Böser Putin, guter Obama

Kolumne von portrait_mOskar Lafontaine

Seit es die Presse gibt, ist bekannt, dass miteinander rivalisierende Mächte mit unterschiedlichen Mitteln versuchen, die Medien des jeweils anderen Landes für ihre Interessen einzuspannen. Nun meldet „Bild“ Ungeheuerliches:

„Russland mischt sich immer stärker in die deutsche Politik ein“.

Na sowas. Diesem Putin ist einfach nicht zu trauen.

Wie vorbildlich verhält sich da Obama. Außer, dass er alle abhören lässt, auch unsere Kanzlerin, und von deutschem Boden seinen Drohnenkrieg führt, mischt der sich nicht in die deutsche Politik ein.

Bild vermeldet „gezielte Aktionen Russlands zur Destabilisierung Deutschlands“. Sollte Putin die Absicht haben, Deutschland so zu destabilisieren wie die USA die Ukraine? Schließlich hatte Frau Nuland ‚ die US-amerikanische Staatssekretärin für Außenpolitik, in einem Telefonat preisgegeben, dass die USA fünf Milliarden Dollar eingesetzt hatten zur Destabilisierung – Entschuldigung: zur Befreiung – der Ukraine. Wie jeder weiß, waren die Demonstrationen auf dem Maidan sehr spontan. Und die bis heute nicht aufgeklärten Schüsse auf die Demonstranten, die dem Putsch vorausgingen? Da muss man gar nichts untersuchen, da kann nur Putin dahinter stecken.

Seit längerem befürchten die Obama-Versteher in Deutschland eine zunehmende Einflussnahme Russlands auf die deutsche Politik. Den Anfang machten zwei Journalisten in der „Süddeutschen Zeitung“, beide zufällig Mitglieder der Atlantikbrücke. Und bekannt ist ja auch, dass der CIA in der ganzen Welt noch nirgendwo versucht hat, ein Land zu destabilisieren oder Einfluss zu nehmen. Könnte es sein, dass die zunehmend kritische Haltung der deutschen Bevölkerung gegenüber den USA, die offensichtlich die amerikanischen Dienste alarmiert hat, einfach darauf zurückzuführen ist, dass immer mehr Menschen in Deutschland den Lügen der US-Außenpolitik nicht mehr glauben?

Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges haben die USA viele Kriege mit Millionen Toten geführt. Alles natürlich für Freiheit und Demokratie. Und Russland führt Krieg in Syrien, um seinen Einfluss in der Region zu wahren.

Gabriel2017Wie wäre es, wenn in Zukunft alle Waffenexporte vom UN-Sicherheitsrat genehmigt werden müssten? Obama und Putin hätten dann ein Vetorecht bei den Waffenexporten des anderen.Und wenn sie sich handelseinig wären, könnten die anderen Vetomächte immer noch Einspruch erheben. Und selbst Gabriel wäre aus dem Schneider.

Ein Christ und Pazifist verlässt nach 41 jahren die SPD – Rücktrittsschreiben von Prof.Dr.Dehler

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Die SPD verkommt immer mehr zu einem Haufen korrupter, verlogener Pöstchenjäger.
Gabriel, Müntefering, Clement, Schröder, Nahles, Riester, Ulla Schmidt, Lauterbach, Sarrazin

reih Dich ein in die Pöstchenjägereinheitsfront…

Hier macht sich einer gerade und reiht sich wieder aus:
http://osthessen-news.de/n11518717/dehler-austritt-fortw%C3%A4hrend-steigerndes-kriegstreiben-der-herrschenden-politik.html

Prof_DehlerAuszüge:

Zum Austritt von Prof. Dr. Joseph Dehler aus der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands dokumentiert OSTHESSEN|NEWS die Begründung seiner Entscheidung mittels eines Briefes an den SPD-Bundesvorsitzenden Gabriel. +++

„Fortwährend steigerndes Kriegstreiben der herrschenden Politik“

Parteiaustritt

Herr Gabriel,

nach über 40 Jahren Mitgliedschaft in der SPD fällt es mir ausgesprochen schwer, aus der Partei auszutreten.
Nicht zuletzt wegen meiner Hochachtung gegenüber all jenen Parteifreundinnen und -freunden, die sich an der Basis mit Erfolg redlich mühen, sozialdemokratische Ziele in eine menschen- und umweltfreundliche Politik zu gießen.
Genau diesen Entschluss zum sofortigen Parteiaustritt muss ich Ihnen heute jedoch leider mitteilen.

Nachdem der Deutsche Bundestag dem „Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS“ mit den Stimmen der SPD im Einklang mit der „Großen Koalition“ zugestimmt hat, kann und möchte ich Ihrer (vormals ´unserer`) Partei nicht mehr angehören. Am meisten entsetzt mich, dass nur 28 von 193 Bundestagsabgeordneten der SPD eindeutig gegen die Teilnahme am Krieg in Syrien gestimmt haben. Dies alleine deutet darauf hin, dass die meisten Entscheidungsträger in der SPD alle schrecklichen Erfahrungen aus deutschen, kontraproduktiven Kriegsbeteiligungen der jüngsten Zeit zu ignorieren scheinen. Wenngleich ich unterstelle, dass eine nichtmanipulierte Mitgliederbefragung zu einem völlig anderen Ergebnis geführt hätte.

Seit den Septemberanschlägen in New York 2001 haben die USA und ihre Verbündeten versucht, den Terror militärisch zu bekämpfen. Jedoch, wie wir hautnah verfolgen können, ist der islamische Terror stärker als je zuvor.
Vielmehr hat die westliche Welt damit zur weiteren Destabilisierung und Radikalisierung beigetragen; ja viele Menschen erst recht in den terroristischen Extremismus getrieben.

Anstatt dazu beizutragen, der Gewalt in Syrien und anderswo eine Absage zu erteilen, tritt nun auch Deutschland in den syrischen Bomben-Krieg ein. – Und zwar ohne ein klares Kriegsziel sowie auf sehr wackliger rechtlicher Grundlage. Schon gar nicht verbunden mit einer politischen Strategie für die Zukunft Syriens.
Dort starben in den vergangenen Jahren bereits 250.000 Menschen. Etwa 12 Mio. Menschen befinden sich inner- und außerhalb Syriens auf der Flucht.

Besser wird es auch nicht, wenn sich in diesem Zusammenhang und anderen kriegerischen Verflechtungen führende PolitikerInnen weigern, den Begriff „Krieg“ als offizielle Sprachreglung zuzulassen und damit den brutalen Krieg sogar verschleiern helfen. Krieg ist Krieg, auch wenn er als „Bundeswehreinsatz“ „bewaffneter Einsatz“, „militärische Intervention“, „Terrorismusbekämpfung“ oder gar als „robuster Stabilisierungseinsatz“ bezeichnet wird.

Solidarität mit Frankreich ist nach den furchtbaren Anschlägen von Paris wichtig, auch wenn die Attentäter belgische und französische, also europäische Bürger waren, und sich vermutlich als junge Muslime ausgegrenzt fühlten.
Im Umkehrschluss heißt dies, dass Terrorismus nur zu bekämpfen ist, wenn ihm der destabilisierende soziale Nährboden entzogen wird. Schon alleine deshalb ist der o.g. Beschluss ein falsches Zeichen der Solidarität mit Frankreich.

Hier genau fehlen mir seitens der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands sowohl die Analyse als auch zukunftsweisende Vorschläge. Dass in Wien kürzlich über politische Lösungen für Syrien gesprochen wurde, ist zu begrüßen. Noch aber ist keine politische Strategie erkennbar, wie dort ein Waffenstillstand mit Blick auf den Wiederaufbau des Landes erreicht werden kann. Schon insofern erscheint eine Kriegsbeteiligung Deutschlands als vollkommen überstürzt.

Es braucht keinerlei hellseherischen Fähigkeiten, um anzunehmen, dass die militärische Einmischung Deutschlands wie die kriegerischen Handlungen anderer Nationen in und um Syrien herum den Terrorismus nicht stoppen werden, sondern ein weiterer Nährboden für Terroristen sein wird. – Mit allen schrecklichen Folgen für Leib und Leben von Zivilisten wie für Soldaten. In der syrischen Region und in ganz Europa.
Das militärische Eingreifen Deutschlands wird damit zu einer weiteren Eskalation und Destabilisierung der Region führen und damit auch weitere Terroranschläge in Deutschland provozieren.

Der Westen sollte eher alles daran setzen, seine Verbündeten für eine Verhandlungslösung zu motivieren.
Der Beschluss des Deutschen Bundestages kann jedoch nicht als Signal in diese Richtung gehend verstanden werden.

Es bleibt auch unverständlich, weshalb nahezu keine Anstrengungen unternommen werden, dem IS die materiellen Wurzeln zu entziehen, indem
• der Ölschmuggel ausgetrocknet und damit Finanzströme gekappt werden,
• neue Waffenlieferungen an menschenverachtende Staaten wie Saudi Arabien unterbunden werden
• sowie der Nachschub an IS-Kämpfern gestoppt wird.

Ein Skandal ist es, dass beim 3. Mrd.-Euro Gipfel offensichtlich keine dahingehenden Bedingungen an die Türkei geknüpft worden sind, denn die entscheidenden Transfers werden ja bekanntlich über die syrisch-türkische Grenze vollzogen.

Die Folgen, das zeitliche Ausmaß und die Kosten für den beschlossenen Kriegseinsatz der Bundeswehr sind überdies nicht absehbar und werden unsere Kinder und Enkelkinder in jeder Hinsicht noch lange belasten.
Meine Sorge ist, dass mit dem Beschluss des Bundestages die Militarisierung der EU vorangetrieben und die Gefahr eines internationalen Krieges heranwächst.

In diesem Zusammenhang darf ich Sie auf den § 80 des Strafgesetzbuches, „Vorbereitung eines Angriffskrieges“, hinweisen. Dort heißt es:
„Wer einen Angriffskrieg (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes), an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.“

Das gilt aus meiner Sicht auch für Parteivorsitzende, Minister und Abgeordnete.

Herr Gabriel, als ein christlich und sozialdemokratisch geprägter Mensch möchte ich nicht weiter mit dem sich fortwährend steigernden Kriegstreiben der herrschenden Politik unter Beteiligung der deutschen Sozialdemokraten in Verbindung gebracht werden.
Ich bitte Sie daher, meinen Austritt aus der SPD entgegenzunehmen und zu bestätigen.

Joseph Dehler

P.S. Damit in der Öffentlichkeit keinerlei Irritationen über die Gründe meines Parteiaustritts entstehen, informiere ich gleichzeitig die Presse“.

Mein Kommentar: Mir wird immer deutlicher, dass dieser so verwunderlich schnelle Kriegseintritt über mindestens 18 Monate lang medienpolitisch und organisatorisch vorbereitet wurde und man die staatsbekannten islamistischen Wirrköpfe in Frankreich hat gewähren lassen, um einen Grund zur „staatstragenden Empörung“ zu haben. Diese vermutung wird durch Analyse der entsprechenden Pressekampagnen gestützt, z.B. die „Querfront“-Kampagne, hierzu vgl.Katrin McClean: http://www.nachdenkseiten.de/?p=28643.

Jochen

Details von Freihandelsabkommen zwischen USA und Pazifikregion: Verheerende Folgen für Arbeiterrechte

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Es gibt immer mehr Gründe, den derzeitigen Geheimverhandlungen zu misstrauen, die ein Bundesminister einer ehemaligen deutschen Arbeiterpartei immer deutlicher propagiert:

https://www.jungewelt.de/2015/03-27/012.php
Auszüge:

Arbeiten wie in Asien

Wikileaks deckt Details von Freihandelsabkommen zwischen USA und Pazifikregion auf: Verheerende Folgen auch für Arbeiterrechte in Europa

Von André Scheer

Stop_TTPProtest gegen das transpazifische Freihandelsabkommen TPP im April 2014 in Tokio – Foto: AP Photo/Shizuo Kambayashi

Können chinesische Unternehmen künftig die US-Regierung verklagen und zu Gesetzesänderungen zwingen? Dieses Szenario zeichnet die New York Times in ihrer Donnerstagausgabe, nachdem die Enthüllungsplattform Wikileaks am Vortag einen Abschnitt der derzeit verhandelten »Transpazifischen Partnerschaft« (TPP) veröffentlicht hatte: https://wikileaks.org/tpp/pressrelease.html.
Dieses Abkommen ist das asiatisch-nordamerikanische Gegenstück zu dem in Geheimverhandlungen zwischen den USA und der EU beratenen Freihandelsabkommen TTIP.
Beteiligt an TPP sind neben den Vereinigten Staaten Japan, Mexiko, Kanada, Australien, Malaysia, Chile, Singapur, Peru, Vietnam, Neuseeland und Brunei. China ist nicht dabei, doch Unternehmen aus der Volksrepublik könnten – so die Befürchtung der New York Times – über Tochterunternehmen in einem Mitgliedsland die Mechanismen des Vertrags ausnutzen.

Hintergrund sind die Bestimmungen über die Einrichtung von transnationalen Schiedsgerichten, vor denen Firmen, die sich von nationalen Regelungen benachteiligt fühlen, Regierungen auf Schadensersatz in unbegrenzter Höhe verklagen können. Dazu müssen sie nicht einmal die vor Ort geltenden Rechtswege ausschöpfen.

»So bekommen ausländische Investoren mehr Rechte als nationale«, warnt die peruanische Tageszeitung La República.

Sorgen müssen sich zunächst vor allem die Lateinamerikaner machen. So wäre in Peru, Mexiko und Chile mit Inkrafttreten des TPP-Abkommens die Nationalisierung oder Verstaatlichung von »Investitionen«, wie sie in vergangenen Jahren etwa in Venezuela oder Bolivien vorgenommen wurden, ausdrücklich untersagt.
Grund für Schadensersatzforderungen wären dem 55 Seiten starken Papier zufolge auch soziale Konflikte oder nationale Gesetzesänderungen, zum Beispiel zum Schutz der Umwelt oder der öffentlichen Gesundheitsversorgung. Es reicht, wenn »Investoren« ihre »Gewinnerwartungen« geschmälert sehen.

