Die große Umverteilung – Privatisierung der Post zu lasten der Mitarbeiter und Privatkunden

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Eine Stellungnahme im Deutschlandfunk. Die von Mitarbeitern geschilderten schlimmen Erlebnisse decken sich mit dem, was mir Patienten über ihre Erfahrungen berichten, unter denen sie verzweifelt und seelisch krank geworden sind.
Diese Privatisierung befolgte treu die Grundsätze der neoliberalen Lehre und ist ein Paradebeispiel für das, was dabei heraus kommt.
Siehe auszugsweise hier:
https://www.deutschlandfunkkultur.de/25-jahre-privatisierung-der-post-die-grosse-umverteilung.1005.de.html?dram:article_id=469190

25 Jahre Privatisierung der Post

Die große Umverteilung

Ein Einwurf von Sabine Nuss

Die Privatisierung der Post vor 25 Jahren: Sie sollte einen zum Saurier erklärten Apparat zum modernen Dienstleister machen. Ist das gelungen?
Den Preis dafür haben jedenfalls die Beschäftigten bezahlt, kritisiert die Publizistin Sabine Nuss.

25 Jahre ist es her, dass die Privatisierung der einst staatlichen Bundespost zum Abschluss kam.
Drei Aktiengesellschaften gingen daraus hervor: Die Deutsche Post, die Deutsche Telekom, die Postbank.

Privatisierungsforscher sagen, die Aufspaltung der Bundespost ab 1989 markierte den Beginn einer viel größer angelegten Umwandlung der öffentlichen Infrastruktur.
Dass „Private“ mit ihrer Gewinnorientierung effizienter seien als der Staat, wurde in jener Zeit zum Gemeinplatz.

Kosten sparen, Gewinn maximieren

Post, Bahn, Müll, Bildung, Rente, Gesundheit, alles, was bis dahin zur sogenannten Daseinsvorsorge zählte, sollte einer neuen Handlungslogik gehorchen.
Sie lautete im Kern: Kosten sparen, Umsatz steigern, Gewinn maximieren.

Das bekam auch mein Vater zu spüren, der sein ganzes Leben bei der Post zugebracht hatte.

Das letzte Mal, als ich ihn an seinem Arbeitsplatz besuchte, war er Leiter einer Postfiliale im Südwesten Baden-Württembergs. Das war Ende der 1990er-Jahre.
Er stand im Eingangsbereich, neben ihm ein Regal mit Werbeartikeln, gelb, mit schwarzem Posthorn: Pralinen, Aufkleber, Kugelschreiber.

Filialen standen jetzt im Wettbewerb

Mein Vater begann als Handwerker, wurde dann mit einem Stipendium der Post Ingenieur und stieg in den sogenannten gehobenen Dienst auf.
Er arbeitete in der posteigenen Hochbauabteilung, er plante Sanitär- und Heizungsanlagen.
Die gelbe Staatspost baute ihre Häuser noch selbst – bis die Privatisierung kam.

Die Gebäude der Post wurden verkauft. Verscherbelt, sagte mein Vater. Er selbst musste umschulen, besuchte Managementseminare.
Von da an sollte er mit Produkten wie Sparanlagen oder Riesterrenten Umsatz machen.

Die Filialen standen im Wettbewerb, es gab Rankings und Prämien. „Es geht jetzt nur noch ums Verkaufen“, sagte er manchmal.

Schließungen unter Tränen

Er musste auch Filialen schließen. Im ganzen südbadischen Breisgau war er unterwegs und erklärte den „Postlern“ das Ende ihrer Arbeit: „Das ist nicht einfach, wenn die dann dasitzen und weinen. Was soll man da sagen?“ Dass der Staat zu teuer sei, erklärte er dann. Zu aufgebläht. Ineffizient.

So ein kleines Postamt in einem Schwarzwälder Dörfchen, das kostet. „Jetzt bin ich mal Kapitalist“, sagte er und rechnete vor, „das kostet 5000 DM im Monat, dann machen die nur 1000 DM Umsatz. Die hatten ja nicht immer zu tun.“

Da sei mal die Oma vorbeigekommen, die 20 Mark für den Geburtstag der Enkelin abheben wollte. Das sei alles irgendwann nicht mehr gegangen.

Deutsche Post AG strich zigtausende Stellen

Anfang der 1980er-Jahre gab es in der alten Bundesrepublik noch rund 29.000 eigene Postfilialen und Postämter, 35 Jahre später keine einzige posteigene Filiale mehr, dafür 13.000 private Postagenturen.
Tante-Emma-Läden richteten zum Beispiel in ihren Räumen kleine gelbe Verkaufsstellen ein.

