Höhere Löhne statt Nationalismus

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Hier setzte im Mai ein Experte noch Hoffnungen in die SPD. Seine wirtschaftspolitische Analyse kann ich teilen, es geht in die Richtung von Per Molander, „Die Anatomie der Ungleichheit“ *).

https://www.ipg-journal.de/rubriken/europaeische-integration/artikel/hoehere-loehne-statt-nationalismus-3481/

Auszüge:

Wir brauchen nicht mehr nationale Identität, sondern eine Wirtschaftspolitik, die die Gesellschaft zusammenhält.

Nationalistische Anliegen haben in Deutschland wieder Konjunktur: Allenthalben heben linke Intellektuelle hervor, dass die Nation als Referenz für Solidarität besonderes Gewicht habe. Wenn liberale Eliten nicht mehr weiterwissen, werden sie patriotisch. Wie wäre es aber, wenn sie statt­dessen die Bekämpfung der wirtschaftlichen Missstände in Angriff nähmen, die hinter der Angst vor Zuwanderern stecken?
Stattdessen glauben sie zu wissen, dass die Beseitigung der Prekarität auf den Arbeitsmärkten nicht möglich ist.
Vollbeschäftigungspolitik durch Lohnsteigerung wird als populistisch abqualifiziert.
Und Keynesianismus kommt nur als Erhöhung von Staatsausgaben vor, die zu Schulden führt und damit zu Lasten zukünftiger Generationen geht.

Eine keynesianische Politik besteht aber nicht im Schuldenmachen. Schuldenfinanzierte Staats­ausgaben stehen nur dann auf der Tagesordnung, wenn neoliberale Wirtschaftspolitik das Wachs­tum durch Austeritätspolitik abgewürgt hat und eine Konsum-Krise bekämpft werden muss.

Wollen die Sozialdemokraten an Profil gewinnen, müssen sie über durchaus löbliche sozial­politische Forderungen hinaus ein Konzept vorlegen: eines, mit dem sie die Wirtschaft im Inter­esse der arbeitenden oder ins Prekariat gezwungenen Bevölkerung steuern können.
Allein die bisherige neoliberale Strategie zur Optimierung der Volkswirtschaft vermischt mit ein wenig Heilsarmee-Aktivität, um die Loyalität der eigenen Anhänger zu sichern, kann nicht überzeugen.

Zwei neoliberale Argumente dienen verlässlich als Speerspitze gegen eine andere Wirtschafts­politik.
Erstens: Profite sind notwendig, um Investitionen zu finanzieren, sonst fallen Arbeitsplätze weg.
Zweitens: Niedrige Löhne verbessern die internationale Wettbewerbsfähigkeit und schaffen damit Arbeitsplätze.

Dem widersprechen einige sehr einfache ökonomische Einsichten: In jeder Wirtschaftskrise gibt es hohe ungenutzte Kapazitäten und damit die Möglichkeit, Überschüsse zu produzieren, die inve­stiert werden könnten. Gleichwohl sinken in allen Krisen die Beschäftigung und die Investitionen.
Im Aufschwung dagegen steigen Investitionen sowie Profite und Beschäftigung – bis Vollbeschäf­tigung erreicht ist.
Empirisch spricht also nichts dafür, dass Investitionen vom Rückgang des Konsums abhängen.

Keynesianische Ökonomen haben dafür seit 70 Jahren eine überzeugende Begründung: Damit Unternehmen der Konsumgüterbranche überhaupt Profit machen und ihre Produkte zu höheren Preisen als ihren Kosten verkaufen können, muss es ausreichend Einkommen aus geleisteter Arbeit geben.
Der Arbeitslohn generiert zusätzliche Nachfrage und erlaubt die Entstehung von Profit.

Will man höhere staatliche Schulden vermeiden und zugleich auf permanente Exportüber­schüsse verzichten, weil sie Partnern die Möglichkeit zum Wachstum nehmen, dann müssten die Löhne in Deutschland kräftig steigen.

