Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

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Hinweise auf die hiesigen privat-öffentlichen Verflechtungen, die dazu angelegt sind, das Land weiter auszuplündern, nachdem schon deutsche, französische und britische Privatbanken von den Griechen saniert wurden.
Weiter unten noch ein Kommemtar dazu von Michael R. Krätke.
Übrigens: die milliardenschweren Rüstungslieferungen – deutsche U-Boote und französicsche Fregatten – abzubestellen, diesen Vorschlag habe ich seitens der Troika noch nicht vernommen.
Auszüge:
Anhaltende Abwehr der Athener Regierung bringt zahlreiche deutsche Vorhaben für den Umbau von Wirtschaft und Verwaltung des griechischen Staates in Gefahr. Federführend sind das Auswärtige Amt (AA) und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ).
Kurzfristiges Ziel ist die Schließung deutscher Produktionsengpässe durch beschäftigungslose griechische Zulieferer und durch griechische Arbeitslose. Zum mittelfristigen Aktionsprogramm gehört die finanzielle Abschöpfung griechischer Kommunen und die Bereitstellung billiger griechischer Hilfskräfte für das deutsche Gesundheitswesen („Pflege-Urlaub auf Rhodos“).
Um zukünftig auch für höhere Anforderungen kompatibel zu sein, wird von Athen ein „Innovationssystem“ verlangt, das „Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung“ zugunsten „unternehmerfreundlicher Strukturen“ vernetzt. Als Koordinatorin der Maßnahmen firmiert eine „Deutsch-Griechische Versammlung“ (DGV), die „im Geiste der Graswurzelbewegung“ tätig sein soll.
Die DGV verfügt über keinerlei Rechtsfunktion. Ihre Berliner Anschrift ist eine Adresse der Bundesregierung. Die als zivilgesellschaftlich verkleidete Organisation, die unter anderem dem AA und dessen „Deutsch-Griechischem Jugendwerk“ zuarbeitet, setzte das Bundeskanzleramt auf dem ersten Höhepunkt der sogenannten Schuldenkrise ein. Die Berliner DGV-Adresse führt zum Parlamentarischen Staatssekretär im BMZ Hans-Joachim Fuchtel, einem CDU-Bundestagsabgeordneten aus Baden-Württemberg. Fuchtel ist seit 2011 „Beauftragter für die Deutsch-Griechische Versammlung“ [1] und ist auf die kommunale griechische Wirtschaft angesetzt.
Um deutschen Unternehmen lukrative Aufträge zu verschaffen, werden Repräsentanten griechischer Städte und Gemeinen zu „Workshops“ interessierter deutscher Betriebe eingeflogen. Sie sind Lieferanten hochpreisiger Exportprodukte. Entsprechende Anreisen zwecks Auftragsakquise fanden im Januar 2015 unter anderem in Backnang, Bamberg und Schwäbisch Hall statt und werden von der Bundesregierung bezahlt.
Bei den potenziellen Abnehmern aus griechischen Kommunen handele es sich um „parteilose oder konservative Politiker – darunter aber keine Syriza-Leute“, berichtet die Ulmer „Südwest Presse“.[2]
Exklusiver Zugriff
Als Nachweis für technische und logistische Kompetenz wurden den Griechen deutsche Erfahrungen mit „Komplettanlagen“ der Abfallwirtschaft präsentiert. Es handelt sich um millionenschwere Projektvolumen. Referenz ist die Lieferung an ein Bundeswehr-„Feldlager“ in Afghanistan.[3]
Ziel war es laut DGV, von den verarmten griechischen Gemeinden Aufträge für „zwei bis drei mobile Demonstrationsanlagen“ zu akquirieren – kofinanziert „durch Mittel der EU“. Auf diesem Umweg zapft das BMZ Brüsseler Regionaltöpfe an, die auch von EU-Drittländern finanziert werden, und leitet das Geld in deutsche Firmenkassen.
Gleichzeitig ist die Bundesregierung bemüht, EU-Konkurrenten auszusperren, und will sich exklusiven Zugriff auf das Griechenland-Geschäft sichern.
