Zwangsimpfung von Juden – „gute deutsche“ Tradition?

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Das ist skandalös. Das Vorgehen des Gerichts und der Gutachter erinnert an den Fall Mollath, siehe
https://josopon.wordpress.com/2023/01/13/erinnerungen-anden-fall-mollath-vom-mai-2013-das-ganz-profane-bose-einer-kalt-lachelnden-burokratie/.
Die Institutionen stehen in den südlichen Bundesländern, der ehemaligen(?) US-Besatzungszone, immer noch in der Tradition des 3. Reiches, weil nach dessen Untergang dort am wenigsten entnazifiziert wurde und die Professsoren, Richter, Verwaltungschefs ihre alten Positionen meist wieder einnahmen.

Inna_ZhvanetskaiaDie vorläufig gute Nachricht vorab: die fast 86-jährige ukrainische Jüdin Inna Zhvanetskaya, die als Kind den Holocaust überlebt hat, wurde von Aktivisten an einen sicheren Ort gebracht und konnte daher bis jetzt nicht zwangsgeimpft werden.
Siehe dazu die Aktualisierung weiter unten !
Alles andere, was man über diesen Fall berichten kann bzw. muss, ist schlimm, denn es zeigt sich, im Land der Shoah haben Nachgeborene der Täter wenig bis gar nichts gelernt.

Ein Meinungsbeitrag von Andrea Drescher.
https://apolut.net/zwangsimpfung-von-juden-gute-deutsche-tradition/

Rechtsanwalt Holger Fischer brachte den Fall ins Rollen. Er berichtet in seinem Telegram-Kanal über den Fall, kontaktierte Mascha Orel, einer Mitgründerin von We for Humanity, die wiederum mit Report24 Kontakt aufnahm.
Zunächst bat Report24 am Sonntag, dem 8.1.23, das Gericht um eine Stellungnahme. Diese kam am Montag und konstatierte trocken-sachlich auf welcher Grundlage die freiheitsentziehenden Maßnahmen sowie die medizinische Zwangsbehandlung verordnet wurden und dass eine Beschwerde anhängig sei (die von Rechtsanwalt Fischer).
Am 10.1. ging Report24 mit einem Bericht und einem Video an die Öffentlichkeit. We for Humanity kontaktierte ebenfalls das Gericht mit einem Appell.
Am gleichen Tag teilten die Mitarbeiter des Pflegedienstes lapidar mit, Frau Zhvanetskaya müsse die Arbeitseinsätze final unterzeichnen, es werden keine weiteren benötigt, da Frau Zhvanetskaya am nächsten Tag abgeholt werde. Die Betreuerin werde dabei sein.

Zahlreiche bekannte Aktivisten und Anwälte griffen das auf und setzten eine Welle der Solidarität in Gang.
Denn eines ist klar: nur eine breite Öffentlichkeit kann die alte Dame, die in Stuttgart lebt, vor einer Zwangs-Psychiatrierung und einer Zwangs-Impfung in Deutschland schützen.

Der Fall

Laut Urteil der Richterin Dr. Luipold am Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt wurde die Unterbringung der Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bzw. einer geschlossenen Abteilung einer Pflegeeinrichtung durch die Betreuerin bis längstens 5.12.24 genehmigt.
Gleichzeitig wurden zwei Impfungen gegen Covid-19 (Corona) zur Grundimmunisierung als ärztliche Zwangsmaßnahme jeweils nach internistischer Prüfung der Impffähigkeit bis längstens 16.1.23 mit Einwilligung der Betreuerin genehmigt.

Im Urteil wird weiter aufgeführt, dass die Durchführung der Impfung gegen Covid-19 gegen den Willen der Betroffenen im Rahmen der Unterbringung zum Wohle der Betroffenen erforderlich sei, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden von ihr abzuwenden.

Inna Zhvanetskaya hatte sich nicht von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme überzeugen lassen, im Gegenteil. Sie lehnt die Impfung strikt ab.
Darum befand die Richterin, dass der erhebliche gesundheitliche Schaden durch keine andere der Betroffenen zumutbare Maßnahme abgewendet werden kann, da der zu erwartende Nutzen der ärztlichen Maßnahme die zu erwartenden Beeinträchtigungen der Betroffenen erheblich überwiegen würde.

Breite Welle der Solidarität

Im Kanal von Holger Fischer konnte man lesen:

“Bei mir fing das Jahr u. a. mit einem Hilferuf aus Baden-Württemberg an: Ein Betreuungsgericht hat auf Antrag der Betreuerin die zweijährige geschlossene Unterbringung einer alten Dame genehmigt, was der zwangsweisen Behandlung in einer Klinik für Psychiatrie und im Anschluss daran die Aufnahme im beschützten Bereich eines Pflegeheims bedeutet. Ohne erst den Erfolg der Krankenhausbehandlung abzuwarten und etwa dann den Fall unter Einholung eines neuen Gutachtens bezüglich des weiteren Unterbringungsbedarfs neu zu entscheiden, wird hier sogleich über die Zukunft dieser gar nicht so unselbständigen Frau entschieden.

Dies allein ist unverhältnismäßig. Nebenbei wird vom Gericht ausdrücklich sogleich die zwangsweise Impfung gegen Covid-19 genehmigt.

Während eine Zwangsmedikation mit Psychopharmaka nur ultima ratio sein darf, dementsprechend nicht schon im Beschluss enthalten ist, entscheidet hier ein Gericht, dass die Betroffene ohne Zögern, also möglicherweise noch direkt nach ihrer Verbringung mittels polizeilichem Zwang in die psychiatrische Klinik, unter Anwendung von Gewalt ihre Covid-Injektion erhält.

Alles zum Wohle der Betroffenen gemäß Paragraph 1906 Abs. 1 Ziffer 2 BGB, wonach eine Unterbringung gegen den Willen eines Betroffenen nur zulässig ist, weil „zur Abwendung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, die Maßnahme ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.“

Da der Beschluss sofort vollziehbar ist, wartet sie nun täglich darauf, dass sie von der Betreuungsbehörde, die der Betreuerin bei Ausführung des Beschlusses Amtshilfe leistet, die wiederum zur Anwendung von Zwangsmaßnahmen die Polizei hinzuziehen wird, aus ihrer Wohnung abgeführt, in die Psychiatrie transportiert und dort zwangsgeimpft wird. Die Betroffene ist vor Beginn des Zweiten Weltkriegs geboren und jüdischer Herkunft.”

Im Kanal findet man auch die erste rechtliche Stellungnahme von ihm. Dort ist u.a. zu lesen:

“Es steht noch nicht fest, wie das Schicksal der alten Dame weitergehen wird, die heute untergebracht werden soll. Durch das Rechtsmittel der Beschwerde ist der Beschluss des Betreuungsgerichts zur langfristigen Unterbringung und Zwangsimpfung anfechtbar und wurde angefochten. Die Entscheidung der Beschwerdekammer des Landgerichts steht aus.”

Bodo Schiffmann griff es in seinem Kanal ebenfalls auf

Holocaustüberlebende soll morgen 11.01.2023 zweimal eine medizinische Zwangsmaßnahme erhalten: Sie soll gegen Ihre bewusste Entscheidung mit Gewalt gegen Covid-19 geimpft werden. Ferner soll sie zwangseingewiesen werden in eine psychiatrische Einrichtung. Dort soll Sie zweimal gegen COVID-19 geimpft werden.
Die Frau hat sich bewusst gegen diese Impfung entschieden und wird jetzt als Holocaustüberlebende in Deutschland einer medizinischen Zwangsmaßnahme unterzogen

und fordert seine Leser auf, die Informationen breit zu teilen, um die Dame zu schützen.

Und Beate Bahner, Fachanwältin für Medizinrecht, kommentierte:

Diese Entscheidung ist ein gigantischer Justizskandal!! Sofort vollziehbar! Morgen soll die Komponistin abgeholt werden. Dann ist sie morgen Mittag geimpft und wird darüber hinaus vermutlich mit Medikamenten ruhiggestellt. Ich bin fassungslos! Ein Betreuungsrechtsanwalt (Holger Fischer) hat bereits Beschwerde eingelegt.
Dies hindert die Justiz und Polizei jedoch nicht am Sofortvollzug dieser Skandal-Entscheidung. Dieser Fall muss an die Öffentlichkeit und an die Presse! Jeder muss aktiv werden!“

Die Gesellschaft der Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie e.V., MWGFD berichten umfassend und publizieren auch den Brief von Mascha Orel, die selbst eine in Deutschland lebende Jüdin, gebürtig in der Ukraine, ist. Sie hat das Gericht in Stuttgart in ihrem offenen Brief darum gebeten, diese Entscheidung zu überdenken. Ich sprach kurz mit ihr, um weitere Hintergründe zu erfahren:

Wie objektiv ist das Gutachten?

Nicht nur das von Report24 veröffentlichte Video belegt, dass die Diagnose lt. Gutachten in Zweifel gezogen werden kann und muss.
Mascha Orel hat mit der Betroffenen selbst gesprochen und kann nichts von dem, was im Gutachten diagnostiziert wurde, bestätigen.

Welche Erfahrungen hast Du mit Inna gemacht?
Ich habe eine Stunde mit ihr telefoniert. Es ist ein Wahnsinn. Ich wollte mich davon überzeugen, wie ihr Zustand ist.
Sie ist vulnerabel, verängstigt und lebt in diesem Zustand seit etwa 2 Jahren, da ihre gesetzliche Betreuerin anscheinend mehrmals versucht hat, sie einzuweisen.
Das Damoklesschwert der Einweisung schwebt schon lange über ihrem Kopf. Sie hat einen unmissverständlichen Vergleich gezogen: „Es ist wie damals, als Papa an der Front war und Mama mit mir und meinem Bruder fliehen musste.“

Warum wird sie als behandlungsbedürftig dargestellt?
Wie viele Künstler ist Inna introvertiert und wirkt außerhalb ihrer Kunst „nicht von dieser Welt“.
Aber welcher hochbegabte Künstler ist im herkömmlichen Sinne ganz normal? Ein Beispiel: Um sich beim Report24-Reporter für das Engagement zu bedanken – der Journalist hat sich ja wirklich mit Herzen engagiert – hat sie sich mit einem Musikstück bedankt, dass sie vorgesungen hat.
Ist das normal? Nicht in unserer Welt vermutlich. Muss sie deshalb in die Psychiatrie? Ich glaube nicht. Sie ist eine begnadete Komponistin, deren Musik auf den großen Bühnen der Welt gespielt wurde.
Wenn sie Defizite hat, dann soviel: Sie hat sich nicht ganz damit abfinden können, dass ihre Musik keinen Zuspruch mehr findet. Aber das macht sie auch zu einem sehr einfachen „Pflegefall“. Man muss sie nur auf ihre Kompositionen ansprechen. Dann blüht sie auf, ist glücklich.
Sie braucht nicht viel. Ja, sie braucht Medikamente, aber ich behaupte von der Art wie die meisten Menschen in ihrem Alter.

Warum wurde die Psychiatrierung vorangetrieben?
Inna hat eine gute Seele um sich, eine Frau, die aus christlicher Nächstenliebe für sie da ist. Die Frau hat einen scharfen Verstand. Sie hat mir erzählt, dass vor ca. zwei Monaten der Pflegedienst den Auftrag bekommen habe, sie zu waschen und anzukleiden. Das konnte sie selbst, sie war immer gepflegt. Warum wurde das gemacht?
Dann kam wohl als nächste Anweisung von Betreuerin, man müsse die Medikamentenannahme kontrollieren. Das sind zwei K.O.-Kriterien – wer nicht auf sich achtet und sich weigert Medikamente zu nehmen, ist betreuungswürdig.
Aber beides stimmt eben nicht, so die Vertraute von Inna Zhvanetskaya. Ihr Vater war Arzt und Pharmakologe, sie achtet sehr genau auf Nebenwirkungen und Ablaufdaten von Medikamenten.
Ihr Vater hat ihr wohl auch beigebracht, Nutzen und Risiken abzuwägen, sie hat einen sehr bewussten Umgang mit dem Thema und daher wohl auch die Impfung so strikt abgelehnt. Die verschriebenen Medikamente (z.B. wegen Wasser im Bein) nimmt sie wohl.

Weißt Du, wie sie ihre Situation einschätzt?
Interaktion mit der Außenwelt außerhalb ihrer Musik fällt ihr schwer. Wenn es danach geht, müsste man alle Autisten isolieren.
Es war für sie eine große Überwindung, das Video aufzunehmen, reden ohne Klavier ist nicht das Ihre. Aber für sie geht es um ihr Leben. Sie hat um ihr Leben geredet und gespielt. Das hat mich zu Tränen berührt. So hat Report24 das auch genannt:

„Inna Zhvanetskaya spielt um ihr Leben. Und wie sie spielt!“

Der Nürnberger Kodex, das Instrument Zwangsimpfungen zu verhindern

Auch Prof. Dr. Dr. Martin Haditsch hat sich dem Unterstützerteam angeschlossen. Er nahm inzwischen mit Mascha Kontakt auf:

Ich möchte bitte bei dieser Gruppe dabei sein. Eigentlich wäre die rechtliche Situation ja einfach: es ist eine Studienmedikation in Phase 3, damit DARF es keine Zwangsmaßnahme geben; wer es trotzdem macht, verstößt gegen den Nürnberger Kodex und gehört wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angezeigt und auf Basis der vorliegenden Fakten auch verurteilt.

Was das heißt, kann man der Wikipedia entnehmen:

Der Nürnberger Kodex ist eine ethische Richtlinie zur Vorbereitung und Durchführung medizinischer, psychologischer und anderer Experimente am Menschen.
Er gehört seit seiner Formulierung in der Urteilsverkündung im Nürnberger Ärzteprozess (1946/1947) zu den medizinethischen Grundsätzen in der Medizinerausbildung, ähnlich wie das Genfer Gelöbnis. Er besagt, dass bei medizinischen Versuchen an Menschen,

„die freiwillige Zustimmung der Versuchsperson unbedingt erforderlich (ist). Das heißt, dass die betreffende Person im juristischen Sinne fähig sein muss, ihre Einwilligung zu geben; dass sie in der Lage sein muss, unbeeinflusst durch Gewalt, Betrug, List, Nötigung, Übervorteilung oder irgendeine andere Form der Überredung oder des Zwanges, von ihrem Urteilsvermögen Gebrauch zu machen; dass sie das betreffende Gebiet in seinen Einzelheiten hinreichend kennen und verstehen muss, um eine verständige und informierte Entscheidung treffen zu können“.

Anlass für den Nürnberger Kodex waren die während der Zeit des Nationalsozialismus im Namen der medizinischen Forschung begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, insbesondere „verbrecherische medizinische Experimente“ und Zwangssterilisationen.

Dass es gerade in Deutschland zu einer solchen Situation kommt, ist für mich unfassbar. Aber in einem Land, in dem die Staatsanwaltschaft gegen Holocaust-Überlebende wie Vera Sharav ein Vorermittlungsverfahren eingeleitet hat, weil sie die Corona-Impfungen unter anderem mit den Anfängen des Nationalsozialismus verglich, wundert mich inzwischen nichts mehr.

Man sollte sich die Situation vergegenwärtigen: In ihrer Jugend und jetzt im hohen Alter wird eine Jüdin von Deutschen verfolgt. Sie wird versteckt, um sich dem Freiheitsentzug und der Zwangsimpfung zu entziehen; an ihrem Wohnort hat man ein Polizeiaufgebot beobachtet, als ob es sich um einen Schwerverbrecher handeln würde. Die Wohnungstür wurde aufgebrochen. Die Aktivisten sind in Sorge, dass sie nicht unbeobachtet Arzneien zustellen und Inna so verraten können. Anne Frank lässt grüßen.

Deutschland, 2023.

Der Brief von Marina (Masha) Orel, ebenfalls Jüdin aus der Ukraine, an das Amtsgericht Bad Canstatt vom 10.1.202, gelesen von der Rechtsanwältin Beate Bahner.

+++

Andrea Drescher, Jahrgang 1961, lebt seit Jahren in Oberösterreich. Sie ist Unternehmensberaterin, Informatikerin, Selbstversorgerin, Friedensaktivistin, Schreiberling und Übersetzerin für alternative Medienprojekte sowie seit ihrer Jugend aufgrund ihrer jüdischen Wurzeln und der KZ-Historie ihrer Familie überzeugte Antifaschistin. Zuletzt erschien von ihr „Menschen mit Mut“ und „Vor der “Impfung’” waren sie gesund“.

+++

Wir danken der Autorin für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

+++

Dieser Text wurde vorab am 12.1.2023 auf den Seiten von tkp.at veröffentlicht.

Aktualisierung

aus https://report24.news/wie-geht-es-inna-zhvanetskaia-so-hetzt-der-mainstream/

Der bekannte widerständige “Querdenker-Anwalt” Holger Fischer betreut den Fall. Er schreibt dazu

Neues aus dem Fall Zhvanetskaya: Das Landgericht Stuttgart hat meinem Eilantrag im Hinlick auf die Zwangsimpfung stattgegeben und die sofortige Wirksamkeit sowie die Vollziehung des Beschlusses des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Canstatt einstweilen, also bis zur Entcheidung über die Beschwerde, ausgesetzt.

Hinsichtlich der Unterbringung wurde keine Entscheidung bezüglich der Aussetzung der sofortigen Wirksamkeit und der Vollziehung getroffen.

Heißt also: Die Betroffene darf bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens nicht zwangsgeimpft werden, kann aber weiter sofort in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werden.

Das Gericht hat sich dabei davon leiten lassen, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Beschwerde erfolgreich sein werde. Wenn die Betroffene dann schon geimpft wäre, könne das mit der Beschwerde verfolgte Ziel nicht mehr erreicht werden. Soll heißen: Eine bereits getätigte Injektion könnte nicht mehr rückgängig gemacht werden, es würde dauernder Rechtsverlust eintreten.

Dass die sofortige Wirksamkeit der Unterbringung nicht ausgesetzt und sie also vorerst weiter vollzogen werden kann, überrascht mich im Übrigen nicht: Denn an dem die Erforderlichkeit und Alternativlosigkeit der Unterbringung befürwortenden Sachverständigengutachten kommt die Beschwerdekammer zunächst nicht vorbei.

Es wird nötig sein, ein weiteres Gutachten einzuholen, diesmal mit russischsprachigem Übersetzer oder gleich einem russischsprachigen Sachverständigen. Ich habe bereits entsprechende Fachärzte genannt bekommen.

Und in der Zwischenzeit basteln wir an einem Konzept, wie die Betroffene adäquat in ihrer Wohnung versorgt werden kann und legen es dem Gericht auf den Tisch.

Ich werde der Beschwerdekammer entsprechende konstruktive Vorschläge machen.
Bei aller – dringend notwendigen – juristischen Kritik an dem Beschluss des Amtsgerichts ist es mir wichtig, auch in die Zukunft zu blicken und Lösungen vorzuschlagen.

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.