Es sind Bestimmungen, die ganz ähnlich auch für das TTIP-Abkommen zwischen EU und USA vorgesehen sind. Auch wenn derzeit Stimmen laut werden, die eine »Modernisierung« der Schiedsverfahren fordern, bleiben die realen Positionen durch die Geheimnistuerei der EU-Kommission weiter unklar.
Selbst Europaabgeordnete, die Einsicht in Teile von TTIP nehmen konnten, dürfen unter Strafandrohung nichts über dessen Inhalt mitteilen.
Zugleich dringen Brüssel und Berlin auf Eile. So forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel Anfang März bei ihrem Besuch in Tokio einen schnellen Abschluss des parallel beratenen Freihandelsabkommens zwischen Japan und der EU – ausdrücklich mit Blick auf TPP.
Der Chef des Asien-Pazifik-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft (APA), Hubert Lienhard, ging gegenüber Reuters noch weiter: »Wenn TPP fertig würde und das EU-USA-Abkommen (TTIP) nicht, dann wäre dies ein sehr großer Nachteil für die deutsche und europäische Wirtschaft. Dann könnten Sie die Weltkarte neu zeichnen – mit Europa nicht in der Mitte, sondern am Rand.«

Die deutschen Kapitalisten hoffen auf den großen Reibach: Noch sind die Standards in Südostasien oft geringer als in den USA, so dass dortige Schutzbestimmungen unter Druck geraten. Sind diese aber erst mal gefallen, können nordamerikanische Unternehmen von den Europäern ebenfalls eine Anpassung nach unten verlangen.
Bezahlen werden am Ende Beschäftigte und Verbraucher.

Für Interessierte im Raum Donau-Ries-Nordschwaben ein Veranstaltungshinweis:

„Freihandel“ ist ein Täuschungsbegriff: Es geht vor allem um Investitionen, d.h. „Inve­sti­tionshemmnisse“ aus Sicht der internationalen Investoren sollen beseitigt werden.
Arbeits- und Gewerkschaftsrechte sind solche Hemmnisse. Zudem sieht es auf die­sem Gebiet beim Verhandlungspartner USA besonders schlecht aus:
Auch deutsche Kon­zerne wie Daimler, VW, BMW und Bayer, die in den gewerkschaftsfreien US-Südstaaten von der dortigen Niedriglöhnerei profitieren, wollen diese Verhältnisse auch in Europa haben.

Selbst das Bundeskanzleramt schreibt in einem Brief: „Allerdings trifft es zu, dass der Regelungsspielraum der EU und der EU-Mitgliedsstaaten durch konkrete Vereinbarungen über eine engere transatlantischer Regulierungszusammenarbeit, etwa im Rahmen einer gegenseitigen Anerkennung von Standards, in teilen eingeschränkt werden können.“ Ein offenes Eingeständnis der Preisgabe politischer Souveränität.

TTIP und Arbeitnehmerrechte

Veranstaltung mit Werner Rügemer

am Donnerstag, 21. Mai 2015, 19.30 Uhr

im Gasthaus „Roter Ochse“

in Nördlingen, Baldinger Str. 17
Eintritt frei !

Veranstalter: Soziales Forum Nordschwaben

c/o Bernhard Kusche, 86754 Munningen

Für eine soziale und gerechte Gesellschaft,

für die Durchsetzung unseres Grundgesetzes, Artikel 13, Abs. 2:

Eigentum verpflichtet.

Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle aller dienen.

EZB-Proteste: Stresstest in Frankfurt

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

EZBEs ist durchaus denkbar, dass die Polizei hier, wie nachgewiesenermaßen bei der großen Stuttgart21-Demo, agents provocateurs eingesetzt hat. Interessant ist, dass sich damals Mappus im Vorfeld der dort geplanten Eskalation von leitendem Personal aus Frankfurt hat beraten lassen. Nach AUgenzeugenberichten hat die Polizei auch gestern in Frankfurt unverhälnismäßig provoziert und von körperlicher Gewalt Gebracuh gemacht. Interessant ist, dass die meisten Opfer unter den Polizisten das „friendly fire“ mit Reizgas mitbekommen haben. Diese Opferzahlen sind ein gefundenes Fressen für die Machtpolitiker. Gestern war in den BR-nachrichten zu hören, dass die gute Haushaltslage erlaube, wesentlich mehr Geld in die Aufrüstung von Militär und Polizei zu investieren. Sozialen Herzens merkte Gabriel an, die armen klammen Gemeinden sollten doch auch ein bisschen davon abbekommen. Siehe hier den Bericht der jungen Welt: http://www.jungewelt.de/2015/03-19/051.php

Tausende demonstrieren gegen Europäische Zentralbank.

EZB-Politik als Gewalt gegen die Bevölkerung im Süden Europas angeprangert.

(André Scheer) Frankfurt am Main liegt nicht in der Ukraine. »Auf dem Maidan in Kiew waren Rauchschwaden für die Presse Zeichen der Freiheitsbewegung«, erinnerte die linke Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel am Mittwoch mittag über den Internetdienst Twitter an die Berichterstattung der meisten deutschen Medien. Mit ihrem Kurzkommentar reagierte sie auf die »Stimmungsmache der Presse gegen Blockupy«.

In den Stunden zuvor hatten Tausende Menschen zumeist friedlich gegen die offizielle Eröffnung des neuen Gebäudes der Europäischen Zentralbank (EZB) protestiert. So beteiligten sich an einem Demonstrationszug des DGB zum Römer am frühen Nachmittag etwa 20.000 Menschen.

In praktisch allen Fernsehsendern und den Onlineausgaben der Tageszeitungen war jedoch nur die Rede von brennenden Polizeiautos, eingeschlagenen Fensterscheiben und »88 verletzten Polizisten«. Demnach sollen acht der Beamten durch Steinwürfe und 80 durch Reizgas geschädigt worden sein.

Das legt die Vermutung nahe, dass die meisten Uniformierten Opfer ihrer eigenen Kollegen geworden sind, denn durch den massiven Einsatz von Pfefferspray gegen die Protestierenden wurden nach Angaben von Sanitätern auch etwa 80 Demonstranten verletzt. Weitere 13 erlitten allein am Vormittag Blessuren durch Schlagstockattacken der Polizei. Der Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete Martin Dolzer (Die Linke) berichtete gegenüber junge Welt, dass Protestierende brutal zusammengeschlagen worden seien, und sprach von zahlreichen Rechtsverstößen durch die Polizei. So sei Tränengas anlasslos in die Menschenmenge geschossen worden.

Auch Christoph Kleine vom »Blockupy«-Bündnis unterstrich: »Wenn wir über Gewalt sprechen, müssen wir zuallererst über die tödliche, existentielle Gewalt gegenüber den Menschen in Griechenland sprechen. Und wir müssen über die Gewalt der Polizei sprechen, über den massiven Einsatz von Tränengasgranaten und Wasserwerfern. Wenn wir das ins Verhältnis gesetzt haben, müssen wir auch sagen: Es gab neben vielen Aktionen im Rahmen unseres Konsenses bei den Protesten am Vormittag auch Aktionen, die wir nicht gewollt haben und nicht gut finden.«

Politiker fast aller Parteien beeilten sich umgehend, Distanzierungsfloskeln zu verbreiten. »Wer das Demonstrationsrecht missbraucht, wird die ganze Härte des Gesetzes spüren«, erklärte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD). Der Europaparlamentarier der Grünen Sven Giegold warnte: »Diese Bilder von Blockupy helfen genau den Falschen!« International war das Echo dagegen oft ein anderes. »Polizisten unterdrücken Antikürzungsproteste in Frankfurt«, lautete die Schlagzeile auf der Homepage des lateinamerikanischen Fernsehsenders TeleSur. Der in Caracas beheimatete Kanal zeigte nach Schlägen von Polizisten gekrümmt auf dem Boden liegende Demonstranten und berichtete, dass der Bau des EZB-Palastes 1,3 Milliarden Euro gekostet habe, während den Ländern Südeuropas brutale Sparprogramme aufgezwungen wurden.

Von solchen Informationen unbeeindruckt gab sich hingegen Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). »Ausgerechnet die EZB sozusagen zum Verantwortlichen zu machen, zeugt – glaub’ ich – auch von einem ganz erheblichen Unverständnis darüber, was die EZB derzeit für den Zusammenhalt in Europa leistet,« erklärte er nach Angaben der Nachrichtenagentur dpa. Nachhilfeunterricht könnte dem Vizekanzler Miguel Urbán Crespo von der spanischen Partei Podemos erteilen. Bei einer Pressekonferenz des »Blockupy«-Bündnisses informierte er am Mittag über die Folgen der EZB-Politik in seinem Land. Diese habe die spanische Souveränität zerstört und rund sechs Millionen Menschen in die Arbeitslosigkeit getrieben. Die Politik der EZB sei Gewalt gegen die Bevölkerung im Süden Europas.

Den Bankern wurde die Fete jedenfalls versaut. Statt in großem Rahmen die offizielle Eröffnung der 165 und 185 Meter hohen Glastürme zu zelebrieren, blieb der Festakt in kleinem Rahmen. »Blockupy« wertete das schon im Vorfeld als Erfolg: »Die pompöse Eröffnungsfeier mit Staatsgästen aus ganz Europa ist auf das Niveau einer Abifeier in der Provinz geschrumpft«, erklärte Sprecherin Hannah Eberle.

Am Mittwoch nachmittag demonstrierten dann auf dem Römer nach Polizeiangaben mindestens 10.000 Menschen. Eine italienische Gewerkschafterin forderte dort ein »Europa der Bürger und nicht der Banken«, während der Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Jochen Nagel, zum Kampf gegen die Politik der Staatsverarmung aufrief.

Jochen

SPD bereitet konsequent das Einknicken bei TTIP vor

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Hier nachzulesen: http://www.heise.de/tp/artikel/44/44119/1.html
Rolf-Henning Hintze 11.02.2015

Papier des Europa-Abgeordneten Bernd Lange nennt ISDS-Schiedsverfahren lediglich „nicht nötig“, Kritik von Grünen und Linken

Die Anzeichen verdichten sich, dass die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament doch für das umstrittene TTIP-Handelsabkommen mit den USA stimmen könnten.

Vor wenigen Tagen veröffentlichte der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange den Entwurf eines Berichts, der nicht mehr ein klares Nein zu den privaten Schiedsstellen enthält, sondern sie lediglich als „nicht nötig“ bezeichnet.

Die Schiedsgerichte, bei denen drei private Anwälte über hohe Schadensersatzklagen von Unternehmen gegen Staaten entscheiden, sind der mit Abstand umstrittenste Teil des TTIP-Abkommens. Sie werden von breiten Kreisen der Bevölkerung und auch von einigen Gewerkschaften als Bedrohung der Demokratie gesehen.

Noch vor einem Jahr hatte der SPD-Politiker die EU-Kommission aufgefordert, komplett auf einen Investor-Staat-Investorenschutz (ISDS) zu verzichten. Zum Vorschlag einer Verhandlungspause bei ISDS des damaligen EU-Handelskommissars Karel de Gucht erklärte Lange im Januar 2014: „Die EU-Kommission muss jetzt konsequent sein und nicht nur eine Verhandlungspause einlegen, sondern diese Pläne vollständig aus ihrer Verhandlungsagenda streichen.“

Der SPD-Abgeordnete erinnerte dabei an den Versuch des Energiekonzerns Vattenfall, Deutschland wegen des Atomausstiegs auf 3,7 Milliarden Euro (inzwischen 4,7 Milliarden) Schadenersatz zu verklagen.
„Ein Sonderklagerecht für Investoren in Staaten mit zuverlässigen und entwickelten Rechtssystemen lehnen wir Sozialdemokraten grundsätzlich ab“, erklärte Lange damals.

Inzwischen hat Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) jedoch zu erkennen gegeben, dass er den Investorenschutz hinzunehmen bereit ist. Im noch nicht ratifizierten, aber bereits fertig ausgehandelten CETA-Handelsvertrag 1) mit Kanada (Comprehensive and Economic Trade Agreement) ist der Investorenschutz bereits enthalten.
Falls dieser Vertrag ratifiziert werden sollte, könnte das, so befürchten Kritiker, ein Präzedenzfall für ISDS im TTIP-Abkommen werden. Die EU werde den USA schwerlich verweigern, was sie Kanada zugestanden habe.

„Hier wird sehr wohl ein Einknicken der SozialdemokratInnen vorbereitet“, erklärte die Handelsexpertin der Grünen im EU-Parlament, Franziska Keller, auf Anfrage. Bernd Lange schwäche hier „auch in Gabriels Interesse“ ganz klar eine SPD-Position ab, das habe sich schon seit ein paar Wochen angedeutet. Außerdem sei ihr nicht verständlich, dass Lange in dem Papier von den Kernnormen der internationalen Arbeitsorganisation (ILO) abgerückt sei, auf die das EU-Parlament immer sehr großen Wert gelegt habe.
Von den acht Kernnormen der ILO haben die USA bisher lediglich zwei angenommen, darunter das Verbot von Kinderarbeit nur eingeschränkt.
Klar sei aber auch, meinte die grüne Abgeordnete, dass die EU-Kommission eine Aufnahme der ILO-Normen in TTIP nur gegen große Zugeständnisse erreichen werde.

Kritik kommt auch von der Linksfraktion im EU-Parlament. Langes Berichtsentwurf lasse leider die von Wirtschaftsminister Gabriel geteilte Argumentation der EU-Kommission durchschimmern, es gehe lediglich darum, das ISDS-Verfahren in einigen Punkten nachzubessern, erklärte der Abgeordnete Helmut Scholz, Mitglied des Handelsausschusses, auf Anfrage. Er wies aber darauf hin, dass es an anderer Stelle des Papiers erfreulicherweise heiße, in TTIP solle es kein ISDS geben.
Position der Linksfraktion sei die eindeutige Ablehnung von ISDS in TTIP. Das gelte auch für alle anderen Handelsabkommen der EU und ihrer Mitgliedstaaten, fügte Scholz hinzu.

Die als TTIP-Kritikerin bekannte bayerische SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl wollte sich zu dem Lange-Bericht nicht äußern, betonte allerdings, sie werde „weder für CETA noch für TTIP stimmen“. Dafür gebe es zahlreiche Gründe, das ISDS- Sonderklagerecht sei dabei sicherlich die Spitze des Eisbergs, sagte sie auf Anfrage.
Sie betonte: „Nach wie vor sind für mich die demokratiegefährdenden Abschnitte, die wohl die Parlamente in die Schranken weisen sollen, die schwerwiegendsten Kröten, die ich nicht gewillt bin zu schlucken.“
Nachhaltige Politik heiße, nicht nur auf Bäume und Bienen zu achten, „sondern auch darauf, dass politisches Handeln im Auftrag der Bürger auch in Zukunft in vollem Umfang möglich ist“.

