Nach Afghanistan: Die Ära der Straflosigkeit

Westliche Militärs töteten in Afghanistan tausende Zivilisten und begingen Kriegsverbrechen. Fast nichts davon wurde vor dem endgültigen Abzug gesühnt.

(Eigener Bericht) – Mit dem endgültigen Abzug der westlichen Truppen aus Afghanistan am morgigen Dienstag gehen auch zwei Jahrzehnte tödlicher westlicher Angriffe auf Zivilisten sowie systematischer westlicher Kriegsverbrechen am Hindukusch zu Ende. Bis zum Abschluss des US-Abzugsabkommens mit den Taliban im Februar 2020 kamen durch Luftangriffe westlicher Streitkräfte und Spezialkräfteoperationen laut UN-Angaben jährlich hunderte Zivilisten zu Tode – mindestens 559 im Jahr 2019. Zahllose Unbeteiligte wurden bei US-Drohnenattacken getötet; laut Unterlagen, die ein Whistleblower durchstach, war zeitweise nur eines von zehn Drohnenopfern ein von den US-Militärs zur Ermordung freigegebenes „Ziel“. Informationen, die für die Drohnenangriffe benötigt wurden, wurden auch von deutschen Stellen an US-Militärs weitergeleitet; dies gilt auch für Informationen, die zu Verschleppung und Folter von Verdächtigen durch die CIA führten. Australische Spezialtrupps begingen Morde an wehrlosen Zivilisten als Initiationsritual. Westliche Kriegsverbrechen blieben in aller Regel straflos – bis heute.

Zivile Todesopfer

Die westlichen Streitkräfte, die jetzt wohl endgültig aus Afghanistan abziehen, haben bei ihren Operationen am Hindukusch bis zuletzt regelmäßig eine hohe Zahl an Zivilisten umgebracht. Die Opferstatistiken der Vereinten Nationen ordnen etwa von den 3.804 Zivilisten, deren Tod durch Kriegshandlungen im Jahr 2018 verlässlich dokumentiert wurde, mindestens 1.185 Angriffen der diversen Truppen zu, die auf Seiten der Regierung in Kabul kämpften; mindestens 406 von ihnen kamen demnach bei Einsätzen westlicher Militärs ums Leben. Im Jahr 2019 stieg die Zahl der zivilen Todesopfer westlicher Truppen auf mindestens 559; ein Rückgang ließ sich erst nach dem US-Abzugsabkommen mit den Taliban im Februar 2020 konstatieren. Immer wieder haben die westlichen Streitkräfte Luftangriffe durchgeführt, die wegen ihrer eklatanten Opferzahl zum Gegenstand der internationalen Medienberichterstattung wurden. Im Juni 2007 etwa kamen bei einem Luftangriff in der Provinz Helmand, dem letzten in einer langen Serie an Bombardements, bis zu 80 Menschen, die meisten von ihnen Zivilisten, zu Tode.[1]
Am 5. Mai 2019 starben bei einem US-Bombardement angeblicher Drogenlabore mindestens 30, vermutlich 60 oder gar mehr Zivilisten. Während die USA behaupten, es habe sich um Taliban gehandelt, beklagt die UNO hingegen den Tod von zivilen Arbeitern, Frauen und Kindern.[2]

„Man nahm das hin“

Die Liste ließe sich verlängern. Sie umfasst nicht zuletzt das gezielte Bombardement einer großen Anzahl von Zivilisten, das am 4. September 2009 vom deutschen Oberst Georg Klein befohlen wurde. Die Bomben trafen Hunderte Menschen, die sich bei einem feststeckenden Tanklastwagen eingefunden hatten, um Benzin für ihre Familien abzuzweigen; über hundert Zivilisten kamen zu Tode. Klein hatte den Luftangriff gegen ausdrückliche Warnungen der US-Piloten angeordnet, die darauf hingewiesen hatten, es handele sich bei der versammelten Menschenmenge offensichtlich nicht um Aufständische.[3]
Abgesehen von Luftangriffen sind Zivilisten oft bei Operationen von – häufig US-amerikanischen – Spezialkräften zu Tode gekommen. Erst vor kurzem berichtete der Potsdamer Militärhistoriker Sönke Neitzel unter Berufung auf umfangreiche Interviews mit deutschen Afghanistan-Veteranen von außergewöhnlich hohen zivilen Opferzahlen: „Wenn bei Operationen der amerikanischen Spezialkräfte Zivilisten auch mal im dreistelligen Bereich umkamen, nahm man das hin.“[4]
Regelmäßig am Hindukusch im Einsatz waren auch Trupps des deutschen Kommando Spezialkräfte (KSK). Ob und, wenn ja, zu wievielen zivilen Opfern diese Einsätze führten, ist aufgrund der strikten Geheimhaltungspraxis der Bundesregierung nicht bekannt.

