Über den Verlust des kritischen Verstandes bei Wissenschaftlern. Anmerkungen zu den für den 22. April geplanten „Märschen für Wissenschaft“

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Auch ich als Wisssenschaftler fühlte mich zunächst angesprochen.
Albrecht Müller fragt nach, was hinter der wie am Reissbrett erschaffenen Initiative steckt:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=37873

Wir verdanken der Wissenschaft große hilfreiche Erkenntnisse; wir verdanken einem politisch korrupten Teil der Wissenschaft, der auch unter der Flagge der Wissenschaftlichkeit segelt, gravierende politische und gesellschaftliche Fehlentscheidungen. Deshalb kann man dem pauschalen Sich-auf-die-Schulter-Klopfen, das in den Erklärungen für den sogenannten „Science March Germany“ zum Ausdruck kommt, nur schwer folgen. Wir weisen zunächst auf die programmatische Erklärung dieses Wissenschaftsmarsches und auf die deutschen Unterstützer hin und stellen dann ein paar notwendige Fragen.
march for science germany

Hier ist der Link auf die Frontseite von March for Science Germany.

Und hier der Text des Aufrufs für den Marsch:

„Kritisches Denken und fundiertes Urteilen setzt voraus, dass es verlässliche Kriterien gibt, die es erlauben, die Wertigkeit von Informationen einzuordnen. Die gründliche Erforschung unserer Welt und die anschließende Einordnung der Erkenntnisse, die dabei gewonnen werden, ist die Aufgabe von Wissenschaft. Wenn jedoch wissenschaftlich fundierte Tatsachen geleugnet, relativiert oder lediglich „alternativen Fakten“ als gleichwertig gegenübergestellt werden, um daraus politisches Kapital zu schlagen, wird jedem konstruktiven Dialog die Basis entzogen. Da aber der konstruktive Dialog eine elementare Grundlage unserer Demokratie ist, betrifft eine solche Entwicklung nicht nur Wissenschaftler/innen, sondern unsere Gesellschaft als Ganzes.

Am 22. April 2017 werden deshalb weltweit Menschen auf die Straße gehen, um dafür zu demonstrieren, dass wissenschaftliche Erkenntnisse als Grundlage des gesellschaftlichen Diskurses nicht verhandelbar sind.

Alle, denen die deutliche Unterscheidung von gesichertem Wissen und persönlicher Meinung nicht gleichgültig ist, sind eingeladen, sich an dieser weltweiten Demonstration für den Wert von Forschung und Wissenschaft zu beteiligen – nicht nur Wissenschaftler/innen!“

Kritische Anmerkungen zum Projekt March for Science (Marsch für die Wissenschaft) und ihrem Aufruf

  1. Wissenschaftler und Öffentlichkeit lassen sich gegen einen unbedeutenden Gegner mobilisieren und aufhetzen. Im Aufruf heißt es:

    „Die gründliche Erforschung unserer Welt und die anschließende Einordnung der Erkenntnisse, die dabei gewonnen werden, ist die Aufgabe von Wissenschaft. Wenn jedoch wissenschaftlich fundierte Tatsachen geleugnet, relativiert oder lediglich „alternativen Fakten“ als gleichwertig gegenübergestellt werden, um daraus politisches Kapital zu schlagen, wird jedem konstruktiven Dialog die Basis entzogen.“

    Es wäre gut, es würde hier Ross und Reiter genannt. Wer ist denn gemeint mit den „Vertretern alternativer Fakten“? Die Initiatoren des Marsches übertreiben das Leugnen wissenschaftlicher Erkenntnisse maßlos. Siehe das erwähnte Beispiel Klimawandel. Wer bestreitet das, wie viele Leute bestreiten das, welche bedeutenden Leute bestreiten in Deutschland den Klimawandel?

  2. Die Initiatoren des Marsches für die Wissenschaft tun so, als gäbe es „alternative Fakten“ und vorherrschende Lügen vor allem außerhalb der normalen Medien und der normalen Wissenschaft. Das stimmt nicht: Die Lüge zum Beispiel über die gravierenden Folgen des demographischen Wandels für die Altersvorsorge ist maßgeblich von sogenannten Wissenschaftlern, von Bevölkerungswissenschaftlern, verbreitet worden. Und von den ihnen hörigen Medien. Und diese Lügen hatten praktische, für Millionen Menschen gefährliche Folgen. Die gesetzliche Altersvorsorge wurde systematisch geschwächt, um der privaten Vorsorge ein neues Geschäftsfeld zu eröffnen – mit bitteren Folgen für alle Menschen, die auf die gesetzliche Altersvorsorge angewiesen sind. Die Wissenschaft hat hier eindeutig im Interesse der Finanzwirtschaft, der Versicherungswirtschaft und der Banken gearbeitet.Es waren Institute gegründet worden, die sich mit dem demographischen Wandel befassten und es wurden in Kombination mit den Medien viele Serien der Agitation veranstaltet – immer mit dem Segen der Wissenschaft. Wer so zerstörerisch gewirkt hat, der sollte sein Haupt mit Scham verhüllen.
  3. Die Wissenschaft war auf diesem Feld und ist es auf vielen anderen Feldern auch direkt mit privaten geschäftlichen Interessen von großen Unternehmen und ganzen Branchen verbunden. Es gab gemeinsame Institute von Professoren aus Universitäten mit der Wirtschaft, konkret zum Beispiel das MEA in Mannheim. Die Professoren Börsch-Supan und Raffelhüschen, Rürup und Sinn waren direkt mit privaten Interessen verbunden.
  4. Die Wissenschaft – im konkreten Fall einige der zuvor genannten – ließ sich in Kommissionen einspannen, die die Auflösung der Sozialstaatlichkeit und die Einführung der Agenda 2010 betrieben haben. Ich erinnere an die Rürup-Kommission.
  5. Auch andere Fehler und Schwächen der vorherrschenden Wissenschaft werden in diesem Aufruf nicht erwähnt bzw. implizit bestritten. Sie untertreiben die Fehler und die Schwächen der vorherrschenden Wissenschaft Die sogenannte Drittmittelforschung ist das Einfallstor der inneren Korruption der Wissenschaft. Kein Wort davon in diesem Aufruf.
    Stattdessen tut man so, als sei die Demokratie gefährdet, weil manche Menschen oder auch manche Medien wissenschaftliche Erkenntnisse bestreiten. Das ist in der Tat nicht gut und es dient der vernünftigen Entscheidungsfindung nicht, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse in der demokratischen Willensbildung keine Rolle mehr spielen. Aber das ist um vieles weniger schädlich als der übliche Missbrauch der Wissenschaft für private und geschäftliche Interessen.
  6. In dem Aufruf wird so getan, als seien Erkenntnisse der Wissenschaft von Bedeutung für politische Entscheidungen. Die aktuelle deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik ist ein Musterbeispiel dafür, dass Erkenntnisse der Wissenschaft keine Rolle spielen. Relevant ist die Dominanz bestimmter angeblicher Erkenntnisse.
    Also: zum Beispiel die Erkenntnis, dass niedrige Löhne und niedrige Lohnnebenkosten gut seien für die wirtschaftliche Entwicklung hat sich durchgesetzt und wurde durchgedrückt – in einer Symbiose der herrschenden neoliberalen Mehrheitsmeinung der Ökonomen mit dem Ehrgeiz von Politikern, die mit der Rolle als Exportweltmeister für sich Reklame machen wollten und wollen.
    Die wissenschaftliche Erkenntnis, dass der Arbeitsmarkt anders funktioniert als der Kartoffelmarkt (Heiner Flassbeck) und damit kombiniert die wissenschaftliche Erkenntnis, dass man eine Währungsunion nur halten kann, wenn die Entwicklung der Lohnstückkosten einigermaßen im gleichen Maß abläuft, spielt für die demokratische Willensbildung und die praktische Politik keine Rolle. Da kann man doch als Veranstalter eines Marsches für die Wissenschaft im Jahre 2017 nicht des Wegs kommen und so tun, als gäbe es die Krisen in Griechenland, Frankreich, Italien und in vielen anderen Ländern Europas, die in die Hinterhand geraten sind, nicht.
  7. Die Mehrheitswissenschaft hat völlig verschlafen, dass es für eine Demokratie und eine Gesellschaft höchst problematisch ist, wenn man die Verteilung von Einkommen und Vermögen sich so auseinander entwickeln lässt, wie es in den letzten 30 Jahren geschehen ist. Für eine solche Wissenschaft kann man doch nicht auf die Straße gehen!
  8. Es gibt Wissenschaftler, die erkannt haben, wie gefährlich die Verringerung der Artenvielfalt werden wird. Es gibt Wissenschaftler, die erkannt haben, welche verheerenden Folgen der großflächige Einsatz von Pestiziden haben wird. Aber es gab auch die anderen Wissenschaftler, die sich für die großen Chemiekonzerne und deren Interessen einspannen ließen.
    Und diese haben bisher immer noch gesiegt und nicht die Wissenschaftler, die angeblich den demokratischen Prozess bestimmen und deshalb einen hilfreichen Beitrag für die Demokratie leisten.

Auf der Webseite des AUfrufs wird empfohlen, Fragen zu stellen an sciencemarchgermany@gmail.com

Hier noch ein Leserbrief aus den heutigen NachDenkSeiten:

Sehr geehrter Herr Müller,

bezugnehmend auf Ihren gestrigen Beitrag über den „March For Science“ am 22.04. kann ich Ihnen zu Hundertprozent zustimmen!

Ich arbeite selbst an einem Forschungszentrum und bin umgeben von Personen, für die die Wissenschaft alles bedeutet. Vor einigen Wochen wurden auf einer internen Betriebsversammlung zwei Kampagnen vorgestellt und an die Leute herangetragen, wo bei mir alle Alarmglocken angingen. Die erste Kampagne war „Pulse of Europe“, wo ich sofort in die Runde entgegnete, dass es sich dabei um eine PR-Kampagne mit neoliberalen Interessen handelt. Die zweite war eben dieser „March For Science“, von der ich davor noch nichts gehört hatte, die mir aber unbewusst irgendwie Bauchschmerzen bereitete, vielleicht weil es so viele Ähnlichkeiten zu „Pulse of Europe“ gibt? Stammen am Ende sogar beide aus ein und derselben PR-Schmiede?

Als ich mir das Programm zum MOS ansah, verstärkte sich mein schlechtes Bauchgefühl, auch aufgrund der massiv vorangetriebenen Kampagne. Zumal die Initiatoren die Wissenschaft extrem hochheben, ja in einer Weise derart erhöhen, wie man das nur von Religionen und Sekten kennt. Sie werfen irgendwelchen Gegnern (die sie nie klar benennen) vor, mit alternativen Fakten hausieren zu gehen, ohne dass sie, wie Sie das in Ihrem Artikel taten, Ross und Reiter beim Namen nennen. Meinem Erachten nach soll diese Kampagne als Tiefenindoktrination wirken, genauso wie das Professor Mausfeld in seinem letzten Vortrag beim IPPNW dargestellt hat. Die Wissenschaft als Entität, die schon als Art Apotheose angesehen werden muss, soll nicht kritisiert werden, wobei sich dies wie bei einer Art Symbiose mit der herrschenden Meinung der Eliten deckt. Die Eliten und die ihnen hörigen Medien verlieren die Deutungshoheit gegenüber dem Volk, der Mehrheit der Menschen. Das was der Mainstream als Nachricht verkauft, soll die ganze und alleinige Wahrheit repräsentieren, jedes Abweichende ist Fake News, Populismus oder Verschwörungstheorie. Und genau in dieselbe Kerbe schlägt der „March For Science“, was meiner Meinung nach kein Zufall ist! Diese Initiative wirft anderen vor, mit Meinungen zu hantieren, alternative Fakten zu präsentieren und somit unwissenschaftlich zu sein. Doch dabei strotzt selbst das Programm des MOS vor Unwissenschaftlichkeit, dass einem wissenschaftlich interessierten Menschen nur noch die Haare zu Berge stehen!! Dazu einige kleine Beispiele. Basis ist dabei die folgende Crowdfunding-Seite.

