Syrischer Außenminister im Interview: Für eine politische Lösung der Krise

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Das Massenelend in Syrien, verursacht durch die Sanktionen des Westens und die Übergriffe aus der Türkei und seitens der USA sind in den letzten Monaten seit Corona und insbhesondere seit des Zusammenbruchs von Afghanistan in den Hintergrund geraten.
Hier nun aktuell ein Interview der anerkannten, immer wieder mutig vor Ort recherchierenden Karin Leukefeld auf den NachDenkSeiten:
https://www.nachdenkseiten.de/?p=80440
Auszüge:

Syrien leidet unter den Folgen des Krieges, unter Sanktionen und unter „Brain Drain“ durch Fluchtbewegungen. Unter anderem zu diesen Themen hat die Nahostkorrespondentin Karin Leukefeld in Damaskus ein Gespräch mit dem syrischen Außenminister Dr. Feisal Mekdad geführt.

Es war 2012/13, als ich die Möglichkeit hatte, Sie als Vize-Außenminister zu interviewen. Thema war damals der beginnende Krieg und ich fragte Sie, ob die Entwicklung in Syrien vergleichbar sei mit der Entwicklung in Europa nach dem 2. Weltkrieg. Die Politik des »Eisernen Vorhangs« sollte die Sowjetunion isolieren, es entstanden zwei deutsche Staaten.
Ich möchte Ihnen heute die Frage erneut stellen: Wird es eine Mauer durch Syrien, wird es eine Spaltung durch die Region in Ost und West geben?

Nein. Natürlich gibt es eine Spaltung zwischen West und Ost, das ist ganz klar. Der britische Poet Rudyard Kipling sagte einmal: »Der Osten ist der Osten und der Westen ist der Westen. Und beide werden niemals zusammenkommen.«[1] Ich bin nicht so pessimistisch wie er. Ich mag keine Mauern und hoffe, daß niemand kommt, um uns einzumauern. Interne Mauern in Syrien wird es nie geben, die Gesellschaft wird das nie akzeptieren.

Allerdings versuchen einige ausländische Mächte tatsächlich Mauern in unserem Land zu errichten. Sehen wir uns an, was die Türkei macht.[2]
Ihr Handeln ist gefährlich und absolut unakzeptabel. Genauso unakzeptabel ist, was die Amerikaner im Nordosten des Landes machen. Sie versuchen den Eindruck zu erwecken, als wollten sie dort einen neuen Staat auf syrischem Territorium errichten. Das wird nicht geschehen, aber sie sorgen für Probleme.
Sie unterstützen dort Milizen und zögern damit eine politische Lösung der Krise hinaus, die wir anstreben. Aber wir sind sicher, daß die Amerikaner eines Tages abziehen werden.

al-NusraDie Türkei unterstützt im Norden und Nordwesten Terrorgruppen. Sie bewaffnet sie und leistet jede Art von Unterstützung für Jabhat al Nusra und den »Islamischen Staat« und andere. Mehr als 100.000 Terroristen sind seit 2011 aus der Türkei über die Grenze nach Syrien gelangt. Die Türkei drosselt den Wasserdurchlauf des Euphrat, davon sind viele Gebiete in Syrien betroffen. Es gibt eine Vereinbarung zwischen der Türkei, Syrien und dem Irak, wonach die Durchlaufmenge des Euphratwassers nach Syrien 500 Kubikmeter Wasser pro Sekunde beträgt. Jetzt erhalten wir nur 200 oder 250 Kubikmeter. Das gefährdet die Entwicklung und die Landwirtschaft und zwar sowohl in Syrien als auch im Irak.

Die Türkei verhält sich im Norden Syriens wie eine Kolonialmacht. Sie versucht, das türkische Curriculum an den Schulen durchzusetzen, sie kidnappt geradezu die gedankliche Entwicklung unserer Kinder. Sie verhindert, daß die Kinder in die befreiten Gebiete Syriens gelangen können, um dort ihre Examen abzulegen. Die Türkei versucht, im Nordwesten einen kleinen Kolonialstaat zu etablieren. Das ist völlig unakzeptabel.

Wir wollen keine neuen Kriege

Elf sehr schwierige Jahre liegen hinter Syrien und natürlich akzeptiert Syrien diese ausländische Anwesenheit nicht. Aber Syrien unternimmt militärisch auch nichts dagegen.
Warum kämpft Syrien nicht gegen die türkische Armee und treibt sie zurück? Welchen Weg geht Syrien, um sich gegen die fremde Besatzung zu wehren?

Wir wollen keine neuen Kriege im Mittleren Osten auslösen, die nicht mehr aufhören. Für die syrische Führung ist die Einheit des Landes, dessen territoriale Integrität ein unantastbares Prinzip. Syrien wird nie aufhören, den Rückzug dieser beiden Mächte von syrischem Territorium zu fordern. Die Türken haben diese Region 500 Jahre lang regiert, aber schließlich sind sie abgezogen.

Und die Amerikaner waren in Afghanistan, sie waren in Vietnam, sie waren in so vielen Ländern der Welt, aber schließlich sind sie immer in ihr Land zurückgekehrt. Uns geht es darum, die Krise durch politische Diskussion und Dialog zu lösen. Dafür müssen wir alle friedlichen Mittel einsetzen.
Wir wollen, daß nicht noch mehr unserer Infrastruktur zerstört wird. Und natürlich geht es um die Menschen, denn in allen Kriegen leiden die Menschen. UN-SicherheitsratUnd es gibt Resolutionen des UNO-Sicherheitsrates, die jeder respektieren muß. Wir respektieren sie.

Vor zehn Jahren schlossen die EU-Länder ihre Botschaften und zogen ihr Personal aus Syrien ab, einschließlich aller Organisationen, die in Syrien erfolgreich für die Zusammenarbeit mit Syrien gearbeitet hatten. Gibt es Anzeichen, daß die EU ihr Verhalten gegenüber Syrien ändern wird?

Wir wollen, daß die EU sich ändert und einige EU-Länder haben sich auch schon geändert. Es gibt direkte politische Vertretungen von sechs Ländern in Damaskus. Sie sind hier. Und ihre Botschaften sind geöffnet und sehr aktiv. Wir sind mit ihnen in Diskussion.
Natürlich haben wir auch Vertretungen in verschiedenen EU-Ländern. Unsere Botschaft in Paris ist weiterhin geöffnet. Unsere Botschaft in Berlin ist geöffnet. Selbst die Vertreter der Europäischen Union kommen täglich in unser Ministerium, um mit uns über die humanitäre Situation zu sprechen. Manchmal ergeben sich daraus auch politische Diskussionen.

Warum weiß kaum jemand, daß europäische Botschaften ihre Vertretungen in Damaskus wieder geöffnet haben?

Einige haben Angst vor anderen einflußreichen Ländern wie den USA, Frankreich oder anderen. Wir freuen uns, wenn sie zurückkehren und viele haben uns angesprochen und wir sind in Verbindung. Bis auf zwei, drei Länder, die einen harten Kurs verfolgen.

Zu denen auch Deutschland gehört?

Ich möchte Deutschland nicht so beschreiben. Unsere Botschaft in Berlin ist geöffnet. Und weil es sehr viele Syrer in Deutschland gibt, hoffen wir darauf, dass unsere beiden Regierungen bald ins Gespräch kommen.

Die Sanktionen sind unmenschlich

Ziemlich zu Anfang des Konflikts – schon 2011 – verhängte die EU einseitige wirtschaftliche Strafmaßnahmen gegen Syrien. Diese wurden Jahr für Jahr verlängert und in der EU-Kommission scheint niemand daran zu denken, sie wieder aufzuheben. Welche Auswirkungen haben diese Sanktion in Syrien?

Die Sanktionen sind verheerend. Sie sind unmenschlich, sie sind unmoralisch, sie sind unakzeptabel. Weil sie die normalen Menschen treffen.
Anders, als die EU immer vorgibt, kann Syrien keine direkten Finanzgeschäfte mit irgendwelchen Banken unternehmen. Wir können keine Medizin kaufen, keine Ersatzteile, nicht einmal Dünger können wir kaufen.
Die EU erklärt, daß die Sanktionen die humanitäre Hilfe nicht beträfen. Das Gegenteil ist der Fall. Sie betreffen hauptsächlich humanitäre Hilfsgüter.
Und sie verhindern, daß selbst Unternehmen aus der EU und deren Partner Syrien und die Syrer erreichen können. Kürzlich gab es einige Erleichterungen seitens der USA, aber von der EU haben wir nichts dergleichen gesehen. Wir glauben nicht, daß die Völker Europas es zulassen wollen, daß so eine aggressive Politik fortgesetzt wird, die unschuldige Syrer, Kinder, Frauen, Schutzbedürftige tötet. Nur den schwachen Menschen schaden die Sanktionen, nicht dem syrischen Staat.

Diese Politik behindert ja auch Syrer, die ihre Heimat wegen des Krieges verlassen mußten und zurückkehren möchten…

Wenn diese Sanktionen weiterhin zur Verarmung des syrischen Volkes führen, warum sollten die Flüchtlinge nach Syrien zurückkehren wollen?
Von unserer Seite begrüßen wir die Rückkehr aller Syrer, ohne irgendwelche Vorbedingungen. Um denen zu helfen, die zurückkehren wollen, versuchen wir mit internationalen Nichtregierungsorganisationen und den humanitären Organisationen der UNO zu kooperieren.

Es gibt Berichte, wonach die Rückkehrer nicht sicher sind.

Es gibt keine Maßnahmen gegen diejenigen, die zurückkehren. Wir sagen allen, die Probleme haben, die sie lösen können, daß sie kommen sollen.
Präsident Assad hat eine Reihe von Dekreten erlassen, damit niemand aus politischen Gründen Probleme bei der Rückkehr haben wird. Wenn es gegen jemanden ein Strafverfahren gibt, wenn beispielsweise jemand seine Schwester getötet hat, sagen wir das den Betreffenden.
Wenn sie zurückkommen möchten, sollen sie kommen. Aber sie müssen sich dem Strafverfahren stellen. Alle Syrer, die jetzt außerhalb des Landes sind, heißen wir willkommen. Die EU-Propaganda, laut der die Bedingungen in Syrien eine Rückkehr nicht erlaubten, ist absurd.