Jochen

„Die israelische Gesellschaft ist krank“ Avraham Burg im Interview der IPG

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Danke für die zahlreichen persönlichen Kommentare und richtigstellende Hinweise zu meinem letzten unveröffentlichten Leserbrief ans Neue Deutschland. Ich habe den Artikel https://josopon.wordpress.com/2017/08/29/antideutsche-schmutzereien-jetzt-auch-im-neuen-deutschland-und-mein-diesbezuglicher-leserbrief-zum-artikel-spiel-t-nicht-beim-juden-wird-gesperrt/ überarbeitet.
.
Zum Thema der aktuellen Situation in Israel heute ein wichtiges Interview in der Onlinezeitung IPG:
http://www.ipg-journal.de/schwerpunkt-des-monats/geschichtspolitik/artikel/detail/die-israelische-gesellschaft-ist-krank-2253/

Avraham Burg über Erinnerungskultur in Israel und die Rolle der Geschichte in der heutigen Politik.

Avraham Burg ist israelischer Schriftsteller und ehemaliger Politiker. 2007 veröffentlichte er sein kontroverses Buch Hitler besiegen: Warum Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss, in dem er schrieb, das Erbe des Holocaust sei fehlinterpretiert und manipuliert worden.
Karl Gärber sprach mit ihm über den Einfluss des Buches und über die Rolle der Geschichte in der heutigen Politik.

In Ihrem Buch Hitler besiegen: Warum Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss schreiben Sie, Israel müsse lernen, die traumatische Erinnerung an den Holocaust zu überwinden. Dieses Erbe, so meinen Sie, führe heute zu immer mehr Nationalismus und Gewalt. Wie wurde Ihr Buch damals aufgenommen?

Mein Buch war für die israelische oder jüdische Leserschaft gedacht, richtete sich aber auch an die deutschen Bildungsbürger.
Ich wollte eine andere Art der Kommunikation zwischen den israelischen und deutschen Intellektuellen einführen, die nicht auf Schuld oder unbedingter Unterstützung beruht. Ich glaube nämlich, es könnte konstruktiv sein, die Gemeinsamkeiten zwischen der deutschen und der jüdischen Gesellschaft zu betonen.

Noch während unserer Lebenszeit wird der Tag kommen, an dem die letzten Nazis und Holocaust-Überlebenden gestorben sind. Unsere Generation wird die erste sein, für die der Holocaust keine persönliche Erfahrung mehr ist, sondern eine Erinnerung.
Was sollen wir mit dieser Erinnerung machen? Müssen wir die Vergangenheit immer wieder neu inszenieren, und müssen die Deutschen weiterhin die Schuldigen sein?
Und wollen die Juden bis in alle Ewigkeit die Opferrolle spielen? Oder wird es einmal eine Zeit geben, in der die Menschen anders denken?

Ich habe das Buch in Deutschland veröffentlicht und bin gescheitert. Die deutschen Intellektuellen wollten nicht diskutieren. Und die Vertreter der Medien und der Hochschulen sagten mir, das Buch verlange ihnen etwas ab, das sie momentan nicht liefern könnten.

Aber Deutschland verändert sich. Stellen Sie sich eine Schule vor, in der ein großer Teil der Schüler einen Migrationshintergrund hat.
Würde ein Sohn türkischer Einwanderer, der deutscher Staatsbürger ist, sagen: „Ich bin für die Ermordung der Juden verantwortlich“? Niemals! Er wird sagen: „Ich bin Deutscher, habe aber keinerlei Verantwortung für den Holocaust.“ Eines Tages wird sich Deutschland von seiner Vergangenheit befreien.

Wie hat Ihr Buch den Umgang Israels mit seiner Vergangenheit beeinflusst?

Israel ist viel komplizierter. Was ich vor zehn Jahren prophezeit habe, war im Vergleich zu dem, was heute dort tatsächlich geschieht, ziemlich harmlos.
Ich schrieb über Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und ethnozentrische Ideologien im Land. Wenn man sich das heutige Israel anschaut, sei es nun den Ministerpräsidenten oder die Öffentlichkeit, muss man gestehen, dass ich mich damals sehr zurückgehalten habe.
Die Gesellschaft ist krank, sucht aber nicht nach Heilung. In Israel gibt es momentan keinerlei ernsthafte politische Debatte – weder in den Zeitungen noch in den Universitäten.

Wie oft waren Sie während Ihrer politischen Karriere Zeuge, wie die Geschichte für politische Zwecke manipuliert wurde?

Fünf Mal täglich. Aber Manipulation ist ein sehr starker Begriff. Normalerweise geht es eher darum, wie die Geschichte interpretiert wird.

Betrachten wir den Begriff der „Geschichte“ genauer. Ein Dichter würde ihn im Sinne von „Geschichten“ interpretieren.
Das Ganze ist sehr subjektiv. Es geht um Narrative. Jeder hat sein eigenes Narrativ und ist sicher, dass es das richtige ist. Obwohl die Menschen natürlich manchmal ein sehr selektives Gedächtnis haben.

Haben wir den Staat Israel gegründet, um ständig in der Vergangenheit zu leben? Oder wollten wir eine bessere Zukunft schaffen?
Heute scheint es so, als hätten wir die Vision einer kreativeren, besseren Zukunft verloren und würden tatsächlich am liebsten in der Vergangenheit verharren – mit all ihrem Ethos und Pathos.

Sie verwenden den Begriff „selektives Gedächtnis“. Können Sie ein Beispiel dafür geben, wie die Geschichte bewusst vergessen wurde?

Natürlich. Wenn sie durchschnittliche Israelis fragen, was sie über Deutschland denken, ist das erste und oft einzige, das sie erwähnen, der Holocaust. Aber die jüdisch-deutschen Beziehungen reichen Tausende von Jahren zurück.
Ein Teil dieser gemeinsamen Vergangenheit ist schlimm, etwa wie das, was Martin Luther über die Juden geschrieben hat.

Manches davon ist wirklich wundervoll. Aber heute haben wir aus der Beziehung zwischen unseren Ländern all diese positiven Elemente entfernt, also haben wir diese Kapitel unserer Geschichte bewusst vergessen.

Den Menschen, die in der DDR geboren und unter sowjetischem Einfluss aufgewachsen sind, wurde beigebracht, sie hätten Hitler besiegt. Den Westdeutschen hingegen wurde gesagt, sie seien für die Verbrechen der Nazis verantwortlich. In gewisser Hinsicht haben beide gleichzeitig recht und unrecht.

Glauben Sie, historische Narrative können unabhängig von der Politik existieren?

Nein. Mein Vater, Yosef Burg, war ein sehr kluger Mann. Er wurde in Dresden geboren, war einer der Gründerväter Israels und viele Jahre lang Minister in der Regierung.
Er sagte immer: Die Geschichte ist die Politik der Vergangenheit, und die Politik ist die Geschichte der Zukunft. Zwischen dem tatsächlichen Hier und Jetzt und den langfristigen Konzepten und Paradigmen, die daraus entstehen, besteht ein permanentes Wechselspiel, ein ständiger Austausch. Man kann Geschichte und Politik nicht voneinander trennen.

Staaten wollen oft an die Großartigkeit ihrer eigenen Geschichte erinnern, an ihre vergangenen Siege und Erfolge. Sind nationale Narrative für Identität und Selbstwertgefühl wichtig?

Wir stehen heute an einem sehr interessanten historischen Wendepunkt. Der Nationalstaat, der im vorigen Jahrhundert so wichtig war, verliert an Bedeutung.
Im Zuge der Globalisierung lösen sich die Grenzen auf, und es entstehen länderübergreifende Strukturen wie die EU. Aber wir hören auch nativistische Parolen wie „Deutschland den Deutschen“, und manche Teile der Gesellschaft ziehen sich in ethnische, gruppenbezogene oder religiöse Identitäten zurück.

Israel ist dabei gewissermaßen ein Sonderfall. Dort baut die jüdische Nationalität auf einer Kombination von fünf unterschiedlichen Elementen auf: Religion, Macht, Land, Sprache und Souveränität. Anstatt mit seinen Nachbarn zu kooperieren, scheint Israel seinen Schwerpunkt immer mehr auf Kriterien wie ethnische Zugehörigkeit zu legen.

Können Länder ihrer eigenen glorifizierten Vergangenheit zum Opfer fallen?

Länder können entweder ihrer Arroganz oder ihrer Stagnation zum Opfer fallen.
Eine Nation kann sagen: „Unsere große Zeit liegt hinter uns, wir können keine Fortschritte mehr machen“. Und sie kann auch sagen: „Wir waren einst so groß“, und völlig aus den Augen verlieren, was heute geschieht.
Ich glaube nicht, dass die Erinnerung an die Geschichte ein Problem ist. Es kommt immer darauf an, was man daraus macht.

Die Fragen stellte Karl Gärber

Jochen

Der Terrorismus der westlichen Welt – Teil 2: Staatsterrorismus, Tyrannei und Folter

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Ja, das gehört noch zwischen Teil 1:
https://josopon.wordpress.com/2015/02/23/terrorismus-der-westlichen-welt-kriege-kriegsverbrechen-und-propaganda/
und Teil 3:
https://josopon.wordpress.com/2015/07/29/der-terrorismus-der-westlichen-welt-teil-3-hybride-kriegsfuhrung-verdeckte-operationen-und-geheime-kriege/
und fügt sich ein in Naomi Kleins Schockstrategie und Prof. Dr. Rainer Mausfelds „Warum schweigen die Lämmer?“
Hier im wesentlichen der ganze Text; interessante Diskussionsbeiträge gibt es hier: http://www.heise.de/tp/artikel/44/44047/

Staatsterrorismus, Tyrannei und Folter

Die Geschichte des Westens ist nicht nur eine Geschichte des massenhaften Tötens (Teil 1: Kriege, Kriegsverbrechen und Propaganda), es ist auch eine Geschichte des massenhaften Menschenrechtsbruchs, des Folterns. Folter ist das Instrument von Tyrannen, es ist ein Instrument des Terrors. Entgegen den Bekundungen der Westen würde für Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte stehen, steht er tatsächlich auch für eine lange Tradition des Staatsterrorismus. Nur ist dies nicht Teil des offiziellen Narrativs, dies wird nicht im kollektiven Gedächtnis transportiert. Ganz im Gegenteil arbeiten Teile von Politik und Medien Hand in Hand, um bekannt gewordene Verbrechen sofort als Einzelfälle und Fehler abzuwiegeln (Doppelstandards bei der Verurteilung von Menschenrechtsverbrechen). Unpersonen interessieren uns nicht. Wir sind die späten Barbaren.

Wir als Nation können froh sein, dass diese Menschen für uns arbeiten

Um 2.00 Uhr in der Nacht stürmen mehrere vermummte Männer ins Schlafzimmer. Ein Einwohner wird überwältigt, geschlagen, getreten und mit Gewehrkolben malträtiert. Dabei brechen etwa sechs Rippen. Der Einwohner ist laut Geheimdienstberichten ein „hochwertiges Ziel“.
Der Verdächtige wird in ein geheimes Gefängnis verschleppt. Dort wird er nackt mit den Händen hinter dem Rücken an eben diesen aufgehängt.
Eine Stunde lang sind seine qualvollen Schreie zu hören. Dann verstummt der Verdächtige.

Hans Spiess wird 1503 in Willisau gefoltert um den Mord an seiner Gattin zu gestehen (Aufziehen und Strecken).

Die Männer, die ihn von der Decke nehmen, sagen später aus, dass ihm „Blut aus Mund und Nase [strömte], als hätte man einen Wasserhahn aufgedreht“.[1]

Der Verdächtige, dem nie irgendeine Tat nachgewiesen wurde, war Manadel al-Jamadi. Die Folterer waren Soldaten der Navy Seals, CIA-Beamte und Militärpolizisten. Manadel al-Jamadi wurde brutal gefoltert und ermordet. Anschließend ließ man ihn verschwinden, als wäre nie etwas gewesen. Aufgedeckt wurde der Fall nur, weil einige US-Soldaten Fotos ihrer Folterspiele im Gefängnis von Abu Ghraib gemacht haben.

Die Foltermethode, mit der al-Jamadi zu Tode gequält wurde, entstammt den Folterkellern der spanischen Inquisition und wurde dort Strappado genannt. Die Methode wurde aber auch von den Nazis angewendet und weiterentwickelt. Die Konzentrationslager Sachsenhausen, Dachau und Buchenwald waren für diese brutalen Foltermethoden berüchtigt. Julius Schätzle, ein in verschiedenen KZs inhaftierter Kommunist, hat das „Baumhängen“ oder „Pfahlhängen“ , wie es bei den Nazis genannt wurde, bedrückend beschrieben[2]:

Bei diesem Hängen, kurz „Baum“ genannt, wurden dem Verurteilten mit einer eisernen Kette die Hände nach hinten zusammengeschlossen. Dann mußte er einen drei Stufen hohen Tritt erklettern. Der Henker nahm das andere Kettenende, klinkte es in einem an einem Balken angebrachten Haken ein und zog den Tritt dem Daraufstehenden mit einem Ruck unter den Füßen weg. Dieser schwebte nun mit nach hinten gerissenen Armen ungefähr 20 Zentimeter über dem Boden.

Im allgemeinen dauerte diese Prozedur eine Stunde. Das Hängen war aber auch eine sehr beliebte Methode zur Erpressung von Aussagen. In einem solchen Falle hing schon mancher über zwei Stunden. Mancher bis zu seinem Tode. In der Regel trat der Tod zwischen der zweiten und vierten Stunde ein.

Fürchterliche Schmerzen in den Schultern und Handgelenke waren die Folgen dieser Behandlung. Nur mühsam konnte die Lunge mit dem nötigen Sauerstoff versorgt werden. Das Herz arbeitete in einem rasenden Tempo. Aus allen Poren drang der Schweiß. Aber auch nach der Stunde dieses Fegefeuers zeigten sich noch üble Folgen. Der Häftling war nicht mehr in der Lage, seine Hände und Arme zu benützen, alles war gelähmt. Oft war eine wochenlange Behandlung im Revier notwendig, um diese Folgen zu beseitigen.

Julius Schätzle

Jean Améry, jüdischer Widerstandskämpfer gegen die Nationalsozialisten, schilderte[3] in den sechziger Jahren sein Foltertrauma aus dem belgischen Fort Breendonk:

Die Tortur ist das fürchterlichste Ereignis, das ein Mensch in sich bewahren kann. Wer gefoltert wurde, bleibt gefoltert. Ich baumle noch immer, zweiundzwanzig Jahre danach, an ausgerenkten Armen über dem Boden.

Auch Murat Kurnaz, der nachweislich unschuldig in Pakistan entführt und nach Kandahar verschleppt wurde, bevor man ihn nach Guantanamo deportierte, wurde gefoltert, in dem man ihn an den Armen aufgehängt hatte.

Als sie mich wieder herunterlassen, kann ich nicht mehr stehen. Meine Beine knicken ein, als wären sie Streichhölzer, und ich falle zu Boden. Der Arzt untersucht meine Fingernägel. Meine Finger sind blau, und sie stechen jetzt. Ein Stethoskop hängt um seinen Hals, er packt eine Manschette um meinen Arm und misst meinen Blutdruck. Wenn er weggeht, ziehen sie mich wieder hoch. Er will nur wissen, wie lange ich das aushalten kann. Ich nehme nicht jeden Besuch des Arztes wahr. Ich erinnere mich nur deshalb daran, weil ich wieder hochgezogen werde.

Murat Kurnaz[4]

Die Folterer der USA stellen sich damit selbst in eine grausame Tradition von Inquisitoren, Faschisten und anderen Menschenfeinden. Der Vergleich ist notwendig. Nur dadurch lassen sich Unterschiede und Gemeinsamkeiten erkennen.
Der Vergleich ist kein Gleichsetzen. Natürlich betreiben die USA keinen Religionskrieg, auch wenn der War on Terror klar religiöse Züge aufweist. Und natürlich ist es auch kein Rassekrieg, auch wenn es ein Krieg mit rassistischen Anteilen ist. Aber der Krieg gegen den Terrorismus ist selber Terrorismus, Staatsterrorismus. Es ist ein Krieg gegen die Würde des Menschen. Es ist ein Krieg gegen die Menschenrechte und gegen die „westliche Zivilisation“ selbst.
Al-Jamadi ist nur einer von hunderten oder tausenden Fällen. Niemand kann das genau sagen. Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen gehen von bis zu 27.000 „Verschwundenen“ in Geheimgefängnissen der USA aus.

Menschenrechte und Folterforschung

Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg stand die Welt unter den fürchterlichen Eindrücken der zivilisatorischen Barbarei. Im Angesicht von Holocaust, Massenmord, Kriegsverbrechen, Folter und Menschenversuchen verabschiedete die Vollversammlung der Vereinten Nationen 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. In Artikel 5 wird festgehalten, dass niemand der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf.

Gleichzeitig mit der Ratifizierung der dritten und vierten Genfer Konvention zum Schutz von Kriegsgefangenen und Zivilpersonen begannen die USA jedoch mit einem Geheimprogramm zur Erforschung der Folter. Eine von der CIA geschürte Hysterie über Gehirnwäsche in China durch Kommunisten befeuerte Anfang der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts die Ängste der amerikanischen Bürger.[5]
Kurz darauf gestanden im Koreakrieg abgeschossene amerikanische Piloten diverse Kriegsverbrechen, darunter auch chemische und biologische Kriegsführung.

Da das nicht sein konnte, mussten die amerikanischen Kriegsgefangenen Opfer von moderner Manipulation geworden sein, so die Darstellung der US-Regierung[6]:

Bis zum Ende des Koreakriegs legten 70 Prozent der in China gefangen gehaltenen 7190 US-Soldaten entweder solche „Geständnisse“ ab oder unterschrieben eine Petition, in der ein Ende des amerikanischen Engagements in Asien gefordert wurde. Noch beunruhigender war jedoch, dass viele der Soldaten nach ihrer Heimkehr an den Geständnissen festhielten, statt sie zurückzunehmen, sich sogar pro-kommunistisch äußerten. Nach Ansicht der Meinungsführer in den USA konnte das nur eines heißen: sie waren Opfer einer Gehirnwäsche geworden.

Das gesellschaftliche Klima der Angst bereitete den Boden. In einem Bericht von J. Edgar Hoover heißt es 1954: „Es ist inzwischen klar, dass wir uns einem unversöhnlichen Feind gegenüberstehen, dessen erklärtes Ziel es ist, mit allen Mitteln die Weltherrschaft an sich zu reißen. Wir müssen lernen, unsere Feinde mit klareren, raffinierteren und effektiveren Methoden, als sie sie gegen uns einsetzen, zu unterwandern, zu sabotieren und zu zerstören.“[7]

Die wahnhafte Angst vor den Kommunisten führte direkt zu Menschenversuchen und Folterforschung (Psychopathen, Psychiater und Psychonauten). Das Ideal der Menschenrechte hatte nicht einmal ein Jahrzehnt Bestand. Menschenrechte haben in Kriegergesellschaften keinen Platz. In den USA begann man Methoden zum Foltern zu erforschen, die keine sichtbaren Spuren hinterlassen würden. Die sogenannte weiße Folter sollte nicht auf die Physis, sondern auf die Psyche der Menschen abzielen. Es sollten nicht mehr Knochen, sondern Persönlichkeiten gebrochen werden.