Zufallsopfer: neun von zehn

Zahlreiche zivile Todesopfer forderten auch die US-Drohnenattacken, die vor allem US-Präsident Barack Obama dramatisch ausweitete. Das Londoner Bureau of Investigative Journalism, das die Drohnenangriffe seit Jahren systematisch analysiert, listet für Afghanistan inzwischen mehr als 13.000 derartige Attacken auf. Die Zahl der Todesopfer wird mit zwischen 4.100 und über 10.000 angegeben, die Zahl der nachweislich zivilen Todesopfer mit 300 bis 900.[5] Laut Recherchen der Onlineplattform The Intercept dürfte diese Zahl zu niedrig sein. Wie The Intercept bereits im Oktober 2015 unter Berufung auf Dokumente berichtete, die ein Whistleblower übergeben hatte, fanden sich unter den mehr als 200 Todesopfern einer US-Drohnenkampagne von Januar 2012 bis Februar 2013 im Nordosten Afghanistans lediglich 35, die auf US-Ziellisten verzeichnet waren. Während fünf Monaten lag der Anteil derjenigen, die ungeplant mit Drohnen umgebracht wurden, bei fast 90 Prozent.[6] Daniel Hale, der Whistleblower, der den Einblick in die Abgründe der US-Drohnenmorde ermöglichte, wurde im Juni zu einer Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt.[7]
Angaben, die der Vorbereitung von Drohnenattacken dienten – Mobilfunkdaten von Verdächtigen etwa -, wurden auch von deutschen Stellen an US-Einheiten weitergegeben. Die Bundesrepublik ist damit in die US-Drohnenmorde involviert.[8]

Zu der hohen Zahl ziviler Todesopfer im Rahmen von Kriegsoperationen kommen gezielte Morde ohne jeden Anlass hinzu. So belegt ein im Herbst 2020 veröffentlichter Untersuchungsbericht, dass Angehörige australischer Spezialkräfte mindestens 39 Afghanen gänzlich willkürlich umbrachten. Auf einem Video ist beispielsweise dokumentiert, wie ein australischer Soldat einen wehrlos in einem Kornfeld liegenden afghanischen Zivilisten mit drei Schüssen aus nächster Nähe ermordete. Dem Untersuchungsbericht zufolge handelt es sich bei diesen Morden an unbewaffneten Zivilisten außerhalb jeglichen Kampfgeschehens um ein Initiationsritual, mit dem neue Mitglieder der australischen Spezialeinheit ihre angebliche soldatische Eignung unter Beweis stellen mussten. Die Praxis wurde demnach „blooding“ genannt.[9]
Morde außerhalb des Kampfgeschehens werden auch US-Soldaten vorgeworfen. So berichtet der Militärhistoriker Neitzel, laut Berichten deutscher Militärs seien „selbst hartgesottene Soldaten des KSK“ (Kommando Spezialkräfte) „erschüttert“ gewesen, „als ihnen Amerikaner nonchalant davon berichteten, wie sie gefangene Taliban exekutierten“.[10]
Auch für Morde britischer Spezialkräfte an afghanischen Zivilisten liegen klare Hinweise vor.[11]
Konsequenzen hatten die Willkürmorde für die westlichen Soldaten fast nie.