Wir haben dem Hochkommissar der Vereinten Nationen vorgeschlagen, diesen Menschen zu helfen und ihnen einen einmaligen Geldbetrag zu geben, damit sie zurückkehren können. Das ist bei der Rückkehr in alle Länder der Welt so üblich, nur nicht im Fall Syriens. Sie geben den Rückkehrern nichts, weil die westlichen Länder, die Geberländer, nicht wollen, daß Rückkehrer dieses Geld erhalten. Aber alle Syrer, Flüchtlinge, Vertriebene sind in ihrer Heimat willkommen und ich möchte dieses Interview nutzen, um sie alle einzuladen, nach Syrien zurückzukehren.

»Brain-Drain«

Im Libanon gibt es nach offiziellen Angaben rund 1 Millionen syrische Flüchtlinge. Präsident Aoun hat selbst vor der UN-Vollversammlung darum gebeten, dass die UNO helfen möge, diese Menschen in ihre Heimat zurückzubringen. Sie sagen nun, Syrien sei mit verschiedenen Akteuren, einschließlich der UNO im Gespräch. Heißt das, daß eine Lösung für diese Menschen in greifbarer Nähe ist?

Fast 1,2 Millionen Flüchtlinge sind aus verschiedenen Ländern zurückgekehrt. Was andere seit zwei Jahren an der Rückkehr gehindert hat, ist das Corona-Virus. Das hat die Rückkehr von vielen beeinträchtigt. Wir sind mit Aufnahmeländern im Gespräch, um Möglichkeiten für die Rückkehr zu koordinieren.
Aber was wir wirklich sehen wollen ist, daß die UNO die Menschen zur Rückkehr ermutigt. Wie ich schon sagte, wird die UNO von den westlichen Staaten, den Geberländern, kontrolliert. Diese wollen nicht, daß die Menschen zurückkehren. Und die Syrer im Libanon beispielsweise haben Angst, die Unterstützung zu verlieren, die sie dort erhalten. Würde ihnen dieses Geld auch in Syrien gegeben, würden sie nach Syrien kommen.

Warum geben die westlichen Geberländer Millionen dafür, daß Flüchtlinge in verschiedenen Ländern und in den Lagern dort bleiben, anstatt ihre Rückkehr zu unterstützen?

Natürlich hat diese Sache viel mit »Brain-Drain« zu tun. Viele Menschen, die Syrien verlassen haben und heute beispielsweise in Deutschland sind, sind unsere besten Ärzte, Architekten, Designer, Ingenieure, Köche…
Deutschland hat eine überalterte Gesellschaft und braucht Intellektuelle und gut ausgebildete Leute aus anderen Ländern. Deutschland sollte erlauben, daß diese Menschen zurückzukehren. Wir werden sie mit Würde und in Freiheit empfangen und sie unterstützen, wenn sie Hilfe brauchen. Wir hoffen, dass die Deutschen und die deutsche Regierung das verstehen. Immerhin gibt es jetzt eine neue Regierung in Deutschland.

Ich möchte auf einen Prozess zu sprechen kommen, der kürzlich vor einem Gericht in Koblenz gegen einen ehemaligen syrischen Offizier zu Ende gegangen ist und der in Deutschland anhaltend für Schlagzeilen gesorgt hat. Was denken Sie darüber, daß deutsche Gerichte – die auf das „Weltrechtsprinzip“ berufen – über etwas verhandeln und Recht sprechen, was in Syrien geschehen sein soll?

Ich bin nicht der Meinung, daß diese Gerichte völkerrechtlich zuständig sind. Es sind einzelne Gerichte in verschiedenen Ländern, die politischen Vorgaben genügen sollen. Was wäre wohl, wenn eine deutsche Person von einem syrischen Gericht angeklagt würde? Alle westlichen Staaten würden dagegen auf die Barrikaden gehen.

Hinter uns liegen zehn sehr schwierige Jahre. Terroristen aus verschiedenen europäischen Ländern sind in unser Land eingedrungen und einige stehen dafür jetzt in ihren Herkunftsländern vor Gericht. Doppelmoral bringt die EU-Staaten nicht weiter. Sie sollten alle diese Kriminellen nach Syrien schicken, damit wir ihre Verbrechen untersuchen und sie verurteilen können.
Viele dieser Kriminellen sind noch in Syrien, im Lager Al Hol gibt es etwa 60.000. Die Europäer sollten dorthin gehen und sich diese Leute ansehen, die hier Verbrechen begangen haben. Sie haben den »Islamischen Staat« unterstützt, der Syrer tötete.

Gerade erst habe ich aus einem im Westen veröffentlichten Bericht erfahren, daß mehr als 150.000 Soldaten der syrischen Armee von diesen Terroristen getötet wurden. In der EU wird nur über das nachgedacht, was in ihrem Interesse ist.
Den Interessen Syriens wird jedoch auf andere Weise gedient, und wir sind bereit, bei Verbrechen, die von diesen Terroristen auf syrischem Territorium begangen werden, sofort zu handeln.

Es heißt, in Syrien gebe es keine vertrauenswürdige Rechtsprechung.

Wir haben gute Richter in Syrien und es gibt viele Gerichte. Wir sollten keine Zweifel über die Rechtssysteme anderer Staaten verbreiten. Das Internationale Recht definiert alle Verbrechen, die vor lokalen Gerichten verhandelt werden sollten, nicht vor Gerichten in anderen Ländern.
Wenn hier jemand verhaftet wird, unterliegt diese Person dem Gesetz. Das gilt für alle.

Sie sagten, Syrien ist mit verschiedenen EU-Ländern im Gespräch, auch mit der EU, und Sie zeigen sich optimistisch, daß die Situation sich in Zukunft ändern wird. Was erwartet Syrien von der EU und den EU-Staaten, um das Zerwürfnis, den tiefen Graben zu überwinden?

Wir müssen die Vergangenheit hinter uns lassen. Die Deutschen haben die Tragödien des Ersten und Zweiten Weltkriegs hinter sich, aber solche historischen Entwicklungen müssen überwunden werden. Wir hoffen, daß unsere Ansprechpartner in der EU verstehen werden, daß Syrien ein souveräner Staat ist, mit einem eigenen Rechtssystem, einem eigenen politischen System, und daß Syrien alles verhindern wird, was das Leben unschuldiger Menschen mit terroristischen Angriffen gefährden könnte. Das ist das Recht eines jeden Staates.

Ich fordere alle Länder in Europa auf, EU-Mitglieder und nicht-Mitglieder der EU, eine neue Herangehensweise im Umgang mit internationalen Problemen zu finden. Sie sollten nicht auf ihren Fehlern beharren.
Die syrische Regierung ist zu Gesprächen auf der Basis der UNO-Charta, der Menschenrechtscharta und des Internationalen Rechts bereit. Wir müssen uns darüber einigen, wie wir im Kampf gegen terroristische Angriffe gemeinsam reagieren können.

Die Europäer sind meiner Meinung nach sachlich und befassen sich mit der Realität, sie sind keine Träumer. Einige Länder wollten sich zwar hinter Konzepten wie »Regime Change« verstecken und versuchten, die Lage im Mittleren Osten zu ändern.
Die anhaltende Besatzung Israels von Palästina, der syrischen Golan-Höhen, von einigen Teilen des Libanon – alles das gehörte zum realen Hintergrund dieses Konflikts in Syrien, der von westlichen Staaten unterstützt und finanziert wurde. Von den USA, Britannien und von Frankreich als ehemaliger Kolonialmacht. Was Deutschland betrifft, so hoffen wir auf einen neuen Anfang, um Völker und Länder zusammenzubringen, anstatt die Unterschiede zwischen den Zivilisationen und Kulturen zu vertiefen.

Sie sollten ihre Botschaften in Damaskus wieder öffnen?

Das ist eine natürliche Sache, um zu verstehen, was hier geschieht. Wenn die Europäer weiter ihre Augen verschließen, sehen sie nichts. Ihre Botschaften sind ihre Augen in Syrien. Wir wollen alle syrischen Botschaften in Europa öffnen und wir wollen, daß alle diese Länder ihre Botschaften in Damaskus wieder öffnen. Nur durch diese Art von Kommunikation kann man sich gegenseitig besser verstehen, und die Europäer können die Realität Syriens besser verstehen. Jetzt folgen sie Illusionen und Berichten, die vor der Realität keinen Bestand haben, die mit dem wirklichen Geschehen hier wenig zu tun haben.

UNO-Resolutionen werden nicht respektiert

Wo bleibt dann der Prozess, den die UNO in Genf versucht in Gang zu halten?

Wir unterstützen diesen Prozess ausdrücklich, den die UNO in Gang gebracht hat. Unsere Regierung hat das wiederholt deutlich gemacht.
Die Sache ist nur, daß sich manchmal Länder in diesen Prozess einmischen und das verstößt gegen das Prinzip, daß Syrer sich mit Syrern treffen und eine Vereinbarung finden, ohne ausländische Einmischung. Das sind die Grundlagen des Genfer Prozesses, von dem wir aber leider nicht viel sehen. Wir hören Erklärungen hier und da gegen Syrien, manchmal auch gegen die UNO. Und wir sehen, daß selbst UNO-Resolutionen nicht respektiert werden.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Im Juli 2021 hat der UNO-Sicherheitsrat die Resolution 2585 verabschiedet. Damit wurden sogenannte frühzeitige Erholungs-Projekte, grenzüberschreitende und Frontlinien überschreitende Aktivitäten genehmigt. Wir haben unsere Verpflichtungen erfüllt, aber die EU verweigert die Umsetzung dieser Resolution.
Die Türkei hat keine Lieferungen zugelassen, die Frontlinien überschreitend in den nicht besetzten Teil Syriens geschickt werden sollen.

Das einzige, was die Türkei an humanitärer Unterstützung zuläßt, geht an die terroristischen Gruppen nordöstlich von Aleppo und in den Nordwesten. Die Lieferungen gehen an den »Islamischen Staat« und an die Nusra Front, die die humanitäre Hilfe kontrollieren. Entweder sie verkaufen die Hilfsgüter – ich betone das ausdrücklich – oder sie geben die Hilfe an die mit ihnen verbündeten Gruppen weiter oder sie behalten sie für sich selbst. Das akzeptieren wir nicht. Die westlichen Staaten haben erklärt, daß sie das überwachen, aber es wurde kein Überwachungsmechanismus aktiviert.

Werden die »frühzeitigen Erholungs-Projekte« umgesetzt?

Die EU weist das kategorisch zurück. Darum habe ich gesagt, sie setzen die Resolution nicht um. Weder die »frühzeitigen Erholungs-Projekte« noch die anderen Prinzipien. Wir verlangen ein Minimum an Respekt für Resolutionen der UNO.