Sie bekamen Geld dafür. Nicht viel für den Aufwand, so die Klage. Gegenüber einer eigenen Filiale sparte die Post 60 Prozent an Kosten ein.

Zwischen 1989 und 2006 strich die Deutsche Post AG rund 173.000 Stellen, 46.000 entstanden bei der neuen Konkurrenz.
Die Beschäftigungsverhältnisse wurden unsicher, Vollzeitverträge durch Teilzeitverträge ersetzt, Leiharbeiter und Saisonkräfte eingestellt.

Paradebeispiel für klaffende Einkommensschere

Die Einkommensschere klaffte zunehmend auseinander. Hatte der Postminister früher etwa 15-mal so viel wie ein Briefträger auf dem Gehaltszettel, sind es beim Chef der privatisierten Post, Frank Appel, 268-mal so viel.

Das passt ziemlich genau in das Bild des jüngsten Berichts über die zunehmende weltweite soziale Ungleichheit.
Seit etwa 1980 wurde in fast allen Ländern der Welt öffentliches Vermögen in gewaltigem Ausmaß in private Hände transferiert. Dort konzentriert es sich.

Privatisierung ist eine Umverteilungsmaschine.
Das mag effizient sein. Aber nicht für alle.

Sabine Nuss ist Autorin und Geschäftsführerin des Karl Dietz Verlags, sie ist Herausgeberin des Buchs „Marx und die Roboter. Vernetzte Produktion, Künstliche Intelligenz und lebendige Arbeit“ (2019) sowie Autorin von „Keine Enteignung ist auch keine Lösung. Die große Wiederaneignung und das vergiftete Versprechen des Privateigentums“ (2019) – und hier im Netz zu Hause.

Anmerkung: Wie groß die Rolle korrupter Medienkonzerne auch bei der Ausgestaltung der Privatisierung war, wird hier komplett ausgeblendet – von teuren Unternehmensberatern ganz zu schweigen.

Jochen

„Reichtum sieben“ – Bündnis »Reichtum Umverteilen« drängt auf eine neue Steuerpolitik

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Morgen im Neuen Deutschland:
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1046395.reichtum-sieben.html
Auszüge:

Die Nominierung von Martin Schulz zum SPD-Kanzlerkandidaten war so etwas wie der Startschuss für den Bundestagswahlkampf. Insbesondere weil der neue SPD-Chef die soziale Spaltung des Landes zum zentralen Thema macht.

Schulz_A2010

Agenda 2010 – (C)Foto: junge Welt

 

Schulz singt das Hohelied der sozialen Gerechtigkeit voller Inbrunst, wohl auch um jene zu übertönen, die an die Mitverantwortung der SPD an der sozialen Schieflage erinnern. Neben der Agenda 2010 haben die Sozialdemokraten auch Steuerreformen durchgedrückt, die heute fast vergessen sind, deren üble Konsequenzen aber heute noch fortwirken. Etwa die Unternehmenssteuerreform aus dem Jahr 2000, die dafür sorgte, dass dem Staat Milliarden an Körperschaftsteuern entgingen. Die »Zeit« wunderte sich später: »Ausgerechnet eine SPD-geführte Regierung erfüllte die Wünsche der Wirtschaft in einem Maße, wie es sich die Manager kaum je erträumt hatten.«
Den Managern machte die SPD mit der Absenkung des Spitzensteuersatzes später ein weiteres Geschenk. Dass sich führende SPD-Politiker, wie Parteichef Sigmar Gabriel, lange Zeit gegen die Wiedereinführung der Vermögenssteuer stemmten, rundet das Bild ab.

ulrich schneider

Im Wahljahr meldet sich mit dem Bündnis »Reichtum Umverteilen« nun ein Akteur zu Wort, der »das Thema Steuerpolitik zu einer zentralen Frage im Wahlkampf« machen wolle, wie Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, bei der Vorstellung der Initiative am Dienstag in Berlin erklärte. Ingesamt 30 Organisationen, darunter die Gewerkschaft ver.di, der Paritätische Gesamtverband und die Volkssolidarität, haben sich in dem Bündnis zusammengeschlossen.
Auch wenn man direkte Kritik an der SPD vermeidet, drängen die Initiativen doch auf eine Rücknahme vieler sozialdemokratischer Steuerreformen.

Ver.di-Chef Frank Bsirske stellte klar: »Wer Armut bekämpfen will, muss Millionäre und Milliardäre stärker zu Finanzierung öffentlicher Aufgaben heranziehen.«
Ulrich Ropertz vom Deutschen Mieterbund, der dem Bündnis ebenfalls angehört, schlug in dieselbe Kerbe: »Finanzstarke Konzerne, große Vermögen, Milliardäre oder Millionäre« müssten stärker als bisher »an den Kosten des Gemeinwohls beteiligt werden«.

