„Millionen stehen hinter mir“ – Die Bande des Monsieur Macron und ein Kommentar von Albrecht Müller

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Da fällt mir die politische Fotomontage von Heartfield ein.

Auch damals wurde ein Politiker von westdeutschen Banken und Stahlindustrie unterstützt. Zuvor hatte er diesen im kleinen Kreis eine gigantische Aufrüstung und die Zerstörung der Arbeiterbewegung versprochen. Er bekam eine massive Wahlkampfunterstützung, so dass er mit seiner Partei in die Regierungskoalition aufgenommen wurde. Die Folgen sind bekannt.
Hier wird deutlich, wer hinter dem kleinen Aufsteiger Macron steht:
https://monde-diplomatique.de/artikel/!5388627
Ein sehr gut recherchierter Artikel mit vielen Namen, wie man ihn sich in den deutschen Leimmedien wünscht. Man wundert sich nicht mehr, dass auch in Deutschland eine massive Einmischung in den französischen Wahlkampf stattfand. Auch hierzulande gewinnen Banken und Rüstungsindustrien von der massiven Aufrüstung und der Zerstörung der Arbeiterbewegung in Europa. Weiter bringt einen immer die Frage, wem dies oder das nützt.
Auszüge :

Die Bande des Monsieur Macron

von François Denord und Paul Lagneau-Ymonet

Der Terminkalender von Wirtschaftsminister Emmanuel Macron für den 17. März 2015 war gut gefüllt. Um 7.45 Uhr war er bei der Zeitschrift Politique internationale zu Gast: eine Diskussion mit Arbeitgebern, Diplomaten und Politikern.
Eine Stunde später traf er in seinem Ministerium ein. Dort eröffnet er eine Konferenz über , staatliche Maßnahmen zur Exportförderung ein Meinungsaustausch zwischen Bürokraten und Privatwirtschaft. Dann diskutiert er mit den sozialistischen Senatoren über das Gesetz für Wachstum, Beschäftigung und wirtschaftliche Chancengleichheit.

Um 13.15 Uhr war der Minister zu einem Mittagessen beim industrienahen Thinktank Cercle Turgot eingeladen. Dessen Präsident François Pérol, zugleich Konzernchef von Banques populaires – Caisses d’épargne, begrüßte Macron mit den Worten: „Willkommen, Emmanuel. Kommst du aus dem Senat? Hat dein Gesetzentwurf zu viele Artikel? Mozart hat man früher auch vorgeworfen, seine Musik habe zu viele Noten.“

Das Gesülze hat etwas von Selbstbeweihräucherung, denn Macron und Pérol haben ähnliche Karrieren hinter sich. Beide sind Arztsöhne und ENA-Absolventen, gingen zur Finanzaufsichtsbehörde, dann zur Rothschild-Bank und landeten im Stab des Staatspräsidenten.

Der Minister konnte die anwesenden Banker, Manager und Wirtschaftsprofessoren mühelos für sich einnehmen, am Ende machten sie ihn zum Ehrenmitglied des Cercle Turgot. Anschließend absolvierte Macron eine Fragestunde in der Nationalversammlung. Danach nahm er sich Zeit für ein langes Gespräch mit Pierre Gattaz, dem Präsidenten des Französischen Arbeitgeberverbands. Anschließend hatte er seinen irischen Amtskollegen Richard Bruton zu Gast, um über Arbeitsmarktreformen zu sprechen.

Dieser 17. März 2015 veranschaulicht trefflich, wie der heutige Präsidentschaftskandidat Macron seine Karriere betreibt: eine geplante Serie von Kurzauftritten, um bei den Machteliten Eindruck zu schinden, ohne freilich tiefere Eindrücke zu hinterlassen.

Macron realisierte den üblichen Traum, eine Elitehochschule zu besuchen, mit dem Studium an der Science Po. 1999 führte ihn der Historiker François Dosse bei dem Philosophen Paul Ri­cœur ein, der einen Assistenten suchte. Als Mitarbeiter Ricœurs fand Ma­cron Zugang zur Zeitschrift Esprit, die der „deuxième gauche“ (zweite Linke) nahesteht und damals die Sozialversicherungsreform von Ministerpräsident Alain Juppé unterstützte.

Im Esprit präsentierte Macron sein theoretisches Konzept für die Ausübung von Macht: „Der Diskurs und die politische Aktion können sich nicht mehr einem Programm unterwerfen, das man bei der Wahl präsentiert und dann fünf Jahre lang durchzieht.“1 In der Politik brauche man eher einen Horizont als einen Maßnahmenkatalog. Bei der deuxième gauche fand er die Ideologie, aus der er sein politisches Handeln begründen konnte.

Während des Studiums an der ENA freundete er sich mit Henri Hermand an. Der 2016 verstorbene Hermand, der viel Geld mit Gewerbeimmobilien gemacht hatte, gehörte zu den Ziehvätern einer christlichen Linken, die sich explizit über drei „antis“ definierte, nämlich als antikommunistisch, antikolonialistisch und antijakobinisch.
2007 stellte der Direktor der Finanzaufsicht, Jean-Pierre Jouyet, den vielversprechenden jungen Mann Jacques Attali vor. Der frühere Berater von François Mitterrand war damals Vorsitzender der von Präsident Sarkozy eingesetzten Wachstumskommission, zu deren Vizegeneralreferenten Macron berufen wurde.
Das Abschlussdokument der Kommission von 2008 enthält den Appell, das übliche Lagerdenken zu überwinden, den der Präsidentschaftskandidat Macron heute an jeder Ecke verkündet.

Der „unparteiische“ Attali-Bericht formulierte 300 Vorschläge für grundlegende Reformen im Sinne eines Gesellschaftsprojekts, das auf Konkurrenz und Deregulierung beruht.2
Die genialen Verfasser dieser Studie begnügten sich nicht damit, den Franzosen sechs Monate vor dem Ausbruch der Finanzkrise die Investition ihrer Ersparnisse in Aktien zu empfehlen. Der geforderte Wettbewerb auf allen Ebenen beinhaltete auch die Konkurrenz zwischen einzelnen Gruppen der arbeitenden Bevölkerung, also Beamte gegen Beschäftigte im privaten Sektor, oder selbstständige Taxifahrer gegen Uber-Fahrer.

Dieses Weltbild war ganz nach dem Geschmack des schneidigen Finanzinspektors Macron, der inzwischen der Redaktion von Esprit angehörte, aber auch in sozialliberalen und proeuropäischen Kreisen verkehrte.
Dazu gehörten auch zwei Thinktanks. Der eine namens „En temps réel“ arbeitet an der „Schaffung starker intellektueller Grundlagen für eine Reformagenda“.
Der zweite, „Les Gracques“, kritisiert explizit die „moderne Linke“, weil sie „überall, wo der Markt wirkt, eine Umverteilung will, und überall, wo es Renditen gibt, den regulierten Markt“.

Macrons gesellschaftliche Rendite wurde durch die Stürme der „Moderne“ nicht beeinträchtigt. 2008 stieg er bei der Rothschild-Bank ein, dank der Empfehlung von vier einflussreichen Freunden: Xavier Fontanet, damals Präsident von Essilor; Serge Weinberg, ehemals Berater von Laurent Fabius, Präsident von Sanofi und Weinberg Capital Partners; dem Industrieanwalt Jean-Michel Darrois; und Alain Minc – der als Einziger der vier nicht der Attali-Kommission angehört hatte. Seinen rasanten Aufstieg bei Rothschild verdankte Macron einem Geschäftsabschluss für Nestlé. Dessen Chef Peter Brabeck-Letmathe war ebenfalls Mitglied der Attali-Kommission.

Attali hält sich zugute, Macron 2008 mit François Hollande zusammengebracht zu haben, als dieser gerade den Vorsitz der Sozialistischen Partei (PS) abgegeben hatte. Macron begann für Hollande zu arbeiten und als dieser 2012 im Élysée-Palast einzog, berief er Macron – wiederum auf Empfehlung Attalis – zum Stellvertretenden Generalsekretär für Wirtschaftsfragen im Büro des Staatspräsidenten.

2014 verkündete Jouyet, der inzwischen zu Hollandes Büroleiter aufgerückt war, seinem Protegé die Ernennung zum Wirtschaftsminister.3
Der Name des Wunderkindes war schon bald mit einem Gesetz über die Liberalisierung des Fernbusverkehrs verbunden, aber auch mit Nachtarbeit und längeren Ladenöffnungszeiten. Zudem weichte Macron die Vorschriften für Kollektiventlassungen auf und trieb die Privatisierung der regionalen Flughäfen voran.

Schon in dieser Phase vollzog sich Macrons kometenhafter Aufstieg nach einem präzisen Muster: Er bekommt mittels eines einflussreichen Mentors Zugang zu einer Machtinstitution, bleibt dort lange genug, um ein enges Netz von Kontakten zu knüpfen, strebt sodann einen höheren Posten an, und so weiter.
Auf all seinen Positionen, im Wirtschaftsministerium wie bei der Finanzinspektion, bei Rothschild wie im Präsidentenbüro, blieb Marcon nie länger als drei Jahre.
Als der 39-Jährige im April 2016 seine Bewegung „En marche!“ gründete, konnte er alle Kontakte aktivieren, die er in jeder Etappe seiner Laufbahn aufgebaut hatte.