Denn die aus diesen höheren Löhnen generierte Nachfrage würde das Wachstum antreiben. Speziell die Produktion von neuen Investitionsgütern ist hier entscheidend.

Niemand kauft allerdings eine zusätzliche Maschine, wenn die Nachfrage nach den damit produ­zierten Konsumgütern nicht steigt.

Wenn die Löhne nicht ausreichend steigen, bleibt nur ein Aus­weg: Die zusätzlichen Güter müssen ins Ausland exportiert werden.
Die Exportüberschüsse ent­stehen also automatisch, wenn der Konsum im Inland zu gering ist.

Der neoklassische Mainstream glaubt, Kapitalismus sei ein Null-Summen-Spiel, bei dem man nur investieren kann, was man spart und daher nicht schon konsumiert hat. Deshalb lehnen sie stei­gende Löhne einfach ab.
Wenn Investitionen aber von steigender Nachfrage ausgelöst werden, bedeutet ein Befolgen dieser neoliberalen Rezepte wirtschaftliche Stagnation.

Es wird sogar noch schlimmer: Diese fehlgeleiteten Ökonomen fügen ihrer generellen Ablehnung von Lohnsteigerungen hinzu, dass diese zur Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt führen. Über die Wettbewerbsfähigkeit entscheidet aber vielmehr der Wechselkurs – denn die Lohnkosten werden international auf der Basis des Wechselkurses wirksam.
In der Zeit der nationalen Währungen im Euroraum wurde die D-Mark permanent aufgewertet, weil Deutsch­land so viel exportiert hat. Die Guthaben der Reicheren in dieser Republik nahmen aufgrund der Exporte zu.

Die Wettbewerbsposition der deutschen Wirtschaft wurde dadurch jedoch nicht verbessert. Im Gegenteil: Die Aufwertung gefährdete die deutsche Wettbewerbsfähigkeit.
Das Beschäftigungs­wunder zu Anfang der rot-grünen Regierungszeit war Folge der Spekulation des internationalen Kapitals gegen den als krisengefährdet eingestuften Euro.
Der niedrige Eurokurs verbilligte die Preise deutscher Exportgüter auf dem Weltmarkt.

Forderungen nach einer Rückkehr zur nationalen Währungspolitik sind allerdings illusionär. Denn auch in der Zeit der freien und der regulierten Wechselkurse nach dem Zusammenbruch des Bret­ton-Woods-Systems hat die deutsche Regierung Aufwertungen so begrenzt, dass Deutschlands Wirtschaftspartner unter ihren Möglichkeiten blieben beziehungsweise stagnierten.

Innerhalb des Euro-Raumes ist die Lage anders, weil hier kein Wechselkurs ausgleichend wirken kann. Gerade hier hat die deutsche Lohnpolitik zu permanenten Exportüberschüssen des Landes geführt. Etwas höhere Löhne und höhere Investitionen und somit weniger deutsche Wettbe­werbs­fähigkeit aber würde den Partnern nützen und Deutschland nicht schaden, sofern die Binnen­nach­frage hierzulande ausreichend steigt.

Die Arbeiterschaft hat diese Politik des Exportüberschusses regelmäßig durch Lohnzurück­hal­tung unterstützt, weil sie glaubte, damit ihre eigenen Arbeitsplätze zu schützen.
Das hatte jedoch – ausgelöst durch die geringere Kaufneigung der Arbeiterschaft bei geringeren Löhnen – den Rück­gang der Beschäftigung in den binnenmarktorientierten Industrien zu Folge. Dessen ungeachtet loben einige der „neuen Nationalisten“ das als Überlegenheit eines deutschen Lohnfindungs­prozesses nach dem Motto: Sparen ist eine nationale Leistung.
Die deutschen Arbeitnehmer seien eben vernünftiger als die Arbeitnehmer in den Südländern der EU.