Das Bündnis setzt sich für eine Vermögenssteuer ebenso ein wie für eine Reform des Erbschaftssteuer. Hohe Einkommen sollen höher besteuert, Kapitalerträge nicht mehr privilegiert werden. Dass Erträge aus Kapitaleinkünften geringer besteuert werden als Arbeitseinkommen, verdankt sich übrigens auch der Reform eines Sozialdemokraten.
Der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) hatte die murrenden Genossen von seiner Abgeltungssteuer mit dem legendären Satz überzeugt: »25 Prozent Steuern auf einen Betrag von x sind besser als 42 Prozent auf gar nix.« Zudem fordert das Bündnis, dass der Bund Steuerschlupflöcher schließt und Steuerbetrug stärker als bisher bekämpft.

Die Mehreinnahmen will man in die vielerorts marode Infrastruktur stecken. Wobei man keineswegs nur kaputte Straßen und Hallenbäder meine, wie Ulrich Schneider betonte: »Deutschland fährt auf Verschleiß. Aus finanzieller Not werden vielerorts Ausgaben für Kultur, Soziales und Bildung über die Schmerzgrenze hinaus zusammengestrichen. Eine solidarische Steuer- und Finanzpolitik ist der Glaubwürdigkeitstest für einen jeden, der mit dem Versprechen eines guten Sozialstaats und mehr sozialer Gerechtigkeit antritt.« Auch wenn Schneider den Namen nicht aussprach, war klar, dass sich sein Appell an Martin Schulz richtete.

Eine Wahlempfehlung wollen die Organisationen aber nicht geben. Man sei »nicht der verlängerte Arm einer Partei«, unterstrich Frank Bsirske.
Keinen Hehl macht das Bündnis hingegen aus seinen sozialpolitischen Forderungen: Mieterbund-Geschäftsführer Ropertz will mehr Geld in den sozialen Wohnungsbau stecken: »Wir brauchen dauerhaft preisgebundene Sozialwohnungen, mindestens 80 000 zusätzlich im Jahr, daneben ein bedarfsgerechtes Wohngeld sowie die Übernahme tatsächlich angemessener Wohnkosten bei den Regelsätzen in Hartz IV.«

Barbara Eschen, Sprecherin der Nationalen Armutskonferenz, die auch im Bündnis vertreten ist, sagte, es müsse endlich Schluss damit sein, »verschiedene Gruppen von Bedürftigen gegeneinander auszuspielen«.

Geld genug sei vorhanden, rechnete Frank Bsirske vor. Das reichste Zehntel der Bevölkerung verfüge über zwei Drittel des Gesamtvermögens. »Die ärmere Hälfte der Bevölkerung geht hingegen leer aus.«

In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch mal an die Unterschriftensammlung zum Thema Reichtum umverteilen – ein gerechtes Land für alle! erinnern. Es haben noch nicht viele unerschrieben, deshalb hier nochmal der Text:Aufruf: Reichtum umverteilen – ein gerechtes Land für alle!

Reichtum umverteilen – ein gerechtes Land für alle!

Wir können ein besseres und gerechtes Land für alle schaffen, die hier leben. In Deutschland gibt es so viel Reichtum wie nie zuvor, wir müssen ihn endlich vernünftig verteilen und gerecht einsetzen.

Doch seit Jahrzehnten nehmen weltweit und in Deutschland soziale Ungleichheit, Unsicherheit und Ungerechtigkeit zu. Die Einkommen der Beschäftigten sind weit hinter der Entwicklung der Gewinne und Vermögenseinkommen zurückgeblieben. Millionen Menschen sind von Erwerbslosigkeit oder Armut trotz Arbeit betroffen. Viele Alleinerziehende, Menschen mit Behinderung, Zugewanderte und andere Gruppen geraten immer mehr ins Abseits.

Bund, Länder und Gemeinden haben zu wenig investiert und viel Personal abgebaut. Öffentliche und soziale Leistungen wurden gekürzt, das Rentenniveau befindet sich im Sinkflug und in vielen Städten wird es immer schwieriger, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Viele Menschen fürchten, dass sie dabei verlieren werden. All dies erschwert auch die solidarische Aufnahme und Integration der Menschen, die Schutz vor Verfolgung und Krieg suchen.

Zugleich wurden Steuern auf große Vermögen, hohe Einkommen und Gewinne gesenkt und Kapitalmärkte entfesselt. Viele große Konzerne drücken sich notorisch vor der Steuer. Reichtum und Macht konzentrieren sich in immer weniger Händen. In der Politik dominieren die Interessen der wirtschaftlich Mächtigen. Hier liegen die Ursachen der sozialen und politischen Spaltungen und Probleme. An den Missständen in diesem Land sind nicht die Armen, die Erwerbslosen oder die Schutzsuchenden schuld.

