Märchenonkel Gabriel: Zu TTIP ein Schreiben an die Genossen voller Halbwahrheiten, Allgemeinplätzen und Auslassungen

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Thorsten Wolff hat genau hingeschaut und seine Hinweise bei Jens Berger auf den NachDenkSeiten eingestellt:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=24825
Dort findet sich auch das vollständige Schreiben.
Hier Auszüge:

Sigmar Gabriels Schreiben an die SPD-Mitglieder: Mit Halbwahrheiten zum Freihandelsabkommen?

Verantwortlich: Jens Berger

Der SPD-Vorsitzende und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat sich jüngst per E-Mail an die Mitglieder seiner Partei gewandt. Thema seines Schreibens: Das derzeit verhandelte Freihandelsabkommen “TTIP” zwischen der Europäischen Union und den USA sowie das “CETA”-Abkommen mit Kanada.
Ziel seines Schreibens: Die SPD-Mitglieder zu beruhigen und auf Linie bringen.
Überzeugend sind Gabriels Argumente nicht. Auch, weil er so manches verschweigt und anderes herunterspielt. Eine Analyse von Thorsten Wolff.

Der Mitgliederbrief wurde am 28. Januar per E-Mail versandt. Wir kommentieren im Nachstehenden zunächst einzelne Passagen des Schreibens (in kursiv) und dokumentieren dieses anschließend nochmals komplett.

  1. Analyse zentraler Passagen des Mitgliederbriefs:

    Viele Bürgerinnen und Bürger, auch uns nahestehende Verbände und Organisationen, äußern teils heftige Kritik an diesen geplanten Freihandelsabkommen, sind verärgert über die mangelnde Transparenz der Verhandlungen und haben die Befürchtung, dass durch die Freihandelsabkommen bewährte europäische Standards etwa im Verbraucher- und Umweltschutz, bei den Arbeitnehmerrechten, in der Daseinsvorsorge und der Kultur ausgehöhlt werden könnten. Insbesondere auch die Frage des Investorenschutzes weckt großes Misstrauen.

    Freihandelsabkommen ja, aber nicht um jeden Preis.

    In den Gesprächen, die ich in unserer Partei führe, nehme ich Unbehagen und Unsicherheit wahr. Manchmal gibt es auch die Sorge, dass sich die SPD auf Bundesebene oder in der Bundesregierung bereits auf eine bedingungslose Zustimmung zu diesen geplanten Freihandelsabkommen festgelegt habe. Weil gerade das nicht stimmt, möchte ich Dich zu Beginn des neuen Jahres über den Stand der Verhandlungen auf europäischer Ebene, über meine Haltung als Vorsitzender der SPD und als Bundeswirtschaftsminister informieren.

    In den hier zitierten Absätzen macht Gabriel deutlich, worum es ihm geht: Die Menschen glauben zu machen, dass Freihandelsabkommen (TTIP, CETA) gar nicht so schlimm seien, wie alle denken, und dass die SPD nicht um jeden Preis zustimmen werde. Hierzu beginnt er mit einer sachlichen, inhaltlich zutreffenden Hinführung zum Thema.
    Diese Passage ist taktisch durchaus klug formuliert: Gabriel schreibt von “heftige[r] Kritik”, er schreibt, die “Bürgerinnen und Bürger” seien “verärgert” und hätten eine “Befürchtung”. Damit weckt er die Erwartung, dass Kritik, Verärgerung und Befürchtung im Nachfolgenden widerlegt werden. Was er dann ja auch versucht.

    Früh und recht direkt spricht Gabriel auch das Hauptproblem der SPD im Allgemeinen und seiner Person im Besonderen an, nämlich mangelnde Glaubwürdigkeit.
    Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Partei (mindestens) in der Haltung zu internationalen Abkommen sind berechtigt. Man erinnere sich etwa an den europäischen “Fiskalpakt” 2011/2012, den die damals oppositionelle SPD hätte verhindern können, den sie aber nicht verhindert hat. Und das, obwohl sie monatelang so tat, als sei eine Ablehnung eine ernsthaft ins Auge gefasste Option. Am Ende aber siegte die Staatsräson, wollte sich die Partei nicht als einziger Akteur in Europa gegen diesen ausverhandelten internationalen Vertrag wenden.

    Es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass sich Gabriel und die SPD bei internationalen Freihandelsabkommen wie CETA oder TTIP anders verhalten.
    Denn genau das eben am Beispiel des “Fiskalpakts” geschilderte Verhalten hat Gabriel am 27. November 2014 im Bundestag, bezogen auf CETA, sogar schon angekündigt: “Es ist überhaupt kein Problem für mich, zu wiederholen, dass wir im Hinblick auf CETA am Ende vor der Frage stehen, ob unser Unwohlsein und die Kritik an dem ‘Schweizer Käse’ des Investitionsschutzes – der Gutachter hat es so bezeichnet; so schwach findet er es – dafür ausreichen, dass Deutschland als alleiniges Land in Europa den gesamten Prozess anhalten kann. Sie werden sich als grüne Fraktion fragen müssen, wie Sie als europäisch-orientierte Partei, die Sie ja sind, mit Ihrer Position umgehen, wenn der Rest Europas dieses Abkommen will. Ich sage Ihnen: Deutschland wird dem dann auch zustimmen. Das geht gar nicht anders.”

    Wenn Gabriel im Mitgliederbrief also behauptet, die SPD hätte sich noch nicht auf eine “bedingungslose Zustimmung” festgelegt, so sind an dieser Äußerung mindestens Zweifel angebracht.

    Der Abbau von Zöllen und anderen Handelsbarrieren liegt im natürlichen Interesse einer Exportnation wie der deutschen. Millionen Arbeitsplätze hängen in unserem Land vom Export und von möglichst freien Handelswegen ab. Deshalb hat sich die SPD mit CDU und CSU im Koalitionsvertrag auch darauf verständigt, das geplante Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP) zu unterstützen und den Freihandel zu stärken. Dies gilt auch für das Abkommen mit Kanada (CETA).