Im Punkt „Worum geht es in diesem Projekt“ heißt es stark verallgemeinernd:

„Von der Leugnung des Klimawandels bis hin zu absurden Verschwörungstheorien (z.B. „Chemtrails“) – immer wieder kann man beobachten, dass wissenschaftlich erwiesene Tatsachen geleugnet, relativiert oder „alternativen Fakten“ als gleichberechtigt gegenübergestellt werden, um daraus politisches Kapital zu schlagen.“

Interessant ist, dass hier der Begriff „Verschwörungstheorie“ verwendet wird, ein Klammerbegriff, dessen erstmalige Verwendung bekanntlich von der CIA kam. Das Auslassen solcher Informationen ist fahrlässig und man wird den Verdacht nicht los, dass man damit unbewusst jede Vorstellung an Verschwörung als pathologisch, als paranoid abstempeln will. Interessant ist auch, dass einer der Unterstützer des MOS, Ranga Yogeshwar sich nicht zu blöde war, in einer Sendung von „Quarks und Co“ alles was es zum Thema Verschwörungstheorie gibt, zu einem unappetitlichen Brei zu verrühren. Der Vollständigkeit halber soll gesagt werden, dass auch Yogeshwar in keinster Weise erwähnt hat, dass die Verwendung dieses perfiden Begriffes von der CIA stammt!!

Das Fass dem Boden aber schlägt folgender Absatz aus, aus dem Punkt „Was sind die Ziele und wer ist die Zielgruppe“:

„Wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der Lügen sich nicht mehr lohnen, weil die Menschen sie durchschauen. Wir wollen, dass der Populismus und seine so genannten „alternativen Fakten“ keine Chance haben.

Wir wollen in einer Demokratie leben, in der gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse die Grundlage von Entscheidungen sind – und nicht bloß gefühlte Wahrheiten.

Und wir wollen, dass alle sehen: Wir sind viele!“

Diese Worte könnten auch in einer religiösen Schrift stehen! Extrem verallgemeinernd, dann die Verwendung von Begriffen, hinter denen man alles verstecken kann. Was genau ist mit Populismus gemeint und wie kann der Populismus alternative Fakten haben? Man tut ja so als ob das eine Art Person, Personengruppe ist? Völlig unerwähnt bleibt auch, dass selbst die etablierten Medien und auch Politiker in unserem Land Lügen verbreiten ohne rot zu werden. Das krasseste Beispiel ist Thomas de Maiziere, der völlig schmerzfrei darüber sinniert, dass Spionagetätigkeiten in unserem Land nicht zulässig sind, wobei er freilich die türkischen Agenten meint, jedoch von der NSA und der CIA nicht ein einziges Mal erzählt!! Sind das die „alternativen Fakten“, der „Populismus“, den die Initiatoren des MOS meinen?

In dem folgenden Absatz „Wir wollen in einer Demokratie leben, in der gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse die Grundlage von Entscheidungen sind – und nicht bloß gefühlte Wahrheiten.“ kann man genau das ansetzen, was Sie in Hinblick auf die Wirtschaft und Politik dargelegt haben, dass diese Kampagne voll politischer Naivität strotzt und sie die verheerenden Einflüsse auch der Wissenschaft auf viele Staaten vor allem in Südeuropa komplett ignorieren und unerwähnt lassen!

Angesichts all dieser und vieler weiterer Umstände kann man nur besorgt in die Zukunft blicken, wie sich selbst so wissenschaftliche Institutionen für politische Zwecke instrumentalisieren lassen! Ich muss immer dabei an Orwells Buch „1984“, das dortige Wahrheitsministerium und das Newspeak denken. All das wird nun mit rasanter Geschwindigkeit in die Tat umgesetzt und irgendwann werden wir nicht mehr wissen, gegen wen wir eigentlich Krieg führen, gegen Eurasien oder doch gegen Ostasien?

„Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft: wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit.“

Mit freundlichen Grüßen
T. M.

Jochen

Die Schwäche der deutschen Gewerkschaften und die Schwäche des Euro

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

DGBlogoWer Gewerkschaften kritisiert, auch von links, gilt schnell als Gewerkschaftsfeind.
Selbst ich, der jeden Patienten, der über die Situation an seinem Arbeitsplatz jammert, fragt, ob er schon in der Gewerkaschaft ist.
Kenntnisse zu Arbeits- und Sozialrecht sind in der nordschwäbischen Untertanenschaft leider nur gering verbreitet.
Die lächerlichen Lohnabschlüsse, die ganz schnell trotz guter Kampfbereitschaft der Kollegn in einigen Branchen durchgesetzt und dann mittels Etikettenschwindel noch als Erfolg verkauft werden, führen natürlich zu der Frage, ob die führenden Kollegen das einfach nicht begriffen haben oder ob sie heimlich auf Pöstchen in der nächsten GroKo lauern.
Eingefleischte Marxisten und Anarchisten nennen das eine Arbeiteraristokratie.
Auch die Gewerkschaften verfügen über gute Wirtschaftsexperten, sie müssten nur mal unten anfragen.
Um so wichtiger, was gestern Prof. Flassbeck in die Diskussion warf:
https://makroskop.eu/2016/07/die-schwaeche-der-deutschen-gewerkschaften-und-die-schwaeche-des-euro/

Auszüge:

Flasbeck2013Gewerkschaftsnahe Ökonomen beklagen sich über unsere Kritik an zu niedrigen Lohnabschlüssen. Sie verweisen auf die Machtverhältnisse, die nichts anderes zulassen. Wenn das so ist, fragt man sich, warum die Gewerkschaften in der Öffentlichkeit so verhalten agieren.

Gustav Horn hat kürzlich (hier) die Gewerkschaften gegen meinen Vorwurf (hier) verteidigt, sich in der Tarifpolitik zu sehr zurückzuhalten.Er argumentiert, dass dann, wenn die Gewerkschaften könnten wie sie wollten, längst alles gut wäre, weil sie so hohe Löhne durchsetzen würden, dass die Deflation in Europa verschwände und die deutsche Wettbewerbsfähigkeit erheblich verringert würde. Die Machtverhältnisse am Arbeitsmarkt, so Horn, verhinderten allerdings bessere Abschlüsse.
Diese Machtverhältnisse könne man aber nicht den Gewerkschaften vorwerfen. Er schließt:

„Die „Schuld“ am unbefriedigenden Ergebnis allein den Gewerkschaften aufzubürden, ist also eine sehr asymmetrische Betrachtungsweise.“

Ich dachte mir, dass ich mal einen Moment warte, bevor ich ihm antworte, weil die Gewerkschaften alle paar Wochen selbst den besten Beweis dafür liefern, dass seine Behauptung einfach nicht stimmt.

Jetzt ist es schon so weit. Der oberste deutsche Gewerkschaftler, DGB-Chef Reiner Hoffmann, wurde in Reaktion auf den Brexit von Spiegel-Online (hier) gebeten, aufzuschreiben, wie sich die EU reformieren sollte. Er hat darauf mit einem Gastbeitrag geantwortet und gezeigt, dass es eben nicht nur die Ohnmacht der Gewerkschaften ist, die verhindert, dass das Richtige geschieht. Was würde wohl ein Gewerkschaftler, der im Hornschen Sinne beseelt ist von der Frage, Deutschland müsse die Löhne stärker erhöhen, um den Euro zu retten, in Reaktion auf den Brexit schreiben?

Nun, er würde ohne Zweifel eine Variation des Satzes schreiben, der da lautet, dass die Mehrheit der Briten gemerkt hat, dass mit einem Deutschland, das sich beharrlich weigert, von seinem Merkantilismus und seiner absurden Vorstellung von der Rolle des Staates in der Wirtschafts- und Finanzpolitik zu lassen, Europa einfach nicht zu machen ist.
Er würde schreiben, dass es ein Fehler der letzten vier Regierungen in Deutschland war, auf Lohnmoderation zu setzen.
Er würde schreiben, dass sich spätestens jetzt auch für den letzten Zweifler zeigt, dass eine Währungsunion nur mit starken Gewerkschaften erfolgreich zu gestalten ist.

Die Währungsunion, hätte er geschrieben, setzt nämlich zwingend voraus, dass die Lohnstückkosten in allen Ländern für immer und ewig und in jedem Jahr genau wie das gemeinsam festgelegte Inflationsziel steigen, was impliziert, dass die Reallöhne auf längere Frist in allen Ländern wie die Produktivität steigen, dass es also keine Umverteilung zugunsten des Kapitals geben kann, ohne die Währungsunion kaputt zu machen.
Hinzugefügt hätte er noch, dass die deutschen Arbeiter genau deswegen für die nächsten zehn Jahre einen deutlichen Zuschlag auf die normalen Erhöhungen brauchen, weil nur so die europäischen Kollegen eine Chance haben, sich wieder auf Augenhöhe mit den deutschen zu treffen und ein Kollaps der Euro, vorangetrieben von rechten nationalistischen Parteien, verhindert werden kann.

Was fordern die Gewerkschaften?

Das alles hat Reiner Hoffmann nicht geschrieben. Er hat sich für ein soziales Europa eingesetzt und für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Wer hat ihn daran gehindert, die wahren Probleme, die, wie Horn zugesteht, extrem eng mit der deutschen Lohnpolitik verknüpft sind, aufzugreifen? Waren es die Arbeitgeber?
Geht die Ohnmacht der deutschen Gewerkschaften schon so weit, dass sie nicht mehr sagen und schreiben dürfen, was richtig ist?

Nein, wer das europäische Problem verstanden hat und/oder verstehen will, schreibt anders. Es kann nicht sein, dass ein deutscher Spitzengewerkschaftler, der zudem selbst lange in Brüssel gearbeitet hat, nichts von diesem deutschen Problem weiß.
Wenn er es kennt und er dennoch so schreibt, als ob es nicht existiert, lässt das nur einen Schluss zu: Er will, wie fast alle anderen – einschließlich der Arbeitgeber – in Deutschland, davon ablenken, dass das deutsche Lohndumping den tödlichen Keil in die EWU getrieben hat.
Er versucht, durch lautes Pfeifen im Walde die unhaltbare deutsche Position haltbar zu machen. Das ist für eine Organisation wie die Gewerkschaften fatal.

Man kann, ich habe das in vielen Beiträgen immer wieder gesagt, die deutschen Gewerkschaften nicht für das Entstehen der Lohnlücke in den vergangenen fünfzehn Jahren verurteilen.Lohnluecke

 

Erklärung: Die orange Kurve zeigt die nach der Theorie ohne Umverteilung mögliche Lohnerhöhung (Produktivitätszuwachs+Inflationausgleich). Alles, was darunter liegt, ist Umverteilung zu Gunsten der Arbeitgeber.

Es war eine Rot-Grüne Regierung, die, fehlgeleitet von einer unsinnigen Wirtschaftstheorie, den Druck auf die Löhne und auf die Kampfbereitschaft und -fähigkeit der Gewerkschaften weit überwiegend zu verantworten hatte.
Wenn die Gewerkschaften aber jetzt dazu übergehen, ihr damaliges Handeln zu rationalisieren, indem sie die Konsequenzen dieses Handelns auch nur verschweigen, machen sie sich zum Teil dieser merkantilistischen und – für die europäischen Partner – destruktiven Politik.