Verschleppung und Folter

Kaum aufgeklärt und stets straflos sind nicht zuletzt zahllose Fälle der Verschleppung Verdächtiger in Foltergefängnisse im Rahmen des „Anti-Terror-Kriegs“ seit dem Herbst 2001. Die Praxis betraf auch Afghanistan, wo Personen, die – zutreffend oder unzutreffend – jihadistischer Terroraktivitäten bezichtigt wurden, aufgegriffen, in Verliese verschleppt und dort brutal gefoltert wurden. Nach Erkenntnissen des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) kann bei mindestens 54 Personen klar aufgezeigt werden, dass Angehörige der US-Streitkräfte in Afghanistan sie folterten, misshandelten sowie sexualisierte Gewalt an ihnen verübten. Dieselben Verbrechen an 24 Personen lassen sich dem IStGH zufolge auch CIA-Mitarbeitern nachweisen.[12]
Zumindest in einige der Fälle ist die Bundesrepublik involviert: Deutsche Stellen lieferten den USA nicht nur Informationen, die zur Verschleppung und Festsetzung auch deutscher Staatsbürger führten; Mitarbeiter mehrerer deutscher Geheimdienste (Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutz) wie auch Polizeibehörden (Bundeskriminalamt) verhörten Verschleppte in afghanischen Folterkerkern, darunter Khaled el-Masri aus Ulm [13] und Ahmad S. aus Hamburg [14].
Berichte von Murat Kurnaz aus Bremen, er sei in einem US-Lager in Kandahar nicht nur festgehalten und gefoltert, sondern auch von KSK-Soldaten geschlagen worden, wiesen die Bundeswehr und die Bundesregierung zurück. Neutralere Zeugen bestätigten Kurnaz‘ Version.[15]

Quellen

[1] Jason Burke: ‚Up to 80 civilians dead‘ after US air strikes in Afghanistan. theguardian.com 01.07.2007.

[2] UNAMA Special Report: Airstrikes on alleged drug-processing facilities. Farah, 5 May 2019. Kabul, October 2019. unama.unmissions.org.

[3] S. dazu Die Bomben von Kunduz. https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/4637/

[4] Sönke Neitzel: Deutsche Krieger. Vom Kaiserreich zur Berliner Republik – eine Militärgeschichte. Berlin 2020. S. 547.

[5] Strikes in Afghanistan. thebureauinvestigates.com.

[6] Jeremy Scahill: The Assassination Complex. theintercept.com 15.10.2015.

[7] Chip Gibbons: Daniel Hale Went to Prison for Telling the Truth About US Drone Warfare. jacobinmag.com 05.08.2021.

[8] S. dazu Zur Tötung vorgeschlagen. https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/6517/

[9] Matthew Doran: Afghanistan war crimes report released by Defence Chief Angus Campbell includes evidence of 39 murders by special forces. abc.net.au 19.11.2020. S. dazu Bilanz von 18 Jahren. https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8449/

[10] Sönke Neitzel: Deutsche Krieger. Vom Kaiserreich zur Berliner Republik – eine Militärgeschichte. Berlin 2020. S. 547.

[11] Panorama Investigation: War crimes scandal exposed. bbc.co.uk 17.11.2019.

[12] Situation in Afghanistan. Summary of the Prosecutor’s Request for authorisation of an investigation pursuant to article 15. International Criminal Court. 20 November 2017.

[13] S. dazu Wer ist „Sam“, der deutsche Foltergesandte? https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/2733/

[14] Hans Leyendecker: „Hochkonkret“ oder „abstrakt“? sueddeutsche.de 01.11.2010.

[15] Brite bestätigt: KSK misshandelte Kurnaz. tagesspiegel.de 24.01.2008.

Mordsspektakel – Mörder und Kriegsverbrecher wurden gefeiert – Wir feiern Tag der Bundeswehr-Abschaffung

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Ein Kommentar in der jungen Welt: https://www.jungewelt.de/2015/06-13/017.php

Die deutschen Streitkräfte begehen ihren »Tag der Bundeswehr« und wollen sich dabei »aktiv, attraktiv, anders« präsentieren.

Doch die betriebene Traditionspflege verweist auf Kontinuitäten

Von Peer Heinelt

Ja, und unsere DFG-VK Nordschwaben war auch in Laupheim präsent:

Folgt man den offiziellen Verlautbarungen der deutschen Streitkräfte, dann herrscht bei der Truppe zur Zeit außerordentlich gute Stimmung:
Am 13. Juni findet erstmals in der Geschichte der BRD ein nationaler »Tag der Bundeswehr« statt – ein Event, so heißt es, auf das man 60 Jahre lang habe »warten« müssen:
»Von Flensburg im hohen Norden bis Bischofswiesen im tiefen Süden Deutschlands, von Nörvenich im Westen bis Storkow im Osten der Republik öffnen an diesem Tag die Standorte ihre Kasernentore und locken Besucher mit einem attraktiven Erlebnisprogramm.«
Für Bonn, Wilhelmshaven und Koblenz hat man sich nach eigenem Bekunden sogar eine »Besonderheit« einfallen lassen; hier erwartet das deutsche Militär die an Kriegsgerät und -propaganda interessierten Bürger auf dem jeweiligen Rathausplatz – gleichsam »direkt im Herzen der Stadt«.