Syrien hat sich immer für die UNO und das Internationale Recht stark gemacht. Syrien war dabei, als die Organisation der Vereinten Nationen gegründet wurde, wenn ich mich recht entsinne…

Ja, das stimmt…

OPCW_logo…aber jetzt sehen wir, daß sogar der UNO-Sicherheitsrat zu einer Bühne für Angriffe gegen Syrien geworden ist. Ein Thema ist die Frage der Chemiewaffen. Syrien hat der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) seinen Bestand gemeldet und zur Vernichtung übergeben. Dies wurde von der OPCW am 23. Juni 2014 bestätigt.
Dennoch forderte die Hohe Vertreterin für Abrüstungsfragen, Izumi Nakamitsu, kürzlich im UNO-Sicherheitsrat Syrien auf, mit der OPCW zusammenzuarbeiten. Sie sagte, die syrische Erklärung über die Einhaltung des Chemiewaffenübereinkommens sei »immer noch ungenau«. Worum geht es bei der Auseinandersetzung?

Wir brauchen keine Chemiewaffen

Darauf möchte ich als Vorsitzender des »Nationalen Komitees für die Umsetzung der Vereinbarung zwischen Syrien und der OPCW über die chemischen Waffen« antworten. In den Jahren 2013, 2014, 2015 und auch noch 2016 waren die Bedingungen in Syrien sehr schwer. Die Kontrolleure und Ermittler der OPCW kamen hierher und wir haben uns genau in diesem Raum, wo wir jetzt sitzen, getroffen. Mit dabei war Sigrid Kaag, die später Ministerin in der holländischen Regierung wurde. Gemeinsam haben wir alles besprochen, erklärt und abgeschlossen. Natürlich kann man so eine Erklärung nicht in sechs Tagen verfassen, also schickte die OPCW eine Delegation, die uns dabei half, die Erklärung zu verfassen. Wir informierten sie vollständig über das Programm. Allerdings hatten wir über einige Orte keine Informationen, weil wir sie nicht erreichen konnten, sie waren von den bewaffneten Gruppen besetzt. Darüber konnten wir keine abschließenden Angaben machen oder Beweise darüber vorlegen, was dort geschah. Aber es war ganz klar, daß die syrische Regierung vollständig zur Zusammenarbeit bereit war.

Wir brauchten solche Waffen nicht, so einfach war das. Wir wollten solche Waffen auch nicht mehr, obwohl Israel über alle die Massenvernichtungswaffen verfügt – nukleare, chemische und biologische Waffen. Aber für uns war klar, wir wollten sie abschaffen, weil sie unmenschlich und unmoralisch sind.
Die chemischen Waffen stammten noch aus einer Zeit, in der es ganz andere Entwicklungen in dieser Region gab. Verschiedene ausländische Kräfte kämpften um Einfluß, wir suchten nach Waffen, um uns verteidigen zu können. Gegen die USA, gegen Israel, gegen die Türkei und andere. Niemals hatten wir vor, unser Volk damit zu töten.

Als wir Tonnen von diesem Material aus der syrischen Wüste zum Mittelmeer transportierten, um es dort auf Schiffe aus den USA, Norwegen, Finnland und Frankreich zu verladen, hat uns niemand gefragt, ob wir etwas verstecken würden. Und warum sollten wir etwas verstecken wollen, wenn wir gleichzeitig diese Waffen der OPCW zur Vernichtung übergeben!

Wie dem auch sei, es gibt Länder, in denen die Ansicht vertreten wird, daß dieses Thema sich gut eignet, um die syrische Regierung weiter zu attackieren und ihre Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen. Sie haben das Thema im Technischen Sekretariat der OPCW benutzt, um es bis vor den UNO-Sicherheitsrat zu bringen. Wir halten den Sicherheitsrat nicht für den richtigen Ort, um diese Frage zu erörtern, weil es sich um ein technisches Problem handelt. Aber die internationalen Kampagnen gegen Syrien gehen weiter.

Wir haben dem Technischen Sekretariat auch angeboten, die Wissenschaftler der OPCW und Syriens zusammen zu bringen, um gemeinsam die tatsächliche Lage zu untersuchen. Sie haben das abgelehnt und setzen den Druck gegen Syrien fort, aus politischen Gründen. Das ist die aktuelle Lage.

Ich versichere Ihnen, Syrien hat den Besitz von chemischen Waffen verurteilt, wir akzeptieren diese Waffen unter keinen Umständen. Weder in Syrien noch andernorts dürfen sie unter irgendwelchen Vorwänden eingesetzt werden. Wir sind zur Zusammenarbeit mit der OPCW bereit um zu beweisen, daß Syrien sich an seine Ablehnung von chemischen Waffen hält.
Aber in der OPCW wird eine Resolution nach der anderen gegen Syrien vorgelegt, wobei die Unterstützung dafür bei den Mitgliedstaaten abnimmt. Die letzte Resolution wurde nur von 50 Ländern angenommen, andere haben sich enthalten, haben dagegen gestimmt oder waren gar nicht erst zur Abstimmung erschienen.

Die Blockaden des Westens gegen Syrien scheinen vom Osten nicht unterstützt zu werden. Syrien hat Beziehungen mit Rußland, dem Iran, China und Indien.
Das war schon vor 2011 so, aber die Beziehungen haben sich verstärkt. Im Iran hieß es nach der Islamischen Revolution 1979, das Land sei „Weder Ost noch West“. Aber nun haben Iran und China ein langfristiges und finanzstarkes Abkommen unterzeichnet, Iran wendet sich dem Osten zu. Auch Syrien hat ein Abkommen mit China unterzeichnet, wird auch Syrien sich nach Osten wenden?

Ich bin nicht der Meinung, daß uns irgendjemand zwingen kann, auf dieser oder jener Seite zu stehen. Wir folgen unseren Interessen. Aber wo kann unser Platz sein, wenn die westlichen Länder sich gegen Syrien positionieren?
Natürlich müssen wir unsere Wirtschaft umstellen und unsere Politik muß sich an den Interessen des syrischen Volkes orientieren, am Internationalen Recht und an der Charta der Vereinten Nationen.

Wenn aber Länder das alles nicht respektieren und einen »Regime Change« in Syrien anstreben, wo sollen wir dann hin? Können wir der USA-Administration zustimmen oder der französischen Regierung, die Syrien besetzen wollen, die Kampfjets schicken, um Syrien anzugreifen?
Während die Russische Föderation sagt, wir verstehen die rechtmäßige Position Syriens und unterstützen das Land?

In so einer Lage werden wir natürlich an der Seite Rußlands, Chinas, des Iran und anderer Länder sein, die verstanden haben, daß wir ein multipolares System brauchen. Ein multipolares System, um das bestehende internationale Kräfteverhältnis zu verändern, in dem die westlichen Länder versuchen die Länder der ganzen Welt gegen deren Willen zu dominieren und zu beherrschen. Mit dieser Einmischung, wenn er auf Kosten anderer, sich entwickelnder Länder nur die eigenen Interessen verfolgt, wird der Westen immer mehr Länder dazu bringen, den gleichen Weg zu gehen wie der Iran, Syrien und andere.

Für Kooperation

Die geographische und geopolitische Lage Syriens macht das Land zu einer Brücke zwischen Ost und West. Syrien ist ein Tor zum Mittelmeer und nach Europa und umgekehrt die Tür nach Asien.

Das ist richtig und diese Position wollen wir auch haben. Vor diesem terroristischen Krieg gegen Syrien war es so, daß wir die Region zwischen den Fünf Meeren zusammenführen wollten.[3]
Wir haben uns um eine Ost-West-Zusammenarbeit bemüht, wir verhandelten mit der Europäischen Union über ein Abkommen und unsere Beziehungen mit den USA waren nicht so schlecht. Letztlich ist es der Konflikt zwischen Israel und den arabischen Staaten, der eine gute Entwicklung in unserer Region verhindert.

Würden die syrischen Golan-Höhen an Syrien zurückgegeben, würden die Palästinenser ihr historisches Recht auf einen eigenen Staat in Palästina bekommen und würde das libanesische Territorium befreit, das noch unter israelischer Kontrolle ist, dann könnte unserer Meinung nach diese Region Frieden finden, und die Welt auch. Die Probleme gibt es, weil einige Akteure eine gesamte Region für ihre eigenen Interessen kontrollieren wollen.

Gibt es Anzeichen, daß die westlichen Staaten diese Position verstehen?

Ich hoffe natürlich, daß die Konflikte eher heute als morgen ein Ende finden. Doch noch werden die Probleme von Kriminellen und Hetzern ausgenutzt.

Sie haben das 2009 von Präsident Baschar al Assad vorgestellte »Fünf-Meeres-Projekt« erwähnt, den Plan einer Kooperation der Staaten zwischen dem Kaspischen Meer, dem Schwarzen Meer, dem Mittelmeer, dem Roten Meer und dem Persischen Golf. Dessen Ziel war es, Syrien, die Türkei, Libanon und Jordanien zusammenzubringen. Es gab Infrastrukturprojekte, der Handel sollte erleichtert werden, auch die Visabestimmungen.
Mit dem Krieg war das vorbei, die Grenzen Syriens waren und sind teilweise noch geschlossen. Nun gibt es die Entscheidung, den Libanon mit Strom und Gas durch die Arabische Gas Pipeline zu versorgen, die Ägypten, Jordanien, Syrien und den Libanon verbindet. Die Öffnung der Pipeline und der Stromversorgung verzögert sich, was ist der Grund?

Ich möchte betonen, daß wir von der regionalen und internationalen Zusammenarbeit überzeugt sind. Das »Fünf-Meeres-Projekt« umspannte ein weites Gebiet und hat damals in vielen Ländern große Aufmerksamkeit erregt. Es gab einige Staaten, denen diese Entwicklung nicht gefiel weil sie meinten, Syrien würde »zu gefährlich« werden. Ich meine das im Sinne von »zu stark«. Dann wurden diese Terroristen geschickt, die alles zerstörten, was an guten Vereinbarungen zum Wohle der Völker in dieser Region entstanden war.

