.
Auch IG-Metall-Chef Detlef Wetzel forderte also im Sinne von ExxonMobil: »Wir brauchen eine verlässliche und bezahlbare Energieversorgung. Sie bildet die Basis für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie.«

Im Januar 2015 wiederholte sich das Spiel. Es ging um eine Beschränkung des Streikrechts in der Daseinsvorsorge – bekannt als Gesetzesinitiative zur »Tarifeinheit«. In einer Presseerklärung der IG BCE hieß es: »Der DGB und die Mehrheit seiner Mitgliedsgewerkschaften unterstützen den Gesetzentwurf der Bundesregierung.« Unterschlagen wurde, dass diese Mehrheit keineswegs überwältigend war, da ver.di (ca. 2 Mio. Mitglieder), NGG und GEW die geplanten Angriffe auf das Streikrecht grundsätzlich ablehnten.
Beim transatlantischen  Investitionsschutz-Abkommen TTIP zeigt sich die neu geschmiedete Allianz der DGB-Viererbande dagegen brüchig.
So wagte es die IG BAU, sich gegen das TTIP zu positionieren. Sie steht damit auf der ablehnenden Seite von ver.di und der NGG.

Die Entscheidungsfindung innerhalb der neuen DGB-Fraktion verlief keineswegs demokratisch, sondern genügte bestenfalls den Prinzipien des »demokratischen Zentralismus«. Die einfachen Gewerkschaftssekretäre waren von den Vorstößen ihrer Führungsebenen überrascht, von einer demokratischen Meinungsbildung keine Spur.
Dissidenten müssen mit dem Gang der Dinge leben und können nur die Faust in der Tasche ballen. Möglicherweise sind sie sogar in der Mehrheit.

Bezeichnend war auch die elitäre Art der Präsentation. Exklusiv geladen waren nur vier Pressevertreter: Alfons Frese (Tagesspiegel), Stefan Sauer (DuMont Schauberg), Detlef Esslinger (SZ) und Stefan Kreutzberger (FAZ). Hierbei scheint es sich um verdiente Alpha-Journalisten zu handeln, denen die DGB-Mehrheitsfraktion vertraut, welche intern von der IG Metall angeführt wird.
Auch hier bleiben Fragen: Warum wurden selbst bewährte, staatstragende Medien wie »Spiegel«, »Zeit« und »stern« nicht bedacht? Von systemkritischen Geistern oder exotischen Wesen wie Bloggern ganz zu schweigen…

Als Gesamteindruck bleibt: Das Auftreten der besagten DGB-Gewerkschaften ist in sich verworren und widersprüchlich.
Darin spiegelt sich vor allem eine tiefe Ratlosigkeit: Wie soll sich die Gewerkschaftsbewegung aus ihrer babylonischen Gefangenschaft in der Sozialdemokratie und aus ihrer Nähe zu Großkonzernen und deren Projekten befreien?
Oder ist es nicht angenehmer, weiterhin die wärmende Nähe der Macht zu spüren, anstatt den mühseligen Weg der Konfrontation, Abgrenzung und Neuformierung zu gehen? Zumal dieser gegen eine beängstigende Medienmacht erfolgen müsste.

Für alle, die auf eine Erneuerung der Gewerkschaftsbewegung als gesellschaftliche Gegenmacht setzen, ist das neue Bündnis der regierungskonformen DGB-Bolschewiki äußerst ernüchternd. Und genau in diesem Sinne sollte die Botschaft vermutlich auch wirken: Haltet die Klappe und setzt euch!
Dass der gesamte Laden bald auseinanderbricht, ist dabei eher unwahrscheinlich. Dass er nach der Lateinlehrer-Methode dauerhaft zusammengezwungen werden kann, ebenfalls.

Elmar Wigand forscht zum »union busting« – der Bekämpfung von Betriebsräten und Gewerkschaften. Er ist ist Gründungsmitglied der aktion./ .arbeitsunrecht.

Jochen

Union Busting: »Betriebsrats-Fresser« in Aktion

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Wir dokumentieren einen Beitrag von Elmar Wigand aus der Gewerkschaftsbeilage der Tageszeitung junge Welt vom 24.9.2014:
Artikel und Kommentare hier:
http://arbeitsunrecht.de/union-busting_betriebsratsfresser-aktion/

Union Busting, die systematische Bekämpfung von Betriebsräten und gewerkschaftlicher Organisierung, gehört in Deutschland längst zur Angebotspalette von Arbeitsrechtssozietäten und internationalen Wirtschaftskanzleien.
Unternehmer mit gesteigertem Agressionspotential, die Betriebsratsgründungen verhindern, bestehende Mitbestimmungsorgane zermürben, gestandene Gewerkschafter im Betrieb zur Aufgabe zwingen wollen, finden im Internet zahlreiche Dienstleister unterschiedlicher Güte und Preisklasse.

