Nein zum Aachener Aufrüstungsvertrag ! Generalangriff auf die Rüstungsexportrichtlinien und ein Kommentar dazu auf Makroskop

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Heute 2 wichtige Artikel zu diesem Elaborat der Rüstungs- und Finanzlobby:
s_dagdelenA. von MdB Sevim Dagdelen:

Gastkommentar der abrüstungspolitischen Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag

https://www.heise.de/tp/features/Nein-zum-Aachener-Aufruestungsvertrag-4283180.html
Dort auch über 90 sinnvolle Kommentare
Auszüge:

Am 22. Januar 2019 wird im Krönungsaal des Aachener Rathauses der neue deutsch-französische Freundschaftsvertrag in Erweiterung des Élysée-Vertrags von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron unterzeichnet.
Der Vertrag von Aachen soll „Begegnungen und den Austausch der Bürgerinnen und Bürger“ unterstützen und eine engere Abstimmung vor EU-Gipfeln auf den Weg bringen. Deutschland und Frankreich halten demnach „vor großen europäischen Treffen regelmäßig Konsultationen auf allen Ebenen ab und bemühen sich so, gemeinsame Standpunkte herzustellen und gemeinsame Äußerungen der Ministerinnen und Minister herbeizuführen“.

Dagegen scheint nichts zu sprechen. Doch der Vertrag hat es in sich. Anders als der Vorläufer, der Élysée-Vertrag von 1963, ist der Vertrag von Aachen im Wesentlichen ein binationaler Aufrüstungsvertrag. Denn das Kernstück des Vertragswerks sind die Aufrüstung im Rahmen einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und eine Stärkung der jeweiligen Rüstungsindustrie, insbesondere durch noch schwammigere Rüstungsexportrichtlinien als die bisher geltenden. Und so liest sich denn der Vertragstext wie ein gemeinsamer Militarismus à la carte.

Auch in der Reihenfolge der Artikel sind die Militarisierungsbestimmungen ganz nach vorne gerückt. Umso bemerkenswerter übrigens, dass viele Medien sie nicht einmal erwähnen in der Berichterstattung.
Gleich in Artikel 1 wird erklärt, dass man sich für das Ziel einer „wirksamen und starken Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“ einsetzt. Deutschland und Frankreich sollen ihre Zusammenarbeit gerade auch in Angelegenheiten der „Verteidigung“ sowie der „äußeren und inneren Sicherheit“ vertiefen. Die Passage gipfelt dann in der Willenserklärung zur gemeinsamen militärischen Intervention.

Man wolle die „Fähigkeit Europas stärken eigenständig zu handeln“, heißt es in Artikel 3. In der Überzeugung, dass „ihre sicherheitspolitischen Zielsetzungen und Strategien sich einander zunehmend“ (Artikel 4) annähern, wird eine engere militärische Kooperation beschworen.
Zugleich wird sich konkret zur Aufrüstung verpflichtet, um „Lücken bei den europäischen Fähigkeiten zu schließen und damit die Europäische Union und die Nordatlantische Allianz zu stärken“ (Artikel 4).

Die Zusammenarbeit bei gemeinsamen Militäreinsätzen soll gestärkt werden. Kern der künftigen Militärachse sollen aber gemeinsame „Verteidigungsprogramme“ sein und generell die Stärkung der jeweiligen Rüstungsindustrie durch staatliche Maßnahmen.
Im Technokratensprech des Vertragstexts wird sodann als gemeinsames Ziel formuliert, „die Wettbewerbsfähigkeit und Konsolidierung der europäischen verteidigungstechnologischen und -industriellen Basis zu fördern“ (Artikel 4). Eine „engstmögliche Zusammenarbeit“ beider Rüstungsindustrien wird angestrebt.
Und auch bei Rüstungsexporten zur globalen Machtprojektion soll es künftig nur noch grünes Licht geben. „Beide Staaten werden bei gemeinsamen Projekten einen gemeinsamen Ansatz für Rüstungsexporte entwickeln“, heißt es in Artikel 4.

Generalangriff auf die Rüstungsexportrichtlinien

Wem das zu abstrakt ist, der konnte den Ausführungen von Bundeskanzlerin Merkel am Wochenende entnehmen, worum es konkret geht.
Merkel dringt auf eine gemeinsame Rüstungsexportpolitik mit Frankreich. Auf dem CDU-Landesparteitag Mecklenburg-Vorpommerns hatte sie angekündigt, man werde gemeinsam ein neues Kampfflugzeug entwickeln.
„Aber wer mit uns gemeinsam ein Flugzeug entwickelt, der möchte natürlich auch wissen, ob er das Flugzeug mit uns gemeinsam verkaufen kann“, so die Kanzlerin. Es gehe nicht, dass man dann sage, dass die eigenen Schrauben und Teile nicht mitexportiert werden dürften.
„So können wir nicht zusammenarbeiten. Da werden wir Kompromisse machen müssen. Darüber sprechen wir im Augenblick“, fügte Merkel hinzu. Denn heute habe Deutschland sehr strenge Exportkontrollen, andere EU-Länder seien aber weniger streng.

Der Aachener Vertrag bedeutet also nichts weniger als einen Generalangriff auf die Rüstungsexportrichtlinien, so dass man künftig beispielsweise ein gemeinsames Kampfflugzeug auch an kriegsführende Staaten wie Saudi-Arabien rechtssicher exportieren können wird.
Dazu passt, dass die bis Ende 2018 im Koalitionsvertrag angekündigte Überarbeitung und „Schärfung“ der Rüstungsexportrichtlinien aus dem Jahr 2000 bisher ausblieb. Kurz vor Jahresende sagte Merkel bei einer Regierungsbefragung im Bundestag, die Regierung wolle damit erst im ersten Halbjahr 2019 fertig sein. Honi soit qui mal y pense – Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Für die deutsche Rüstungslobby ist das quasi eine Lizenz zum Gelddrucken, die in Aussicht stellt, durch eine engere Kooperation mit Frankreich endlich die verbliebenen Restriktionen loswerden zu können.
Es ist ein unheimlich anmutender imperialer Gestus, in dem der neue Vertrag verfasst ist. Während die EU und die europäische Zusammenarbeit durch die neoliberale und undemokratische Orientierung in eine immer tiefere Krise geraten, wird allein schon durch die Wahl des Ortes Aachen, fernab im Übrigen von jeder deutsch-französischen Grenze und unter Bezug auf das Reich Karls des Großen (Stichwort: Staatsakt im Krönungssaal), die ganze Mottenkiste vordemokratischer Reichsmythen bemüht, um künftige binationale imperiale Größe heraufzubeschwören.
Als wäre die Schaffung eines imperialen Kerneuropas eine Lösung der Krise der EU und nicht ihre Zerstörung.