Wenn ein arabisches Land mit einer Herausforderung konfrontiert ist, wie es jetzt aktuell im Libanon der Fall ist, können wir unabhängig von unseren Positionen auf keinen Fall gegen die Interessen dieses Volkes arbeiten, und der Libanon ist uns sehr wichtig. Wir haben wiederholt eine große libanesische Delegation von Ministern empfangen und es gab Treffen in Jordanien. Es gab zwei, drei Treffen zum Thema Strom und zwei, drei Treffen zum Thema Gas. Ohne zu kommentieren, was andere tun oder denken, kann ich Ihnen sagen, daß wir sofort zugestimmt haben. Was notwendig ist, um Strom und Gas in den Libanon zu leiten, wurde in Syrien fertiggestellt. Sowohl der Minister für Elektrizität als auch der Minister für Öl und andere Ressourcen haben erklärt, daß Syrien für das Projekt bereit ist.

Was das Zögern von anderen betrifft, müssen diese Länder erklären. Allerdings haben wir gehört, daß die USA-Administration noch nicht endgültig entschieden hat, ob die USA-Sanktionen gegen Syrien angewendet werden sollen, wenn Strom und Gas für den Libanon durch Syrien geleitet wird. Die USA müssen das mit den anderen Staaten klären. Wir hoffen, daß das Projekt den Libanesen nutzt und ihre schwierige Situation nicht weiter verlängert wird.

Kürzlich konnte man überraschenden Besuch in Damaskus sehen, der Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate kam zu Gesprächen.
Wird Syrien in die Arabische Liga zurückkehren?

Die Frage, ob Syrien in die Arabische Liga zurückkehrt, ist nicht so sehr das Problem. Sie wissen, daß dieses Gremium keine wirkliche Entscheidungsmacht hat, es sind die Mitgliedstaaten, die entscheiden. Syrien arbeitet mit der Mehrheit der arabischen Staaten gut zusammen. 14 von den insgesamt 22 Mitgliedstaaten der Arabischen Liga (einschließlich Syrien) sind in Damaskus mit Botschaften vertreten. Selbst Dschibouti, das nie in Syrien vertreten war, hat jetzt eine Botschaft in Damaskus eröffnet. Zwei Länder könnten noch gegen die Rückkehr Syriens in die Liga sein, aber für uns sind die bilateralen Beziehungen mit allen arabischen Staaten wichtig.
Ich will nicht einzelne Länder hervorheben, jedes arabische Land ist eingeladen, wieder normale Beziehungen mit Syrien aufzunehmen. Syrien ist dazu bereit, um die Arabische Position in der Geopolitik des Mittleren Ostens zu stärken.

Dabei geht es auch um die Türkei, die arabische Länder angreift. Die Türkei positioniert sich in Libyen, in Syrien, im Jemen, im Irak, im Sudan, in Somalia, in Dschibouti. Als arabische Staaten müssen wir unsere Kontakte festigen und zusammenarbeiten. Wie kann ein arabisches Land, das die Muslim-Bruderschaft verurteilt, mit der Türkei kooperieren? Solche Widersprüche möchten wir beenden. Die arabischen Länder haben gemeinsame politische, geographische, wirtschaftliche und kulturelle Interessen. All dies bringt uns zusammen und wir sollten uns nicht spalten lassen durch Loyalitäten zu Positionen, die den arabischen Ländern nicht helfen werden, sich zu entwickeln und die neuen Herausforderungen zu bewältigen. Ganz gleich, ob es sich um ökologische oder humanitäre Herausforderungen handelt.
Die ganze Welt steht vor vielen Herausforderungen. Wenn wir uns nicht zusammenschließen, werden wir alle bedroht sein.

In diesen Tagen war eine Delegation der Palästinensischen Autonomiebehörde in Damaskus …

Ja und wir hatten gute Gespräche. Syrien glaubt an die Gerechtigkeit der palästinensischen Sache. Dies war eine Delegation der Führung der Fatah. Wir haben ihnen unsere Überzeugung mitgeteilt, daß sie ohne die Einheit der palästinensischen Fraktionen die Unterstützung der ganzen Welt verlieren würden. Syrien würde niemals seine Positionen aufgeben, wenn es um die Rechte des palästinensischen Volkes geht. Sie können sehen, daß sich derzeit die gesamte Region in eine Richtung bewegt, die den Kampf um Gerechtigkeit für das palästinensische Volk nicht fördern wird …

Das Abraham Abkommen zwischen Israel und einigen Golfstaaten steht dem entgegen?

FM: Ganz genau. Wir wollen keine neue Seite aufschlagen, auf der die arabischen Konflikte sich vertiefen, anstatt dass die arabische Einheit sich durchsetzt.
Wir wollen, daß sich die Palästinenser zusammenschließen, ihre eigenen Probleme diskutieren und Lösungen finden, und sie werden dabei immer die Hilfe Syriens finden. Das macht es auch anderen arabischen Ländern leichter, sie zu unterstützen.

Das Interview führte Karin Leukefeld (leukefeld.net). Es ist am 1. Februar 2022 in der Zeitung „Laetzebuerger Vollek“ (Luxemburg) erschienen.

Titelbild: Der syrische Außenminister Dr. Feisal Mekdad im Gespräch mit der Nahostkorrespondentin Karin Leukefeld in Damaskus. Quelle: Syrisches Außenministerium, Damaskus, 12.01.2022

[«1] “Oh, East is East and West is West, and never the twain shall meet”, Rudyard Kipling. kiplingsociety.co.uk/poem/poems_eastwest.htm

[«2] Die Türkei baut entlang der Grenze zu Syrien an vielen Orten eine Mauer. Um Azaz, das etwa 60 km nördlich von Aleppo liegt, wird von der Türkei auf syrischem Territorium eine Mauer zwischen Azaz und Afrin errichtet: al-monitor.com/originals/2022/01/turkey-isolating-azaz-rest-syrian-territory

[«3] Fünf-Meeres-Strategie: 2009 von Präsident Bashar al Assad vorgestellter Plan einer Kooperation der Staaten zwischen dem Kaspischen Meer, dem Schwarzen Meer, dem Mittelmeer, dem Roten Meer und dem Persischen Golf.

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.

Jochen

China, Xinjiang und die Uiguren – Ein grüner, deutscher Insider berichtet über seine Reise

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

gestern auf TElepolis https://www.heise.de/tp/features/China-Xinjiang-und-die-Uiguren-6134443.html
Auszüge:
XinjiangJürgen Kurz
, Mitglied der Grünen, ber Reiseerfahrungen in der chinesische Provinz, über die mit Umerziehungslagern und Menschenrechtsverletzungen uigurischer Einwohner Schlagzeilen gemacht wird.

Jürgen Kurz ist mit einer Chinesin verheiratet und lebt seit bald 20 Jahren in China. Ihn hat die seiner Ansicht und Erfahrung nach einseitige Darstellung von China sowie die zunehmend feindselige Haltung westlicher Länder gestört.
Im Mai ist er in die besonders in der Aufmerksamkeit stehende Provinz Xinjiang gereist, aus der seine Frau stammt und die er schon öfter besucht hatte.

Es ging ihm darum zu sehen, ob hier wirklich die China vorgeworfenen systematischen und massiven Menschenrechtsverletzungen, Zwangssterilisierung und Masseninhaftierung uigurischer Einwohner in Umerziehungslagern stattfinden. Hier sollen eine Million Uiguren oder mehr eingesperrt sein. Kurz schrieb darüber einen Reisebericht. (PDF hier: https://www.juergenk.de/resources/Die%20Xinjiang%20Tour.pdf)
Florian Rötzer sprach mit ihm über seine Eindrücke.

Seit einigen Jahren kursieren Bericht ber Xinjiang, dass China dort eine Million Uiguren und mehr seit den Terroranschlägen in Umerziehungslager gesteckt habe.
Sie würden gefoltert, es finde ein Genozid statt, es gebe Zwangsarbeit. Sie haben die Provinz im Mai bereist.
Konnten Sie denn frei und ohne staatliche „Begleitung“ reisen, überall hingehen und besuchen, was Sie wollten?

Jürgen Kurz: In Xinjiang kann jeder überall und zu jeder Zeit hinreisen. Wenn man vor 10 Jahren nach Xinjiang gekommen ist, dann musste man an jedem greren Ort eine Eingangskontrolle durchwandern. Es wurde die Identität festgestellt und mit einer Verdächtigenkartei abgeglichen. Das war nervig, aber die Reise war nie eingeschränkt.
Ich hatte nie das Gefühl, dass mich jemand von irgendetwas abhalten wollte. Bei meiner Reise im Mai ging es mir um die vielfach diskutierten Themen, die den Chinesen vorgeworfen werden.

Das sind vier Kernvorwürfe. Der erste Vorwurf ist ein Genozid, dann geht es um die systematische Vergewaltigung von uigurischen Frauen, die Zwangssterilisierung und die Ausrottung der uigurischen Sprache. In diesem Zusammenhang wird von einer Million Uiguren erzhlt, die in „concentration camps“ festgehalten wrden.

Wenn man den Präsidenten des uigurischen Weltkongresses fragt, wo die Zahl herkommt, dann sagt er: Das stand doch in den Medien. Und wenn man die Medien fragt, dann heißt es, das werde doch überall gesagt. Das ist eine Zahl, die vom Himmel herunterfällt.
Adrian Zenz
ist der Hauptprotagonist, der
diese Zahl einmal in die Welt gesetzt, aber dafür eigentlich keine Basis hat.

Auffällig ist in der Tat, dass es keine Belege dafür gibt. Wenn Sie sagen, dass man vor der Covid-Zeit problemlos in die Provinz einreisen und Erkundungen vornehmen konnte, dann ist dies offenbar nicht geschehen. Waren denn Beobachter dort?

Jürgen Kurz: Doch, da waren viele Vertreter von Ländern da. Es waren meist nur nicht die der westlichen Länder. Es waren westliche Journalisten da, die auch berichtet haben.
Es gab beispielsweise einmal eine Delegation des Bundestages vor zwei oder drei Jahren, die nach Xinjiang reisen sollte.
Sie war bestückt mit Leuten, die bereits „wussten“, dass dort Menschenrechte verletzt werden und es Konzentrationslager gibt. Sie forderten, diese „concentration camps“ besuchen zu können.

Die Chinesen sagten darauf, dass es die nicht gibt. Deswegen könnten sie diese nicht zeigen. Daraufhin gab es eine heftige öffentliche Auseinandersetzung. (Die Delegation ist dann nicht hingereist.) Man muss das in die globale Auseinandersetzung einlagern.