Zum Standardprogramm gehören u.a. Wellen von substanzlosen Abmahnungen und Kündigungen, Bespitzelung durch Detektive, demütigende Personalgespräche und gezieltes Mobbing.
Die Anbieter solcher Dienstleistungen unterscheiden sich lediglich darin, ob sie diesen Klassenkampf von oben unverhohlen bewerben oder ob sie eher diskret ihre Hilfe zur Bewältigung »betriebswirtschaftlicher Sachzwänge« und bei der Einhaltung von »Effizienzkriterien« anbieten.

Bislang konnten Union Buster in Deutschland ihre juristischen Winkelzüge und Konstruktionen recht ungestört und weitgehend unbeachtet von Gewerkschaften und der Öffentlichkeit propagieren, planen und verfeinern. Diese Zeiten könnten sich dem Ende zuneigen. Am 27. März 2014 verhinderte ein lokales Bündnis in Stuttgart (»Initiative Klassenkampf«) erstmals ein entsprechendes Seminar der Kanzlei Schreiner+Partner. Und am 24.9.2014 organisierte das Bündnis »Aktionskreis Arbeitgebertage« lautstarken Protest gegen eine von der Verlagsgruppe Rentrop in Hamburg ausgerichtete Fortbildung für Manager (siehe Bericht).

Die Vorreiter

Seit 2001 beackern die deutschen Marktführer für explizites Union Busting – der Abeitsrechtler Helmut Naujoks sowie die Kanzlei Schreiner+Partner – dieses Feld. Sie sind mittlerweile durch zahlreiche Medienberichte und Veröffentlichungen zum Thema bekannt und verschrien, was ihr Geschäft vielleicht erschwert, aber keineswegs zum Erliegen bringt:
Der Arbeitsrechtsrambo Naujoks, der bereits 2007 durch einen eklatanten Fall von Betriebsrat-Bashing bei der Volksbank Ludwigsburg überregional Aufsehen erregte, durfte unlängst bei zahlreichen Filialen von Burger King sowie bei Götz-Brot in Würzburg, einem Zulieferer von Aldi, zulangen.
Der Druck, den er auf Beschäftigte ausüben kann, ist gewaltig, seine Erfolgsquote vor Gericht ist allerdings bescheiden.

»Schreiner+Partner« gehen in der Regel geschickter vor. Sie schulen Personalverantwortliche und Vorgesetzte in hausinternen Seminaren.
Bundesweit bieten sie in einer Art Wanderzirkus zudem »Arbeitgebertage« genannte Veranstaltungen in Hotels an, bei denen die »Kündigung der Unkündbaren« und »Minderleister« auf dem Programm steht.
Nach der Methode »Schreiner« kommen nicht selten unverdächtige lokale Anwälte oder auch renommierte Kanzleien zum Zuge, um die standardmäßige Flut an Abmahnungen und Kündigungen zu verschicken und vor Gericht zu vertreten. Dirk Schreiner und seine fünfzehn Partner scheuen, anders als Naujoks, das Licht der Öffentlichkeit.

Seit 2007 stößt die Bonner Verlagsgrupe Norman Rentrop mit ihrem Subunternehmen »BWRmedia« in das Segment des Hardcore-Arbeitsunrechts vor. Rentrops Imperium kümmert sich – neben konservativen Christen (Bibel TV) und ratlosen Millionären (Zentrum für Value Investing e.V.) – auch um mittelständische Unternehmer, die sich von den Marktgesetzen der globalisierten Welt zerrieben sehen und Rat suchen. Die Schuld suchen sie bei ihren Angestellten (»Minderleister«, »Blaumacher«), den Gewerkschaften (»Klassenkämpfer«, »Blockierer«) und beim Gesetzgeber (»Bürokratiemonster«). Rentrop beliefert sie mit Loseblattsammlungen, Ratgebern, Newslettern und Schulungen.
Bei den alljährlichen »Arbeitgebertagen zum Brennpunkt Betriebsrat« der BWRmedia treffen sich zwielichtige Anwälte und Vertreter großer Kanzleien, die gemeinhin als seriös gelten. Mit Burk­hard Boemke (Uni Leipzig) ist regelmäßig sogar ein echter Juraprofessor an Bord, der zudem als Managementberater eine Kanzlei betreibt (Boemke und Partner).

