Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN
Kommentar zum Herumeiern der Sozialdemokratie in der Regierung – was Gabriel bei TTIP, macht Nahles beim Mindestlohn:
https://www.jungewelt.de/ansichten/nahles-umgepustet
»Wir halten Wort«, hatte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) bei Verabschiedung des Mindestlohngesetzes im Bundestag erklärt und behauptet: »Branchenausnahmen vom Mindestlohn wird es nicht geben.«
Das stimmte schon damals nicht. Jetzt soll es noch schlimmer werden.
Neben der zu geringen Höhe sind die weitreichenden Ausnahmen ein entscheidender Geburtsfehler der zum Jahreswechsel in Kraft tretenden Lohnuntergrenze.
Azubis und Jugendliche unter 18 Jahren sind komplett ausgenommen, Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten einer neuen Beschäftigung.
Und im Zeitungsvertrieb besteht – ebenso wie in der Saisonarbeit – eine branchenbezogene Diskriminierung: Zusteller haben 2015 nur Anspruch auf 75 Prozent des ohnehin mickrigen Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde. Erst 2018 sollen sie mit anderen Niedriglöhnern gleichgestellt werden.
Zu verdanken haben dies die rund 300.000 Zeitungsboten der mächtigen Verlegerlobby. »Lex Springer« hatte der Linke-Fraktionsvize Klaus Ernst die Regelung deshalb getauft. Doch im Prozess der Gesetzgebung ist den Lobbyisten offenbar etwas durchgerutscht: Im Gesetzestext sind nur diejenigen Zeitungsboten vom vollen Mindestlohn ausgenommen, die »ausschließlich periodische Zeitungen und Zeitschriften« austragen. Das sind allerdings die wenigsten. Zumeist stecken sie neben Tageszeitungen auch noch Werbematerial und Briefe in die Postkästen.
Ver.di hat deshalb darauf hingewiesen, dass fast allen Zustellern das Minimum von 8,50 Euro pro Stunde zusteht – und ihren Mitgliedern zur Durchsetzung dieses Anspruchs gewerkschaftlichen Rechtsschutz angeboten.
Darauf haben die Verlagskonzerne offenbar reagiert. Wie der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, soll die Regelung nach dem Willen der Regierungsfraktionen nun doch für alle Zusteller gelten.
Wenn jetzt tatsächlich ein bereits verabschiedetes Gesetz auf Druck der Verlage noch einmal aufgeschnürt wird, macht das einiges deutlich: zum einen, dass es mit der neuen Beschäftigten- und Gewerkschaftsnähe der Sozialdemokraten nicht allzu weit her ist. Ein bisschen Gegenwind von Kapitalseite pustet Nahles und Co. schnell um.
Zum anderen zeigt sich, wer in dieser Republik das Sagen hat. Die politischen Eliten sind abhängig von der veröffentlichten Meinung einer Medienbranche, die von wenigen, oligopolistisch agierenden Großkonzernen dominiert ist. Im Konflikt mit Springer, Holtzbrinck und Co. macht das politische Establishment schnell einen Rückzieher.
Der Vorgang dokumentiert nicht nur die Halbherzigkeit »schwarz-roter« Reformpolitik. Er zeigt auch, dass sich der Wind gedreht hat.
Die Wohlfühlphase der großen Koalition neigt sich ihrem Ende zu.
Statt sozialer Reförmchen ist ein Abbau von Gewerkschaftsrechten angesagt – siehe Gesetz zur »Tarifeinheit«.
Die Beschäftigten und ihre Organisationen müssen sich wieder auf härtere Zeiten einstellen.
Meine Frage: Hatten die „harten Zeiten“ seit der Agenda 2010 etwa irgendwann mal mit milden Zeiten gewechselt ?
Jochen