Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN
Ein ganz wichtiger Text aus der Friedrich-Ebert-Stiftung, der einen Gedanken fortsetzt, den ich schon vor einigen Jahren in Naomi Kleins Buch „No Logo“ gefunden habe – sie hat darin schon festgestellt, dass einige Themen, z.B. Gender, sich in den U.S.A. hervorragend zu neoliberalen Ablenkungsmanövern eignen, um die Leute von der Kritik der Vermögensverhältnisse und vom Thema KLASSENKAMPF abzulenken. Was im übrigen auch meine Erfahrung ist – die Auseinandersetzung um genderunspezifische Sprache, dass man jetzt überall Worte wie „Teamende“ statt Teamer, „Zu-Fuß-Gehende“ statt Fußgänger schreiben soll und darüber energie- und zeitraubende Diskussionen gefhrt werden mssen u.s.w….
Das Dumme ist, dass diese Irreführung bis heute funktioniert. Es hat was mit dem Verlust des Klassenstandpunktes zu tun und mit der Ausblendung dessen, dass das Grundgesetz und die bayerische Landesverfassung die soziale In-Pflicht-Nahme der Vermögenden ausdrücklich vorschreibt, der Staat z.B. Millionäre auch besteuern und berhaupt Steuern eintreiben kann. Siehe die derzeitige Diskussion um die zuknftige Rentenpolitik, wo angeblich für die Stabilisierung kein Geld da ist und man es den „zukünftigen Generationen“ wegnehmen muss.
Eine Bestätigung dieser These findet sich auch in dem unmöglichen Brief aus der Queer-Bewegung, die Sahra Wagenknecht und ihrer Sammlungsbewegung homosexuellenfeindliche Absichten unterstellt. Eine Kritik dessen ist auf RT online erschienen, habe ich aber gerade nicht vorliegen. Überhaupt wird diese Sammlungsbewegung aus dem Reich der neoliberalisierten Emporkömmlinge und Nutznießer ihrer Anpassung wie z.B. ehemals systemkritischer Kabarettisten in übler Weise aufs Korn genommen, das Piepsen der Küken ist lautstark zu vernehmen. Identifikation mit dem Aggressor nennt der Psychoanalytiker das.
Herkunft ist kein Ersatz für Zukunft
Weshalb die Obsession mit Identitätspolitik Stammesdenken, Opferkult und Entsolidarisierung vorantreibt.
Von Robert Pfaller | 13.08.2018
„Meine Identität? 17 Prozent dies, 24 Prozent das, 100 Prozent Schubladendenken.“
Während westliche Staaten auf der Ebene der Politik derzeit die elementaren Bedürfnisse der Bevölkerungen brüsk ignorieren, zeigen sie auf der Ebene der Kultur ein immer feineres Zartgefühl. Dort betreiben sie Sensibilisierung und implementieren entsprechende Institutionen.
Auf der Ebene der Politik unternimmt man nichts gegen die massiven Reallohnverluste, welche die untere Hälfte der Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten hinnehmen musste. Man lässt Arbeitslose mit Maßnahmen wie Hartz IV verwahrlosen – bezeichnenderweise nimmt die aktuelle österreichische Rechts-Rechts-Regierung dieses Programm der Schröder-Sozialdemokratie derzeit zum Vorbild. Bis in die oberen Mittelschichten hinein hat sich das Gefhl verbreitet, dass die Kinder es einmal nicht mehr besser haben werden. Dieser ökonomischen Erosion entspricht auch eine der demokratischen Mitbestimmung: Mithilfe internationaler Abkommen wie der Maastricht-Verträge schafft man Realitten, die sich jeglicher demokratischer Kontrolle entziehen.
Auch in Fragen der Außenpolitik der EU haben große Teile der Bevölkerungen das Gefühl, niemals auf irgendeiner politischen Ebene eine demokratische Willensbildung erlebt zu haben. *)
Auf der Ebene der Kultur dagegen zeigt man geradezu erstaunliches Verstnädnis für noch so kleine Sorgen oder Empfindlichkeiten – vor allem fr solche, die mit Fragen der sogenannten ethnischen, kulturellen, religiösen oder sexuellen etc. „Identität“ verbunden sind.
Man diskutiert öffentlich über sogenannte „Mikroaggressionen“, empfiehlt die Vermeidung von Worten oder Gesten, die irgend jemanden verletzen knnten (meist lange, bevor tatsächlich irgend jemand sich verletzt fühlt), und denkt voller Ernsthaftigkeit darüber nach, wie viele Geschlechter es geben könnte und ob wir derzeit wohl eine Toilettentüre zu wenig oder aber eher eine zuviel haben.