Verzicht auf parlamentarische Kontrolle

Wo aber, so könnte man fragen, sind bei diesem Festakt des Militarismus eigentlich die Parlamente geblieben?
Die bittere Antwort auf diese Frage ist, der Deutsche Bundestag hat sich schlicht selbst entmächtigt. Im Vertrag selbst wird eine parlamentarische Kontrolle für die enge deutsch-französische Kooperation nicht einmal erwähnt.

In Eigeninitiative hat nun der Bundestag ein Parlamentsabkommen zum Aachener Vertrag auf den Weg gebracht, das diesen Namen nicht verdient. Denn abgesehen von der militärischen Orientierung der Präambel des Parlamentsabkommen, in der die Bestimmung des Bestrebens verankert wurde, „eine Konvergenz der Standpunkte Deutschlands und Frankreichs auf europäischer Ebene zu erreichen, um die Integration innerhalb der Europäischen Union in allen Bereichen zu fördern“, also auch bei Militär und Rüstung, verzichtet man selbst großmütig auf den Anspruch einer parlamentarischen Kontrolle.
So will man lediglich darauf achten, dass die Bestimmungen des Aachener Aufrüstungsvertrags korrekt umgesetzt werden.

Im Parlamentsabkommen heißt es zu den Aufgaben der deutsch-französischen Parlamentarierversammlung: „Die Versammlung hat folgende Zuständigkeiten: – Sie wacht über die Anwendung der Bestimmungen des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die deutsch-französische Zusammenarbeit vom 22. Januar 1963 und des Vertrages […] sowie über die Umsetzung und die Evaluierung der auf diesen Verträgen beruhenden Projekte“, also etwa über die Umsetzung des Rüstungsprojekts eines gemeinsamen Kampfflugzeuges.
Ein einziges Trauerspiel. Im Übrigen will man die Aktivitäten des Deutsch-Französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrats „begleiten“. So würdigen sich die beiden Parlamente zum Begleitservice für die Exekutive herunter.

Das Europa Merkels und Macrons à la Aachener Vertrag ist eine bizarre Mischung aus Aufrüstung und Kriegsvorbereitung sowie neoliberaler und autoritärer Orientierung im Namen der Völkerfreundschaft. Es verdient jeden Widerstand im Kampf um Frieden, soziale Gerechtigkeit und Internationalismus.
Sevim Dagdelen ist stellvertretende Vorsitzende und abrüstungspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag.

B. https://makroskop.eu/2019/01/die-deutsch-franzoesische-achse-eiert/
Auszüge:

makroskopDie deutsch-französische Achse eiert

Von Peter Wahl

Der Elysée-Vertrag von 1963 war Symbol für eine historischen Wende. Der neue deutsch-französische Freundschaftsvertrag ist Ausdruck für das, was heute in den deutsch-französischen Beziehungen noch geht – sehr, sehr wenig.

Am 22. Januar 1963 schlossen Charles de Gaulle und Konrad Adenauer den Elysée-Vertrag ab, der das Ende der Jahrhunderte alten „Erbfeindschaft“ zwischen Frankreich und Deutschland symbolisierte.
Auf den Tag genau 55 Jahre später unterzeichnen Merkel und Macron diesen Dienstag in Aachen einen neuen Vertrag.

Die Idee zu einem Elysée-Vertrag 2.0. stammt von Emmanuel Macron. Sie war Bestandteil seiner europapolitischen Reformvorschläge, die er in seiner vielgerühmten Rede an der Sorbonne im September 2017 ankündigte.
Er glaubte damals zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können: die Eurozone wieder flott und gleichzeitig den Abstieg Frankreichs zum Juniorpartner der Deutschen mindestens wieder rückgängig, wenn nicht gar France great again machen zu können.
Der neue Freundschaftsvertrag war dafür als zusätzliches Gleitmittel gedacht.

Mit dem Versuch, die Eurozone wieder flott zu machen, ist Macron gescheitert. In erster Linie an der Bundesregierung. Das was von seinen Plänen übrig blieb, wurde in der Erklärung von Meseberg im Juni 2018 fixiert.[1]
Statt eines Eurozonenbudgets in Höhe von „mehreren Prozentpunkten des BIP“ wie er es sich gewünscht hatte, gibt es nur die Zusage, sich in den EU-Budgetverhandlungen für einen Sonderposten in unterer zweistelliger Milliardenhöhe einzusetzen.
Statt eines europäischen Währungsfonds wird der Krisenfonds ESM fest etabliert.
Statt eines Eurozonen-Finanzminister und -parlaments gibt es überhaupt nichts.
Und selbst bei der Bankenunion, die auch zehn Jahre nach dem Crash noch immer nicht vollendet ist, steht Berlin auf der Bremse.

Wenig ambitioniert

Um Macron nicht komplett hängen zu lassen, soll jetzt der neue Freundschaftsvertrag als Trostpflaster dienen. Dabei kann das Abkommen niemanden so richtig vom Sockel reißen. Le Monde bezeichnet es dann auch enttäuscht als „wenig ambitioniert.
Neben viel Europathos und blumiger Freundschaftsrhetorik enthalten die 28 Artikel viele Absichtserklärungen, aber kaum Konkretes.

Typisches Beispiel: die Außenpolitik soll enger abgestimmt werden, darunter in der UNO (Art. 8), wo Berlin derzeit einen nicht-ständigen Sitz im Sicherheitsrat hat. Die Realität sieht freilich anders aus: so forderte Olaf Scholz im vergangenen November, Frankreich möge seinen ständigen Sitz und das dazugehörige Veto-Recht der EU zu Verfügung stellen – und damit natürlich auch entsprechenden deutschen Einfluss.
An den pikierten Reaktionen aus Paris wurde schnell klar, dass die französische Liebe weder zur EU noch zu Deutschland so groß ist, als dass man ausgerechnet auf einem der wenigen Terrains, wo man noch über Großmachtstatus verfügt, bereit wäre, auch nur ein Jota davon abzutreten.[2] Im Vertrag bleibt dann nur noch eine unverbindliche diplomatische Phrase:

„Die Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland als ständiges Mitglied des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen ist eine Priorität der deutsch-französischen Diplomatie.“

Dieser Stil zieht sich durch das ganze Dokument. Auch bei der militärischen Zusammenarbeit, wo es Macron vor allem darum geht, die Deutschen an den Kosten von Frankreichs Militäreinsätzen in seinen ehemaligen Kolonien zu beteiligen, während die militärpolitische Community in Deutschland ungeniert über die „atomare Teilhabe“ der Deutschen unter anderem an der Force de Frappe spekuliert,[3] sind die Interessen so unterschiedlich, dass der Vertrag vage bleibt.