Wir brauchen eine neue, gerechtere Politik:

  • bessere soziale Absicherung und stärkere Rechte der Beschäftigten, der kleinen Selbstständigen, der Erwerbslosen, der Rentnerinnen und Rentner, der Kinder und Familien, der Menschen mit Behinderung und der Schutzsuchenden;
  • mehr öffentliche Investitionen und mehr Personal, für Infrastruktur, Kindereinrichtungen, Schulen und Hochschulen, Gesundheitswesen und Pflege, Kultur, Jugend und Sport, soziale und Arbeitsmarkt-Integration;
  • ökologisch nachhaltige und bezahlbare Energieversorgung und einen sozial verträglichen ökologischen Umbau;
  • Bereitstellung und Bau von ausreichend bezahlbaren Wohnungen;
  • bedarfsdeckende Finanzausstattung besonders der hoch belasteten und verschuldeten Städte und Gemeinden.

Mit mehr Steuergerechtigkeit können wir das finanzieren! Die große Mehrheit der Bevölkerung wird dadurch nicht belastet, sondern wird davon profitieren:

  • Finanzstarke Unternehmen und Reiche müssen wieder höhere Beiträge zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten; sehr hohe Einkommen sind stärker zu besteuern; Kapitalerträge dürfen nicht privilegiert werden;
  • Steuerbetrug muss bekämpft und Steuerschlupflöcher müssen beseitigt werden, in Deutschland, der EU und weltweit;
  • eine Vermögenssteuer und eine reformierte Erbschaftsteuer müssen die Millionäre und Milliardäre angemessen an der Finanzierung der öffentlichen Aufgaben beteiligen und soziale Ungleichheit abbauen.

Jochen

AUTOBAHNBRÜCKENSPERRUNG – Großes Chaos in einem kleinen Land oder der Betrug an allen Generationen

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Ja, liebe Mitmenschen, so sind die Zusammenhänge verstehbar, wenn man die Hintergründe kennt. Fechinger_TalbrueckeDanke, Herr Professor !

Hier zu lesen:
http://www.flassbeck-economics.de/grosses-chaos-in-einem-kleinen-land-oder-der-betrug-an-allen-generationen/
Auszüge:

Im Saarland ist in der vergangenen Woche über Nacht eine Autobahnbrücke gesperrt worden, die täglich von rund 40 000 Autos benutzt wurde.
Die Brücke sei akut einsturzgefährdet, hörte man als Begründung von der Verkehrsministerin. Daraufhin brach, obwohl noch Ferienzeit ist, auf kleinen Umleitungsstrecken ein veritables Verkehrschaos aus, das wohl noch Monate anhalten wird, weil es bis zu einem Jahr dauern kann, die Brücke notdürftig zu flicken (hier ein Bericht dazu).

Was daran erstaunt, ist die Tatsache, dass kaum jemand kritische Fragen stellt. Man nimmt das wie ein Naturereignis hin und fordert die Bevölkerung auf, Ruhe zu bewahren und geduldig auf das Ende der Bauarbeiten zu warten.
Niemand fragt, wieso in einem hochentwickelten Industrieland eine Brücke so akut einsturzgefährdet sein kann, dass sie von einer Stunde zur nächsten total gesperrt werden muss.
Kaum jemand fragt, wieso überhaupt die deutsche Infrastruktur in einem so maroden Zustand ist, dass so etwas (wie schon vor einiger Zeit bei der Schiersteiner Brücke in Wiesbaden) anscheinend zur Regel wird.
Es hat auch niemand den sofortigen Rücktritt der saarländischen Verkehrsministerin gefordert und schon gar niemand ist auf die Idee gekommen, dass das mit der absurden Politik des Bundesfinanzministers zu tun hat und dass der eigentlich zurücktreten müsste.

All diese Fragen werden nicht gestellt – und die von den Umleitungen betroffene Bevölkerung denkt nicht einmal im Traum daran, aus Protest gegen den Lärm und Dreck auf die Straße zu gehen. Wir kennen ja die Antwort auf all die Fragen genau und wissen, wie es zu dem „Naturereignis“ Brückensperrung kam:
Es ist einfach kein Geld da! Das Saarland ist arm, das weiß nun wirklich jeder, und der Bund muss sparen, weil wir sonst die zukünftigen Generationen mit unseren Schulden belasten.

Mit dieser Begründung kann man in Deutschland die Bevölkerung bei jedem Problem sofort stillstellen.
Man muss nur laut „Geld, Schulden und Generationengerechtigkeit“ rufen, sofort fällt die gesamte Bevölkerung in Duldungsstarre und lässt auch die schlimmsten Qualen wie in Trance über sich ergehen.