Als Macron nach dem Abschluss der ENA bei Sciences Po „allgemeine Kultur“ lehrte, freundete er sich mit Lau­rent Bigorgne an, der seit 2010 das Institut Montaigne, einen überaus liberalen Thinktank, leitet. Bigorgnes Privatadresse war am Anfang die offizielle Anschrift von En marche!.
Aber Macron hat auch keine Vorbehalte gegen Thinktanks aus anderen politischen Lagern. Zum Beispiel ist er mit Thierry Pech befreundet, dem Generaldirektor der PS-nahen Stiftung Terra Nova.

Die Hochfinanz im Rücken

Viele frühere Mitglieder der Attali-Kommission setzen auf En marche!. So zum Beispiel der Autor und Ökonom Erik Orsenna, der am ersten großen Treffen der Bewegung Anfang Juli 2016 im Maison de la Mutualité in Paris teilnahm.
Noch mehr zeigten sich bei der ersten Wahlkundgebung am 10. Dezember 2016 an der Porte de Versailles: Josse­line de Clausade, Berichterstatterin der Kommission, die vom Staatsrat in den Vorstand des Casino-Konzerns gewechselt war; Jean Kaspar, Exgeneralsekretär des Gewerkschaftsbunds CFDT, heute Berater für Sozialstrategien; der schon erwähnte Darrois und Stéphane Boujnah, Chef von Euronext, dem Betreiber der Börsen von Amsterdam, Brüssel, Lissabon und Paris.

Boujnah soll Macron auch den Mann empfohlen haben, der heute das Geld für seine Wahlkampagne einwirbt: Christian Dargnat war Asset Manager bei BNP und Crédit agricole und von 2010 bis 2013 bei der Arbeitgebervereinigung Medef Leiter des Komitees „Währungen und internationales Währungssystem“.

Macrons Verbindungsmann zu den Gewerkschaften – neben Jean Kaspar – ist Pierre Ferracci. Er hat die CGT-nahe Beratungsfirma Secafi zur Unternehmensgruppe Alpha ausgebaut, die Gewerkschaften, Personalvertretungen und Unternehmungsführungen berät.
Auch Ferracis Sohn Marc und dessen Frau Sophie arbeiten für Macron. Ferraci junior arbeitet an der Science Po am Lehrstuhl „Sicherung der beruflichen Laufbahn“, der von Alpha, der Zeitarbeitsfirma Randstad, der staatlichen Arbeitslosenagentur und dem Arbeitsministerium finanziert wird. Die Wirtschaftsanwältin Sophie Ferraci war Macrons Bürochefin im Ministerium und arbeitet jetzt in seinem Wahlteam.

Bei En marche! machen noch weitere frühere Mitarbeiter seines Ministerbüros mit. Macrons Exkabinettschef Alexis Kohler arbeitet heute zwar für MSC, die zweitgrößte Reederei der Welt, fungiert aber nach wie vor als Berater. Und sein ehemaliger Mitarbeiter Julien Denormandie ist inzwischen Macrons Wahlkampfleiter.

Sprecher von En marche! ist Benjamin Griveaux, der ausnahmsweise nicht aus Macrons Ministerbüro stammt. Aber auch er ist ein typischer „Macron Boy“: Spitzendiplome der École des hautes études commerciales (HEC) und von Sciences Po, auf dem rechten Flügel der PS (Strauss-Kahn und Moscovici) zu Hause, zuvor beschäftigt in einem Ministerialbüro (der Sozialministerin Marisol Touraine).

Fazit: Emmanuel Macron, der als der neue Mann ohne Vergangenheit und ohne Beziehungen posiert, verkörpert mit seiner Person und mit seiner Umgebung das kompakte Aufgebot der Staatsaristokratie (Abteilung Finanzministerium) und der Hochfinanz, kurz: das „System“ schlechthin.

Dreißig Jahre nachdem Hol­lande, Jouyet und andere sozialistische Granden verkündet hatten, dass „die Linke sich bewegt“, inszenieren diese alte Garde und Macrons Jungtürken die ewige Geschichte des Modernismus mit neuer Besetzung. Mit einem Mann, der über den Parteien steht und die Entschlossenheit, die technische Kompetenz und die modernsten Methoden besitzt, um das Land zu führen.
Dabei kommt es nicht darauf an, ein Programm zu haben. Entscheidend ist, die Wähler vom rechten Rand der Linken bis zum linken Rand der Rechten4 zu gewinnen.

Aber noch mehr kommt es für Macron darauf an, die Unterstützung einflussreicher Persönlichkeiten zu gewinnen, etwa von Jean Pisani-Ferry, dem früheren Leiter des Kommissa­riats für Strategie und Perspektive, das dem Büro des Premierministers angegliedert ist. Der ehemalige Berater von Strauss-Kahn und Jouyet musste allerdings nach dem Brexit feststellen: „Wir sind die Experten, die 52 Prozent der Briten verabscheuen.“5

Emmanuel Macron wird viel Charisma brauchen, um die Illusion aufrechtzuerhalten, dass er nicht zu diesen Verfemten gehört.

1 Emmanuel Macron, „Les labyrinthes du politique. Que peut-on attendre pour 2012 et après?“, Esprit, Paris, März/April 2011.

2 Commission pour la libération de la croissance française, unter Vorsitz von Jacques Attali, „300 décisions pour changer la France“, Paris (XO Éditions – La Documentation française) 2008.

3 Das Telefongespräch ist dokumentiert: „Bei der Finanzdirektion dachte ich noch, ich wäre dein Chef, jetzt wirst du mein Chef.“ Yves Jeuland, „À l’Élysée, un temps de président“, Dokumentation, gesendet auf France 3 am 28. September 2015.

4 Zum Beispiel die Europaabgeordnete Sylvie Goulard, Autorin von „L’Europe pour les nuls“ (Europa für die Nieten).

5 Le Figaro, 4. Juli 2016.

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz

Die Soziologen François Denord und Paul Lagneau-­Ymo­net sind Autoren von „Le Concert des puissants“, Paris (Raisons d’agir) 2016.

Und hier der Kommentar von Albrecht Müller http://www.nachdenkseiten.de/?p=38012:

Wer regiert die Welt? Wer steckt hinter Macron? Wer hat ihn in kurzer Zeit aufgebaut?

Wer betrieb die Ausdehnung der Nato bis an die Grenze Russlands? Wer hat die neoliberale Ideologie durchgedrückt? Wer hat erfunden und festgezurrt, für die Durchsetzung der neoliberalen Ideologie den schönen Begriff „Reformen“ zu missbrauchen? Wer hat diese Sprachregelung geplant? Wer hat dafür gesorgt, dass in Europa keine fortschrittlichen Parteien mehr regieren? Wer hat die ehedem fortschrittlichen Parteien von innen heraus so verändert, dass man sie nicht mehr wiedererkennt? Wer betreibt den Regime Change in allen Ländern, deren Regierung dem Westen nicht passt? Wer hat Allende weggeputscht? Wer hat die Kennedys umgebracht? Wer hat den ehemaligen Bundespräsidenten Gauck als Kandidaten entdeckt und nach oben geschoben? Wer regiert in den USA? Trump? Die Geheimdienste? Die Rüstungswirtschaft? Die Finanzwirtschaft? Ein Bündel – oder mehrere Bündel – von allem. „Einflussreiche Kreise“ – so nannte ich das einmal. Albrecht Müller.

Daran hat sich mein früherer Mitherausgeber Dr. Wolfgang Lieb so sehr gestoßen, dass er deshalb den Bettel hinwarf. Ich würde diese heiklen Fragen nicht stellen und auch nicht die Antwort „einflussreiche Kreise“ geben, und damit das Risiko laufen, Verschwörungstheoretiker genannt zu werden, wenn mich in den letzten Tagen nicht eine interessante einschlägige Mail eines NachDenkSeiten-Lesers erreicht hätte.
Ich zitiere aus dieser an Norbert Häring und an mich adressierten Mail, weil sie zugleich den Streit und den Disput markiert, der hierzulande ausbricht, wenn man die in der Überschrift formulierte Frage stellt: Wer regiert die Welt? Wer hat Macron in so kurzer Zeit aufgebaut? …
Hinter diesen Fragen steht die Skepsis, ob hierzulande das Volk überhaupt noch etwas zu sagen hat. Dahinter steht die skeptische Frage, ob wir überhaupt noch annähernd demokratische Verhältnisse haben.

Hier nun also die genannte Mail:

Ich habe jüngst aus aktuellem Anlass einen alten Artikel wieder herausgezogen: Den „Ausstiegsartikel“ von Dr. Wolfgang Lieb vom 23. Oktober 2015 und habe mich gefragt, ob Dr. Lieb das, was er damals so geschrieben hat, wohl heute noch so sieht.