Die postmodernen Identitätspolitiken aber stellen keine mildernde Kompensation, sondern vielmehr einen aktiven Beitrag zur neoliberalen Produktion wachsender Ungleichheit dar. Das ist die These, die im Begriff des „progressiven Neoliberalismus“ steckt, den die Philosophin Nancy Fraser entwickelt hat.
Die Postmoderne ist das Kulturprogramm des Neoliberalismus.
Diese These lässt sich mit mindestens zwei Argumenten untermauern.
Erstens erfüllt eine Verstärkung der Sorge der Individuen um ihre Identität zu einer massiven Entsolidarisierung und Ablenkung von den entscheidenden Fragen.
Die um ihre Identität Besorgten treten ein in einen „Opferwettbewerb“, in dem sie einander durch sogenannte „Intersektionalität“ zu übertreffen versuchen.
Dabei werden sie zunehmend unfähig, zu erkennen, dass es wichtigere Interessen gibt als die der Identität und dass es für die Verfolgung dieser Interessen notwendig wäre, sich mit anderen Identitäten zusammenzuschließen.
Dabei wird eine entscheidende Errungenschaft bürgerlicher Emanzipation diffamiert. Der von den Identitätspolitiken geschürte Hass auf die „alten, heterosexuellen weißen Männer“ richtet sich nämlich auf das gesamte politische und ethische Programm des bürgerlichen Universalismus.
Die Bourgeoisie hatte als erste Klasse in der Geschichte sich selbst nicht als besondere, sondern vielmehr als allgemeine Klasse begriffen (die Arbeiterklasse ist ihr später darin gefolgt), und ihre Befreiung nicht nur als ihre eigene, sondern als die der gesamten Gesellschaft konzipiert. Die Etablierung eines Rechtssystems, das von der jeweiligen Person absieht, sowie eines zivilisierten Umgangs, bei dem die Frage der „Identität“ im Hintergrund gehalten wird, sind die entsprechenden Erfolge der bürgerlichen Klasse.
Sie sind zugleich die Beute, um die jegliche Emanzipationsbestrebung welcher Identitätsgruppe auch immer kämpfen muss.
Das unpersönliche Recht und den Habitus des zivilisierten Verhaltens identitätspolitisch zu verunglimpfen, ist hingegen ein Beitrag zur neoliberalen Zerstückelung, Re-Feudalisierung und Re-Tribalisierung der Gesellschaft.
Genau in dem Maß, in dem der Neoliberalismus den Menschen die Aussicht auf eine bessere Zukunft genommen hat, kam ihm die Propaganda der Identitätspolitik zu Hilfe und ließ sie nun, statt nach vorne, nach hinten blicken: wer keine Zukunft mehr hat, der braucht eben mehr Herkunft. Und wer nicht mehr hoffen kann, irgendetwas Interessantes zu werden, der muß eben darauf pochen, irgendetwas Kostbares, Verletzbares zu sein.
Zweitens hat der Neoliberalismus zur Zerreißung der gesellschaftlichen Mitte in den reichen westlichen Staaten geführt. Eine im Keynesianismus der ersten Nachkriegsjahrzehnte zu gewissem Wohlstand und Ansehen gelangte untere Mittelschicht aus Arbeitern und Angestellten erlitt nun massive Verluste sowohl an Realeinkommen wie auch an Sozialprestige. Das eine besorgte die konomische Umverteilung; das andere die kulturelle.
Frhere emanzipatorische Engagements wie Neomarxismus, Feminismus oder Antirassismus wurden nun vorwiegend auf der Ebene der Kultur praktiziert und verwandelten sich in unverbindlichere Betätigungsfelder wie Dekonstruktion, Gendertheorie und postkoloniale Studien.
Sie verloren dabei an gesellschaftlicher Relevanz, aber gewannen dafür an Verfeinerung, Komplexität – und vor allem an Distinktionswert – hinzu: mit all diesen Dingen, ursprünglich aus der Not der Ausgebeuteten, geboren, konnte man nun plötzlich zeigen, dass man etwas Besseres war. Die Identitätspolitik hat das gesellschaftliche Leid und seine Anerkennung nach oben, zu den Eliten, umverteilt.
Ein entscheidender Grund für diese Entwicklungen dürfte darin liegen, dass seit den 80er Jahren die Mitte-Links-Parteien in Europa und Übersee sich in ihrer ökonomischen Politik nicht mehr von ihren konservativen und neoliberalen Gegnern unterschieden. Die einzig verbleibenden Unterschiede mussten nun auf dem Feld der Kultur markiert werden.