Die europäische Lohndivergenz muss weg

Ich habe es schon mehrfach klargestellt: Es kann weder in einer neoklassischen noch in einer keynesianischen Vorstellungswelt eine funktionierende Währungsunion geben, wenn lohnpolitische Fehlentscheidungen nicht einmal über die lange Frist korrigiert werden können (hier z. B.).
Wenn Gustav Horn sagt, sorry, die Gewerkschaften sind einfach nicht stark genug, dann muss man daraus schließen, sorry, die Währungsunion muss sofort beendet werden, denn nun wissen wir es aus erster Hand, dass die deutschen Gewerkschaften nicht stark genug sind, um einmal entstandene Ungleichgewichte zu korrigieren.

Horn schreibt:

„Unter diesen Umständen eine einer gemeinsamen Regel folgende Lohnbildung zu erreichen, ist bestenfalls auf lange Sicht möglich, unter den gegenwärtigen Gegebenheiten jedoch illusionär. Die Kritik an der mangelnden europäischen Ausrichtung der Lohnentwicklung in Deutschland mag gemessen an den Erfordernissen berechtigt sein, ist aber pharisäerhaft. Es bedarf vielmehr des mühsamen und langwierigen Aufbaus europäischer Lohnverhandlungsstrukturen, um zu tragfähigen Ergebnissen zu kommen.“

Nun, dann muss man an dieser Stelle als „Pharisäer“ allen überzeugten Europäern entgegenschleudern:
Es war alles ein gewaltiger Irrtum! Macht sofort Schluss mit der Währungsunion!
Die deutschen Gewerkschaften können unter keinen Umständen das Material liefern, das man für den Bau und den Erhalt einer erfolgreichen Währungsunion braucht!

Wenn das richtig ist, müssen die Gewerkschaften und ihre akademischen Berater die Speerspitze derer bilden, die für ein sofortiges Ende der Währungsunion eintreten. Bisher hat man aber genau davon nichts gehört. Und das laute Schweigen der Gewerkschaftsspitzen in Sachen ernsthafte Diagnose oder, wie die Bundeskanzlerin sagt, „ehrliche Analyse“ der europäischen Probleme, spricht ebenfalls Bände.
Nein, machen wir uns nichts vor: Auch wer – wie ich – starke Gewerkschaften für absolut notwendig hält und jederzeit bereit ist, ihnen beizuspringen, kommt nicht umhin zu konstatieren, dass sich in Deutschland eine Koalition aus Gewerkschaftern und Arbeitgebern gebildet hat, die versucht, gegen jede Vernunft die deutschen Fehler der Vergangenheit zu verdecken und totzuschweigen.

P.S.: Es ist übrigens sachlich falsch, wenn Horn und viele andere auf eine andere Finanzpolitik als die mögliche Lösung der europäischen Probleme verweisen. Eine andere Finanzpolitik braucht Europa auch. Die Preis- und Lohnrelationen in Europa müssen aber auf jeden Fall korrigiert werden, und das kann die Finanzpolitik nicht machen.
Darauf zu hoffen, dass die deutsche Finanzpolitik in irgendeiner politisch denkbaren Konstellation in Deutschland in den nächsten Jahren die Arbeitslosigkeit so weit nach unten drückt, dass sich dadurch die Verhandlungsposition der deutschen Gewerkschaften erheblich verbessert, und sie ihre neu gewonnene Verhandlungsmacht nutzen, um endlich die notwendigen europäischen Korrekturen bei den Lohnrelationen durchzusetzen, ist, gelinde gesagt, absurd.

Jochen

Brexit -Viel Lärm um wenig und ein bisschen Panikmache

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Flasbeck2013Heiner Flassbeck beruhigt uns hier auf seinem neuen Makroskop, Shakespeare zitierend:
https://makroskop.eu/2016/06/brexit-much-ado-nothing/

Aktuell (18.Juni) im Anhang noch ein Kommentar von 

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Foto: U.Zillmann

 

 

Heinz-J. Bontrup aus dem Neuen Deutschland

Auszüge:

Warum machen so viele so unbeschreiblichen Lärm um den Brexit?

Weder würde die Europäische Union an einem Nein der Briten zerbrechen, noch gäbe es Schocks in der Wirtschaft.

Viel Lärm um nichts, wie es bei Shakespeare heißt, ist vielleicht ein wenig übertrieben, aber „viel Lärm um wenig“ wäre sicherlich ein absolut angemessener Titel für die Vorgänge, die mit Brexit umschrieben sind. Schon das Wortspiel mit Grexit und Brexit ist mehr als irreführend.
Bei Grexit handelt es sich potentiell um einen wirklich großen Schock, weil ein Land aus der Europäischen Währungsunion austritt, seine Währung abwertet und womöglich andere Länder dazu ermutigt, das Gleiche zu tun.
Bei Brexit tritt ein Land aus einem Vertragswerk aus – so what? So lange wir nicht wissen, was an die Stelle des alten Vertragswerkes tritt, hat der Vorgang die Bedeutung des berühmten Fahrrades, das gerade in China umgefallen ist.

Warum aber machen so viele so unbeschreiblichen Lärm um dieses Non-Ereignis? Das kann man nur mit den europäischen Spin-Doktoren und ihren medialen Helfern erklären, die unbedingt ein Signal setzen wollen nach dem Motto: „Den Anfängen wehren“.
Würden sich die Briten, so die Befürchtung, die alles Denken und Handeln dieser Leute lenkt, am 23. Juni gegen Europa entscheiden, wäre das ein fatales Signal für andere, das gleiche zu versuchen. Doch auch hier wird die Analogie mit einem Austritt aus der Währungsunion und damit der Beispielcharakter eines Brexit, bewusst oder unbewusst, viel zu weit getrieben.

Selbst Nigel Farage würde nicht alle Verträge mit der EU einstampfen lassen

Schocks werden in der Wirtschaft in der Regel dadurch ausgelöst, dass sich wichtige Preise quasi über Nacht stark verändern, weil sich dann viele Akteure in ihren Erwartungen getäuscht sehen, umdisponieren müssen und bei großer Unsicherheit ihre Ausgaben und Investitionen zusammenstreichen.
Nichts davon passiert bei einem Austritt der Briten aus den europäischen Vertragswerken. Selbst wenn David Cameron bei einem Sieg der Austrittsbefürworter zurückträte, passierte wenig dramatisches.
Entweder es gelingt den Tories, eine neue Regierung zu bilden oder es gibt Neuwahlen. In beiden Fällen ist nicht zu erwarten, dass Nigel Farage Premierminister wird. Aber selbst der würde nicht sofort alle Verträge mit der EU ersatzlos einstampfen lassen, weil es schlicht unsinnig ist, ein Vakuum an die Stelle fein ausgearbeiteter Verträge zwischen Regionen, die weiter miteinander Handel treiben wollen, zu setzen.

Was also wird man tun im Falle einer Mehrheit der Briten für den Austritt? Nun, man wird klugerweise am Tag danach sagen, dass alle Verträge genau so lange weiter gelten, bis neue Verträge ausgehandelt sind. Ja, man kann sich sogar vorstellen, dass die Europäische Kommission, natürlich ohne das vorher zu sagen, schon seit einiger Zeit daran arbeitet, an die Stelle der multilateralen europäischen Verträge bilaterale Verträge mit Großbritannien zu stellen, die praktisch die Substanz des Verhältnisses der beiden wirtschaftlichen Regionen weitgehend erhalten.
Jedenfalls wird niemand den Freihandel, den Binnenmarkt oder andere bedeutende Regelungen von einem Tag auf den anderen über Bord werfen.

Das gilt auch für die City of London bzw. den Bankenplatz. Im Laufe der Jahre mag es sein, dass Regelungen gefunden werden, die London weniger begünstigen als es bisher der Fall war, weil London im Falle eines Austritts in Brüssel nicht mehr sein Veto einlegen oder Mehrheiten zu seinen Gunsten organisieren kann.
Ganz kurzfristig wird aber niemand etwas zulasten Großbritanniens oder seines Bankenplatzes beschließen, schon um nicht neues Öl ins brennende europäische Feuer zu gießen. Die von einigen geäußerte These, Brüssel würde die Briten für einen Austritt bestrafen (hier zum Beispiel), um andere Länder vor einem solchen Schritt zu warnen, ist vollkommen weltfremd. Dänemark wäre schließlich auch das einzige Land, das man damit warnen könnte. Diejenigen, die in der Eurozone sind, kann man sowieso nicht vergleichen.

… wenn man erst einmal wieder souverän und frei ist

Auf lange Frist wird sicher einiges anders, vor allem wird man aus Londoner Sicht, das, was in Brüssel passiert, ganz anders als bisher erleben, wenn man erst einmal wieder souverän und vollkommen frei ist. Man wird sich wie die Schweizer fühlen, die ja fest davon überzeugt sind, sie seien das freieste Volk der Erde, weil sie durch keine Verträge gebunden sind. Wobei „keine Verträge“ ja nicht so ganz stimmt. Die Schweiz verbindet mit der Europäischen Union ein Wust von Verträgen, den man üblicherweise die bilateralen Verträge nennt, weil auf der einen Seite die EU steht und auf der anderen Seite die Schweiz. Die allermeisten dieser bilateralen Verträge aber geben der Schweiz genau die Rechte und Pflichten, die auch Mitgliedsländer haben.

Der entscheidende Unterschied zwischen den bilateralen Verträgen, die für die Schweiz bindend sind, und den multilateralen Verträgen, die für die Mitgliedsländer bindend sind, besteht darin, dass die Mitgliedsländer bei der Entscheidung über diese Verträge Sitz und Stimme in Brüssel hatten, während die Schweiz die allermeisten Regelungen nachträglich abnicken musste, weil sie als Ministaat im Verhältnis zu der riesigen EU nicht viel Verhandlungsmacht hat.

So ähnlich wird es einem Großbritannien gehen, das austritt. Es wird in Brüssel permanent antichambrieren müssen, nur um in bilateralen Vereinbarungen genauso behandelt zu werden wie ein Mitgliedsstaat. Mit dem „kleinen“ Nachteil, dass es über europäische Vereinbarungen verhandelt, die gar nicht mehr verhandelbar sind, weil sie von den Mitgliedsländern längst beschlossen wurden und den Nicht-Mitgliedsländern nur noch vorgelegt werden nach dem Motto: Friss oder stirb.
Das ist auch eine Art von Freiheit und vollkommen souverän ist man natürlich auch, zumindest fühlt es sich – nach Schweizer Art – so schön souverän an.

Folglich wird die Europäische Union nicht an einem Nein der Briten zerbrechen. Zu weit sind die Briten von den zentralen Problemen in der Eurozone entfernt, als dass ihr Missfallen am europäischen Geiste den europäischen Körper gefährden könnte.
Der 23. Juni ist kein Schicksalstag für Europa. Selbst wenn das Unwahrscheinliche passiert und die Briten für einen Ausstieg votieren, wird sich Europa nur kurz schütteln und weiter machen wie bisher.
Die Gefahr für die Europäische Union kommt nicht von jenseits des Ärmelkanals, die Sollbruchstelle liegt, wie so oft schon in der Geschichte, am Rhein.
Ein Gebilde wie die europäische Union bricht in der Mitte oder gar nicht.

Ein Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union wäre für Brüssel ökonomisch verkraftbar, meint Heinz-J. Bontrup

Die Briten werden nicht aus der Europäischen Union austreten. Am 23. Juni wird auf der Insel die ökonomische Vernunft siegen. Allerdings würde ich auch nicht verzweifeln, sollte es anders kommen. Die neoliberalen britischen Regierungen nerven einfach nur. Die Labour Partei unter Tony Blair reiht sich da nahtlos ein. Ob Falkland-Krieg oder als Anhängsel der US-Amerikaner im Nahostkrieg, die Briten scheren aus – ohne Rücksicht auf die Europäische Union.