Es ist wirklich beeindruckend, wie man seit Jahrhunderten immer wieder 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung mit einer extrem primitiven Hausväterideologie von jedem Nachdenken abhalten kann. Und noch beeindruckender ist, dass es eine sogenannte Wissenschaft von der Wirtschaft gibt, die nichts anderes im Sinn hat, als mit allen Mitteln, die man sich nur vorstellen kann, dieses Täuschungsmanöver zu unterstützen.
Dass das selbst jetzt gelingt, in den Zeiten von Nullzinsen und wirklich ungewöhnlicher Maßnahmen der Zentralbanken, kann man allerdings mit „Täuschungsmanöver“ nicht mehr angemessen umschreiben. In Wirklichkeit ist es jetzt ein Betrugsmanöver, ein kollektiver Betrug der unwissenden Massen durch eine Phalanx von Medien, Wissenschaft und Politik. *)

Man muss ja nur eine ganz simple Rechnung aufmachen, um zu sehen, wie alle Generationen der Gesellschaft betrogen werden. Nehmen wir an, man hätte die Brücke im Saarland und alle anderen Brücken, die gefährlich sind, mit staatlichem Geld in einem großen Infrastrukturprogramm genau dann zu sanieren begonnen, als die de facto Nullzinspolitik (also zuerst Realzins Null und jetzt sogar Nominalzins Null) absehbar war, also 2011 spätestens.
Nehmen wir weiter an, der Staat hätte dazu 50 Milliarden Euro am Kapitalmarkt aufgenommen und bis heute vollständig ausgegeben.
Jenseits aller unmittelbaren Vorteile, die für die Volkswirtschaft dabei in Form von höheren Einkommen und mehr Jobs, größerer Verkehrssicherheit, geringerer ökologischer Belastungen durch Staus, weniger Stress usw. angefallen wären, hätte auch der Staat durch höhere Steuereinnahmen unmittelbar Vorteile gehabt. Dagegen wären seine Zinszahlungen durchweg nahe Null.

Nehmen wir weiter an, die Anleihen des Staates hätten eine Laufzeit von fünf Jahren gehabt. Also lässt der Staat sie auslaufen und nimmt sofort wieder in gleicher Höhe Anleihen mit der gleichen Laufzeit auf – nun sogar zu einem negativen Nominalzins. Dazu nimmt er wiederum 50 Milliarden über fünf Jahre auf.
Die Anleihesumme des Staates über die gesamten zehn Jahre gerechnet, ist damit auf 100 Mrd. gestiegen, da er die erste Anleihe nicht zurückgezahlt, sondern nur durch eine neue ersetzt hat. Die meisten derjenigen, die schon die erste Anleihe des Staates gezeichnet haben, werden auch die nächsten beiden zeichnen, weil es (für Versicherungen zum Beispiel) am Kapitalmarkt kaum Alternativen zu den staatlichen Anleihen in puncto Sicherheit gibt.

Nun kommt, das ist neu, noch der Effekt hinzu, dass die EZB den wichtigsten Haltern der Staatsanleihen, den Banken, einen erheblichen Teil der Staatsanleihen mit ihrem Programm zur Stimulierung der Konjunktur und der Inflation sofort wieder abkauft. In der Tat will sie in den nächsten Monaten in Höhe von 80 Milliarden Euro pro Monat solche Papiere kaufen, was nichts anderes heißt, als dass die EZB Geld (aus dem Nichts) schafft, um die Wirtschaft anzuregen.

Mit der neuen Anleihe hat der deutsche Staat nun wieder 50 Milliarden zur Verfügung, die er in andere Projekte (wie Bildungsarbeit oder ökologische Vorsorge) stecken kann. Diese Projekte werden quasi von der EZB dem Staat zu einem erheblichen Teil dadurch ermöglicht, dass sie ihm – auf dem Weg durch die Banken – frisches Geld gibt, das er für vernünftige Dinge ausgeben soll.
Die direkten „Kosten“ für den Staat auch aus seiner neuen Anleihe sind Null oder sogar leicht positiv, während die Erträge für die Gesellschaft klar positiv sind und auch die Erträge des Staates in Form von Steuern und geringeren Ausgaben für Arbeitslose und Sozialleistungen eindeutig positiv sind.