nein zur nato ddr1957

Der an insgesamt 15 Truppenstandorten zelebrierte »Tag der Bundeswehr« ist integraler Bestandteil der von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) unlängst gestarteten PR-Offensive »Bundeswehr in Führung – Aktiv. Attraktiv. Anders«. Das erklärte Ziel besteht darin, die Truppe in der Öffentlichkeit als einen der »attraktivsten Arbeitgeber« Deutschlands erscheinen zu lassen und die »Verankerung« des Militärs in der Gesellschaft zu festigen.
Die Anwerbung von Nachwuchs für die sich nur mehr aus Söldnern rekrutierende Interventionsarmee nimmt denn auch einen oberen Platz auf der Agenda des »Tages der Bundeswehr« ein: Wo immer die Truppe am 13. Juni in Erscheinung tritt, werden ihre für die Propaganda unter Heranwachsenden zuständigen »Jugendoffiziere« und »Karriereberater« mit von der Partie sein.

Dabei wollen die Organisatoren offenbar einmal mehr die Technikbegeisterung und Abenteuerlust Jugendlicher für die Personalwerbung instrumentalisieren.
So sind im bayerischen Manching »Flugvorführungen« geplant, bei denen Besucher Kampfjets und -hubschrauber »in Aktion erleben« können.
Die Marine wirbt mit der Besichtigung von Kriegsschiffen, während das Heer nach eigenem Bekunden das »Aufgabenspektrum der Gebirgsjäger und die unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten seiner Panzer« demonstrieren will: »Ob Kampfpanzer Leopard, Schützenpanzer Marder oder Brückenlegepanzer Biber – die Stahlkolosse beeindrucken Besucher regelmäßig mit ihrem Fähigkeitsspektrum.«
Im hessischen Fritzlar, wo Teile der auf Kommandooperationen und Aufstandsbekämpfung spezialisierten »Division Schnelle Kräfte« stationiert sind, sollten Interessierte gar in den Genuss von »Nahkampfvorführungen« kommen. Bei jeder dieser Gelegenheiten könne der heiß begehrte Nachwuchs »Soldaten und Zivilbeschäftigten nicht nur über die Schulter schauen«, sondern direkt mit diesen »ins Gespräch kommen«, heißt es.

Gemäß der Vorgabe des Verteidigungsministeriums, den »Tag der Bundeswehr« für die »Verankerung« des Militärs in der Gesellschaft zu nutzen, legen die Veranstalter besonderen Wert auf »zivil-militärische Zusammenarbeit«. Wie die Truppe erklärt, seien »zivile Partner« in großer Zahl »vor Ort mit im Boot«: »Ob Städte, Gemeinden oder Landkreise, ob Vereine, Verbände oder Reservisten – sie alle organisieren die regionale Ausplanung dieses besonderen Tages Seite an Seite.«
Allein in Fritzlar können sich die deutschen Streitkräfte der Lokalpresse zufolge auf bis zu 1.000 »externe Helfer« stützen. Das »Landeskommando Niedersachsen« der Bundeswehr wiederum will nach eigenem Bekunden seine Einbindung in soziale Strukturen unter Beweis stellen, indem es sich als Teil des aus Polizei, Feuerwehr, Technischem Hilfswerk und Rettungsdiensten bestehenden »Territoriale(n) Netzwerk(s) für den Katastrophenfall« präsentiert.
Dass die auf Landes-, Bezirks- und Kreisebene installierten »Verbindungskommandos« der deutschen Armee und die hier tätigen Reservisten nicht nur für die Bewältigung von Unglücken, sondern auch für die Bekämpfung »innerer Unruhen« zuständig sind, wird nicht gesagt (siehe jW-Thema v. 3.4.2013).