    Der transatlantische Handel ist heute schon in hohem Maße “frei”. Zölle spielen kaum noch eine Rolle.
    Eine demgegenüber größere Rolle spielen die so genannten “nichttarifären Handelshemmnisse”, von Gabriel hier als “andere Handelsbarrieren” bezeichnet: Gemeint sind damit staatlich-öffentlichen Regularien und Verfahren, die von Unternehmen als “Hindernisse” im transatlantischen Handel empfunden werden können. BefürworterInnen von Freihandelsabkommen nennen als Beispiele gerne etwa (doppelte und unterschiedliche) Zulassungsverfahren und technische Vorschriften. Sie leiten daraus die Forderung ab, Verfahren und Vorschriften einander anzugleichen oder wechselseitig anzuerkennen.
    Sofern beide Seiten das gleiche Schutzniveau haben, ist dies halbwegs unproblematisch. Wenn das Schutzniveau allerdings unterschiedlich ist, besteht durchaus die Gefahr, dass Standards nach unten angeglichen (und damit abgesenkt) werden. Dass dies nicht passieren werde, wie Gabriel oben schreibt und wie auch andere immer wieder behaupten, kann man glauben oder auch nicht.

    Darüber hinaus werden oft sogar Sozial-, Verbraucherschutz- und Umweltstandards schlechthin als Handelshemmnisse angesehen – meist mit der Begründung, diese seien unnötig und dienten alleine dem Zweck, ausländischen Unternehmen den Zugang zum Markt zu verwehren. Tatsächlich können sie den grenzüberschreitenden Handel von Waren und Dienstleistungen erschweren, weshalb die Forderung nach Absenkung dieser Standards zu einer Hauptforderung der Unternehmenslobby in Sachen TTIP geworden ist.
    Die Spielzeugproduzenten beider Kontinente etwa fordern, die höheren europäischen Standards bei Spielzeugen einer kritischen Prüfung anhand wissenschaftlich-objektiver Kriterien zu unterwerfen; umgekehrt wünschen die europäischen Rohmilchkäse-Produzenten einen Zugang zum US-Markt, der ihnen heute aus hygienischen Gründen versagt ist.

    Ähnliches bei Sozialstandards: So ist es in der Freihandelszone “Europäischer Binnenmarkt” heute beispielsweise nicht mehr möglich, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge Tarifbindung vorzuschreiben, wenn die Tarifverträge nicht Gesetzescharakter haben (also allgemeinverbindlich sind). Der Grund: Die Einhaltung von Tarifverträgen ist für ausländische Unternehmen schwieriger umzusetzen als für inländische, insofern würden ausländische Unternehmen benachteiligt, wenn Tarifbindung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vorgeschrieben wird. So legen es jedenfalls die Freihandelslogiken nahe, die dem Europäischen Binnenmarkt wie auch klassischen Freihandelsabkommen (TTIP, CETA) zu Grunde liegen.

    Die Gefahr der Absenkung von Standards durch Freihandelsabkommen ist also real. Über all das verliert Gabriel in seinem Mitgliederbrief allerdings kein Wort – von oberflächlichen Bekundungen abgesehen, dass er Standards nicht absenken wolle. Der Begriff der “anderen Handelsbarrieren” hätte da durchaus einige Anmerkungen verdient gehabt.

    Stattdessen bringt Gabriel das standortnationalistische Argument der Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft ins Spiel. Eine Erklärung, weshalb eine weitere Liberalisierung des transatlantischen Handels notwendig und nützlich sein soll, bleibt er dabei allerdings ebenso schuldig wie eine ökonomische Erklärung für den behaupteten Zusammenhang zwischen Handelsliberalisierung und Arbeitsplätzen.
    Mehr als unbegründete Allgemeinplätze (“natürliche[s] Interesse”, “Millionen Arbeitsplätze hängen…”) hat er nicht zu bieten. Nicht zuletzt die zweifelhaften ökonomischen Studien über angebliche positive Effekte eines TTIP-Abkommens lassen Skepsis gegenüber seinen Ausführungen berechtigt erscheinen.
    Von der Fragwürdigkeit des von Gabriel gefeierten deutschen Exportwahns ganz abgesehen.

    Danach haben wir auf der Grundlage einer Vereinbarung mit dem DGB auf unserem Parteikonvent beschlossen, dass wir grundsätzlich die geplanten Freihandelsabkommen begrüßen – allerdings nicht um jeden Preis. Vor allem ist für SPD und DGB wichtig:

    Der Verweis auf das gemeinsame Papier seines Ministeriums (und indirekt der SPD) mit dem DGB soll den Eindruck erwecken, dass SPD und DGB in der Frage der Freihandelsabkommen gemeinsame Positionen vertreten. Allerdings bleibt Gabriels Bezug auf das Papier oberflächlich, selektiv und unvollständig, wie im Folgenden aufgezeigt werden soll. Nur durch diese selektive und unvollständige Wiedergabe gelingt es Gabriel, den Eindruck gemeinsamer Positionen beider Organisationen zu wecken.

    • dass die Verhandlungen endlich transparent und für alle Bürgerinnen und Bürger Europas nachvollziehbar geführt werden,

    Das Thema der Transparenz ist in der Tat Bestandteil des Papiers, allerdings nur einer von vielen und gewiss nicht der wichtigste. Dass Gabriel gleich zu Beginn seiner Aufzählung von Inhalten des SPD-DGB-Papiers hierüber spricht, kann getrost als Ablenkungsmanöver gelten.