 Dies gilt auch für die Euroverweigerung. Das permanente Erpressungsgehabe für britische Vorteile hat dem europäischen Gedanken insgesamt nicht gut getan, sondern kontraproduktive Wirkungen entfacht. Ökonomische und politische. Nur geringste soziale Standards oder die dringende Umsetzung von Regulierungen an den Finanzmärkten, um nur zwei Beispiele zu nennen – immer war man auf der Insel dagegen.
Jetzt ist das Land politisch gespalten, weil der britische radikale Neoliberalismus eine breite gesellschaftliche Schicht der Verlierer hat entstehen lassen, die meint, in Ausländern und der Europäischen Union die Verursacher und damit Feinde entdeckt zu haben. Mehr Borniertheit geht nicht.

Zu den ökonomischen Fakten: Die Briten tragen knapp 15 Prozent zum EU-Bruttoinlandsprodukt bei. Damit ist Großbritannien nach Deutschland und Frankreich das wirtschaftlich drittgrößte Land in der Union. Dennoch wäre der Austritt ökonomisch für die EU verkraftbar.

Die Briten selbst würden jedoch viel verlieren: einen einheitlichen europäischen Binnenmarkt, der Exporte und Importe ohne Handelsbarrieren möglich macht. Das Wachstum würde empfindlich zurückgehen und in Folge von Steuerausfällen weitere Einsparungen im Staatshaushalt provozieren. Es drohen Firmenabwanderungen oder zumindest weniger Direktinvestitionen im Vereinigten Königreich. Die Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung sind heute schon hoch. Hier ist mit Zuwächsen und damit höheren fiskalischen Kosten einer staatlichen Alimentierung der Erwerbslosen zu rechnen. Im vergangenen Jahr hat Großbritannien zwar als Nettozahler 4,9 Milliarden Euro in die Kassen der Europäischen Union eingezahlt. Dies machte aber nur 0,23 Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder gut 76 Euro für jeden Briten aus. Die Niederländer, ebenfalls EU-Nettozahler, kommen hier auf 280 Euro pro Kopf und Deutschland auf 192 Euro. Bei einem Brexit ist also die gesamtwirtschaftliche Entlastung Großbritanniens nicht sehr hoch, obwohl dies die Brexit-Befürworter in den Medien populistisch betonen.

Spannend ist die Frage, wie das britische Pfund mittel- und langfristig auf einen Austritt reagieren würde. Kurzfristig sind auf jeden Fall Abwertungen zu erwarten. Diese haben auch schon stattgefunden. Aber auch mittel- und langfristig muss man wohl mit einem schwachen Pfund rechnen. Eine industriell fast entkerne und auf die Finanzindustrie fokussierte britische Wirtschaft mit einem eher niedrigeren Zinsniveau wird kaum aufwerten. Dies hilft zwar der produzierenden Exportwirtschaft, verteuert aber gleichzeitig auch die Importe. Schon heute hat Großbritannien mit 149 Milliarden Euro von allen Mitgliedsländern der Europäischen Union die negativste Handelsbilanz. Das heißt, die Briten leben in der EU deutlich und am meisten über ihre Verhältnisse. Weitere Zuwächse bei der Auslandsverschuldung dürften bei einem EU-Austritt zunehmend schwieriger werden. Hinzu kommt mit fast 90 Prozent – bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt – ein hoher Staatsschuldenbestand.

Und nicht zuletzt würde bei einem Brexit der Börsenplatz London heftig leiden. Die geplante, aber stark umstrittene Fusion mit der Frankfurter Börse würde platzen. Auch deshalb warnt besonders der britische Finanzsektor vor einem EU-Austritt der Briten – wohl zu recht.

Heinz-J. Bontrup arbeitet als Wirtschaftswissenschaftler an 
der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen. Er ist außerdem Mitverfasser der jährlichen 
Memoranden der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik.

Die deutschen Regierungen seit Kohl bemühen sich sehr, dem nachzueifern. Sie haben es fast geschafft.

Jochen

Der Aderlass hat Griechenland geschadet – Schäuble belügt die Deutschen bis zum Wahltermin 2017 – Die Linke hat ein Alternativprogramm !

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Auf der Internetseite der sehr staatstragenden Bundeszentrale für politische Bildung darf der Ökonom Andrew Watt mal verbreiten, was sonst nur Flassbeck und wenige andere wissen:
http://www.bpb.de/politik/wirtschaft/schuldenkrise/227737/der-aderlass-hat-griechenland-geschadet
Auszüge:
Der Aderlass ist ein seit der Antike verbreitetes Heilverfahren, bei dem Patienten eine erhebliche Menge Blut entnommen wird. Heute ist belegt, dass er nur bei wenigen Krankheiten hilft. Deshalb ist er aus dem medizinischen Alltag verschwunden.

Der Glaube daran, dass man eine Wirtschaft „gesundschrumpfen“ kann, indem dem Wirtschaftskreislauf Kaufkraft („Blut“) entzogen wird, ist jedoch auch heute noch verbreitet. Eine restriktive Fiskalpolitik – Kürzungen, neue Steuern oder Abgaben – bringt danach die Staatsfinanzen wieder ins Lot, nicht nachhaltige Nachfrage wird korrigiert. Gleichzeitig werden unproduktive Firmen aus dem Markt gedrängt.
Die anderen müssen ihre Produktion effizienter gestalten, Kosten reduzieren und nicht benötigte Arbeitskräfte freisetzen. Um wieder in Beschäftigung zu kommen, müssen Letztere ihre Reallohnansprüche zurückschrauben.

Dieser Prozess wird, so die Theorie, unterstützt durch sogenannte Strukturreformen, die Arbeitnehmer in Lohnverhandlungen systematisch schwächen. Zudem machen Wohlfahrtsstaatsreformen die soziale Hängematte ungemütlich und die Aufnahme auch schlecht entlohnter Jobs attraktiv.
Im Ergebnis verbilligen sich heimische Produkte, das Land kann verstärkt exportieren. Die Erholung folgt – nach einem Tal der Tränen –, und erst dann, irgendwann, können auch Arbeitnehmer höhere Reallöhne erzielen und Steuerzahlerinnen zwar weniger, aber dafür effizientere öffentliche Dienstleistungen genießen.

Das ist im Kern auch die Kur, durch die Griechenland genesen sollte: fiskalische Austerität, Strukturreformen und im Vergleich mit den Wettbewerbern fallende Löhne und Preise – die sogenannte „interne Abwertung“. Sie hat nicht funktioniert.

Vorhersagen, die griechische Wirtschaft werde sich „im kommenden Jahr“ erholen, sind immer wieder verschoben worden.

Stattdessen ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) insgesamt um ein Viertel gefallen. Die Staatsschulden stiegen trotz hartem Sparkurs unaufhörlich auf fast die zweifache jährliche Wirtschaftsleistung. Der Lebensstandard (gemessen am BIP pro Kopf) fiel auf unter zwei Drittel des EU-Durchschnitts. Vor der Krise hatte es bei fast 90 Prozent gelegen. Die Arbeitslosigkeit liegt bei über 25 Prozent. Gut ausgebildete Menschen verlassen in Scharen das Land.

Die Gründe für das Scheitern der Reformen lassen sich grob unter zwei Rubriken zusammenfassen: Einmal die Anwendung falscher Theorien über die Bestimmung von makroökonomischen Größen wie Output, Beschäftigung und Staatsschulden. Und dann das mangelnde Verständnis dafür, dass die Probleme Griechenlands (und die anderer Krisenländer) vor allem Ausdruck systemischer Probleme der Architektur des Euroraums sind – und dort auch gelöst werden sollten, und erst in zweiter Linie das Ergebnis nationaler Defizite.

Einzelne Arbeitnehmergruppen und Firmen können durch Verzicht auf höhere Löhne und Preise ihre Beschäftigungs- oder Absatzchancen erhöhen. Aber dieses einzelwirtschaftliche Denken funktioniert auf der Ebene einer Volkswirtschaft nur unter bestimmten Voraussetzungen. Denn letztlich müssen die angebotenen Dienstleistungen und Produkte auch von jemandem gekauft werden: Es muss eine effektive Nachfrage dafür geben – eine zentrale Einsicht des vor siebzig Jahren verstorbenen britischen Ökonomen John Maynard Keynes.

Der wirtschaftspolitisch aufgezwungene Aderlass hat der griechischen Wirtschaft Nachfrage entzogen. Das kann gesamtwirtschaftlich nur funktionieren, wenn diese fehlende Nachfrage anderweitig ersetzt wird.

Die Strategen der Troika glaubten, dass das Ausland angesichts gestiegener preislicher Wettbewerbsfähigkeit griechischer Produkte und Dienstleistungen (nicht zuletzt des Tourismus) in diese Bresche springen. Sie vermuteten auch, dass der griechische Privatsektor (Haushalte und Unternehmen) seine Ausgaben erhöhen würde, wenn endlich entschieden gegen den überbordenden Staatssektor, Korruption und Steuerflucht vorgegangen wird. Die fiskalische Kontraktion sollte also durch sogenannte „nicht-keynesianische Effekte“ letztlich expansiv wirken.

Allerdings ist Griechenlands Wirtschaft eine der geschlossensten des Euroraums. Da ihre direkten südeuropäischen Konkurrenten ebenfalls kriselten, mussten sie sich wie die Griechen auf einen Wettlauf nach unten einlassen. Gleichzeitig weigerten sich reichere Partner wie Deutschland, ihre Wirtschaft zu stimulieren und Preise und Löhne im Vergleich zu den Krisenländern steigen zu lassen. Und schließlich fehlt Griechenland wie allen Mitgliedern der Eurozone die geldpolitische Autonomie, um die Wirtschaft monetär zu stimulieren und heimische Waren durch Abwertung konkurrenzfähiger zu machen.

Die Troika dokterte also am schwächsten Patienten herum, ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass die Strukturen im gesamten Krankenhaus gesundheitsgefährdend waren.

Die Überschuldung Griechenlands war beispielsweise auch Ausdruck einer unverantwortlichen Kreditvergabe seitens der Banken in den Kernländern des Währungsraums. Und die schwache Wettbewerbsfähigkeit der Griechen war auch Ausdruck dessen, dass Deutschland auf Leistungsbilanzüberschüsse setzte, die mindestens ebenso inkompatibel mit einer stabilen Entwicklung des Euroraums sind wie die allseits kritisierten Lohnexzesse des Südens.

Sicher war die politische Lösungssuche im Euroraum nach Ausbruch der Krise schwierig. Eine optimale Politik war wohl nicht umsetzbar. Dies enthebt die politisch Verantwortlichen aber nicht von einer schweren Schuld.
Griechenland, die Wiege der europäischen Demokratie, ist fast verblutet. Hätte man die zwei grundlegenden Fehler vermieden wäre eine Gesundung zu erheblich niedrigeren Kosten sowohl für die griechische Bevölkerung wie auch für Europa insgesamt möglich gewesen.

Sahra Wagenknecht meint dazu: http://linksfraktion.de/pressemitteilungen/waehlertaeuscher-schaeuble

Jahrelang haben Wolfgang Schäuble und Angela Merkel die Wähler getäuscht.

Nun müssen sie zugeben, dass die öffentlichen Kredite an Griechenland, die zur Rettung von Banken und privaten Gläubigern eingesetzt wurden, nicht wie geplant zurückgezahlt werden.

Die Bundesregierung muss die Öffentlichkeit sofort darüber aufklären, ob den europäischen Steuerzahlern zusätzlich auch noch die faulen Kredite des Internationalen Währungsfonds an Griechenland aufgezwungen werden sollen“, kommentiert Sahra Wagenknecht das Ergebnis des Treffens der Euro-Finanzminister und die dazugehörigen Medienberichte. Die Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE weiter:

„Es ist ein kläglicher Versuch der Wählertäuschung durch die Bundesregierung, in Brüssel durchgesetzt zu haben, dass die konkreten Beschlüsse zu den Schuldenerleichterungen erst nach der Bundestagswahl gefällt werden sollen. Wer die Menschen andauernd plump zu täuschen versucht, braucht sich über den zunehmenden Rechtspopulismus nicht zu wundern.