Würdigung der Kriegsverbrecher

Während die Truppe ihre Funktion eines staatlichen Repressionsinstruments offensiv negiert, kündigt sie an, sich beim »Tag der Bundeswehr« so »richtig ins Zeug (zu) legen«, wenn es darum geht, aus Anlass ihres 60jährigen Bestehens »zeitgemäß, ansprechend und emotional« über die »eigene Geschichte« aufzuklären.
Wie das aussieht, hat das Verteidigungsministerium schon einmal auf seiner Webseite vorgemacht: Die hier porträtierten ersten Generalinspekteure der Armee erscheinen allesamt als verdienstvolle Veteranen des Zweiten Weltkriegs. So heißt es etwa über Friedrich Foertsch, der von 1961 bis 1963 das Amt des ranghöchsten Offiziers der Bundeswehr bekleidete, er habe im Frühjahr 1945 eine »Schlüsselrolle« bei den »verlustreichen Kämpfen« zwischen Naziwehrmacht und Roter Armee in der lettischen Region »Kurland« gespielt: »Er weigerte sich, seine Privilegien gegenüber den ›einfachen‹ Soldaten wahrzunehmen, um aus dem Kurland-Kessel ausgeflogen zu werden, und geriet so im Mai 1945 in sowjetische Kriegsgefangenschaft.« Gänzlich unerwähnt bleibt, dass es sich bei Foertsch um einen verurteilten Kriegsverbrecher handelt: Der Generalstäbler sorgte maßgeblich für die Aufrechterhaltung der von der Wehrmacht über die sowjetische Metropole Leningrad verhängten Hungerblockade, die geschichtswissenschaftlichen Untersuchungen zufolge mehr als eine Million Menschen das Leben kostete. Vor dem sowjetischen Militärtribunal, das ihn der Beteiligung an diesem Menschheitsverbrechen überführte, verteidigte er sich mit folgenden Worten: »Ich gebe zu, die erwähnten Befehle (wie: Artilleriefeuer auf Leningrad) gegeben zu haben, bekenne mich aber nicht schuldig, denn die von mir erteilten Befehle waren notwendig, um den Krieg gegen die Sowjetunion zu führen.«

Ähnlich verhält es sich bei Heinz Trettner, der von 1964 bis 1966 als Generalinspekteur der Bundeswehr fungierte und deshalb vom Verteidigungsministerium mit einem Porträt gewürdigt wird. 1937 gehörte Trettner als Staffelkapitän zur »Legion Condor« der Naziluftwaffe, die während des spanischen Bürgerkriegs im Auftrag des faschistischen Putschistengenerals Francisco Franco die baskische Kleinstadt Guernica zerstörte. 1940 erstellte Trettner, jetzt im Rang eines Generalstabsoffiziers der 7. deutschen Fliegerdivision, die Pläne für die Bombardierung der Stadt Rotterdam in den neutralen Niederlanden. Von ihm stammte eine entsprechende Karte, in der alle Ziele verzeichnet waren, die durch »Bombenteppiche vernichtet werden sollten«. 1944 schließlich befehligte Trettner die in Norditalien eingesetzte 4. Fallschirmjägerdivision der Wehrmacht. Auf ihrem Rückzug hinterließ die Truppe eine »tote Zone« zerstörter Städte und Dörfer. Einem Augenzeugen zufolge hatte sie bei der italienischen Zivilbevölkerung »einen noch schlimmeren Ruf als die SS«.
Dem Bundesverteidigungsministerium sind die von Trettner begangenen Kriegsverbrechen keine Erwähnung wert – hier lobt man lieber seine »Standhaftigkeit im Dienst«.

Im Vorfeld des »Tages der Bundeswehr« und der offiziellen Feierlichkeiten zum 60jährigen Bestehen der Truppe huldigen auch die deutschen Landstreitkräfte ihren ehemaligen Inspekteuren. Hans Röttiger etwa, der das Amt von 1956 bis 1960 bekleidete, wird attestiert, er habe »entscheidenden Anteil am Aufbau des neuen deutschen Heeres« gehabt.
Kein Wort fällt indes darüber, dass Röttiger, beginnend mit dem »Anschluss« Österreichs an Deutschland und der Annexion des tschechoslowakischen »Sudetenlandes« 1938, an nahezu allen Aggressionshandlungen des Naziregimes maßgeblich beteiligt war. Im Zusammenhang mit dem deutschen Überfall auf Jugoslawien 1941 bescheinigte ihm sein Vorgesetzter, Panzergeneral Hans-Georg Reinhardt, sogar »überdurchschnittliche Leistungen«. Über seine anschließende Tätigkeit in der Sowjetunion und das deutsche Vorgehen gegen dort operierende Partisaneneinheiten schrieb Röttiger rückblickend, dass »die Bandenbekämpfung, die wir führten, im Endziel den Zweck hatte, den militärischen Bandenkampf des Heeres dazu auszunutzen, um die rücksichtslose Liquidierung des Judentums und anderer unerwünschter Elemente zu ermöglichen«.
1944 avancierte Röttiger zum Chef des Generalstabs der Heeresgruppe C in Italien unter Feldmarschall Albert Kesselring, der unter anderem 335 Geiseln in den Fosse Ardeatine in Rom erschießen ließ. Hierfür verurteilte ihn ein britisches Militärgericht 1947 zum Tode; das Urteil wurde jedoch nicht vollstreckt. Statt dessen musste sich Kesselring Ende 1951 vor dem Landgericht München für seine Untaten verantworten – wobei er von seinem ehemaligen Generalstabschef massiv verteidigt wurde. Wörtlich erklärte Röttiger, dass die zur Verhandlung stehenden »Übergriffe« Kesselrings ausschließlich »der bekanntlich sehr erfinderischen Phantasie der italienischen Bevölkerung entsprungen« seien.