Man kann nun an die Zahl, über die wir reden, noch eine Null hängen, also 500 Milliarden für fünf Jahre anvisieren und am Ergebnis ändert sich nichts, außer, dass die positiven Effekte für alle größer werden. Jedenfalls gilt das immer, so lange es unterausgelastete Kapazitäten und Deflation gibt.
Das Einzige, was man negativ verbuchen kann, ist womöglich (aber selbst das ist nicht sicher wegen der oben erwähnten positiven Effekte auf die staatlichen Einnahmen und die Ausgaben und auf das gesamtwirtschaftliche Einkommenswachstum), dass in der Statistik, die üblicherweise für die Staatsschulden in Relation zur Größe der Volkswirtschaft aufgestellt wird, sich die Zahlen leicht verändern. Es könnte sein, dass nun bei dem Verhältnis Staatsschulden insgesamt zu Bruttoinlandsprodukt (also beim Vergleich der Bestandsgröße „die Schulden aller Zeiten“ mit der Stromgröße „gesamtwirtschaftliches Einkommen eines Jahres“) die Zahl von 70 Prozent auf 72 Prozent steigt. Welche Katastrophe?

Diese Statistik selbst ist aber von vorneherein unsinnig, weil man Schulden mit Vermögen vergleichen muss und nicht mit dem laufenden Einkommen.
Das Vermögen des Staates ist aber bei der Sanierung oder dem Neubau der Brücken mit Sicherheit gestiegen, so dass sich hier, also bei dem einzigen wirtschaftlich sinnvollen Vergleich, im – vollkommen unwahrscheinlichen – schlechtesten Fall nichts verändert hat, also Vermögen und Schulden im gleichen Maße gestiegen sind. Auch mehr Bildung und mehr ökologische Vorsorge erhöhen das gesellschaftliche Vermögen.
Im Normalfall wird sich das Verhältnis von Vermögen und Schulden durch die staatliche Aktivität klar verbessern, weil die gesamtwirtschaftlich positiven Effekte der staatlichen Investitionen auf jeden Fall das Vermögen der Gesellschaft insgesamt stärker erhöht haben als die Schulden.

So ist tatsächlich aus Nichts etwas Sinnvolles entstanden. Niemand hat verzichten müssen, um die Brücken zu sanieren, sondern insgesamt haben alle gewonnen. Nun muss sich die Gesellschaft nur noch eine Frage stellen: Wollen wir bewusst auf solche ketzerischen Gedanken verzichten, weil wir den Untergang des Abendlandes fürchten, wenn mehr Menschen verstehen, wie Volkswirtschaft wirklich funktioniert, und wollen wir folglich versuchen, die Menschen für die nächsten 500 Jahre weiterhin für dumm zu verkaufen?

Machen wir uns nichts vor, viele verstehen diese einfachen Zusammenhänge wirklich nicht, andere wollen sie nicht verstehen. Es gibt aber auch die Klasse derjenigen, die es verstehen, denen es aber unheimlich und äußerst gefährlich vorkommt, wenn man den Menschen sagt, aus Nichts könne etwas Positives und Produktives entstehen. Wer dem Volk nicht Blut, Schweiß und Tränen predigt, sondern dem Staat und dessen Macht über das Geld vertraut, ist in ihren Augen ein Verführer des Volkes, ein Luftikus, ein verantwortungsloser Geselle.
Diese Klasse von Staatskritikern hat nichts anderes im Sinn, als eine relativ einfach zu beantwortende volkswirtschaftliche Frage zu einer ideologischen Auseinandersetzung hochzustilisieren, bei der es scheinbar um Wohl und Wehe der Menschheit und ihrer moralischen Grundregeln geht. Sie bekämpfen die gesamtwirtschaftlichen Überlegungen nicht, weil sie diese an sich für falsch halten oder nicht verstehen, nein, sie bekämpfen sie, weil sie die Richtung für gefährlich halten, die Vorstellung nämlich, der Staat könne zu mächtig werden, in ihre Privilegien eingreifen und generell etwas tun, was den Privaten verwehrt ist.
Das ist die Art der Auseinandersetzung, die, jenseits der rein wissenschaftlichen Fragen, von denen, die einsichtig sind, viel offensiver geführt werden muss.

*: Siehe dazu https://josopon.wordpress.com/2019/10/23/lakaien-des-kapitals-journalisten-und-politiker-weltanschaulich-eng-miteinander-verbunden/

Jochen

Nach 5 Jahren noch aktuell: Krisenbewältigung und Vollbeschäftigung ohne Wirtschaftswachstum nach J.M.Keynes.