    • dass die geplanten Freihandelsabkommen keine sozialen, ökologischen oder kulturellen Standards gefährden dürfen, dass weitere Verbesserungen dieser Normen möglich sein müssen und dass die Entscheidungsfreiheit regionaler Körperschaften über die öffentliche Daseinsvorsorge unberührt bleibt,

    Wenn Gabriel schreibt, er wolle, dass “weitere Verbesserungen dieser Normen möglich sein müssen”, dann wirft er eine Nebelkerze. Denn in den allerwenigsten Fällen wird ein Freihandelsabkommen explizit vorschreiben, dass “Normen” nicht weiter “verbessert” werden dürfen. (Wobei sich im Einzelfall ohnehin die Frage stellt, was mit “Verbesserungen” gemeint ist.) Die realen Gefahren sehen anders aus:

    • Erstens besteht die Gefahr, dass Freihandelsabkommen Möglichkeiten der Regulierung einschränken, etwa der Regulierung von Finanzmärkten oder von Produktmärkten. Dies muss nicht explizit mit einem Verbot einhergehen, “Normen” zu “verbessern”.
    • Zweitens führen Freihandelsabkommen zu verstärkter Konkurrenz zwischen den Unternehmen der beteiligten Länder. Hier besteht die Gefahr, dass höhere Standards in einem Land zu Nachteilen gegenüber anderen Ländern führen. Um “Wettbewerbsfähigkeit” wiederzuerlangen, werden Staaten dann von sich aus Normen absenken oder zumindest nicht weiter erhöhen. Dies geschieht bei arbeits- und sozialrechtlichen Normen derzeit etwa in Südeuropa (in Griechenland jetzt nicht mehr), und es geschah vor 10-15 Jahren unter Rot-Grün in Deutschland. Das SPD-DGB-Papier spricht die Gefahr eines Dumping-Wettbewerbs in Punkt 3 durchaus offen an, Gabriel aber schweigt sich in seinem Mitgliederbrief darüber aus. Mehr noch: Im SPD-DGB-Papier wird sogar gefordert, dass Freihandelsabkommen dazu beitragen sollen, “Mitbestimmungsrechte, Arbeits-, Gesundheits- und Verbraucherschutz- sowie Sozial- und Umweltstandards zu verbessern”. Gabriel aber stellt es so dar, als müsse es laut SPD und DGB lediglich möglich bleiben, Normen weiter zu verbessern. Er bleibt damit weit hinter dem zurück, was tatsächlich in dem Papier steht.

    Was Gabriel darüber hinaus auch hätte schreiben können und vielleicht müssen: Im DGB-Kongress-Beschluss zu TTIP wird gefordert, dass Arbeits- und Sozialstandards international auf höchstem Niveau einander angeglichen werden müssen. Diese Positionierung geht sogar noch einen Schritt über die Formulierung im SPD-DGB-Papier hinaus. Spätestens hier wird deutlich: In der Frage der Erhaltung/Setzung von Standards gibt es zwischen Gabriel und Gewerkschaften deutliche Differenzen, deren Darstellung Gabriel nur umschiffen kann, indem er entscheidende Sachverhalte schlicht verschweigt.

    Eine weitere kurze Bemerkung: Wenig beruhigend klingt es auch, wenn Gabriel schreibt, dass die “Entscheidungsfreiheit regionaler Körperschaften über die öffentliche Daseinsvorsorge unberührt” bleiben müsse. Denn erstens ist diese Formulierung schwammig. Zweitens und vor allem aber findet öffentliche Daseinsvorsorge nicht nur auf regionaler Ebene statt, sondern auch auf Bundesebene.
    Gabriels Formulierung schließt damit insbesondere eine unwiderrufliche Liberalisierung des Bahnverkehrs durch Freihandelsabkommen nicht aus.

    • dass beide Vertragspartner sich verpflichten sollen, internationale Übereinkünfte und Normen in den Bereichen Umwelt, Arbeit und Verbraucherschutz zu beachten und umzusetzen – insbesondere die ILO-Kernarbeitsnormen, auf deren Einhaltung im Rahmen von EU-Handelsabkommen auch der Koalitionsvertrag verweist,

    Hier gilt, was eben schon angesprochen wurde: Zwar gibt es Passagen im SPD-DGB-Papier, die diese Formulierungen Gabriels rechtfertigen. Es gibt aber eben auch Passagen, in denen weitergehende Forderungen erhoben werden – und die bleibt Gabriel schuldig.

    • dass die europäischen oder nationalen demokratischen Willensbildungsprozesse und Entscheidungen in Parlamenten und Regierungen durch die Freihandelsabkommen weder direkt noch indirekt eingeschränkt werden dürfen,

    Das SPD-DGB-Positionspapier ist auch hier konkreter und weitergehender, als Gabriel es wiedergibt. Unter Punkt 8 heißt es dort: “Die Fähigkeit von Parlamenten und Regierungen, Gesetze und Regeln zum Schutz und im Sinne der Bürgerinnen und Bürger zu erlassen, darf auch nicht durch die Schaffung eines ‘Regulierungsrates’ im Kontext regulatorischer Kooperation oder durch weitgehende Investitionsschutzvorschriften erschwert werden.”

    • Das SPD-DGB-Papier nennt explizit einen “Regulierungsrat” sowie “Investitionsschutzvorschriften” als Mechanismen, durch die die genannten demokratischen Entscheidungen erschwert werden. Gabriel verschweigt dies – denn wenn er sie nennen würde, müsste er sie ablehnen. Dann hätte er sie als rote Linien ebenso benannt, wie sie im SPD-DGB-Papier als rote Linien benannt sind. Das möchte er offenbar nicht.
    • Das SPD-DGB-Papier spricht davon, dass demokratische Entscheidungen nicht “erschwert” werden dürfen, Gabriel aber will sie lediglich nicht “einschränken”. Etwas zu “erschweren”, bedeutet nicht, etwas ganz oder teilweise unmöglich zu machen. Etwas “einzuschränken” aber bedeutet genau das. Man kann Handlungen “erschweren”, ohne sie im Wortsinne “einzuschränken”. Damit schwächt Gabriel einmal mehr die Aussage des SPD-DGB-Papiers ab. Dies ist keineswegs zu vernachlässigen.
      Ein Beispiel: Ein Regulierungsrat oder Investitionsschutzvorschriften können sehr wohl das Handeln von Parlamenten und Regierungen erschweren, etwa, wenn bestimmte Gesetze oder Vorhaben zunächst auf ihre Notwendigkeit und Angemessenheit geprüft werden müssen. Das bedeutet noch nicht, dass das Handeln auch tatsächlich eingeschränkt würde.
    • dass die Gleichbehandlung von inländischen und ausländischen Investitionen und Investoren durch die ganz normalen verfassungsmäßig verbrieften Rechte und den demokratischen Rechtsstaat gesichert werden und wir im Rahmen der Verträge keine Investor-Staat-Schiedsverfahren einführen wollen. Wir entwickeln rechtsstaatliche Alternativen zu den bislang geplanten Schiedsgerichten. z.B. die Berufung oberer Bundesrichter oder die Einrichtung eines echten zwischenstaatlichen Handelsgerichtshofs zur Entscheidung über Handelsstreitigkeiten.