Diese Kulturalisierung linker Politik führte dazu, dass Probleme der ökonomischen Basis nun nur noch auf der Ebene des ideologischen Überbaus behandelt wurden – so, als ob man dort wirksam etwas gegen sie unternehmen könnte.
Als zum Beispiel der Ausbau des Sozialstaates, der eine Notwendigkeit für die Anliegen der Frauenbewegung der 1970er Jahre war, in den 1980er Jahren durch Austeritätsprogramme zurckgefahren wurde, entschädigte man die Frauen verstärkt mit dem Binnen-I und ähnlichen Sprachkomplikationen.
Der Hass, den die Bewohner verwahrlosender Arbeiterbezirke und -Städte gegen die sogenannte „Kulturlinke“ empfinden, mag vor diesem Hintergrund verständlich werden.
Die „Kulturlinke“ wird nicht zu unrecht als eine Distinktionselite wahrgenommen, die sich den Luxus „humaner“ Einstellungen leisten kann und damit die brigen Elemente deklassiert.
Die symbolischen Pseudopolitiken leisten somit einen nicht unerheblichen Beitrag dazu, dass die untere Mittelklasse immer mehr den Anschluss an den oberen Teil der Gesellschaft verliert. Diese zunehmende Aussichtslosigkeit hat wiederum zur Folge, dass diese Klasse weniger versucht, nach oben zu kommen, als vielmehr, nicht von nachdrängenden unteren Klassen – wie zum Beispiel ambitionierten Migranten – eingeholt zu werden.
Während die postmoderne Identitätspolitik einerseits ständig Menschen auf diverse Zugehörigkeiten und Herkünfte reduziert, übernimmt sie andererseits das frühbürgerliche, aufklärerische Pathos der „Beseitigung von Vorurteilen“ und propagiert ungehinderten Marktzugang für alle und „fairen“ Wettbewerb.
Unter zunehmend ungleichen Startvoraussetzungen aber erweist sich eine solche Politik nicht als fair, sondern schafft zusätzliche Unfairness. Denn sie setzt den Wettbewerb noch weiter außer Kraft, indem sie mehr als die Leistung eben diverse tatsächliche oder angebliche Handicaps in Rechnung stellt.
Aber selbst unter den günstigsten Bedingungen kann die Politik der „Nichtdiskriminierung“ keine Gerechtigkeit schaffen: Wie der Theoretiker und Aktivist der Emanzipation der Schwarzen in den USA, Adolph Reed, treffend bemerkt hat, würden in einer solchen Gesellschaft weiterhin 1 Prozent der Menschen 90 Prozent der Ressourcen kontrollieren; nur wären Hautfarben und Sexualitäten eben gleichmäßig über die Ungleichheit verteilt.
Wäre diese schiefe Ebene hingegen flacher oder gar waagrecht, dann wäre Diskriminierung erschwert oder sogar gänzlich unmöglich: denn es gäbe keine ungleichen Plätze mehr, auf die man die diversen Gruppen diskriminierend verteilen könnte.
Wenn man die Probleme der Identität und der Klasse von der Seite der Identität in Angriff nimmt, dann löst man darum meist keines von beiden.
Wenn man sie aber von der Seite der Klasse in Angriff nimmt, dann löst man sehr oft alle beide.
Denn in einer Gesellschaft, die sich auf Gleichheit zu bewegt, werden den Menschen ihre Identitäten zunehmend egal. Sie achten dann nicht mehr darauf, was sie angeblich sind, sondern darauf, was sie werden können.
Dieser Text beruht auf einem Beitrag des aktuellen Bandes: Johannes Richardt (Hg.): Die sortierte Gesellschaft. Zur Kritik der Identitäätspolitik. Novo Argumente Verlag, Frankfurt/Main 2018, 194 Seiten, 16,00 Euro.
Robert Pfaller ist Philosoph und lehrt an der Kunstuniversitt Linz. Bekleidete Professuren und Gastprofessuren u. a. in Amsterdam, Berlin, Chicago, Oslo, Strasbourg, Toulouse, Wien, Zürich. Ausgezeichnet 2015 mit dem „best book award“ des American Board and Academy of Psychoanalysis (ABAPsa) und 2007 mit dem Preis „Missing Link“ des Psychoanalytischen Seminars Zürich (PSZ).
Zuletzt erschien sein Buch: Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur im S. Fischer Verlag.
*) Man vergleiche dazu die Möglichkeit, die den KUBANERN z.Zt. geboten wird, um ihre zukünftige Verfassung zu diskutieren. Und natürlich das Verschweigen dieser urdemokratischen Errungenschaft in den bürgerlichen Leim-Medien.
Jochen