Experten für miese Tricks

Welch aggressiver Mief sich unter Boem­kes Professorentalar verbirgt, das illustrieren schon Titel und Untertitel seines Referats im Jahr 2013 bei den »Arbeitgebertagen zum Brennpunkt Betriebsrat«: »Betriebsratswahl 2014: So bekommen Sie den Betriebsrat, den Sie sich wünschen«.
Boem­ke dozierte unter anderem Folgendes: »Wenn Ihnen der gewählte Betriebsrat nicht paßt: Wahlanfechtung als Rettungsanker.«

Für den juristischen Laien klingt das, als finde hier Beihilfe bzw. Anstiftung zum Rechtsbruch statt. Die Beeinflussung und Behinderung von Betriebsratswahlen steht schließlich in der Bundes­republik nach Paragraph 119 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) unter Strafe.
Doch leider interessieren sich deutsche Staatsanwälte bislang nicht für diesen Bereich des Strafrechts. Bei Verstoß gegen Paragraph 119 ist immerhin eine Gefängnisstrafe von bis zu einem Jahr vorgesehen. Allerdings dürfte er zu den am stärksten ignorierten Straftatbeständen des deutschen Rechts gehören.

Professor Boemke, der seit 1998 als Direktor des Instituts für Arbeits- und Sozialrecht an der juristischen Fakultät der Universität Leipzig fungiert und bereits etliche Staatsanwälte in ihrer Ausbildung begleitet haben dürfte, trat im vorigen Jahr bei den BWRmedia-Arbeitgebertagen mit einem weiteren Referat hervor: »Kündigung der ›Unkündbaren‹: So trennen Sie sich selbst von Betriebsratsmitgliedern&Co.«.
Geliefert wurden hier Schritt-für-Schritt-Anleitungen, Informationen zu aktuellen Gerichtsurteilen auf diesem Feld und »Alternativen zur Kündigung«.

Auch andere Rechtsgelehrte lassen in den Ankündigungen der »Arbeitgebertage« ordentlich die Hosen runter: Über »Das optimale Wahlergebnis für Sie als Arbeitgeber: Betriebliche Strukturen geschickt gestalten und Freistellungsgrenzen beachten« referierte 2013 etwa Mathias Kühnreich, Partner der Sozietät Buse Heberer Fromm.
Und Eckard Schwarz, Leiter der Hamburger Arbeitsrechtsabteilung der Kanzlei Hogan Lovells erklärte 2012, unter welchen Voraussetzungen man Betriebsratsmitglieder mit einer außerordentlichen Kündigung loswerden kann.
Ferner wurden feilgeboten: Tips zur Überwachung und Kontrolle von Angestellten, zum Einsatz verdeckter Testkäufer (wieder von Burkhard Boemke).
Und Hermann Heinrich Haas, Partner der altehrwürdigen Hamburger Kanzlei Esche Schümann Commichau, widmete sich der Frage, wie man sogenannte Minderleister (»Low Performer«) »trotz Betriebsrats« und auch, wenn ihre Versäumnisse »schwer zu definieren und noch schwerer zu belegen« sind, loswerden kann.

Sprudelnde Profitquelle

Kongresse nach Art der »Arbeitgebertage« sind für Juristen nicht bloß eine willkommene Nebenerwerbsquelle, sondern auch eine Kontaktbörse; es geht darum, neue Kunden für die Kanzleien zu gewinnen. Die angeratenen Maßnahmen sollen im betrieblichen Alltag umgesetzt und durch Mandate versilbert werden.
Es geht um Wellen von Abmahnungen, Kündigungen, Klagen und Gegenklagen. So kommen meterdicke Aktenstapel und oft jahrelange Prozesse zustande.