Ich habe dann in seinen Blog-der-Republik geschaut und mir gedacht, dass ich mir die Frage sparen kann. Er sieht das noch so. …

Mir geht es anders:

Ich konnte dem Artikel von Dr. Lieb damals noch ziemlich zustimmen. Heute sicher nicht mehr. Vor allem, was diesen Schlüsselabsatz anbelangt:

„Wenn es „in der Geschichte keine Zufälle“ [PDF] gäbe und „einflussreiche Kreise“ im Hintergrund ohnehin die Politik und die Medien hierzulande und in der Welt steuerten und es also vor allem um „abgekartete Spiele“ ginge, dann wären politisches Engagement und das demokratische Ringen um Alternativen sinnlos.“

Ich bin inzwischen vollkommen überzeugt, dass Lieb mit dieser ‚Aussage völlig falsch liegt. Ich gehe davon aus, dass diese einflussreichen Kreise inzwischen ihren Hampelmann Trump genauso hampeln lassen, wie es ihr eigener Kandidat Hillary Clinton gemacht hätte und dass sie demnächst in Frankreich ihren eigenen Mitarbeiter Macron als Präsidenten installieren werden. Nicht ganz unberechtigt ist allerdings die Frage, ob in dieser Situation jegliches politisches Engagement noch Sinn macht.

Diese Frage muss man sich in der Tat stellen. Ich würde trotz aller gewaltigen Rückschläge und trotz der hier angesprochenen Struktur, wonach Entscheidungen nicht in einem auch nur annähernd demokratischen Prozess getroffen werden, sondern von einem überschaubaren Kreis von Einflussreichen und Superreichen, immer noch hoffen, dass wir durch Aufklärung über diese undemokratischen Verhältnisse helfen können, das Schlimmste zu verhindern und Besseres zu schaffen. Gerade wenn man das will, muss man die Wirklichkeit ehrlich beschreiben

Wer sind die einflussreichen Kreise?

Genau sagen, kann man das nicht. Wenn man vom Ergebnis ausgeht, von den gravierenden politischen Entscheidungen, dann hat man Indizien:

  • Es werden Kriege geführt, es wird aufgerüstet, obwohl man 1990 das Gegenteil beschlossen hat. – Die Schlussfolgerung: Die Rüstungswirtschaft hat zentralen Einfluss auf das Geschehen.
  • Wir wurden als Steuerzahler dazu verdonnert, Banken zu retten, weil sie angeblich systemrelevant gewesen seien. Wir haben auf diese Weise den Spekulanten ihre Wettschulden abgenommen. – Die Finanzwirtschaft ist in den einflussreichen Kreisen sicher gut vertreten.
  • Wir schlagen uns mit einer wirtschaftspolitischen Ideologie herum, die das Heil der Welt in der Kürzung von Sozialleistungen und in sogenannten Reformen zu Lasten der abhängig Beschäftigten sucht. Wir haben weltweit Steuerpolitik zugunsten der Oberschicht betrieben. – Zu den einflussreichen Kreisen gehören mit Sicherheit die Superreichen in der Welt und insbesondere im Westen und in den USA. Soros ist ein Musterbeispiel.
  • Wir haben immer wieder festgestellt, dass die Geheimdienste selbst einem neugewählten US-Präsidenten widersprechen und wir haben immer wieder feststellen müssen, dass ihre Praktiken des Abhörens ohne nachhaltigen Widerstand und ohne nachhaltige Kontrolle geblieben sind. – Sie, „die Dienste“, gehören zum inneren Zirkel der einflussreichen Kreise.
  • Wir stellen die enge Zusammenarbeit mit den Medien fest und hören von unseren Medien nur noch Gleichlautendes. Musterhaft demonstriert nach dem Wahlabend in Frankreich. Macron ist ihr Mann.
  • Wir stellen fest, dass imperiale Absichten, also der Griff auf andere Länder und vor allem auf die Ressourcen anderer Länder hoffähig geworden ist. Die Macher des Imperiums der USA sind Teil und Kern des inneren Zirkels der einflussreichen Kreise.

Das waren ein paar Hypothesen und Anstöße zum Nachdenken. Am Text wird weitergearbeitet – auch unter Beachtung der Gedanken und Beobachtungen

Jochen

Gaby Weber: Die Bundesregierung unterstützt und beschützt Folterer und Mörder bis in alle Ewigkeit

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Entlarvendes Interview auf den NachDenkSeiten:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=34472

Gaby_WeberSPD-Mitglied Gerhard Löwenthal, konservativer ZDF-Magazin-Chef, hatte im Kinderbordell „Colonia Dignidad“ sich „wie im Paradies“ gefühlt.Dem gegenüber erscheinen die Verfehlungen heutiger SPD-Bundestagsmitglieder als Bagatellen. 

Und die Notvernichtungshandlung: Offensichtlich werden bei den Geheimdiensten gezielt Akten geschreddert, sobald Anfragen von Journalisten eingehen, wie in der NSU-Affäre.

Die Geheimdienste schützen die Bürger und „wir, „der Westen“, stehen für Demokratie und Menschenrechte in aller Welt? Mitnichten. Ja, ganz im Gegenteil! Die Aktivitäten der Geheimdienste bedrohen zunehmend die Demokratie und höhlen sie mehr und mehr aus. Westliche Kriege und Neokolonialismus haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten Millionen Tote produziert. Und das deutsche Agieren im Ausland ist oftmals am ehesten als Angriff auf die Menschenrechte zu verstehen.
Ein gutes Beispiel hierfür liefert das Gebaren der Regierung und ihrer Geheimdienste in Bezug auf die Machenschaften derColognia Dignidadin Chile. Denn, wie die Journalistin und Trägerin des Alternativen Medienpreises Gaby Weber im Interview mit Jens Wernicke betont: mit Merkels Segen werden die beteiligten deutschen Folterer und Mörder bis heute geschützt.

Auszüge:

Frau Weber, dieser Tage geisterte durch die Medien, dass der Bundesnachrichtendienst und damit die deutsche Bundesregierung bereits seit mindestens 1966 von den Machenschaften der Sekte Colonia Dignidad informiert war. Das „Neue Deutschland“ etwa titelte mitFolter mit Kenntnis des BNDund das Nachrichtenportal „amerika21“ mitBonner Regierung schützte Colonia Dignidad bis kurz vor Ende der Diktatur in Chile. Was ist von diesen offenbar neuen Erkenntnissen zu halten, was meinen Sie?

Hier geht einiges durcheinander. Man muss bei der Colonia Dignidad zwei Dinge unterscheiden: einmal war da der systematische sexuelle Missbrauch und die Gehirnwäsche der deutschen Insassen durch den Sektenchef Paul Schäfer und seine Führungsclique, darunter der Arzt Hartmut Hopp, der trotz eines chilenischen Haftbefehls heute ohne Probleme in Krefeld lebt. Und zum Zweiten die Folter und Morde in der Colonia an chilenischen Regimegegnern ab 1973, als das Militär geputscht hatte.

Die Sekte an sich stand schon vor ihrem Umzug nach Chile im Verdacht, Kinder zu misshandeln. Das Amtsgericht Siegburg hatte 1961 Haftbefehl gegen Schäfer wegen Unzucht mit Abhängigen erlassen und trotzdem zugesehen, wie er sich nach Chile absetzte, wo er dann bis Ende der Diktatur 1989 von der Deutschen Botschaft unterstützt wurde.
Sie verkaufte das Schwarzbrot und Sauerkraut aus der „Kolonie der Würde“ und unternahm nichts, um die gegen ihren Willen Festgehaltenen zu befreien.

Und bei all dem hatte auch der BND seine Hände Spiel?

Ganz sicher. Da ist zum Beispiel der deutsche Waffenhändler Gerhard Mertins, der den „Freundeskreis der Colonia Dignidad“ gegründet hatte. Mertins hatte für den BND illegal Waffen in Krisengebiete verschoben, wurde aber am Ende nicht verurteilt, weil der BND ja mit von der Partie war. Mertins ging in der Kolonie ein und aus, die nach dem Putsch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Südchile geworden war. Sie war in den Bergbau und in die Herstellung von chemischen Waffen eingestiegen.

Mertins ist inzwischen ja tot…

Ja, aber ich habe ihn 1980 noch auf seinem Gut Buschof besucht. Für ihn war die Colonia Dignidad ein „Paradies“, sagte er mir. Für seine Mitstreiter vermutlich auch: für den ZDF-Journalisten Gerhard Löwenthal, den Münchner CSU-Stadtrat Wolfgang Vogelsgesang und den damaligen deutschen Botschafter, Erich Strätling. Mertins: „Vorerwähnte Herren waren in Dignidad und haben die gleichen positiven Eindrücke gewonnen wie ich“.