Analog zu Röttiger ehrt das Heer auf seiner Webseite auch seinen von 1968 bis 1971 amtierenden Inspekteur Albert Schnez mit einem Porträt. Während unterschlagen wird, dass Schnez wie sein Vorgänger 1941 maßgeblich am deutschen Überfall auf die Sowjetunion beteiligt war, findet eine von ihm Ende 1969 in Auftrag gegebene Studie lobende Erwähnung: Der Text unter dem Titel »Gedanken zur Verbesserung der inneren Ordnung des Heeres« sei »intensiv und kontrovers diskutiert« worden, heißt es.
Man könnte noch einen Schritt weiter gehen und die sogenannte Schnez-Studie als geradezu vorbildlich charakterisieren – wirkt sie doch wie eine Blaupause für die aktuellen Planungen zum »Tag der Bundeswehr« und für die von Verteidigungsministerin von der Leyen verkündete »Attraktivitätsoffensive«. So wird hier unter anderem gefordert, die »Vielfalt, Verantwortung sowie die Verwendungsbreite von Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften« in den Mittelpunkt der medialen Berichterstattung zu stellen und die »Soldatenlaufbahn« so zu gestalten, dass sie »mit ihrer Attraktivität und den durch sie gegebenen Entwicklungsmöglichkeiten in der Gesellschaft konkurrenzfähig« ist.

Auch ansonsten erweist sich die »Schnez-Studie« als überaus anschlussfähig an aktuelle Diskussionen innerhalb der Truppe. Erst im vergangenen Jahr haben Studierende und Absolventen der Bundeswehruniversitäten in Hamburg und München unter dem Titel »Armee im Aufbruch« einen Sammelband vorgelegt, dessen Beiträge direkt der Gedankenwelt des vormaligen Heeresinspekteurs entsprungen sein könnten. So verlangt die »Schnez-Studie« etwa die »Erziehung« des Soldaten zum »psychisch und physisch harten Kämpfer«, der bereit ist, »in jeder Lage eines möglichen Krieges« die von der militärischen Führung geforderten »Opfer zu bringen«.
Passend dazu favorisiert Leutnant Jan-Philipp Birkhoff in »Armee im Aufbruch« den »professionellen« Offizier, der die »Natur des Krieges« zu seiner einzigen »Leitlinie« macht und sich nicht an »sozialer Akzeptanz« orientiert, sondern an dem »brutal einfachen Satz der Effektivität«. Weiter heißt es bei Birkhoff: »Während in der Zivilgesellschaft Diskurs und politische Differenzen die demokratische Kultur bereichern, wirken sie als Charakterzug eines militärischen Führers wie lähmendes Gift.«
Bemängelte Schnez den »unklaren Pazifismus« der BRD-Bevölkerung und das »fehlende Staatsbewusstsein in der Jugend«, attackiert Birkhoff wortgewaltig die »postheroische Gesellschaft«, die »das Streben nach Ehre durch eine hohe Opferbereitschaft« nicht mehr akzeptiert:
»Wo frühe[r??] Vorgänger der bundesdeutschen Gesellschaft die Verehrung des Opfers im Namen des Vaterlandes … als zentrale Quelle sozialen Zusammenhalts praktizierten, ist heutzutage eine sehr misstrauische Haltung gegenüber jedem kriegerischen Altruismus zu beobachten.«