In einem von der Presse wenig beachteten Rechtsgutachten für das globalisierungskritische Netzwerk Attac kam der Bremer Universitätsprofessor Andreas Fischer-Lescano im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis, dass die ISDS-Bestimmungen im CETA-Vertrag sowohl gegen das Grundgesetz als auch gegen EU-Recht verstoßen.

1.CETA-Vertragstext (PDF). Die Fraktion der Linkspartei im Bundestag hat zentrale Kapitel des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Kanada vom Sprachendienst des Bundestags übersetzen lassen.

Kommentar: Wenn das Abkommen so ratifiziert wird, wird es eine Menge Stellen in den einzurichtenden Prüfungs- und Vermittlungskommissionen geben. Vielleicht sind solche Aussichten ja der Grund für Langes Umschwenken.

Jochen

Märchenonkel Gabriel: Zu TTIP ein Schreiben an die Genossen voller Halbwahrheiten, Allgemeinplätzen und Auslassungen

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Thorsten Wolff hat genau hingeschaut und seine Hinweise bei Jens Berger auf den NachDenkSeiten eingestellt:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=24825
Dort findet sich auch das vollständige Schreiben.
Hier Auszüge:

Sigmar Gabriels Schreiben an die SPD-Mitglieder: Mit Halbwahrheiten zum Freihandelsabkommen?

Verantwortlich: Jens Berger

Der SPD-Vorsitzende und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat sich jüngst per E-Mail an die Mitglieder seiner Partei gewandt. Thema seines Schreibens: Das derzeit verhandelte Freihandelsabkommen “TTIP” zwischen der Europäischen Union und den USA sowie das “CETA”-Abkommen mit Kanada.
Ziel seines Schreibens: Die SPD-Mitglieder zu beruhigen und auf Linie bringen.
Überzeugend sind Gabriels Argumente nicht. Auch, weil er so manches verschweigt und anderes herunterspielt. Eine Analyse von Thorsten Wolff.

Der Mitgliederbrief wurde am 28. Januar per E-Mail versandt. Wir kommentieren im Nachstehenden zunächst einzelne Passagen des Schreibens (in kursiv) und dokumentieren dieses anschließend nochmals komplett.

  1. Analyse zentraler Passagen des Mitgliederbriefs:

    Viele Bürgerinnen und Bürger, auch uns nahestehende Verbände und Organisationen, äußern teils heftige Kritik an diesen geplanten Freihandelsabkommen, sind verärgert über die mangelnde Transparenz der Verhandlungen und haben die Befürchtung, dass durch die Freihandelsabkommen bewährte europäische Standards etwa im Verbraucher- und Umweltschutz, bei den Arbeitnehmerrechten, in der Daseinsvorsorge und der Kultur ausgehöhlt werden könnten. Insbesondere auch die Frage des Investorenschutzes weckt großes Misstrauen.

    Freihandelsabkommen ja, aber nicht um jeden Preis.

    In den Gesprächen, die ich in unserer Partei führe, nehme ich Unbehagen und Unsicherheit wahr. Manchmal gibt es auch die Sorge, dass sich die SPD auf Bundesebene oder in der Bundesregierung bereits auf eine bedingungslose Zustimmung zu diesen geplanten Freihandelsabkommen festgelegt habe. Weil gerade das nicht stimmt, möchte ich Dich zu Beginn des neuen Jahres über den Stand der Verhandlungen auf europäischer Ebene, über meine Haltung als Vorsitzender der SPD und als Bundeswirtschaftsminister informieren.

    In den hier zitierten Absätzen macht Gabriel deutlich, worum es ihm geht: Die Menschen glauben zu machen, dass Freihandelsabkommen (TTIP, CETA) gar nicht so schlimm seien, wie alle denken, und dass die SPD nicht um jeden Preis zustimmen werde. Hierzu beginnt er mit einer sachlichen, inhaltlich zutreffenden Hinführung zum Thema.
    Diese Passage ist taktisch durchaus klug formuliert: Gabriel schreibt von “heftige[r] Kritik”, er schreibt, die “Bürgerinnen und Bürger” seien “verärgert” und hätten eine “Befürchtung”. Damit weckt er die Erwartung, dass Kritik, Verärgerung und Befürchtung im Nachfolgenden widerlegt werden. Was er dann ja auch versucht.

    Früh und recht direkt spricht Gabriel auch das Hauptproblem der SPD im Allgemeinen und seiner Person im Besonderen an, nämlich mangelnde Glaubwürdigkeit.
    Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Partei (mindestens) in der Haltung zu internationalen Abkommen sind berechtigt. Man erinnere sich etwa an den europäischen “Fiskalpakt” 2011/2012, den die damals oppositionelle SPD hätte verhindern können, den sie aber nicht verhindert hat. Und das, obwohl sie monatelang so tat, als sei eine Ablehnung eine ernsthaft ins Auge gefasste Option. Am Ende aber siegte die Staatsräson, wollte sich die Partei nicht als einziger Akteur in Europa gegen diesen ausverhandelten internationalen Vertrag wenden.

    Es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass sich Gabriel und die SPD bei internationalen Freihandelsabkommen wie CETA oder TTIP anders verhalten.
    Denn genau das eben am Beispiel des “Fiskalpakts” geschilderte Verhalten hat Gabriel am 27. November 2014 im Bundestag, bezogen auf CETA, sogar schon angekündigt: “Es ist überhaupt kein Problem für mich, zu wiederholen, dass wir im Hinblick auf CETA am Ende vor der Frage stehen, ob unser Unwohlsein und die Kritik an dem ‘Schweizer Käse’ des Investitionsschutzes – der Gutachter hat es so bezeichnet; so schwach findet er es – dafür ausreichen, dass Deutschland als alleiniges Land in Europa den gesamten Prozess anhalten kann. Sie werden sich als grüne Fraktion fragen müssen, wie Sie als europäisch-orientierte Partei, die Sie ja sind, mit Ihrer Position umgehen, wenn der Rest Europas dieses Abkommen will. Ich sage Ihnen: Deutschland wird dem dann auch zustimmen. Das geht gar nicht anders.”

    Wenn Gabriel im Mitgliederbrief also behauptet, die SPD hätte sich noch nicht auf eine “bedingungslose Zustimmung” festgelegt, so sind an dieser Äußerung mindestens Zweifel angebracht.

    Der Abbau von Zöllen und anderen Handelsbarrieren liegt im natürlichen Interesse einer Exportnation wie der deutschen. Millionen Arbeitsplätze hängen in unserem Land vom Export und von möglichst freien Handelswegen ab. Deshalb hat sich die SPD mit CDU und CSU im Koalitionsvertrag auch darauf verständigt, das geplante Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP) zu unterstützen und den Freihandel zu stärken. Dies gilt auch für das Abkommen mit Kanada (CETA).

    Der transatlantische Handel ist heute schon in hohem Maße “frei”. Zölle spielen kaum noch eine Rolle.
    Eine demgegenüber größere Rolle spielen die so genannten “nichttarifären Handelshemmnisse”, von Gabriel hier als “andere Handelsbarrieren” bezeichnet: Gemeint sind damit staatlich-öffentlichen Regularien und Verfahren, die von Unternehmen als “Hindernisse” im transatlantischen Handel empfunden werden können. BefürworterInnen von Freihandelsabkommen nennen als Beispiele gerne etwa (doppelte und unterschiedliche) Zulassungsverfahren und technische Vorschriften. Sie leiten daraus die Forderung ab, Verfahren und Vorschriften einander anzugleichen oder wechselseitig anzuerkennen.
    Sofern beide Seiten das gleiche Schutzniveau haben, ist dies halbwegs unproblematisch. Wenn das Schutzniveau allerdings unterschiedlich ist, besteht durchaus die Gefahr, dass Standards nach unten angeglichen (und damit abgesenkt) werden. Dass dies nicht passieren werde, wie Gabriel oben schreibt und wie auch andere immer wieder behaupten, kann man glauben oder auch nicht.

    Darüber hinaus werden oft sogar Sozial-, Verbraucherschutz- und Umweltstandards schlechthin als Handelshemmnisse angesehen – meist mit der Begründung, diese seien unnötig und dienten alleine dem Zweck, ausländischen Unternehmen den Zugang zum Markt zu verwehren. Tatsächlich können sie den grenzüberschreitenden Handel von Waren und Dienstleistungen erschweren, weshalb die Forderung nach Absenkung dieser Standards zu einer Hauptforderung der Unternehmenslobby in Sachen TTIP geworden ist.
    Die Spielzeugproduzenten beider Kontinente etwa fordern, die höheren europäischen Standards bei Spielzeugen einer kritischen Prüfung anhand wissenschaftlich-objektiver Kriterien zu unterwerfen; umgekehrt wünschen die europäischen Rohmilchkäse-Produzenten einen Zugang zum US-Markt, der ihnen heute aus hygienischen Gründen versagt ist.

    Ähnliches bei Sozialstandards: So ist es in der Freihandelszone “Europäischer Binnenmarkt” heute beispielsweise nicht mehr möglich, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge Tarifbindung vorzuschreiben, wenn die Tarifverträge nicht Gesetzescharakter haben (also allgemeinverbindlich sind). Der Grund: Die Einhaltung von Tarifverträgen ist für ausländische Unternehmen schwieriger umzusetzen als für inländische, insofern würden ausländische Unternehmen benachteiligt, wenn Tarifbindung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vorgeschrieben wird. So legen es jedenfalls die Freihandelslogiken nahe, die dem Europäischen Binnenmarkt wie auch klassischen Freihandelsabkommen (TTIP, CETA) zu Grunde liegen.

    Die Gefahr der Absenkung von Standards durch Freihandelsabkommen ist also real. Über all das verliert Gabriel in seinem Mitgliederbrief allerdings kein Wort – von oberflächlichen Bekundungen abgesehen, dass er Standards nicht absenken wolle. Der Begriff der “anderen Handelsbarrieren” hätte da durchaus einige Anmerkungen verdient gehabt.

    Stattdessen bringt Gabriel das standortnationalistische Argument der Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft ins Spiel. Eine Erklärung, weshalb eine weitere Liberalisierung des transatlantischen Handels notwendig und nützlich sein soll, bleibt er dabei allerdings ebenso schuldig wie eine ökonomische Erklärung für den behaupteten Zusammenhang zwischen Handelsliberalisierung und Arbeitsplätzen.
    Mehr als unbegründete Allgemeinplätze (“natürliche[s] Interesse”, “Millionen Arbeitsplätze hängen…”) hat er nicht zu bieten. Nicht zuletzt die zweifelhaften ökonomischen Studien über angebliche positive Effekte eines TTIP-Abkommens lassen Skepsis gegenüber seinen Ausführungen berechtigt erscheinen.
    Von der Fragwürdigkeit des von Gabriel gefeierten deutschen Exportwahns ganz abgesehen.

    Danach haben wir auf der Grundlage einer Vereinbarung mit dem DGB auf unserem Parteikonvent beschlossen, dass wir grundsätzlich die geplanten Freihandelsabkommen begrüßen – allerdings nicht um jeden Preis. Vor allem ist für SPD und DGB wichtig:

    Der Verweis auf das gemeinsame Papier seines Ministeriums (und indirekt der SPD) mit dem DGB soll den Eindruck erwecken, dass SPD und DGB in der Frage der Freihandelsabkommen gemeinsame Positionen vertreten. Allerdings bleibt Gabriels Bezug auf das Papier oberflächlich, selektiv und unvollständig, wie im Folgenden aufgezeigt werden soll. Nur durch diese selektive und unvollständige Wiedergabe gelingt es Gabriel, den Eindruck gemeinsamer Positionen beider Organisationen zu wecken.

    • dass die Verhandlungen endlich transparent und für alle Bürgerinnen und Bürger Europas nachvollziehbar geführt werden,

    Das Thema der Transparenz ist in der Tat Bestandteil des Papiers, allerdings nur einer von vielen und gewiss nicht der wichtigste. Dass Gabriel gleich zu Beginn seiner Aufzählung von Inhalten des SPD-DGB-Papiers hierüber spricht, kann getrost als Ablenkungsmanöver gelten.

    • dass die geplanten Freihandelsabkommen keine sozialen, ökologischen oder kulturellen Standards gefährden dürfen, dass weitere Verbesserungen dieser Normen möglich sein müssen und dass die Entscheidungsfreiheit regionaler Körperschaften über die öffentliche Daseinsvorsorge unberührt bleibt,

    Wenn Gabriel schreibt, er wolle, dass “weitere Verbesserungen dieser Normen möglich sein müssen”, dann wirft er eine Nebelkerze. Denn in den allerwenigsten Fällen wird ein Freihandelsabkommen explizit vorschreiben, dass “Normen” nicht weiter “verbessert” werden dürfen. (Wobei sich im Einzelfall ohnehin die Frage stellt, was mit “Verbesserungen” gemeint ist.) Die realen Gefahren sehen anders aus:

    • Erstens besteht die Gefahr, dass Freihandelsabkommen Möglichkeiten der Regulierung einschränken, etwa der Regulierung von Finanzmärkten oder von Produktmärkten. Dies muss nicht explizit mit einem Verbot einhergehen, “Normen” zu “verbessern”.
    • Zweitens führen Freihandelsabkommen zu verstärkter Konkurrenz zwischen den Unternehmen der beteiligten Länder. Hier besteht die Gefahr, dass höhere Standards in einem Land zu Nachteilen gegenüber anderen Ländern führen. Um “Wettbewerbsfähigkeit” wiederzuerlangen, werden Staaten dann von sich aus Normen absenken oder zumindest nicht weiter erhöhen. Dies geschieht bei arbeits- und sozialrechtlichen Normen derzeit etwa in Südeuropa (in Griechenland jetzt nicht mehr), und es geschah vor 10-15 Jahren unter Rot-Grün in Deutschland. Das SPD-DGB-Papier spricht die Gefahr eines Dumping-Wettbewerbs in Punkt 3 durchaus offen an, Gabriel aber schweigt sich in seinem Mitgliederbrief darüber aus. Mehr noch: Im SPD-DGB-Papier wird sogar gefordert, dass Freihandelsabkommen dazu beitragen sollen, “Mitbestimmungsrechte, Arbeits-, Gesundheits- und Verbraucherschutz- sowie Sozial- und Umweltstandards zu verbessern”. Gabriel aber stellt es so dar, als müsse es laut SPD und DGB lediglich möglich bleiben, Normen weiter zu verbessern. Er bleibt damit weit hinter dem zurück, was tatsächlich in dem Papier steht.