Es gibt ein Alternativprogramm zum Euro-Rettungswahnsinn der Bundesregierung: Öffentliche Investitionsprogramme für Griechenland und die EU, Senkung der Staatsverschuldung durch eine EU-weit koordinierte Vermögensabgabe für Multimillionäre und Milliardäre und Kredite der Europäischen Zentralbank für öffentliche Investitionen statt unkontrollierter Flutung der Finanzmärkte.“

Jochen

AUTOBAHNBRÜCKENSPERRUNG – Großes Chaos in einem kleinen Land oder der Betrug an allen Generationen

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Ja, liebe Mitmenschen, so sind die Zusammenhänge verstehbar, wenn man die Hintergründe kennt. Fechinger_TalbrueckeDanke, Herr Professor !

Hier zu lesen:
http://www.flassbeck-economics.de/grosses-chaos-in-einem-kleinen-land-oder-der-betrug-an-allen-generationen/
Auszüge:

Im Saarland ist in der vergangenen Woche über Nacht eine Autobahnbrücke gesperrt worden, die täglich von rund 40 000 Autos benutzt wurde.
Die Brücke sei akut einsturzgefährdet, hörte man als Begründung von der Verkehrsministerin. Daraufhin brach, obwohl noch Ferienzeit ist, auf kleinen Umleitungsstrecken ein veritables Verkehrschaos aus, das wohl noch Monate anhalten wird, weil es bis zu einem Jahr dauern kann, die Brücke notdürftig zu flicken (hier ein Bericht dazu).

Was daran erstaunt, ist die Tatsache, dass kaum jemand kritische Fragen stellt. Man nimmt das wie ein Naturereignis hin und fordert die Bevölkerung auf, Ruhe zu bewahren und geduldig auf das Ende der Bauarbeiten zu warten.
Niemand fragt, wieso in einem hochentwickelten Industrieland eine Brücke so akut einsturzgefährdet sein kann, dass sie von einer Stunde zur nächsten total gesperrt werden muss.
Kaum jemand fragt, wieso überhaupt die deutsche Infrastruktur in einem so maroden Zustand ist, dass so etwas (wie schon vor einiger Zeit bei der Schiersteiner Brücke in Wiesbaden) anscheinend zur Regel wird.
Es hat auch niemand den sofortigen Rücktritt der saarländischen Verkehrsministerin gefordert und schon gar niemand ist auf die Idee gekommen, dass das mit der absurden Politik des Bundesfinanzministers zu tun hat und dass der eigentlich zurücktreten müsste.

All diese Fragen werden nicht gestellt – und die von den Umleitungen betroffene Bevölkerung denkt nicht einmal im Traum daran, aus Protest gegen den Lärm und Dreck auf die Straße zu gehen. Wir kennen ja die Antwort auf all die Fragen genau und wissen, wie es zu dem „Naturereignis“ Brückensperrung kam:
Es ist einfach kein Geld da! Das Saarland ist arm, das weiß nun wirklich jeder, und der Bund muss sparen, weil wir sonst die zukünftigen Generationen mit unseren Schulden belasten.

Mit dieser Begründung kann man in Deutschland die Bevölkerung bei jedem Problem sofort stillstellen.
Man muss nur laut „Geld, Schulden und Generationengerechtigkeit“ rufen, sofort fällt die gesamte Bevölkerung in Duldungsstarre und lässt auch die schlimmsten Qualen wie in Trance über sich ergehen.

Es ist wirklich beeindruckend, wie man seit Jahrhunderten immer wieder 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung mit einer extrem primitiven Hausväterideologie von jedem Nachdenken abhalten kann. Und noch beeindruckender ist, dass es eine sogenannte Wissenschaft von der Wirtschaft gibt, die nichts anderes im Sinn hat, als mit allen Mitteln, die man sich nur vorstellen kann, dieses Täuschungsmanöver zu unterstützen.
Dass das selbst jetzt gelingt, in den Zeiten von Nullzinsen und wirklich ungewöhnlicher Maßnahmen der Zentralbanken, kann man allerdings mit „Täuschungsmanöver“ nicht mehr angemessen umschreiben. In Wirklichkeit ist es jetzt ein Betrugsmanöver, ein kollektiver Betrug der unwissenden Massen durch eine Phalanx von Medien, Wissenschaft und Politik. *)

Man muss ja nur eine ganz simple Rechnung aufmachen, um zu sehen, wie alle Generationen der Gesellschaft betrogen werden. Nehmen wir an, man hätte die Brücke im Saarland und alle anderen Brücken, die gefährlich sind, mit staatlichem Geld in einem großen Infrastrukturprogramm genau dann zu sanieren begonnen, als die de facto Nullzinspolitik (also zuerst Realzins Null und jetzt sogar Nominalzins Null) absehbar war, also 2011 spätestens.
Nehmen wir weiter an, der Staat hätte dazu 50 Milliarden Euro am Kapitalmarkt aufgenommen und bis heute vollständig ausgegeben.
Jenseits aller unmittelbaren Vorteile, die für die Volkswirtschaft dabei in Form von höheren Einkommen und mehr Jobs, größerer Verkehrssicherheit, geringerer ökologischer Belastungen durch Staus, weniger Stress usw. angefallen wären, hätte auch der Staat durch höhere Steuereinnahmen unmittelbar Vorteile gehabt. Dagegen wären seine Zinszahlungen durchweg nahe Null.

Nehmen wir weiter an, die Anleihen des Staates hätten eine Laufzeit von fünf Jahren gehabt. Also lässt der Staat sie auslaufen und nimmt sofort wieder in gleicher Höhe Anleihen mit der gleichen Laufzeit auf – nun sogar zu einem negativen Nominalzins. Dazu nimmt er wiederum 50 Milliarden über fünf Jahre auf.
Die Anleihesumme des Staates über die gesamten zehn Jahre gerechnet, ist damit auf 100 Mrd. gestiegen, da er die erste Anleihe nicht zurückgezahlt, sondern nur durch eine neue ersetzt hat. Die meisten derjenigen, die schon die erste Anleihe des Staates gezeichnet haben, werden auch die nächsten beiden zeichnen, weil es (für Versicherungen zum Beispiel) am Kapitalmarkt kaum Alternativen zu den staatlichen Anleihen in puncto Sicherheit gibt.

Nun kommt, das ist neu, noch der Effekt hinzu, dass die EZB den wichtigsten Haltern der Staatsanleihen, den Banken, einen erheblichen Teil der Staatsanleihen mit ihrem Programm zur Stimulierung der Konjunktur und der Inflation sofort wieder abkauft. In der Tat will sie in den nächsten Monaten in Höhe von 80 Milliarden Euro pro Monat solche Papiere kaufen, was nichts anderes heißt, als dass die EZB Geld (aus dem Nichts) schafft, um die Wirtschaft anzuregen.

Mit der neuen Anleihe hat der deutsche Staat nun wieder 50 Milliarden zur Verfügung, die er in andere Projekte (wie Bildungsarbeit oder ökologische Vorsorge) stecken kann. Diese Projekte werden quasi von der EZB dem Staat zu einem erheblichen Teil dadurch ermöglicht, dass sie ihm – auf dem Weg durch die Banken – frisches Geld gibt, das er für vernünftige Dinge ausgeben soll.
Die direkten „Kosten“ für den Staat auch aus seiner neuen Anleihe sind Null oder sogar leicht positiv, während die Erträge für die Gesellschaft klar positiv sind und auch die Erträge des Staates in Form von Steuern und geringeren Ausgaben für Arbeitslose und Sozialleistungen eindeutig positiv sind.

Man kann nun an die Zahl, über die wir reden, noch eine Null hängen, also 500 Milliarden für fünf Jahre anvisieren und am Ergebnis ändert sich nichts, außer, dass die positiven Effekte für alle größer werden. Jedenfalls gilt das immer, so lange es unterausgelastete Kapazitäten und Deflation gibt.
Das Einzige, was man negativ verbuchen kann, ist womöglich (aber selbst das ist nicht sicher wegen der oben erwähnten positiven Effekte auf die staatlichen Einnahmen und die Ausgaben und auf das gesamtwirtschaftliche Einkommenswachstum), dass in der Statistik, die üblicherweise für die Staatsschulden in Relation zur Größe der Volkswirtschaft aufgestellt wird, sich die Zahlen leicht verändern. Es könnte sein, dass nun bei dem Verhältnis Staatsschulden insgesamt zu Bruttoinlandsprodukt (also beim Vergleich der Bestandsgröße „die Schulden aller Zeiten“ mit der Stromgröße „gesamtwirtschaftliches Einkommen eines Jahres“) die Zahl von 70 Prozent auf 72 Prozent steigt. Welche Katastrophe?

Diese Statistik selbst ist aber von vorneherein unsinnig, weil man Schulden mit Vermögen vergleichen muss und nicht mit dem laufenden Einkommen.
Das Vermögen des Staates ist aber bei der Sanierung oder dem Neubau der Brücken mit Sicherheit gestiegen, so dass sich hier, also bei dem einzigen wirtschaftlich sinnvollen Vergleich, im – vollkommen unwahrscheinlichen – schlechtesten Fall nichts verändert hat, also Vermögen und Schulden im gleichen Maße gestiegen sind. Auch mehr Bildung und mehr ökologische Vorsorge erhöhen das gesellschaftliche Vermögen.
Im Normalfall wird sich das Verhältnis von Vermögen und Schulden durch die staatliche Aktivität klar verbessern, weil die gesamtwirtschaftlich positiven Effekte der staatlichen Investitionen auf jeden Fall das Vermögen der Gesellschaft insgesamt stärker erhöht haben als die Schulden.

So ist tatsächlich aus Nichts etwas Sinnvolles entstanden. Niemand hat verzichten müssen, um die Brücken zu sanieren, sondern insgesamt haben alle gewonnen. Nun muss sich die Gesellschaft nur noch eine Frage stellen: Wollen wir bewusst auf solche ketzerischen Gedanken verzichten, weil wir den Untergang des Abendlandes fürchten, wenn mehr Menschen verstehen, wie Volkswirtschaft wirklich funktioniert, und wollen wir folglich versuchen, die Menschen für die nächsten 500 Jahre weiterhin für dumm zu verkaufen?

Machen wir uns nichts vor, viele verstehen diese einfachen Zusammenhänge wirklich nicht, andere wollen sie nicht verstehen. Es gibt aber auch die Klasse derjenigen, die es verstehen, denen es aber unheimlich und äußerst gefährlich vorkommt, wenn man den Menschen sagt, aus Nichts könne etwas Positives und Produktives entstehen. Wer dem Volk nicht Blut, Schweiß und Tränen predigt, sondern dem Staat und dessen Macht über das Geld vertraut, ist in ihren Augen ein Verführer des Volkes, ein Luftikus, ein verantwortungsloser Geselle.
Diese Klasse von Staatskritikern hat nichts anderes im Sinn, als eine relativ einfach zu beantwortende volkswirtschaftliche Frage zu einer ideologischen Auseinandersetzung hochzustilisieren, bei der es scheinbar um Wohl und Wehe der Menschheit und ihrer moralischen Grundregeln geht. Sie bekämpfen die gesamtwirtschaftlichen Überlegungen nicht, weil sie diese an sich für falsch halten oder nicht verstehen, nein, sie bekämpfen sie, weil sie die Richtung für gefährlich halten, die Vorstellung nämlich, der Staat könne zu mächtig werden, in ihre Privilegien eingreifen und generell etwas tun, was den Privaten verwehrt ist.
Das ist die Art der Auseinandersetzung, die, jenseits der rein wissenschaftlichen Fragen, von denen, die einsichtig sind, viel offensiver geführt werden muss.