Mertins hatte mir einen 20-minütigen Werbefilm vorgeführt: unschuldige Kindergesichter und Bienchen, und er schwärmte von seinem Busenfreund, dem chilenischen Geheimdienstchef Manuel Contreras: „Er hat ein rundes Gesicht mit weichen Zügen und macht den Eindruck, dass es ihm schwerfallen würde, eine Fliege zu töten“. Nach dem Ende der Diktatur wurde Contreras wegen mehrerer Morde verurteilt, um „Fliegen“ ging es dabei nicht.

Verstehe ich recht: Das alles war seit Jahren bekannt und die Medien hielten dennoch bis heute den Mund?

Ja. Bereits in den siebziger Jahren veröffentlichten Amnesty International und der Stern die Vorwürfe gegen das deutsche Foltercamp und die Kolonie klagte vor dem Bonner Landgericht.

Ich selbst habe damals bei der Ortsbesichtigung den Verlag Gruner und Jahr vertreten und war mit dem Arzt und Schäfer-Vertrauten Hopp aneinandergeraten, weil er mich nicht auf das Koloniegelände lassen wollte – obwohl die Prozessbeteiligten das eigentlich durften. Man fürchtete wohl, dass ich fotografieren würde.

Und warum dann hier und heute der um sich greifende „Medienhype“? Spätestens mit dem Ende der Diktatur hätten die Verbrechen ja aufgeklärt werden und die Aufarbeitung beginnen können.

In Deutschland ist durch den Spielfilm „Es gibt kein Zurück“ der Fall wieder hochgekommen, nur leider ist bis auf Lippenbekenntnisse aus dem Auswärtigen Amt und dem Präsidialamt nichts passiert. Von Aufarbeitung kann keine Rede sein.

Allerdings ist in Chile einiges passiert. Nach der Diktatur sind die Besitzverhältnisse untersucht worden, denn man hatte beizeiten das Vermögen auf Scheinfirmen übertragen.
Und gegen Schäfer und seine Clique wurde wegen Missbrauchs ermittelt, und die Führungsriege landete im Gefängnis. Schäfer ist dort verstorben.
Aber auch im Andenstaat ist einiges noch tabu, vor allem, inwieweit Schäfer an der Herstellung von Giftgas mitgewirkt hat. Wenn Sie sich erinnern: unter anderem wurde der frühere, christdemokratische Staatschef Frei durch Giftgas ermordet.

Ist denn die Rolle des Bundesnachrichtendienstes untersucht worden?

Nein. Die Bundesregierung hat hier systematisch vertuscht, und zwar böswillig.
Es steht außer Frage, dass der BND detaillierte Kenntnis von den Zuständen in der Kolonie hatte. Dies sprach mir eines der Colognia-Dignidad-Gründungsmitglieder, Heinz Kuhn, einmal ins Mikrophon.

Kuhn verhalf einigen Sektenmitgliedern zur Flucht ins Ausland und unterhielt Kontakte zur US-Botschaft und zum FBI. Mit Beamten des BND hat er sich „mehrfach getroffen. Da gings um bestimmte Fälle“, so Kuhn. „Globalmente war der BND über sämtliche Missstände in der Kolonie informiert, auch über den Fall Weisfeiler“.

Der US-Bürger Boris Weisfeiler war 1985 in der Nähe der Kolonie aufgegriffen worden und verschwand für immer. Er soll einen Geigerzähler mit sich geführt haben. Auch die CIA habe sich für den Fall interessiert. Kuhn hatte dem BND alle Informationen über den Fall übergeben: „Ich hab mit den Leuten zusammengearbeitet, in dem Sinne, dass ich ihnen immer wieder Material habe zukommen lassen”.

Ein Wolfgang Jensen habe ihn rekrutiert, der war an der Deutschen Botschaft in Buenos Aires und flog regelmäßig nach Santiago. Einmal sei er auch extra nach Argentinien geflogen, um sich mit dem BND-Residenten zu treffen. Was der ihm versprochen hat? „Unser Gespräch ging immer nur mit ganz kleinen Zettelchen und da wurden Notizen gemacht. Was die dann aus den Notizen, die ich ihnen übergeben habe, gemacht haben, das kann ich nicht wissen”.

Sie führen ja diverse Klagen gegen BND und Konsorten. Haben Sie auch in Sachen Colonia Dignidad versucht, Akten aus Pullach zu bekommen?

Sicher, ich bin seit Ende der siebziger Jahre an dem Thema dran und habe wiederholt auch versucht, dort hineinzukommen. Das gelang mir erst nach dem Ende der Diktatur.
Am 1. Februar 2009 hatte ich beim BND einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt. Der wurde abgelehnt mit der Begründung, dass „sämtliche Unterlagen des BND Verschlusssachen“ seien.

Auf meinen Widerspruch erhielt ich aus Pullach den Brief mit dem Vermerk „nur für den Dienstgebrauch“ mit der Bitte, dass man das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes abwarten möchte.

Wie, der BND schreibt Ihnen einen Brief und erklärt den für „nur für den Dienstgebrauch“?

Ja, aber ich habe schon lange aufgehört, mich über den BND zu wundern. Mit dem vorgeschlagenen Vorgehen war ich einverstanden. Ein Jahr zuvor hatte ich nämlich den BND auf Einsicht in seine Eichmann-Akten verklagt – es würde ein Grundsatzurteil werden. Und das wurde es auch. Die Leipziger Richter gaben mir weitgehend Recht.
Nur 100 Blatt bleiben weiter geheim, weil das Bundeskanzleramt meinte, dass der Mossad sich über eine Freigabe ärgern würde und dieses Risiko könne man in Zeiten des Terrorismus nicht eingehen.

Das heißt: Frau Merkel hält Akten zu einem Nazi-Kriegsverbrecher geheim, um einem ausländischen Geheimdienst gefällig zu sein.

Wie dem auch sei, nach dem Leipziger Urteil wollte ich endlich die Dignidad-Akten erhalten, fragte erneut in Pullach nach und erhielt die Auskunft, dass man „alle verfügbaren Archivunterlagen“ an das Koblenzer Bundesarchiv abgegeben habe.

Na bitte, ist doch ein Fortschritt!

Nein, ganz im Gegenteil, reine Verarschung. Bei meinem Besuch in Koblenz wurde mir nur ein Schnellhefter ausgehändigt mit insgesamt 22 Seiten. Blatt Nummer Eins war ein „VS Inhaltsverzeichnis zugleich Notvernichtungshandlung und Abgabequittung zu Abgabeverzeichnis 30/2004“, gefolgt von einem kurzen Brief des CDU-Politikers Heiner Geissler mit der Bitte um Aufklärung und einer nichtssagenden Antwort des BND-Präsidenten an Geissler.

Die Abgeordnete der Linken, Ulla Jelpke, fragte die Bundesregierung, was mit den Akten, die im Frühjahr 2009 noch nicht offenzulegende „Verschlusssachen“ waren, nunmehr passiert war und was diese „Notvernichtungshandlung“ sei? Befindet sich etwa der BND in solcher Not, weil er Mitarbeiter schützen oder die eigene Verwicklung in das Kinderbordell und die Machenschaften von Paul Schäfer verdecken will?

Bundesminister Ronald Pofalla antwortete auf die Kleine Anfrage. Ob Dokumente vernichtet oder ausgelagert wurden, könne „den recherchierbaren Unterlagen nicht entnommen werden. Aber: „Dem Antrag der Journalistin wurde entsprochen“.

Damit meinte er die 22 Blatt sowie die „Notvernichtungshandlung“ – ein Begriff der „standardmäßig verwendet (werde), um für den Fall einer schnell vorzunehmenden Vernichtung von Verschlusssachen, etwa bei der kurzfristigen Räumung einer Dienststelle im Ausland, einen Nachweis der vernichteten Dokumente zu erhalten“. Auch die Bundeswehr kennt solche „Notvernichtungshandlungen“, wenn zum Beispiel ein Schiff im Sinken begriffen ist und die an Bord befindlichen Geheimdokumente nicht dem Feind in die Hände fallen dürfen“.

Vielleicht ist der BND ja „im Sinken begriffen“ – und angesichts dieser Pofalla-Antwort nicht nur der BND. Aber meinen die das wirklich ernst, dass Ihr Antrag auf Freigabe der Unterlagen zur Colonia Dignidad eine kriegerische Handlung sei?

Für das Bundeskanzleramt offensichtlich. Ich hoffe aber, dass die Bundesverwaltungsrichter das anders sehen. Ich habe erneut Klage gegen den BND eingereicht. Diesmal geht es um alle Berichte seines Residenten an der Botschaft in Buenos Aires. Der war auch zuständig für Chile.

In welchem Stadium befindet sich dieser Prozess?

Der BND führt sich auf, als wäre er, um mal die Worte von Frank Rieger vom CCC zu gebrauchen, „eine Mafia mit Rechtsabteilung“. Er sperrt sich partout gegen eine generelle Offenlegung seiner Dokumente aus der Zeit der argentinischen Militärdiktatur.