Wenn die Sozialdemokratie nicht dafür sorgen kann, dass durch steigende Löhne ein angemes­se­nes Nachfrageniveau in Deutschland entsteht, muss es anderswo entstehen: etwa durch Kreditauf­nahme im Süden der EU wie vor der Euro-Krise.
Die Krise hat aber gezeigt, dass eine solche Ver­schuldung der anderen Euro-Länder dauerhaft nicht möglich ist.
Es bleibt dann nur die Möglich­keit, den anderen EU-Partnern wirtschaftlich unter die Arme zu greifen, um dort eine ausreichende Nachfrage zu erzeugen.

Auf europäischer Ebene können die Sozialdemokraten zwar auf kleine Kurskorrekturen hinwirken, zum Beispiel auf mehr Investitionen und eine Arbeitslosenversicherung. Diese Politik hat aber wegen des geringen Volumens solcher Programme eine begrenzte Wirkung.

Deutlich mehr können die Sozialdemokraten im nationalen Maßstab durch die Abkehr von ihren neoliberalen Trugbildern erreichen.

Dann sind die Stärkung der EU und die Erweiterung der Nachfrage in Deutschland nur zwei Seiten derselben Medaille.

Hartmut Elsenhans gilt als einer der führenden Theoretiker des globalen Keynesianismus.

Zuletzt lehrte und forschte er als Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Leipzig.
Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u.a. Politökonomie des Internationalen Systems sowie Entwicklungsstrategien und soziale Bewegungen im globalen Süden.

* Titel:gebrauchtes Buch – Molander, Per – Die Anatomie der Ungleichheit - Woher sie kommt und wie wir sie beherrschen können

Die Anatomie der Ungleichheit – Woher sie kommt und wie wir sie beherrschen können

Restart Europe Now! – Für eine andere Europapolitik – Aufruf hier unterzeichnen !

EuroExitJochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Liebe Freunde, Kollegen, Genossen,

zunächst der aktuelle Kommentar zum Brexit von Oskar Lafontaine aus den NachDenkSeiten:

Großbritannien verabschiedet sich aus der EU. „Ein trauriger Tag für Europa und Großbritannien“, sagt Außenminister Steinmeier. „Sieg der Freiheit!“, jubelt die Chefin des rechtsextremen Front National, Marine le Pen. Von Oskar Lafontaine.

Die europäische Idee hat einen schweren Rückschlag erlitten. Aber nicht erst seit gestern. Und nicht so sehr durch das Votum der Briten, sondern schon seit Jahren durch die verheerende Austeritätspolitik. Rückportrait_msichtslos hat die Regierung Merkel den anderen Staaten eine Kürzungspolitik aufgedrückt und die Interessen der deutschen Banken, Konzerne und vor allem der deutschen Export-Wirtschaft bedient. Bedenkenlos wurde in Griechenland die Demokratie außer Kraft gesetzt, um diese Politik mit Brachialgewalt durchzusetzen. Dazu kommen Merkels Alleingänge, die in den europäischen Hauptstädten auf wenig Verständnis stießen. Die Kanzlerin hat somit an erster Stelle das zunehmende Misstrauen gegenüber der europäischen „Lobbykratie“ zu verantworten, das jetzt zum Brexit geführt hat.
 
Nicht nur in Großbritannien erleben die Bürgerinnen und Bürger Europa nicht mehr als Zukunftsversprechen und historische Chance. Vielmehr steht die EU derzeit für Sozialabbau, für das Schleifen von Arbeitnehmerrechten und für die Zerstörung der Demokratie.

 
Wer die europäische Idee retten will, der muss daher für einen Neuanfang in Europa sorgen. Europa muss sozial und demokratisch werden und seiner Jugend wieder eine Zukunft geben, oder es wird zerfallen.

Auch wenn hier überwiegend SPD- und Grüne Parteiprominente mit unterschrieben haben, finde ich den folgenden Aufruf genauso unterstützenswert wie die Initiative von Varoufakis:

http://restart-europe-now.eu/unterstuetzen/

Wir wollen für eine bessere Europapolitik sorgen.