»Tapferkeit« und »Entschlusskraft«

Was dabei herauskommt, wenn sich die angehenden »militärischen Führer« der Bundeswehr der Geschichtsschreibung annehmen, lässt sich gleichfalls in »Armee im Aufbruch« nachlesen. So untersuchen die Leutnants Felix Schuck und Thorben Mayer in einem Aufsatz das Vorgehen des deutschen Heeres bei den mit äußerster Grausamkeit geführten Grabenkämpfen des Ersten Weltkriegs auf »Innovationen auf der taktischen Ebene«.
Die beiden Studenten der Politikwissenschaft von der Bundeswehruniversität Hamburg werden schnell fündig: Der Einsatz kleiner, selbständig operierender »Sturm-« respektive »Stoßtrupps«, die mit Flammenwerfern und leichten Maschinengewehren bewaffnet waren, sei ein militärischer »Quantensprung« gewesen. Sie loben die deutsche Heeresleitung sowohl für ihre Taktik, die besagten Einheiten bei Angriffen auf feindliche Stellungen einer durch Artilleriebeschuss erzeugten »Feuerwalze« folgen zu lassen, wie auch für die »Einführung der ersten Maschinenpistole, der als ›Grabenfeger‹ bekannt gewordenen Bergmann MP 18«.
Damit einhergehend habe die deutsche Militärführung den »Verantwortungsbereich von Mannschaften und Unteroffizieren stetig erweitert« – eine Maxime, die »auch heute noch« in den »Einsatzgebieten« der Bundeswehr zum Tragen komme.

Daran anschließend plädieren Schuck und Mayer für ein »dezidiert militärisches Gedenken« in bezug auf die deutschen Gefallenen des Ersten Weltkriegs.
Würden diese bisher im »postheroischen« Sinne zu »Opfer(n) des imperialistischen Größenwahns stilisiert«, sei es nun an der Zeit, die von ihnen verkörperten »militärische(n) Grundtugenden« wie »Tapferkeit«, »Entschlusskraft«, »Selbstlosigkeit«, »Leistung« und »Opferbereitschaft« explizit zu würdigen, heißt es.

Bei der deutschen Kriegsmarine dürften die beiden Autoren mit solchen Aussagen das sprichwörtliche offene Scheunentor einrennen, pflegte man doch schon im Vorfeld des »Tages der Bundeswehr« ein entsprechendes Geschichtsbild. So beschreibt die Truppe auf ihrer Webseite den U-Boot-Kommandanten Otto Weddigen als »exzellente(n) Taktiker und Menschenführer, der trotz seiner Erfolge und Ehrungen stets bescheiden blieb«. Über den Kapitänleutnant und das von ihm befehligte U-Boot »U9« heißt es wörtlich: »Am 22.09.1914 versenkte U9 50 Seemeilen nördlich von Hoek van Holland drei englische Panzerkreuzer …, ohne selbst beschossen zu werden. Dabei starben circa 1.600 Menschen. Für diesen Erfolg und die taktische Meisterleistung erhielt Weddigen das Eiserne Kreuz 1. und 2. Klasse.« Zu den weiteren »beachtliche(n) Erfolge(n)« Weddigens während des Ersten Weltkriegs zählt die Bundesmarine explizit auch die »Versenkung von mehreren Handelsdampfern zwischen 2.500 Tonnen und 4.000 Tonnen«.
Dafür, dass der Angriff auf zivile Schiffe zweifelsfrei den Tatbestand eines Kriegsverbrechens erfüllt, interessieren sich die deutschen Streitkräfte im sechzigsten Jahr ihres Bestehens offenbar ebenso wenig wie für die Opfer des deutschen Imperialismus.

Folgerichtig ehrt die Bundeswehr die von Kaiserreich und Naziregime zu »Helden« verklärten Spitzenmilitärs des Ersten Weltkriegs auch in Form von Kasernennamen.
International renommierte Historiker haben hiergegen erst im vergangenen Jahr bei Verteidigungsministerin von der Leyen protestiert. In einem öffentlichen Aufruf forderten sie ultimativ, mit dem »Militarismus in der Traditionspflege« der deutschen Streitkräfte zu brechen und »endlich geplättete Geschichtsbilder, verklärende Heldenmythen und falsche Traditionen zu tilgen«.