Selbst bei eher harmlosen Themen, wie der Förderung des Schulunterrichts in der jeweils anderen Sprache, klaffen Anspruch und Wirklichkeit auseinander. So konnte noch unter Hollande nur mit Ach und Krach verhindert werden, den Deutsch-Unterricht an französischen Schulen drastisch zu reduzieren. Auch die französischen Kinder lernen heute lieber Englisch.

Andere Artikel des Vertrages bekräftigen nur, was auch ohne Freundschaftsvertrag bereits läuft, so zum Beispiel die Durchführung gemeinsamer Rüstungsprojekte und die Intensivierung der militärischen Kooperation im Rahmen der sogenannten Permanenten Strukturierten Kooperation (PESCO) der EU (Art. 3-5), oder die engere Kooperation bei der Entwicklung des digitalen Kapitalismus, bei künstlicher Intelligenz und digitaler Industrie (Art. 21).

Am weitreichendsten ist die Absicht, „die Integration ihrer Volkswirtschaften hin zu einem deutsch-französischen Wirtschaftsraum mit gemeinsamen Regeln“ zu entwickeln (Art. 20). Falls das tatsächlich ernsthaft in Angriff genommen würde, wäre es europapolitisch insofern interessant, als das auf das Konzept „Kerneuropa“ hinausliefe.
Macron hat sich ohnehin schon früher als Anhänger des „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ geoutet. Ein Kerneuropa würde die Ausdifferenzierung der Integration in die jetzt schon bestehenden vier oder fünf Geschwindigkeiten vertiefen und die zentrifugalen Tendenzen in der Gesamt-EU weiter verstärken.

Andererseits dürften die strukturellen Unterschiede zwischen dem exportgetriebenen Starkwährungsmodell der Deutschen und dem eher binnenmarktorientierten Schwachwährungssystem Frankreichs einer Integration der beiden Volkswirtschaften ziemlich enge Grenzen setzen.
Die jüngste Weigerung der Bundesregierung, dem französischen Vorschlag zur Einführung einer Digitalsteuer für die Internetgiganten zu folgen, spricht Bände.

Wirtschaftspolitische Bilanz Macrons mager

Auch aus Macrons Versprechen, die französische Wirtschaft anzukurbeln, ist nichts geworden. Das Wachstum ist von 2,2 Prozent in 2017 auf 1,7 Prozent in 2018 gesunken und liegt damit unter dem Durchschnitt der Eurozone (2,1 Prozent).[4]
Für 2019 und 2020 wird mit jeweils 1,6 Prozent gerechnet, die vorwiegend durch die Binnennachfrage erreicht werden. Die Arbeitslosenquote ist Ende 2018 knapp unter 9 Prozent gesunken. Auch das ist kein Ruhmesblatt.
Der Stand der öffentlichen Schulden lag 2018 bei 98,7 Prozent des BIP und soll bis 2020 nur geringfügig auf 97,2 Prozent sinken. Das Leistungsbilanzdefizit hält mit 0,6 Prozent des BIP unverändert an.
Der „Exportweltmeister“ hat demgegenüber einen Überschuss von 7,8 Prozent. Deutschland ist Frankreichs wichtigster Handelspartner, umgekehrt liegt Frankreich auf dem zweiten Platz der deutschen Partner.
Also auch hier ist Macron, der mit dem Anspruch einer „jupiterhaften“ Präsidentschaft angetreten war, auf menschliches Maß geschrumpft.
Die Operation Make France great again ist vorerst abgesagt.

Die Gelbwesten

Am härtesten aber wurde Macron von der Bewegung der Gelbwesten getroffen. Anfangs herrschte – bis in Teile der Linken hinein – Unsicherheit in der Bewertung der Proteste. Sie kamen buchstäblich aus dem Nichts und passten so gar nicht in das bekannte Schema sozialer Bewegungen. Weder die Sozialwissenschaften noch die Gewerkschaften noch linke Parteien hatten etwas gemerkt.
Die Protagonisten sind vorher nicht politisch aktiv gewesen. Sie erhoben den Anspruch, weder links noch rechts zu sein und wandten sich gegen die Vereinnahmung von außen. Zentrale Organisationsstrukturen und überregionale Repräsentation werden abgelehnt.

Von Regierungsseite wurde anfangs ein harter Konfrontationskurs eingeschlagen. Budgetminister Gérald Darmanin sprach von „brauner Pest.“ Aber bei aller Heterogenität der Bewegung stellte sich bald heraus, dass sich die konsensfähige Schnittmenge der Forderungen gegen die neoliberale Reformen Macrons richtete. „Es handelt sich in der Substanz also um eine anti-neoliberale Revolte.[5]
Deshalb bekam die Bewegung bald die Sympathie von zwei Dritteln der Bevölkerung und die Unterstützung der Mehrheit der französischen Linken.

Was den Gewerkschaften und der Linken bisher nicht gelungen war, schafften die Gelbwesten schon nach drei Wochen: Macron sah sich zu sozialpolitischen Zugeständnissen gezwungen. Die Benzinsteuererhöhung, Auslöser der Bewegung, wurde zurückgenommen und sozialpolitische Konzessionen mit einem Volumen von 10,3 Milliarden Euro verabschiedet.