Heute ist China die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. In den Achtzigerjahren war das Land mit einem BIP von 350 Milliarden US-Dollar eine mickrige Nation mit einer Milliarde Menschen und einem BIP pro Kopf von 300 US-Dollar. Heute beträgt das BIP ber 14 Billionen US-Dollar und pro Kopf von mehr als 10.000 US-Dollar.
Das sind also ganz andere Dimensionen. Jetzt wird China zur größten Gefahr für die Vorherrschaft der Amerikaner.

Jeder, der sich mit der Globalpolitik beschftigt, weiß, dass die Amerikaner eine ganz harte Strategie fahren, um den Aufstieg Chinas zu verhindern. China darf nicht stärker und einflussreicher als die USA werden.
Auch Präsident Biden und Außenminister Blinken habe diese Position öffentlich vertreten und werben in Europa dafür, sich anzuschließen, um die Chinesen einhausen zu knnen, damit sie nicht zu stark werden. Dafür nutzt man auch das Menschenrechtsargument.

Die ETIM und die Radikalisierung

Die Menschenrechte werden nicht nur gegenüber China immer mehr als politisches Mittel eingesetzt. Aber mal ganz konkret: Die eine Seite spricht von Umerziehungslagern oder „concentration camps“, die Chinesen sprechen von Ausbildungszentren.
Konnten Sie ein solches Ausbildungszentrum besuchen oder haben Sie mit Leuten gesprochen, die dort waren?

Jürgen Kurz: Ich habe Einblick bekommen. Man muss das prziser beschreiben. Es geht um „Vocational Education Center“. So heit das in China.
Das ist ein Teil der Armutsbekämpfungspolitik.*) In China laufen solche Programme extrem stark ber die Regierung, die Provinzregierung, die Städte und die Kommunen.
Es ist nicht so wie bei uns, dass der freie Markt den Arbeitsmarkt regulieren soll, sondern die Verwaltungen versuchen, systematisch Armutsbekämpfung zu betreiben.

2009 gab es diesen fürchterlichen Anschlag in Urumuqi, wo über 200 Menschen auf den Straßen umgekommen sind. Es gab auf dem Bahnhof in Kunming einen Anschlag, bei dem 20 Menschen getötet wurden. Es gab permanent Anschläge in Xinjiang.
Meine Frau berichtete mir, ihre Mutter habe ihr erzählt, dass in einem Nachbardorf eine Polizeistation in die Luft gejagt wurde, wobei acht Polizisten starben.

Verantwortlich war eine radikale Gruppe namens ETIM (East Turkistan Islamic Movement), für die Ostturkistan im Osten von Xinjiang ein unabhängiges Land ist, das sich von China abtrennen muss. Außerdem sind sie extrem islamistisch, vergleichbar mit den Taliban in Afghanistan.
20.000 Kämpfer der ETIM haben sich dem Islamischen Staat angeschlossen.

Amerikanische Strategen haben gesagt, um China zu destabilisieren, mssen wir ETIM unterstützen. Die USA haben ETIM auch mehrere Jahre lang unterstützt.
Jetzt machen sie dies nicht mehr (2004 wurde ETIM auf die Terrorliste gesetzt, 2020 unter Trump wieder daraus entfernt).
China hat darauf auch sehr clever reagiert und das gar nicht an die große Glocke gehängt.

Die Radikalisierung von Menschen hat stattgefunden. Die dafür am meisten ansprechbaren Menschen sind junge Männer, die keine berufliche Perspektive haben und nicht wissen, was sie machen sollen. Mit diesen Menschen, die einen solchen Weg gegangen sind, kann man sich auch unterhalten, wenn sie älter werden.
Ich habe beispielsweise einen Mann getroffen, der heute ein Internetunternehmer ist und mir sagte, dass ihn seine Freundin und seine Eltern aus dem Extremismus herausgeholt haben.

Seine Eltern sagten ihm, wenn du so weitermachst, bist du nicht mehr unser Sohn. Seine Freundin hatte ihn vor die Entscheidung gestellt: Wenn du so weitermachst, dann haue ich ab, geh zur Schule, zum „Vocational Education Center“. Hier wird Chinesisch und chinesisches Recht gelehrt.

Das klingt komisch, aber es muss Menschen, die unter einem extremistischen Einfluss leben, erklärt werden, was man darf und was man nicht darf. Auch bei uns muss man den Menschen erklären, was Recht ist, was richtig und falsch ist.
Der Mann ist also zur Schule gegangen, das war eine freiwillige Maßnahme. Heute ist er Unternehmer mit 15 Angestellten in Turpan. 2019 wurde dieses Programm geschlossen.

Jobsuche, Ausbildung und Zwangsmanahmen

Zum Hintergrund: Ist Xinjiang eine arme Provinz mit hoher Arbeitslosigkeit gewesen? Wenn in diesen Zentren Chinesisch unterrichtet wird, würde das doch bedeuten, dass die Menschen die Sprache nicht gelernt haben. War da auch die Schulausbildung ungengend?

Jürgen Kurz: Das ist nicht so einfach. Hier kommt auch wieder der Westen herein. Die Uiguren haben eine eigene Kultur und eine eigene Sprache.
In China gibt es den Artikel 4 in der Verfassung, dass jede Ethnie das Recht hat, so zu leben, wie sie will. Ethnische Eigenheiten werden unterstützt.
Niemand hat die Uiguren gezwungen, unbedingt Chinesisch zu lernen. Das hat dazu geführt, nachdem sich China in den letzten Jahrzehnten extrem entwickelt hat, dass die Menschen, die nicht Chinesisch sprachen, ins Hintertreffen geraten sind.

Man kann natürlich in Xinjiang Arbeit finden, aber es ist völliger Quatsch, dass die Uiguren gezwungen wurden, Arbeit in den Kommunen anzunehmen.
Die Uiguren können auch woandershin gehen. Es gibt auch in Shanghai viele Uiguren, die hier Restaurants betreiben.

Aber wenn man keine Ausbildung hat, muss man in diesem Umfeld mit starker Konkurrenz in einer brummenden Wirtschaft erst einmal eine Chance haben, um einen vernünftigen Job zu erhalten. Die Hilfsjobs, die früher vorhanden waren, fallen mehr und mehr weg, weil qualifiziertere Jobs entstehen.
Das war das Problem, viele Menschen fühlten sich abgehngt, wodurch die Radikalisierung verstärkt wurde.

Gingen die Menschen in diese Ausbildungszentren freiwillig hin oder wurden sie dort kaserniert?

Jürgen Kurz: Das konnten sie entscheiden. Soweit ich dies mitbekommen habe, gingen sie morgens dahin und sind abends wieder nach Hause gegangen.
Das sind die freiwilligen Ausbildungszentren. Aber das muss man unterscheiden von den uigurischen Separatisten, die rechtlich in Zwangsmanahmen genommen wurden.

Sie haben auch gearbeitet, wie das bei uns im Knast ist, wo Gefangene auch zur Arbeit bewegt werden. Das kann man als Zwangsarbeit definieren.
Die Freigelassenen haben davon berichtet, was Journalisten im Westen mit Begeisterung aufgenommen haben.

Transparenz: Separatisten?

Um wie viele solcher Separatisten hat es sich denn gehandelt?

Jürgen Kurz: Das ist ein Punkt, an dem ich selbst noch am Suchen bin. Ich habe meine Reise selbst organisiert. Ich habe sie angemeldet, weil ich uigurische Schulen besuchen wollte, um zu sehen, ob die Sprache wirklich ausgerottet wird. Das wird sie nicht.
Ich habe kleine Kinder gesehen, die uigurisch lernen. Ich habe eine Schule besucht, wo nur uigurische Kinder waren.

Aber ich konnte nicht in Gefängnisse gehen und sehen, wie viele Uiguren hier einsitzen. Als westlicher Journalist kann man sich hinstellen und sagen, dass das verheimlicht werden soll, aber wenn man China kennt, wei man, dass die Zuständigkeit der Behörden sehr strikt ist und dass es schwierig ist, von Behörde zu Behörde Transparenz zu finden.

Die Daten htte ich gerne gehabt, ich hoffe, an sie beim nächsten Besuch heranzukommen, ich habe das auch angemahnt. Es wäre sehr wichtig, dass die Weltöffentlichkeit erfährt, um wie viele Fälle es wirklich geht.
Ich gehe schätzungsweise mal von einer Größenordnung von 20.000 Menschen aus, vielleicht auch mehr. 20.000 waren schon beim Islamischen Staat tätig. Aber diejenigen, die China verlassen haben, sind nicht mehr hereingekommen.

… Umsiedlung…?

Es wird auch davon gesprochen, dass China Han-Chinesen in der Provinz ansiedelt, um die Bevölkerungsmehrheit zu ndern. Was ist davon zu halten? Was haben Sie gesehen?

Jürgen Kurz: Die uigurische Bevölkerung wchst seit Jahren, die Geburtenrate ist stärker als die der Han-Chinesen, der Anteil der Uiguren an der Bevölkerung liegt bei 45 Prozent, der der Han-Chinesen bei 40 Prozent, die Hui stellen 7 Prozent und es gibt noch die Kasachen.
Trotzdem gab es in den letzten Jahren einen stärkeren Zuzug von Han-Chinesen nach Xinjiang.

Daraus kann man die Geschichte konstruieren, dass China Menschen umsiedelt. Aber das liegt daran, dass dann, wenn es irgendwo Geld zu verdienen, etwas zu investieren und Arbeit gibt, weil eine Provinz aufgebaut wird, das auch Arbeitskräfte von auswärts anzieht.
Die Uiguren in Xinjiang haben alle Arbeit, es kommen immer mehr Investoren in die Provinz, weil die wissen, dass die Zentralregierung hier Investitionen untersttzt.
Das führt dazu, dass von den 1,4 Milliarden Menschen auch ein paar Hunderttausend Arbeitskräfte zusätzlich nach Xinjiang kamen.
In China kann jeder entscheiden, wohin er zieht. Es ist auch eine Mär, dass die Chinesen dies nicht entscheiden können.

… gesteuertes Programm?

Es ist also kein gesteuertes Programm?

Jürgen Kurz: Ich kann das so als westlicher Journalist framen, wenn ich das so haben will. Das passiert auch permanent.
Aber das widerspricht komplett meinen Beobachtungen und Erfahrungen.

Das Interview erscheint in voller Länge auf Krass und Konkret.

*: Zur Armutsbekämpfung siehe auch hier: https://josopon.wordpress.com/2021/06/23/china-fordert-die-usa-auf-uber-ihre-arbeitsrechtsverletzungen-nachzudenken/

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.