Kritisiert wird unter anderem die Wahl des Namenspatrons der in Hannover beheimateten »Schule für Feldjäger und Stabsdienst«, wo von der Leyen am »Tag der Bundeswehr« ihre zentrale Festrede halten soll. Benannt ist die zugehörige Liegenschaft nach Otto von Emmich. Der General der wilhelminischen Armee war maßgeblich am völkerrechtswidrigen Überfall Deutschlands auf das neutrale Belgien Anfang August 1914 beteiligt und wurde nach der äußerst brutalen Eroberung der belgischen Festung Liège von der deutschen Kriegspropaganda als »Sieger von Lüttich« bejubelt. Bei ihrem anschließenden Vormarsch in Belgien begingen deutsche Einheiten zahlreiche Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung; unter dem Vorwand, »Franc-tireurs« (Freischärler) zu bekämpfen, ermordeten sie insgesamt mehr als 5.000 Menschen.
Dem erwähnten Historikeraufruf zufolge trug Emmich »als Kommandierender General des X. Armeekorps eine truppendienstliche Verantwortung für jene Kriegsgräuel«.

Verzerrte Selbstdarstellung

Aber nicht nur ihre militaristische Kontinuität wird die Bundeswehr am 13. Juni zelebrieren, sondern auch ihr Selbstverständnis als »Armee der Einheit«.
Zur Erläuterung zitiert die Truppe auf ihrer Webseite den vormaligen Verteidigungsminister Peter Struck (SPD): »Die Bundeswehr hat seit dem 3. Oktober 1990 gezeigt, was erreichbar ist, wenn Deutsche aus Ost und West aufeinander zugehen und sich mit Tatkraft einer gemeinsamen Aufgabe stellen. Sie ist damit bei der Verwirklichung der inneren Einheit Deutschlands von Anfang an ein Vorbild und Vorreiter gewesen.«
Die Äußerung spricht der Realität Hohn: Die allermeisten Angehörigen der Nationalen Volksarmee der DDR (NVA) hängten nach dem Anschluss ihres Landes an die BRD die Uniform an den Nagel, waren sie doch nicht bereit, fortan in einer von Nazioffizieren aufgebauten Armee zu dienen. Vielen von ihnen dürfte außerdem bewusst gewesen sein, dass die Bundeswehr ihre Gründung nur einer von der westdeutschen Bevölkerung mehrheitlich abgelehnten Remilitarisierungspolitik verdankte, deren Protagonisten nicht vor der Anwendung brutalster Methoden zurückschreckten: Zahlreiche Antimilitaristen brachte ihre Überzeugung teilweise für viele Jahre ins Gefängnis; wer öffentlich gegen die »Wiederbewaffnung« demonstrierte, lief Gefahr, von der Polizei hinterrücks erschossen zu werden – das Schicksal des Jungkommunisten Philipp Müller legt hierüber beredtes Zeugnis ab.

Wie deutlich geworden sein dürfte, zeichnet sich die Selbstdarstellung der Bundeswehr durch ein hohes Maß an Geschichtsklitterung aus, was sich nicht zuletzt in der regelmäßig wiederholten wahrheitswidrigen Behauptung niederschlägt, die Gründergeneration der Truppe habe »keine NS-Vergangenheit« gehabt.
Aber auch in puncto Zynismus macht der »Armee der Einheit« so schnell keiner etwas vor. Über die von der NVA übernommenen Waffensysteme etwa heißt es, sie seien teilweise verkauft oder »humanitären Zwecken« zugeführt worden.
Man kann es auch Beihilfe zum Massenmord nennen: 300 Schützenpanzer, mehr als 250.000 Kalaschnikows, 5.000 Maschinengewehre, 100.000 Panzerfäuste und rund 445 Millionen Schuss Munition aus DDR-Beständen überließ die Bundesregierung Anfang der 1990er Jahre der Türkei. Das Kriegsgerät kam nachweislich bei Operationen der türkischen Armee gegen die kurdische Zivilbevölkerung zum Einsatz.

Zu diesem Zeitpunkt war die »Armee der Einheit« bereits auf dem Weg zur »Armee im Einsatz«, wie sich die Bundeswehr heutzutage gerne euphemistisch nennt. Nur zwei Jahre nach dem Anschluss der DDR an die BRD hatte der seinerzeitige Bundesverteidigungsminister Volker Rühe (CDU) in seinen »Verteidigungspolitischen Richtlinien« erklärt, ie Truppe diene der »Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt«.

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Nach diesem Bekenntnis zum Imperialismus ließen Kriege und Kriegsverbrechen nicht mehr lange auf sich warten – 1999 beteiligte sich die Bundeswehr an der Bombardierung der jugoslawischen Zivilbevölkerung, 2009 ordnete der damalige deutsche Oberst Georg Klein im afghanischen Kunduz ein Massaker an Zivilisten an.
Wer am 13. Juni feierte, feierte Mörder.

Jochen