Es wäre eine irrige Annahme zu glauben, dass dies mit zivilisatorischen Fortschritten zusammenhinge. Vielmehr ist es der Versuch die Folterfolgen unsichtbar zu machen und die Folter somit der demokratischen Öffentlichkeit und Kontrolle zu entziehen. Die meisten der Foltermethoden, die das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) in Guantanamo seit 2002 anklagt und die seit 2007 bekannt sein könnten, nachdem Wikileaks den Bericht des IKRK veröffentlichte, beruhen auf weißer Folter und deren Hauptinstrumenten der sensorischen Deprivation und der Stresspositionen. Der Journalist Egmont Koch zitiert aus CIA-Unterlagen über Erkenntnisse der Auswirkungen der Isolation auf die menschliche Psyche[8]:

Der Mensch ist ein soziales Wesen…Seine Beziehungen zu anderen Menschen… sind fast so bedeutend wie Essen und Trinken. Wer das erste Mal totaler Isolation ausgesetzt ist, entwickelt vorhersehbare Symptome…Nach verschiedenen Zwischenstadien wird er hochgradig ängstlich, hoffnungslos, entmutigt und völlig unsicher über seine Zukunft…Er leidet unter Albträumen und Halluzinationen… Die Wärter sagen, ein solcher Gefangener vegetiere nur noch wie ein Tier… Am Ende erreicht er ein Stadium tiefer Depression… Er hat nur noch den Wunsch; mit irgendjemand über irgendetwas zu reden.

Nichts sehen, nichts hören, eingeschränktes fühlen und Redeverbot. Totale soziale Isolation als Folter zum Brechen der Persönlichkeiten in Camp X-Ray in Guantanamo. Bild: U.S. Navy

Und während man in den USA versuchte, Persönlichkeiten auszulöschen und neu einzuschreiben , war man in Europa noch nicht soweit.

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit

Frankreich, das unter der Besatzung Nazideutschlands und dem Vichy-Regime gelitten hatte, kehrte die Demütigung und Leidenszeit um und führte nahtlos weiter Kriege in Indochina und Algerien, um dort Leiden zu verbreiten. Die Historikerin Raphaëlle Branche stellte fest, dass Folterungen elementarer Bestandteil der Kriegsführung Frankreichs waren.
Es war das Herrschaftsinstrument eines untergehenden Kolonialreiches. Nach der Niederlage von Dien Bien Phu in Indochina (1954) musste sich die Armee der Grande Nation beweisen, dass sie immer noch in der Lage war „minderwertige Rassen“ zu besiegen.

Folter als Herrschaftsinstrument: Für diese Interpretation sprechen die zahlreichen Vergewaltigungen ebenso wie der Umstand, dass weder Kinder noch Greise verschont wurden. Nicht jeder Häftling wurde misshandelt, doch jeder algerische Muslim und jeder europäische Sympathisant der Unabhängigkeitsbewegung musste befürchten, im Falle einer Verhaftung gefoltert zu werden.

Was Algeriens Terroristen und Folterknechte von Frankreich gelernt haben (SZ)

Le monde diplomatique beschrieb im Sommer 2001, nachdem man in Frankreich endlich begonnen hatte, sich seiner kolonialen Vergangenheit ansatzweise zu stellen, wie das Mutterland von Revolution, Aufklärung und Menschenrechten mit Unpersonen umging.
So gab es in Indochina klassische Foltermethoden, wie „Nahrungsentzug bei einer Tagesration von dreißig Gramm Reis, Stockschläge auf Knöchel und Fußsohlen; Schraubzwingen, die an den Schläfen angesetzt und so lange fest angezogen werden, bis die Augen aus den Höhlen treten; der Pfahl, an den der Gemarterte mit den Armen angebunden und wenige Zentimeter über dem Boden aufgehängt wird; Schwedentrunk mit Erdöl, Holzpresse, Nadeln unter den Fingernägeln; Wasserentzug, besonders schrecklich für Gefolterte, die vor Fieber glühen.“

Währenddessen hatte man in den USA erhebliche Fortschritte in der Folterforschung gemacht und die Ergebnisse 1963 in einem Handbuch zusammengestellt: KUBARK. Die Wirkung sowohl der Forschung als auch des Handbuches wird allerdings allgemein völlig überschätzt.
Das Handbuch, dass in den 90er Jahren mithilfe des Freedom of Information Act freigegeben wurde, dient mittlerweile mehr als Propaganda, denn als Aufklärung. Es erweckt den Anschein, als wüsste man nun, wie die CIA beim Foltern vorgehen würde. Und bis zu einem gewissen Grad stimmen die Foltertechniken auch überein. Doch bereits 20 Jahre nach Erstellung des Handbuchs werden in Vietnam ganz andere Methoden verwendet.

Operation PHOENIX

Der Vietnamkrieg war nicht der schnelle Sieg, wie ihn sich die US-amerikanischen Militärstrategen gedacht hatten. Spätestens mit der Tet-Offensive Anfang 1968 entgrenzten die USA ihre Kriegsführung gegen Vietnam. Die CIA legte eine geheimes Folter- und Mordprogramm auf, dass angebliche Führungskader des Feindes aufspüren und vernichten sollte. Dazu wurden über das ganze Land verteilte Foltergefängnisse eingerichtet. Barton Osborne, Offizier des militärischen Nachrichtendienstes, schilderte das Vorgehen bei dem Zehntausende umgebracht wurden: „Häftlingen wurde ein Holzpflock von fünfzehn Zentimeter Länge in den Gehörgang getrieben. Auf dessen Ende wurde dann gehämmert, bis er ins Hirn eindrang.“ Und weiter:

Ich wüßte von keinem Häftling, der während der Durchführung all dieser Operationen ein Verhör überlebt hätte. Sie starben alle. Es gab niemals eine überzeugende Begründung für die Behauptung, dass irgend eines dieser Individuen tatsächlich mit dem Vietcong zusammenarbeitete, aber sie starben alle, und die Mehrheit wurde entweder zu Tode gefoltert oder aus dem Helikopter geworfen. […] [Das Phoenix-Programm] wurde ein steriles, unpersönliches Mordprogramm […] Der Horror von „Phoenix“, vergleichbar mit den Gräueltaten der Nazis, muss studiert werden, um begreifbar zu sein.

Der ehemalige Phoenix-Offizier Barton Osborne 1971 vor dem amerikanischen Kongress

Der Operation PHOENIX fallen zwischen 20.000 und 80.000 Menschen zum Opfer, gefoltert und ermordet. Alles im Namen der freien Welt im Kampf gegen den Kommunismus.

Auf der Lagerinsel Con Son, der berüchtigtsten Folterhölle, werden 10.000 Menschen eingekerkert. Hier entstehen die „tiger cages“ – die Tigerkäfige -, die später in ähnlicher Weise auf Guantanamo installiert werden. Käfige für Menschen, mit Abmessungen, die in Deutschland nicht einmal für Zwingerhunde erlaubt wären.

Besonders enge tiger cages im Gefängnis von Phu Quoc. Bild: Genghiskhan. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Offensichtlich war es nicht weit her mit den Errungenschaften der weißen Folter. Unter den Augen des amerikanischen Geheimdienstes und Militärs wurden die weiblichen Häftlinge gefoltert und geschändet. Kinder und Männer wurden gezwungen dabei zuzusehen, wie Frauen mit Coca-Cola-Flaschen vergewaltigt wurden.

Der westdeutsche Arzt Erich Wulff, der sechs Jahre in Südvietnam arbeitete, schrieb unter dem Pseudonym George W. Alsheimer in seinem Buch Vietnamesische Lehrjahre, daß Folterungen von Verdächtigen – und verdächtigt werden konnte jeder Vietnamese, der nicht selber im Dienste des Terrorapparates der USA stand – keine Ausnahme, sondern die Regel waren.

Im Tigerkäfig der CIA

Operation Condor

In den 70er und 80er Jahren waren die USA und Frankreich verwickelt in Folterungen in mehreren Ländern Südamerikas. Ziel war es, „linke politische und oppositionelle Kräfte weltweit zu verfolgen und zu töten.“ Aber auch und vor allem die Opposition im eigenen Land zu unterdrücken und zu vernichten.
Die rechtsgerichteten Regime wurden von der „freien Welt“ ge- und unterstützt, schließlich ging es schon damals um den Kampf gegen die „internationale terroristische Aggression“. Freilich ging es damals nicht gegen den „internationalen islamistischen Terrorismus“, sondern um den „internationalen kommunistischen Terrorismus“. Rechtfertigung genug, um nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen etwa 50.000 Menschen zu ermorden, 35.000 verschwinden zu lassen und 400.000 zu inhaftieren und zu foltern.

Die Folterer wurden von der CIA in Texas oder in der School of the Americas ausgebildet. Aber die CIA war auch bei den Folterungen vor Ort.
Inés Murillo, eine damals 24jährige Gefangene in Honduras, bestätigt, dass im Raum mit den Folterern auch ein Amerikaner anwesend war, der Fragen an die Verhörer weiterleitete.
„Die Schreie kommen einfach aus dir heraus … Ich roch Qualm und merkte, dass mich die Stromschläge verbrannten, sie sagten, sie würden mich foltern, bis ich verrückt sei. Ich glaubte ihnen nicht. Aber dann zogen sie mir die Beine auseinander und hängten Drähte an meine Genitalien.“[9]

Die Franzosen unterrichteten befreundete Staaten in der „Französischen Doktrin“. Eine Doktrin zur Bekämpfung von Oppositionellen. Auch hier waren die gemeinsam geteilten „westlichen Werte“: „massenhafte Verhaftung, systematische Folter und illegale Tötung von verdächtigen Personen“.
Die US-Amerikaner brachten ihr Wissen aus Vietnam ein und die Franzosen konnten ihre Erfahrungen aus dem Algerienkrieg weitergeben. Staatsterrorismus als verdeckte asymmetrische Kriegsführung gegen politische Gegner sichert die Vormachtstellung der „freien Welt“.

Überall wo die CIA und westliche Militärs foltern, bedienen sie sich der brutalsten Methoden. Dass sich die mediale Öffentlichkeit im Zuge der Veröffentlichung des CIA-Folterreports gegenwärtig auf KUBARK und die auf dem SERE-Training beruhenden Techniken fokussiert[10], lenkt jedoch auch von anderen Methoden und dem, was nicht zugegeben wird, ab. Ist die Aufklärung der Folterverbrechen wirklich vollumfänglich und transparent? Oder wird die Aufmerksamkeit nur auf die weniger widerlichen Verbrechen gelenkt?

War on terrorism – Abu Ghraib

Der Militärpolizist Javal Davis erklärt in der Dokumentation Standard Operating Procedure, woher die Gefangenen im Gefängnis Abu Ghraib kamen.

Die Kommandos amerikanischer Spezialeinheiten „gingen mitten in der Nacht raus. Griffen sich alle Männer im kampffähigen Alter und sperrten sie ein.
Daher kommen die Geschichten über Söhne und Väter und Neffen, die alle eingesperrt wurden. Stellen Sie sich vor, man kommt in Ihre Stadt und nimmt alle Männer mit. Sie wurden angeliefert wie Vieh. … Das waren Taxifahrer, Schweißer und Bäcker und nun waren sie in Abu Ghraib. Wir hatten sogar Kinder. Wenn wir die Führer der Aufständischen nicht kriegten, nahmen wir ihre Kinder.“

Das Durchschnittsalter der Häftlinge in Abu Ghraib war etwa 20 Jahre.[11]
Wenn nicht die US-Spezialeinheiten irgendwelche unschuldigen Bürger verschleppten, dann waren es Einheimische, die ihre Nachbarn oder Unbekannte denunzierten, denn die USA hatten ein Kopfgeld auf Terroristen ausgesetzt. Und die Logik war immer die gleiche. Waren sie erst einmal in Abu Ghraib, mussten sie Terroristen sein, denn nur Terroristen waren in Abu Ghraib.

Die Folter in Abu Ghraib wird vor allem durch die Folterfotos der Militärpolizisten der Nachtschicht bekannt. Bild: U.S. Government

Das aktuelle und offizielle Narrativ ist, dass die Folter in Abu Ghraib direkt aus Guantanamo importiert wurde. Diese Deutung beruht darauf, dass Major General Geoffrey D. Miller, Befehlshaber des Internierungslagers Guantanamo, das Gefangenlager Abu Ghraib besuchte und forderte: „Ihr müsst die Häftlinge wie Hunde behandeln. So machen wir es drüben in Guantanamo Bay.“[12] Sind das die Vertreter der westlichen Werte?
Mohamedou Ould Slahi, dessen Guantanamo Tagebuch gerade erschienen ist, weiß ebenfalls von Entwertungen, die der Folter vorausgehen, zu berichten: „Du bist kein Mensch, und du verdienst keinen Respekt“, schleuderte ihm ein Vernehmer entgegen, bevor Slahi mit Vergewaltigung und der Vergewaltigung seiner Familie bedroht wurde.[13]

Aus der sozialpsychologischen Täterforschung ist weitreichend bekannt, dass der Prozess der Ab- und Entwertung, der Prozess der Entmenschlichung, entscheidenden Anteil hat an der Brutalisierung der Täter. Die Werte des Westens sind angesichts solcher Äußerungen ein reiner Anschein. Oder genauer: der Universalismus der westlichen Werte ist ein reiner Anschein.
Für die Feinde des Westens, für „das Böse“, gelten andere Regeln. Hier wird aufs grausamste gefoltert und gemordet. Es wäre wohl eine mühselige wenn auch lohnenswerte Aufgabe einmal die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Logik der Menschenfeinde von Nationalsozialisten, Kommunisten, Islamisten und westlichen Militaristen herauszuarbeiten. Primo Levis „Erinnerungen an Auschwitz“ haben jedenfalls frappante Ähnlichkeiten mit gegenwärtigen Geschehen:

Sie glauben – mehr oder weniger unverhüllt und mit allen Nuancen von Verachtung und Mitleid -, dass wir uns, um zu diesem Leben verurteilt worden zu sein, um auf diesen Zustand herabgesunken zu sein, mit wer weiß was für einer mysteriösen, ungeheuer schweren Schuld beladen haben. Sie hören uns in den verschiedensten Sprachen sprechen, die sie nicht verstehen und die in ihren Ohren grotesk, wie tierische Laute klingen; sie sehen uns auf das niedrigste versklavt, ohne Haar, ohne Ehre, ohne Namen, täglich geschlagen, täglich verworfener; niemals finden sie in unseren Augen auch nur eine Andeutung von Aufbegehren oder Friede oder Glaube. Sie kennen uns als diebisch, unzuverlässig, verdreckt, zerlumpt, ausgehungert und meinen, die Wirkung mit der Ursache verwechselnd, dass wir dieses Verworfensein verdient haben. Wer könnte unsere Gesichter unterschieden? Wir sind für sie Kazet, Neutrum und Einzahl.

Primo Levi[14]

Major General Antonio Taguba, der Foltervorwürfe der US Armee untersucht hat, kommt 2008 zu dem Schluss, dass die Bush-Regierung Kriegsverbrechen im Irak, in Afghanistan und in Guantanamo Bay begangen hat. Zu den Foltermethoden zählen auch Elektroschocks. Das ist insofern von Bedeutung, als das dies aus den veröffentlichten Berichten sowie der öffentlichen Diskussion herausgehalten wird. Das dürfte daran liegen, dass die Folter mit Elektroschocks eindeutig mit diktatorischen Unrechtsstaaten identifiziert wird.

Gonzalo Boye, ein Menschenrechtsanwalt aus Madrid, der selbst Opfer von Polizeifolter geworden ist, beschreibt die Elektroschocks in der Dokumentation „Die Guantanamo-Falle“:

Damals war Folter bei der spanischen Polizei noch eine gängige Praxis. Ich dachte man schneidet mir mit dem Messer in den Rücken, aber in Wirklichkeit gaben sie mir Elektroschocks. Dieses Gefühl mit einem scharfen Messer geschnitten zu werden, das werde ich einfach nie vergessen. Wer jemals unter Folter gelitten hat, wird das nie vergessen. Das ist unmöglich.

Auch Murat Kurnaz hat die Elektroschockfolter bestätigt:

Sie halten mir die Elektroden an die Fußsohlen. Ich kann nicht sitzen bleiben, es ist als fahre mein Körper von alleine vom Boden auf. Ich spüre den Strom im ganzen Körper. Es knallt, es tut sehr weh, ich fühle Wärme, Schläge, Krämpfe, meine Muskeln verkrampfen sich, sie zucken, es schmerzt. Gleichzeitig höre ich Schreie. Es sind meine Schreie.

Murat Kurnaz[15]

Weitere Foltermethoden in Abu Ghraib waren die anale Vergewaltigung mit Leuchtstäben und Besenstilen, die Verätzung von Häftlingen mit Phosphor aus Leuchtstäben, simulierte Hinrichtungen, das Übergießen mit eiskaltem Wasser, boxen, schlagen und treten von Gefangenen, springen auf ihre nackten Füße, der Einsatz von Hunden zur Terrorisierung von Gefangenen und in mindestens einem Fall wurde ein Häftling gebissen und schwer verletzt sowie die sexuelle Demütigung und erzwungenes Onanieren.[16]

Dass die US-Militärs und Geheimdienstler dabei nichts dem Zufall überließen und das alles geplant und gewollt war, zeigt der Umgang mit „Ghost detainees“ [17].
So sagte Davis aus: „CIA, Iraq Survey Group, DIA, FBI, Task Force 121, ‚andere Regierungsorganisationen‘ kannten keine Regeln. Für uns waren das Gespenster. Man wusste nicht wer sie waren und ihre Gefangenen wurden nie registriert.“ Es gab lediglich die Anweisungen: „Diesen Typen hier, trag ihn nicht ein. Er ist nicht hier. Er war nie hier. Sperr ihn in eine Zelle ohne ihn zu vermerken. Wenn das Rote Kreuz kommen sollte, versteck ihn woanders. Und wenn das Rote Kreuz auch dorthin geht, bring ihn wieder zurück. Es gibt ihn hier nicht.“ Was kümmert die westliche Wertegemeinschaft das Schicksal von Unpersonen?

Bagram ist kein Hotel. Kein Ort an dem sie fett, faul und froh werden sollen.

Dokumentation Taxi zur Hölle

Dilawar, ein 22jähriger Taxifahrer, wurde an einem Checkpoint der US-Amerikaner verhaftet und in das geheime Gefangenenlager Bagram gebracht. Man hängte ihn mit Handschellen an den gespreizten Armen an die Decke und schlug immer wieder auf ihn ein.

Zeichnung von Thomas V. Curtis, einem Sergeant der Reserve, die zeigt, wie Dilawar an die Zellendecke gekettet war. Bild: U.S. Army

Vier Tage lang hat man auf seine Beine eingetreten. Dilawar schrie vor Schmerzen und die US-Soldaten traten auf ihn ein, damit er aufhören würde zu schreien. Nach vier Tagen war er tot. Man hatte ihn totgeprügelt.[18]
Offiziell verlautbarte man, dass Dilawar eines natürlichen Todes gestorben war. Nur weil eine investigative Journalistin der New York Times die Familie Dilawars in Afghanistan besuchte, kam die Wahrheit ans Tageslicht. Der Fall wurde genauer untersucht und der Autopsiebericht wurde später geleakt. Darin stand, dass Dilawar schwere Blutergüsse am ganzen Körper hatte. Die Beinmuskulatur sei buchstäblich zu Brei geschlagen wurden.