    Hier widerspricht sich Gabriel wohl selbst. Im ersten Satz schreibt er, er wolle “im Rahmen der Verträge keine Investor-Staat-Schiedsverfahren” einführen. Im zweiten Satz aber möchte er “Alternativen zu den bislang geplanten Schiedsgerichten” entwickeln. Gabriel würde sich nur dann nicht widersprechen, wenn solche “Alternativen” außerhalb der Freihandelsverträge verankert würden. Von entsprechenden Verhandlungen und Plänen aber ist bislang nichts bekannt.
    Im Gegenteil: In CETA, das schon ausverhandelt ist, soll es Schiedsverfahren geben, die direkt in den Verträgen geregelt sind. Zumindest bezogen auf CETA spricht Gabriel damit die Unwahrheit. Und da TTIP sich an CETA orientieren dürfte, wohl auch für TTIP.

    Möglicherweise versucht Gabriel hier lediglich, so zu argumentieren, wie es auch die Europäische Kommission tut: Man kritisiert “alte” Investor-Staat-Schiedsverfahren und gibt als Ziel aus, in jüngeren Freihandelsabkommen “neue” und “bessere” Verfahren zu etablieren. (Sollte Gabriel so argumentieren wollen, so würden sich sein Satz 1 und sein Satz 2 allerdings nach wie vor widersprechen.) Diese “neuen” Verfahren sollen beispielsweise Berufungsmöglichkeiten und Transparenz vorsehen, auf klareren Formulierungen beruhen und bisherige Interessenkonflikte der handelnden Akteure beenden. Sie beheben also ein paar Schwächen der bisherigen Verfahren – ein paar jener Schwächen, deretwegen die Investor-Staat-Schiedsverfahren zu Recht immer wieder in der Kritik stehen.
    Allerdings wird auch mit diesen “besseren” Verfahren eine Gerichtsbarkeit außerhalb des Rechtsstaats etabliert, die undemokratisch und rechtsstaatlich fragwürdig ist.

    In jedem Fall tut Gabriel so, als sei diese Positionierung Bestandteil des SPD-DGB-Papiers. Dies ist sie aber nicht, denn dort heißt es unmissverständlich: “Investitionsschutzvorschriften sind in einem Abkommen zwischen den USA und der EU grundsätzlich nicht erforderlich und sollten nicht mit TTIP eingeführt werden. In jedem Fall sind Investor-Staat-Schiedsverfahren […] abzulehnen.” Einmal mehr gibt Gabriel Inhalte des Papiers unzutreffend, abgeschwächt und im eigenen Sinne wieder.

    Exakt auf dieser Linie versuchen die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung und das SPD-geführte Bundeswirtschaftsministerium auf die Verhandlungen der Europäischen Kommission Einfluss zu nehmen. Außerdem haben wir einen nationalen Beirat zu den Verhandlungen auf europäischer Ebene eingerichtet, bei dem die Verbände und Organisationen von Wirtschaft, Gewerkschaften, Kultur, dem Umwelt- und Sozialbereich und dem Verbraucherschutz vertreten sind und regelmäßig informiert werden.

    Fragt sich, weshalb Gabriel hier einerseits die Europäische Kommission, andererseits die Zivilgesellschaft (über den genannten Beirat) als Zielobjekt sozialdemokratischer Einflussnahme/Information nennt. Offenbar beansprucht er für die Sozialdemokratie, eine dritte Position zu vertreten – einerseits etwas reflektierter als die Kommission, aber andererseits auch weniger freihandelskritisch als viele Akteure der Zivilgesellschaft.
    Immerhin macht er damit deutlich, dass die SPD nicht jene vertritt, die Freihandelsabkommen wie TTIP und CETA ablehnen. Dies gilt umso mehr, als Gabriel die Akteure der Zivilgesellschaft in seinem Beirat lediglich “informieren” möchte, was umgekehrt bedeutet, dass er sich nicht auf deren Argumente einzulassen beabsichtigt. Genau dies haben einige Mitglieder des Beirats jüngst in einem Brandbrief kritisiert.

    Vor diesem Hintergrund habe ich bereits deutlich gemacht: Auch wenn der Teil zum Investorenschutz in CETA gegenüber vorherigen Abkommen erhebliche Fortschritte an Transparenz enthält, halte ich die Zeit noch nicht für reif, CETA nach jetzigem Stand zuzustimmen.

    Gabriel schreibt hier explizit nicht, dass er CETA nicht zustimmen wird. Denn wenn “die Zeit noch nicht […] reif” ist, um “CETA nach jetzigem Stand zuzustimmen”, so bedeutet dies, dass die Zeit irgendwann durchaus reif sein kann oder wird, um “CETA nach jetzigem Stand zuzustimmen”.
    Dies entspricht auch der Position, die Gabriel Ende November 2014 im Bundestag geäußert hat und die von Medien und Verbänden zu Recht als Umfallen gewertet wurde (die Rede ist oben schon zitiert).

    Unser Ziel ist, weitere Verbesserungen zu erreichen.

    Man mag Gabriel glauben, dass er sich bemüht, “Verbesserungen” zu erreichen. Wird die SPD aber gegen das Abkommen stimmen, wenn diese Verbesserungen nicht erreicht werden? Und genügen die Verbesserungen, die Gabriel anstrebt, damit das Abkommen akzeptabel wird? Die voranstehenden Ausführungen legen die Vermutung nahe, dass beide Fragen mit “Nein” zu beantworten sind. Auch, weil Gabriel an keiner Stelle gewillt ist, rote Linien zu formulieren und auch, weil er die im SPD-DGB-Papier benannten roten Linien verschweigt oder abschwächt.