Er hat damals eng mit dem argentinischen Geheimdienst SIDE zusammengearbeitet, der systematisch gefoltert und Regimegegner zu tausenden aus Flugzeugen ins Meer werfen ließ. Ein paar Berichte hat man mir gegeben, aber ich will die kompletten Akten – oder eben eine Sperrerklärung des Bundeskanzleramtes, der übergeordneten Behörde.

Wie argumentiert denn der BND?

Das muss man sich tatsächlich auf der Zunge zergehen lassen. O-Ton: „Der Umstand, dass dieses Regime Unrecht begangen hat, beeinflusst nicht den vom BND gewährten umfassenden Vertraulichkeitsgrundsatz hinsichtlich nachrichtendienstlicher Kooperationen gegenüber dem Staat Argentinien. Jedwede Offenlegung von Informationen könnte dazu führen, dass der Austausch mit anderen Nachrichtendiensten beeinträchtigt oder gefährdet wird“. Mit anderen Worten: Wir schützen auch Folterer und Mörder – und zwar bis in alle Ewigkeit.

Und wie verhalten sich andere Länder hierzu?

Barack Obama hat bei seinem letzten Besuch in Argentinien angekündigt, Akten zur argentinischen Diktatur zu desklassifizieren, auch die der CIA.
Papst Franziskus hat selbiges versprochen. Und die argentinische Regierung – die jetzige wie die vorige – hat ihre Archive zur Diktatur geöffnet und sogar entsprechende diplomatische Abkommen mit den Nachbarstaaten über die Offenlegung dieser Unterlagen zur Operation Cóndor unterzeichnet.

Das heißt: Alle Staaten geben ihre Unterlagen zum damaligen argentinischen Folterregime frei, und eine einzige Dienstanweisung des Kanzleramts nach Pullach würde ausreichen, um internationale Mindeststandards zu erfüllen.
Aber Angela Merkel zieht es vor, sich – in guter deutscher Tradition, wenn man so will – als das Schmuddelkind aufzuführen.

Das Schmuddelkind der Menschenrechte.

Ich bedanke mich für das Gespräch.

Geheimdienste, politische Komplizen und rechter Mob unterwandern die Demokratie!

Die Zerstörung der demokratischen Zivilgesellschaft schreitet sowohl in Europa als auch in Deutschland immer weiter voran. Kaum ein Tag, an dem nicht „wegen des Terrors“ oder „wegen Köln“ weitere Grundrechtseinschnitte, ein Bundeswehreinsatz im Inneren oder anderes erwogen werden. Doch wie kommt es dazu? Fällt derlei vom Himmel, entwickelt sich also ganz von allein?Ganz sicher nicht, meint Bestsellerautor Jürgen Roth im Gespräch mit Jens Wernicke und konstatiert das Vorhandensein klandestiner Strukturen, die alsStaat im Staate gezielt die Unterwanderung der Demokratie betreiben.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Herr Roth, soeben erschien Ihr BuchDer tiefe Staat. Die Unterwanderung der Demokratie durch Geheimdienste, politische Komplizen und den rechten Mob, in dem Sie argumentieren, es gäbe einen „Staat im Staate“, dessen Agieren zunehmend die Demokratie unterminiere. Warum dieses Buch? Wie kam es dazu?

Das Motiv? Eine Mischung aus Zorn, Empörung und ebenso tiefer Ohnmacht. Ich bin, ehrlich gesagt, am Verzweifeln gewesen und bin dies nach wie vor. Daher das Buch.

Da sind zum einen die soziale Kälte und die rassistische Gewalt, die inzwischen das gesellschaftliche und politische Leben in Deutschland und Europa beherrschen, und die kaum auszuhalten sind. Und da ist zum anderen meine Einschätzung, dass momentan der gefährlichste Angriff seit rund vierzig Jahren gegen unsere lebendige demokratische Zivilgesellschaft stattfindet.

Mir ging es daher unter anderem darum, die Gründe für diese Entwicklungen aufzuzeigen. Und zwar bis zu den Wurzeln, bis also hin zum Rassismus, Nationalismus, der Menschenfeindlichkeit und tiefen sozialen Spaltung, die bekanntlich ihre Ursachen auch und gerade in der Nazi-Vergangenheit unseres Landes haben.

Das heißt, es gibt einen politischen Fingerabdruck aus dieser Zeit, der sich nahtlos von den durch die CIA geförderten Nazi-Netzwerken im Sicherheitsapparat Ende der vierziger Jahre bis heute nachweisen lässt. Dass dieser politische Fingerabdruck des Autoritarismus, des Elitismus, völkischen Nationalismus und Rassismus bis heute vorhanden ist, wird in der derzeitigen politischen Diskussion jedoch ausgeblendet, obwohl es gerade jetzt, im Zusammenhang mit der Flüchtlingsfrage, so wichtig ist, diesen Fingerabdruck in Erinnerung zu rufen. Ohne ihn ist die derzeitige Situation nicht zu verstehen.

Was genau darf ich mir denn unter diesem „Staat im Staate“ vorstellen? Sind das Netzwerke, sind das Elitenklüngel? Über wen und was reden wir hier genau?

Elitenklüngel und deren Netzwerke hat es ja schon immer gegeben. Sie versuchen, mehr oder weniger erfolgreich, ihre partikularen Interessen in der Politik durchzusetzen.

Staat im Staat meint, dass es innerhalb der staatlichen demokratischen Machtstrukturen, also in Nachrichtendiensten, Justiz und Polizei einflussreiche Strömungen gibt, die zusammen mit nationalkonservativen wie rechtspopulistischen Politikern und rechtsradikalen Terroristen mehr oder weniger unbehelligt daran arbeiten können, die zivile und soziale Bürgergesellschaft zu zerstören.

Sie verorten die Entstehung dieser „Tiefenstruktur“ im Staate ja im Kontext von Gladio und anderem. Sie meinen also, derlei Netzwerke haben bis heute überlebt?

Die politischen Initiatoren und Köpfe von Gladio bzw. ihre Nachfahren im Geiste sind ja, sofern sie nicht verstorben sind, immer noch vorhanden..

Gladio war in Zeiten des kalten Krieges das Instrument von NATO-Staaten, eventuelle kommunistische oder systemkritische demokratische Bewegungen zu bekämpfen. Gladio war eine demokratisch nicht legitimierte Machtstruktur innerhalb demokratischer Staaten, in der Geheimdienste, rechte Politiker und Militär eine bedeutende Rolle im Kampf gegen soziale Befreiungsbewegungen oder den drohenden Kommunismus spielten.

Es ging darum, die herrschenden Eliten vor sozialen Revolutionen oder sozialen Reformen zu schützen. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR war Gladio im Prinzip überflüssig, weil nur noch das kapitalistische Wirtschaftssystem konkurrenzlos agieren konnte. Der politische Fingerabdruck jedoch, der bei Gladio zu finden war, ist auch später noch vorfindbar. Besonders deutlich sichtbar übrigens, was die letzten Jahre angeht…

Das Argument ist also, dass vieles, das gerade das gesamte politische Spektrum immer weiter gen Menschenfeindlichkeit verschiebt, nicht aus Zufällen resultiert, sondern hier auch eine Art Steuerung im Hintergrund vorfindlich ist? Das klingt aber ganz schön nach Verschwörungstheorie … Zielen Sie da explizit auf den sogenannten NSU? Und nur auf diesen oder was alles noch?

Da ich all meine Argumente nicht nur in den Raum werfe, sondern auch dezidiert belege, ist der Vorwurf, Verschwörungstheoretiker zu sein, hanebüchen wie sooft und vernebelt, was er wohl auch explizit soll, gar zu leicht den klaren Blick. Lassen Sie mich ein wenig ausführen, dann wird sicher deutlich, worum es mir geht…

Beginnen wir mit dem Oktoberfestattentat in München und dem politischen und geheimdienstlichen Umfeld um Franz Josef Strauß, mit seinen engen Verbindungen zu geheimen wie offen neofaschistischen Netzwerken wie dem Cercle Violet. Ähnliches ist nun wieder beim sogenannten NSU nachweisbar: Für die Professoren Micha Brumlik und Hajo Funke zeigt die Nichtaufklärung der Hintergründe der Morde des NSU, wie der sogenannte Tiefe Staat in Deutschland funktioniere. Das schrieben sie am 25. April 2014 in einem Kommentar in der taz und begründeten es folgendermaßen:

„Die nicht anders als kriminell zu bezeichnende Energie aber, mit der die Sicherheitsexekutive und ihre parlamentarischen Wasserträger die Aufklärung des NSU-Skandals verhindern wollen, gefährdet die bundesrepublikanische Verfassung, unterhöhlt das Vertrauen der Bürger in die Demokratie und schafft eine Sphäre jenseits des Rechtsstaates.“

Und Timo Reinfrank von der Amadeu Antonio Stiftung stellt fest:

„Die Morde des NSU sind nur die Spitze eines Eisberges, der sich in vielen Kommunen und Städten als rechtsextremer Alltagsterror darstellt.“

Und was tun diese Kreise im Hintergrund denn genau? Welches Wirken zeichnet sie aus?