    Was Gabriel darüber hinaus auch hätte schreiben können und vielleicht müssen: Im DGB-Kongress-Beschluss zu TTIP wird gefordert, dass Arbeits- und Sozialstandards international auf höchstem Niveau einander angeglichen werden müssen. Diese Positionierung geht sogar noch einen Schritt über die Formulierung im SPD-DGB-Papier hinaus. Spätestens hier wird deutlich: In der Frage der Erhaltung/Setzung von Standards gibt es zwischen Gabriel und Gewerkschaften deutliche Differenzen, deren Darstellung Gabriel nur umschiffen kann, indem er entscheidende Sachverhalte schlicht verschweigt.

    Eine weitere kurze Bemerkung: Wenig beruhigend klingt es auch, wenn Gabriel schreibt, dass die “Entscheidungsfreiheit regionaler Körperschaften über die öffentliche Daseinsvorsorge unberührt” bleiben müsse. Denn erstens ist diese Formulierung schwammig. Zweitens und vor allem aber findet öffentliche Daseinsvorsorge nicht nur auf regionaler Ebene statt, sondern auch auf Bundesebene.
    Gabriels Formulierung schließt damit insbesondere eine unwiderrufliche Liberalisierung des Bahnverkehrs durch Freihandelsabkommen nicht aus.

    • dass beide Vertragspartner sich verpflichten sollen, internationale Übereinkünfte und Normen in den Bereichen Umwelt, Arbeit und Verbraucherschutz zu beachten und umzusetzen – insbesondere die ILO-Kernarbeitsnormen, auf deren Einhaltung im Rahmen von EU-Handelsabkommen auch der Koalitionsvertrag verweist,

    Hier gilt, was eben schon angesprochen wurde: Zwar gibt es Passagen im SPD-DGB-Papier, die diese Formulierungen Gabriels rechtfertigen. Es gibt aber eben auch Passagen, in denen weitergehende Forderungen erhoben werden – und die bleibt Gabriel schuldig.

    • dass die europäischen oder nationalen demokratischen Willensbildungsprozesse und Entscheidungen in Parlamenten und Regierungen durch die Freihandelsabkommen weder direkt noch indirekt eingeschränkt werden dürfen,

    Das SPD-DGB-Positionspapier ist auch hier konkreter und weitergehender, als Gabriel es wiedergibt. Unter Punkt 8 heißt es dort: “Die Fähigkeit von Parlamenten und Regierungen, Gesetze und Regeln zum Schutz und im Sinne der Bürgerinnen und Bürger zu erlassen, darf auch nicht durch die Schaffung eines ‘Regulierungsrates’ im Kontext regulatorischer Kooperation oder durch weitgehende Investitionsschutzvorschriften erschwert werden.”

    • Das SPD-DGB-Papier nennt explizit einen “Regulierungsrat” sowie “Investitionsschutzvorschriften” als Mechanismen, durch die die genannten demokratischen Entscheidungen erschwert werden. Gabriel verschweigt dies – denn wenn er sie nennen würde, müsste er sie ablehnen. Dann hätte er sie als rote Linien ebenso benannt, wie sie im SPD-DGB-Papier als rote Linien benannt sind. Das möchte er offenbar nicht.
    • Das SPD-DGB-Papier spricht davon, dass demokratische Entscheidungen nicht “erschwert” werden dürfen, Gabriel aber will sie lediglich nicht “einschränken”. Etwas zu “erschweren”, bedeutet nicht, etwas ganz oder teilweise unmöglich zu machen. Etwas “einzuschränken” aber bedeutet genau das. Man kann Handlungen “erschweren”, ohne sie im Wortsinne “einzuschränken”. Damit schwächt Gabriel einmal mehr die Aussage des SPD-DGB-Papiers ab. Dies ist keineswegs zu vernachlässigen.
      Ein Beispiel: Ein Regulierungsrat oder Investitionsschutzvorschriften können sehr wohl das Handeln von Parlamenten und Regierungen erschweren, etwa, wenn bestimmte Gesetze oder Vorhaben zunächst auf ihre Notwendigkeit und Angemessenheit geprüft werden müssen. Das bedeutet noch nicht, dass das Handeln auch tatsächlich eingeschränkt würde.
    • dass die Gleichbehandlung von inländischen und ausländischen Investitionen und Investoren durch die ganz normalen verfassungsmäßig verbrieften Rechte und den demokratischen Rechtsstaat gesichert werden und wir im Rahmen der Verträge keine Investor-Staat-Schiedsverfahren einführen wollen. Wir entwickeln rechtsstaatliche Alternativen zu den bislang geplanten Schiedsgerichten. z.B. die Berufung oberer Bundesrichter oder die Einrichtung eines echten zwischenstaatlichen Handelsgerichtshofs zur Entscheidung über Handelsstreitigkeiten.

    Hier widerspricht sich Gabriel wohl selbst. Im ersten Satz schreibt er, er wolle “im Rahmen der Verträge keine Investor-Staat-Schiedsverfahren” einführen. Im zweiten Satz aber möchte er “Alternativen zu den bislang geplanten Schiedsgerichten” entwickeln. Gabriel würde sich nur dann nicht widersprechen, wenn solche “Alternativen” außerhalb der Freihandelsverträge verankert würden. Von entsprechenden Verhandlungen und Plänen aber ist bislang nichts bekannt.
    Im Gegenteil: In CETA, das schon ausverhandelt ist, soll es Schiedsverfahren geben, die direkt in den Verträgen geregelt sind. Zumindest bezogen auf CETA spricht Gabriel damit die Unwahrheit. Und da TTIP sich an CETA orientieren dürfte, wohl auch für TTIP.

    Möglicherweise versucht Gabriel hier lediglich, so zu argumentieren, wie es auch die Europäische Kommission tut: Man kritisiert “alte” Investor-Staat-Schiedsverfahren und gibt als Ziel aus, in jüngeren Freihandelsabkommen “neue” und “bessere” Verfahren zu etablieren. (Sollte Gabriel so argumentieren wollen, so würden sich sein Satz 1 und sein Satz 2 allerdings nach wie vor widersprechen.) Diese “neuen” Verfahren sollen beispielsweise Berufungsmöglichkeiten und Transparenz vorsehen, auf klareren Formulierungen beruhen und bisherige Interessenkonflikte der handelnden Akteure beenden. Sie beheben also ein paar Schwächen der bisherigen Verfahren – ein paar jener Schwächen, deretwegen die Investor-Staat-Schiedsverfahren zu Recht immer wieder in der Kritik stehen.
    Allerdings wird auch mit diesen “besseren” Verfahren eine Gerichtsbarkeit außerhalb des Rechtsstaats etabliert, die undemokratisch und rechtsstaatlich fragwürdig ist.

    In jedem Fall tut Gabriel so, als sei diese Positionierung Bestandteil des SPD-DGB-Papiers. Dies ist sie aber nicht, denn dort heißt es unmissverständlich: “Investitionsschutzvorschriften sind in einem Abkommen zwischen den USA und der EU grundsätzlich nicht erforderlich und sollten nicht mit TTIP eingeführt werden. In jedem Fall sind Investor-Staat-Schiedsverfahren […] abzulehnen.” Einmal mehr gibt Gabriel Inhalte des Papiers unzutreffend, abgeschwächt und im eigenen Sinne wieder.

    Exakt auf dieser Linie versuchen die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung und das SPD-geführte Bundeswirtschaftsministerium auf die Verhandlungen der Europäischen Kommission Einfluss zu nehmen. Außerdem haben wir einen nationalen Beirat zu den Verhandlungen auf europäischer Ebene eingerichtet, bei dem die Verbände und Organisationen von Wirtschaft, Gewerkschaften, Kultur, dem Umwelt- und Sozialbereich und dem Verbraucherschutz vertreten sind und regelmäßig informiert werden.

    Fragt sich, weshalb Gabriel hier einerseits die Europäische Kommission, andererseits die Zivilgesellschaft (über den genannten Beirat) als Zielobjekt sozialdemokratischer Einflussnahme/Information nennt. Offenbar beansprucht er für die Sozialdemokratie, eine dritte Position zu vertreten – einerseits etwas reflektierter als die Kommission, aber andererseits auch weniger freihandelskritisch als viele Akteure der Zivilgesellschaft.
    Immerhin macht er damit deutlich, dass die SPD nicht jene vertritt, die Freihandelsabkommen wie TTIP und CETA ablehnen. Dies gilt umso mehr, als Gabriel die Akteure der Zivilgesellschaft in seinem Beirat lediglich “informieren” möchte, was umgekehrt bedeutet, dass er sich nicht auf deren Argumente einzulassen beabsichtigt. Genau dies haben einige Mitglieder des Beirats jüngst in einem Brandbrief kritisiert.

    Vor diesem Hintergrund habe ich bereits deutlich gemacht: Auch wenn der Teil zum Investorenschutz in CETA gegenüber vorherigen Abkommen erhebliche Fortschritte an Transparenz enthält, halte ich die Zeit noch nicht für reif, CETA nach jetzigem Stand zuzustimmen.

    Gabriel schreibt hier explizit nicht, dass er CETA nicht zustimmen wird. Denn wenn “die Zeit noch nicht […] reif” ist, um “CETA nach jetzigem Stand zuzustimmen”, so bedeutet dies, dass die Zeit irgendwann durchaus reif sein kann oder wird, um “CETA nach jetzigem Stand zuzustimmen”.
    Dies entspricht auch der Position, die Gabriel Ende November 2014 im Bundestag geäußert hat und die von Medien und Verbänden zu Recht als Umfallen gewertet wurde (die Rede ist oben schon zitiert).

    Unser Ziel ist, weitere Verbesserungen zu erreichen.

    Man mag Gabriel glauben, dass er sich bemüht, “Verbesserungen” zu erreichen. Wird die SPD aber gegen das Abkommen stimmen, wenn diese Verbesserungen nicht erreicht werden? Und genügen die Verbesserungen, die Gabriel anstrebt, damit das Abkommen akzeptabel wird? Die voranstehenden Ausführungen legen die Vermutung nahe, dass beide Fragen mit “Nein” zu beantworten sind. Auch, weil Gabriel an keiner Stelle gewillt ist, rote Linien zu formulieren und auch, weil er die im SPD-DGB-Papier benannten roten Linien verschweigt oder abschwächt.

    Was wir nicht für richtig halten, ist der von manchen öffentlichen Kritikern der Freihandelsabkommen geforderte Abbruch der Verhandlungen.

    Gabriel scheint es wichtig zu sein, eine Nähe seiner eigenen Person und seiner Partei zu den Gewerkschaften zu suggerieren. Dies wird an mehreren Stellen des Mitgliederbriefs deutlich. Vermutlich deshalb verschweigt er, dass der von ihm abgelehnte, “von manchen öffentlichen Kritikern der Freihandelsabkommen geforderte Abbruch der Verhandlungen” auch von den Gewerkschaften gefordert wird. Der DGB-Kongress-Beschluss aus 2014 ist da schon im Titel eindeutig: “Freihandelsverhandlungen mit den USA aussetzen”.

    Denn letztlich geht es bei den Freihandelsabkommen um die Regeln der Globalisierung. Nach dem Scheitern weltweiter Handelsstandards in der Welthandelsorganisation (WTO) versuchen jetzt die großen Wirtschaftsräume die politischen, sozialen, kulturellen und ökologischen Standards im Welthandel zu beeinflussen. Die Verlagerung der Zentren der Weltwirtschaft nach Asien und China setzen Europa unter Druck. Während bei uns die Bevölkerung und das Wirtschaftswachstum abnehmen und die sozialen und ökologischen Standards hoch sind, ist es im Asien-Pazifik-Raum eher umgekehrt. Noch sind die USA und Europa die größten Handelsräume, aber man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass wir diese Stellung nicht auf Dauer haben werden. Die Standards des Welthandels – auch die ökologischen und sozialen – werden in Zukunft weit mehr durch die Asien-Pazifik-Region bestimmt werden als durch Europa oder Deutschland. Im Grunde stehen wir vor der Alternative: Schaffen wir Europäer es, die politischen, sozialen, kulturellen und ökologischen Standards im Welthandel mit zu bestimmen, oder werden wir uns in absehbarer Zeit an die Standards anderer anpassen müssen?

    Wir setzen darauf, dass auch in den rasant wachsenden Schwellenländern und den neuen globalen Wirtschaftsmächten das Bedürfnis zunimmt, soziale Ungleichheit und Umweltzerstörung zu bekämpfen. Europa hat mit seinen eigenen Standards dabei etwas anzubieten. Doch der Erfolg hängt davon ab, ob wir unseren politischen Einfluss aktiv zur Geltung bringen.

    In den eben zitierten Passagen erweckt Gabriel den Eindruck, dass Freihandelsabkommen wie CETA und TTIP dazu dienten, soziale und ökologische Standards zu sichern und weltweit zu verbreiten. Dies ist eine oft vorgetragene Behauptung der FreihandelsbefürworterInnen, die aber nicht dadurch richtiger wird, dass man sie immer wieder wiederholt.
    Da in Freihandelsabkommen allenfalls Mindeststandards festgeschrieben werden, und auch die nur unzureichend und unverbindlich, können Freihandelsabkommen keine Standards systematisch sichern oder gar ausbauen. Im Gegenteil, sie gefährden sie aus den bekannten Gründen.
    Standards zu sichern, ist letztlich auch gar nicht die Aufgabe und gar nicht das Ziel solcher Abkommen. Das weiß Gabriel auch, weshalb er seine Ausführungen im Anschluss sogleich wieder relativiert:

    Als Sozialdemokraten wissen wir: Die Globalisierung und der Welthandel werden nicht von heute auf morgen Spielregeln entwickeln, die aus unserer Sicht wirklich sozial gerecht und ökologisch verantwortungsbewusst sind. So wie der soziale Fortschritt in Deutschland jahrzehntelang Schritt für Schritt und über viele Reformen hinweg erkämpft werden musste, wird es auch bei der demokratischen, sozialen und ökologischen Gestaltung der Globalisierung eines langen Atems bedürfen. Aber die Geschichte der SPD zeigt: Mut, Selbstbewusstsein und Optimismus lohnen sich. Und wegducken hat das Leben noch nie besser gemacht. Darum geht es auch jetzt wieder.