Deutsche Finanzaufsicht
Ein vom polnischen Finanzminister gefordertes EU-Investitionsprogramm in Höhe von 700 Milliarden Euro, das auch für nicht-deutsche Investoren in Griechenland interessant gewesen wäre, blockte Berlin ab. Stattdessen verlangen das BMZ und die von MdB Fuchtel geführte DGV eine auschließlich griechische „Förderbank“, da „jeder Nationalstaat seinen eigenen Weg mit eigenen Modellen gehen“ solle.[4]
Dieser „eigene Weg“ führt in Griechenland über die deutsche Finanzaufsicht: „Mit Hilfe der Kreditanstalt für Wiederaufbau hat Fuchtel in Griechenland die Einrichtung eines Förderinstituts vorangetrieben“ – leichte Beute für Berlin.
„Job of my Life“

frankreich 1942; die Tradition der Arbeitskräfteanwerbung im Ausland reicht bis ins Deutsche Kaiserreich zurück
Da nach Berechnungen der Agentur für Arbeit zwischen 2011 und 2012 rund 33.000 deutsche Ausbildungsplätze unbesetzt blieben, forcierte das BMZ bis vor kurzem den Arbeitskräftetransfer von Griechenland nach Deutschland. Die Anwerbemaßnahmen werden als „Mobilitätsinitiative“ für junge Europäer dargestellt und mit irrlichternden Namen belegt („MobiPro-EU“). Sie vernebeln das deutsche Interesse an einer europaweiten Steuerung des ausländischen Arbeitskräftepotentials, das auch spanische Jugendliche nach Deutschland lockt („Job of my Life“).
Die Anwerbekosten teilen sich Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und das Bundesarbeitsministerium – für ahnungslose griechische Arbeitslose paradiesische Verheißungen (german-foreign-policy dokumentiert griechische Dankesbekundungen hier).
Wirtschaftslenkung
Um griechische Jugendliche langfristig für den Einsatz nach deutschen Standards zu erziehen, hat Berlin mit dem Umbau des griechischen Berufsschulwesens begonnen – angeleitet von der Deutsch-Griechischen Handelskammer, der DEKRA-Holding (Stuttgart) und „führenden (deutschen) Reiseunternehmen“.[5]
Staatlicher Finanzier ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung. „Berufsschulen konnten bereits in Attika und in Heraklion aufgebaut werden“ und führen „nun fast 100 griechische Schülerinnen und Schüler im Alter von 18 bis 20 Jahren“ zu einem deutschen Diplom der Industrie- und Handelskammern (IHK).
Damit „verbessert sich die Arbeitssuche der Jugendlichen“, verklärt die Bundeszentrale für politische Bildung die deutsch zentrierte Wirtschaftslenkung. Das nach deutschen Normen ausgebildete griechische Arbeitskräftepotenzial soll unter anderem „die Bereiche Landwirtschaft, Transport, Logistik, Kfz und Mechanik“ abdecken.
Souveränitätsverlust
Um in Griechenland deutsche Verwaltungspraktiken einzuführen, ruft die Verwaltungsschule des deutschen Gemeindetags Mitarbeiter des griechischen Staates zur Teilnahme an deutschen „Fachseminaren“ auf; unter Beteiligung von MdB Fuchtel und dem BMZ wurden dafür in einem Pilotprojekt „zehn Plätze“ bereitgestellt, schreibt die „Stuttgarter Zeitung“.[6]
Allerdings stehen nach deutscher Ansicht „die griechischen Strukturen“ einem durchgreifenden Umbau im Wege: „Mentalität und Institutionen müssten sich ändern.“ Statt zentraler Kontrolle über das griechische Kommunalwesen solle Athen „Subsidiarität“ walten lassen – eine Umschreibung für den Verlust hoheitlicher Vorbehalte zugunster direkter Eingriffe in die untere und mittlere Ebene der Wirtschafts- und Finanzverwaltung durch Dritte, zum Beispiel durch die Bundesrepublik Deutschland. Ähnliche Forderungen erhebt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und hat dabei einen Gesamtumbau des griechischen Staates im Sinn.[7]
Die Forderungen zielen auf einen schleichenden Souveränitätsverlust von Staat und Gesellschaft.