    Was wir nicht für richtig halten, ist der von manchen öffentlichen Kritikern der Freihandelsabkommen geforderte Abbruch der Verhandlungen.

    Gabriel scheint es wichtig zu sein, eine Nähe seiner eigenen Person und seiner Partei zu den Gewerkschaften zu suggerieren. Dies wird an mehreren Stellen des Mitgliederbriefs deutlich. Vermutlich deshalb verschweigt er, dass der von ihm abgelehnte, “von manchen öffentlichen Kritikern der Freihandelsabkommen geforderte Abbruch der Verhandlungen” auch von den Gewerkschaften gefordert wird. Der DGB-Kongress-Beschluss aus 2014 ist da schon im Titel eindeutig: “Freihandelsverhandlungen mit den USA aussetzen”.

    Denn letztlich geht es bei den Freihandelsabkommen um die Regeln der Globalisierung. Nach dem Scheitern weltweiter Handelsstandards in der Welthandelsorganisation (WTO) versuchen jetzt die großen Wirtschaftsräume die politischen, sozialen, kulturellen und ökologischen Standards im Welthandel zu beeinflussen. Die Verlagerung der Zentren der Weltwirtschaft nach Asien und China setzen Europa unter Druck. Während bei uns die Bevölkerung und das Wirtschaftswachstum abnehmen und die sozialen und ökologischen Standards hoch sind, ist es im Asien-Pazifik-Raum eher umgekehrt. Noch sind die USA und Europa die größten Handelsräume, aber man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass wir diese Stellung nicht auf Dauer haben werden. Die Standards des Welthandels – auch die ökologischen und sozialen – werden in Zukunft weit mehr durch die Asien-Pazifik-Region bestimmt werden als durch Europa oder Deutschland. Im Grunde stehen wir vor der Alternative: Schaffen wir Europäer es, die politischen, sozialen, kulturellen und ökologischen Standards im Welthandel mit zu bestimmen, oder werden wir uns in absehbarer Zeit an die Standards anderer anpassen müssen?

    Wir setzen darauf, dass auch in den rasant wachsenden Schwellenländern und den neuen globalen Wirtschaftsmächten das Bedürfnis zunimmt, soziale Ungleichheit und Umweltzerstörung zu bekämpfen. Europa hat mit seinen eigenen Standards dabei etwas anzubieten. Doch der Erfolg hängt davon ab, ob wir unseren politischen Einfluss aktiv zur Geltung bringen.

    In den eben zitierten Passagen erweckt Gabriel den Eindruck, dass Freihandelsabkommen wie CETA und TTIP dazu dienten, soziale und ökologische Standards zu sichern und weltweit zu verbreiten. Dies ist eine oft vorgetragene Behauptung der FreihandelsbefürworterInnen, die aber nicht dadurch richtiger wird, dass man sie immer wieder wiederholt.
    Da in Freihandelsabkommen allenfalls Mindeststandards festgeschrieben werden, und auch die nur unzureichend und unverbindlich, können Freihandelsabkommen keine Standards systematisch sichern oder gar ausbauen. Im Gegenteil, sie gefährden sie aus den bekannten Gründen.
    Standards zu sichern, ist letztlich auch gar nicht die Aufgabe und gar nicht das Ziel solcher Abkommen. Das weiß Gabriel auch, weshalb er seine Ausführungen im Anschluss sogleich wieder relativiert:

    Als Sozialdemokraten wissen wir: Die Globalisierung und der Welthandel werden nicht von heute auf morgen Spielregeln entwickeln, die aus unserer Sicht wirklich sozial gerecht und ökologisch verantwortungsbewusst sind. So wie der soziale Fortschritt in Deutschland jahrzehntelang Schritt für Schritt und über viele Reformen hinweg erkämpft werden musste, wird es auch bei der demokratischen, sozialen und ökologischen Gestaltung der Globalisierung eines langen Atems bedürfen. Aber die Geschichte der SPD zeigt: Mut, Selbstbewusstsein und Optimismus lohnen sich. Und wegducken hat das Leben noch nie besser gemacht. Darum geht es auch jetzt wieder.

    Gabriel tut hier so, als seien soziale Errungenschaften auf nationaler Ebene und auf globaler Ebene unabhängig voneinander, als existierten sie in Parallelwelten – denn während Globalisierung und Welthandel bei sozialen Standards hinterherhinkten, wie er schreibt, habe und behalte Deutschland seine Standards.
    Damit suggeriert Gabriel, dass Freihandelsabkommen und Globalisierung die sozialen Errungenschaften auf nationaler Ebene nicht gefährdeten. Diese Annahme ist falsch: Erstens können Freihandelsabkommen direkten Druck auf soziale Standards ausüben. Zweitens setzen niedrigere Standards in manchen Ländern diejenigen Länder unter Druck, die höhere Standards haben – denn Arbeitsrechte, Sozialleistungen und ähnliches kosten die Unternehmen Geld und sind damit Wettbewerbsnachteile. Es braucht vor diesem Hintergrund soziale Errungenschaften auf globaler Ebene gerade deshalb, weil andernfalls soziale Errungenschaften auf nationaler Ebene unter Druck geraten.
    Damit aber muss die Reihenfolge umgekehrt werden: Nicht zuerst klassische Freihandelsabkommen und Globalisierung einführen in der Hoffnung, globale soziale Standards würden später folgen, sondern Höchststandards für alle beteiligten Länder vom Beginn an. Freihandelsabkommen, die dies nicht gewährleisten, sind abzulehnen.

    Davon abgesehen, sei auch auf die Geschichtsvergessenheit dieser Gabrielschen Formulierungen hingewiesen. Denn nicht nur durch “Reformen”, wie er schreibt, sondern auch und vor allem durch Revolutionen, Proteste und Streiks wurde der “soziale Fortschritt” in Deutschland erreicht. Er wurde erkämpft. Und zwar gegen die herrschenden Eliten. Proteste und Streiks aber scheinen für Gabriel im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr stattzufinden oder nicht mehr notwendig zu sein. Gabriel suggeriert, dass die in Nationalstaaten hart erkämpften sozialen Errungenschaften durch die Sozialdemokratie auf globaler Ebene in Freihandelsverträgen erreicht werden können und sollen. Das ist an Selbstüberschätzung kaum mehr zu überbieten. Das Gegenteil ist wohl eher wahr: Die SPD ist längst Teil der Eliten, und gegen diese SPD müssen soziale Errungenschaften – auch durch Proteste und Streiks – auf globaler Ebene erkämpft sowie auf nationaler Ebene verteidigt werden.