Jochen

KOMPLETTE VERSION des Interview von Syriens Präsident Baschar el-Assad mit France2-TV vom 20. April 2015

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

baschar-el-assadDieser Text ist so wichtig und hat bis heute nicht an Aktualität verloren, deshalb hier die vollständige Übersetzung:
http://www.voltairenet.org/article187398.html

Dazu weiter unten Auszüge eines ganz aktuellen Interviews zu Kriegsverbrechen in Syrien mit dem Geographen Günter Meyer (Universität Mainz)  vom 15.12.16

Hier ist das komplette Interview. France 2 hat beschlossen 14 Minuten von den 24 in ihrer 20Uhr-Nachrichtensendung auszustrahlen.
Die Redaktion hat dem Video die offizielle französische Version der Ereignisse vorangestellt, weit entfernt von der Realität, aber sie hat nicht versucht, die Worte von Präsident Al – Assad zu manipulieren und begnügte sich einfach, die Themen ohne Änderung auszuwählen.
So entfernte sie die Kritik der aktuellen Stellung Frankreichs in der Welt oder die Erklärungen über die syrisch-iranische militärische Zusammenarbeit.

Text des kompletten Interviews

David Pujadas: Guten Abend Herr Präsident. Lassen Sie mich dieses Interview ohne Umweg beginnen. Für einen großen Teil von Frankreich sind Sie für das Chaos verantwortlich, das in Syrien herrscht wegen der Brutalität der Unterdrückung, die hier seit 4 Jahren durchgeführt wurde. Was ist für Sie Ihr Anteil an der Verantwortung?

Baschar el-Assad: Seit den ersten Wochen des Konflikts infiltrierten sich Terroristen in Syrien mit Unterstützung von westlichen und regionalen Staaten. Sie fingen an, Zivilisten anzugreifen und öffentliches und privates Eigentum zu zerstören. All dies ist im Internet, und sie sind es, die diese Videos online aufladen, nicht wir.
Es ist unsere Aufgabe als Regierung, unsere Gesellschaft und unsere Bürger zu verteidigen. Wenn das, was Sie sagen, wahr wäre, wie könnte eine Regierung oder ein Präsident, der brutal gegen die eigene Bevölkerung gehandelt hat, seine Mitbürger getötet und den mächtigsten Ländern und politischen Kräften der Welt, die von den Petrodollar der Golf-Staaten profitieren, die Stirne geboten hat, wie hätte er weiterhin als Präsident wohl vier Jahre lang widerstehen können?
Ist es möglich, die Zustimmung seines Volkes zu haben, wenn man mit ihm brutal umgeht?

David Pujadas: Anfangs gab es Zehntausende Leute auf den Straßen, waren sie alle Dschihadisten?

Baschar el-Assad: Nein, natürlich nicht. Aber die andere Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Als der erste Polizist am sechsten Tag des Konflikts getötet wurde, wie wurde er getötet? Von friedlichen Demonstranten? oder von den Lautsprechern der Demonstranten?
Er wurde von Terroristen getötet. Jemand hat eine Faustwaffe genommen und diesen Polizeibeamten erschossen. Egal, ob Dschihadist oder nicht. Es ist ein Terrorist, weil er einen Polizisten getötet hat.

David Pujadas: Vielleicht gab es Dschihadisten oder Terroristen, aber unsere Reporter zu der Zeit waren vor Ort und haben viele Leute getroffen, die ihnen sagten: „Wir wollen mehr Freiheit und mehr Demokratie“. Das waren nicht Terroristen oder Dschihadisten.

Baschar el-Assad: Sicherlich hat jeder Recht auf Freiheit, und jede Regierung muss Freiheit, nach Maßgabe der Verfassung unterstützen. Aber bedeutet Freiheit, dass man Zivilisten und Polizisten tötet? Dass man Schulen und Krankenhäuser vernichtet, Strom… die Infrastrukturen? All das gehört nicht der Regierung, sondern dem syrischen Volk. Es gehört nicht der Regierung, es gehört nicht mir. Das ist öffentlicher Besitz. Ist es das, was Sie unter Freiheit verstehen?

David Pujadas: Sie wissen, dass viele Journalisten und Analysten sagen, dass Sie die Entstehung der Organisation Islamischer Staat [OIS] begünstigt haben, weil es eine Gelegenheit für Sie ist, als Schild, als Bollwerk zu erscheinen.

Baschar el-Assad: Aber das Islamische Emirat [IE] wurde im Jahr 2006 unter der Aufsicht der Amerikaner im Irak geschaffen. Ich bin nicht im Irak. Ich war noch nie dort. Ich kontrollierte nicht den Irak. Es sind die Amerikaner, die den Irak steuerten.
Das Islamische Emirat ist von Irak nach Syrien gekommen, weil Chaos ansteckend ist. (Wenn das Chaos vor Ihrer Tür steht), müssen Sie erwarten, dass es zu Ihnen herein kommt.

David Pujadas: Aber es war nicht die OIS zu Beginn…

Baschar el-Assad: Lassen Sie mich fortfahren. Wenn es in einem Land Chaos gibt, wird es ein fruchtbarer Boden, um Terroristen dort hinzubringen. Also, als es Chaos in Syrien gab, kam das Islamische Emirat nach Syrien. Vor dem IE gab es die Al-Nusra Front, die Al-Qaida angehört. Und vorher gab es die Muslimbruderschaft.
Sie bilden alle die Basis, auf der sich das IE stützte, um seinen Auftritt zu machen.

David Pujadas: Also Sie übernehmen keine Verantwortung für die Geschehnisse in den letzten Jahren?

Baschar el-Assad: Normalerweise sind die Dinge nicht absolut. Es ist nicht präzis zu sagen, dass man nicht verantwortlich ist, weil jeder einen Teil der Verantwortung trägt.
Wir in Syrien, haben unsere Probleme. Die Regierung ist verantwortlich. Jeder von uns ist verantwortlich. Jeder syrische Bürger ist verantwortlich.
Aber ich spreche darüber, was das IE nach Syrien gebracht hat. Das Chaos. Und Ihre Regierung, oder bevorzugen Sie, dass man sie mit dem Begriff „Regime“ bezeichnet, wie sie es bei uns tun, das französische „Regime“ ist verantwortlich, weil es diese Dschihadisten unterstützte, und sie für eine moderate Opposition hielt.

David Pujadas: Frankreich unterstützt die syrische nationale Koalition. Sind sie Terroristen?

Baschar el-Assad: Diejenigen, die derzeit westliche Unterstützung bekommen und westliche Waffen erhalten gehören dem IE an. Sie wurden von Ihrem Staat und anderen westlichen Staaten bewaffnet und ausgestattet. Ihr Verteidigungsminister erklärte es öffentlich Anfang des Jahres, Waffen gesendet zu haben.
Daher haben diejenigen, die Sie als Moderate qualifizieren, im Jahr 2012, bevor das IE erscheint und der Westen noch nicht die Existenz selbst der Front Al-Nusra, eines Zweiges der Al-Qaida, anerkennt, haben sie Videos übertragen, in denen sie das Herz eines syrischen Soldaten verschlingen, Körper anderer Opfer verstümmeln und enthaupten. Sie waren es, die diese Bilder veröffentlicht haben, nicht wir. Wie können Sie diese Realität ignorieren, da sie diejenigen sind, die solche Bilder übertragen und Ihnen sagen, dass das die Realität ist?

David Pujadas: Sprechen wir von der Gegenwart. Es scheint, dass die syrische Armee willkürlich-blinde Waffen verwendet, die verheerende Folgen für die Zivilbevölkerung haben, besonders die explosiven Fässer. Warum verfolgen Sie diese Strategie?

Baschar el-Assad: Wir haben nie in unserer Armee von wahllos-blinden Waffen gehört. Übrigens würde keine Armee der Welt, also auch unsere, bereit sein, Waffen zu benutzen, die nicht mit Präzision und Ziel eingesetzt werden können, da sie ohne Wert wären, und aus militärischer Sicht unnötig wären.

Andererseits, wenn Sie über wahllose Tötungen sprechen, die nicht zwischen Zivilisten und Kombattanten unterscheiden, sind es nicht die Waffen, sondern die Art, wie man diese Waffen verwendet. Der Beweis sind die Drohnen, die von den Amerikanern in Pakistan und Afghanistan benutzt werden, die mehr Zivilisten, als Terroristen töten. Es ist die genaueste Waffe der Welt. Daher ist es kein Problem der Art von Bomben.
Wir haben konventionelle Bomben und regelmäßige konventionelle Rüstung.

David Pujadas: Sie verwenden keine explosiven Fässer? (=Fassbomben)

Baschar el-Assad: Was sind explosive Fässer? Können Sie mir sagen, was das ist?

David Pujadas: Es gibt mehrere Dokumente, Auszüge von Videos und Fotos wie diese, wo man ein explosives Fass aus einem Hubschrauber fallen sehen kann. Es ist in Aleppo und Hama, vor ein paar Monaten vor einem Jahr. Nur die syrische Armee hat Hubschrauber, was ist Ihre Antwort?

Baschar el-Assad: Das ist kein Beweis. Es sind zwei Bilder von zwei verschiedenen Dingen. Niemand kann sie miteinander verknüpfen.

David Pujadas: Aleppo und Hama

Bachar el-Assad: Nein, Nein. Dieses Bild das Sie zeigen, was ist das? Ich habe nie so etwas in unserer Armee gesehen. Ich spreche nicht von Hubschraubern. Ich spreche von diesen beiden Bildern. Was gestattet Ihnen, sie miteinander zu verbinden?

David Pujadas: Behaupten Sie, dass es Fotos oder Dokumente sind, die gefälscht wurden?

Baschar el-Assad: Nein, sie müssen geprüft werden. Aber in unserer Armee, verwenden wir nur konventionelle Bomben, die eine Zieloperation erfordern. Wir haben keine Waffen, die wahllos verwendet werden können. Das ist alles.

David Pujadas: Aber es sind wohl Hubschrauber, und nur die syrische Armee hat solche.

Baschar el-Assad: Ja natürlich. Ich habe nicht gesagt, dass wir keine Hubschrauber haben, noch, dass wir sie nicht benutzen. Ich spreche von den Waffen, mit denen wir auf Terroristen zielen. Wozu gut, wahllos zu töten? Warum Zivilisten töten? Der Krieg in Syrien besteht darin, die Herzen der Menschen zu gewinnen, und nicht sie zu töten.
Wenn Sie Menschen töten, können Sie nicht an der Regierung bleiben oder Präsident bleiben. Das ist unmöglich.