Niemand kann wissen, wie die Bewegung weiter geht. Sie kann ermüden und zerfallen, es kann aber auch zu neuen Zuspitzungen, etwa einem Generalstreik, kommen. Wie auch immer, schon jetzt gibt es Effekte, die weit über das Sozialpolitische hinausgehen:

  • nachdem Merkel eine Lame duck ist, in London Chaos herrscht, die sozialdemokratische Minderheitsregierung in Madrid es nicht mehr lange machen dürfte und Italien nicht gerade vor europapolitischer Führungskraft strotzt, ist nun auch der europapolitische Hoffnungsträger aus Paris ausgefallen;
  • vor dem Hintergrund von Brexit, Trump, nachlassender Konjunktur und all der anderen ungelösten Probleme der EU wird deren europapolitische Handlungs- und Problemlösungsfähigkeit weiter sinken;
  • ein weiter so mit Macrons Reformprogramm à la Hartz-IV dürfte nicht mehr möglich sein. Wenn er an seinem neoliberalen Kurs festhält, riskiert er noch massiveren Widerstand als jetzt;
  • die internen Spannungen in seiner République en Marche haben stark zugenommen. Der Präsident ist neuerdings in den eigenen Reihen nicht mehr unumstritten;
  • Frankeich wird die Maastricht-Kriterien mit voraussichtlich 3,2 Prozent des BIP reißen. Ohne Gegenfinanzierung sogar mit 3,4 Prozent. Vor den Protesten waren 2,8 Prozent geplant. Damit ist Macrons Standing gegenüber Berlin und den anderen Hardlinern beim Management der Euro-Krise ziemlich auf Null;
  • bei den Wahlen zum EU-Parlament im Mai droht Macron eine schwere Blamage. Sie werden – anders als alle anderen Wahlen – nach reinem Verhältniswahlrecht durchgeführt, das heißt, sie zeigen einigermaßen realistisch die tatsächlichen Kräfteverhältnisse an. In Umfragen liegt der „Retter Europas“ seit Monaten unter 20 Prozent. An der Spitze liegt Marine Le Pen, die nach ihrer Niederlage in den Präsidentschaftswahlen viele für politisch erledigt hielten. Auch wenn das EU-Parlament machtpolitisch nicht sehr relevant ist, so sind die bevorstehenden Wahlen doch von hoher symbolischer Bedeutung.

Der alte Vertrag von 1963 war Symbol für eine historischen Wende: das Ende der Jahrhunderte alten „Erbfeindschaft zwischen den beiden Ländern. Man muss das nicht verklären, es waren damals weniger hehre Gefühle aus der Sphäre zwischenmenschlicher Beziehungen, wie Versöhnung und Freundschaft, sondern knallharte geopolitische Fakten – wie die totale Niederlage Deutschlands und der Kalte Krieg –, die die Rahmenbedingungen des Elysée-Vertrags bildeten. Aber es war von historischer Tragweite.
Der neue Vertrag ist Ausdruck für das, was heute in den deutsch-französischen Beziehungen noch geht – nämlich sehr, sehr wenig.

Peter Wahl ist Vorsitzender der NGO WEED – Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung. Er hat Gesellschaftswissenschaften und Romanistik in Aix-en-Provence, Mainz und Frankfurt studiert und ist einer der Gründer von attac Deutschland. Seine Themenschwerpunkte: Europapolitik, Entwicklungspolitik und internationale Beziehungen.

[1] PRESSE- UND INFORMATIONSAMT DER BUNDESREGIERUNG. Erklärung von Meseberg. Das Versprechen Europas für Sicherheit und Wohlstand erneuern. 19.6.2018. https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Pressemitteilungen/BPA/2018/06/2018-06-19-erklaerung-meseberg.html

[2] Le Figaro, 30.11.2018; S.8

[3] Major, Claudia (2018): Germany’s Dangerous Nuclear Sleepwalking. Carnegie Europe.

http://carnegieeurope.eu/strategiceurope/?fa=75351&utm_source=rssemail&utm_medium=email&mkt_tok=eyJpIjoiTURFME1EaGxaRFE0Wm1ZeiIsInQiOiIzVm1ZY1g1NXBmUFp2Wm5YejMyYThnZGl3N1REM25VTVhQN2l5dHJQZ2tyZnlva2NuUzVXTUJvMmZLTURtOUZQdGEwXC9MbEsyejd6UTNBZlJQb3BTOERjWUx0RFZTYzJ4Q21HalRJMHhkMENVZDBneW5uM3d6Sjh5elBiNlF2TUwifQ%3D%3D

[4] Alle Zahlen in diesem Absatz nach: Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages;  Referat PE 2 EU-Grundsatzangelegenheiten, Fragen der Wirtschafts- und Währungsunion. Aktuelle wirtschaftliche Lage in Frankreich und Auswirkungen der Protestbewegung „gilets jaunes.” Stand: 11. Januar 2019

[5] Aus der knappen, aber ziemlich treffende Analyse der Bewegung (in deutscher Sprache) unter: https://www.attac.de/fileadmin/user_upload/Kampagnen/Europa/Downloads/Attac_DE-Projektgruppe_Europa_-_Solidarita__t_mit_Gelbwesten_18jan2019.pdf

„Das Opfer wird gebeten, die Schuld des Täters auf sich zu nehmen“ – Ein Kommentar von Yanis Varoufakis

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

http://www.neues-deutschland.de/artikel/978365.ein-karthagischer-frieden.html
Auszüge:

»Ein Karthagischer Frieden«

Die Erklärung des Eurogipfels von Montag im Wortlaut – kommentiert von Yanis Varoufakis

»Lesen und weinen«, sagt Yanis Varoufakis zur Erklärung des Eurogipfels vom vergangenen Montag. Er hat die Vereinbarung kommentiert – eine Vereinbarung, die nach Meinung des früheren Finanzministers als die »Kapitulationsurkunde Griechenlands« in die Geschichte eingehen wird.
Varoufakis_mVaroufakis hat die von ihm kommentierte Version der Gipfel-Vereinbarung zuerst in seinem Blog veröffentlicht. Hier gibt es nun eine deutsche Fassung. David Bebnowski hat die Übersetzung besorgt.
Der Text der im Original siebenseitigen Gipfel-Vereinbarung ist unverändert, kursiv in eckigen Klammern die Anmerkungen, Kommentare und Einordnungen von Varoufakis. tos

SN 4070/15
EUROSUMMIT
Erklärung des Euro-Gipfels
Brüssel, den 12. Juli 2015

Der Eurogipfel betont, dass als Voraussetzung für eine mögliche künftige Vereinbarung über ein neues ESM-Programm

[d.h. einen neuen Verlängerungs-und Verschleierungs-Kredit]

das Vertrauen in die griechische Regierung unbedingt wiederhergestellt werden muss.

[d.h. die griechische Regierung muss neue strikte Austeritätsmaßnahmen umsetzen, die sich gegen
die schwächsten der Bevölkerung richten, die bereits furchtbar
gelitten haben]

In diesem Zusammenhang ist die Eigenverantwortung der griechischen Regierung von ausschlaggebender Bedeutung, und auf politische Verpflichtungen sollte eine erfolgreiche Umsetzung folgen.