Fachkräfte und Maschinen vorhanden
Solange diese Maßnamen noch nicht greifen oder auf Athener Widerstand stoßen, nutzt das Auswärtige Amt (AA) die kurzfristigen Vorteile des griechischen Wirtschaftsdesasters.
Nach Vorgesprächen im deutschen Generalkonsulat in Thessaloniki bietet eine Internetplattform mit dem sinnigen Namen ProGreece Unternehmen in der Bundesrepublik „Produktions- und Dienstleistungskapazitäten“ [8] notleidender griechischer Firmen an.
„Aufgrund der akuten Wirtschaftskrise“ sind zahlreiche Betriebe „nicht ausgelastet“, wirbt ProGreece: „Geschäftsmöglichkeiten für Ihr Unternehmen – Beseitigen Sie Ihre Produktionsengpässe, indem Sie griechische Überkapazitäten nutzen.“ Auch „Fachkräfte sind vielerorts ebenso vorhanden wie geeignete Maschinen“ – Griechenland als verlängerte deutsche Werkbank inklusive ortsansässigem „Humankapital“.
Schöner Schein
Zu den deutschen Maßnahmen unter Beteiligung des Auswärtigen Amtes gehört die politische Überhöhung der deutschen Wirtschaftslenkung durch Organisationen mit völkerverbindendem oder humanitärem Anspruch.
Insbesondere seit sich kritische Nachfragen aus der neuen Athener Regierung häufen, ist MdB Fuchtel „extrem wortkarg“ [9] und betont die altruistischen Motive seiner Griechenland-Mission. Sie soll „letztlich in ein Deutsch-Griechisches Jugendwerk einmünden“, ein AA-Projekt, „dessen Einrichtung die DGV aktiv unterstützt“.[10]
Für den schönen Schein des AA-Projekts ist auch Wolfgang Hoelscher-Obermeier unterwegs. Als früherer Generalkonsul in Thessaloniki hatte er sich bei ProGreece für die deutschen Geschäftsmöglichkeiten eingesetzt, mit denen das griechische Desaster ausgebeutet werden kann – jetzt bewirbt er das „Deutsch-Griechische Jugendwerk“ bei einer ahnungslosen deutschen Kirchengemeinde in Berlin und tritt als Kontakter zu der vom Bundeskanzleramt gesteuerten „Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) auf.
Beide Organisationen hält das AA bereit, um Athener Forderungen nach Rückzahlung der deutschen Massakerschulden zu unterlaufen (german-foreign-policy berichtete [11]).
Bitte lesen Sie auch Auszüge aus Dankesbriefen griechischer Jugendlicher an die „Deutsch-Griechische Versammlung“.
Weitere Informationen und Hintergründe zur deutschen Griechenland-Politik finden Sie hier: Die Folgen des Spardiktats, Ausgehöhlte Demokratie, Wie im Protektorat, Nach dem Modell der Treuhand, Verelendung made in Germany, Vom Stellenwert der Demokratie, Auspressen und verdrängen, Austerität tötet, Die Strategie der Spannung, Millionen für Milliarden, Erbe ohne Zukunft, Todesursache: Euro-Krise, Kein Licht am Ende des Tunnels, Plan B für Griechenland, Domino-Effekt, Europas Seele, Teutonische Arroganz und Die Bilanz des Spardiktats.
[1] Sechster Fortschrittsbericht der deutsch-griechischen Versammlung. grde.eu Januar 2015.
[2] 35 Bürgermeister und Berater aus Griechenland holen sich Ideen in Schwäbisch Hall. www.swp.de 06.03.2015.
[3] Sechster Fortschrittsbericht der deutsch-griechischen Versammlung. grde.eu Januar 2015.
[4] Staatssekretär Fuchtel wirbt für Förderbanken in Krisenländern. www.welt.de 22.09.2014.
[5] Der Schatz der Kommunen. Eine deutsch-griechische Erfolgsstory. Bundeszentrale für politische Bildung, 24.06.2014.
[6] Der Austausch kommt voran. www.stuttgarter-zeitung.de 11.09.2014.
[7] Griechendland: Ohne den Aufbau eines Innovationssystems wird es nicht gehen. DIW Wochenbericht Nr.39/2014.
[8] Was ist ProGreece? ww.pro-greece.com/de/what-is-progreece.