David Pujadas: Was ist mit den chemischen Waffen? Vor zwei Jahren haben Sie sich verpflichtet, chemische Waffen nicht mehr zu verwenden. Haben Sie während der Schlacht von Erbil letzten Monat Chlorgas verwendet?

Baschar el-Assad: Nein, das ist eine andere falsche Geschichte, die von westlichen Regierungen erzählt wurde. Warum? Weil wir zwei Chlor-Fabriken besitzen. Eine wurde vor einigen Jahren geschlossen und ist also nicht mehr funktionsfähig, die andere befindet sich nördlich von Syrien und es ist die wichtigste Fabrik. Sie liegt nahe der Grenze mit der Türkei und ist unter Kontrolle von Terroristen seit zwei [drei, laut Video Anm.d.Ü] Jahren.
Wir haben den Vereinten Nationen offizielle Dokumente zu diesem Thema gesendet. Sie wollten kommen, und haben uns eine offizielle Antwort gesendet, weil es unmöglich war, die Anlage zu erreichen. Infolgedessen ist das Chlor in Syrien unter der Kontrolle der bewaffneten Gruppen. Zudem handelt es sich nicht um Massenvernichtungswaffen. Die konventionellen Waffen, die wir haben sind wesentlich effektiver als Chlor. Wir brauchen es daher überhaupt nicht.

David Pujadas: Aber es gab Untersuchungen und ich denke, dass Sie die Berichte von Human Rights Watch über Idlib letzten Monat gelesen haben. Es gab drei Angriffe, in denen man den Geruch von Chlor sowie Symptome ähnlich denen der bei Verwendung giftiger Gase unterscheiden konnte. Das wird in dem Bericht zitiert. Diese Angriffe fanden in den von der bewaffneten Opposition kontrollierten Gebieten statt. Lügt Human Rights Watch?

Baschar el-Assad: Wir verwenden kein Chlor und brauchen es auch nicht. Wir haben unsere konventionellen Waffen, und können unsere Ziele erreichen, ohne es zu verwenden. Das brauchen wir nicht. Es gibt keinen Beweis.

David Pujadas: Es gibt Zeugen des Angriffs und Aussagen von Ärzten.

Baschar el-Assad: Nein, Nein. Als Antwort auf die Vorwürfe für die Verwendung in der Vergangenheit oder in der Gegenwart von chemischen Waffen, waren es immer wir, die die internationalen Institutionen gebeten haben, damit sie Delegationen zur Untersuchung schicken. Wir waren es, die diese Forderung formuliert haben und nicht das gegnerische Lager. Vor zwei Jahren waren unsere Soldaten Sarin-Gas ausgesetzt. Wir luden die Vereinten Nationen ein, eine Untersuchung durchzuführen. Wie hätte man das tun können, wenn wir es waren, die dieses Gas verwendeten? Das ist nicht wahr.

David Pujadas: Wären Sie bereit, sie wieder einzuladen, um nach Idlib zu kommen?

Baschar el-Assad: Wir haben es bereits getan. Das tun wir immer. Wir haben in dieser Hinsicht kein Problem.

David Pujadas: Heute gibt es eine internationale Koalition mit den Vereinigten Staaten als leitende Führung, die Bombardierungen gegen die OIS macht. Für Sie, ist das ein Problem, oder ist es eine Hilfe?

Baschar el-Assad: Weder das eine noch das andere. Es ist natürlich kein Problem, die Terroristen anzugreifen. Aber wenn die Koalition es nicht ernst meint, hilft es uns nicht.

David Pujadas: Warum, ist sie nicht seriös?

Baschar el-Assad: Vergleicht man die Anzahl der Luftangriffe, die von den Kräften der Koalition von 60 Staaten durchgeführt wurde, mit jener, als wir es getan haben, wir kleiner Staat, werden Sie feststellen, dass wir manchmal 10-mal mehr als die Koalition innerhalb eines Tages bombardieren. Ist das seriös?
Es hat Sie vier Monate gekostet, um zu befreien, was ihre Medien die Stadt Kobani an der türkischen Grenze nennen, trotz der Anwesenheit der syrischen Kämpfer am Boden. Sie sind daher bis jetzt nicht seriös. Ein anderer Nachweis ist, weil das IE sich in Syrien, in Irak, Libyen und der Region im Allgemeinen ausgebreitet hat.

Wie können Sie also sagen, dass die Koalition wirksam war? Sie ist nicht seriös, das ist der Grund, warum sie niemandem in dieser Region hilft.

David Pujadas: Die Koalition flog Tausende Luftangriffe seit dem Beginn der Intervention. Aber Frankreich schlägt nur im Irak zu. Möchten Sie, dass Frankreich der Koalition beitritt, um auch in Syrien zuzuschlagen?

Baschar el-Assad: Ich sagte, dass sie auf alle Fälle nicht seriös sind. Man kann keine Koalition gegen den Terrorismus bilden und gleichzeitig die Terroristen unterstützen. Es ist uns also gleichgültig, dass sie in Syrien, in Irak oder in beiden gleichzeitig eingreifen, solange sie weiterhin dieselben Terroristen gleichzeitig unterstützen. Sie schicken Waffen diesen gleichen Terroristen unter dem Vorwand, die gemäßigte Opposition zu unterstützen. Im gleichen Augenblick, wo Obama diese Opposition als eine Illusion abkanzelte.
Wer erhält also diese Waffen eigentlich? Die Terroristen. Das ist widersprüchlich. Das ist zum Scheitern verurteilt.

David Pujadas: Sie haben einen gemeinsamen Feind mit Frankreich, die OIS. Gibt es seit den Anschlägen im Monat Januar in Paris Kontakte zwischen Ihren Geheimdiensten und den französischen Geheimdiensten?

Baschar el-Assad: Es gibt Kontakte, aber es gibt keine… Zusammenarbeit.

David Pujadas: Was meinen Sie mit Kontakten?

Baschar el-Assad: Wir trafen einige Beamte Ihres Geheimdienstes, aber es gibt absolut keine Zusammenarbeit.

David Pujadas: Es gibt keinen Informationsaustausch?

Baschar el-Assad: Nichts. Gar nichts.

David Pujadas: Also Sie haben sich versammelt?

Baschar el-Assad: Sie sind diejenigen, die nach Syrien kamen, und nicht wir, die nach Frankreich gingen. Vielleicht kamen sie für einen Austausch von Informationen.
Wenn Sie diese Art von Zusammenarbeit einrichten wollen, muss es jedoch in beiden Richtungen funktionieren: Wir helfen ihnen und sie helfen uns im Gegenzug. Aber laut Ihrer Politiker und der der französischen Regierung, sollte man ihnen helfen, während sie Terroristen unterstützen und unsere Bürger töten. Das funktioniert nicht so.

David Pujadas: War es Frankreich, das um diese Kontakte mit Ihren Geheimdiensten gebeten hat?

Baschar el-Assad: Ja, wir haben sie kennengelernt. Es gab eine Begegnung mit ihnen.

David Pujadas: War es auf eine Anfrage von Frankreich?

Baschar el-Assad: Ja. Wir haben keine Bitten an die französischen Geheimdienste. Wir haben alle Informationen über die Terroristen.

David Pujadas: Es gibt Hunderte Franzosen, die an der Seite der Gruppe Islamischer Staat kämpfen wollten. Haben Sie Franzosen verhaftet? Und gibt es Franzosen der Gruppe des Islamischen Staates, die heute in Ihren Gefängnissen festgehalten werden?

Baschar el-Assad: Nein, wir haben keinen einzigen in den Gefängnissen. Wir haben nur Informationen. Die meisten dieser Dschihadisten kommen hier um zu kämpfen, zu sterben und in den Himmel zu kommen. So ist ihre Ideologie. Sie sind daher nicht bereit in Gefängnisse zu gehen, welche sie auch immer sein mögen.

David Pujadas: Also, gibt es keine in den Gefängnissen.

Baschar el-Assad: Nein, wir haben keinen einzigen in unseren Gefängnissen.

David Pujadas: Es gibt heute Leute in Frankreich und darunter Politiker, sowie Parlamentarier, Sie haben einige hier empfangen… Sie sagen, ist es notwendig, den Dialog mit Ihnen wieder anzuknüpfen. Welche Initiative werden Sie bereit sein zu ergreifen, um die andere Partei von Frankreich und die Franzosen davon zu überzeugen, dass Sie ein Partner sein können?

Baschar el-Assad: Mit ihnen ?

David Pujadas: Mit Frankreich?

Baschar el-Assad: Sie müssen mich zuerst davon überzeugen, dass sie nicht die Terroristen unterstützen und sie nicht am Blutvergießen in Syrien beteiligt sind.
Sie sind es, die sich Syrien gegenüber getäuscht haben. Wir haben keinen Franzosen oder Europäer getötet. Wir haben den Terroristen in Ihrem Land nicht geholfen. Wir haben jenen nicht geholfen, die Charlie Hebdo angegriffen haben. Sie sind es, die Terroristen geholfen haben.
Daher müssen Ihr Land, die westlichen Beamten uns davon überzeugen, dass sie nicht die Terroristen unterstützen. Aber wir sind bereit für einen Dialog unter Berücksichtigung der Tatsache, dass dies im Interesse der syrischen Bürger geschieht.

David Pujadas: Also momentan sind Sie nicht am Dialog mit Frankreich interessiert?

Baschar el-Assad: Nein, wir sind immer am Dialog mit jedermann interessiert. Aber wie kann man einen Dialog mit einem Regime, das Terrorismus in unserem Land unterstützt, haben. Und aus welchem Grund? Das ist die Frage.
Wenn sie die Politik ändern, sind wir bereit für den Dialog. Ohne dem wird der Dialog keinen Zweck haben. Es gibt keinen Dialog für den Dialog.
Ziel ist, Resultate zu erreichen. Für mich wäre das Ergebnis, dass die französische Regierung ihre Unterstützung für den Terrorismus in meinem Land aufgibt.

David Pujadas: Also Sie haben keine Nachricht für Hollande für einen Dialog?

Baschar el-Assad: Ich glaube, dass die wichtigste Botschaft, die ihm gesendet werden soll, von dem französischen Volk kommen muss. Die Umfragen in Frankreich zeigen sehr gut die Meldung, die Hollande besser anhören sollte. Nämlich, dass er der unbeliebteste Präsident seit den 1950er Jahren ist. Er sollte sich um seine Bürger kümmern und sie vor Terroristen, die nach Frankreich kommen, schützen.
Für mich als Präsident, der in Syrien mit seinen Bürgern unter diesem Terrorismus leidet, ist meines Erachtens die wichtigste Botschaft die, dass Sie in Frankreich erst den herausragenden Teil des Eisberges erlebt haben.