    Gabriel tut hier so, als seien soziale Errungenschaften auf nationaler Ebene und auf globaler Ebene unabhängig voneinander, als existierten sie in Parallelwelten – denn während Globalisierung und Welthandel bei sozialen Standards hinterherhinkten, wie er schreibt, habe und behalte Deutschland seine Standards.
    Damit suggeriert Gabriel, dass Freihandelsabkommen und Globalisierung die sozialen Errungenschaften auf nationaler Ebene nicht gefährdeten. Diese Annahme ist falsch: Erstens können Freihandelsabkommen direkten Druck auf soziale Standards ausüben. Zweitens setzen niedrigere Standards in manchen Ländern diejenigen Länder unter Druck, die höhere Standards haben – denn Arbeitsrechte, Sozialleistungen und ähnliches kosten die Unternehmen Geld und sind damit Wettbewerbsnachteile. Es braucht vor diesem Hintergrund soziale Errungenschaften auf globaler Ebene gerade deshalb, weil andernfalls soziale Errungenschaften auf nationaler Ebene unter Druck geraten.
    Damit aber muss die Reihenfolge umgekehrt werden: Nicht zuerst klassische Freihandelsabkommen und Globalisierung einführen in der Hoffnung, globale soziale Standards würden später folgen, sondern Höchststandards für alle beteiligten Länder vom Beginn an. Freihandelsabkommen, die dies nicht gewährleisten, sind abzulehnen.

    Davon abgesehen, sei auch auf die Geschichtsvergessenheit dieser Gabrielschen Formulierungen hingewiesen. Denn nicht nur durch “Reformen”, wie er schreibt, sondern auch und vor allem durch Revolutionen, Proteste und Streiks wurde der “soziale Fortschritt” in Deutschland erreicht. Er wurde erkämpft. Und zwar gegen die herrschenden Eliten. Proteste und Streiks aber scheinen für Gabriel im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr stattzufinden oder nicht mehr notwendig zu sein. Gabriel suggeriert, dass die in Nationalstaaten hart erkämpften sozialen Errungenschaften durch die Sozialdemokratie auf globaler Ebene in Freihandelsverträgen erreicht werden können und sollen. Das ist an Selbstüberschätzung kaum mehr zu überbieten. Das Gegenteil ist wohl eher wahr: Die SPD ist längst Teil der Eliten, und gegen diese SPD müssen soziale Errungenschaften – auch durch Proteste und Streiks – auf globaler Ebene erkämpft sowie auf nationaler Ebene verteidigt werden.

  2. Fazit Gabriel schreibt seinen SPD-Mitgliedern eine E-Mail, die von taktischer Wortwahl und unverbindlichen Inhalten geprägt ist.
    Sein Ziel ist es, Zustimmung zu Freihandelsabkommen – TTIP, CETA – zu gewinnen. Um dies zu erreichen und um sich an einigen Punkten zugleich nicht zu sehr festzulegen, lässt Gabriel manches weg, was er der Ehrlichkeit und Vollständigkeit halber hätte erwähnen müssen. Er arbeitet mit Halbwahrheiten, Allgemeinplätzen und Auslassungen.
    Im Ergebnis

    • spielt Gabriel die Gefahren herunter, die von Freihandelsabkommen ausgehen, und
    • suggeriert er eine Nähe zwischen sich, der SPD und den Gewerkschaften, die in dieser Frage bei Weitem nicht existiert.

Mein Fazit: Wer in der SPD sich noch als Sozialdemokrat versteht, soll bitte auf den Barrikaden gegen TTIP, TISA u.s.w. bleiben und das Gabriel und denen, die ihn bezahlen, unmissverständlich mitteilen!

Vergleiche dazu auch meine bisherigen Beiträge vom Dezember 2014:

https://josopon.wordpress.com/2014/12/04/transparenz-versus-ttip-nebelkerzen-der-eu-kommission-und-der-bundesregierung/

https://josopon.wordpress.com/2014/12/04/nochmal-zur-erinnerung-ttip-gefahrdet-hunderttausende-jobs/

Jochen

Transparenz versus TTIP – Nebelkerzen der EU-Kommission und der Bundesregierung

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Alexander Ulrich (MdB der LINKEn)  warnt vor Nebelkerzen der EU-Kommission und der Bundesregierung zu den Freihandelsabkommen.
Vergleiche dazu meinen gestrigen Rundbrief. Es ist unglaublich, wie Gabriel die Bürger für dumm verkaufen will:
http://www.neues-deutschland.de/artikel/954523.transparenz-versus-ttip.html
Auszüge:

Das enorme öffentliche Interesse an den Verhandlungen um die Wirtschaftsabkommen CETA und TTIP mit Kanada und den USA stellt EU-Kommission und Bundesregierung vor große Schwierigkeiten. Bisher waren sie es gewohnt, derartige Abkommen hinter verschlossenen Türen, ohne Rücksicht auf öffentliche Interessen verhandeln zu können.
Nun sind sie offenbar ein paar Schritte zu weit gegangen. Ob Genfood, Finanzderegulierung, Datenschutz, Umweltstandards, Arbeitnehmerrechte oder Investorenschutz – die Palette problematischer Verhandlungsinhalte ist breit.
Die Öffentlichkeit ist alarmiert und fordert mehr Transparenz und Mitsprache.

Das wollen EU-Kommission und Bundesregierung unbedingt verhindern. Denn je mehr die Öffentlichkeit über die Verhandlungsinhalte weiß, desto größer wird der Widerstand – und desto schwieriger wird es, diese Monsterverträge überhaupt noch durchzusetzen.
Deswegen werfen sie nun eine Nebelkerze nach der anderen, um mehr Transparenz vorzutäuschen, ohne sie tatsächlich herzustellen.

Nebelkerze 1: Beiräte. Den Vorwurf, fast ausschließlich Vertreter von Banken und Konzernen einzubeziehen, haben EU-Kommission und Bundesregierung mit der Schaffung so genannter Beiräte beantwortet. Dort können nun ausgewählte Vertreter der Zivilgesellschaft ihre Meinung sagen. Eine Regelung dafür, wie das in den Verhandlungen berücksichtigt wird, gibt es allerdings nicht.

Nebelkerze 2: Öffentliche Konsultation zu Investorenklagerechten. Die besonders kritische Debatte zu den vorgesehenen Investorenklagerechten (ISDS) hat die EU-Kommission mit einer öffentlichen Konsultation beantwortet, die die Position der EU neu ausloten sollte. Ein »Nein zu ISDS« war in diesem Verfahren jedoch nicht vorgesehen. Lediglich technische Details konnten korrigiert werden – damit können normale Bürger jedoch kaum etwas anfangen.

Nebelkerze 3: Veröffentlichung des Verhandlungsmandates. Nach fast eineinhalb Jahren Verhandlungen hat die EU das Mandat der Kommission veröffentlicht, also die Grundlage, auf der verhandelt wird. Der Mehrwert war null, da dieses Dokument schon vor über einem Jahr geleakt wurde und auf zahlreichen Websites in mehreren Sprachen abrufbar ist.

Nebelkerze 4: Rote Linien. Die SPD hat auf einem Parteikonvent rote Linien definiert. Eine davon sind die Investorenklagerechte. Da die SPD bekanntermaßen in Deutschland mitregiert, sollte man meinen, dass die deutsche Position an diesen roten Linien nicht vorbeikommt.
Mittlerweile hat Wirtschaftsminister Gabriel jedoch klargestellt, dass er die Klagerechte trotzdem akzeptieren wird – aus „Rücksicht auf die Interessen anderer EU-Staaten“.

Diese Rücksicht ist offensichtlich ein Täuschungsmanöver. Zum einen, weil die Bundesregierung in den letzten Jahren nicht gerade durch einen besonders rücksichtsvollen Umgang mit den europäischen Nachbarn auf sich aufmerksam gemacht hat. Zum anderen aber auch, weil mit Frankreich, Österreich und den Niederlanden bereits in drei Nachbarstaaten die Parlamente klare Beschlüsse gegen Investorenklagerechte gefällt haben.

Die jüngst von der EU-Kommission vorgestellte Transparenzinitiative ist die Nebelkerze Nummer 5. So sollen die Lobbykontakte der Handelskommissarin veröffentlicht werden – nicht aber jene der EU-Beamten, die konkret verhandeln.
Zudem sollen EU-Positionspapiere veröffentlicht werden – nicht aber konkrete Verhandlungstexte.
Letztlich werden genau jene Informationen weiterhin vorenthalten, die wichtig wären, um tatsächlich eine zivilgesellschaftliche Beteiligung und demokratische Kontrolle herzustellen.

Geändert hat sich also nichts: EU-Kommission und Bundesregierung versuchen weiter, die Verhandlungsprozesse möglichst intransparent zu halten. Zugleich täuschen sie das Gegenteil vor. So wollen sie CETA und TTIP trotz erheblicher öffentlicher Kritik durchsetzen. Wir sollten uns nicht hinters Licht führen lassen. Widerstand bleibt richtig und wichtig!

Die verbotene und nun selbstorganisierte Bürgerinitiative hat die Eine-Million-Marke fast geknackt. Bereits in vier Ländern wurde das Mindestquorum erreicht (sieben sind erforderlich). Das ist ein riesiger Erfolg! Um wirklich Druck aufzubauen, braucht es aber viel mehr.
»Stopp TTIP« kann die größte Bürgerinitiative aller Zeiten werden. Wenn das klappt, wird es wieder ein ganzes Stück schwerer, diesen Vertrag noch durchzusetzen.

Wir können diese Auseinandersetzung gewinnen!

Jochen

Gabriels teurer Umfaller bei CETA und TTIP, vorbereitet durch Hintertürchen

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Das war der Stand von vor 2 Wochen, wie Alexander Ulrich, MdB Die Linke, damals festgestellt hat:
http://linksfraktion.de/im-wortlaut/bundesregierung-wird-investorenschutz-nicht-scheitern/
Auszüge:

An der Bundesregierung wird der Investorenschutz nicht scheitern

Ihre erste Dienstreise führte die neue EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström nach Berlin. Dort wird sie während ihrer Amtszeit häufiger zu tun haben.
Schließlich wird ihre Hauptaufgabe darin bestehen, die umstrittenen Handelsabkommen TTIP und CETA samt der darin enthaltenen, besonders umstrittenen, Investorenklagerechte (Investor-to-State-Dispute-Settlement, ISDS) durchzusetzen.
Deutschland gilt im Europäischen Rat als einer der schärfsten Gegner solcher Klagerechte.

In der Tat haben VertreterInnen der Koalitionsfraktionen zuletzt regelmäßig ihre Ablehnung gegenüber ISDS zum Ausdruck gebracht. Damit reagieren sie auf die immer lautere öffentliche Kritik.
Fälle wie die Vattenfall-Klage auf 3,7 Milliarden Euro Schadensersatz wegen dem Atomausstieg, haben deutlich gemacht, was es bedeutet, wenn man Konzerne befähigt, gegen Gesetze zu klagen, die ihre Gewinnaussichten schmälern.
In Deutschland sind solche Klagerechte daher zurecht ziemlich unpopulär.

Die Bundesregierung musste auf die öffentliche Debatte reagieren und irgendwann beginnen, ISDS offiziell abzulehnen. Das heißt allerdings nicht, dass sie politisch tatsächlich dagegen ist.
Zu Beginn der Verhandlungen hatten Merkel & Co. keinerlei Einwände gegen ISDS. Heute haben sie sich zahlreiche Hintertüren offen gehalten:

Hintertür 1: Die SPD hat (gemeinsam mit dem DGB) ein Papier beschlossen, in dem ISDS in TTIP eine rote Linie ist. Auf das wesentlich akutere CETA-Abkommen nimmt das Papier jedoch keinen Bezug. Der CETA-Vertragstext ist ausgehandelt und enthält ISDS – im Einklang mit der SPD-Position. Kommt der Vertrag so zustande, können kanadische Unternehmen und US-Unternehmen mit Niederlassung in Kanada bald gegen europäische Regeln klagen. Es wird dann zwei Jahre später kaum erklärbar sein, warum die gleichen Regeln in TTIP nicht aufgenommen werden sollen.

Hintertür 2: Wirtschaftsminister Gabriel machte bereits deutlich, dass er zwar gegen ISDS sei, aber bereit wäre es zu akzeptieren, wenn das „europäische Gesamtinteresse“ an den Abkommen überwiege. Da die meisten EU-Regierungen die Abkommen einschließlich Klagerechten wollen, ist hierdurch ein Nachgeben Deutschland bereits vorprogrammiert.

Hintertür 3: Die harte ISDS-Kritik in der Öffentlichkeit schrumpft in den Verhandlungen auf eine Detailkritik zusammen. Dort fordert die Bundesregierung kein Aus für ISDS, sondern lediglich eine Reihe von Ausnahmen, beispielsweise bei staatlichen Umschuldungsprogrammen oder in steuerpolitischen Fragen.

Hintertür 4: Laut Gabriel ist das Ergebnis der öffentlichen Konsultation der EU-Kommission zu ISDS für die deutsche Position sehr bedeutend. Der Konsultationsprozess war allerdings so angelegt, dass eine Ablehnung von ISDS als Ergebnis gar nicht möglich ist. Lediglich technische Korrekturen können darüber erreicht werden. Gabriels Bezugnahme darauf läuft also automatisch auf eine Aufweichung der deutschen Ablehnung hinaus.

Malmström dürfte bei Ihrer Abreise aus Berlin recht zufrieden gewesen sein. Der Wirtschaftsminister hatte ihr gegenüber angekündigt, dass Deutschland in den Verhandlungen „flexibler“ werden wolle. Er müsse auch viel Rücksicht auf die Standpunkte der europäischen Nachbarn nehmen – die größtenteils aus engagierten ISDS-Verfechtern bestehen. Als habe Deutschland in den letzten Jahren irgendwann ein Problem damit gehabt, seine europapolitische Agenda ohne Rücksicht auf Verluste gegen die „europäischen Nachbarn“ durchzudrücken.