Sie sehen doch im Zusammenhang mit der Flüchtlingsfrage oder der Eurokrise genau was diese Kreise tun. Ich erinnere an die Aussage des ehemaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis:

„Als ich in die Politik kam, habe ich einiges erwartet. Aber ich war dann doch überrascht, wie wenig den wichtigsten Akteuren Demokratie bedeutet, wie egal ihnen die konkreten Auswirkungen ihrer Politik sind. Dass ihre Politik Hunderttausende, nein, Millionen Menschen verelenden lässt. Als ich in der Eurogruppe darüber reden wollte, blaffte mich Dijsselbloem an: ‚Darüber reden wir nicht, das ist zu politisch!’ Es geht denen nur um Macht, Kontrolle. Sie wollen ihre verdammten Strukturen erhalten. Es geht ihnen in Wahrheit nicht um die Wirtschaft, auch nicht um Wachstum – und schon gar nicht um die Menschen. Die sind ihnen egal.“

Der von Varoufakis erwähnte Jeroen Dijsselbloem ist der Vorsitzende der europäischen Finanzminister in der Eurogruppe. Und zum deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble hat der griechische Ex-Finanzminister ebenfalls eine klare Meinung, die Ihre Frage beantwortet:

„Schäuble sagt es ja ganz offen: Er will ein strafferes, ein autoritäres Europa. Weniger Sozialstaat. Dank dieser Krise können sie all die Dinge umsetzen – Lohnkürzungen, Rentenkürzungen, Privatisierungen –, all die quälenden Dinge, für die ein Volk bei Wahlen nie stimmen würde.“

Der Eindruck drängt sich also auf, dass jene europäischen Politiker, Ökonomen und Wirtschaftsrepräsentanten, die das griechische Volk praktisch entmündigten, längst eine tiefe und grundlegende Feindseligkeit gegenüber einer sozialen und demokratischen Bürgergesellschaft in Europa entwickelt haben.

Und diese Kräfte zeichnen sich, wie einst in den fünfziger bis in die neunziger Jahre, durch institutionellen Rassismus, Autoritarismus, völkischen Nationalismus und Menschenfeindlichkeit aus, weil sie die Grundrechte-Charta der Europäischen Union, die sich „auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität gründet“ bekämpfen.

Haben Sie vielleicht ein konkretes Beispiel für deren Wirken parat?

Nehmen wir Entrepreneur Roundtable mit Sitz in Berlin und Zürich. Deren Mitglieder bestimmen die wirtschaftliche und damit politische Agenda sowohl in Deutschland als auch der Schweiz. Sie haben die „Themenführerschaft“ in allen Bereichen von sozialer, politischer und wirtschaftlicher Relevanz und repräsentieren sozusagen den Klassenkampf von Oben.

Aufgenommen wird nur derjenige, der als Unternehmer mehr als 500 Millionen Euro Umsatz macht. Es ist ein Mix aus Elite-Kapitänen aus Finanz, Wirtschaft, Politik und Medien, in dieser Form einmalig in der Welt.

In der Schweiz gehören ihm inzwischen ca. 200 Führungskräfte an, in Deutschland 150. Frauen sind nicht zugelassen. Und es wird nur der aufgenommen, der von Clubmitgliedern empfohlen wurde. Sie sind alle handverlesen – auch die Politiker und Medienvertreter, die sich circa zehnmal jährlich an wechselnden Orten treffen. Nichts dringt nach Außen, wenn man sich bei den geselligen Veranstaltungen in noblen Orten trifft.


Jürgen Roth: »Der tiefe Staat«


Wie machtvoll sind diese Kreise denn? Sehen Sie hier wirklich offene Kooperationen auch mit Geheimdiensten und Faschisten?

Das ist wohl eher eine rhetorische Frage. Die Beschäftigung mit dem NSU-Prozess zeigt doch die offensichtliche Kooperation zwischen Teilen der Geheimdienste und Neonazis. Ohne die skrupellose Finanzierung eines führenden Neonazis aus Thüringen gäbe es wahrscheinlich überhaupt keinen NSU.

Die stille Komplizenschaft von Teilen der Polizei mit den Rechten und Rechtsradikalen, ein tiefsitzender Rassismus und Hass, der sich in der Regel gegen alles Linke – was immer auch darunter auch zu verstehen ist – richtet, ist doch überhaupt nicht mehr zu leugnen. Sachsen ist ein leuchtendes Negativbeispiel für diese Kooperation, und ich gehe im Buch auch ausführlich darauf ein.

Man möge mir einmal zu erklären versuchen, warum täglich Flüchtlingsheime brennen und Migranten angegriffen werden ohne dass der sogenannte Verfassungsschutz hiervon etwas weiß.

Apropos: Was halten Sie denn von den Geschehnissen in Köln? Massenhysterie, unglaubliche Übertreibungen, unklare Beweislage, keinerlei vorgelegte Videoaufnahmen bei mehr oder minder lückenloser Überwachung des Tatortes – und am Ende dann eine Presse, die in breiter Front gegen „die Flüchtlinge“ oder „die Nordafrikaner“ hetzt… Das spielt dem Sicherheitsstaat und anderem doch massiv in die Hände… Statt über Arm und Reich, über die Krise des Systems reden alle nun plötzlich über Ethnien, Nationalitäten und vermeintlich „andere Sozialisationen“; ein gefundenes Fressen für alle Rassisten im Land.

Köln war in der Tat der ideale Vorwand für die Nationalkonservativen, die Rechtspopulisten und Neonazis im Land, die sich noch nie um die soziale Ungerechtigkeit gekümmert hatten, hemmungslos Agenda Setting zu betreiben.

Wobei ich die Nationalkonservativen, insbesondere die CSU und Teile der CDU, noch gefährlicher finde als die Neonazis und Rechtspopulisten. Denn sie waren in der Vergangenheit, von 1945 bis 2015 jene, die jegliche politische und wirtschaftliche Systemveränderung mit allen Mitteln bekämpften und daher auch zur tiefen sozialen Spaltung der Gesellschaft beigetragen haben, die heute wiederum der Nährboden für den grassierenden Rassismus und Demokratiefeindlichkeit ist. Und sie stets auch diejenigen, die in trauter Einheit mit den Neonazis linke Parteien und systemkritische demokratische Bewegungen bekämpft haben.

Und ich frage mich inzwischen, das Verhalten der Männer und Frauen in Lichtenhagen im Jahr 1992 oder das derjenigen, die heute gegen Flüchtlinge demonstrieren und Asylunterkünfte anzünden, nicht ziemlich genau der Dreißigerjahre entspricht.

Und: Ja, ich gehe davon aus, dass das nicht vom Himmel fällt, sondern sehr wohl gewollt ist, wie es ist. Von den genannten Kreisen eben, denen an Demokratie wohl längst nichts mehr liegt.

Wenn Sie recht haben mit Ihrer Einschätzung, ist die Lage wohl äußerst ernst. Was wäre aktuell also am ehesten zu tun, um gegen diese Kreise und eine immer reaktionärer werdende Politik im Lande anzugehen?

Zum einen gilt es, die demokratischen Parteien zu stützen, die für eine transparente, eine demokratische und soziale Gesellschaft kämpfen. Und es gibt glücklicherweise genügend zivilgesellschaftliche Organisationen, die einen wichtigen Beitrag dafür leisten, dass die unkontrollierte Macht offengelegt und eingedämmt wird.

Noch wichtiger ist es aber, den Nationalkonservativen, den Rechtspopulisten und Neonazis, die kein Interesse an einer demokratischen Zivilgesellschaft haben, aktiven Widerstand entgegenzusetzen. Und zwar auf allen Ebenen. Es gibt ein schönes Zitat von August Thalheimer aus dem Jahre 1929, das den Ernst der Lage wunderbar beschreibt:

„Die Diktatur ist noch nicht da. Sind aber die Bedingungen geschaffen, so wird sich die nötige Figur irgendwie und irgendwo finden. Sind die sozialen und politischen Bedingungen bereit, so genügt die ordinärste Blechfigur.“

Noch ein letztes Wort?

Ich habe das Buch Ende 2015 abgeschlossen und danach geglaubt, dass der Rassismus, der Hass und die Menschenfeindlichkeit eigentlich nicht mehr zu toppen wären.

Ich dachte, die Vernunft würde langsam in den Köpfen der politisch Verantwortlichen Oberhand gewinnen. Ich habe mich getäuscht. Die demokratische Zivilgesellschaft war noch nie so gefährdet wie sie es heute ist.

Ich bedanke mich für das Gespräch.


Jürgen Roth, geboren 1945, ist einer der bekanntesten investigativen Journalisten in Deutschland. Seit 1971 veröffentlicht er brisante TV-Dokumentationen und aufsehenerregende Bücher über Politik, Korruption und Kriminalität. Zuletzt erschienen von ihm „Der stille Putsch“, „Gazprom – Das unheimliche Imperium“ und „Gangsterwirtschaft“, die allesamt Bestseller waren.