Angeblich sei er besonders widerständig gewesen. Ein 55 Kilo schwerer junger Mann, der seit Tagen an die Decke gekettet war? Als sie ihn von der Decke abnehmen, nur um ihn in eine Isolationszelle zu bringen, sackt er zu Boden. Die Soldaten schlagen wieder auf ihn ein, weil sie denken, er würde simulieren. Im Prozess wird die Pathologin später aussagen, dass Dilawar den Eindruck gemacht habe, als sei er von einem Bus überfahren worden, und dass seine Beine amputiert hätten werden müssen, so er denn überlebt hätte.
Am Ende wurde er nur noch „zum Spaß“ getreten, um ihn „Allah“ schreien zu hören.[19]

Wohin man auch schaut, die Menschenrechte sind lediglich Makulatur. Ein Mythos der die moralische Überlegenheit begründen und der die brutale Wirklichkeit westlicher Kriege verdecken soll. In der Forward Operating Base Mercury in der Nähe von Falludscha wütet die 82nd Airborne.
Ein Sergeant erinnert sich[20]:

„Sie [die Bürger von Falludscha] nannten uns die „irren Mörder“, weil sie wussten, dass sie die Hölle erleben würden, wenn wir sie fingen und einsperrten, bevor sie nach Abu Ghraib gebracht wurden.“ In seinem Bericht beschreibt dieser Sergeant dann, wie sie eine „PUC [Person under control] ficken“ würden, durch Zusammenschlagen oder schwere Folterungen. Er fährt fort: „Jeder im Camp wusste: Wenn du deine Frustrationen abreagieren willst, geh einfach ins PUC-Zelt. Das war so eine Art Sport.“ Ein anderer Sergeant derselben Einheit erklärte seine Motive für die Misshandlungen – etwa, einem Gefangenen mit einem Baseball-Schläger aus Metall die Beine zu brechen: „An manchen Tagen haben wir uns gelangweilt, und dann zwangen wir sie, sich alle in eine Ecke zu setzen und eine Pyramide zu bilden. Das war vor Abu Ghraib, aber ganz genauso. Wir haben das gemacht, um uns zu amüsieren.“

Vernehmungsspezialist Anthony Lagouranis äußert 2005 gegenüber PBS Frontline: „Jetzt passiert das überall im Irak. Es ist – wie gesagt, Menschen foltern Menschen in ihren Häusern. Die Infanterieeinheiten foltern Menschen in ihren Häusern. Wie gesagt, sie machen Sachen wie Verbrennungen, sie zerschmettern Füße mit der Rückseite einer Axt, sie brechen Knochen, Rippen.“[21]
Es sind jedoch nicht nur die Amerikaner, die im Irak foltern. Die Briten, die lange Jahre Foltererfahrung gegen die IRA sammeln konnten, stehen den US-Militärs kaum nach.

Guantanamo

Irgendwo in Afghanistan im Sommer 2002 befindet sich Omar Khadr mitten in einem Gefecht mit amerikanischen Soldaten. Es fallen Schüsse und Granaten explodieren. Die US-Spezialeinheiten ziehen sich zurück, damit zwei Kampfjets Bomben auf das umkämpfte Haus werfen können.
Nach den Explosionen stürmen die Spezialeinheiten das Gelände. Sie finden Omar Khadr schwer verletzt am Boden liegend, auf dem linken Auge blind und von zwei Gewehrkugeln in den Rücken getroffen.

Nach Aussage der Kommandosoldaten habe Khadr an dem Gefecht teilgenommen und mit einer Handgranate einen US-Soldaten getötet. Khadr wird nach Bagram gebracht und später nach Guantanamo deportiert. In beiden Einrichtungen wird er gefoltert. Acht Jahre nach seiner Festnahme wird er von einem Militärtribunal zu 40 Jahren Haft verurteilt – es ist ein Deal, damit er faktisch nur noch weitere acht Jahre seiner Strafe verbüßen muss. Khadr muss dafür nur die ihm zur Last gelegten Taten zugeben. Andererseits, so hatte man ihm schon häufig gedroht, würde er nie wieder aus Guantanamo entlassen werden. Khadr war 2002, als er verhaftet wurde, 15 Jahre alt.

Omar Khadr bekommt Erste Hilfe von U.S.-Soldaten. Bild: U.S. Army

Der, gerade auf Deutsch im Westend Verlag erschienene, CIA-Folterbericht vermag einen Einblick geben in das, was US-Regierung und Geheimdienste bereit sind, zu veröffentlichen, also zuzugeben. Der Folterbericht ebenso wie das Guantanamo Tagebuch von Slahi sind nicht unproblematisch, aber dennoch wichtig, um sich zumindest ansatzweise ein Bild machen zu können. Die US-Folterer stellen sich nicht nur mit ihren Methoden in eine grauenvolle Tradition, auch ihre Sprache unterscheidet sich kaum von den Tätern des Nationalsozialismus.
Der Folterbericht des US-Senats spricht nie von Folter dafür aber von „verschärften Verhörmethoden“ bzw. „verschärfter Vernehmung„. Dass sich die Gestapo desselben Begriffes bediente und teilweise auch derselben Methoden, scheint weniger zu stören.

Guantanamo steht synonym für die Menschenrechtsverbrechen der USA seit dem 11. September 2001. Je mehr über die Folter im Namen der USA bekannt wird, desto mehr wird der Ausruf eines US-Wachsoldaten auf Guantanamo verstehbar.
Joseph Hickman
berichtet gegenüber DemocracyNow , dass er ein geheimes Lager außerhalb des bekannten Bereiches des Lagers Guantanamo entdeckte: Camp No, eine Black Site. Ein weiterer Wachsoldat rief daraufhin aus: „We just found our Auschwitz.“ Damit ist kein Vernichtungslager gemeint, weshalb für deutsche Ohren solch ein Ausruf kaum verständlich ist, aber mit diesem Ausruf sind geheime Lager gemeint, von denen niemand weiß, was dort vor sich geht. Zumal Hickman davon spricht, dass dort Gefangene möglicherweise zu Tode gefoltert werden.[22]

Nachvollziehbarer wird solch ein Ausruf, wenn man sich vergegenwärtigt, was die CIA z.B. Abu Zubaydah angetan hat. Zubaydah wurde nicht nur gefoltert, er ist ein Opfer von Menschenversuchen geworden. Für die CIA stand von Beginn an fest, dass Zubaydah „für den Rest seines Lebens von der Außenwelt abgeschnitten bleiben“ müsse.[23] Zubaydah verbrachte „insgesamt 266 Stunden (11 Tage, 2 Stunden) in der großen Arrestkiste (in der Größe eines Sarges) und 29 Stunden in einer kleinen Arrestkiste, die 53,3 Zentimeter breit und jeweils 76 Zentimeter lang und tief war.“[24]Das ist eine Länge von zweieinhalb Standard Schullinealen. Zubaydah „weinte“, „bettelte“, „flehte“ und „wimmerte“ häufig, hielten die Terroristen im Staatsdienst in ihren Berichten fest:

Die Sitzungen beschleunigten sich schnell und schritten nach den Phasen der großen Kiste, dem Walling [Körper und Kopf gegen die Wand schlagen S.P.] und der kleinen Kiste rasch voran zum Waterboarding. [Abu Zubaydah] scheint dem Waterboarding sehr gut standzuhalten. Die längste Zeit mit dem Tuch über dem Gesicht war bisher 17 Sekunden. Dies wird sicher in Kürze mehr werden. KEINE nützliche Information bisher… er übergab sich mehrere Male während des Waterboardings mit Bohnen und Reis. Es ist zehn Stunden her, dass er gegessen hat, daher ist dies überraschend und beunruhigend. Wir planen, eine Zeitlang jetzt nur Ensure [Trinknahrung S.P.] zu verabreichen.

CIA-Folterreport[25]

Auch Würgegriffe, Schläge, Stresspositionen, Käfigarrest, Weißes Rauschen und Schlafentzug in „verschiedenen Kombinationen 24 Stunden am Tag und 17 Tage in Folge“[26] hatten lediglich zur Folge das Zubaydah komplett zusammenbrach.
Sorgen machten sich die Folterer jedoch weniger um Zubaydah, als um sich selbst. So seien einige Mitarbeiter tief getroffen und müssten weinen und würgen. Einige wollten sich versetzen lassen und es wurde eine Warnung an diejenigen Kollegen, die sich die Verhöre auf Video ansehen sollten, ausgesprochen: „Du solltest dich auf etwas vorbereiten, was du noch nie gesehen hast.“[27]

Abu Zubaydah war bereits vor seiner Verschleppung geistig behindert, angeblich aufgrund einer Kopfverletzung aus dem Kampf gegen die sowjetische Invasion in Afghanistan. Nicht nur, dass die USA einen geistig behinderten Mann zur Nummer drei von Al Qaida erklärten, sie folterten diesen auch noch völlig entgrenzt. Und das obwohl sie Zugriff auf seine Tagebücher hatten, die er als drei verschiedene Personen, also mit dissoziativer Identitätsstörung, verfasst hatte. Mit Zubaydah hatte man offensichtlich den perfekten Gefangenen. Einen geistig Behinderten, dem man alle möglichen Taten und Geständnisse zuschreiben konnte und an dem man in Menschenversuchen alle möglichen Foltermethoden austesten konnte.

Ein Anwalt von Zubaydah schrieb 2009 in der LA Times, dass dieser keinen Verstand mehr habe. Teilweise aufgrund seiner vorhergehenden Verletzungen, teilweise weil die CIA diese verschärft hat und teilweise aufgrund der totalen sozialen Isolation. Er leide an starken Kopfschmerzen und einem bleibenden Hirnschaden. Er leide auch unter jeglicher Art von Geräuschen, die für ihn qualvoll seien und ihn jedes Mal aufs Neue in den Wahnsinn treiben würden. Er ist nicht mehr in der Lage sich an das Aussehen seiner Mutter oder an den Namen seines Vaters zu erinnern. Und zunehmend entgleitet ihm die Fähigkeit, sich überhaupt an die Vergangenheit zu erinnern oder an eine Zukunft zu denken. Abu Zubaydah wurde von der CIA vollständig ausgelöscht. Vermutlich ist auch das lediglich ein Einzelfall. Könnte man meinen, wäre da nicht José Padilla, der ein identischer zweiter Einzelfall ist. Was sagen diese „Einzelfälle“ über die Werte des Westens aus?

Eugen Kogon hat diesen Terror bereits 1948 in seinen Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus beschrieben.

Die technischen und hochentwickelten formalrationalen Methoden unserer Zeit erlauben es dem modernen Terror, gelegentlich weniger Blut zu vergießen und massiven Rechtsbruch aller Art zu verschleiern, ja im Handumdrehen zu legalisieren.

Eugen Kogon[28]

Die Lüge der Folter: Es geht um Information

Die Rechtfertigungsstrategie der Folterer war schon immer, dass man mit Folter an wichtige Informationen gelangen könne. Nur mit Folter sei es demnach möglich, Informationen zu erhalten, die Menschenleben retten würden.
Doch die CIA stellte weit vor den Anschlägen von 2001 aufgrund eigener Erfahrungen fest, „dass solche Methoden ‚keine geheimdienstlichen Erkenntnisse liefern‘, ‚wahrscheinlich zu falschen Antworten führen werden‘ und sich in der Vergangenheit als ineffektiv erwiesen haben“[29]
Das hinderte die CIA allerdings nicht daran wieder auf brutalste Folter zurückzugreifen. Intern vermerkte der Geheimdienst[30]:

Unser Ziel war es, das Stadium zu erreichen, in dem wir jeglichen Willen gebrochen haben, ebenso wie die Fähigkeit des Subjekts, Widerstand zu leisten und sich zu weigern, uns Informationen (geheimdienstliche Erkenntnisse) zu geben, zu denen er Zugang hatte. Zudem versuchten wir, das Subjekt so weit zu bringen, dass wir mit Sicherheit behaupten konnten, dass er nicht über ungenannte Informationen über konkrete Bedrohungen oder Wissen verfügt, dass einen Terroranschlag verhindern könnte.

Das ist die Logik der vollkommenen Menschenverachtung, die Logik des Faschismus. Denn nur durch immer schlimmere, grausamere und lebensverachtendere Folter kann diese „Sicherheit“ erreicht werden. Mit dieser Logik muss auch jeder gefoltert werden, selbst wenn er bereits alles ausgesagt hat, was er auch nur aussagen könnte.
Es ist die menschenverachtende Logik von Terroristen, die überall nur noch vernichtenswerte Feinde sehen.

Tatsächlich geht es bei Folter aber nie um Informationen, egal wie häufig es die Täter auch behaupten. Informationen sind eher ein Kollateralnutzen. Bereits im KUBARK-Handbuch ist ein zentraler und selten genannter Grund für Folter aufgeführt. So könne man den Gefolterten leichter als „wertvollen Mitarbeiter für die Organisation“ gewinnen. Darüber hinaus und im Zusammenhang mit dem 11. September von besonderer Bedeutung, liefern die Gefolterten genau die Geständnisse, die man benötigt. Insofern wird aus den Gefolterten keine Information gewonnen, sondern die Information wird regelrecht in die Gefolterten hinein malträtiert.

Neben diesen geheimdienstlichen Aspekten gibt es aber auch noch einen weiteren Punkt. Folter ist immer Terror.
Mit Folter werden die Feinde des „Wir“ mit Schreckensherrschaft überzogen. Wer foltert, entscheidet über Leben und Tod. Es ist die absolute Machtdemonstration. Nach dem 11. September wurde der vermeintliche Schlachtruf Al Qaidas „Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod“ zum Symbol der Machtlosigkeit der USA. Dies ist die endgültige Angst einer Welt- und Militärmacht, deren gesamte Herrschaftslogik darin gründet, die Feinde der „freien Welt“ vernichten zu können, also mit dem Tod zu bedrohen. Nur, wie bedroht man Selbstmordattentäter?

Staunend hatte der Gefolterte erlebt, dass es in dieser Welt den anderen als den absoluten Herrscher geben kann, wobei Herrschaft sich enthüllte als die Macht, Leid zuzufügen und zu vernichten. Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in der Welt. Die Schmach der Vernichtung lässt sich nicht austilgen. Das in der Tortur eingestürzte Weltvertrauen wird nicht wiedergewonnen. Dass der Mitmensch als Gegenmensch erfahren wurde, bleibt als gestauter Schrecken im Gefolterten liegen: Darüber blickt keiner hinaus in eine Welt, in der das Prinzip Hoffnung herrscht.

Jean Améry

Wenn die Attentäter angeblich den Tod lieben, dann, so die grausame Logik, müssen die potentiellen Täter vor dem Attentat gefasst werden und gefoltert werden. Denn Folter fürchten auch die Selbstmordattentäter.
Auch das dürfte ein Grund dafür sein, dass die Gefolterten anschließend frei gelassen werden. Sie sollen von ihrer Tortur berichten können.

Was wir nicht sehen

Der CIA Folterreport und die kurzen medialen Empörungen verdecken jedoch eine entscheidende Erkenntnis. Alles was jetzt heraus kommt und alles was wir wissen, ist lediglich der Eisberg der Menschenrechtsbrüche. Wir sehen nur ein paar Prozent dessen, was tatsächlich passiert.
Während sich die etablierten Medien auf eine bestimmte Form des Waterboarding stürzen, werden andere Methoden an den Rand der Aufmerksamkeit gedrängt. Mit Waterboarding verknüpfen die meisten Menschen nun ein Handtuch, das auf das Gesicht oder in den Mund gepresst wird und auf welches dann Wasser gegossen wird. So brutal bereits diese Folter ist, so klinisch, geradezu wissenschaftlich kontrolliert wirkt sie. Man kann ja gar nicht wirklich ertrinken, zumal beim SERE-Training die eigenen Soldaten diese Methode ebenfalls aushalten mussten.

Dabei hat Murat Kurnaz bereits geschildert, dass es auch gänzlich andere Formen des simulierten Ertrinkens gibt. „Jemand fasst in meine Haare. Die Soldaten packen mich an den Armen, und dann drückten sie meinen Kopf ins Wasser. Ertrinken ist ein grässlicher Tod. Sie rissen mich wieder nach oben.“ Hier wird nichts simuliert. Keine moderne wissenschaftliche Kontrolle.

„Als ich wieder unter Wasser war, spürte ich einen Schlag in den Bauch. Ich musste ausatmen und husten, ich wollte sofort wieder einatmen, ich unterdrückte es, und ich unterdrückte den Husten. Aber ich schluckte Wasser und konnte die Luft kaum noch halten.“
Unterbrochen wird die Tortur nur durch unsinnige Fragen. „Als sie mich wieder untertauchten und in den Bauch schlugen, glaubte ich unter Wasser zu schreien. Ich hätte ihnen alles gesagt. – Aber was sollte ich ihnen sagen?“[31]

Über Dryboarding wird gleich gar nicht geredet. Hierbei werden Mund und Nase zugeklebt. Bleibende Schäden können bereits nach kurzer Zeit eintreten. Auch wissen wir letztlich nichts über die Black Sites der CIA und noch weniger wissen wir über die zahllosen anderen Dienste und Militäreinheiten, die teilweise nicht einmal einen beständigen Namen, sondern nur wechselnde Nummern haben.

Ein Verhörer drohte Slahi: „Es gibt andere Optionen, etwa Ägypten und Algerien, aber da schicken wir nur die ganz üblen Leute hin. Ich hasse es, Leute dorthin zu schicken, denn da werden die schlimm gefoltert.“
Und was geschieht in den unbekannten Gefängnissen? Wie sollen Folterungen transparent aufgearbeitet werden, wenn nicht einmal ansatzweise bekannt ist, wo sich die Entführten überhaupt befinden. Die CIA hatte zumindest überlegt Gefangene auf Schiffen zu internieren, da sie dort niemals gefunden werden würden.[32]

Folter gebiert Monster

Selmin Caliskan, Generalsekretärin von Amnesty International, warnte in der taz:

Staaten, die foltern, behandeln die ihnen anvertrauten Bürger nicht als Menschen, sondern als Objekte, die gequält werden können. Sie unterschätzen allerdings die Sprengkraft der Wut über das eigene zerstörte Leben und die tiefe Enttäuschung über den Vertrauensmissbrauch des Staats: Dadurch können sich leicht Hass und Gegengewalt aufbauen. Und neue Gewaltakteure erscheinen auf der Bildfläche.

Selmin Caliskan

Was unzählige Terrorexperten einfach nicht begreifen wollen, ist der erhebliche größere Identifizierungsgrad arabischer und muslimischer Gesellschaften. Sobald soziale Bedingungen als Begründungen für Terrorismus angeführt werden, kommt die individualistische Perspektive westlicher Experten zum Tragen: Die Terroristen kämen doch aus gutem Hause, seien gebildet, bürgerlich und wohlhabend, demnach könne es ja gar nichts mit Armut, Ausbeutung und Demütigung zu tun haben.
Es ist ein Armutszeugnis und gleichzeitig Spiegelbild des empathiebefreiten und auf sich selbst bezogenen Westens.

Man muss nicht selbst betroffen sein, um die Ungerechtigkeiten zu erleben. Und man muss nicht selbst gefoltert worden sein, um die Empörung über die Taten zu verspüren. Und man muss kein Terrorismusexperte sein, um sich vorstellen zu können, dass die Folterungen im Namen des Westens, ebenso wie die Kriege, die wirtschaftlichen Ausbeutungen und die kulturellen Demütigungen genau die Sprengkraft entwickeln, vor der Caliskan gewarnt hat.