*: Siehe dazu https://josopon.wordpress.com/2019/10/23/lakaien-des-kapitals-journalisten-und-politiker-weltanschaulich-eng-miteinander-verbunden/

Jochen

Demokratische Souveränität als Leitkategorie des Plan B

Eine wichtige Beobachtung von Heiner Flassbeck:

http://www.flassbeck-economics.de/demokratische-souveraenitaet-als-leitkategorie-des-plan-b/

Lafontaine_PlanB

flasbeck2013k

Siehe hierzu auch  https://josopon.wordpress.com/2015/09/15/ein-plan-b-fuer-europa-fassina-konstantopoulou-lafontaine-melenchon-varoufakis/#

Am vergangenen Wochenende besuchten Andreas Nölke und ich die Auftakttagung der von Jean-Luc Mélenchon, Oskar Lafontaine, Stefano Massina und Zoe Konstantopoulou angestoßenen internationalen „Plan B“-Initiative. Zwei Tage lang diskutierten Vertreter linker Parteien, Gewerkschafter, Aktivisten unterschiedlichster zivilgesellschaftlicher Gruppen und progressive Wissenschaftler Wege zum Ausstieg aus der Austeritätspolitik. Als Bezugspunkt hatte sich die in Deutschland vor allem von Oskar Lafontaine vertretene Forderung herauskristallisiert, den Euro durch ein modifiziertes Europäisches Währungssystem zu ersetzen (hierzu kommt in Kürze ein separater Beitrag). Weitere Themen waren die soziale Lage in der Europäischen Union, Wirkungsweisen von Kapitalverkehrskontrollen, die Gefahren eines internationalen Währungskriegs und natürlich die Flüchtlingskrise.

Besonders berichtenswert erscheint uns hier aber ein Umstand, den wir zwar schon im Vorfeld erahnten, dessen Intensität uns in Paris aber gleichwohl überwältigte: Das Ausmaß, in dem die Eurokrise quer durch die Mitglieder der Eurozone heute als Souveränitätsdiskurs behandelt wird. Nicht nur in den südlichen Krisenländern, sondern auch und gerade in Italien und Frankreich wird der Euro als lange Sequenz illegitimer Übergriffe und nationaler Erniedrigungen durch die europäischen Institutionen und vor allem durch Deutschland erlebt. Die Leitfrage nahezu aller Redner lautete: Wie lässt sich heute, gegen die EU und gegen Deutschland, ein Mindestmaß an demokratischer Souveränität und Selbstbestimmung zurückgewinnen?

Das ist verständlich und weitgehend berechtigt – auch wenn wir uns an der einen oder anderen Stelle veranlasst sahen, daran zu erinnern, dass der Euro keine deutsche Idee war und zumindest an dieser Stelle das „blame it all on Germany“ mit einem Fragezeichen zu versehen ist.

Deutsche tun aber gut daran, sich die Problemperzeptionen der Partnerländer sorgsam anzuhören. Denn das Problem wird in Deutschland oft nicht verstanden. Gerade progressive Kräfte halten die europäische Integration in Deutschland oft für ein Programm gegen den Nationalstaat und Begriffe wie „Souveränität“ und „nationale Selbstbestimmung“ daher für Kategorien Ewiggestriger.

Wer im Diskurs mit den europäischen Partnern auf diese Sichtweise beharrt und dem überragenden Stellenwert der nationalen demokratischen Selbstbestimmung die Berechtigung abspricht, wird auf Granit beißen. Ebenso übrigens, wer unsere Nachbarn über eine angeblich nicht vorhandene Preiselastizität deutscher Produkte oder ähnlichen Unfug belehren will. Und erst recht, wer unsere Nachbarn im Rahmen der Flüchtlingskrise über den Wert internationaler Solidarität und ethisch überlegenes Verhalten aufklären möchte. Sie wollen es nicht hören und haben damit völlig Recht.

Erst nach und nach wird deutlich, was der Euro und das deutsche Verhalten in ihm alles kaputtgemacht haben. Die europäische Zusammenarbeit war schon einmal wesentlich weiter.

 Diese Ansicht teile ich auch.
Jochen

Flassbeck zu Wahlen in Spanien: Die Demokratie ist einfach nicht austeritätstauglich – und Erich Kästners nicht austeritätstaugliches Weihnachtsgedicht

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Auch in Italien fängt die Regierung an zu merken, wie ihr seitens Merkel und Schäuble der rote Teppich unter den Füßen weggezogen wird. Wäre Renzi mal dem Tsipras an die Seite getreten…

aber vielleicht wird auch anderswo den korrupten Regierungen das Handwerk gelegt.

Nur: der Internationalismus der 99% Globalisierungverlierer wird noch klein geschrieben, selbst in den europäischen Linksparteien.

Ein berühmter US-Präsident sagte dazu: man kann eine große Menge Menschen für kurze Zeit belügen und eine kleine Gruppe auf Dauer, aber man kann nicht die große Mehrheit der Menschen auf Dauer belügen.
http://www.flassbeck-economics.de/die-wahlen-in-spanien-die-demokratie-ist-einfach-nicht-austeritaetstauglich/

Flasbeck2013 Auszüge:

Da haben alle Jubelmeldungen über die „starke spanische Wirtschaft“ und sogar der Besuch der deutschen Kanzlerin in Madrid vor einigen Monaten nichts geholfen: Die spanischen Konservativen sind abgewählt, obwohl sie, wie die deutsche Politik und die deutsche Presse nicht müde wurden zu betonen, die Wirtschaft „aus der Krise geführt haben“.

Die Menschen in Spanien haben jedoch besser verstanden, was passiert ist. Wie ich im Frühjahr 2014 schon beschrieben habe (hier), gab und gibt es in Spanien eine starke Bewegung in der Bevölkerung, die wusste, dass das, was über Spanien hereingebrochen ist, kein Tsunami war, sondern eine menschengemachte Katastrophe, für die die bis zuletzt herrschende konservative Partei (PP) die Hauptverantwortung trug, weil sie eilfertig exekutierte oder sogar vorwegnahm, was die Eurogruppe an Austerität empfahl.

Es müsste nun auch langsam dem letzten Verfechter der „schmerzhaften Reformen“ dämmern: Austerität ist einfach nicht demokratietauglich (umgekehrt ist es noch treffender: Demokratie ist nicht austeritätstauglich).
Was Wolfgang Schäuble schon lange befürchtete (wir haben das hier am Beispiel Frankreich belegt), bestätigt sich jetzt eindrucksvoll. Man kann den Menschen nicht beliebig lange erklären, es werde aufwärts gehen, wenn es in Wirklichkeit gar nicht aufwärts geht. Der Bürger erdreistet sich dann, Regierungen, die von der Aufschwungspropaganda leben, abzuwählen.
In Spanien hat er wie dereinst in Griechenland vor allem auf der linken Seite des politischen Spektrums Parteien gefunden, die sein Anliegen verstehen. Doch links oder rechts folgt hier eher einem Zufallsprinzip als politischer Strategie.*) In Portugal, Spanien und Griechenland war es links, in Frankreich und Italien wird es rechts sein.

Wie es nun ausgeht in Spanien, ist in meinen Augen relativ leicht vorherzusehen. Podemos ist zu schwach geblieben (obwohl 20 Prozent aus dem Stand ein phantastisches Ergebnis sind), um eine Alternative für eine Koalition zu schaffen, die wirklich etwas ändern will. Folglich werden es wieder einmal die Sozialdemokraten sein, die „in den sauren Apfel“ beißen und eine große Koalition mit den Konservativen eingehen. Die spanische Sozialdemokratie war schon zu Zeiten von Felipe González in wirtschaftspolitischen Fragen sehr konservativ und wird „einsehen“, dass in diesen schwierigen Zeiten nur nationale Einheit helfen kann.
Und sie wird es wohl tun, selbst wenn es um den Preis ist, einer konservativen Partei, die sich seit langem durch ein Höchstmaß an Korruptheit auszeichnet, dazu zu verhelfen, ihre vielfältigen Machenschaften weiter zu verbergen.

Das aber verschafft Podemos die Möglichkeit, genau wie vor einem Jahr SYRIZA in Griechenland, sich als wirkliche Alternative zu profilieren und folglich noch einmal deutlich hinzuzugewinnen. Zerbricht dann die große Koalition, weil es ihr nicht gelingt, die Wirtschaft zu beleben, wäre ein erneutes „griechisches Wunder“ möglich.
Ob das dann auf ähnlich unrühmliche Weise von der Eurogruppe beendet werden könnte wie in Griechenland, ist doch sehr zweifelhaft. Immer mehr Politiker in den traditionellen Parteien beginnen zu verstehen, dass langanhaltende Austerität die Wähler in Scharen von ihnen weg und zu Parteien treibt, die aus dem „normalen“ Spektrum weit herausragen. Aus reinem Selbsterhaltungstrieb müssen sie das verhindern. Folglich werden sich immer weniger traditionelle Parteien davon überzeugen lassen, dass der deutsche Weg der „Reformen“ ohne Alternative ist.

* Ich halte das NICHT für ein Zufallsprinzip. Da, wo die Wende nach rechts geht, ist eher die übriggebliebene GLADIO-Struktur noch am Werke, siehe https://josopon.wordpress.com/2015/11/18/italien-in-den-90ern-operation-gladio-faschisten-und-christdemokraten-mafia-und-cia-arbeiteten-hand-in-hand/ und https://josopon.wordpress.com/2015/05/11/der-terror-der-geheimdienste-in-deutschland-vs-bnd-nsa-mad/.
Und: wenn hier in der Bürgerpresse ein Anstieg der Umsätze um 1 – 2% als Zeichen für Aufschwung, bei den Gewerkschaften 1,5% Lohnerhöhung brutto pro Jahr als großer Erfolg gefeiert wird, werden sich hier vielleicht auch mehr Leute fragen, wer ihre Interessen vielleicht besser vertritt.
Nur das systematische Schüren von Sozialneid „Merkel, Du Volksverräterin, der Neger kriegt was, was mir wegsanktioniert wird!“ – kann die Leute vielleicht noch einige Jahre verblenden.

Über die Feiertage werde ich an der Vortragsveranstaltung mit Albrecht Müller über Meinungsmache und Manipulation am Freitag,19.2.2016 und meinem für 20.Februar geplanten Workshop, beides in Nördlingen, arbeiten.
Termine bitte vormerken.
Und hier das versprochene Weihnachtsgedicht:

Weihnachtslied, chemisch gereinigt (1927/28)

(Nach der Melodie: „Morgen, Kinder, wird’s was geben!“)
Morgen, Kinder, wird’s nichts geben!
 Nur wer hat, kriegt noch geschenkt.
Mutter schenkte Euch das Leben. 
Das genügt, wenn man’s bedenkt.
Einmal kommt auch eure Zeit.
Morgen ist’s noch nicht soweit.

Doch ihr dürft nicht traurig werden.
 Reiche haben Armut gern.
Gänsebraten macht Beschwerden.
 Puppen sind nicht mehr modern.
Morgen kommt der Weihnachtsmann.
Allerdings nur nebenan.

Lauft ein bißchen durch die Straßen!
 Dort gibt’s Weihnachtsfest genug.
Christentum, vom Turm geblasen,
 macht die kleinsten Kinder klug.
Kopf gut schütteln vor Gebrauch!
Ohne Christbaum geht es auch.

Tannengrün mit Osrambirnen – 
Lernt drauf pfeifen! Werdet stolz!
Reißt die Bretter von den Stirnen, 
denn im Ofen fehlt’s an Holz!
Stille Nacht und heil’ge Nacht –
Weint, wenn’s geht, nicht! Sondern lacht!