[9] Hans-Joachim Fuchtel beim Thema Griechenland wortkarg. www.pz-news.de 22.02.2015.
[10] Der Schatz der Kommunen. Eine deutsch-griechische Erfolgsstory. Bundeszentrale für politische Bildung, 24.06.2014.
[11] S. dazu Politischer Steuerungsauftrag, Restitution und Ein trauriger Tag.
Kommentar: Die griechische Machtprobe
https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2015/april/die-griechische-machtprobe
Wer an die Macht kommt, muss sich im Machtspiel behaupten; wer gegen eine Phalanx der übrigen Machthaber die Regeln des Spiels ändern will, hat es schwer.
Darum geht es seit dem Amtsantritt der neuen Regierung in Athen.
Die griechische wie die europäische Linke halten die Austeritätspolitik für gescheitert, die heutigen Verwalter der Eurokrise wollen dagegen Recht behalten und die Austeritätspolitik unverändert weitertreiben, ohne Rücksicht auf Verluste.
Es geht also, viel mehr als ums Geld, ums Prinzip. Die Syriza-Regierung fordert die neoliberale Orthodoxie heraus, sie muss scheitern und abgestraft werden, selbst um den Preis eines Staatsbankrotts und eines ungewollten Grexits, der die Gläubiger, auch die deutschen, viel Geld kosten würde.
Denn sollte Syriza auch nur ein wenig Erfolg haben, könnten in Spanien, Portugal und anderswo noch mehr Wähler auf dumme Gedanken kommen.
Kluge Köpfe, aber ohne Erfahrung
Syrizas Wahlsieg war berauschend für die griechische wie für die europäische Linke: Wir können gegen die bisherige ökonomische Doxa der Austerität Wahlen gewinnen und an die Regierung kommen. Wir können den Kurs ändern, den Politikwechsel betreiben statt eines bloßen Austauschs des Regierungspersonals.
Allerdings besteht Griechenlands neue Regierung zwar aus klugen Köpfen, doch diese haben kaum Erfahrung auf dem internationalen politischen Parkett.
Die Minister spielen seit zwei Monaten unter hohem Druck gegen alle und machen dabei zahlreiche handwerkliche Fehler, die vermeidbar wären. Die Bluffs, die sich oft widersprechenden Parolen, die rasch abwechselnden und oft improvisierten Vorschläge – all das hat die neue Regierung eine Menge Sympathien gekostet.
Dass Tsipras, Varoufakis und Co. auf der europäischen Bühne Lärm schlagen und bluffen, ist nur zu verständlich. Schließlich fechten sie gegen eine Wand der Ablehnung, an der bisher all ihre konstruktiven Vorschläge abgeprallt sind: Europäische Schuldenkonferenz – njet aus Berlin.
Dabei ist es ein sinnvoller Vorschlag, weil Merkel und Co. es durch die vertagte Griechenlandrettung 2010 geschafft haben, aus einem anfangs überschaubaren Randproblem eine Euro- und EU-Krise zu machen.
Die Kopplung des griechischen Schuldendienstes an das Wirtschaftswachstum? Abermals njet aus Berlin; obwohl den Vorschlag viele Ökonomen, auch in Deutschland, unterstützen, um Griechenland endlich wieder Luft zum Atmen zu verschaffen.
Das gilt auch für den Überbrückungskredit bis Mai 2015, um fällige Schulden bedienen zu können und derweil ein anderes Reformprogramm in die Wege zu leiten – doch auch dazu njet aus Berlin, wie natürlich auch zum Stopp des Ausverkaufs öffentlichen Eigentums und der Massenentlassungen im öffentlichen Sektor.
Daher steckt die neue Athener Regierung in der Zwickmühle – ökonomisch wie politisch.
Wirtschaftlich ist Griechenland auch nach zwei Umschuldungen pleite, vielleicht nur noch „pleiter“ als zuvor. Fest steht: Schulden in Höhe von gut 322 Mrd. Euro, was einer Schuldenquote von über 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht, kann ein Land wie Griechenland niemals zurückzahlen.