  2. Fazit Gabriel schreibt seinen SPD-Mitgliedern eine E-Mail, die von taktischer Wortwahl und unverbindlichen Inhalten geprägt ist.
    Sein Ziel ist es, Zustimmung zu Freihandelsabkommen – TTIP, CETA – zu gewinnen. Um dies zu erreichen und um sich an einigen Punkten zugleich nicht zu sehr festzulegen, lässt Gabriel manches weg, was er der Ehrlichkeit und Vollständigkeit halber hätte erwähnen müssen. Er arbeitet mit Halbwahrheiten, Allgemeinplätzen und Auslassungen.
    Im Ergebnis

    • spielt Gabriel die Gefahren herunter, die von Freihandelsabkommen ausgehen, und
    • suggeriert er eine Nähe zwischen sich, der SPD und den Gewerkschaften, die in dieser Frage bei Weitem nicht existiert.

Mein Fazit: Wer in der SPD sich noch als Sozialdemokrat versteht, soll bitte auf den Barrikaden gegen TTIP, TISA u.s.w. bleiben und das Gabriel und denen, die ihn bezahlen, unmissverständlich mitteilen!

Vergleiche dazu auch meine bisherigen Beiträge vom Dezember 2014:

https://josopon.wordpress.com/2014/12/04/transparenz-versus-ttip-nebelkerzen-der-eu-kommission-und-der-bundesregierung/

https://josopon.wordpress.com/2014/12/04/nochmal-zur-erinnerung-ttip-gefahrdet-hunderttausende-jobs/

Jochen

Transparenz versus TTIP – Nebelkerzen der EU-Kommission und der Bundesregierung

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Alexander Ulrich (MdB der LINKEn)  warnt vor Nebelkerzen der EU-Kommission und der Bundesregierung zu den Freihandelsabkommen.
Vergleiche dazu meinen gestrigen Rundbrief. Es ist unglaublich, wie Gabriel die Bürger für dumm verkaufen will:
http://www.neues-deutschland.de/artikel/954523.transparenz-versus-ttip.html
Auszüge:

Das enorme öffentliche Interesse an den Verhandlungen um die Wirtschaftsabkommen CETA und TTIP mit Kanada und den USA stellt EU-Kommission und Bundesregierung vor große Schwierigkeiten. Bisher waren sie es gewohnt, derartige Abkommen hinter verschlossenen Türen, ohne Rücksicht auf öffentliche Interessen verhandeln zu können.
Nun sind sie offenbar ein paar Schritte zu weit gegangen. Ob Genfood, Finanzderegulierung, Datenschutz, Umweltstandards, Arbeitnehmerrechte oder Investorenschutz – die Palette problematischer Verhandlungsinhalte ist breit.
Die Öffentlichkeit ist alarmiert und fordert mehr Transparenz und Mitsprache.

Das wollen EU-Kommission und Bundesregierung unbedingt verhindern. Denn je mehr die Öffentlichkeit über die Verhandlungsinhalte weiß, desto größer wird der Widerstand – und desto schwieriger wird es, diese Monsterverträge überhaupt noch durchzusetzen.
Deswegen werfen sie nun eine Nebelkerze nach der anderen, um mehr Transparenz vorzutäuschen, ohne sie tatsächlich herzustellen.

Nebelkerze 1: Beiräte. Den Vorwurf, fast ausschließlich Vertreter von Banken und Konzernen einzubeziehen, haben EU-Kommission und Bundesregierung mit der Schaffung so genannter Beiräte beantwortet. Dort können nun ausgewählte Vertreter der Zivilgesellschaft ihre Meinung sagen. Eine Regelung dafür, wie das in den Verhandlungen berücksichtigt wird, gibt es allerdings nicht.

Nebelkerze 2: Öffentliche Konsultation zu Investorenklagerechten. Die besonders kritische Debatte zu den vorgesehenen Investorenklagerechten (ISDS) hat die EU-Kommission mit einer öffentlichen Konsultation beantwortet, die die Position der EU neu ausloten sollte. Ein »Nein zu ISDS« war in diesem Verfahren jedoch nicht vorgesehen. Lediglich technische Details konnten korrigiert werden – damit können normale Bürger jedoch kaum etwas anfangen.

Nebelkerze 3: Veröffentlichung des Verhandlungsmandates. Nach fast eineinhalb Jahren Verhandlungen hat die EU das Mandat der Kommission veröffentlicht, also die Grundlage, auf der verhandelt wird. Der Mehrwert war null, da dieses Dokument schon vor über einem Jahr geleakt wurde und auf zahlreichen Websites in mehreren Sprachen abrufbar ist.

Nebelkerze 4: Rote Linien. Die SPD hat auf einem Parteikonvent rote Linien definiert. Eine davon sind die Investorenklagerechte. Da die SPD bekanntermaßen in Deutschland mitregiert, sollte man meinen, dass die deutsche Position an diesen roten Linien nicht vorbeikommt.
Mittlerweile hat Wirtschaftsminister Gabriel jedoch klargestellt, dass er die Klagerechte trotzdem akzeptieren wird – aus „Rücksicht auf die Interessen anderer EU-Staaten“.

Diese Rücksicht ist offensichtlich ein Täuschungsmanöver. Zum einen, weil die Bundesregierung in den letzten Jahren nicht gerade durch einen besonders rücksichtsvollen Umgang mit den europäischen Nachbarn auf sich aufmerksam gemacht hat. Zum anderen aber auch, weil mit Frankreich, Österreich und den Niederlanden bereits in drei Nachbarstaaten die Parlamente klare Beschlüsse gegen Investorenklagerechte gefällt haben.