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

K_G_Zinn

Dr. Karl Georg Zinn (*1939)

Dieses Interview mit Karl Georg Zinn erschien bereits 2010. Es enthält, auf den Punkt gebracht, Keynes‘ wichtigste Hinweise darauf, wie eine prosperierende und soziale Volkswirtschaft funktionieren kann, ohne auf Kosten der Nachbarn oder der erschöpfenden Ausbeutung natürlicher Ressourcen zu expandieren:
http://www.arbeit-wirtschaft.at/servlet/ContentServer?pagename=X03/Page/Index&n=X03_1.a_2010_06.a&cid=1276689753841

Wachstum hat Grenzen

Keynes-Experte Karl Georg Zinn referierte auf Einladung des ÖGB Oberösterreich über Krisenbewältigung und Vollbeschäftigung ohne Wirtschaftswachstum.

Schulden zugunsten der Realwirtschaft sind das beste, was wir der nächsten Generation mitgeben können, sagt der deutsche Volkswirt Karl Georg Zinn. Und er vergleicht den Staatshaushalt mit dem Privatleben.
„Wenn der Vater ein Haus baut und es seinen Kindern noch nicht abbezahlt vererbt, dann haben die Kinder eine Immobilie, die im Wert gestiegen ist, und Schulden, die im Verhältnis weniger geworden sind. Geht er allerdings mit dem Geld ins Kasino und vererbt seinen Kindern Spielschulden, ist das fatal.“ Deshalb hätten die mit viel Steuergeld geretteten Banken unbedingt verstaatlicht werden müssen.

Kein unbegrenztes Wachstum

pexels-photo-1974381.jpeg

Karl Georg Zinn ist Keynes-Kenner. Und ein Fan seiner Theorien.
„Dass die Theorie von Keynes Praxistauglichkeit hat, zeigt sich an ihrer Prognosefähigkeit. Die Neoliberalen können das nicht“, sagt er.
Unter dem Motto „Keynes – Eine Antwort auf die heutige Krise?“ referierte der deutsche Volkswirtschaftsprofessor bei einem Studientag des ÖGB Oberösterreich. Er verweist darauf, dass Keynes schon in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gesagt habe, dass es kein unbegrenztes Wachstum gibt.
Wie trotzdem für Vollbeschäftigung gesorgt werden kann? Mit Arbeitszeitverkürzung!
„Die 30-jährige Propaganda gegen den Staat hat gewirkt. Dabei hat die Wirtschaft besser prosperiert, als es noch viel mehr staatliche Eingriffe gab“, meint Zinn.
Dass die europäischen Staaten nun alle gleichzeitig Sparpakete zur Schuldenbekämpfung schnüren, sei der falsche Weg. Die Gläubiger müssten ihren Beitrag leisten, statt die „Spielschulden“ zu sozialisieren.
Vor allem aber die Realwirtschaft dürfe nun nicht durch Sparen in den Morast gefahren werden. Im Gegenteil, Investitionen in die Infrastruktur seien notwendig. Trotz hoher Schulden.

Keynes in 1970ern fehlinterpretiert

Auf grünes Wachstum müsse man nun setzen. Aber auch das sei nicht unbegrenzt möglich, auch nicht mit einer nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik.
„In den 70ern haben die Sozialdemokraten versagt, weil sie nicht erkannten, dass mit antizyklischer Politik kein nachlassendes Wachstum kompensiert werden kann“, stellt Zinn klar.
„Die Mainstream-Keynesianer haben Keynes fehlinterpretiert. Dauerhaft Wachstum erzeugen ist mit Krisenmaßnahmen nicht möglich.“
Gerade in der Wirtschaftskrise sei die neoliberale oder – wie Zinn es nennt – neokonservative Auffassung, dass Arbeitszeitverkürzung Arbeitsplätze kostet, widerlegt worden.
Einem arbeitslosen Grundeinkommen steht der Ökonom skeptisch gegenüber. Der Sozialstaat sei ohnehin verpflichtet, jenen ohne Arbeit den Lebensunterhalt zu sichern.
Oberste Priorität muss für ihn aber das Ziel der Vollbeschäftigung haben. „Arbeitslosigkeit ist jener Faktor, der die mit Abstand negativsten Auswirkungen auf eine Gesellschaft hat“, meint Zinn. Von neoliberalen „Anreizen“, wie niedrigem Arbeitslosengeld, hält er wenig. „Die Menschen wollen arbeiten, selbst wenn der Lohn nicht viel höher ist als das Arbeitslosengeld. Arbeit hat einen so hohen Stellenwert für die Persönlichkeit, das kann man nicht kompensieren.“

Arbeitszeit verkürzen

Was aber tun, wenn die alte Formel „Vollbeschäftigung durch Wachstum“ nicht mehr anwendbar ist?
Zinn nennt drei wichtige Faktoren. Erstens müsse es eine gleichmäßigere Verteilung von Einkommen auf private Haushalte geben. „Wenn man oben explosionsartige Einkommen vermeidet, bleibt weniger Geld für Spekulation, gleichzeitig steigt bei gleichmäßigerer Verteilung die Massenkaufkraft„, sagt Zinn.
Zweitens sei ein höherer Staatsanteil notwendig. Der Staat müsse öffentliche Güter und Infrastruktur, wie etwa soziale und medizinische Dienstleistungen, finanzieren.
„Aber auch das reicht dauerhaft nicht für genug Wachstum. Deshalb muss die Arbeitszeit verkürzt werden. Das ist die einzige Möglichkeit für Vollbeschäftigung und Wohlstand auf Dauer“, meint Zinn.