[d.h. die SYRIZA-Regierung muss erklären, dass sie zur Logik der Troika überläuft]

Von einem Mitgliedstaat des Euro-Währungsgebiets, der um eine Finanzhilfe durch den ESM ersucht, wird erwartet, dass er, wann immer dies möglich ist, ein ähnliches Ersuchen an den IWF richtet. Dies ist eine Voraussetzung dafür, dass die Euro-Gruppe einem neuen ESM-Programm zustimmt. Griechenland wird daher fortgesetzte Unterstützung durch den IWF (Überwachung und Finanzierung) ab März 2016 beantragen.

[d.h. Berlin glaubt weiterhin, dass man eigenen europäischen »Rettungsaktionen« nicht trauen kann]

Angesichts der Notwendigkeit, das Vertrauen in Griechenland wiederherzustellen, begrüßt der Euro-Gipfel die Zusage der griechischen Regierung, unverzüglich die Rechtsvorschriften für ein erstes Maßnahmenpaket zu erlassen.

[d.h. Griechenland muss sich selbst fiskalischem Waterboarding unterwerfen, noch bevor irgendeine Finanzierung angeboten wird]

Diese Maßnahmen, die mit den Institutionen im Vorhinein vollständig abzustimmen sind, umfassen:

Bis zum 15. Juli die Straffung des Mehrwertsteuersystems

[d.h. die Mehrwertsteuer regressiver zu machen (was bedeutet, dass Personen mit zunehmenden Einkommen einen geringeren prozentualen Anteil ihres Einkommens als Steuer zahlen), und durch Erhöhung zu noch mehr Steuerhinterziehung zu ermutigen]

und die Ausweitung der Steuerbemessungsgrundlage, um die Einnahmen zu erhöhen;

[d.h. einen heftigen Schlag gegen die einzige griechische Industrie auszuteilen, die derzeit wächst, den Tourismus]

sofortige Maßnahmen zur Verbesserung der langfristigen Tragfähigkeit des Rentensystems als Teil eines umfassenden Programms zur Rentenreform

[d.h. die niedrigsten der niedrigen Renten weiter zu senken, während ignoriert wird, dass der Rückgang des Kapitals in den Rentenfonds auf die 2012 von der  Troika eingeführten Privatisierungen und die negativen Effekte der geringen Beschäftigung und von Schwarzarbeit zurückgeht]

die Sicherstellung der vollen rechtlichen Unabhängigkeit des griechischen statistischen Amtes ELSTAT

[d.h. die Troika verlangt die vollständige Kontrolle über die Berechnungsgrundlagen des griechischen Haushalt mit dem Ziel, den Umfang der Austeritätsmaßnahmen komplett selbst zu kontrollieren]

die vollständige Umsetzung der maßgeblichen Bestimmungen des Vertrags über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion, indem insbesondere dafür gesorgt wird, dass der Fiskalrat vor Fertigstellung der Vereinbarung seine Tätigkeit aufnehmen kann und indem bei Abweichungen von ehrgeizigen Primärüberschusszielen nach Konsultation des Fiskalrates und vorbehaltlich der vorherigen Zustimmung der Institutionen quasi-automatische Ausgabenkürzungen eingeführt werden

[d.h. die griechische Regierung, die weiß, dass die Haushaltsziele wegen der auferlegten Austerität niemals erreicht werden, muss sich schon jetzt zu neuen, automatischen
Kürzungsmaßnahmen verpflichten]

bis zum 22. Juli:

die Annahme der Zivilprozessordnung, wobei es sich um eine grundlegende Revision der Verfahren und Regelungen für das Zivilrechtssystem handelt, die eine Beschleunigung der Gerichtsverfahren und Kostensenkungen in erheblichem Maße ermöglicht

[d.h. Zwangsvollstreckung, Zwangsräumung und damit Zerstörung tausender Haushalte und Geschäfte, die nicht in der Lage sind, ihre Kredite abzuzahlen]

die Umsetzung der Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten mit Unterstützung der Europäischen Kommission.

Erst im Anschluss an die rechtliche Umsetzung der ersten vier der oben genannten Maßnahmen sowie an die Billigung aller in diesem Dokument enthaltenen Verpflichtungen durch das griechische Parlament, überprüft durch die Institutionen und die Euro-Gruppe, kann unverzüglich der Beschluss gefasst werden, die Institutionen mit der Aushandlung einer Vereinbarung zu beauftragen.

[d.h. die SYRIZA-Regierung wird dazu gedemütigt, erst einmal selbst scharfe Austerität durchzusetzen, damit sie dann weitere schädliche Kredite beantragen darf, deren Folgen zu bekämpfen SYRIZA ihre internationale Bekanntheit verdankt]

Dieser Beschluss würde unter dem Vorbehalt gefasst, dass die nationalen Verfahren abgeschlossen sind und die Voraussetzungen nach Artikel 13 des ESM-Vertrags auf der Grundlage der in Artikel 13 Absatz 1 genannten Bewertung erfüllt sind.

Damit sie die Grundlage für einen erfolgreichen Abschluss der Vereinbarung bilden können, müssen die von Griechenland vorgeschlagenen Reformmaßnahmen erheblich ausgeweitet werden, um der deutlichen Verschlechterung der Wirtschafts- und Haushaltslage des Landes im vergangenen Jahr Rechnung zu tragen.

[d.h. die SYRIZA-Regierung muss die Lüge akzeptieren, dass sie und nicht die Erstickungstaktiken der Kreditgeber die scharfe ökonomische Verschlechterung der vergangenen sechs Monate zu verantworten hatdas Opfer wird gebeten die Schuld an Stelle des Täters auf sich zu nehmen]

Die griechische Regierung muss sich förmlich dazu verpflichten, ihre Vorschläge in einer Reihe von Bereichen, die von den Institutionen benannt wurden, nachzubessern,

[d.h. sie noch rückschrittlicher und unmenschlicher zu machen]

und diese mit einem ausreichend klaren Zeitplan für den Erlass von Rechtsvorschriften und deren Umsetzung einschließlich Strukturindikatoren, Etappenzielen und quantitativen Benchmarks unterlegen, so dass Klarheit über die mittelfristige Ausrichtung der Politik besteht. Insbesondere müssen im Einvernehmen mit den Institutionen folgende Maßnahmen ergriffen werden:

Durchführung ehrgeiziger Reformen des Rentensystems

[d.h. Kürzungen]

und Festlegung politischer Maßnahmen, um die Auswirkungen des Urteils des Verfassungsgerichts zu der Rentenreform von 2012 auf den Haushalt vollständig auszugleichen

[d.h. die Gerichtsurteile zugunsten der Rentenbezieher zu übergehen]

und die Klausel über ein Nulldefizit

[d.h. Kürzung der Rentenzuschüssederen Beibehaltung SYRIZA in den vergangenen fünf Monaten mit Zehen und Klauen verteidigt hat]

oder einvernehmlich vereinbarte alternative Maßnahmen bis Oktober 2015 umzusetzen;

[d.h. »gleichrangige« Opfer zu finden]

Verabschiedung ehrgeizigerer Produktmarktreformen zusammen mit einem klaren Zeitplan für die Durchführung sämtlicher im Rahmen des OECD-Instrumentariums (Teil I)

[d.h. die Vorschläge, von denen sich die OECD nun distanziert, nachdem sie diese Reformen in Zusammenarbeit mit der SYRIZA-Regierung umgearbeitet hat]

ausgesprochener Empfehlungen, unter anderem zu verkaufsoffenen Sonntagen, Schlussverkaufsperioden, Eigentum an Apotheken, Milch und Bäckereien, mit Ausnahme nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel, die in einem nächsten Schritt umgesetzt werden, sowie zur Öffnung von makroökonomisch relevanten geschlossenen Berufen (z.B. Fährbetrieb). Im Rahmen der Folgemaßnahmen zu dem OECD-Instrumentarium (Teil II) ist die Produktion in die vorbereitenden Maßnahmen aufzunehmen;

in Bezug auf die Energiemärkte Privatisierung des Stromübertragungsnetzbetreibers (ADMIE), es sei denn, im Benehmen mit den Institutionen können Ersatzmaßnahmen mit gleichwertiger Wirkung auf den Wettbewerb ermittelt werden;

[d.h. ADMIE wird auf Anweisung der Institutionen an bestimmte ausländische Kapitalinteressen
ausverkauft]

auf den Arbeitsmärkten eine tiefgreifende Überprüfung und Modernisierung der Verfahren für Tarifverhandlungen,

[d.h. sicherstellen, dass keine Tarifverhandlungen erlaubt sind]

Arbeitskampfmaßnahmen

[d.h. diese sollen verboten werden]

und, im Einklang mit den einschlägigen Richtlinien und bewährten Verfahren der EU, Massenentlassungen

[d.h. sollen nach Belieben der Unternehmer erlaubt sein]

nach dem mit den Institutionen vereinbarten Zeitplan und Ansatz.

[d.h. die Troika entscheidet]

Auf der Grundlage dieser Überprüfungen sollte die Arbeitsmarktpolitik an bewährte internationale und europäische Verfahren angepasst werden und nicht zu einer Rückkehr zur bisherigen Politikgestaltung führen, die mit den Zielen der Förderung eines nachhaltigen und integrativen Wachstums nicht vereinbar ist;

[d.h. es soll keinen Mechanismus für die Lohnabhängigen geben, bessere Arbeitsbedingungen gegenüber den
Unternehmern durchzusetzen]

Annahme der erforderlichen Maßnahmen zur Stärkung des Finanzsektors einschließlich entschlossener Maßnahmen in Bezug auf notleidende Kredite

[d.h. eine große Welle von Zwangsvollstreckungen
steht uns direkt bevor]

und Maßnahmen zur Verbesserung der Steuerung des HFSF und der Banken,

[d.h. die Griechen, die den Stabilitätsfond (HFSF) und die Banken unterhalten, werden genau Null Kontrolle darüber haben]

vor allem durch die Beseitigung sämtlicher Möglichkeiten zur politischen Einflussnahme, insbesondere bei Ernennungsverfahren.

[d.h. mit Ausnahme der politischen Einmischung der Troika]

Darüber hinaus ergreift die griechische Regierung die folgenden Maßnahmen:

Ausarbeitung eines deutlich nachgebesserten Programms für die Privatisierung mit verbesserter Steuerung; Transfer von hohen griechischen Vermögenswerten an einen unabhängigen Fonds, der die Vermögenswerte durch Privatisierungen und andere Wege monetarisiert.

[d.h. eine Treuhand nach ostdeutschem Vorbild wird entworfen, um öffentliches Eigentum auszuverkaufen, allerdings ohne dass im Gegenzug die großen westdeutschen Investitionen nach Ostdeutschland fließen, die das Treuhand-Desaster abgefedert haben]

Die Monetarisierung der Vermögenswerte wird eine Quelle für die vereinbarte Rückzahlung des neuen ESM-Darlehen sein und soll während der Laufzeit des neuen Darlehens einen angestrebten Gesamtwert in Höhe von 50 Mrd. EUR erzielen, wovon 25 Mrd. EUR für die Rückzahlung der Rekapitalisierung von Banken und anderen Vermögenswerten verwendet werden und 50 % jedes verbleibenden Euro (d.h. 50 % von 25 Mrd. EUR) für die Verringerung der Schuldenquote und die übrigen 50 % für Investitionen genutzt werden.

[d.h. öffentliches Eigentum wird ausverkauft und die jämmerlichen Einnahmen werden dafür eingesetzt, nicht ausgleichbare Schulden auszugleichen – überhaupt nichts bleibt dabei für öffentliche oder private Investitionen über]

Dieser Fonds würde in Griechenland eingerichtet und von den griechischen Behörden unter Aufsicht der maßgeblichen europäischen Organe und Einrichtungen verwaltet werden.

[d.h. er wird zwar offiziell in Griechenland seinen Sitz haben, genau wie der HFSF oder die Griechische Zentralbank, aber vollständig von den Kreditgebern kontrolliert werden]

In Abstimmung mit den Institutionen und aufbauend auf bewährten internationalen Verfahren sollte ein Rechtsrahmen angenommen werden, um gemäß den Grundsätzen und Standards der OECD in Bezug auf die Verwaltung staatseigener Unternehmen transparente Verfahren und eine angemessene Preisbildung für die Veräußerung von Vermögenswerten sicherzustellen;

[d.h. die Troika wird tun und lassen, was sie will]

Modernisierung und deutliche Stärkung der griechischen Verwaltung im Einklang mit den Zielsetzungen der griechischen Regierung sowie – unter Federführung der Europäischen Kommission – die Einleitung eines Programms zum Aufbau von Kapazitäten und zur Entpolitisierung der griechischen Verwaltung.