Die jüngst von der EU-Kommission vorgestellte Transparenzinitiative ist die Nebelkerze Nummer 5. So sollen die Lobbykontakte der Handelskommissarin veröffentlicht werden – nicht aber jene der EU-Beamten, die konkret verhandeln.
Zudem sollen EU-Positionspapiere veröffentlicht werden – nicht aber konkrete Verhandlungstexte.
Letztlich werden genau jene Informationen weiterhin vorenthalten, die wichtig wären, um tatsächlich eine zivilgesellschaftliche Beteiligung und demokratische Kontrolle herzustellen.

Geändert hat sich also nichts: EU-Kommission und Bundesregierung versuchen weiter, die Verhandlungsprozesse möglichst intransparent zu halten. Zugleich täuschen sie das Gegenteil vor. So wollen sie CETA und TTIP trotz erheblicher öffentlicher Kritik durchsetzen. Wir sollten uns nicht hinters Licht führen lassen. Widerstand bleibt richtig und wichtig!

Die verbotene und nun selbstorganisierte Bürgerinitiative hat die Eine-Million-Marke fast geknackt. Bereits in vier Ländern wurde das Mindestquorum erreicht (sieben sind erforderlich). Das ist ein riesiger Erfolg! Um wirklich Druck aufzubauen, braucht es aber viel mehr.
»Stopp TTIP« kann die größte Bürgerinitiative aller Zeiten werden. Wenn das klappt, wird es wieder ein ganzes Stück schwerer, diesen Vertrag noch durchzusetzen.

Wir können diese Auseinandersetzung gewinnen!

Jochen

Gabriels teurer Umfaller bei CETA und TTIP, vorbereitet durch Hintertürchen

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Das war der Stand von vor 2 Wochen, wie Alexander Ulrich, MdB Die Linke, damals festgestellt hat:
http://linksfraktion.de/im-wortlaut/bundesregierung-wird-investorenschutz-nicht-scheitern/
Auszüge:

An der Bundesregierung wird der Investorenschutz nicht scheitern

Ihre erste Dienstreise führte die neue EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström nach Berlin. Dort wird sie während ihrer Amtszeit häufiger zu tun haben.
Schließlich wird ihre Hauptaufgabe darin bestehen, die umstrittenen Handelsabkommen TTIP und CETA samt der darin enthaltenen, besonders umstrittenen, Investorenklagerechte (Investor-to-State-Dispute-Settlement, ISDS) durchzusetzen.
Deutschland gilt im Europäischen Rat als einer der schärfsten Gegner solcher Klagerechte.

In der Tat haben VertreterInnen der Koalitionsfraktionen zuletzt regelmäßig ihre Ablehnung gegenüber ISDS zum Ausdruck gebracht. Damit reagieren sie auf die immer lautere öffentliche Kritik.
Fälle wie die Vattenfall-Klage auf 3,7 Milliarden Euro Schadensersatz wegen dem Atomausstieg, haben deutlich gemacht, was es bedeutet, wenn man Konzerne befähigt, gegen Gesetze zu klagen, die ihre Gewinnaussichten schmälern.
In Deutschland sind solche Klagerechte daher zurecht ziemlich unpopulär.

Die Bundesregierung musste auf die öffentliche Debatte reagieren und irgendwann beginnen, ISDS offiziell abzulehnen. Das heißt allerdings nicht, dass sie politisch tatsächlich dagegen ist.
Zu Beginn der Verhandlungen hatten Merkel & Co. keinerlei Einwände gegen ISDS. Heute haben sie sich zahlreiche Hintertüren offen gehalten:

Hintertür 1: Die SPD hat (gemeinsam mit dem DGB) ein Papier beschlossen, in dem ISDS in TTIP eine rote Linie ist. Auf das wesentlich akutere CETA-Abkommen nimmt das Papier jedoch keinen Bezug. Der CETA-Vertragstext ist ausgehandelt und enthält ISDS – im Einklang mit der SPD-Position. Kommt der Vertrag so zustande, können kanadische Unternehmen und US-Unternehmen mit Niederlassung in Kanada bald gegen europäische Regeln klagen. Es wird dann zwei Jahre später kaum erklärbar sein, warum die gleichen Regeln in TTIP nicht aufgenommen werden sollen.

Hintertür 2: Wirtschaftsminister Gabriel machte bereits deutlich, dass er zwar gegen ISDS sei, aber bereit wäre es zu akzeptieren, wenn das „europäische Gesamtinteresse“ an den Abkommen überwiege. Da die meisten EU-Regierungen die Abkommen einschließlich Klagerechten wollen, ist hierdurch ein Nachgeben Deutschland bereits vorprogrammiert.

Hintertür 3: Die harte ISDS-Kritik in der Öffentlichkeit schrumpft in den Verhandlungen auf eine Detailkritik zusammen. Dort fordert die Bundesregierung kein Aus für ISDS, sondern lediglich eine Reihe von Ausnahmen, beispielsweise bei staatlichen Umschuldungsprogrammen oder in steuerpolitischen Fragen.

Hintertür 4: Laut Gabriel ist das Ergebnis der öffentlichen Konsultation der EU-Kommission zu ISDS für die deutsche Position sehr bedeutend. Der Konsultationsprozess war allerdings so angelegt, dass eine Ablehnung von ISDS als Ergebnis gar nicht möglich ist. Lediglich technische Korrekturen können darüber erreicht werden. Gabriels Bezugnahme darauf läuft also automatisch auf eine Aufweichung der deutschen Ablehnung hinaus.

Malmström dürfte bei Ihrer Abreise aus Berlin recht zufrieden gewesen sein. Der Wirtschaftsminister hatte ihr gegenüber angekündigt, dass Deutschland in den Verhandlungen „flexibler“ werden wolle. Er müsse auch viel Rücksicht auf die Standpunkte der europäischen Nachbarn nehmen – die größtenteils aus engagierten ISDS-Verfechtern bestehen. Als habe Deutschland in den letzten Jahren irgendwann ein Problem damit gehabt, seine europapolitische Agenda ohne Rücksicht auf Verluste gegen die „europäischen Nachbarn“ durchzudrücken.