„BODY COUNT“ – Weit über 1 Million Opfer durch “Krieg gegen den Terror”

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Skandalöses und meist Verschwiegenes auf den NachDenkSeiten:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=25535#more-25535

Das erste Opfer des Krieges ist immer die Wahrheit: Es wird gelogen, verfälscht, verleumdet, stigmatisiert. Der Gegner wird dämonisiert, die eigenen Taten dagegen werden als „Verteidigung“ und Heldenhaftigkeit in Szene gesetzt. Eigene Gräuel und Kriegsverbrechen werden geleugnet und bagatellisiert.
Dieses Allgemeingut der Kriegsgegner belegte nun einmal mehr eine am Freitag anlässlich des 12. Jahrestages des „Krieges gegen den Terror“ vorgestellte Studie der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW).
Denn diese ergab: Die tatsächliche Zahl an Todesopfern, die der „Krieg gegen den Terror“ bereits kostete, ist fast 10-mal so hoch wie bisher bekannt.
Für die US-amerikanische IPPNW-Sektion unterstreichen die Ergebnisse dabei einmal mehr ein Ausmaß vom Westen gemachter Zerstörung, das weltweit Hass schüre, liefere überdies den Kontext, um den Aufstieg brutaler Kräfte wie beispielsweise des IS zu verstehen, die als Folge der US-Politik immer weiter gediehen.
Jens Wernicke
sprach mit Jens Wagner, dem Koordinator des Projekts, zum Studienbefund.

Herr Wagner, anlässlich des 12. Jahrestag des Beginns des Irakkrieges am 20. März diesen Jahres veröffentlichten die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) eine Studie mit dem Titel „Body Count“ zur Gesamtzahl der Todesopfer der Kriege in Afghanistan, Pakistan und dem Irak. Sie sind der Ideengeber für diese Studie. Wie kam es dazu?

Ich kam auf die Idee weil ich merkte, dass selbst innerhalb der Friedensbewegung die tatsächliche Dimension der Zerstörung in Kriegen mit modernen Waffen stark unterschätzt wird. Ich recherchierte 2007/2008 speziell zum Irak-Krieg und wurde für meine Bemerkung unter Kollegen, dass im Irak von 2003 -2008 wahrscheinlich bereits an eine Million Menschen durch den Krieg umgekommen waren fast ausgelacht.
Das Fernsehen und die gängigen Zeitungen sprachen damals von etwa 10.000 bis 100.000 Todesopfern im Irak.
Man brauchte allerdings keine drei Stunden Recherche und ein bisschen Erfahrung im Umgang mit Kriegsberichten, Zahlen und Statistiken, um zu erahnen, dass die wirkliche Anzahl der Opfer viel höher war.

 An Iraqi woman looks on as U.S. Army Soldiers from 1st Battalion, 23rd Infantry Regiment, 3rd Stryker Brigade Combat Team search the courtyard of her house during a cordon and search in Ameriyah, Iraq, May 14, 2007. (U.S. Army photo by Sgt. Tierney Nowland)

Ich hatte mich in der Vergangenheit bereits mit dem Vietnamkrieg beschäftigt und stieß nun auf viele Parallelen bei der Recherche. Die Anzahl der Getöteten ist dabei als ein Maß der Zerstörung eines Landes zu werten.
Speziell eine Studie zur Erhöhung der Sterblichkeit im Irak nach der US-Invasion in der medizinischen Fachzeitschrift „Lancet“ aus dem Jahr 2006 brachte den Stein dabei ins Rollen. Nach dieser Studie waren bereits 2006 mehr als eine halbe Million Menschen durch Waffengewalt zusätzlich zur „normalen“ Sterblichkeit im Irak umgekommen. Wenn man bedenkt, dass dort 2006 der Bürgerkrieg mit 3.000 getöteten Zivilisten pro Woche erst richtig begann, kann man bereits ahnen, dass die gesamte Anzahl der Kriegstoten bis zum Abzug der US-Truppen insgesamt nicht nur bei ca. 10.000 liegen kann, wie dies die US-Amerikaner und Briten bis heute mehrheitlich glauben.

Und wie sind Sie, diesem Anliegen folgend, vorgegangen? Was wurde untersucht und welches Bild zeichnete sich dabei?

Ich suchte mir Autoren, die sich mit den damals aktuellen Kriegsgebieten und dem vorhandenen Datenmaterial auskannten. Dabei waren zunächst Irak und Afghanistan im Gespräch, später entwickelte sich die Notwendigkeit, auch noch einen kürzeren Teil zu Pakistan und speziell dem Drohnenkrieg hinzuzufügen, für Jemen und Somalia gab es zu wenig Datenmaterial.
Die Arbeit wurde mit etwas Verspätung zum 10. Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 von der IPPNW als kleines Heft herausgegeben, als Bilanz nach 10 Jahren „Krieg gegen den Terror“. Die Arbeit wurde dann 2013 und 2014 mit inzwischen vorhandenen neueren Daten ergänzt und nun aktuell als internationale Ausgabe herausgegeben.

Dabei zeichnet sich deutlich ab, dass die Entscheidung für einen „Krieg gegen den Terror“ zwischen 2001 und Ende 2014 mindestens 1,3 Million Menschen das Leben gekostet hat. Wobei wir als Friedensorganisation ausdrücklich nicht zwischen Kombattanten, Soldaten und Zivilisten unterscheiden. Im Irak sind die Zahlen dabei relativ gut belegt, in Afghanistan und Pakistan ist es wegen der fehlenden Infrastruktur hingegen wesentlich schwerer, die Situation einzuschätzen. Leider wurden von den ISAF- und OEF-Truppen in Afghanistan, aber auch im Irak in dicht besiedelten Gebieten viele Luftangriffe mit schweren Waffen geflogen, bei denen viele kleine Siedlungen auf einmal zerstört wurden.
In Afghanistan lassen überhaupt nur Stichproben das wahre Ausmaß der Zerstörung erahnen.
Katastrophal sind aber auch und insbesondere die Verseuchung ganzer Landstriche mit abgereichertem Uran und die Folgen der amerikanischen Chemiewaffeneinsätze beispielsweise in Fallujah im Irak.

Das heißt, neben der Barbarei der unmittelbaren kriegerischen Aktion hat der „Krieg gegen den Terror“ auch darüberhinaus Opfer gefordert – durch Umweltzerstörung, Vergiftung und auch die zahlreichen Drohnenmorde, die kaum je als „kriegerische Akte“ benannt und verstanden werden, verstehe ich recht?

Beides trifft zu. Wir haben in unserer Studie aus Gründen der Durchführbarkeit allerdings meist nur die direkt im Zusammenhang mit kriegerischer Gewalt umgekommenen Menschen zählen konnten.
Das „endlose Leiden“ der Menschen, die durch mangelnde medizinische Versorgung und Hunger in Afghanistan sterben und die durch Verletzungen und Brandverletzungen, Uran- und Chemiewaffen später noch einen qualvollen Tod sterben oder lebenslang behindert sind, ließ sich zahlenmäßig kaum erfassen und käme sozusagen auf unsere Zahlen „noch obenauf“.

Ausschnitt aus dem Wikileaks-Video “Collateral Murder” von 2007, in dem Kampfhubschrauber Journalisten, Zivilisten und Kinder im Irak töten

Und leider sind die Bürgerkriege durch die Zerstörung der staatlichen Strukturen inzwischen ja wieder aufgeflammt. Im Irak und in Syrien hat sich der „Islamische Staat“ ausgebreitet und Afghanistan ist im UNICEF-Report in fast jeder Disziplin heute das lebensfeindlichste Land, insbesondere was Kindersterblichkeit, Alphabetisierung und Frauenrechte angeht.
All das fordert Opfer – und auch diese sind, auch wenn das selten jemand so sagt, natürlich späte Opfer der vorangegangenen Kriege.

Vermute ich recht, dass Sie daher kein Freund dieses so genannten „Krieges gegen den Terror“ sind? Was halten Sie von diesem denn?

Der Einsatz des Militärs zur Bekämpfung des Terrorismus war von vornherein nur ein Vorwand und als solcher auch für jeden halbwegs politisch erfahrenen Menschen erkennbar. Ganz allgemein ist ein Militäreinsatz zur Verbesserung einer humanitären Situation – wie es heute oft angegeben wird – doch nichts anderes als der Versuch, Feuer mit Benzin zu löschen.
Militäreinsätze führen praktisch nie zu einer Verbesserung der politischen oder humanitären Situation, schon gar nicht Militäreinsätze in fremden Ländern.

Unangenehm fällt zudem auf, dass in unseren Medien diese Tatsache jedoch gar nicht angekommen ist. Hier gibt man sich in fast jeder konkreten Situation kriegsbereit, so in Afghanistan und jetzt aktuell hinsichtlich der Ukraine.
Die Kriegsbereitschaft und Unterstützung der aktuellen und auf Konfrontation ausgerichteten Politik kann dabei nur aufrechterhalten werden, wenn die Folgen von Kriegen verharmlost werden.
Hier ein Gegengewicht zu schaffen und die Tatsachen offenzulegen, war unsere Intention und sehen wir auch als unsere Pflicht als Ärzte in sozialer Verantwortung an.