Weblink
Mehr Infos unter:de.wikipedia.org/wiki/Karl_Georg_Zinn

Kürzere Arbeitszeit auf mittlere Sicht notwendig

Interview mit Prof. Dr. Karl Georg Zinn

Arbeit&Wirtschaft: Muss in der Krise am Sozialstaat gespart werden?

Dr. Karl Georg Zinn: Nein, im Gegenteil. Der Sozialstaat ist ökonomisch sinnvoll. Durch neokonservative Politik wurde fast 30 Jahre lang von unten nach oben umverteilt. Diese Politik hat dazu beigetragen, dass die Krise dieses extreme Ausmaß angenommen hat.

Welche Rolle spielt dabei eine Mindestsicherung?

Wenn die Mindestsicherung gewollt oder ungewollt dazu führt, dass das Vollbeschäftigungsziel aufgegeben wird, dann ist sie reaktionär.
Außerdem bedeutet Sozialstaat, dass ohnehin jeder und jede das Recht auf eine Mindestsicherung hat, da braucht es kein eigenes Gesetz.
Die Mindestsicherung ist von den meisten Befürwortern gut gemeint, verkennt jedoch, dass Arbeit nicht nur wegen des Einkommens äußerst wichtig für jeden Menschen ist, sondern auch wegen der sozialen Integration, der Selbstachtung und der psychischen Gesundheit.

Endloses Wachstum gibt es nicht. Wie können Arbeitsplätze gesichert werden?

Auf mittlere bis längere Sicht wird es eine Arbeitszeitverkürzung geben müssen. Der Produktivitätszuwachs kann analog zur Lohnpolitik durch kürzere Arbeitszeit ausgeglichen werden.

Wie beurteilen Sie die Kurzarbeit als Kriseninstrument?

Kurzarbeit hat in der Krise erfolgreich Arbeitsplätze erhalten und gezeigt, dass Vernichtung von Arbeitsplätzen für eine gewisse Zeit verhindert werden kann.

Die Umverteilungswirkung des Sozialstaats wird oft als „leistungsfeindlich“ diskreditiert. Warum plädieren Sie für mehr Gleichheit?

Betrachtet man einzelne Einkommensschichten in Gesellschaften, so steigt die Lebenserwartung mit dem Einkommen. Je ungleicher Einkommen in Gesellschaften mit vergleichbaren Durchschnittseinkommen sind, umso geringer ist die Lebenserwartung insgesamt. Einkommensunterschiede zwischen Schichten sind aber nur ein Signal für Ungleichheit.
Die Ungleichheit umfasst auch das Ansehen, daraus resultiert psychischer und somatischer Stress.
Die erschütternden Auswirkungen steigender Ungleichheit – wie etwa höhere Kriminalität – sind wissenschaftlich belegt.

Und wie kommt man zu einer gerechteren Gesellschaft?

Indem man das Besteuerungssystem entsprechend der Leistungsfähigkeit ausrichtet, das bedeutet, dass über staatliche Transferleistungen und Steuerpolitik eine gerechtere Verteilung erreicht wird. Wie das Beispiel Japan zeigt, gibt es aber auch die Möglichkeit, Egalität schon bei der Einkommenspolitik durchzusetzen.

Hat der Sozialstaat Zukunft?

Grob gesagt gibt es zwei Alternativen: Die im Moment wahrscheinlichere ist, dass weitergemacht wird wie bisher. Das wird in eine noch größere Krise münden.
Die zweite Alternative ist eine fundamentale Reform mit ökologisch orientiertem Wachstum für zehn bis zwölf Jahre.
Dann müssen die reichen, hoch entwickelten Länder einschwenken auf eine Politik der Vollbeschäftigung auch ohne Wachstum.
Das impliziert, dass der Sozialstaat aufrecht erhalten und fortentwickelt werden muss.

Zur Person
Dr. Karl Georg Zinn (*1939)
Der profunde Keynes-Kenner studierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Er ist emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen mit den Arbeitsschwerpunkten Außenwirtschaft und Geschichte der politischen Ökonomie.

Kontakt
Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
carmen.janko@oegb.at
oder die Redaktion aw@oegb.at

Jochen