Morgen, Kinder, wird’s nichts geben!
 Wer nichts kriegt, der kriegt Geduld!
Morgen, Kinder, lernt fürs Leben!
 Gott ist nicht allein dran schuld.
Gottes Güte reicht so weit …
Ach, du liebe Weihnachtszeit!

Jochen

Bravo Griechenland! Heiner Flassbeck fasst es nochmal zusammen

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Wenn man heute die widerlichen Ergüsse solcher „Qualitätsmedien“ wie der Augsburger Allgemeine liest, freut man sich doch über eine sachkundige Stimme hier:
http://www.flassbeck-economics.de/bravo-griechenland/

flasbeck2013k

flasbeck2013k

Und dazu sollte man sich ansehen, was Gregor Gysi am 23. April 1998 im Bundestag voraussagte, welche Folgen die bevorstehende Euro-Einführung für Europa haben werde:
Gysi1998https://youtu.be/x1ef0BBtuYA
Er sollte bis ins Detail Recht behalten.
Auszüge:

Die Griechen haben sich nicht verängstigen lassen. Sie haben mit einer beachtlichen Mehrheit das Angebot, das ihrer Regierung bis 25. Juni von der Troika und den Gläubigerstaaten vorgelegt wurde, abgelehnt.
Es scheint, dass auch große Bevölkerungsgruppen den einfachen Punkt verstehen können, der da heißt, dass man eine Medizin, die nicht nur nicht angeschlagen, sondern den Zustand des Patienten verschlechtert hat, wieder absetzen muss.

Das ist auch deswegen beindruckend, weil man in den Gläubigerstaaten ja gerne gesagt hat, diese griechische Regierung habe eigentlich keine Mehrheit im Volk mehr, folglich auch kein Mandat, schwerwiegende Entscheidungen zu treffen.

Richtig ist, dass diese Entscheidung allein für die Gläubigerländer noch keine Änderung ihrer Position erzwingt. Wer für was ein Mandat hat, muss man jetzt aber schon sehr genau überlegen. Es wird ja gerne gesagt, die demokratische Entscheidung der griechischen Bevölkerung müsse man respektieren, aber man müsse auch die Entscheidungen der demokratisch gewählten Regierungen der anderen 18 Länder respektieren.

Nur, gibt es das Mandat wirklich, von dem in den Gläubigerstaaten immer die Rede ist? Hat die deutsche Regierung ein Mandat von der Mehrheit der Bevölkerung, das es erlaubt, die Bevölkerung eines kleinen europäischen Landes in großer Radikalität und ohne Rücksicht auf die Ergebnisse in eine neoliberale Radikalkur zu zwingen?
Wir erinnern uns: Angela Merkel hatte keine Mehrheit nach der letzten Parlamentswahl, und nur der Willfährigkeit der Sozialdemokraten ist es zuzuschreiben, dass sie wieder Bundeskanzlerin wurde. Kann man unterstellen, dass die Mehrheit der Wähler, die damals SPD gewählt haben, es auch getan hätten, wenn sie gewusst hätten, was das im Rahmen der großen Koalition für Griechenland bedeutet?

Gibt es in anderen Gläubigerstaaten das Mandat der Regierung, in internationalen und europäischen Verhandlungen ein solches Ausmaß an Ignoranz zu zeigen, wie das in den vergangenen fünf Monaten im Fall Griechenland gezeigt wurde?
Hat Präsident Hollande ein Mandat seiner Bevölkerung, sich über ein griechisches Votum hinwegzusetzen und weiter auf einem Austeritätskurs zu beharren? Mit Sicherheit nicht.
Hat Matteo Renzi, der ja immer noch Ministerpräsident ist, ohne vom Volk gewählt zu sein, das Mandat, sein Nachbarland gegen den erklärten Willen der dortigen Bevölkerung in eine Fortsetzung der Austeritätspolitik zu zwingen?
Hat die spanische Regierung, die um ihre Existenz ringt und vermutlich im Dezember vom Volk in die Wüste geschickt wird, das Mandat ihrer Bevölkerung, an Griechenland ein neoliberales Exempel zu statuieren?

Kann es überhaupt ein Mandat für Unvernunft geben? Hatte Heinrich Brüning vor 80 Jahren das Mandat, dem deutschen Volk Austeritätspolitik aufzuzwingen, die scheitern musste?
Kann irgendeine demokratisch gewählte und sich an demokratische Regelungen haltende Regierung der Welt ein Mandat der Bevölkerung beanspruchen für die Fortsetzung einer Politik, die offenkundig gescheitert ist und nur aus ideologischen Gründen verteidigt werden muss?

Aber das Geld des eigenen Steuerzahlers zu verteidigen, das Mandat hat doch jede Regierung oder? Ja, aber auch das bedeutet, dass die eigene und die einem anderen Land aufgezwungene Politik Erfolgschancen haben muss. Dafür spricht aber im Falle der Austeritätspolitik nichts. Auch Merkantilismus hat aus logischen Gründen keine Erfolgschancen, wenn er auf viele Länder angewendet werden soll.
Wer Griechenland weiter in den Abgrund reißt, der wird sein Geld nie wieder sehen. Genau andersherum als üblicherweise vertreten, ist es richtig: Wer dem Land eine Chance gibt, sich zu erholen, schont den deutschen Steuerzahler.

Aber an die Regeln müssen sich doch alle halten? Ja, aber auch nur an die, die eine Chance auf Erfolg beinhalten. Regeln, die gegen jede Vernunft aufgestellt worden sind, können nicht gegen jede Vernunft verteidigt werden. Außerdem geht es um alle Regeln, auch um diejenigen, gegen die Deutschland verstoßen hat oder die es zu seinen Gunsten von vorneherein so gedreht hat, dass ein Verstoß weniger wahrscheinlich ist. Insgesamt gesehen ist der Hinweis auf die Einhaltung von Regeln in einer Währungsunion, die so aus dem Ruder gelaufen ist wie die europäische, ohnehin nicht zielführend.
Es spricht alles dafür, dass die Regeln von Anfang an unvollständig waren oder an der falschen Stelle griffen, so dass Verstöße gegen die Regeln einer wirklich funktionierenden Währungsunion gar nicht erkannt wurden. In dem Fall hilft der Hinweis auf die Regeln gar nichts.

Wenn man das alles bedenkt, muss man zu dem Ergebnis kommen, dass Griechenland spätestens nach seinem Votum einen Neuanfang verdient. Es verdient Verhandlungen in einem anderen Geiste (und vermutlich auch mit anderen Personen, wie es leider nur Yanis Varoufakis erkannt hat) und in einem anderen politischen Klima. Griechenland muss eine Chance gegeben werden, seine Wirtschaft zu stimulieren, die Rezession zu beenden und die Fremdherrschaft über sein Regierungshandeln abzulegen.

Ist es wahrscheinlich, dass das heute oder in den nächsten Tagen passiert? Nein, es werden auf Gläubigerseite die gleichen kleingeistigen Politiker (die eigentlich hätten zurücktreten müssen) sitzen wie zuvor und sie werden die gleichen kleingeistigen und ökonomisch falschen Forderungen stellen.
Einen Staatsmann (oder eine Staatsfrau), die jetzt aufstehen würden, um ultimativ ein Ende der Hetze gegen Griechenland und ein Ende des Austeritätswahns zu fordern, hat Europa leider nicht. So ist zu befürchten, dass schon in wenigen Tagen der Katzenjammer in Griechenland so groß sein wird, dass danach die Mehrheit der Bevölkerung endgültig den Glauben in die Demokratie verloren hat.

Anmerkung: Dass diese unsere Politiker auf Gläubigerseite solche Forderungen stellen liegt sicher nicht an deren Kleingeistigkeit. Niemand darf Schäuble oder Hollande kleingeistig nennen. Nein, entscheidend ist ihre Käuflichkeit !

Jochen

Zwei Prozent – Das Debakel der deutschen Lohnrunde 2015 und die Verschleierungstaktik der Gewerkschaften

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Flassbeck bringte es wieder auf den Punkt:
http://www.flassbeck-economics.de/das-debakel-der-deutschen-lohnrunde-2015/

Der Stand der Dinge

Nun ist es an der Zeit, in Sachen Lohnentwicklung Bilanz zu ziehen. Die wichtigsten Lohnabschlüsse dieses Jahres sind gelaufen und werden ihre Wirkungen bis weit in das Jahr 2016 hinein entfalten.
Das Ergebnis, man muss es so drastisch sagen, ist ein Debakel. Es muss, wenn es die europäischen Partner ernsthaft und ehrlich zur Kenntnis nehmen, spätestens jetzt zu dem Schluss führen, dass mit Deutschland keine Währungsunion zu machen ist.

Zum Abschluss in der Metall- und Elektroindustrie haben wir hier und hier schon alles Wichtige gesagt. Mit etwa 2,7 Prozent (auf zwölf Monate gerechnet) ist das Ergebnis sicher nicht berauschend, es ist aber im Nachhinein betrachtet noch das beste Ergebnis, das für dieses und für das nächste Jahr zu verzeichnen ist.

In der chemischen Industrie haben die Tarifpartner am 27.3. abgeschlossen. Herausgekommen ist eine Lohnerhöhung in der Nähe von zwei Prozent. Offiziell werden 2,8 Prozent von der Gewerkschaft verkündet, aber auch hier muss man die Laufzeit beachten (17 Monate plus ein Leermonat, also einMonat, in dem es keine Erhöhung gibt). Dazu kommen nach Angaben der IGBCE (hier zu finden) eine „Demographiekomponente“ über drei Jahre, was nach den Angaben der IGBCE einer Lohnerhöhung von insgesamt 0,9 Prozent entspricht (aber, so wie ich es verstehe, auf drei Jahre zu verteilen ist). Rechnet man folglich 2,8 plus 0,3, also 3,1 Prozent für 18 Monate (inklusive des Leermonats), ergibt sich bei einer Zwölfmonatsrechnung 2,06 (3,1 geteilt durch 18 multipliziert mit zwölf). Zusätzlich gibt es noch Verschiebemöglichkeiten für Betriebe „in wirtschaftlichen Schwierigkeiten“.

Den letzten Abschluss machte Ver.di für den öffentlichen Dienst (also die Angestellten) der Länder. Auch hier wird von über 4 Prozent geredet, aber tatsächlich liegt auch dieser Abschluss in der Nähe von zwei Prozent auf zwölf Monate gerechnet.
Die Gesamtlaufzeit beträgt 24 Monate, was schon das Ergebnis stark relativiert, die Laufzeit beginnt aber schon am 1. Januar dieses Jahres und die erste Erhöhung von 2,1 Prozent gibt es ab 1. März, die zweite von 2,3 Prozent ist dann zum 1.3. 2016 fällig.
Die erste Erhöhung liegt – wiederum auf zwölf Monate gerechnet – also klar unter 2 Prozent, die zweite etwas darüber.

Bei der Bewertung der Ergebnisse muss man zunächst einmal feststellen, dass die Verschleierungstaktik, die sich die Gewerkschaften hinsichtlich der Kommunikation der tatsächlichen Höhe der Abschlüsse leisten, ein gewaltiger Skandal ist. Unsere Zwölfmonatsrechnung ist ja nur ein sehr einfaches Hilfsmittel, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wo der Abschluss wirklich liegt, wenn man ihn auf die Größenordnung bezieht, die wir üblicherweise anschauen, nämlich zwölf Monate.

Eine wirkliche Berechnung der durchschnittlichen Ergebnisse eines bestimmten Jahres ist komplizierter, weil man den genauen Verlauf der monatlichen Verdienstentwicklung im Vorjahr (also von 2014 in diesem Fall) kennen muss, um das Ergebnis dieses Jahres wirklich im Vergleich zum Vorjahr bewerten zu können. Alle diese Angaben haben die Gewerkschaften natürlich und könnten sie ohne weiteres ihren Mitgliedern und der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen.