In Wirklichkeit sind diese Gefängnisse Trainingslager für den Widerstand“, sagt Haj Ali, „denn 90 Prozent der Gefangenen sind unschuldig; doch nach diesen Erfahrungen sind sie entschlossen, den bewaffneten Widerstand gegen die Besatzer aufzunehmen. Jeder, der so behandelt wird oder sieht, wie der eigene Bruder oder die eigene Schwester so behandelt wird, wäre bereit dazu.

Lars Akerhaug: Gefoltert in Abu Ghraib

Das berühmteste Beispiel für diesen Bumerangeffekt der Folter ist Said Qutb. Qutb gilt als einer der bedeutendsten islamistischen Denker des vergangenen Jahrhunderts. Er schloss sich in den 50er Jahren der Muslimbruderschaft an und wurde infolge eines vermeintlichen Attentats der Bruderschaft auf den ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser verhaftet und gefoltert.
Lawrence Wright schreibt, dass der „Wandel vom frommen Prediger zum Mentor des Terrors“, sich erst in Nassers „grässlichen Lagern vollzog“. Unter der jahrelangen Folter habe Qutb den Glauben daran verloren, dass Ägypten noch ein islamischer Staat sei. „Der Zorn der Gefangenen galt in erster Linie der weltlichen Regierung Ägyptens, doch die Wut richtete sich zum großen Teil auch gegen den Westen, der als Unterstützer und Förderer des Regimes betrachtet wurde. […]
Die Gefängnisse Ägyptens wurden so zu einer Brutstätte für militante Kämpfer, deren Drang nach Vergeltung – sie sprachen von Gerechtigkeit – unstillbar wurde. [33]

Der Soziologe Dawud Gholamasad hat es in seiner Untersuchung islamistischer Selbstmordattentäter auf den Punkt gebracht:

Will man daher begreifen, was in einer bestimmten gesellschaftlichen Situation vor sich geht, ist es unabdingbar zu verstehen, welchen Sinn die Beteiligten ihr beimessen, welches ihre Motive und Intentionen sind und wie sie die moralische Bedeutung dessen, was sie selbst und andere tun, beurteilen.

Dawud Gholamasad[34]

Die Täter – „Wahrheit macht frei“

In den Lagern der USA gibt es zahlreiche Selbstmorde und hunderte Selbstmordversuche. Doch anstatt diese Akte, als die letzte Möglichkeit der Folter zu entgehen, zu begreifen – zumal sehr religiöser Menschen bzw. Fundamentalisten -, verhöhnt eine Regierungssprecherin sie als PR-Maßnahmen. „Ein Konteradmiral der Navy behauptete, es seien keine Verzweiflungstaten gewesen, sondern ‚Akte asymmetrischer Kriegsführung gegen uns‘.“[35]
Schließlich würden die „Terroristen“ „dafür trainiert zu lügen, um sich Sympathien für ihre Lage zu verschaffen und damit die US-Regierung unter Druck zu setzen“.[36]
Ein Zynismus den man schon aus deutschen Konzentrationslagern kennt, da überrascht auch nicht die auf deutsch ausgesprochene Aufforderung an Slahi, er solle doch reden, schließlich wisse man: „Wahrheit macht frei.“[37]

Der gleichen Verteidigungs- und Rechtfertigungsstrategie bedient sich auch ein anderer NATO-Partner. Folterer einer türkischen Anti-Terror-Einheit erklärten gegenüber Amnesty International, dass die Verletzungen die bei Gefolterten attestiert wurden, „glatte Lügen“ seien. „Diese Leute verletzen sich selber, um den Staat schlechtzumachen.“

Je genauer ein Blick auf die Täter, die Planer und die Verantwortlichen geworfen wird, desto mehr verschwinden die Unterschiede zwischen „Freund und Feind“. Was unterscheidet Staatsterroristen von Terroristen? Senator Lindsey Graham aus South Carolina sagte, die beschriebenen Foltermethoden seien „nichts im Vergleich zu dem, was unsere Feinde und islamistische Terroristen Menschen antun“. Eine Formulierung, die in ähnlicher Weise in Bezug auf Juden und Russen im deutschen Nationalsozialismus kursierte und damit den Vernichtungswillen der Deutschen befeuern sollte.
Zur Erinnerung: Es geht nicht darum gleichzusetzen, aber es geht darum zu erkennen, dass Rechtsstaaten innerhalb kürzester Zeit durch Bestrebungen von Militär, Geheimdiensten, Teilen von Politik, Wirtschaft und Medien zu einem Unrechtsstaat werden können, ohne dass diese Veränderungen von den Involvierten wahrgenommen werden.

Kogon beschrieb den Staatsterror der Nationalsozialisten und frappante Ähnlichkeiten lassen sich nicht von der Hand weisen:

Der Terror muß spürbar, das Gewand des Rechtes aber sichtbar sein. Äußerlich ist alles in ‚bester Ordnung‘, Diktatur tritt ja in unserer Zeit als ein System volksgewollten positiven Rechtes auf, welches den Mißbrauch des Rechtes und die Rechtlosigkeit einkleidet. Zahlreiche ‚Ja- oder Nein‘-Abstimmungen über simplifizierte, zum Teil völlig falsche, aber mit viel Propagandagetöse plausibel gemachte Alternativen verschaffen der Diktatur, sei es eines ‚Führers‘, einer Gruppe oder einer Klasse, die Formalvollmachten, zu tun und zu lassen, was sie für zweckmäßig hält.

Eugen Kogon[38]

Psychologen, Ärzte und Wissenschaftler haben am Folterprogramm der USA teilgenommen und dieses federführend entwickelt. Die größte psychologische Berufsvereinigung der Welt, die American Psychological Association, äußerte, dass die Entwicklung „innovativer Verhörtechniken“ oder die Ausbildung von Sicherheitsleuten, „einen wertvollen Beitrag“ geleistet hat, um „Schaden von unserer Nation, anderen Nationen und unschuldigen Zivilisten abzuwenden“.
Wer Schuld ist, entscheiden Geheimdienste. Wie gefoltert wird, entscheiden klandestin agierende Wissenschaftler. Wer ermordet wird, entscheiden anonyme Agenten vor Ort. Alles außerhalb demokratischer oder rechtsstaatlicher Kontrolle. Es ist eine Kultur der totalen Verantwortungslosigkeit, der Totalitarismus der Willkür, durch totale Konsequenzlosigkeit und Schuldfreiheit. Anders wären die Verbrechen kaum denkbar. Wenn dies die Werte des Westens sind, sind sie nicht wert, verteidigt zu werden.

Auf Nachfrage von Journalisten, die entführten und gefolterten Gefangenen besuchen zu dürfen, antwortet ein Militärsprecher, man gebe die „Häftlinge nicht der öffentlichen Neugier preis“. Eine Formulierung, die den Genfer Konventionen zur „menschlichen Behandlung von Gefangenen“ entnommen ist.[39]

Schurkenstaaten und Staatsterror

2005 fragte Human Rights Watch noch provokant, ob man mit Folter davon kommen dürfe (Getting away with torture?), 2011 schließt man dann resigniert, dass man mit Folter sehr wohl davon kommt (getting away with torture).
Und 2015 ist die Bundesregierung der Meinung, man müsse der Folter nicht weiter nachgehen, schließlich würden die USA transparent aufklären. Doch wie transparent kann eine Aufklärung sein, wenn die Fraktionsvorsitzende der Demokraten im Repräsentantenhaus Angst vor den Geheimdiensten äußert?

Nancy Pelosi kritisierte den Angriff des Geheimdienstes auf sein parlamentarisches Aufsichtsorgan zwar mit deutlichen Worten, vermied aber jeden Angriff auf die CIA insgesamt. Auf diesbezüglіche Nachfragen von Reportern sagte Pelosi dann, dass sie für frühere Äußerungen über die CIA-Aktivitäten „einen Preis bezahlt“ habe und wörtlich: „Sie ѕind dann wirklich hinter dir her.“

ORF[40]

Wenn Unrecht geschieht, dann muss ein Rechtsstaat dieses aufklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. In den USA wurden im Zusammenhang mit Abu Ghraib lediglich einige rangniedrige Militärpolizisten verurteilt. Von der CIA, von der ein erheblicher Teil der Folterungen ausging, wurde nur eine Person verurteilt: John Kiriakou, der Whistleblower, der Informationen über das Folterprogramm der CIA geleakt hatte. Derjenige, der die Verbrechen gegen die Menschheit, der Völkerrechts- und Menschenrechtsbruch anklagt, der wird zu 30 Monaten Haft verurteilt.
Der Unterschied zu Schurkenstaaten scheint lediglich eine Frage der Deutungsmacht zu sein.

NATO und westliche Wertegemeinschaft sind sich offensichtlich in einem einig: Wer nicht stört und seiner Funktion als Konsument nachkommt, genießt die Vorzüge der Pazifizierung nach innen. Wer stört, ob von innen oder von außen, bekommt die brutale, entgrenzte Macht, bis hin zu lebenslangem Wegsperren, Foltern, Verschwindenlassen und Ermorden zu spüren.
Entsprechende Schergen finden sich in jedem Land, in irgendeiner polizeilichen oder militärischen Spezialeinheit. Ärzte und Wissenschaftler sorgen dafür, dass der Gefolterte nicht zu früh stirbt. Die Verlängerung des Leidens ist elementarer Bestandteil des Folterns.
Der Unterschied zu einem Schurkenstaat besteht also hauptsächlich darin, dass nicht die eigene Bevölkerung terrorisiert wird, sondern vornehmlich Unpersonen. Und weil Unpersonen die meisten Menschen nicht interessieren, stützen befreundete Staaten und die eigene Bevölkerung den Staatsterror.

Anhang – Fußnoten

1)Zitiert nach Philip Zimbardo. Der Luzifer-Effekt. Die Macht der Umstände und die Psychologie des Bösen. Heidelberg 2008. S. 381.

2) Vgl. Hermann Kaienburg. Sachsenhausen-Stammlager. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hg.). Der Ort des Terrors. Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald. München 2006. S. 49.

3) http://www.deutschlandfunk.de/vom-leben-nach-der-folter.1184.de.html?dram:article_id=224192

4)Murat Kurnaz. Fünf Jahre meines Lebens. Ein Bericht aus Guantanamo. Berlin 2007. S. 62

5)Vgl. Alfred W. McCoy. Foltern und Foltern lassen. 50 Jahre Folterforschung und -praxis von CIA und US-Militär. Frankfurt am Main 2005. S. 33

6)Zitiert nach Alfred W. McCoy. Foltern und Foltern lassen. S. 34f

7)Zitiert nach Alfred W. McCoy. Foltern und Foltern lassen. S. 34f.

8) http://www.hamburger-fortbildungstage.de/2008/Wie_die_CIA_das_Foltern_lernte.html

9) Naomi Klein. Die Schock Strategie. S. 60

10) Vgl. auch Wolfgang Neskovic. Der CIA Folterreport. Der offizielle Bericht des US-Senats zum Internierungs- und Verhörprogramm der CIA. Frankfurt am Main 2015. S. 74ff. und 89.

11) Zitiert nach Philip Zimbardo. Der Luzifer-Effekt. S. 328

12) Zitiert nach Philip Zimbardo. Der Luzifer-Effekt. S. 385

13) Mohamedou Ould Slahi. Das Guantanamo Tagebuch. Stuttgart 2015. S. 74

14) Primo Levi. Ist das ein Mensch? Erinnerungen an Auschwitz. Frankfurt 1979. S. 127. Zitiert nach Klaus Dörner. Tödliches Mitleid. Zur sozialen Frage der Unerträglichkeit des Lebens. Neumünster 2007. S. 9

15)  Murat Kurnaz. Fünf Jahre meines Lebens. S. 57

16) Vgl. Philip Zimbardo. Der Luzifer-Effekt. S. 332

17) Vgl. Philip Zimbardo. Der Luzifer-Effekt. S. 332

18) Dass Gefangene totgeschlagen werden, hatte auch Murat Kurnaz bestätigt. Vgl. Murat Kurnaz. Fünf Jahre meines Lebens. S. 58

19) Vgl. Dokumentation Taxi zur Hölle

20) Zitiert nach Philip Zimbardo. Der Luzifer-Effekt. S. 349

21) Zitiert nach Philip Zimbardo. Der Luzifer-Effekt. S. 391

22) Offensichtlich ist diesen US-Wachsoldaten in Bezug auf Auschwitz so einiges unklar. Weder war Auschwitz unbekannt, noch war man, weder bei den Deutschen noch bei den Amerikanern, überrascht von der Vernichtungsindustrie. Man wollte es schlichtweg nicht wissen. Vielleicht trifft der Ausruf dann, ungewollt, doch wieder.

23) Vgl. Wolfgang Neskovic. Der CIA Folterreport. S. 45

24) Vgl. Wolfgang Neskovic. Der CIA Folterreport. S. 100

25) Vgl. Wolfgang Neskovic. Der CIA Folterreport. S. 45

26) Vgl. Wolfgang Neskovic. Der CIA Folterreport. S. 100

27) Wolfgang Neskovic. Der CIA Folterreport. S. 103

28) Eugen Kogon. Gesammelte Schriften. Band 1. Ideologie und Praxis der Unmenschlichkeit. Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus. Berlin 1995. S. 91

29) Wolfgang Neskovic. Der CIA Folterreport. S. 33

30) Wolfgang Neskovic. Der CIA Folterreport. S. 104

31) Murat Kurnaz. Fünf Jahre meines Lebens. S. 60f.

32) Vgl. Wolfgang Neskovic. Der CIA Folterreport. S. 79

33) Vgl. Lawrence Wright. Der Tod wird euch finden: Al-Qaida und der Weg zum 11. September. München 2007.

34) Dawud Gholamasad. Selbstbild und Weltsicht islamistischer Selbstmord-Attentäter. Tödliche Implikationen eines theozentrischen Menschenbildes unter selbstwertbedrohenden Bedingungen. Berlin 2006. S. 11.

35) Zitiert nach Philip Zimbardo. Der Luzifer-Effekt. S. 385

36) Mohamedou Ould Slahi. Das Guantanamo Tagebuch. S. 23

37) Mohamedou Ould Slahi. Das Guantanamo Tagebuch. S. 71

38) Eugen Kogon. Gesammelte Schriften. S. 96

39) Mohamedou Ould Slahi. Das Guantanamo Tagebuch. S. 48

40) http://fm4.orf.at/stories/1743531/

Links

[1] http://www.heise.de/tp/artikel/43/43771/

[1] http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Algerien/folter.html

[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Phoenix

[1] http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de

[1] http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Vietnam/tiger.html

[1] http://www.imdb.com/title/tt0854678/

[1] http://www.deutschlandfunk.de/vom-leben-nach-der-folter.1184.de.html?dram:article_id=224192

[1] http://www.jungewelt.de/2005/09-22/003.php

[2] http://www.heise.de/tp/artikel/43/43820/

[3] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13529892.html

[4] http://www.stern.de/politik/geschichte/kz-buchenwald-der-tod-als-letzte-pflicht-535594.html

[5] http://www.ipsnews.net/2008/04/rights-questions-in-portugal-about-cia-flights-to-guantanamo/

[6] http://ww w.heise.de/tp/artikel/30/30803/

[7] http://www.uni-kiel.de/psychologie/psychophysik/mausfeld/Mausfeld_PsychologieundFolter.pdf

[8] https://wikileaks.org/wiki/ICRC_Report_on_the_Treatment_of_Fourteen_%22High_Value_Detainess%22_in_CIA_Custody,_14_Feb_2007

[9] http://www.monde-diplomatique.de/pm/2001/06/15/a0023.text.name,asktEJcgp.n,9

[10] http://www.heise.de/tp/artikel/17/17553/

[11] http://web.archive.org/web/20080912023655/http://www.tagesschau.de/ausland/meldung77018.html

[12] http://www.heise.de/tp/artikel/44/44047/30239/

[13] http://www.imdb.com/title/tt0896866/

[14] http://www.mcclatchydc.com/2008/06/18/41514_general-who-probed-abu-ghraib.html?rh=1

[15] http://www.3sat.de/page/?source=/ard/themenwochen/172608/index.html

[16] http://www.sueddeutsche.de/politik/irak-foltervorwuerfe-gegen-britische-soldaten-1.132942

[17] http://www.westendverlag.de/buecher-themen/programm/cia-folterreport-wolfgang-neskovic.html

[18] http://www.humana-conditio.de/?p=1184

[19] http://www.theatlantic.com/daily-dish/archive/2007/05/-versch-auml-rfte-vernehmung/228158/#more

[20] http://www.democracynow.org/2015/1/15/did_gitmo_suicides_cover_up_murder

[21] http://articles.latimes.com/2009/apr/30/opinion/oe-margulies30

[22] http://taz.de/taz-Dossier-Comeback-der-Folter/!153044/

[23] http://www.zeit.de/1995/25/Hoerst_du_einen_Schrei_

[24] http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-12/usa-folter-bericht-cia-barack-obama

[25] http://f20.blog.uni-heidelberg.de/2009/07/27/psychologen-helfen-bei-sauberer-folter/

[26] http://www.hrw.org/reports/2005/us0405/us0405.pdf

[27] http://www.hrw.org/reports/2011/07/12/getting-away-torture

[28] http://www.heise.de/tp/artikel/43/43820/

[29] https://firstlook.org/theintercept/2015/01/19/cia-agent-jailed-john-kiriakous-long-road-era-torture/

Mein Kommentar: Hat man den NSU so lange gewähren lassen, um auf deutschem Boden Todesschwadronen heranzuzüchten ? Es finden sich bei den Rechtsterroristen die gleichen Verrohungen wie bei den Soldaten…

Jochen

Terrorismus der westlichen Welt Teil 1: Kriege, Kriegsverbrechen und Propaganda

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Dieser erste Teil eines dreitiligen Artikels von Sascha Pommrenke ist so gut, dass ich ihn hier unbedingt fast komplett wiedergeben muss.
Er fasst alles, was zu sagen wäre, schön zusammen und ist trotzdem recht lang. Eine ausführliche Diskussion dazu findet sich hier:
http://www.heise.de/tp/artikel/43/43771/1.html

Der Terrorismus der westlichen Welt – Teil 1

„Unsere Kultur, unsere Demokratie steht gegen Unfrieden, Hass und todbringende Gewalt“, frömmelte[1] der Bundespräsident in seiner Weihnachtsansprache.
Währenddessen beglückwünschte[2] sich die NATO für die besonders erfolgreiche ISAF-Mission in Afghanistan selbst.
Todbringende Gewalt, auch das weiß[3] Gauck, muss man bekämpfen: „Und in diesem Kampf für Menschenrechte oder für das Überleben unschuldiger Menschen ist es manchmal erforderlich, auch zu den Waffen zu greifen.“ Und zu den Waffen greift die westliche Wertgemeinschaft schnell und gerne. Millionen Tote und unzählige Verstümmelte hinterlässt der „Kampf für Menschenrechte“.

Die Artikelserie zum Terrorismus der westlichen Welt wirft einen Blick auf die Realitäten der Kriege und „Interventionen“, die meist hinter einem medialen Schleier des Anscheins des sauberen und gerechten Krieges verschwinden.