Den ISDS-Text in CETA will man, so hieß es gegenüber der Presse, gemeinsam „verändern“ und „verbessern“. „Verhindern“ steht offenbar schon jetzt nicht mehr auf der Agenda.

ISDS wird also an der Bundesregierung nicht scheitern – weder bei TTIP noch bei CETA. Das gilt, solange der Preis der Zustimmung für Gabriel und seine SPD nicht zu hoch wird.
Je größer der öffentliche Druck gegen ISDS, desto höher der Preis für eine SPD, die trotzdem zustimmt.
Bleiben wir also aktiv – im Parlament, in den Medien, auf den Straßen und Plätzen. Entschieden ist noch nichts!

Was hat Malmström dem Gabriel wohl eingetrichtert ?
Winkt da ein schönes Pöstchen in einem der zahlreichen neu einzurichtenden Gremien nach dem Scheitern als Vizekanzler bei der nächsten Bundestagswahl, wo die SPD bundesweit deutlich unter 20% bleiben könnte ?
Hier die neueste Entwicklung :
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/ceta-abkommen-gabriel-kanzelt-freihandels-kritiker-ab-a-1005367.html

Ceta-Abkommen: Gabriel kanzelt Freihandelskritiker ab

Sigmar Gabriel geht in Sachen Freihandel in die Offensive: Trotz der umstrittenen Schiedsgerichte solle Deutschland dem Ceta-Abkommen mit Kanada zustimmen, sagte der Wirtschaftsminister.

Damit verschärft er den Konflikt auch mit SPD-internen Kritikern.

Berlin – Trotz heftig umstrittener Schutzklauseln für Konzerne will Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) grünes Licht für das Handelsabkommen Ceta zwischen der EU und Kanada geben.
„Wenn der Rest Europas dieses Abkommen will, (…) dann wird Deutschland dem auch zustimmen. Das geht gar nicht anders“, sagte Gabriel im Bundestag.

Mit dieser klaren Festlegung verschärft Gabriel den Konflikt mit Freihandelskritikern, auch in seiner eigenen Partei. Die Sozialdemokraten hatten im September auf ihrem Parteitag beschlossen, dass der Investorenschutz mit Schiedsgerichten, vor denen Konzerne Schadensersatz von Staaten einklagen könnten, in dem Ceta-Abkommen nichts zu suchen habe.
SPD-Vize Ralf Stegner hatte bereits betont, Gabriel könne sich nicht einfach über „rote Linien“ des Parteikonvents hinwegsetzen.

Gabriel glaubt zwar, dass er bei Ceta in Gesprächen mit der EU-Kommission in Brüssel noch punktuelle Verbesserungen durchsetzen kann – von substanziellen Veränderungen geht der Wirtschaftsminister aber nicht mehr aus.
Ganz werde man Investorenschutz und Schiedsgerichte nicht mehr herausbekommen. Er gehe davon aus, dass „das mehr als schwierig ist und vermutlich nicht klappen wird“, so der Wirtschaftsminister.

Die Kritiker ging Gabriel scharf an. Man könne nicht den gesamten Prozess anhalten, nur weil manche hierzulande ein Unwohlsein verspüren würden. Für Deutschland sei es eine erhebliche Gefahr, sich vom Markt zu entkoppeln. Für eine „nationale Bauchnabelschau“ habe Europa kein Verständnis.

Gabriel warnt vor Verlust Hunderttausender Arbeitsplätze

Ohne die Abkommen Ceta mit Kanada und TTIP mit den USA würde Europa von boomenden asiatischen Ländern abgehängt. „Sind wir als Europäer draußen vor, dann ist das für eine Exportnation wie Deutschland eine mittlere Katastrophe“, meinte Gabriel, der in dieser Frage auch das lädierte Wirtschaftsprofil seiner SPD aufpolieren will. Dann seien Hunderttausende Arbeitsplätze in der Industrie gefährdet. Dies treffe nicht den öffentlichen Dienst oder Parlamentarier, sondern Facharbeiter und Angestellte – „die werden das am Ende bezahlen müssen“.
Gabriel warnte eindringlich vor den Folgen für zukünftige Generationen. „Wenn wir das hier falsch machen, werden unsere Kinder uns verfluchen.“

Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) erhöhte den Druck auf die Kritiker. Das geplante Handelsabkommen TTIP mit den USA sei der Versuch Europas, mit einem der wichtigsten Partner die Regeln und Standards der Globalisierung zu prägen.
„Wenn wir sie nicht prägen, (…) dann werden sie andere prägen“, sagte Steinmeier beim Wirtschaftsgipfel der „Süddeutschen Zeitung“.

Grüne und Linke warfen Gabriel vor, seine Versprechen zu brechen. Noch im September habe der Vizekanzler im Parlament den Eindruck erweckt, er werde das Ceta-Abkommen in Brüssel ablehnen, wenn die Schutzklauseln für Unternehmen drinbleiben.
Die Vorsitzende der Jusos, Johanna Uekermann, sagte SPIEGEL ONLINE: „Ob und wie Ceta am Ende zustande kommt, ist eine demokratische Entscheidung. Investor-Staat-Schiedsverfahren lehne ich ab, und auch die SPD hat das so beschlossen. Ich bin gespannt, wie Sigmar Gabriel diese Position mit seinen Äußerungen von heute in Einklang bringen wird.“

Ceta gilt als Blaupause für das geplante große Handelsabkommen TTIP zwischen Europa und den USA. Durch gemeinsame Standards und den Wegfall von Zöllen sollen im dann größten Wirtschaftsraum der Welt viele neue Jobs sowie mehr Wachstum entstehen.
Zuletzt sind die Zweifel gewachsen, ob TTIP vor Ende der Amtszeit von US-Präsident Barack Obama 2016 fertig wird.
Nach Einschätzung aus EU-Kreisen hat Obama mittlerweile dem Handelsabkommen TPP mit zwölf asiatischen Staaten, das 2015 unterschrieben werden soll, oberste Priorität eingeräumt.

vme/anr/dpa/Reuters

Jochen

Mindestlohn: Nahles umgepustet

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Kommentar zum Herumeiern der Sozialdemokratie in der Regierung – was Gabriel bei TTIP, macht Nahles beim Mindestlohn:
https://www.jungewelt.de/ansichten/nahles-umgepustet

»Wir halten Wort«, hatte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) bei Verabschiedung des Mindestlohngesetzes im Bundestag erklärt und behauptet: »Branchenausnahmen vom Mindestlohn wird es nicht geben.«
Das stimmte schon damals nicht. Jetzt soll es noch schlimmer werden.

Neben der zu geringen Höhe sind die weitreichenden Ausnahmen ein entscheidender Geburtsfehler der zum Jahreswechsel in Kraft tretenden Lohnuntergrenze.
Azubis und Jugendliche unter 18 Jahren sind komplett ausgenommen, Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten einer neuen Beschäftigung.
Und im Zeitungsvertrieb besteht – ebenso wie in der Saisonarbeit – eine branchenbezogene Diskriminierung: Zusteller haben 2015 nur Anspruch auf 75 Prozent des ohnehin mickrigen Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde. Erst 2018 sollen sie mit anderen Niedriglöhnern gleichgestellt werden.

Zu verdanken haben dies die rund 300.000 Zeitungsboten der mächtigen Verlegerlobby. »Lex Springer« hatte der Linke-Fraktionsvize Klaus Ernst die Regelung deshalb getauft. Doch im Prozess der Gesetzgebung ist den Lobbyisten offenbar etwas durchgerutscht: Im Gesetzestext sind nur diejenigen Zeitungsboten vom vollen Mindestlohn ausgenommen, die »ausschließlich periodische Zeitungen und Zeitschriften« austragen. Das sind allerdings die wenigsten. Zumeist stecken sie neben Tageszeitungen auch noch Werbematerial und Briefe in die Postkästen.
Ver.di hat deshalb darauf hingewiesen, dass fast allen Zustellern das Minimum von 8,50 Euro pro Stunde zusteht – und ihren Mitgliedern zur Durchsetzung dieses Anspruchs gewerkschaftlichen Rechtsschutz angeboten.

Darauf haben die Verlagskonzerne offenbar reagiert. Wie der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, soll die Regelung nach dem Willen der Regierungsfraktionen nun doch für alle Zusteller gelten.
Wenn jetzt tatsächlich ein bereits verabschiedetes Gesetz auf Druck der Verlage noch einmal aufgeschnürt wird, macht das einiges deutlich: zum einen, dass es mit der neuen Beschäftigten- und Gewerkschaftsnähe der Sozialdemokraten nicht allzu weit her ist. Ein bisschen Gegenwind von Kapitalseite pustet Nahles und Co. schnell um.

Zum anderen zeigt sich, wer in dieser Republik das Sagen hat. Die politischen Eliten sind abhängig von der veröffentlichten Meinung einer Medienbranche, die von wenigen, oligopolistisch agierenden Großkonzernen dominiert ist. Im Konflikt mit Springer, Holtzbrinck und Co. macht das politische Establishment schnell einen Rückzieher.

Der Vorgang dokumentiert nicht nur die Halbherzigkeit »schwarz-roter« Reformpolitik. Er zeigt auch, dass sich der Wind gedreht hat.
Die Wohlfühlphase der großen Koalition neigt sich ihrem Ende zu.
Statt sozialer Reförmchen ist ein Abbau von Gewerkschaftsrechten angesagt – siehe Gesetz zur »Tarifeinheit«.
Die Beschäftigten und ihre Organisationen müssen sich wieder auf härtere Zeiten einstellen.

Meine Frage: Hatten die „harten Zeiten“ seit der Agenda 2010 etwa irgendwann mal mit milden Zeiten gewechselt ?

Jochen

Bodo Hombach, der Strippenzieher der SPD – kann er Gabriel rauf- und runterziehen ?

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN und ein Beitrag zur Strategiedebatte in der SPD

A.:Interessante Beobachtung von Ulrich Horn hier, der die Aufmerksamkein auf einen wirtschaftsfreundlichen Kungelverein der SPD lenkt:

http://post-von-horn.de/2014/08/16/die-stuhlbeine-unter-merkels-amtsschemel/?utm_source=Neolox+Mailings&utm_medium=email&utm_campaign=Gabriel&utm_content=Mailing_7959458
bodo_hombachAuszüge:

Das „Handelsblatt“ sieht bereits jetzt den Wahlkampf eröffnet. Es widmete SPD-Chef Gabriel, den es seit Längerem wohlwollend begleitet, jüngst eine Titelgeschichte mit der Botschaft: Gabriel versuche, sich und die SPD wirtschaftsfreundlich auszurichten.
Gabriel wolle die Wirtschaft gewinnen, um mit ihr im Rücken Kanzlerin Merkel 2017 aus dem Amt zu drängen.

Zum Segelboot geschrumpft

Die Handelsblatt-Geschichte bildet einen Kontrast zur aktuellen Lage der Partei. Die SPD kommt in den Umfragen nicht vom Fleck.
Bei der Bundestagswahl vor knapp einem Jahr erzielte sie miserable 25,7 Prozent. Nach der jüngsten Umfrage hat sie es gerade eben geschafft, sich von 22 auf 24 Prozent zu verbessern. Sieger sehen anders aus.
Der Tanker SPD scheint zum Segelboot geschrumpft. Gabriels Hinwendung zur Wirtschaft und die Inszenierung, mit der das Handelsblatt diese Wende begleitet, wirken wie die verzweifelte Suche nach dem Wind, der die schlaffen Segel straffen könnte.
Gelingt es Gabriel nicht, mit der SPD Fahrt aufzunehmen, wird er in der Partei rasch selbst zum Thema.
Denn auch in der SPD gilt: Nur wer der Partei Wahlsiege verheißt, kann sich an der Spitze sicher fühlen. Der linke SPD-Flügel wird Gabriels Hinwendung zur Wirtschaft auf Dauer nur schlucken, wenn Wahlerfolge winken.

Vertrautes Motiv der Agitation

Das Handelsblatt stellt den SPD-Chef als Urenkel Ludwig Erhards dar, der als Schöpfer des Wirtschaftswunders gilt und Wohlstand für alle verhieß.
Dass SPD-Politiker den CDU-Mann Erhard für sich in Anspruch nehmen, ist in der politischen Kommunikation und Agitation inzwischen ein vertrautes Motiv.Schon Gerhard Schröder nutzte es.

Bei seiner Ausrichtung auf die Wirtschaft unterstützte ihn der SPD-Wahlkampfexperte Hombach. Er half Schröder, den Bundestagswahlkampf 1998 zu gewinnen, und er bereitete das Schröder-Blair-Papier vor, das die SPD in der „neuen Mitte“ positionierte. Im Dienstzimmer des damaligen Kanzleramtsministers stand eine Erhardbüste.
Hombach scheint auch heute wieder im Spiel. Schon zu Schröders Zeiten hielt es ihn nicht im Hintergrund.
Er fand Spaß daran, als Strippenzieher sichtbar zu sein. Daran hat sich bis heute offenbar nichts geändert.
Gabriel, so bekannte Hombach vor einiger Zeit, suche täglich seinen Rat.

Knotenpunkte großer Netzwerke

Hombach meldet sich regelmäßig als Kolumnist im Handelsblatt zu Wort. In dessen Gabrielgeschichte findet sich eine Ahnengalerie mit vier SPD-Spitzenpolitikern, denen nach Ansicht des Blattes die Belange der Wirtschaft besonders nahe am Herzen liegen: Helmut Schmidt, Gerhard Schröder, Peer Steinbrück – und Bodo Hombach.
Inzwischen leitet Hombach die Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik (BAPP), in deren Kuratorium viele prominente Politiker, Verbands- und Wirtschaftsleute sitzen, die ihrerseits Knotenpunkte großer Netzwerke sind. Einer von ihnen ist „Handelsblatt“-Geschäftsführer Gabor Steingart.

Konkurrenten abgeräumt

Für Angela Merkel wird es 2017 schwerer als 2013, ihre Macht zu behaupten. Im Wahlkampf des vergangenen Jahres zerlegten sich die SPD und ihr Kanzlerkandidat Steinbrück ohne jedes Zutun von selbst.
2017 wird hinter Gabriel wohl auch Hombach mitmischen. Er half schon 1998/99, Schröders Konkurrenten Kohl und Lafontaine aus dem Weg zu räumen.
Johannes Rau meinte einmal, was Hombach wirklich gut beherrsche, sei, Stuhlbeine zu sägen. Die nächsten könnten zu Merkels Amtsschemel gehören. – Ulrich Horn
Mein Kommentar: Bei aller Strippenzieherei wird der wirtschaftsfreundliche Kurs der SPD ihr eher die Arbeitnehmer entfremden.
Oder ? In den folgenden Erläuterungen taucht Gen. Hombach gar nicht auf.