DGBlogoWir fordern daher alle Gewerkschaften (und den DGB) auf, für diese Lohnrunde und für die folgenden genau diese Rechnung zu machen und zu veröffentlichen. Jede Gewerkschaft soll also auf ihrer Internetseite nach jedem Abschluss die folgende Angabe machen:

  • Der Abschluss in der Branche YYY wird dazu führen, dass im Jahr 2015 die durchschnittlichen Einkommen der Beschäftigten in dieser Branche um XXX Prozent über den durchschnittlichen Einkommen des Jahres 2014 liegen. Bei länger laufenden Abschlüssen: Für das Folgejahr ergibt sich aus dem Abschluss ein Anstieg von ZZZ Prozent gegenüber diesem Jahr.

Wir bitten alle unsere Leser, die selbst Gewerkschafter sind oder sich als Bürger diese Klarheit wünschen, den Gewerkschaften diesbezüglich zu schreiben, damit die Volksverdummung mit schwer zu interpretierenden Zahlen ein für allemal ein Ende hat.

(Der Rest des Artikels ist kostenpflichtig, Infos zu dem neuen Bezahlsystem bei flassbeck-economics gibt es hier)

Jochen

Die EZB-Politik ist falsch! Aber was ist die Alternative?

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Passend zu dem Film „Wer rettet wen„, den wir gestern gesehen haben, schreibt Heiner Flassbeck heute:
http://www.flassbeck-economics.de/die-ezb-politik-ist-falsch-aber-was-ist-die-alternative/
Auszüge:

Flasbeck2013Von links und von rechts wird die Europäische Zentralbank (EZB) und ihre Politik der extrem niedrigen Zinsen des Quantitative Easing (QE) heftig kritisiert.
Ein Leser weist darauf hin (danke dafür!), dass beim The Real News Network (TRNN) gerade Michael Hudson, Professor in Missouri und Mitglied im Board des Levy-Instituts, heftig beklagt hat (hier),

dass die Politik der Notenbanken im Allgemeinen und die der EZB im Besonderen die Ungleichheit vergrößere und Spekulationsblasen schaffe.

Auf einer Veranstaltung letzte Woche wurde ich mit einem „Hayekianer“ (Professor Gunther Schnabl aus Leipzig) konfrontiert, der die Schuld so ziemlich für alle Fehler und Krisen der letzten Jahre ausschließlich der Niedrigzinspolitik der Notenbanken anlastet.
Dann gibt es die Fraktion der Sparerschützer, die ebenfalls die Niedrigzinspolitik heftig beklagen (auf das bemerkenswerte Interview von Herrn Fahrenschon haben wir schon einmal hingewiesen, hier noch einmal).

Und schließlich gibt es – scheinbar vollkommen losgelöst von links und rechts – die sogenannten Geldtheoretiker, die sagen, wir alle (und die dummen Keynesianer dazu) hätten das Geldsystem nicht verstanden und die EZB könne ja noch etwas ganz anderes tun, nämlich Geld direkt an die Bürger verteilen, aber dazu ist alles Wichtige hier gesagt und das will ich wirklich nicht wiederholen.

Keiner fragt komischerweise, was für Alternativen die EZB in dieser unserer realen Welt hat und wer vielleicht sonst noch was zur Überwindung der Krise beitragen könnte.

Zunächst die Blasen. Ja, das ist schlimm, die Aktienmärkte sind nahe am Bersten und die EZB macht immer weiter. Welche Fehlallokation von Kapital!
Aber, wenn ich europäischer Notenbanker wäre, würde ich fragen, wer eine Welt geschaffen hat, in der niedrige Zinsen nur zu Spekulation führen und nicht zu Investitionen.
Wer hat denn die Regulierungen beseitigt, um den Banken den Weg in die Finanzmärkte freizumachen? Waren das die Notenbanken oder waren es die Parlamente?
Sicher waren in Deutschland einige Notenbanker Stichwortgeber. Aber die Weltanschauung der Tietmeyers, Issings, Starks und Webers (und wie sie alle heißen) müssen sich heutige Führungspersönlichkeiten der EZB nicht anrechnen lassen.

Weiter würde ich die noch viel wichtigere Frage stellen: Wer hat denn die Arbeitsmärkte „liberalisiert“, so dass heute niedrige Zinsen keine positiven Einkommens- und Nachfrageerwartungen schaffen können? Waren das die Notenbanken oder die Regierungen und Parlamente?

Zu Geldpolitik und Ungleichheit haben wir alles Wichtige schon im Oktober 2013 (aber auch noch einmal vor kurzem hier) gesagt. Hier ein Ausschnitt (leicht modifiziert):

„Man sagt … – und das lässt sich kaum bestreiten –, dass die Federal Reserve (Fed) in den USA mit ihrer ultraexpansiven Geldpolitik und deren Wirkung auf die Finanzmärkte zwar einen positiven Vermögenseffekt auslöst, dass dieser aber vor allem bei den oberen Einkommensgruppen ankommt, die in großer Menge Aktien und Bonds halten.
Richtig ist auch die Aussage, dass die Fed, wenn sie vor allem auf diesen Effekt setzt, ziemlich große Blasen erzeugen muss, um überhaupt eine Wirkung auf die Konjunktur zu erzielen, weil das Vermögen der Reichen selbst bei einer Wertsteigerung quantitativ einfach kein Schwergewicht für den privaten Verbrauch ist.

Es wird also konstatiert, dass die Geldpolitik heute offen auf Blasen an den Finanzmärkten setzt zur Konjunkturstimulierung, während nach traditioneller Lesart der Zusammenhang doch ein ganz anderer sein sollte: Man dachte üblicherweise, es ginge bei Zinssenkungen darum, Anlagen in Finanztiteln im Vergleich zu realen Investitionen in Sachanlagen unattraktiv zu machen.
Das gilt aber offensichtlich nur noch für den dummen Sparer, dessen Zinsen dahin schmelzen. Denn der gewitzte Anleger nutzt die Niedrigzinspolitik dazu, durch Spekulation auf steigende Vermögenspreise aus Nichts Geld zu machen. Der Zeithorizont, von dem wir heute an den Finanzmärkten reden, ist nämlich so kurz, dass der Zins auf eine Anlage vollkommen unwichtig geworden ist im Vergleich zu den Preissteigerungen, die durch Spekulation bzw. „Investition“ der großen Herde in die gleichen Vermögenstitel zustande kommt.

Eigentlich müsste man in der Analyse wesentlich weiter gehen und fragen, was schief läuft im marktwirtschaftlichen System, wenn der private Verbrauch in einem Aufschwung überhaupt nicht mehr richtig anspringt … trotz einer historisch niedrigen Sparquote.
Man beklagt die Ungleichheit und erwähnt sogar die berechtigte Kritik der Occupy-Wall-Street-Bewegung an der wachsenden Ungleichheit.
Aber man folgert erstaunlicherweise, „die Notenbanken hätten es nicht vermocht, die Ungleichheit zu überwinden.“

Ja, wer hätte denn je gedacht, dass die Notenbanken in der Lage wären, die Ungleichheit zu überwinden? Gibt es denn kein anderes Betätigungsfeld der Politik mehr als die Geldpolitik? Gibt es keine Ordnungs-, Steuer- und Sozialpolitik mehr, die Ungleichheiten verringern kann und soll?
Hätte man nicht sagen müssen, dass der Staat dem spekulativen Treiben ordnungspolitisch Einhalt gebieten muss, damit die Geldpolitik wieder greifen kann?
Und vor allem, dass der Staat in die Preisfindung am Arbeitsmarkt eingreifen muss, wenn es dort – wie seit der Finanzkrise geschehen – möglich ist, dass die Arbeitslosigkeit steigt, obwohl die Lohnniveaus extrem niedrig sind und große Ungleichheit besteht?“

Auch die Kritik der Hayekianer (und der Sparerschützer) ist mehr als seltsam. Da werden die Notenbanken der ganzen Welt kollektiv für verrückt erklärt, weil sie mit Niedrigzinsen die Welt fundamental veränderten und die Tugend des Sparens bestraften.
Wiederum würde ich als Notenbanker ähnliche Fragen wie vorher stellen: Wer hat denn vorgeschlagen, der Staat solle sich aus allem heraushalten, vor allem aus den Finanzmärkten? Waren das nicht die Hayekianer, für die jede Intervention des Staates Teufelszeug ist? Wer hat denn die vollständige Liberalisierung aller Märkte einschließlich des Arbeitsmarktes gefordert und in den letzten dreißig Jahren politisch durchgesetzt? Sind es nicht die Hayekianer, für die Löhne niemals niedrig genug sein können und für die das Wort Deflation im Zusammenhang mit Löhnen bis heute überhaupt nicht existiert?

Es stimmt ja – und wir haben das schon mehr als oft gesagt –, dass die EZB mit dem, was sie jetzt tut, in der Realwirtschaft nicht viel Positives erreichen kann. Aber sie tut alles, was in ihrem Rahmen möglich ist, und sie mahnt die anderen, ihren Part zu spielen.
Soll ich ihr das vorwerfen, wo alle anderen, die wirklich das machen könnten, was größere Erfolge verspricht, nichts tun?
Wer positive Impulse für die Konjunktur will, kann die Staaten Europas auffordern, sofort und in ausreichendem Maße das billige Geld vom Kapitalmarkt zu nehmen und öffentliche Investitionen durchzuführen oder die Geringverdiener zu entlasten.
Wenn dem Verträge (oder gar Regelungen im Grundgesetz) entgegenstehen, müssen diese geändert werden. Auch dazu muss man wieder Regierungen und Parlamente auffordern, nicht die Notenbank.
Wer die Eurokrise wirklich lösen will, soll die Regierungen und die europäischen Gewerkschaften auffordern, sofort eine Konferenz einzuberufen, wo lohnpolitische Leitlinien diskutiert und beschlossen werden, die allen Mitgliedsländern eine Chance geben, in absehbarer Zeit wieder gleichberechtigt auf den Weltmärkten mithalten zu können, ohne dass Deflation in einzelnen Ländern dazu notwendig ist.
Wer glaubt, dass der Vertrag von Maastricht insgesamt falsch und unzureichend ist, muss die Staaten auffordern, ihn zu ändern, und er hat mich sofort auf seiner Seite.

Auch wer Griechenland eine Chance geben will, muss die Regierungen, vorneweg die deutsche auffordern, der griechischen Regierung ohne sinnlose und ideologisch motivierte Konditionen den finanziellen Spielraum durch neue Kredite zu verschaffen, den sie unmittelbar braucht, um das Land aus der Krise zu führen.
Auch die EZB ist aufgefordert, die griechischen Banken weiter zu finanzieren und griechische Staatsanleihen wieder als Sicherheit zu akzeptieren. Dann hat auch der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB eine senkende Wirkung auf die griechischen Zinsen.
Die Regierungen sollten schließlich auch dafür sorgen, dass die EZB nicht mehr in der Troika vertreten ist, denn sie hat dort in der Tat nichts verloren. Ihre Aufgabe ist die Geldpolitik und sonst nichts.

Die EZB für die Wirkungslosigkeit oder sogar in Hinblick auf die Verteilungsungleichheit für die Negativwirkung ihrer derzeitigen Politik zu kritisieren, ist alles in allem betrachtet ein billiges Ablenkungsmanöver.
Die Ursachen für das Versagen der Geldpolitik liegen nicht in der Geldpolitik selbst begründet, sondern in den Rahmenbedingungen, die die früher und gegenwärtig Regierenden durch die Ordnungspolitik der gesamten Wirtschaft verpasst haben.
Wenn man der EZB-Führung etwas vorwerfen kann, dann das, dass sie auf diesen Zusammenhang nicht lauter und deutlicher hinweist und der neoliberalen Doktrin der “Reformen” und der “Flexibilisierung” nicht entschieden entgegentritt.

Jochen