Amerikaner und Europäer einen[4] die „gemeinsamen humanistisch-universalistischen, normativen Orientierungen und Ziele“. Die transatlantische Wertegemeinschaft steht für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und vor allem für die Einhaltung der Menschenrechte.
Diese höheren Werte werden bei jedem neuen Konflikt, als das zu verteidigende Banner vor sich her getragen. Und während Politik und Medien genau dieses Bild aufrechterhalten, vernichtete und vernichtet die westliche Wertegemeinschaft, jenseits der medialen Aufmerksamkeit, Millionen Menschenleben. „Freiheit“ und Wohlstand der westlichen Welt werden mit dem Tod von „Unpersonen“ erkauft.

MQ-1 Predator. Bild: U.S. Airforce

Noam Chomskys und Andre Vltchecks Gespräch „Der Terrorismus der westlichen Welt. Von Hiroshima zu den Drohnenkriegen“[5] aus dem Jahr 2012 steht Namenspate für die neue Artikelserie bei Telepolis.
Die Weltgeschehnisse, vor allem seit dem Zweiten Weltkrieg, werden dabei aus einer anderen Perspektive als der gewohnten erzählt. Einer Perspektive, die nicht der offiziellen westlichen Geschichtsschreibung folgt, in der der Westen für Humanismus, Demokratie und Wohlstand steht.
Der emeritierte Linguistikprofessor Chomsky und der Publizist und Filmemacher Vltcheck beschreiben eine Welt, in der „hunderte Millionen Menschen direkt oder indirekt infolge westlicher Kriege und Interventionen ermordet wurden“.
Eine Welt, in der sich hinter den meisten Kriegen und Konflikten, „wirtschaftliche und geopolitische Interessen des Westens“ verbergen. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die Politik des Westens „jeden Terrorismus weit in den Schatten“ stellt.
Möglich wird dies unter anderem auch, weil die westlichen Medien Zensur üben, „indem sie Informationen unterschlagen oder falsche und abwegige Darstellungen liefern – oft genug, ohne sich dessen bewusst zu sein“.1

Die aktuellen Forderungen nach einer Debatte über „Deutschlands neue Macht“ und damit „Deutschlands neuer Verantwortung“, bedürfen eines realistischen Kontextes. Es ist wichtig sich zu vergegenwärtigen, was „neue Verantwortung“ bedeuten kann. Es ist ein Einfaches, in Redaktionsstuben zu sitzen und einer interventionistischen Bundeswehr publizistisch den Weg zu bereiten. Die Forderung, es müsse eine Debatte geführt werden, ist solange propagandistisch, wie die wirklichen Folgen von Kriegen aus den Medien und somit aus den Debatten fern gehalten werden.

Vom massenhaften Töten und Unpersonen

Die Geschichte des Westens ist eine Geschichte des massenhaften Tötens. Vltcheck geht von etwa 50 bis 55 Millionen getöteten Menschen als direkter Folge des Kolonialismus aus; nach dem Zweiten Weltkrieg. Hinzu kämen mehrere hundert Millionen „indirekt durch prowestliche Militärputsche und anderweitige Auseinandersetzungen“ vernichtete Menschenleben.2
Bedrückend daran sei zudem, dass die westlichen Medien nicht darüber berichten würden.

Chomsky verweist in diesem Zusammenhang auf George Orwell, der den Begriff „Unperson“ verwendete. „Die Welt teilt sich in Leute wie wir, und in Unpersonen – die bedeutungslosen anderen. […] Das Schicksal von Unpersonen kümmert uns nicht.“3
Hier wirkt der gleiche sozialpsychologische Mechanismus, der auch bei den direkten Tätern des massenhaften Tötens greift.

Entscheidend für die Herabsetzung der dem Menschen eingebauten Tötungshemmung ist die Aberkennung des Menschseins der zu Tötenden.

Elçin Kürşat-Ahlers4

Oder wie es Dave Grossmann[6] formuliert, sei ein entscheidender Mechanismus die Herstellung von kultureller Distanz, um Menschen zum Töten zu bewegen.
Kulturelle Distanz zielt darauf ab, den „Feind“ als minderwertiges Leben zu betrachten. Seine Lebensgewohnheiten, seine Kultur, seine Religion und seine „gesellschaftlichen Autoritäten“ werden dabei als „albern“ vorgeführt.5
Dem Töten geht immer die Abwertung bis hin zur Entmenschlichung des Opfers bzw. der Opfergruppe voraus. Dies ist kein individuelles Vorgehen seitens der Täter, sondern ein gesellschaftlicher Prozess. So, wie die Täter die Knöpfe bedienen, die Abzüge drücken, mit Messern, Beilen und Macheten Menschen abschlachten, so wird die „Heimatfront“ propagandistisch darauf eingestellt, dass das so auch in Ordnung, gar notwendig, sei.
Zu den „physischen Tätern“ gesellen sich „psychische Täter“. Politiker und Medien knüpfen an den Ängsten und Ressentiments der Bevölkerung an, sie erschaffen, schüren und befeuern die emotionalen Reaktionen auf den „Feind“.
Ohne eine mediale Hetze der symbiotischen Beziehung von Politik, Wirtschaft und Medien wären Kriege kaum möglich.
Das ist allerdings eine menschliche Universalie und keine Besonderheit des Westens.

So, wie die Täter zum Vollführen ihres massenhaften Tötens vom Menschsein der Opfer absehen, so sehen große Teile der Medien die Opfer ebenfalls nicht als gleichwertige Menschen. Das ist der Grund, warum in den meisten Nachrichten nichts über die zerstörerische Rolle des Westens in den vergangenen wie gegenwärtigen Krisen und Konflikten zu lesen ist.
Die Medienberichterstattung wird also nicht zentral gesteuert oder gar zensiert, auch wenn das selbstverständlich vorkommt. Der Mechanismus ist jedoch wesentlich fundamentaler. Ohne einige erkenntnistheoretische wie soziologische Überlegungen wird man das Grundproblem nicht ergründen können.

Alle Menschen einer Gruppe teilen bestimmte psychische Merkmale. Sie teilen gemeinsame Erfahrungen, Traditionen, Werte, Sitten und Normen.
In der Soziologie spricht man in diesen Zusammenhang auch von der sogenannten zweiten Natur. Denn die im Sozialisationsprozess verinnerlichten Empfindens- und Verhaltensweisen werden zum Teil der Persönlichkeitsstruktur, die genauso zwingend ist wie die erste Natur.
Der biologische Zwang zum Essen, Trinken, Schlafen usw. ist demnach genauso zwingend wie die psychosozialen Zwänge, die sich in Gruppen bzw. Gesellschaften herausbilden, z.B. die Bewertung, wer Freund ist und wer Feind.
Bei Norbert Elias und Pierre Bourdieu wird in diesem Zusammenhang auch vom (sozialen) Habitus gesprochen.

Der Habitus als verstetigte Empfindens- und Verhaltensweise gruppenspezifischer Prozesse setzt den Gruppenmitgliedern Grenzen der Erfahrung. Dieser Bezugsrahmen der Erfahrung kann nicht ohne weiteres überschritten werden. Johann Wolfgang von Goethe hat dieses Phänomen treffend beschrieben:

„Man erblickt nur, was man schon weiß und versteht.“

Erkenntnistheoretisch formulieren es Lothar Schäfer und Thomas Schnelle in der Einleitung zu Ludwik Flecks Erfahrung und Tatsache6:

„Soziale Faktoren dreierlei Art wirken auf jede Erkenntnistätigkeit ein:

  1. „das Gewicht der Erziehung“: Kenntnisse bestehen zum überwiegenden Teil aus Erlerntem, nicht aus neu Erkanntem. Mit jeder Erkenntniswiedergabe im Lernprozeß aber verschiebt sich der Kenntnisgehalt gleichzeitig unmerklich.
  2. „die Last der Tradition“: Neues Erkennen ist immer schon durch das bisher Erkannte vorgeprägt.
  3. „die Wirkung der Reihenfolge des Erkennens“: Was einmal konzeptionell formuliert wurde, schränkt den Spielraum darauf aufbauender Konzeptionen immer schon ein.“

Unabhängig von bewusster Propaganda greifen gesamtgesellschaftliche wie gruppenspezifische, tradierte Bewertungsmuster.
Ein Großteil der Bevölkerung interessiert sich schlichtweg nicht für die Lebensbedingungen von Indern oder Indonesiern. Welches Schicksal erleiden die Menschen in Usbekistan oder Weißrussland? Wie viele Millionen Menschenleben wurden im Kongo vernichtet? Warum heißt Liberia Liberia?
Wo in Vietnam fanden die Bombardierungen der Amerikaner statt? Was ist in Falludscha geschehen?

Man macht es sich zu einfach, lediglich Journalisten vorzuwerfen, sie würden über die Verbrechen des Westens nicht berichten. Das ist zwar weitestgehend richtig. Aber Medienschaffende wie Rezipienten teilen in weiten Bereichen die Vorstellungen und Werturteile über Unpersonen.

Das mörderische Vermächtnis des Kolonialismus

Das ist der Grund, warum wir so wenig darüber wissen, was der Kolonialismus vor und nach dem Zweiten Weltkrieg angerichtet hat. Nachdem die Europäer die amerikanischen Kontinente eroberten, wurden zwischen 75 und 95 Millionen Menschenleben vernichtet.
Das antiamerikanische Ressentiment, dass doch die Amerikaner die „Indianer“ ausgerottet hätten, ist insofern absurd, da es sich um europäische Exilanten handelte, die die Massaker auf dem amerikanischen Kontinent verübten.
Von den 10 Millionen Native Americans, die zu Zeiten von Kolumbus auf dem heutigen Staatsgebiet der USA lebten, waren bei einer Volkszählung 1900 noch 200.000 übrig.7

Überall auf der Welt, in allen europäischen Kolonien, wurden die indigenen Bevölkerungen unterdrückt, ausgebeutet, gefoltert und massakriert.

Die ersten Konzentrationslager wurden nicht von den Nazis in Deutschland errichtet, sondern vom britischen Imperium in Kenia und in Südafrika. Und gewiss war der von den Deutschen an europäischen Juden und Roma verübte Holocaust nicht der erste deutsche Holocaust; die Deutschen waren bereits an schrecklichen Massakern an der Südspitze Südamerikas und in der Tat auf der ganzen Welt beteiligt gewesen. Die hatten schon den Großteil des Herero-Stammes in Namibia ausgelöscht, doch all das wird in Deutschland und im übrigen Europa kaum diskutiert.

Chomsky und Vltcheck8

1904 erließ General Lothar von Trotha einen sogenannten Vernichtungsbefehl9:

Die Herero sind nicht mehr Deutsche Untertanen. […] Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auch auf sie schießen.

Deutlicher kann man Menschen kaum zu Unpersonen deklarieren. Und noch 1907 rühmte man sich des Massenmordes an den Herero: „[…] wie ein halb zu Tode gehetztes Wild war er von Wasserstelle zu Wasserstelle gescheucht, bis er schließlich willenlos ein Opfer der Natur des eigenen Landes wurde. Die wasserlose Omaheke sollte vollenden, was die deutschen Waffen begonnen hatten: Die Vernichtung des Hererovolkes.“
Die vollständige Vernichtung von Unpersonen war schon immer Doktrin des militärischen Totalitarismus. So wurde von Trotha auch vom Chef des Generalstabs Alfred Graf von Schlieffen unterstützt: „Der entbrannte Rassenkampf ist nur durch die Vernichtung einer Partei abzuschließen.“

Überlebende Herero nach der Flucht. Bild: Public Domain

Der Genozid an den Herero gilt als der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts und wurde als solcher auch von der Generalversammlung der Vereinten Nationen anerkannt. Nur Deutschland weigert[7] sich, den Völkermord anzuerkennen.
„Bundesregierung: Deutschland hat keinen Völkermord an Herero und Nama begangen“:

„Bewertungen historischer Ereignisse unter Anwendung völkerrechtlicher Bestimmungen, die im Zeitpunkt der Ereignisse weder für die Bundesrepublik Deutschland noch für irgendeinen anderen Staat in Kraft waren, werden von der Bundesregierung nicht vorgenommen.“
Was die historischen Fakten betreffe, so seien diese Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung.

Was kümmern uns Unpersonen? Mit der gleichen Logik gelänge es der Bundesregierung auch, die Nürnberger Prozesse als Siegerjustiz nicht anzuerkennen.
Bei der Beschreibung Chomskys zum Völkermord an den Herero kommt es nicht darauf an, ob man den Begriff Holocaust in diesem Zusammenhang für richtig hält. Oder ob man den Begriff Konzentrationslager exklusiv für die nationalsozialistischen Lager benutzen möchte. Entscheidend ist zu erkennen, dass Geschichte ein sozialer Prozess ist. Die Vernichtungslager sind nicht plötzlich da gewesen.
Das Land der Dichter und Denker ist nicht über Nacht brutalisiert worden. Die menschenfeindliche Logik der Ausbeutung, Unterwerfung und wenn kein Nutzen zu erwarten ist, dann Vernichtung, ist eine mächtige Traditionslinie in den westlichen Gesellschaften.
Sie hat weder mit Auschwitz begonnen, noch wurde sie mit Nagasaki beendet.

In der Demokratischen Republik Kongo wurden sechs bis zehn Millionen Menschen getötet, ungefähr genauso viele wie Anfang des 20. Jahrhunderts durch den belgischen König Leopold II. […] Obwohl in den meisten Fällen Ruanda, Uganda und deren Stellvertreter Millionen unschuldiger Menschen umbringen, verbergen sich stets die geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen des Westens dahinter.

Chomsky und Vltcheck10

Es ist nicht relevant, ob es vier, fünf oder sechs Millionen getötete Menschen sind. Entscheidend ist, dass wir über das Ausmaß und die Hintergründe nicht angemessen informiert werden.
Wer sucht, der findet[8] zwar auch, doch wäre es Aufgabe von Journalisten, zumal der öffentlich-rechtlichen Medien, über Krisen, Kriege und Völkermorde angemessen zu berichten.
So könnte man erfahren, dass der Ostkongo reich ist an Zinn, Wolfram, Tantal und Gold. Wichtige Rohstoffe für die Automobilindustrie und die Elektronik- und Computerindustrie. Millionen Tote sichern hohe Profite für neue Handys und Computer. Wir konsumieren Menschenleben.

Wenn sie tot sind, waren es Vietcong

Neben solch indirekter Kriege, bei denen sich die einheimische Bevölkerung gegenseitig abschlachtet, gibt es auch zahlreiche direkte Kriege mit Beteiligung des Westens. Der Vietnamkrieg ist ein Beispiel für die besondere Skrupellosigkeit des Westens bei der Vernichtung von Unpersonen.
Die Vereinigten Staaten setzten Napalm und chemische Kampfstoffe ein, trieben Menschen in „strategische Dörfer, … bei denen es sich in Wirklichkeit um Konzentrationslager oder städtische Slums handelte“.11

Der Einsatz von Agent Orange, den die USA nicht als chemische Kriegsführung anerkannt haben und deshalb den Opfern jedwede Entschädigung verweigern, führt noch heute zu starken Missbildungen bei Neugeborenen.
Etwa 100.000 Kinder mit Missbildungen sind auf die Vergiftung der Eltern mit Agent Orange zurückzuführen[9]: „Nach neuesten Forschungen versprühte die US-Armee während des Vietnamkrieges 80 Millionen Liter toxischer Chemikalien. Weil der vietnamesischen Regierung das Geld für großflächige Bodenversiegelungen fehlt, ist das Gift auch 30 Jahre nach Kriegsende noch im Nahrungskreislauf. Schätzungsweise zwei bis vier Millionen Menschen sind von den Spätfolgen betroffen.“

Die völlige Entgrenzung der Kriegsführung durch die USA hat etwa 4 Millionen Menschenleben in Vietnam, Kambodscha und Laos gekostet.
Der Spiegel weiß[10] bereits 1966 von etwa 35.000 Bombardierungen, erwähnt aber mit keinem einzigen Wort die Opfer. In den USA war es nicht anders.

In Media Control hat Chomsky auf eine Umfrage verwiesen12, die im Zuge des Golfkrieges durchgeführt wurde. Es wurde unter anderem nach der Anzahl der getöteten Vietnamesen gefragt. Im Durchschnitt gaben die Befragten 100.000 an. Was kümmern uns Unpersonen? Zehn Millionen Tonnen Bomben – mehr als alle Bomben im gesamten Zweiten Weltkrieg von allen Parteien abgeworfen – haben vier Millionen Menschen zerrissen. Napalm hat sich auf brutalste Weise durch die Körper gefressen, die chemische Kriegsführung, Landminen und nicht explodierte Splitter- und Brandbomben töten noch heute hunderte Menschen.
Und wir? Wir halten den Vietnamkrieg für eine Intervention gegen die Kommunisten. Denn die Kommunisten müssen mit allen Mitteln aufgehalten werden, weil die so grausam sind. Geradezu unmenschlich.

„…Bevor ich nach Saigon kam, hatte ich gehört und gelesen, daß Napalm das Fleisch schmilzt, und ich dachte, das ist Quatsch, weil ich einen Braten in den Ofen schieben kann und das Fett schmilzt, aber das Fleisch bleibt dran. Ich kam und sah diese von Napalm verbrannten Kinder, und es ist einfach wahr. Die chemische Reaktion des Napalms schmilzt ihr Fleisch einfach, das Gewebe läuft ihnen das Gesicht herunter und auf ihre Brust, und da bleibt es und wächst dort weiter. Diese Kinder konnten ihren Kopf kaum bewegen … Und wenn die Entzündung einsetzt, schneiden sie ihnen die Hände, Finger oder Füße ab. Das einzige, was sie nicht abschneiden können ist der Kopf.::Martha Gellhorn13

Es kümmert uns nicht, wenn unsere Verbündeten Verbrechen gegen die Menschlichkeit, korrekt sollte es heißen: Verbrechen gegen die Menschheit, begehen. Verstöße gegen oder Bruch des Völkerrechts oder der Menschenrechte begehen nur Verbrecherregime.
Wir jedoch haben die Errungenschaften des Rechtsstaates. Bei uns werden Verbrechen geahndet und deswegen kommen sie auch nicht vor bzw. sind Einzelfälle denen mit der Härte des Gesetzes begegnet wird.
Das ist der Anschein, der Phantasiepanzer, den sich das Bürgertum zugelegt hat, um sich nicht mit der schrecklichen Wahrheit auseinandersetzen zu müssen.

Die Logik des Krieges

Im Falle des Massenmords von My Lai, der am 16. März 1968 stattfand, ging die Tötungsbereitschaft der amerikanischen Soldaten so weit, dass nicht nur Menschen ermordet, sondern auch noch ihr Vieh abgeschlachtet und ihre Häuser niedergebrannt wurden – so, als sollte buchstäblich nichts, keine Spur von den Opfern und ihrem Leben, übrig bleiben. Viele der Frauen des Ortes wurden vergewaltigt, bevor sie ermordet wurden. Es handelte sich um einen Massenmord, der […] niemanden ausließ, also im Ergebnis einen Vernichtungswillen erkennen ließ, der keine Ausnahmen vorsah. Insgesamt fielen diesem Massenmord 504 Vietnamesinnen und Vietnamesen zum Opfer; ganze drei von ihnen erfüllten als junge Männer das Kriterium, möglicherweise gegnerische Kämpfer zu sein, ein Einziger war nachweislich bewaffnet.