Schulden sind nun mal kein moralisches, sondern ein ökonomisches Problem, und die griechische Zentralbank wie die Athener Börse spielen nicht in der gleichen Liga wie die der USA oder auch Japans, das sich eine Schuldenquote von über 243 Prozent leisten kann.
Der Grund: Japan ist nach wie vor ein Schwergewicht in der Weltökonomie, dessen Finanzinstitutionen die Anleihen des eigenen Staates eisern im eigenen Portefeuille halten und damit der Finanzspekulation entziehen. Japan zahlt daher nur Minizinsen auf seine Staatsschulden.
Die griechische Volkswirtschaft ist dagegen nicht in der Lage, derart hohe Auslandsschulden zu tragen – und sie wird dies auch mittels noch so brutaler Gesundschrumpfungskuren nicht werden. Denn die Umschuldungen wurden stets mit neuen Staatsschulden finanziert, während gleichzeitig dank der unsinnigen Sparpolitik der Troika die gesamte Wirtschaftsleistung drastisch schrumpfte (um über 25 Prozent) und die Arbeitslosigkeit sich verfünffachte.
Erreicht wurde im Ergebnis bloß die Verschiebung der griechischen Staatsschulden. Die deutschen, französischen, britischen und sonstigen Banken und Fonds, die 2010 um ihre griechischen Staatsanleihen bangten, sind längst aus dem Schneider. Mittlerweile befinden sich über 80 Prozent der ausstehenden griechischen Staatsanleihen in den Händen öffentlicher Gläubiger.
Positiv daran ist: Diese Schuldner können, anders als private Banken, warten, sogar sehr lange. Sie brauchen mit ihren „Geldanlagen“ auch keine Geschäfte zu machen und sie brechen nicht zusammen, falls sie sie abschreiben müssten. Ein Vorschlag, der auf dieser schlichten Einsicht beruht, lautet daher, man soll die Schulden schlicht „vergraben“, sprich: vorläufig ruhen lassen. In jedem Falle spricht einiges dafür, die „Schuldenkrise“ in Rest-Europa etwas entspannter zu sehen als gemeinhin üblich.[1]
Was dagegen, da der ganze Schuldentransfer mit Krediten unterschiedlicher Laufzeiten finanziert wird, jetzt umso mehr drängt, ist eine Lösung für Griechenland, um aus dem skurrilen Umleitungsgeschäft auszubrechen: Die ersten Hilfskredite wurden gebraucht, um den Privatgläubigern ihre Griechen-Bonds abzukaufen, die jetzigen Hilfskredite werden dafür benutzt, um die älteren Hilfskredite des IWF und der Eurogruppe zu bedienen.
Und weil das Land nach wie vor von den internationalen Finanzmärkten ausgeschlossen ist, werden ständig weitere Kredite fließen müssen, um die anhaltenden Liquiditätsprobleme zu lösen.
Uneinlösbare Versprechen
Politisch hat Syriza ebenfalls große Probleme: Im Wahlkampf wurden Verprechen gemacht, die sich kaum halten lassen.
Auch wenn ein Zurückdrehen vieler Sparmaßnahmen angesichts der akuten Notlage eines Drittels der griechischen Bevölkerung richtig, notwendig und angemessen wäre, fehlt der neuen Regierung dafür schlicht das nötige Kleingeld – eben weil die Steuereinnahmen weggebrochen sind und weil sie die Hilfskredite von der Troika nicht nach Belieben verwenden kann.
Auf den anfangs geforderten Schuldenschnitt zu verzichten und ein weiteres Reformpaket vorzulegen – das waren schon erhebliche Zugeständnisse der Athener Regierung an ihre Gegenspieler in Brüssel und Berlin.
Aber mehr noch: Alle geplanten Notmaßnahmen gegen die humanitäre Krise im Lande wurden unter Finanzierungsvorbehalt gestellt.
Mit reiner Symbolpolitik allein – aus „Troika“ mach‘ die „Institutionen“ – wird sich das griechische Wahlvolk auf Dauer jedoch ebenso wenig abspeisen lassen wie der linke Parteiflügel.
Die notorisch schlechte Steuermoral zwackt die neue Regierung allerdings noch härter. Unter dem Troika-Regime haben sich die Griechen zudem angewöhnt, den alten Volkssport der Steuervermeidung und -hinterziehung als patriotischen Widerstand gegen die ausländischen „Besatzer“ zu begreifen.