Europa ist in seiner bislang schwersten, ja in einer existenziellen Krise, die an die faktischen und die moralischen Wurzeln des Zusammenschlusses geht.
Die britische Abstimmung über einen Verbleib des Königreichs in der EU, die noch immer nicht gelöste Euro-Krise, die zunehmende Polarisierung gegenüber Russland und die Zuspitzung des Flüchtlingsdramas, in dem die Abschottung zwischen den Staaten zunimmt und Europa zu jener Festung zu werden droht, die es nie werden wollte – alles dies unterminiert unsere Wertegemeinschaft und trägt zur Auflösung des europäischen Zusammenhalts bei.

Gleichzeitig steht eine Reihe von Mitgliedsländern in der Union unter dem Druck rechtskonservativer, rechtsextremistischer und europaskeptischer Parteien, die bei einem Wahlerfolg dem britischen Vorbild nachfolgen dürften.
Die jüngsten Studien der OECD erkennen, mit Ausnahme der skandinavischen Länder, eine zunehmende soziale Spaltung in den europäischen Mitgliedsländern, die ebenfalls zu einer Stärkung der rechtsextremen Parteien beiträgt.

Die Austeritätspolitik, die auf Druck Deutschlands alternativlos durchgesetzt wird und die demokratische Legitimation der EU schon seit Jahren unterminiert, stärkt zudem Fliehkräfte, die das grenzenlose Europa erst schwächen und dann zerstören können. Darunter leidet auch ganz offensichtlich die Attraktivität der Europäischen Idee bei den jungen Europäerinnen und Europäern, die besonders stark von Arbeits- und Perspektivlosigkeit betroffen sind.
Um dagegen anzugehen, haben sich Mitglieder verschiedener Parteien, von Gewerkschaften, Kirchen, der organisierten Zivilgesellschaft, ebenso wie aus der Wirtschaft und Wissenschaft zusammengefunden, um öffentlich für die demokratische und soziale Festigung und Weiterentwicklung der Europas zu kämpfen.

Die Europäische Union gründet im freien Zusammenschluss der europäischen Staaten und im Respekt vor ihrer Vielfalt. Sie ist eine Antwort auf die Zerstörung Europas im zweiten Weltkrieg und auf eine deutsche Hybris, die sich das vielfältige Europa untertan machen wollte, nicht zuletzt durch eine Politik und durch Ordnungsvorstellungen, die den Nachbarn aufgezwungen werden sollten. Der Erfolg dieser inneren Einheit Europas wurde in den letzten Jahren gerade auch durch deutsche Politik zunehmend aufs Spiel gesetzt.

Deshalb müssen wir dringend umsteuern. Auf neuen Wegen müssen wir zur Wiederbelebung der einigenden Europäischen Idee durch konkrete wirtschaftliche, soziale, friedenspolitische und kulturelle Initiativen und Strategien gelangen und damit den Europäischen Zusammenhalt stärken und weiterentwickeln.

HIER UNTERZEICHNEN !

„Restart Europe Now!“ ist eine überparteiliche Initiative, die den vorherrschenden Lösungsstrategien bei der Überwindung der Krisen in der Europäischen Union eine klare Alternative entgegensetzen möchte.
Wir sind davon überzeugt, dass eine echte Schubumkehr dringend notwendig ist. Dafür kritisieren wir die fatalen Auswirkungen einer gescheiterten Austeritäts- und Abschottungspolitik und formulieren konkrete Vorschläge, um einen nachhaltigen Ausgleich zwischen den europäischen Interessen zu erreichen.
Wir suchen den Austausch und die Zusammenarbeit mit allen Kräften, die für ein solidarisches Europa in Frieden, Wohlstand und sozialer Sicherheit eintreten.
Der beste Aufruf und die besten Ideen nützen wenig, wenn keine*r sie unterstützt und verbreitet. Hier können Sie deshalb unseren Aufruf unterstützen.
Wir würden uns sehr freuen wenn dieser Aufruf nicht nur von vielen Menschen unterzeichnet, sondern auch verbreitet wird um ihn bekannt zu machen!
Jochen