Quelle14

My Lai war das Ergebnis des militärischen Totalitarismus. Diese Logik kennt nur die Vernichtung des Feindes. Und Feind ist, wer zum Feind deklariert wird. Ist er tot, war er ein Feind.
Diese perverse, menschenverachtende Logik ist selten deutlicher dokumentiert als im Bodycount, dem Leichenzählen. Dahinter steckt die einfache Wahrheit, dass, wenn genügend Feinde getötet werden, niemand mehr übrig bleibt, der sich widersetzen könnte.
Um dieses Ziel zu erreichen, wurden Free-Fire-Zones eingerichtet. Der Auftrag war so einfach, wie illegal: „Tötet alles, was sich bewegt“.

Beim Massaker von My Lai ermordete vietnamesische Zivilisten. Bild: U.S. Army

Der Journalist Seymour Hersh, der das Massaker von My Lai recherchierte, benötigte ein Jahr bis er einen Verlag gefunden hatte, der die Geschichte veröffentlichen wollte. Erst eineinhalb Jahre nach dem Massaker wurde die Geschichte publiziert, nachdem bei 50 Herausgebern und Verlegern persönlich vorgesprochen wurde.

In Zeiten des vaterländischen Krieges gegen die grausamen Kommunisten möchte niemand als Vaterlandsverräter dastehen und so zensieren sich die Medien lieber selbst.
Wenn Politik und Medien versagen, dann bleibt immer noch der Rechtsstaat auf den die westliche Wertegemeinschaft stolz ist.
Für das Massaker von My Lai wurden vier Soldaten angeklagt. Lediglich Leutnant William Calley wurde zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.

Einige Bundesstaaten setzten die Flaggen aus Solidarität mit dem Angeklagten auf Halbmast und die Gouverneure riefen zu Sympathiekundgebungen für Calley auf. Einer dieser Gouverneure war der spätere US-Präsident Jimmy Carter. Am 29. März 1971 wurde Calley, der auf Befehlsnotstand beharrte, der vorsätzlichen Tötung von 22 Zivilisten schuldig gesprochen und am 31. März 1971 zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.
Schon am darauffolgenden Tag, dem 1. April 1971, verfügte Präsident Nixon seine Haftentlassung. Calley bekam lediglich Hausarrest.
Am 20. August 1971 wurde seine nominelle Strafe durch die Army jedoch auf 20 Jahre verkürzt, danach von Heeresminister Callaway nochmals halbiert.
1974 wurde Calley durch Richard Nixon endgültig begnadigt.

Wikipedia[1]

Um es mit den Worten Calleys15 zu sagen:

What the hell else is war than killing people?

My Lai wäre nicht aufgeklärt worden, wäre es nach den US-amerikanischen Militärs gegangen. Denen galt das Massaker lange als militärischer Erfolg.
Es waren einfache Soldaten, Fotografen und ein investigativer Journalist, die das Verbrechen aufdeckten. Der Soldat, der die Aufklärung des Verbrechens überhaupt erst ermöglicht hatte, wurde von einem Teil der Medien als „Verräter, Dreckskerl, Agent von Hanoi, Kommunist, Jude und eine Schande für unsere Gesellschaft“ beschimpft[11].
Das Mitgefühl gilt den eigenen tapferen Soldaten. Was interessieren uns Unpersonen?

Beim Massaker von My Lai getötete Frau. Bild: U.S. federal government

My Lai war keine Ausnahme auch wenn der Versuch recht erfolgreich war, dies so im kollektiven Gedächtnis zu verankern.
Kriegsverbrechen des Westens finden entweder offiziell gar nicht statt oder werden als Einzelfall und absolute Ausnahme kommuniziert.
Doch die Wahrheit ist eine gänzlich andere. Der Krieg, den wir nicht sehen sollen, ist eine Aneinanderreihung von Verbrechen. Das wissen Militärs und Politiker, weshalb ein Großteil des Krieges im Geheimen stattfindet.
Der saubere Krieg rechtsstaatlich verpflichteter Soldaten, die für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte kämpfen, ist eine Lüge.

„Krieg ist Krieg“, begründete[12] der zuständige Richter die Freilassung Calleys, „und es ist keineswegs ungewöhnlich, daß unschuldige Zivilisten wie die Opfer von My Lai getötet werden. In der gesamten überlieferten Geschichte war es so. Es war so, als Josua Jericho einnahm.
Josua wurde allerdings nicht wegen Mordes an der Zivilbevölkerung Jerichos angeklagt. Aber schließlich, so sagt man uns, stand ja Gott auf Seiten Josuas.“ Und so ist es nur folgerichtig, Massenmörder straffrei zu belassen.
Krieg ist Krieg, ist die Logik der Menschenfeinde. Eine Logik, die bis heute wirkmächtig ist und als ultimatives (Schein-)Argument angeführt wird. Krieg ist Krieg, bedeutet nichts anderes als: Schweigt ihr Gutmenschen. Wer nur in Kategorien des Krieges denkt, der kennt keine Mörder in den eigenen Reihen. Der kennt nur pflichtbewusste Soldaten, die über die Stränge schlagen. Und das passiert nun mal leider ab und an.

Von US-Soldaten getötete Vietnamesen. Bild: U.S. federal government

Tatsächlich[13] aber werden ein „ums andere Mal, abertausendfach, […] Alte, Frauen, Kinder in einem entlegenen Dorf wahllos erschossen, in Bunkern mit Handgranaten getötet, erst vergewaltigt, dann ermordet […], in ihren Hütten verbrannt, verstümmelt, um aus ihren Ohren und Fingern Trophäen-Ketten zu fertigen“.
In der Logik des Totalitären existieren nur noch Feinde. Zivilisten gibt es nicht mehr. Insofern ist My Lai nicht ein Kriegsverbrechen des Vietnamkrieges, sondern der Vietnamkrieg ist das Kriegsverbrechen mit unzähligen My Lais.

Ich habe dieselben Grausamkeiten begangen wie Tausende andere Soldaten: Ich habe an Operationen in „Feuer-Frei-Zonen“ teilgenommen … Maschinengewehre auf Befehl in „Search and Destroy“-Aktionen gegen Menschen eingesetzt … Dörfer niedergebrannt … All das wider die Gesetze der Kriegsführung, wider die Genfer Konvention…als Teil der offiziellen Regierungspolitik.

John Kerry 1971

Kriegsverbrechen sind im Krieg die Regel und nicht die Ausnahme. Eine Erkenntnis, die der Westen immerfort zu verdecken versucht.

„Aus diesen Hinterhalten heraus haben wir wahllos getötet, und eine Menge Opfer waren keine Vietcong. Wir benutzten Claymores (Anti-Personenminen – B.G.) gegen jede Person und jedes Boot, das vorbeikam, und manchmal war es ein Kahn mit […] ein paar Frauen oder manchmal ein Bauer mit einer Hacke. Nix besonderes, sobald wir sie getötet hatten. Waren sie eben Vietcong.::Quelle16

„Nur ein toter Talib ist ein guter Talib“

An der Logik des Krieges und der Logik der Militärs hat sich bis heute nichts geändert.
Mit Drohnenanschlägen in Pakistan werden nie „Menschen“ getötet. Es sind immer „Militante“[14]. In Afghanistan ist es nicht anders.
Das NATO-Wording für jedweden Widerständigen ist Taliban. Auch wenn die Getöteten nichts mit den Taliban zu tun hatten.
Ein ehemaliger US-Offizier stellte 2009 resigniert fest, dass es in Afghanistan gar nicht gegen einen einheitlichen Feind ging, wie es immer kolportiert wird, sondern: „I thought it was more nationalistic. But it’s localism. I would call it valley-ism.“

Manche Gruppen würden nicht einmal Verbindungen zu Gruppierungen unterhalten, die nur wenige Kilometer entfernt seien. Von den „hunderten, vielleicht tausenden“ dieser Gruppen in ganz Afghanistan, gibt es seiner Anschauung nach nur wenige, die „ideologische Verbindungen“ zu den Taliban hätten.

„..aber warum und wozu?“[1]

Vltcheck schließt aus der krassen Diskrepanz zwischen tatsächlichem Geschehen, der Deutung der Geschehen aus westlicher Perspektive und der medialen (Nicht-)Berichterstattung:

Im Allgemeinen halte ich die Menschen im Westen, besonders Europäer, für extrem indoktriniert und von einem Gefühl ihrer Einzigartigkeit besessen.
Sie durchlaufen eine einseitige Erziehung und verlassen sich auf ihre Medien, und infolgedessen sehen sich viele als Auserwählte und suchen nicht nach alternativen Informationsquellen.

Chomsky und Vltcheck17

Ausgehend von dem Diktum Niklas Luhmanns – „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“18 – lässt sich konstatieren, dass wir über die Kriege des Westens so gut wie nichts wissen. Oder besser: über aktuelle Kriege.
Die USA werden einen „Fehler“ wie in Vietnam nicht wiederholen. Die Kriegsberichterstattung findet nur noch „embedded“ statt. Bei der amerikanischen Armee ebenso wie bei der deutschen.
Am Beispiel Jonathan Schnitts „Foxtrott 4. Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan“[15] wird überdeutlich, dass es künftig gar keiner Journalisten mehr bedarf. Was Schnitt, sowohl physisch wie psychisch vollkommen „eingebettet“, als Journalist abliefert, unterscheidet sich nicht im Geringsten von den Beschreibungen der Pressestellen der Bundeswehr. Dazu ist Journalismus unnötig.
Was für ein Berufsverständnis muss ein Journalist haben, der Folgendes schreibt:

Die Strategie der ISAF in Afghanistan beruht letztlich auf einem ziemlich klugen Buch von General David H. Petraeus und Lt. General James F. Amos. 2006 gaben die beiden amerikanischen Generäle ein Handbuch für Aufstandsbekämpfung mit dem Titel „Counterinsurgency Field Manual“ heraus, das Anfang 2007 bei der Besetzung Iraks erfolgreich angewandt wurde.

Jonathan Schnitt

Besonders erfolgreich war vermutlich Phase 2 „Clear“ (Säuberung). Bei der die feindlichen Kräfte aus dem Zielgebiet „vertrieben“ werden.
Wer das Wording militärischer Propagandaabteilungen übernimmt, hat sich als Teil der sogenannten vierten Gewalt verabschiedet. Mit Kontrolle und Überwachung der Exekutive hat das nichts zu tun. Zu den Tätern der physischen Tat, gesellen sich Täter der psychischen Tat.
Selbst der Spiegel musste konstatieren[16], dass das „Field Manual 3-24“ problematisch sei.

Hinter verschlossenen Türen machten Petraeus und seine Leute deutlich, was mit „Säuberung“ gemeint war. Deutsche Politiker erinnern sich an einen Satz von Michael T. Flynn, damals Isaf-Geheimdienstchef in Afghanistan. „Nur ein toter Talib ist ein guter Talib“, erklärte der Offizier den Besuchern bei einem Briefing.

Aber der Spiegel wäre nicht der Spiegel, würde er jeglichen Ansatz von Kritik nicht sogleich relativieren: „Im Krieg gelten andere Regeln als bei der Verbrechensbekämpfung in Friedenszeiten.“ Krieg ist Krieg.
Und so zwängt der Spiegel das kritische Denken sofort in das Korsett militärischer Logik. Warum ein demokratischer Rechtsstaat, der für Menschenrechte einsteht, sich diesem Totalitarismus unterwerfen sollte, weiß man beim Spiegel sicherlich auch nicht.
Natürlich wollen Militärs ihrer eigenen Logik folgen: Sieg um jeden Preis. Koste es, was es wolle. Aber es gehört zur Demokratie, diesen Willen zur Macht gesellschaftlich zu diskutieren und gegebenenfalls zu begrenzen oder gar ganz zu verhindern.

Propaganda und Medien

Journalisten, die die Angaben von Militär und Geheimdiensten ungeprüft übernehmen, sind nichts anderes als PR-Agenten. Ramsey Clark, ehemaliger Justizminister der USA, hat in seinem überaus wichtigen Buch „Wüstensturm. US-Kriegsverbrechen am Golf.“ zahlreiche Medienmanipulationen, Selbstzensur, Desinformationen und Fälle von Propaganda beschrieben.

Von den 88.500 Tonnen Sprengmaterial, die auf den Irak herabregneten, waren nur 6.250 Tonnen von genauen Zielvorrichtungen gesteuert. Fast 93 Prozent der Bomben waren ungesteuert – sie fielen aus großer Höhe herab und waren nicht zielgenauer als die Bomben des Zweiten Weltkriegs. […] Eine der großen Mythen, die das Pentagon und die gesteuerten Medien verbreiten, war der von der chirurgischen Präzision der US-Waffen, die angeblich zum Schutz von Menschenleben beitrug. Mit diesem Argument hatten die USA schon früher Gewaltakte gegen ihre Feinde gerechtfertigt.

Ramsey Clark19

Es ist die identische Argumentation, mit der der Drohnenterror[17] gerechtfertigt wird. Entweder übernehmen Medien schlichtweg die Pressemeldungen des Militärs und verschleiern damit die Realität oder sie verschweigen die Wahrheit gleich ganz.

Die US-Divisionen, die Saddam Husseins Abwehrlinie durchbrach, setzte auf Panzern montierte Pflüge und für den Kampfeinsatz konstruierte Erdbewegungsfahrzeuge ein, um Tausende irakische Soldaten – manche noch lebend und aus ihren Waffen feuernd – in ihren mehr als 70 Meilen langen Gräben zu verschütten, so die US-Militärs. […] Dieses beispiellose Vorgehen wurde vor der Öffentlichkeit verborgen…

Ramsey Clark20

Einigen Journalisten wurde vom Pentagon ein Video von tatsächlichen Kampfeinsätzen gezeigt. Man wollte ermitteln, wie die Medienvertreter reagieren würden. AP-Reuters schrieb später über das Video, in dem unter anderem gezeigt wurde, wie Menschen durch eine 30mm Schnellfeuerkanone eines Hubschraubers in Stücke zerrissen werden:

Die Kriegsberichterstatter, die das Video sehen durften, erwähnten nicht, wo und wann das Gefecht stattgefunden hatte, und es wurden keine Gefallenenzahlen genannt … die Fernsehzuschauer bekamen die Aufnahmen nicht zu sehen: Nach Ansicht der Zensoren waren sie für das allgemeine Publikum zu brutal.

Ramsey Clark21

Politik, Militär, Rüstungsindustrie und Medienvertreter wissen ganz genau: würden die Kriege realistisch gezeigt werden, würde es nirgends Mehrheiten der Bevölkerung für Kampfeinsätze geben.
Wenn die Menschen sehen würden, was es bedeutet, wenn ein Körper durch eine Granate zerrissen wird, wenn die Eingeweide aus Schusswunden heraushängen, wenn Phosphor die Haut bis auf die Knochen verbrennt, würde sofort eine Beendigung jeglicher militärischer Gewalt gefordert werden.

Was sind das für Menschen, die Brandbomben zum Einsatz gegen Menschen erfinden? Wie entfremdet und menschenverachtend muss man sein, um das Phosphor mit Kautschuk zu vermischen, damit es zähflüssiger wird und sich besser auf dem gesamten Körper verteilt?

Da Phosphor in Brandbomben jedoch mit einer Kautschukgelatine versetzt wird, bleibt die zähflüssige Masse an der bis dahin noch nicht brennenden Hand haften und wird so weiter verteilt. Weißer Phosphor erzeugt in der Regel drittgradige Verbrennungen, zum Teil bis auf den Knochen. Da diese bei einem Angriff meist großflächig sind, sterben Betroffene langsam an ihren Verbrennungen, sofern sie nicht durch Inhalation der giftigen Dämpfe, Verbrennung der Atemwege oder Intoxikation zu Tode gekommen sind.

Wikipedia[1]

Die großen Medien packen die Bevölkerung des Westens in einen riesigen Wattebausch, der die Wirklichkeit verdrängt und ein wohliges Gefühl von Demokratie und Rechtstaatlichkeit erschafft. Solange alle Bürger weiter konsumieren, bleibt der Anschein der den Menschenrechten verpflichteten Demokratie aufrechterhalten.
Und während der Westen sich in seiner Parallelwelt über den Export seiner besten Ware „Demokratie“ selbst feiert, vernichtet der Militärapparat des Westens Unmengen an Menschenleben.

Aber wen kümmern schon Unpersonen?

Eine wahrhaftige, unzensierte, realitätsnahe Schilderung des Krieges zerstört unweigerlich die Moral der Heimatfront, dann jedenfalls, wenn der Krieg sich länger hinzieht.
Um erfolgreich Krieg zu führen, so hat schon Clausewitz erkannt, bedarf es einer engen Allianz von Armee und Volk. Diese Allianz zerbricht, wenn die Gesellschaft über einen längeren Zeitraum hinweg die grausame Wirklichkeit des Krieges täglich miterlebt und miterleidet.
Die Vereinigten Staaten haben den Vietnamkrieg ohne Sieg beenden müssen, nachdem ein wesentlicher Teil der Bevölkerung ihrer Armee die Unterstützung entzogen hatte. Mit einer freien und unzensierten Presse ist kein Krieg von Dauer zu gewinnen.

WinFried Scharlau22

Was sagt das über die deutschen Medien angesichts von 13 Jahren Afghanistankrieg aus? Während wir nicht annähernd realistisch über die Kriege der Gegenwart informiert werden, fordert[18] der Bundespräsident eine selbstbewusste Debatte über Deutschlands neue Rolle in der Welt. Manchmal müsse man eben auch zu den Waffen greifen. Schließlich stehe Deutschland nun für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit: „Es steht an der Seite der Unterdrückten. Es kämpft für Menschenrechte.“

Angesichts der Millionen Toten, die der Kampf für Menschenrechte und die Verbreitung der Demokratie, die doch nur die Verbreitung von Absatzmärkten und Sicherung von Ressourcen meint, fordert, fällt es schwer, auch nur ansatzweise echte Empathie mit den Opfern von Kriegen beim Bundespräsidenten herauszuhören. Die Freiheit, die Gauck permanent verteidigt und verbreitet sehen will, ist die Freiheit zu konsumieren. Es ist die Freiheit, auf der Autobahn schnell zu fahren, und es ist die Freiheit, bei Menschheitsverbrechen so lange wegzuschauen, bis irgendwann einmal „deutsche Interessen“, also wieder Profitinteressen, berührt werden.

Doppelstandards und der Wert menschlichen Lebens

Für die Menschenrechte bombardierte eine „Internationale Koalition“ 2011 Libyen. Obwohl es sich um einen Bürgerkriegskonflikt handelte, positionierten sich Frankreich, die USA, Großbritannien und Kanada auf Seiten der „Rebellen“.
Offizielles Ziel war der Schutz von Zivilisten. Dazu sollte eine Flugverbotszone militärisch durchgesetzt werden.