B. Das strukturelle Dilemma der SPD und seine politischen Hintergründe

Von Patrick Schreiner, 5. August 2014

http://www.annotazioni.de/post/1416

Auszüge:

Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil war der Erste, sein Wirtschaftsminister Olaf Lies hatte nachgezogen, dann folgten Bundestags-Fraktionschef Thomas Oppermann und Parteichef Sigmar Gabriel (übrigens auch beide aus Niedersachsen): Die SPD führt wieder eine Strategiediskussion. Schuld an den zurückliegenden Wahlniederlagen, so suggerieren führende Figuren der Partei, sei die vergleichsweise soziale (linke, umverteilungsorientierte…) Wahlprogrammatik der jüngeren Vergangenheit. Man brauche wieder mehr Wirtschaftsfreundlichkeit und Wirtschaftskompetenz.

Eine Analyse, die allenfalls auf den ersten Blick überzeugend erscheinen kann – ist sie doch allzu simpel.

Die aktuelle Strategiedebatte

Steuererhöhungen, Umverteilung, sozialer Ausgleich – einhellig waren Weil, Gabriel und Oppermann dazu in jüngster Zeit auf Distanz gegangen. Die SPD brauche wieder eine wirtschaftsnähere Ausrichtung. Sozialpolitik alleine sei nicht ausreichend, um der SPD ein erfolgreiches politisches Profil zu geben. So sagte Weil der Frankfurter Rundschau:

Politisch war das erste halbe Jahr für uns sehr erfolgreich. Die gleichwohl enttäuschenden Umfragewerte spiegeln nach meiner Meinung ein grundsätzliches Problem der SPD wider: Uns wird hohe Kompetenz beim Thema soziale Gerechtigkeit zugesprochen. Aber bei den Themen Wirtschaftspolitik und Sicherung der Arbeitsplätze rangiert die Union sehr weit vor der SPD. Wenn wir wieder mehrheitsfähig werden wollen, müssen wir das ändern.

Und später im gleichen Interview:

Die SPD muss deutlicher als bisher machen, dass es uns nicht nur darum geht, für eine gerechte Verteilung dessen zu sorgen, was erwirtschaftet worden ist, sondern dass wir uns auch zuständig fühlen für die Erwirtschaftung. Das ist in den letzten Jahren zugunsten eines starken Profils bei der sozialen Gerechtigkeit in den Hintergrund getreten.

Auch Parteichef und Bundeswirtschaftsminister Gabriel äußerte sich entsprechend:

Die SPD wird immer eine soziale Partei bleiben. Aber sie muss auch liberal sein: Dazu gehört der Schutz der Bürgerrechte aber eben auch die Freiheit für unternehmerisches Handeln. Sozial und liberal sind keine Gegensätze.

Wenn Gabriel im letzten Satz sagt, sozial und liberal seien keine Gegensätze, so ist dies mit Blick auf potentielle WählerInnen politisch-strategisch gemeint: Eine Partei müsse immer zugleich sozial sein und wirtschaftliche Freiheit ermöglichen. Wirtschaftspolitisch aber unterstellen Weil und Gabriel durchaus einen gewissen Vorrang von Wirtschaftspolitik und (vermeintlichen) wirtschaftlichen Notwendigkeiten gegenüber Sozialpolitik und sozialer Gerechtigkeit – und damit zumindest implizit eine gewisse Gegensätzlichkeit. Dies wird etwa deutlich, wenn Gabriel wirtschaftlichen Erfolg als Voraussetzung für die Erledigung „sozialer und ökologischer Aufgaben“ bezeichnet:

Die SPD darf sich nicht damit zufrieden geben, für die soziale Seite der Gesellschaft zuständig zu sein. Wir müssen uns genauso um die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes kümmern. Unternehmern und Unternehmen helfen, in unserem Land erfolgreich zu sein. Nur dann werden wir auch dauerhaft die sozialen und ökologischen Aufgaben in Deutschland packen.

Die wenigen Äußerungen von SPD-Linken gingen in den Medien gegenüber den Debattenbeiträgen insbesondere von Weil und Gabriel eher unter.

Wer meint, mit Äußerungen wie den eben zitierten sei eine 180-Grad-Wende der SPD verbunden, täuscht sich. Schließlich stand die vergleichsweise soziale (linke, umverteilungsorientierte…) Wahlprogrammatik der jüngeren Vergangenheit nie für sich selbst, sie war nie Selbstzweck. Es ging der Partei nie nur und nie in erster Linie um soziale Gerechtigkeit. Diese Programmatik war vielmehr immer schon eingebettet in einen umfassenderen Kontext: Sie sollte lediglich die schlimmsten Auswüchse der Agenda-2010-Politik beheben und letztere damit absichern. Mit Vorstellungen echter Umverteilung von oben nach unten oder gar einer Wirtschaftspolitik, die die volkswirtschaftliche Nachfrage in den Mittelpunkt rückt, hatte die vergleichsweise soziale Wahlprogrammatik der jüngeren Vergangenheit nie zu tun.

Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Rede des damaligen Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier auf dem Deutschen Arbeitgebertag 2013:

[…] Deshalb sage ich jetzt ohne Larmoyanz, und die Entscheidungen liegen ja zehn Jahre hinter uns, wenn Sie sich in gerechter Weise zurückerinnern, dann hat es aber die entscheidenden Steuersenkungen, und zwar in einem Volumen von mehr als 60 Milliarden Euro, unter einer sozialdemokratischen Regierung gegeben: Mit der Senkung des Spitzensteuersatzes, mit der Senkung des Eingangssteuersatzes, mit der Senkung der Unternehmenssteuern. Sie haben bis dahin Ihre Kapitalzinsen nach dem Einkommensteuergesetz bezahlt, und seit der Zeit nur noch für die Hälfte ungefähr versteuert nach dem Abgeltungssteuergesetz. Das war damals immerhin sozialdemokratische Steuerpolitik und ich finde bis heute ist das nicht so ganz schlecht. Ich habe mir das selbst noch einmal in Erinnerung gerufen, weil […] ich den Eindruck hatte, Sie fühlen sich alle bei dem Unionsteil einer möglichen Großen Koalition besser aufgehoben als beim sozialdemokratischen Teil einer Großen Koalition. Deswegen erinnere ich natürlich nicht nur an die Steuerpolitik, für die wir Verantwortung getragen haben, sondern ich sage mal dabei, dass auch die Reform der Arbeitsverwaltung, die Flexibilisierung der Arbeitszeiten, die Aufhebung der Spaltung am Arbeitsmarkt, die Halbierung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung – auch das waren Entscheidungen, die wir damals getroffen und durchgesetzt haben, mit denen wir miteinander – nicht Sie alleine – unter ökonomischen Gesichtspunkten ganz gut leben […]. Und deshalb sage ich Ihnen auch […]: Nachdem wir das alles durchgerungen haben, uns haben beschimpfen lassen, auch Wahlen verloren haben dafür, müssen Sie sich jetzt nicht vorstellen, dass wir das, was ökonomischen Erfolg in dieser Republik begründet hat, nachträglich auf irrsinnige Weise in Frage stellen, sondern wir wissen, was das für Mühe gekostet hat, dieses Land aus mancher Unbeweglichkeit zu befreien. Und deshalb kann ich mir auch nicht vorstellen, dass die Rückabwicklung sinnvoll und gut wäre. Ich will Ihnen nur sagen, wenn man an der einen oder anderen Stelle trotzdem […] versucht etwas zu korrigieren, was im Blick auf die letzten zehn Jahre trotz Reform aus dem Ruder gelaufen ist, etwa bei der Leiharbeit oder bei der Entwicklung der Aufstockerei für den Niedrigstlöhner, wenn man das versucht zu korrigieren, dann sollte das auch in Ihrem Interesse, im Interesse von Arbeitgebern, liegen […]

Ausgangspunkt und Motivation der aktuellen Strategiedebatte sind die seit vielen Jahren schlechten Wahlergebnisse der SPD. Das Dilemma der Partei besteht (mindestens) seit Gerhard Schröders Agenda-Politik darin, weder links noch rechts nennenswert neue WählerInnen gewinnen zu können, während die Stammwählerschaft zunehmend wegbricht. Unter ArbeitnehmerInnen erreicht sie heute bei Weitem nicht mehr die Zustimmung früherer Jahre. Dadurch bleibt sie bundesweit bei Wahlergebnissen zwischen 20 und 30 Prozent hängen, in den Bundesländern bisweilen noch darunter. Die aktuellen Umfragen liegen eher in der unteren Hälfte dieses Bereiches. Bei der Europawahl im Frühjahr 2014 bekam die SPD 27,3 Prozent, 2009 waren es sogar nur 20,8 Prozent. Bei der Bundestagswahl 2009 erreichte die SPD 23 Prozent, 2013 kam sie auf kaum bessere 25,7 Prozent, während CDU/CSU fast die absolute Mehrheit holten. Stephan Weil:

Woran liegt es, dass wir aus dem 20-Prozent-Turm nicht herauskommen?

Die aktuelle Strategiedebatte der SPD läutet einen Prozess ein, durch den die Partei ab September ihre Programmatik überarbeiten möchte. Bis 2016 soll in insgesamt sechs Themenkreisen und durch intensive Gespräche mit Verbänden und Unternehmen das neue Programm für die nächste Bundestagswahl erarbeitet werden.

Dualisierung von Arbeitsmarkt und Wählerschaft

Die Gründe für die verfahrene Situation der SPD sind um einiges komplexer, als Weil, Gabriel und Co. glauben machen wollen. Nicht eine unzureichende Beachtung bestimmter Themen, nicht eine zu starke Orientierung an sozialem Ausgleich, nicht zu geringe wirtschaftsfreundliche Politikanteile, sondern soziale und strukturelle Verschiebungen in der sozialdemokratischen Wählerschaft sind das zentrale Problem der Partei. Im Kern beruht das Dilemma der SPD auf der so genannten Dualisierung des Arbeitsmarkts.

Die Bertelsmann-Stiftung schrieb in einem Arbeitsmarkt-Report „Traditionelle Beschäftigungsverhältnisse im Wandel“:

Mit einer vergleichsweise hohen Teilzeitquote und einem moderaten Anteil befristeter Beschäftigung zeigt Deutschland eine klare Dualisierung des Arbeitsmarktes. Seit 2001 ist der Rückgang traditioneller Beschäftigungsverhältnisse vergleichsweise hoch. Die Industrie ist nach wie vor vom männlich dominierten, sogenannten Normalarbeitsverhältnis geprägt. Dagegen zeigt der Dienstleistungssektor ein anderes Bild: Deutschland hat hier im Vergleich zu anderen europäischen Ländern relativ wenige Arbeitnehmer, die über eine unbefristete Vollzeitstelle verfügen.

Während also ein (überwiegend männlicher) Teil der abhängig Beschäftigten nach wie vor relativ sichere, gut bezahlte Vollzeit-Arbeitsplätze hat, wächst andererseits die Zahl der Beschäftigten, die nur noch über prekäre, schlecht bezahlte Arbeit verfügen. Und dies überproportional gerade auch im Vergleich mit anderen europäischen Ländern. Zudem hat Deutschland heute schon einen der größten Niedriglohnsektoren Europas.

Diese Dualisierung des Arbeitsmarkts stellt keinen Automatismus dar, im Gegenteil: Die Sozialwissenschaftlerin Irene Dingeldey verweist darauf, dass

die Politik der Agenda 2010 die Dualisierung des Arbeitsmarktes explizit förderte. Demnach bleiben die im tradierten Sozialversicherungssystem gewährten privilegierten und statusorientierten sozialen Rechte für die Kernarbeiterschaft (insider) weitgehend unangetastet, während die in der postindustriellen Ökonomie vielfach eingeforderte Absenkung der Transferleistungen wie auch die Erhöhung der Flexibilität auf Kosten der beständig wachsenden Gruppe von Arbeitskräften an der Peripherie des Arbeitsmarktes (outsider) verwirklicht wird.

Der Arbeitsmarkt bzw. die ArbeitnehmerInnen sind also gespalten in „Insider“ und „Outsider“ (ob diese Begriffe geschickt und aussagekräftig sind, sei dahingestellt, der dahinterstehende Zusammenhang aber dürfte kaum von der Hand zu weisen sein). Und ausgerechnet die SPD hat diese Entwicklung in der jüngeren Vergangenheit teilweise durch Passivität toleriert und teilweise aktiv mit vorangetrieben.

  1. Insider arbeiten überwiegend in Vollzeit mit relativ guter (aber schlechter werdender) Bezahlung, relativer (aber abnehmender) Arbeitsplatzsicherheit und geringeren (wenn auch wachsenden) Flexibilitätserfordernissen. Sie genießen eine gute, wenn auch abnehmende soziale Absicherung. Es handelt sich überwiegend um industrielle Arbeitsplätze der so genannten „Kernbelegschaften“. – Die Zahl der Insider hat in der Vergangenheit abgenommen und dürfte weiter abnehmen.
  2. Outsider arbeiten häufig in Teilzeit oder in Minijobs mit schlechter Bezahlung, geringer Arbeitsplatzsicherheit und hohen Flexibilitätserfordernissen. Immer wieder durchlaufen sie kürzere oder längere Phasen der Arbeitslosigkeit; ihre Erwerbsbiografien sind entsprechend unstet. Sie sind nur schlecht sozial abgesichert. Überwiegend haben sie Dienstleistungs-Arbeitsplätze, oft allerdings erbringen sie industrienahe Dienstleistungen, etwa als Leiharbeit oder Werkvertragsarbeit in Industriebetrieben. – Die Zahl der Outsider hat in der Vergangenheit zugenommen und dürfte weiter zunehmen.

Die Dualisierung des Arbeitsmarkts führt zu einem veränderten (wenn man möchte: gleichfalls dualisierten) Wahlverhalten der ArbeitnehmerInnen. Dies muss natürlich gerade jene Parteien besonders treffen, die traditionell abhängig Beschäftigte ansprechen. In Deutschland ist dies in erster Linie die SPD.