[d.h. Griechenland wird nach dem Modell Brüssels zu einer demokratiefreien Zone mit einer Technokraten-Regierung, die politisch schädlich und makroökonomisch unfähig ist]

Ein erster Vorschlag sollte nach Beratungen mit den Institutionen bis zum 20. Juli 2015 vorgelegt werden. Die griechische Regierung verpflichtet sich, die Kosten der griechischen Verwaltung gemäß einem mit den Institutionen vereinbarten Zeitplan weiter zu senken;

[d.h. die niedrigsten Löhne zu senken, während die Gehälter einiger Troika-freundlicher Apparatschiks erhöht werden]

vollständige Normalisierung der Verfahren zur Arbeit mit den Institutionen einschließlich der erforderlichen Arbeiten vor Ort in Athen sowie Verbesserung der Programmdurchführung und -überwachung

[d.h. die Troika schlägt zurück und verlangt, dass die griechische Regierung sie auch noch dazu einlädt, als Aufseher nach Athen zurückzukehren – ein Karthagischer Frieden in aller Pracht, ein Frieden, der den Besiegten dauerhaft zerstört und ihm die Möglichkeit nimmt, »wieder auf die Beine zu kommen«]

Die Regierung muss die Institutionen zu sämtlichen Gesetzesentwürfen in relevanten Bereichen mit angemessenem Vorlauf konsultieren und sich mit ihnen abstimmen, ehe eine öffentliche Konsultation durchgeführt oder das Parlament befasst wird.

[d.h. das griechische Parlament wird erneut, nachdem es für fünf Monate kurz unabhängig war, zu einem Anhängsel der Troika]

Der Euro-Gipfel betont erneut, dass die Umsetzung von zentraler Bedeutung ist, und begrüßt in diesem Zusammenhang die Absicht der griechischen Regierung, bis zum 20. Juli 2015 ein Hilfeersuchen um technische Unterstützung an die Institutionen und die Mitgliedstaaten zu richten, und er ersucht die Europäische Kommission, diese Unterstützung durch Europa zu koordinieren;

Die griechische Regierung wird mit Ausnahme des Gesetzes über die humanitäre Krise die Rechtsvorschriften überprüfen, um die Rechtsvorschriften zu ändern, die im Widerspruch zu der Vereinbarung vom 20. Februar eingeführt wurden und Rückschritte gegenüber früheren Programmauflagen darstellen, oder sie wird klare Ausgleichsäquivalente für die erworbenen Rechte ermitteln, die im Nachhinein geschaffen wurden.

[d.h. zusätzlich zu der Aussicht, nicht länger gesetzgeberisch unabhängig zu sein, muss die
griechische Regierung rückwirkend alle Gesetze annullieren, die sie während der vergangenen fünf Monate verabschiedet hat
]

Die oben aufgeführten Verpflichtungen sind Mindestanforderungen für die Aufnahme der Verhandlungen mit der griechischen Regierung. Der Euro-Gipfel hat jedoch unmissverständlich klargestellt, dass die Aufnahme von Verhandlungen einer etwaigen endgültigen Vereinbarung über ein neues ESM-Programm, das in jedem Fall auf einen Beschluss über das Gesamtpaket (einschließlich des Finanzierungsbedarfs, der Schuldentragfähigkeit und einer etwaigen Überbrückungsfinanzierung) gestützt sein muss, keinesfalls vorgreift.

[d.h. Selbstzerfleischung: Lege einer von Sparpolitik zerquetschten Volkswirtschaft weitere Sparmaßnahmen
auf – wir werden schon sehen, ob die Eurogruppe Dich mit weiteren schädlichen, nicht bezahlbaren Krediten begräbt]

Der Euro-Gipfel nimmt zur Kenntnis, dass nach Einschätzung der Institutionen der mögliche Programmfinanzierungsbedarf zwischen 82 und 86 Mrd. EUR beträgt.[d.h. die Eurogruppe beschwört riesige Zahlen, die weit über dem liegen, was nötig wäre, um zu signalisieren, dass die Fesselung an die Schulden niemals enden wird]

Er ersucht die Institutionen, Möglichkeiten einer Verringerung des Finanzierungsrahmens – durch einen alternativen Konsolidierungspfad oder höhere Einnahmen aus Privatisierungen – zu prüfen.

[d.h. Ja, es könnte sein, dass Schweine fliegen]

Die Wiederherstellung des Marktzugangs, die Ziel eines jeden Finanzhilfeprogramms ist, verringert die Notwendigkeit einer Inanspruchnahme des gesamten Finanzrahmens.

[d.h. das werden die Gläubiger tunlichst vermeiden, z.B. dadurch, dass Griechenland erst 2018 in den Genuss des Anleihenaufkauf-Programmes der EZB kommt, um die Zinsen zu senken, zu einem Zeitpunkt also, wenn dieses Anleihenaufkauf-Programm nicht mehr existiert]

Der Euro-Gipfel nimmt Kenntnis vom dringenden Finanzierungsbedarf Griechenlands, der verdeutlicht, dass äußerst zügig Fortschritte im Hinblick auf einen Beschluss über eine neue Vereinbarung erzielt werden müssen: Dieser Finanzierungsbedarf wird auf einen Betrag von 7 Mrd. EUR bis zum 20. Juli und auf einen weiteren Betrag von 5 Mrd. EUR bis Mitte August veranschlagt.

[d.h. »Erweitern und Vortäuschen« bekommt eine weitere Bedeutung]

Der Euro-Gipfel stellt fest, wie wichtig es ist, dass der griechische Staat seine Zahlungsrückstände gegenüber dem IWF und der Bank von Griechenland ausgleichen und in den kommenden Wochen seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen kann, um die Voraussetzungen für einen ordnungsgemäßen Abschluss der Verhandlungen zu schaffen. Das Risiko eines nicht zügigen Abschlusses der Verhandlungen liegt vollständig bei Griechenland.

[d.h. einmal mehr wird verlangt, dass das Opfer an Stelle des Täters die Schuld auf sich lädt]

Der Euro-Gipfel ersucht die Euro-Gruppe, diese Aspekte vordringlich zu erörtern.

In Anbetracht der akuten Herausforderungen, mit denen der griechische Finanzsektor konfrontiert ist, müsste der Gesamtrahmen eines etwaigen neuen ESM-Programms die Schaffung eines Puffers von 10 bis 25 Mrd. EUR für den Bankensektor umfassen, um einen potenziellen Bankenrekapitalisierungsbedarf und etwaige Bankenabwicklungskosten zu decken, wovon 10 Mrd. EUR unmittelbar über ein Sonderkonto beim ESM bereitgestellt würden.