Der Terrorismus ist also … nur ein Vorwand, um Kriege zu führen?

Früher war ich überzeugt, dass die Ursachen des Terrorismus so sind, wie sie uns durch die Medien vermittelt werden, also dass vereinfacht gesagt: böse Menschen aus mehr oder weniger unbekannten Gründen böse Dinge tun.

Später habe ich mich aus Sicht der Friedensforschung damit beschäftigt und bin letztendlich zu völlig anderen Schlussfolgerungen gekommen:
Entweder ist Terrorismus ein Resultat von Unterdrückung und hauptsächlich sozialen Ursachen – Beispiel Palästina – oder, und das ist die tiefere Ebene der Analyse, bei der man die Historie und die von den Massenmedien gern versteckten Tatsachen des Terrorismus betrachten muss, es handelt sich um ein verdecktes politisches Instrument von Geheimdiensten und mächtigen Interessensgruppen, in aller Regel Staaten.
Die Liste der Terroranschläge, die diesem Muster entsprechen, ist dabei endlos, angefangen vom Reichstagsbrand und dem Überfall auf den Sender Gleiwitz, über den Golf von Tonkin bis hin zu neuesten Entwicklungen.

Der „Krieg gegen den Terror“ hat ja vor allem ja Feldzüge in den ölreichen Regionen legitimiert und neue geostrategische Realitäten geschaffen, die langfristige Gegner wie etwa Russland, China und den Iran schwächen.
Außerdem spielen wirtschaftliche und finanzpolitische Interessen wie etwa die Stabilisierung des Dollar durch die Kontrolle der Erdölwirtschaft eine wichtige Rolle.

Den Massenmedien kommt dabei die unrühmliche Aufgabe zu, die Öffentlichkeit auf die falsche Fährte zu locken. Das war beim Reichstagsbrand schon so und ist es bei der aktuellen Hetze gegen Russland nicht minder.

Aber darum geht es im “Body Count” nicht, er ist eine nüchterne Betrachtung der Resultate von Kriegen und soll eine Analyse von politischen und medialen Konzepten ermöglichen.
Fast alle Zeitungs- und Rundfunkbeiträge unserer Medien veröffentlichen Opferzahlen, die mindestens um den Faktor 10 zu niedrig sind, jedenfalls, wenn es um Kriege geht, die der “Westen” zu verantworten hat, was dann auch, grob gesagt, das Fazit unseres “Body Count” ist.

Jens Wagner (Dr. med.), Jahrgang 1972, ist ehemaliges Vorstandsmitglied der IPPNW (Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.). Seit Ende der 1990er Jahre beschäftigt er sich mit den Themen Globalisierung, Neoliberalismus, Kriegsursachenforschung, Militärstrategie und Geopolitik. In der IPPNW ist er hauptsächlich mit den Themen Friedenspolitik und Medienanalyse befasst.

Zivile Kriegsvorbereitung durch deutsche Behörden

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Aktuell in der jungen Welt:
https://www.jungewelt.de/2015/03-02/009.php
Das passt natürlich auch zur Umstellung auf Kriegskooperation beim Deutschen Roten Kreuz, wie hier schon berichtet:
https://josopon.wordpress.com/2015/02/19/zentrum-zivil-militarische-zusammenarbeit-deutsches-rotes-kreuz-will-sich-an-kriegseinsatz-en-beteiligen/
Auszüge:

Katastrophenhilfe fordert »neue Strategie zum Schutz der Bevölkerung«

Von Peer Heinelt

Regionale_Sicherungs-u_Unterstuetzungskompanie

Reservisten der »Regionale Sicherungs- und Unterstützungskompanie« Sachsen bei Schießübungen: Sie sollen vermehrt im Zivilschutz zum Einsatz kommen – Foto: Arno Burgi/dpa – Bildfunk

Nach Darstellung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) hatte der Alliierte Kontrollrat mit der 1946 verfügten Auflösung der »Luftschutzorganisationen« des Nazistaates »erhebliche Lücken im Schutz der Bevölkerung vor Gefahren und Schäden« verursacht. Heute erscheint dem Präsidenten des BBK, Christoph Unger, der deutsche Luftschutz erneut lückenhaft.
»Es fehlt die hinreichende Zivilverteidigungsfähigkeit mit vielen Facetten«, sagte er Anfang vergangener Woche der Saarbrücker Zeitung und verwies auf »neue Gefahren« durch »ballistische Raketen«, die aus dem Nahen Osten oder aus Russland auf Deutschland abgefeuert werden könnten.
Zwar sei das Bundesamt auf »zivile Katastrophen und Krisen« bestens vorbereitet – im Fall einer »Bedrohung von außen« sehe es aber »schlechter« aus, erklärte Unger. »Was machen denn die Menschen im Fall der Warnung vor einer anfliegenden Rakete?«

Der Anlass für Ungers alarmistische Reden war ein Treffen von Vertretern der Bundesministerien für Inneres, Gesundheit, Auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung, bei dem intensiv über die Optimierung des deutschen »Zivilschutzes« gesprochen wurde.
Die Quintessenz brachte der BBK-Präsident im Anschluss auf den Punkt: »So, wie sich die Bundeswehr mit neuen sicherheitspolitischen Grundsätzen an die Lage anpasst, muss das auch der Zivilschutz tun.«

Dabei dürften Reserveoffizier Unger seine guten Beziehungen zu den deutschen Streitkräften sehr zupass kommen. Immerhin steht die »zivil-militärische Zusammenarbeit« bei der vom BBK alle zwei Jahre veranstalteten »Länderübergreifenden Krisenmanagementübung« Lükex regelmäßig ganz oben auf der Agenda. An Horrorszenarien herrscht kein Mangel.
Im Januar 2010 etwa simulierten die Lükex-Strategen auf dem Flughafen Köln/Bonn einen Terroranschlag mit einer sogenannten schmutzigen Bombe. Hierunter wird gemeinhin ein konventioneller Sprengsatz verstanden, der bei seiner Explosion radioaktives Material in der Umgebung verteilt.
Allein in Köln beteiligten sich rund 1.500 Personen an dem Manöver. Involviert waren Landes- und Bundespolizei, Bundeswehr, Geheimdienste, Feuerwehr, Technisches Hilfswerk (THW) und medizinische Rettungskräfte.
Trainiert wurde nicht nur im zivilen, sondern auch im militärischen Teil des Airports: Wie die deutschen Streitkräfte erklärten, ist der Kölner Flughafen als »Dreh- und Angelpunkt für den Personaltransport deutscher Soldatinnen und Soldaten« ein »wichtiges Tor für die Auslandseinsätze der Bundeswehr«. Ausweislich der vom BBK erarbeiteten »Neuen Strategie zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland« ist es wiederum genau dieses »sich in den vergangenen Jahren deutlich steigernde außen- und sicherheitspolitische Engagement«, das den simulierten Angriff erst provozierte.

Im Vergleich dazu wirkt das Szenario des für Ende November 2015 anberaumten Lükex-Manövers fast harmlos. Trainiert werden soll laut BBK die »Bewältigung« einer Sturmflut an der deutschen Nordseeküste »mit bundesweiten Auswirkungen«.
Diese sehen die Planer immer dann, wenn es zu sogenannten Kaskadeneffekten kommt – also Produktionsausfälle und die Beschädigung von Infrastruktur, die nicht nur vor Ort, sondern auch in weit von der Katastrophenzone entfernten Gebieten negative Konsequenzen für die »Aufrechterhaltung der Geschäftsprozesse« haben.
Mit von der Partie ist einmal mehr die Bundeswehr. Namentlich sind es die von der Truppe auf Landes-, Bezirks- und Kreisebene installierten »Verbindungskommandos« sowie die seit 2012 aufgestellten »Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräfte«.
Letztere sollen anderen Repressionsdiensten im Fall eines »inneren Notstands« zur Seite stehen. Sie dürften insbesondere zum Einsatz kommen, wenn die vom BBK angekündigten »großflächige(n) Evakuierungen« geprobt werden.

Um die Bevölkerung entsprechend zu informieren und zu steuern, nutzt das Bundesamt ein »Satellitengestütztes Warnsystem« (SatWaS).
Es verknüpft die Bonner »Warnzentrale« und die »Zivilschutzstellen« des BBK mit dem »Lagezentrum« im Berliner Innenministerium und den »Lagezentren« der Bundesländer.
Diese sind wiederum mit dem Verteidigungsministerium, der Bundespolizei, der Kommandoeinheit GSG 9 und dem THW vernetzt.
Mittels SatWaS ist es laut BBK möglich, jederzeit Durchsagen an den öffentlich-rechtlichen und den privaten Rundfunk zu übertragen – etwa zur »Warnung vor Angriffen mit Flugzeugen oder Raketen«.
Der Krieg ist in den Köpfen deutscher »Zivilschützer« eben immer präsent.

Mein Kommentar: In meinem Kopf leider auch, und der schmerzt davon.

Jochen