Die griechischen Selbstständigen – immerhin ein Drittel der Erwerbstätigen, also doppelt so viel wie in der EU insgesamt – versteuern regelmäßig weniger als 50 Prozent ihrer tatsächlichen Einkommen.
Viele griechische Großunternehmen, darunter die Reedereien, der nach dem Tourismus wichtigste Wirtschaftszweig, zahlen faktisch keine Steuern, und auch die Mehrwertsteuer wird systematisch hinterzogen. Dazu kommen die unversteuerten und ins Ausland transferierten Oligarchen-Milliarden, die derzeit teils auf Schweizer Konten liegen oder in britischen Immobilien stecken.
Das Elend der Austerität
Die Regierung Tsipras bekam nach einigem Gefeilsche nur eine viermonatige Verlängerung des bisherigen Hilfsprogramms durch die Geldgeber (EZB, IWF, Europäische Kommission bzw. Eurogruppe, also die Euroländer), inklusive aller bisher erteilten Auflagen.
Im Gegenzug erhielt sie nur die Konzession, sich ihr eigenes Reformprogramm schneidern zu dürfen, das sie sich aber wiederum von den „Institutionen“ genehmigen lassen muss.
All das wird Griechenland nicht aus der Bredouille befreien. Die griechische Wirtschaft wächst wieder, trompeteten dagegen die Austerianer 2014: Nach sechsjährigem Schrumpfen verzeichnete Griechenland ein Wachstum um 0,6 Prozent, während im gleichen Jahr der Kapitalstock des Landes um weitere 18 Prozent (gemessen am BIP) abnahm. Doch für Schäuble und Co. war dieses „Wachstum“ der Beweis, dass die bittere Medizin der Austerität positive Wirkung zeigt.
Dabei sind alle relevanten ökonomischen Daten für Griechenland katastrophal: Das Land verarmt dramatisch, sein wirtschaftliches Potential schrumpft weiter, die Investitionen sind seit 2011 negativ.
Heute gibt es eine Million Erwerbstätige weniger als 2008, die jungen und gut ausgebildeten Griechinnen und Griechen wandern in Massen aus (über 50 000 pro Jahr laut einer Zählung der Europäischen Kommission). Es wird Jahre, vielleicht Jahrzehnte dauern, bis die Schäden halbwegs wieder behoben sind, die die Austeritätspolitik der Troika angerichtet hat.
Tsipras und seine Truppe können derzeit nur auf die Einsicht ihrer Geldgeber hoffen. Doch bislang ist davon wenig zu spüren. Obwohl die Eurogruppe und einige Parlamente, auch der Bundestag, dem bewusst vage gehaltenen griechischen Reformplan Ende Februar zugestimmt haben, ist die Lage hoch verfahren.
Der eigentliche Grund dafür: Austerianer verstehen unter „Reform“ etwas ganz anderes als der Rest der Menschheit.
Die neue griechische Regierung hat dagegen umfassende Strukturreformen angekündigt: eine Steuerreform, eine Finanzreform, eine Reform der öffentlichen Verwaltung, eine Reform des Sozialstaats. Das sind Reformen im eigentlichen Sinne, die aber schwer zu machen sind und kurzfristig eher Geld kosten als Geld bringen.
Denn: Der griechische Staatsapparat ist traditionell schwach (man kennt nicht einmal die genaue Zahl und Verteilung der Beschäftigen im öffentlichen Dienst), die griechische Bürokratie ist notorisch un(ter)qualifiziert und technisch schlecht ausgestattet. Management und Kontrolle der öffentlichen Finanzen sind schlecht (es gibt mehr als 14 000 Haushaltsposten im griechischen Staatshaushalt), der unterbesetzten griechischen Steuerverwaltung entgeht so regelmäßig mehr als ein Drittel der eigentlich fälligen Steuern.