[d.h. die Troika gibt zu, dass die 2013 und 2014 erfolgten Rekapitalisierungen der Banken im Umfang von höchsten zehn Milliarden Euro nicht ausreichte. Aber natürlich wird die Schuld dafür nun auf die SYRIZA-Regierung abgewälzt]

Der Euro-Gipfel ist sich bewusst, dass eine rasche Entscheidung über ein neues Programm eine Voraussetzung dafür ist, dass die Banken wieder öffnen können und somit eine Erhöhung des Gesamtfinanzierungsrahmens vermieden wird.

[d.h. die Troika machte die griechischen Banken zu, um die SYRIZA-Regierung zum Kapitulieren zu zwingen – und schreit jetzt nach ihrer Wiedereröffnung]

Die EZB/der SSM wird nach dem Sommer eine umfassende Bewertung vornehmen. Der Gesamtpuffer wird Vorkehrungen für eine mögliche Kapitalknappheit im Anschluss an die umfassende Bewertung nach der Anwendung des Rechtsrahmens einschließen.

Es bestehen ernste Bedenken hinsichtlich der Tragfähigkeit der griechischen Schulden.

[Alle Achtung: Wirklich? Meine Güte!]

Dies ist auf eine Lockerung der politischen Maßnahmen in den letzten zwölf Monaten zurückzuführen, die zu der jüngsten Verschlechterung des makroökonomischen und finanziellen Umfelds im Inland geführt hat.

[d.h. nicht die »Rettungs«-Kredite und die Austeritäts-Auflagen von 2010 und 2012 haben die Wirtschaft nach unten gezogen und die Schulden in immense Höhen aufgetürmt – sondern es soll die Regierung gewesen sein, die diese »Rettungs«-Politik deshalb kritisierte, weil sie dazu führte, dass die Schulden niemals zurückzahlbar sind]

Der Euro-Gipfel weist darauf hin, dass die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Reihe von Maßnahmen zur Unterstützung der Schuldentragfähigkeit Griechenlands getroffen haben, die den Schuldentilgungspfad Griechenlands erleichtert und die Kosten erheblich verringert haben.

[d.h. das erste und das zweite »Rettungs«-Programm scheiterten und die Schulden explodierten. Das war die ganze Zeit absehbar, ebenso, dass es das eigentliche Ziel der »Rettungs«-Programme war, die Velruste von Banken auf Europas Steuerzahler abzuwälzen]

Vor diesem Hintergrund ist die Euro-Gruppe bereit, im Zusammenhang mit einem möglichen künftigen ESM-Programm und im Geiste der Erklärung der Euro-Gruppe vom November 2012

[d.h. das Versprechen zur Schuldenumstrukturierung gegenüber der früheren griechischen Regierung wurde von den Gläubigern nie eingehalten]

erforderlichenfalls mögliche zusätzliche Maßnahmen (möglicher längerer Tilgungsaufschub und mögliche längere Zurückzahlungsfristen) zu erwägen, um sicherzustellen, dass der Bruttofinanzierungsbedarf auf einem tragfähigen Niveau bleibt. Diese Maßnahmen hängen davon ab, dass die in einem etwaigen neuen Programm festzulegenden Maßnahmen vollständig umgesetzt werden, und sie werden nach einem ersten positiven Abschluss der Überprüfung in Betracht gezogen.

[d.h. nochmals: Die Troika zwingt die griechische Regierung, unter der Last unbezahlbarer Schulden weiterzuarbeiten. Wenn – als Resultat hieraus – das Programm scheitert, steigt die Armut weiter und die Einkommen brechen weiter ein, statt einen Teil der Schulden zu erlassen – wie es die Troika 2012 getan hat]

Der Euro-Gipfel betont, dass ein nominaler Schuldenschnitt nicht durchgeführt werden kann.

[Übrigens: Die SYRIZA-Regierung hat, und zwar seit Januar, eine moderate Schuldenumstrukturierung ohne Schuldenschnitt vorgeschlagen, um die erwartbaren Nettowerte der griechischen Rückzahlungen an die Gläubiger zu erhöhen. Dies wurde von der Troika abgelehnt, weil ihr Ziel lediglich darin bestand, SYRIZA zu demütigen.]

Die griechische Regierung erneuert ihre unabänderliche Zusage, dass sie allen ihren finanziellen Verpflichtungen gegenüber allen ihren Gläubigern vollständig und rechtzeitig nachkommt.

[Was übrigens nur nach einer substanziellen Schuldenumstrukturierung geschehen könnte.]

Sofern alle in diesem Dokument aufgeführten Voraussetzungen erfüllt sind, können die Euro-Gruppe und der ESM-Gouverneursrat gemäß Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrags die Institutionen beauftragen, ein neues ESM-Programm auszuhandeln, falls die Voraussetzungen nach Artikel 13 des ESM-Vertrags auf der Grundlage der in Artikel 13 Absatz 1 genannten Bewertung erfüllt sind.

Zur Unterstützung von Wachstum und der Schaffung von Arbeitsplätzen in Griechenland (in den kommenden 3 bis 5 Jahren)

[Wohlgemerkt: Während man in den vergangenen fünf Jahre bereits Wachstum und Jobs zerstört hat
…]

wird die Kommission eng mit der griechischen Regierung zusammenarbeiten, um bis zu 35 Mrd. EUR (im Rahmen verschiedener Programme der EU) zur Finanzierung von Investitionen und der Wirtschaftstätigkeit, einschließlich von KMU, zu mobilisieren.

[d.h. Es geht um die dieselben Strukturfonds plus etwas Fantasiegeld, die auch schon 2010 bis 2014 zur Verfügung standen]

Die Kommission wird als eine Ausnahmemaßnahme aufgrund der einzigartigen Lage Griechenlands den Gesetzgebungsorganen der EU vorschlagen, die Höhe der Vorfinanzierung um 1 Mrd. EUR aufzustocken, um einen sofortigen Anschub für Investitionen zu geben.

[d.h. Von den 35 Milliarden Euro, die jetzt Schlagzeilen machen, ist nur eine Milliarde echtes Geld]

Auch der Investitionsplan für Europa wird Finanzierungsmöglichkeiten für Griechenland vorsehen.

[d.h. es ist derselbe Plan, den die meisten Euro-Finanzminister ein Phantomprogramm nennen]

Jochen