Faktisch griffen die Menschenrechtsverteidiger aber in den Bürgerkrieg ein, zerstörten weite Teile der Infrastruktur Libyens, bewaffneten die Opposition, die mehrheitlich aus Islamisten bestand und hinterließen einen vollkommen zusammengebrochenen Staat.
Im Februar 2012, über ein halbes Jahr nach dem „Sieg der Rebellen“, freute sich die ARD über den Sieg der Menschenrechte und dass nun eine Demokratie aufgebaut werden könne ohne den Diktator Gaddafi.
Aktuell wird konstatiert[19], dass es keinen libyschen Staat mehr gibt, der diesen Namen verdient hätte. Der Bürgerkrieg wütet wie zuvor und es interessiert den Westen nicht im Geringsten.
Deutlicher kann man die Menschenrechtsmythen nicht desavouieren. Es ging nie um den Schutz von Zivilisten. Das ist lediglich der Anschein, den es bedarf, um die Allianz von Bevölkerung und Militär aufrecht zu erhalten. Es ging ausschließlich darum, Gaddafi abzusetzen. Was danach kommt, ist vollkommen irrelevant für die intervenierenden Staaten gewesen. Was kümmern uns schon Unpersonen?

Jochen Bittner, der sich seit der legendären „Neues aus der Anstalt“-Sendung lauthals empört[20], man verorte ihn zu Unrecht in habitueller und tatsächlicher Nähe zu transatlantischen Netzwerken, beweist nicht erst seit der Ukraine-Krise, dass Doppeldenk und Doppelstandards sein Metier sind:

Was eigentlich muss noch geschehen, damit ein Krieg als gerechtfertigt gelten kann? Welche Kriterien müssen noch erfüllt sein. Sicher, die Rebellen waren und bleiben unberechenbar. Ich halte unberechenbare Rebellen, wenn sie gegen eine Diktatur kämpfen, aber bei Weitem für besser als tote Rebellen.

Jochen Bittner

Bittner schreibt wohlfeil vom Kampf gegen eine Diktatur, ohne sich selbst und dem Leser jedoch bewusst zu machen, dass eben diese „Rebellen“ genauso töten und massakrieren wie die Truppen Gaddafis.
Gibt es gute und weniger gute Tote? Diese unberechenbaren Rebellen waren entgegen Bittners Prämisse jedoch durchaus berechenbar und machen da weiter, wo sie aufgehört haben. Sie gründen als ISIS ein neues Kalifat.
Nun könnte sich Bittner natürlich darauf zurückziehen, dass das nicht absehbar war, dankenswerterweise hat er aber im gleichen Artikel[21] seine Einschätzung der Weltgeschichte dargetan. Wer die Guten und wer die Bösen sind, das definiert nämlich immer noch der Mächtigere.

Es scheint leider noch immer ein sehr deutscher Reflex zu sein, jede Einmischung in einen militärischen Konflikt als ‚Aggressionspolitik‘ zu verdammen. Merken solche Kommentatoren eigentlich nicht, wie moral- und geschichtsblind sie argumentieren? Das vergangene halbe Jahrhundert war voll von völkerrechtswidrigen Interventionen. Bloß: den allermeisten davon lagen keine westlichen Aggressionen zugrunde. Der sowjetische Einmarsch in Afghanistan. Der Chinas in Vietnam. Der Ägyptens in den Jemen. Der des Irak nach Kuwait. Der Einmarsch Ugandas in Ruanda. Der Ruandas in den Kongo. Russlands Krieg in Tschetschenien. Alles vergessen?

Jochen Bittner

Bei dieser Geschichtsklitterung bleiben nur zwei Möglichkeiten. Entweder ist Bittner ein Überzeugungstäter und Ideologe, der seine Leser absichtlich desinformieren will. Oder aber, er ist schlichtweg uninformiert und zwar so, wie es Vltcheck meinte, als er sagte23:

Nachdem ich auf allen Kontinenten der Erde gelebt habe, bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass die Menschen im Westen die indoktriniertesten, am schlechtesten informierten und am wenigsten kritischen auf der ganzen Welt sind, wobei es natürlich manche Ausnahmen, wie Saudi Arabien, gibt. Doch die Menschen im Westen sind vom Gegenteil überzeugt und bilden sich ein, das bestinformierte und „freieste“ Volk der Erde zu sein.

Die Auswahl von Interventionen, die Bittner vorlegt, ist zynisch. Es ist die schlichte Weltsicht, die den Totalitarismus des Freund-Feind-Denkens ausmacht. Es gibt gute Tote und es gibt schlechte Tote. Man muss Menschenleben qualitativ bewerten lernen, um sich solch einem Denkkollektiv zu nähern. So schreibt Bittner weiter:

In Ruanda sind schätzungsweise 800.000 Menschen ermordet worden. So, das sollte sich jeder vor Augen führen, der die vermeintliche Gewaltlust des Westens anprangert, kann eine Bilanz ohne Intervention aussehen.

Bittner geht es nicht um den tatsächlichen Konflikt, ihm geht es um die Propaganda zum militärischen Eingreifen. Es ist schon eine besondere Erwartungshaltung, dass ausgerechnet Militaristen von sich glauben machen wollen, es gehe ihnen um Menschenleben. Es ist die gleiche Logik, in der Soldaten zu Idealisten stilisiert werden, die zur Bundeswehr gehen, weil Ihnen der Frieden so am Herzen liegt.

Ist Bittners Beispiel Ruanda tatsächlich ein Argument für militärische Interventionen? Denn Völkermord zu verhindern, ist schließlich eine Option für militärische Einsätze, der sich jeder empathiefähige Mensch anschließen können wird. Am 7. April 1994 werden zehn belgische Soldaten getötet.

Die Extremisten nahmen sich bewusst die belgischen Soldaten vor, um Angst zu verbreiten. Sie wussten, dass westliche Nationen nicht den Mut und nicht den Willen aufbringen, bei Friedenseinsätzen Verluste hinzunehmen. Sobald Tote zu beklagen sind, wie bei den Amerikanern in Somalia oder den Belgiern in Ruanda, rennen sie davon, ganz gleich, welche Folgen das für die im Stich gelassene Bevölkerung hat.

SZ[1]

Am 3. Mai schlagen die USA im UN-Sicherheitsrat vor:

Der Rat solle eine Delegation nach Ruanda schicken. Mit einer solchen Aktion, die einen gewissen „Symbolcharakter“ habe, würde man Schlagzeilen wie „Die UN sollten sich schämen‘“verhindern.

SZ

Bittner nutzt das absichtliche Wegsehen des Westens also auch noch als argumentative Hilfe, um „humanitäre“ Interventionen zu rechtfertigen. Erst lässt es der Westen zu, dass etwa 800.000 Menschen mit Macheten in Stücke geschlachtet werden und dann soll das absichtliche Nichteingreifen als Rechtfertigung für künftiges Eingreifen dienen. Die Instrumentalisierung eines Völkermords ist an Perfidie kaum zu überbieten.

Die Nachrichtenagentur Reuters schickt den Reporter Aidan Hartley nach Ruanda. Hartley erinnert sich, dass man ihm sagte, dies sei eine „klassische Bongo-Story“. Niemand würde Interesse haben an dem, was in Ruanda geschehe, „solange sie nicht anfangen, weiße Nonnen zu vergewaltigen“. Seine Aufgabe sei es, „über die Weißen zu berichten, davon, dass die Nonnen evakuiert werden“.

SZ

„Jeder wusste“, so erinnert sich die britische Journalistin Linda Melvern, „dass die Presse nach dem, was in Somalia passiert war, kleinen Kriegen in Afrika noch weniger Aufmerksamkeit schenken würde als zuvor.“

Was kümmern uns Unpersonen? Bittner, stellvertretend für die publizistischen Wegbereiter „deutscher Großmannssucht“, jedenfalls recht wenig. Ansonsten hätte er zumindest im Ansatz die Rolle der USA und Frankreichs beim Völkermord in Ruanda[22] in Betracht gezogen.

„Wir wollen versuchen, die Leute zu treffen“

Der Glaube an die eigene Höherwertigkeit ist Kern des Problems. Wenn der Westen immer wieder behauptet, das überlegenere System zu haben, und dabei mit einer pars-pro-toto-Verzerrung ausschließlich auf die exklusivsten Vorteile abzielt, gleichzeitig aber die Verbrechen, die Ausbeutung, Unterdrückung, Demütigung bis hin zur physischen Vernichtung ausblendet, wird das massenhafte Töten weitergehen.

Eine Debatte über interventionistische Einsätze der Bundeswehr muss geführt werden. Das ist richtig. Doch erfordert eine Debatte, so sie denn ehrlich und ergebnisoffen geführt werden soll, dass sie auf Tatsachen und nicht auf Propaganda beruht.
Dazu wäre es auch notwendig zu erfahren, was das KSK (Kommando Spezialkräfte[23]) in den letzten Jahren gemacht hat?
Egon Ramms, Nato-General a.D., etwa vier Jahre lang Kommandeur des Allied Joint Force Command in Brunssum, zuständig für die Afghanistaneinsätze, erklärte[24] im Deutschlandradio:

Deutsche Soldaten, Spezialkräfte, sind auch schon im Jahr 2002, Ende 2001, Anfang 2002 unter dem Mandat für Operation Enduring Freedom nach Afghanistan gegangen – ich wiederhole: deutsche Spezialkräfte -, und die sind dort nicht gewesen, um Blümchen zu pflücken.

Ein Tötungskommando[25], das weitestgehend außerhalb demokratischer Kontrolle existiert, delegitimiert eine demokratische Armee.
Mehr noch. Während ein Großteil der Soldaten tatsächlich defensive Aufgaben wahrnimmt und damit durchaus auch schützende Funktionen erfüllen kann, existiert parallel eine Geheimarmee, die mit ihren Aufträgen den gesamten Verband zu gefährden vermag.
Deutsche Soldaten, die in Afghanistan waren, wissen, wie die Stimmung der Bevölkerung umschlagen kann, wenn plötzlich amerikanische Killerkommandos in der „deutschen Zone“ umherwüten, so dass die einheimische Bevölkerung davon ausgeht, es wären deutsche Soldaten gewesen.

In Deutschland weiß man hingegen nicht einmal, wie alle deutschen Soldaten im Einsatz umgekommen sind. Und wir wissen fast nichts über die Opfer der Bundeswehr.
Wie viele Menschen wurden von der Bundeswehr getötet? Wie soll eine kritische Debatte geführt werden, wenn über den Gegenstand der Debatte kaum etwas bekannt ist?

Aus der sozialpsychologischen Täterforschung ist bekannt, dass prinzipiell alle Menschen zu Mördern, gar Massenmördern, werden können.
Situative Zwänge können „ganz normale Menschen“ dazu bringen, grausamste Verbrechen zu begehen. Ganz normal meint hier, dass es sich nicht um psychopathologische Täter handelt. Und in der Selbstwahrnehmung jedes einzelnen, in seiner moralischen Integrität, hätte jeder von sich vorher behauptet, er wäre nie zu solchen Taten fähig. Gesellschaftliche Aufgabe muss es demnach sein, die Herstellung entsprechender Situationen zu verhindern.

Das Bedürfnis nach kollektivem Aufgehobensein und nach Verantwortungslosigkeit enthält, so scheint mir, das größte Potential zur Unmenschlichkeit; aus ihm resultiert die gefühlte Attraktivität einer klaren Aufteilung der Welt in Gut und Böse, Freund und Feind, zugehörig und nicht-zugehörig. Hier hat auf Seiten der Individuen die Eskalation der Vernichtungsgewalt ihren Anfang.

Harald Welzer24

Es ist fahrlässig zu glauben, Deutschland oder „dem Westen“ könne so etwas nicht mehr passieren. Die Geschichte bis heute beweist das Gegenteil. Beim Luftangriff bei Kunduz[26] hatten die deutschen Verantwortlichen die Möglichkeit, die Menschen bei den feststeckenden Tanklastwagen zu warnen bzw. zu verjagen. Dazu wollten die amerikanischen Piloten tief über die Personen hinwegfliegen, um zu zeigen, dass sie da seien (show of force). Die Deutschen lehnten dies ab und forderten die umgehende Bombardierung. Auf Nachfrage ob man denn die Tanklastwagen oder die Personen treffen wolle, gaben die deutschen Militärs an: „Wir wollen versuchen, die Leute zu treffen“. Das Vernichten von Menschenleben ist die grundlegende Logik des Militärs. Töten ist der Beruf. Der Versuch politisch wie publizistisch Deutschland eine neue Verantwortung herbeizuschreiben, die mit Waffengewalt zu vertreten sei, muss genau dies diskutieren. Wie viel Menschenleben ist Deutschland bereit zu vernichten?

Eugen Kogon hat 1948 rückblickend auf den Zweiten Weltkrieg in einem Vortrag zum „Terror als Herrschaftssystem“ gewarnt:

Man muß den Terror in seinen Anfängen, in seinen Erscheinungsformen, in seinen Praktiken und in seinen Folgen entlarven. Denn wir wurden Zeugen davon, und werden es noch immer, wie er sich inmitten heutiger Demokratien entwickelt, wie er zur Macht kommt und sich als Demokratie selbst ausgibt, geradezu als eine Regierungsform von Freiheiten.

Eugen Kogon25

Anhang

Fußnoten

1)Alle Zitate sind dem Klappentext entnommen.
2)Noam Chomsky und Andre Vltcheck. Der Terrorismus der westlichen Welt. Von Hiroshima zu den Drohnenkriegen. Münster 2014. S. 15
3)Ebda. S. 17
4)Elçin Kürşat-Ahlers. Über das Töten in Genoziden. Eine Bilanz historisch-soziologischer Deutungen. In: Peter Gleichmann und Thomas Kühne (Hg.): Massenhaftes Töten. Kriege und Genozide im 20. Jahrhundert. Essen 2004. S. 180-206.
5)Vgl. Dave Grossmann. Eine Anatomie des Tötens. In: Peter Gleichmann und Thomas Kühne (Hg.): Massenhaftes Töten. Kriege und Genozide im 20. Jahrhundert. Essen 2004. S. 55-104, hier S. 72.
6)Lothar Schäfer und Thomas Schnelle. Einleitung: Die Aktualität Ludwik Flecks in Wissenschaftssoziologie und Erkenntnistheorie. In: Ludwik Fleck. Erfahrung und Tatsache. Frankfurt/Main 1983. S. 9-34, hier S. 16.
7)Vgl. Chomsky und Vltcheck, S. 16.
8)Ebda., S. 18.
9)http://de.wikipedia.org/wiki/Aufstand_der_Herero_und_Nama
10)Ebda, S. 20.
11)Chomsky und Vltcheck, ebda, S. 20.
12)Vgl. Noam Chomsky: Media Control. Hamburg 2003. S. 39
13)Martha Gellhorn, Suffer the little children …, Ladies Home Journal, Januar 1967. Zitiert nach Annette Jander. Kriegsberichterstattende und die „Kultur des Todes“. In: Peter Gleichmann und Thomas Kühne (Hg.): Massenhaftes Töten. Kriege und Genozide im 20. Jahrhundert. Essen 2004. S. 394-410, hier S. 400.
14)Harald Welzer. Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden. Frankfurt am Main 2007. S. 220f.
15)Zitiert nach Harald Welzer. Täter. A.a.O. S. 245.
16)Bernd Greiner. Spurensuche – Akten über amerikanische Kriegsverbrechen in Vietnam. In Wolfram Wette und Gerd R. Ueberschär (Hg.). Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert. Darmstadt 2001. S. 461-473, hier S. 463f.
17)S. 30.
18)Niklas Luhmann. Die Realität der Massenmedien. Opladen 1996. S. 9
19)Ramsey Clark. Wüstensturm. US-Kriegsverbrechen am Golf. Göttingen 1995. S. 248.
20)Ebda. S. 88f.
21)Ebda. S. 194.
22)Winfried Scharlau. Wie realistisch schildern Medien den Krieg, die Täter und die Opfer? In: Peter Gleichmann und Thomas Kühne (Hg.): Massenhaftes Töten. Kriege und Genozide im 20. Jahrhundert. Essen 2004. S. 383-393, hier S. 391f.
23)Chomsky und Vltcheck S. 51f.
24)S. 268
25)Eugen Kogon. Gesammelte Schriften. Band 1. Ideologie und Praxis der Unmenschlichkeit. Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus. Berlin 1995. S. 86.

Links

[1] http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2014/12/141225-Weihnachtsansprache-2014.html;jsessionid=E4E626E3554460161BB3F9CA1F43D528.2_cid285
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/William_Calley#Gerichtsverhandlung
[1] http://www.heise.de/tp/news/aber-warum-und-wozu-2017256.html
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Phosphorbombe
[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/voelkermord-in-ruanda-chronik-des-versagens-1.1929862
[2] http://www.heise.de/tp/artikel/43/43734/1.html
[3] http://www.deutschlandradiokultur.de/norwegen-reise-deutschland-steht-an-der-seite-der.1008.de.html?dram:article_id=289135
[4] http://www.bpb.de/apuz/31425/die-transatlantische-wertegemeinschaft-im-21-jahrhundert?p=all
[5] http://www.unrast-verlag.de/neuerscheinungen/der-terrorismus-der-westlichen-welt-detail
[6] http://www.killology.com/bio.htm
[7] http://webarchiv.bundestag.de/archive/2013/1212/presse/hib/2012_08/2012_367/05.html
[8] http://www.bsr.org/reports/BSR_Conflict_Minerals_and_the_DRC.pdf
[9] http://de.wikipedia.org/wiki/Agent_Orange
[10] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46413942.html
[11] http://www.vietnam-kompakt.de/das-massaker-von-my-lai.html
[12] http://www.zeit.de/1974/41/richterspruch-gegen-das-gewissen
[13] http://www.welt.de/politik/ausland/article114155231/Als-US-Soldaten-auf-fliehende-Kinder-schossen.html
[14] http://www.theatlantic.com/politics/archive/2014/11/how-newspapers-should-report-on-lethal-drone-strikes/382927/
[15] http://www.amazon.de/Foxtrott-Monate-deutschen-Soldaten-Afghanistan/dp/3570101304
[16] http://www.spiegel.de/politik/ausland/afghanistan-usa-geben-taliban-zum-abschuss-frei-a-1010629.html
[17] http://www.arte.tv/guide/de/048365-000/krieg-der-drohnen
[18] http://www.deutschlandfunk.de/aussenpolitik-gauck-auch-zu-waffen-greifen.694.de.html?dram:article_id=289120
[19] http://www.dw.de/andreas-dittmann-libyen-zerst%C3%B6rt-sich-selbst/a-18078929
[20] http://www.heise.de/tp/artikel/43/43771/http://www.heise.de/tp/news/Josef-Joffe-Jochen-Bittner-ZDF-Die-Anstalt-2404378.html
[21] http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-11/libyen-krieg-gerechtigkeit-replik/seite-2
[22] http://www.fr-online.de/politik/voelkermord-afrikas-weltkrieg,1472596,4616164.html
[23] http://www.spezialeinheiten.net/index.php?action=ksk
[24] http://www.deutschlandradiokultur.de/bundeswehr-in-afghanistan-die-sind-nicht-dort-gewesen-um.1008.de.html?dram:article_id=307423
[25] http://www.heise.de/tp/artikel/43/43737/
[26] http://de.wikipedia.org/wiki/Luftangriff_bei_Kunduz#Verlauf

Man wende das hier Gehörte auf die Berichterstattung über die Ukraine und Syrien an.

Jochen