Die Partei hat bei den Bundestagswahlen 2002-2005 bei Outsidern zwar einen höheren Stimmenanteil erzielt als bei Insidern, allerdings mit stark abnehmender Tendenz. 2002 wählten noch 38 Prozent der Outsider die SPD, 2005 nur noch 35,7 Prozent, ein Rückgang um 2,3 Prozentpunkte. Bei den Insidern war der Anteil lediglich um 0,3 Prozentpunkte von 33,1 Prozent auf 32,8 Prozent zurückgegangen. 2009 schließlich war der Anteil der SPD-WählerInnen bei Insidern erstmals höher als bei Outsidern: 27,8 Prozent gegenüber 27,7 Prozent. Eingebrochen war er damit bei beiden WählerInnen-Gruppen, gegenüber 2002 mit 8 Prozentpunkten aber vor allem bei den Outsidern (Dallinger/Fückel in WSI-Mitteilungen 3/2014).

Das zeigt: Wenig überraschend haben die Verschlechterung der sozialen Lage vieler ArbeitnehmerInnen und die zunehmende Spaltung am Arbeitsmarkt vor allem die SPD negativ getroffen. Bei Insidern und Outsidern ist ein deutlich abnehmender Zuspruch zur SPD erkennbar, am stärksten bei Outsidern. Hinzu kommt, dass die Gesamtzahl der (im Vergleich zu den Outsidern) noch relativ SPD-freundlichen Insider tendenziell weiter abnehmen dürfte.

Bei der Bundestagswahl 2013 wählten gerade noch 27 Prozent der ArbeiterInnen und 26 Prozent der Angestellten die SPD, hingegen 12 bzw. 8 Prozent die Linkspartei und 36 bzw. 40 Prozent die CDU/CSU. Bei Arbeitslosen war die SPD nur knapp stärkste Kraft (26 Prozent) vor der CDU/CSU (24 Prozent) und der Linkspartei (23 Prozent).

Um diese Entwicklungen zu kompensieren, bleiben der Partei nur zwei theoretische Möglichkeiten: Sie müsste insbesondere Outsider als WählerInnen (zurück-) gewinnen. Oder sie müsste sich eine neue WählerInnen-Klientel jenseits der Gruppe der ArbeitnehmerInnen erschließen. Genau auf diesen letzten Punkt zielen Weil, Gabriel und Co. mit ihren Forderungen nach mehr Wirtschaftsfreundlichkeit. Beides ist aber kaum möglich, schon gar nicht gleichzeitig:

  1. Sozial-strukturell ist die Zahl jener Menschen, die sich von gesellschaftlichen und politischen Prozessen abgehängt sehen und deshalb im Regelfall gar nicht mehr zur Wahl gehen, gerade im WählerInnen-Potential der SPD (allerdings auch dem der Linkspartei) groß. Und sie dürfte perspektivisch mit wachsender Einkommens- und Vermögensungleichheit weiter zunehmen. Die Dualisierung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse führt dazu, dass bedeutende Teile der Bevölkerung – vor allem Outsider – sich von Parteien und Politik schlicht nichts mehr erhoffen. Diese Menschen sind allenfalls noch bereit, Protest zu wählen, wovon 2009 auf Bundesebene die Linkspartei, bei der Europawahl 2014 schließlich die AfD profitieren konnte.
  2. Strategisch steht links der SPD die Linkspartei, die eine dauerhafte inhaltliche Alternative für jene bildet, die der SPD aus jahrelanger Erfahrung nicht mehr trauen. Dies sind Outsider in erster Linie, aber durchaus auch Insider. Die Linkspartei greift erfolgreich jene resignierenden WählerInnen ab, die – als Arbeitslose, als prekär Beschäftigte, als ArbeiterInnen oder auch als linke AkademikerInnen und als GewerkschafterInnen – überhaupt noch zur Wahl gehen.
  3. Strategisch und sozial-strukturell ist auch rechts der SPD schwieriges Gelände. Der CDU und Angela Merkel gelingt es, einen großen Teil jener WählerInnen an sich zu binden, die die SPD gerne neu für sich gewinnen möchte. Zu denken wäre hier etwa an höhere Angestellte, IngenieurInnen, gutverdienende Kreative, Angehörige freier Berufe sowie Selbständige. Das Misstrauen dieser Klientel gegenüber der Sozialdemokratie ist traditionell groß; auch, weil man weiß, dass die SPD ihre StammwählerInnen nur bedingt weiter drangsalieren kann, will sie diese nicht verlieren. Da liegt es durchaus nahe, die in Sachen Wirtschaftsfreundlichkeit und Neoliberalismus vorrangigen Alternativen zu wählen – allen voran die CDU, möglicherweise auch die AfD oder künftig auch wieder die FDP.

Das Dilemma der SPD beruht auf dieser Verschränkung von einerseits sozial-strukturellen Verschiebungen in Gesellschaft und Arbeitsmarkt und andererseits strategischen Optionen der WählerInnen am rechten und linken Rand des für die SPD erreichbaren Spektrums. Jeder Versuch, durch eine entsprechende programmatische Ausrichtung auf einer Seite WählerInnen zu gewinnen, führt zum Verlust von Stimmen auf der anderen Seite. So hat die Agenda 2010 zu einer massenhaften Abkehr eher linker bzw. gewerkschaftlich organisierter WählerInnen geführt, viele von ihnen Outsider. Umgekehrt hat die stärker auf Umverteilung und sozialen Ausgleich setzende Programmatik bei der Bundestagswahl 2013 und der Europawahl 2014 zu Misstrauen und Stimmverlusten bei eher rechten, nicht-traditionellen WählerInnen geführt (angeheizt auch durch eine entsprechende mediale Kampagne vor der Bundestagswahl, die neben der SPD vor allem auch die Grünen getroffen hat).

Ideologische Aspekte des Dilemmas der SPD

Diese jüngsten Misserfolge sind für Weil, Gabriel und Co. Argument und Anlass genug, eine erneute programmatische Wende zu fordern. Eine stärkere Ausrichtung an den Interessen „der Wirtschaft“, mehr Wirtschaftsfreundlichkeit, mehr Neoliberalismus soll es nun (wieder einmal) richten. Auf diese Weise setzt die Partei ihr Changieren zwischen Links und Rechts fort – mit der stets und notwendig sich ergebenden Konsequenz, dass zwar an einem Rand einige WählerInnen gewonnen werden, aber am jeweils anderen Rand eine ähnliche Anzahl WählerInnen wieder verloren geht.

Man kann dieses Dilemma auch wie folgt zusammenfassen: Die SPD ist gefangen in der widersprüchlichen Sozialstruktur ihrer erhofften, potentiellen und tatsächlichen Wählerschaft. Dieser Zustand ist durchaus in weiten Teilen selbstgeschaffen, Stichwort Agenda 2010.

Die Partei ist aber, und dieser Aspekt ist zum Verständnis dieses Dilemmas mindestens genauso wichtig, auch ideologisch gefangen. Sie ist politisch nicht in der Lage, eigenständige (echt sozialdemokratische) wirtschaftspolitische Konzepte vorzulegen. Die SPD akzeptiert vielmehr wesentliche ideologische Grundüberzeugungen des derzeitigen neoliberalen Mainstreams, als da wären

  1. die Überzeugung, dass die zunehmende Globalisierung es erforderlich mache, die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes zu erhalten, was Lohnzurückhaltung, niedrige Steuern und niedrige Sozialabgaben erfordere (weshalb Weil und Gabriel etwa auch eine Vermögensteuer auf betriebliche Vermögen ablehnen),
  2. die daraus folgende Überzeugung, dass dies eine gewisse soziale Ungleichheit im Land notwendig mache,
  3. die Überzeugung, dass Arbeitsmärkte und ArbeitnehmerInnen hinreichend flexibel sein müssen,
  4. die aus all dem folgende Überzeugung, dass die Agenda 2010 und rot-grüne sowie schwarz-rote Steuersenkungen nach wie vor richtig waren und sind, verwiesen sei auf das obige Zitat Frank-Walter Steinmeiers,
  5. die Überzeugung, dass Staatsverschuldung etwas Schlechtes ist, das zurückgeführt werden müsse,
  6. die Überzeugung, dass Staatshaushalte ausgeglichen sein oder Überschüsse aufweisen müssen, und schließlich
  7. die daraus folgende Überzeugung, dass die Schuldenbremse und der europäische Fiskalpakt gute und richtige Instrumente sind.

Wenn Weil, Gabriel und Co. von Wirtschaftskompetenz sprechen, meinen sie eine Politik, die diesen Grundüberzeugungen folgt und sie auch argumentativ stärker in den Vordergrund rückt. Es ist ja auch ausdrücklich ihr wahlstrategisches Ziel, der CDU und der FDP Konkurrenz zu machen. Wer deren WählerInnen erreichen möchte, muss sich ihnen gegenüber ideologisch aufgeschlossen zeigen. Eine stärkere Orientierung an den Interessen von Selbständigen und Unternehmen bzw. Arbeitgebern ist die logische Konsequenz. Die Interessen von ArbeitnehmerInnen (wohl in erster Linie der Outsider, aber durchaus auch der Insider) müssen hingegen dahinter zurückstehen.

Nur wenn man die eben aufgeführten Grundüberzeugungen teilt, kommt man zur Schlussfolgerung, dass mehr Wirtschaftskompetenz es erforderlich mache, Sozialpolitik und Umverteilung zurückzustellen. Nur dann sind die Interessen von Unternehmen/Arbeitgebern mit dem Ziel zusätzlichen Wachstums und Wohlstands vereinbar. Und nur aus dieser Perspektive setzen Sozialpolitik und Umverteilung wirtschaftlichen Erfolg voraus, der wiederum wirtschaftliche Freiheit brauche. Genau das sind die Argumente, die Weil, Gabriel und Co. in der aktuellen Strategiedebatte vorbringen.

Die SPD unterwirft sich hier dem neoliberalen ideologischen Mainstream. Genau damit aber begibt sie sich politisch überhaupt erst in das Dilemma, das sie zum Changieren zwischen ihrem rechten und linken Rand zwingt. Und das völlig unnötig: Was nämlich, wenn der neoliberale ideologische Mainstream wirtschafts- und sozialpolitischer Unsinn ist? Was,

  1. wenn Umverteilung von oben nach unten nicht wirtschaftsschädlich, sondern wirtschaftlich vernünftig und wachstumsfördernd ist, weil Menschen mit kleinen oder mittleren Einkommen mehr konsumieren und mit diesem Konsum zu Investitionen und Wachstum anregen,
  2. wenn deshalb gerade die Erhöhung der Löhne die Nachfrage, die Konjunktur und das Wachstum antreibt,
  3. wenn höhere Sozialleistungen ein effektives Instrument zur Anhebung von Niedriglöhnen sind, weil sie die Erpressbarkeit von ArbeitnehmerInnen reduzieren,
  4. wenn höhere Steuern auf hohe Einkommen, Gewinne und Vermögen sinnvoll und notwendig sind, weil damit Gelder umverteilt sowie in öffentlichen Konsum und Investitionen gelenkt werden können,
  5. wenn die ausgeprägte Flexibilisierung des Arbeitsmarkts hingegen zu Unsicherheit und damit zu gehemmter Wirtschaftstätigkeit führt,
  6. wenn Staatsverschuldung nicht schädlich, sondern in einer kapitalistischen Volkswirtschaft eine hinzunehmende Normalität darstellt?

Dann ist das Dilemma der SPD kein Dilemma mehr. Dann kommt es darauf an, die ökonomische Vernunft zu verdeutlichen, die hinter Umverteilung, Sozialstaat und höheren Steuern steht. Dann ist Sozialpolitik nicht arbeitsmarktpolitisches Instrument, um ArbeitnehmerInnen auf den Arbeitsmarkt zu treiben und „Fachkräfte“ zu sichern, sondern sie ist ein wirtschaftspolitisches Instrument, um volkswirtschaftliche Nachfrage zu schaffen und zu lenken.

Eine ähnliche Funktion kommt dann auch der öffentlichen Ausgabenpolitik sowie der Lohnpolitik zu: Beide schaffen und lenken Nachfrage. Verteilungspolitik ist dann die erste und wichtigste Wirtschaftspolitik.

Oder in den Worten, mit denen sich Heiner Flassbeck an die SPD richtet:

Ohne eine vernünftige Verteilung gibt es auch kein vernünftiges Erwirtschaften. Die Menschen müssen voll beteiligt werden, damit der Produktivitätsfortschritt nicht zu unausgelasteten Kapazitäten und Arbeitslosigkeit führt. Wer das nicht wenigstens in dieser nicht enden wollenden Schwächephase der globalen Wirtschaft gelernt hat und stattdessen hundert Jahre alte sinnlose Debatten führt, dem kann man wirklich nicht helfen.

Um zu solchen Schlussfolgerungen zu kommen, muss man die richtigen Fragen stellen. Dazu ist diese Partei aber offenbar nicht bereit, auch über zehn Jahre nach der Agenda 2010 und im siebten Jahr der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht.

Sie unternimmt nichts, um die neoliberale Hegemonie zu brechen. Sie unternimmt nichts, um für andere, ursozialdemokratische wirtschaftspolitische Konzepte zu kämpfen. Ideologische Schlachten werden in diesem Land nicht mehr geführt, von der Linkspartei, Teilen der Grünen und vielleicht (auf der anderen Seite des politischen Spektrums) der AfD abgesehen.

Ganz im Gegenteil bestärkt die SPD die neoliberale Hegemonie, wenn sie so tut, als seien Wirtschaftstätigkeit und Wachstum die Voraussetzung für Umverteilung, Gerechtigkeit und sozialen Ausgleich; als könne die Sozialpolitik nur verteilen, was die Wirtschaftspolitik produzieren lässt.

Solange die SPD nicht bereit ist, diese neoliberale Hegemonie herauszufordern, braucht sie sich über ihren Misserfolg bei Wahlen nicht zu wundern. Dann wird das oben beschriebene Dilemma bestehen bleiben.

Dann wird sie weiter zwischen links und rechts, zwischen eher sozial und eher neoliberal hin- und herspringen, ohne dass dies zu nennenswerten Wahlerfolgen führt.

ist Gewerkschafter und Publizist aus Hannover. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören Finanz- und Wirtschaftspolitik, Verteilung und Politische Theorie.