Die politische Kultur ist zudem tief von Korruption, Klientelismus und rent-seeking geprägt; der gesamte Staat ist mit den Apparaten der großen (Alt-)Parteien verfilzt. Griechenland verfügt zudem über einen schiefen Korporatismus: Die Gewerkschaften sind extrem stark im öffentlichen Sektor, aber extrem schwach im privaten. Der Sozialstaat ist in wesentlichen Teilen, etwa bei der Arbeitlosenversicherung, unzureichend ausgebaut; gleichzeitig gibt es einen rigiden Schutz für die Beschäftigten, vor allem im öffentlichen Sektor. Das Land hat ein vollausgebautes öffentliches Gesundheitssystem auf europäischem Niveau, gleichzeitig aber die höchsten privaten Gesundheitsausgaben in der ganzen EU (ebenso verhält es sich im Erziehungswesen).
Und schließlich verfügt Griechenland über einen großen (schwarzen oder grauen) informellen Sektor in der Wirtschaft.[2]
All das will die neue Regierung reformieren. Eine solche Lösung der griechischen Krise ist längst überfällig, sie wäre der Hebel, um die fatale und überflüssige „Eurokrise“ endlich zu beenden – zum Nutzen ganz Europas. 2010 wurden die Weichen dank Merkel und Co. falsch gestellt, seither steigen überall die Wogen des Nationalismus und der offenen Europafeindschaft. Eine andere Krisenpolitik, ein Ende der Spardiktate nach Einheitsmuster, ist daher dringend notwendig. Wer den Euro- bzw. EU-Feinden den Wind aus den Segeln nehmen will, muss den Kurs rasch ändern. Der Regierungswechsel in Athen bietet dazu die Chance, allen Pannen und Ungeschicklichkeiten der neuen Mannschaft zum Trotz.
Verbündete tun not
Nachgeben werden Merkel, Schäuble und Co. allerdings nur, wenn die griechische Linksregierung Verbündete in Europa sucht und findet.
Und zwar solche, die – anders als die zum Teil viel zu unkritischen Syriza-Bejubler innerhalb der deutschen Linken – über politische Macht verfügen. Solche aber gibt es durchaus: Jean-Claude Juncker und die EU-Kommission wollen keinen Grexit, ihnen kommt der Gegenwind für die Oberlehrer aus Deutschland durchaus gelegen.
Das EU-Parlament hat zwar wenig zu sagen (zumindest auf kurze Sicht), aber moralische Unterstützung kommt auch von dort. Der eigentliche, natürliche Verbündete wäre allerdings die europäische Sozialdemokratie, immerhin in etlichen Euroländern eine (mit)regierende Partei. Der SPD käme daher eine Schlüsselrolle zu.
Syriza und die heterodoxen Ökonomen, die mit der europäischen Linken sympathisieren, haben die große Chance, endlich eine Alternative zum bisherigen „Brüsseler Konsens“ der Austeritätspolitik vorzulegen, auf die viele so sehnsüchtig warten, nicht nur in den Krisenländern.
Zum erfolgreichen Kurswechsel braucht es allerdings eine klare wirtschaftspolitische Strategie. Hand und Fuß (und Kopf) muss diese haben, sonst ziehen die Sozialdemokraten nicht mit.
Allerdings haben sich – außer Schäuble – bisher nur wenige im EU-Politikbetrieb auf eine Totalblockade der demokratisch legitimierten Regierung Tsipras festgelegt. Die europäischen Sozialdemokraten sollten daher die Chance zum solidarischen Schulterschluss nutzen – auch zum eigenen strategischen Vorteil.
Denn die Halbstarken von links werden sie so schnell nicht wieder los. Besser daher, sich mit ihnen zu verbünden, um die europäische Karre endlich aus dem Dreck zu ziehen, als mit den verbohrten Austeritätsideologen immer weiter hineinzufahren.
[1] Vgl. dazu Jannis Milios, Verhandlungen über die Schuld, in: „Sozialistische Politik und Wirtschaft“ (SPW), 1/2015, S. 4-7.
[2] Vgl. Kevin Featherstone, The Greek Sovereign Debt Crisis and EMU: A Failing State in a Skewed Regime, in: „Journal of Common Market Studies”, 2/2011, S. 193-217; Michael Mitsopoulos und Theodore Pelagidis, Explaining the Greek Crisis: From Boom to Bust, Basingstoke 2010.
(aus: »Blätter« 4/2015, Seite 5-8)
Jochen