Den ISDS-Text in CETA will man, so hieß es gegenüber der Presse, gemeinsam „verändern“ und „verbessern“. „Verhindern“ steht offenbar schon jetzt nicht mehr auf der Agenda.

ISDS wird also an der Bundesregierung nicht scheitern – weder bei TTIP noch bei CETA. Das gilt, solange der Preis der Zustimmung für Gabriel und seine SPD nicht zu hoch wird.
Je größer der öffentliche Druck gegen ISDS, desto höher der Preis für eine SPD, die trotzdem zustimmt.
Bleiben wir also aktiv – im Parlament, in den Medien, auf den Straßen und Plätzen. Entschieden ist noch nichts!

Was hat Malmström dem Gabriel wohl eingetrichtert ?
Winkt da ein schönes Pöstchen in einem der zahlreichen neu einzurichtenden Gremien nach dem Scheitern als Vizekanzler bei der nächsten Bundestagswahl, wo die SPD bundesweit deutlich unter 20% bleiben könnte ?
Hier die neueste Entwicklung :
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/ceta-abkommen-gabriel-kanzelt-freihandels-kritiker-ab-a-1005367.html

Ceta-Abkommen: Gabriel kanzelt Freihandelskritiker ab

Sigmar Gabriel geht in Sachen Freihandel in die Offensive: Trotz der umstrittenen Schiedsgerichte solle Deutschland dem Ceta-Abkommen mit Kanada zustimmen, sagte der Wirtschaftsminister.

Damit verschärft er den Konflikt auch mit SPD-internen Kritikern.

Berlin – Trotz heftig umstrittener Schutzklauseln für Konzerne will Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) grünes Licht für das Handelsabkommen Ceta zwischen der EU und Kanada geben.
„Wenn der Rest Europas dieses Abkommen will, (…) dann wird Deutschland dem auch zustimmen. Das geht gar nicht anders“, sagte Gabriel im Bundestag.

Mit dieser klaren Festlegung verschärft Gabriel den Konflikt mit Freihandelskritikern, auch in seiner eigenen Partei. Die Sozialdemokraten hatten im September auf ihrem Parteitag beschlossen, dass der Investorenschutz mit Schiedsgerichten, vor denen Konzerne Schadensersatz von Staaten einklagen könnten, in dem Ceta-Abkommen nichts zu suchen habe.
SPD-Vize Ralf Stegner hatte bereits betont, Gabriel könne sich nicht einfach über „rote Linien“ des Parteikonvents hinwegsetzen.

Gabriel glaubt zwar, dass er bei Ceta in Gesprächen mit der EU-Kommission in Brüssel noch punktuelle Verbesserungen durchsetzen kann – von substanziellen Veränderungen geht der Wirtschaftsminister aber nicht mehr aus.
Ganz werde man Investorenschutz und Schiedsgerichte nicht mehr herausbekommen. Er gehe davon aus, dass „das mehr als schwierig ist und vermutlich nicht klappen wird“, so der Wirtschaftsminister.

Die Kritiker ging Gabriel scharf an. Man könne nicht den gesamten Prozess anhalten, nur weil manche hierzulande ein Unwohlsein verspüren würden. Für Deutschland sei es eine erhebliche Gefahr, sich vom Markt zu entkoppeln. Für eine „nationale Bauchnabelschau“ habe Europa kein Verständnis.

Gabriel warnt vor Verlust Hunderttausender Arbeitsplätze

Ohne die Abkommen Ceta mit Kanada und TTIP mit den USA würde Europa von boomenden asiatischen Ländern abgehängt. „Sind wir als Europäer draußen vor, dann ist das für eine Exportnation wie Deutschland eine mittlere Katastrophe“, meinte Gabriel, der in dieser Frage auch das lädierte Wirtschaftsprofil seiner SPD aufpolieren will. Dann seien Hunderttausende Arbeitsplätze in der Industrie gefährdet. Dies treffe nicht den öffentlichen Dienst oder Parlamentarier, sondern Facharbeiter und Angestellte – „die werden das am Ende bezahlen müssen“.
Gabriel warnte eindringlich vor den Folgen für zukünftige Generationen. „Wenn wir das hier falsch machen, werden unsere Kinder uns verfluchen.“

Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) erhöhte den Druck auf die Kritiker. Das geplante Handelsabkommen TTIP mit den USA sei der Versuch Europas, mit einem der wichtigsten Partner die Regeln und Standards der Globalisierung zu prägen.
„Wenn wir sie nicht prägen, (…) dann werden sie andere prägen“, sagte Steinmeier beim Wirtschaftsgipfel der „Süddeutschen Zeitung“.

Grüne und Linke warfen Gabriel vor, seine Versprechen zu brechen. Noch im September habe der Vizekanzler im Parlament den Eindruck erweckt, er werde das Ceta-Abkommen in Brüssel ablehnen, wenn die Schutzklauseln für Unternehmen drinbleiben.
Die Vorsitzende der Jusos, Johanna Uekermann, sagte SPIEGEL ONLINE: „Ob und wie Ceta am Ende zustande kommt, ist eine demokratische Entscheidung. Investor-Staat-Schiedsverfahren lehne ich ab, und auch die SPD hat das so beschlossen. Ich bin gespannt, wie Sigmar Gabriel diese Position mit seinen Äußerungen von heute in Einklang bringen wird.“

Ceta gilt als Blaupause für das geplante große Handelsabkommen TTIP zwischen Europa und den USA. Durch gemeinsame Standards und den Wegfall von Zöllen sollen im dann größten Wirtschaftsraum der Welt viele neue Jobs sowie mehr Wachstum entstehen.
Zuletzt sind die Zweifel gewachsen, ob TTIP vor Ende der Amtszeit von US-Präsident Barack Obama 2016 fertig wird.
Nach Einschätzung aus EU-Kreisen hat Obama mittlerweile dem Handelsabkommen TPP mit zwölf asiatischen Staaten, das 2015 unterschrieben werden soll, oberste Priorität eingeräumt.

vme/anr/dpa/Reuters

Jochen