Es ist eine Besonderheit des deutschen Anwaltsgewerbes, daß das »Modell Deutschland« und seine Mitbestimmung, die Tarifautonomie in blumigen Festreden stets gepriesen werden. Was die Unternehmerschaft und ihre Berater nicht davon abhält, Flächentarife, Organisationsmacht von Gewerkschaften und eben auch Betriebsräte seit den 1980ern nach Kräften auszudünnen, zu unterminieren oder in ganzen Branchen oder Regionen abzuschaffen.
Man sollte sich nicht täuschen lassen – weder vom gediegenen Auftreten renommierter Wirtschaftsanwälte noch von ihren gedämpften Formulierungen.
Die im Netz auffindbaren Werbebroschüren der bereits erwähnten Hamburger Arbeitgebertage belegen eindeutig, daß Union Busting auch von renommierten Juristen propagiert wird. Zudem sind die durch Referenten vertretenen Kanzleien keine unbeschriebenen Blätter.

So gerieten »Buse Heberer Fromm« bereits im November 2011 durch die systematische Zerschlagung von Betriebsräten der Steakhauskette Maredo an den Standorten Frankfurt am Main und Osnabrück in die Schlagzeilen. Das mit Hilfe der Juristen sorgfältig geplante Manöver umfaßte wochenlange Bespitzelung durch eingeschleuste Detektive, Videoüberwachung und eine Überfallaktion, bei der in der Frankfurter Freßgaß fast die gesamte gewerkschaftlich gut organisierte Belegschaft einer Filiale festgehalten, verhört und gekündigt wurde.
Parallel war Buse-Anwalt Jürgen Masling mit der Zerschlagung eines Betriebsrats in Osnabrück beschäftigt.

Gegenwärtig hat die Kanzlei ein Mandat für die Bekämpfung der Beschäftigtenvertretung beim Outsourcing-Giganten SellbyTel (BBDO) in Berlin.
SellbyTel betreibt dort ein Callcenter mit 500 Beschäftigten. Der im August 2013 gegründete Betriebsrat war von Anfang an mit erheblichem Gegenwind und Schikanen konfrontiert. Im August 2014 leitete Buse-Anwalt Thomas Grambow gegen neun von elf Betriebsratsmitgliedern ein Kündigungsverfahren ein.
Der Anwalt der Betroffenen, Martin Bechert, fand zum Vorgehen durch SellbyTel und »Buse Heberer Fromm« deutliche Worte: Dagegen müßten Politik und Gerichte etwas unternehmen. »Betriebsratsbehinderung ist eine Straftat und muß auch als solche geahndet werden. Union Buster sind Kriminelle und gehören hinter Schloß und Riegel.«

Gegenüber der Großkanzlei Hogan Lovells mit Sitz in London und Washington D.C. ist »Buse Heberer Fromm« aber noch ein kleiner Fisch. Lovells beschäftigt weltweit an 40 Standorten 2500 Anwälte und machte 2013 in Deutschland 149,5 Millionen Euro Umsatz.
Union Busting ist dabei eine Einnahmequelle, auf die man offenbar nicht verzichten möchte. So ist die Kanzlei seit 2013 für den Windkraft-Marktführer Enercon in Aktivitäten gegen eine Organizing-Kampagne der IG Metall eingebunden.

Wer als engagierter Gewerkschafter oder als Betriebsratsmitglied eine gesicherte Zukunft in einem deutschen Betrieb haben will, sollte sich also dafür interessieren, auf welche Schulungen seine Personalleiter so fahren und welche »Coaches« für »Inhouse«-Seminare in die Firma kommen.
Es lohnt sich außerdem, die Vorgeschichte von Kanzleien und Unternehmensberatern zu recherchieren, die Augen offen zu halten und gelegentlich auch, unbekannte Auto­kennzeichen auf den Parkplätzen der Personalabteilung aufzuschreiben.

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Elmar Wigand hat soeben gemeinsam mit Werner Rügemer zum Thema das Buch »Die Fertigmacher. Arbeitsunrecht und professionelle Gewerkschaftsbekämpfung« veröffentlicht (Papyrossa Verlag, Köln 2014, 220 Seiten, 14,90 Euro).

https://www.youtube.com/watch?v=tkG33PFMkk4

Nachtrag: Eine Studie der beiden für die Otto-Brenner-Stiftung kann hier herunter geladen werden:

https://www.otto-brenner-shop.de/uploads/tx_mplightshop/AH77_UnionBusting_WEB.pdf

Anmerkung: Norman Rentrop praktiziert seit Jahrzehnten mit der Zeitschrift „Die Geschäftsidee“, wo Leute animiert werden, für teures Geld zweifelhafte Ratschläge zur Selbständigkeit zu beziehen. Er überzog Leute, die aus Verträgen aussteigen wollen, mit Prozessen.

Jochen