Wenn wir über den Terrorismus sprechen, sollten Sie wissen, dass es einen ganzen Berg unter dem Meer gibt. Beachten Sie, dass dieser Berg sich an Ihrer Gesellschaft vergreifen wird.

David Pujadas: Der US-Außenminister sagte, dass es vielleicht einen Dialog mit Präsident Baschar Al-Assad geben wird, bevor er von dieser Position wieder abwich. Sie haben gesagt, das sind nur Worte, und ich möchte beginnen zu dialogieren, Sie sind also bereit dazu?

Baschar el-Assad: Natürlich sind wir bereit. Ich sagte, dass wir bereit sind, einen Dialog mit jedem Land der Welt, selbst mit den Großmächten… sogar mit Frankreich zu haben.
Aber ich sagte, dass der Dialog auf einer bestimmten Richtlinie beruhen sollte. Die Speerspitzen gegen Syrien waren: einerseits Frankreich, zweitens, das Vereinigte Königreich.
Es waren nicht die Vereinigten Staaten dieses Mal bei der Unterstützung der Terroristen in Syrien. Obama hat zugegeben, dass die moderate Opposition in Syrien eine Illusion ist.

David Pujadas: Er sagte, dass es eine Illusion wäre zu glauben, dass wir sie bewaffnen und sie den Krieg gewinnen können, aber er hat nicht gesagt, dass es keine moderate Opposition gibt?

Baschar el-Assad: Genau. Was will er damit sagen: „wir können ihnen Waffen verschaffen, und sie werden imstande sein, den Krieg zu gewinnen“? Was bedeutet das? Was bedeutet diese Fantasie? Sie sagten, sie würden die gemäßigte Opposition bewaffnen. Können Sie mir sagen, was sie ist, diese gemäßigte Opposition? Wo ist sie? Wir sehen sie nicht. Wir leben in Syrien, und Sie, Sie leben in Frankreich. Ich lebe hier, und ich sehe diese gemäßigte Opposition nicht, um sie zu bekämpfen, wenn wir sie bekämpfen müssen. Sie existiert nicht.

David Pujadas: Sie sagen, dass eine große Anzahl ausländischer Staaten an dem Konflikt in Syrien beteiligt sind. Aber hätten Sie ohne die Unterstützung des Iran und der Hisbollah den Terrorismus im Moment bekämpfen können? Also Sie haben fremde Länder die an dem Konflikt in Syrien teilnehmen, verurteilet, was ist aber mit der Unterstützung durch den Iran und der Hisbollah?

Baschar el-Assad: Es gibt einen großen Unterschied zwischen der Intervention und der Einladung. Jedes Land, jede Regierung der Welt, jeder Staat hat das Recht, jedes Land oder eine Partei oder Organisation einzuladen, ihm zu helfen, in jedem Bereich. Aber kein Land hat das Recht, ohne eingeladen zu intervenieren.
Wir luden die Hisbollah ein, aber nicht die Iraner. Es gibt keine iranischen Truppen in Syrien, und sie haben keine Kräfte geschickt.

David Pujadas: Es gibt keine Iraner die an Ihrer Seite kämpfen?

Baschar el-Assad: Nein, Nein. Sie kämpfen nicht. Wir haben mit dem Iran seit mehr als dreißig Jahren regelmäßige Beziehungen. Kommandeure und Offiziere kommen und gehen zwischen den beiden Ländern gemäß der bestehenden Zusammenarbeit zwischen uns, seit langer Zeit. Das ist etwas anderes als an den Kämpfen teilzunehmen. Sie kämpfen nicht.
Als Regierung sind wir berechtigt, diese Art von Zusammenarbeit zu haben. Frankreich jedoch und andere Länder haben nicht das Recht, irgendjemanden in unserem Land zu unterstützen. Es stellt eine Verletzung des Völkerrechts dar, unserer Souveränität und der Werte, deren sie sich rühmen, oder welche einige stolz seit Jahrzehnten behaupten, oder vielleicht sogar schon seit Jahrhunderten; und unter denen, den der Demokratie.
Handelt es sich um eine Demokratie wenn man Waffen und Unterstützung an Terroristen schickt? Habe ich das Recht die Terroristen zu unterstützen, die Charlie Hebdo z. B. angegriffen haben?

David Pujadas: Sie wissen, was der französische Ministerpräsident vor kurzem von Ihnen gesagt hat? Er sagte, dass Sie ein „Metzger“seien, wie würden Sie reagieren?

Baschar el-Assad: Zunächst werde ich offen mit Ihnen sein. Niemand mehr nimmt Erklärungen von französischen Beamten ernst. Aus einem einfachen Grund: Es ist, weil Frankreich irgendwie ein Satellit der US-Politik in der Region geworden ist. Es ist nicht unabhängig, und hat kein Gewicht. Es hat keine Glaubwürdigkeit mehr.

Abgesehen davon, als Leiter kümmere ich mich immer um die Meinung des Volkes und der syrischen Bürger. Es ist nicht Frankreich oder ein anderes Land, das mich zu dem gemacht hat, was ich bin. Ich bin hier durch den Willen der syrischen Bürger, und das ist, was für mich zählt.

David Pujadas: Glauben Sie, dass Sie eines Tages tatsächlich, diesen Krieg gewinnen werden und alles so wird, wie es zuvor in Syrien war?

Baschar el-Assad: Nein. Nichts wird jemals wie zuvor. Zurück zum Ausgangspunkt kommen bedeutet, dass wir uns nicht weiterentwickeln, dass wir nicht die richtigen Lehren aus dem Konflikt gezogen haben.
Mehrere Lektionen ergeben sich aus diesem Konflikt. Wir müssen sie assimilieren und tun, damit sich die Sachen verbessern, und nicht das sie wie zuvor zurückkommen. Es gibt da einen großen Unterschied.

David Pujadas: Mit Baschar Al-Assad an der Spitze des Landes?

Baschar el-Assad: Das ist mir egal. Was mich interessiert ist, was das syrische Volk will. Wenn sie Baschar Al-Assad wollen, bleibt er. Wenn sie ihn nicht wollen, wird er sofort gehen. Ich möchte sagen, wie wird er ohne die Unterstützung seiner Bürger regieren können? Er wird das nicht können.

David Pujadas: Wie wussten Sie, dass Sie Rückhalt im Volk genießen?

Baschar el-Assad: Zuerst, wenn ich die Unterstützung nicht genossen hätte, hätten die Leute nicht die Armee unterstützt und man hätte nicht vier Jahre widerstehen können.
Wie können Sie ohne die Unterstützung des Volkes widerstehen?

David Pujadas: Vielleicht haben sie Angst?

Baschar el-Assad: Es gibt 23 Millionen Syrer. Wie können sie sich vor einer einzelnen Person oder einem einzigen Geheim-Dienst oder einer einzigen Regierung fürchten? Dies ist nicht realistisch, und es ist sinnlos.

David Pujadas: Glauben Sie, dass Syrien eine Demokratie ist? Glauben Sie wirklich, dass die Leute sagen können was sie wollen?

Baschar el-Assad: Nein. Wir waren auf dem Weg zur Demokratie. Es ist ein langer Prozess. Es gibt keinen Punkt, den Sie erreichen und wo Sie sagen „das ist sie, die Demokratie“. Wenn Sie uns mit dem Westen, Frankreich und anderen Ländern vergleichen möchten, würde ich „Nein“ sagen. Sie sind sicherlich viel weiter fortgeschritten als wir wegen Ihrer Geschichte und einigen Umständen und Faktoren.
Aber wenn Sie uns mit Ihrem engsten Freund, Saudi Arabien, vergleichen wollen, würde ich sicher sagen, wir haben Demokratie. Es kommt daher darauf an, mit wem Sie mich vergleichen.

David Pujadas: Hätten Sie die Gewissheit, dass Ihre Abtritt Frieden in Syrien bedeuten würde, würden Sie dann gehen?

Baschar el-Assad: Ohne zu zögern. Wenn dies der Fall ist, mache ich es ohne zu zögern. Ich würde von der Macht abtreten. Wenn ich die Ursache des Konflikts in meinem Land bin, muss ich nicht dort sein wo ich bin. Das ist klar.

David Pujadas: Ich möchte Ihnen ein anderes Foto zeigen. Das ist Gilles Jacquier. Ein Journalist von unserem France 2-Kanal. Er wurde vor 3 Jahren in Syrien getötet. Sie haben versprochen, eine Untersuchung zu machen, um herauszufinden, wer ihn getötet hat. Was könnten Sie uns über diese Untersuchung sagen?

Baschar el-Assad: Unabhängig von den Klagen, die uns zum Zeitpunkt der Tötung adressiert wurden, war er in einem Wohngebiet unter der Kontrolle der Regierung. Er wurde durch ein Mörsergeschoss und nicht durch eine Kugel getötet. Es ist offensichtlich, dass die Regierung sich nicht selbst bombardiert hatte, noch ihre eigenen Anhänger.
Es ist daher sehr klar, und jeder weiß es, mehrere französische Medien haben es zugegeben: Er wurde durch einen Mörser getötet, der von jenen abgeschossen wurde, die sie Opposition nennen, obwohl es zwar in der Tat Terroristen sind. Zweifellos wurde er von ihnen getötet. Aber Ihre Frage betraf die Untersuchung?

David Pujadas: Wären Sie bereit, die Ergebnisse seiner Untersuchungen den französischen Gerichten zu übergeben, vielleicht sogar die Beweise?

Baschar el-Assad: Wir haben nichts zu beweisen. Wir haben unsere eigenen Rechtsverfahren; und wenn in Syrien ein Verbrechen begangen wird, folgen wir diesen Verfahren wie jedes andere Land. In Syrien haben wir ein Rechtssystem und gewöhnliche Prozeduren. Wenn Sie nach diesem Interview, mehr erfahren möchten, können wir Sie bei den zuständigen Behörden einweisen.

David Pujadas: Wären Sie bereit, die Ergebnisse seiner Untersuchungen der französischen Justiz zu kommunizieren?

Baschar el-Assad: Natürlich, kein Problem.

David Pujadas: Wären Sie bereit, französische Forscher, Polizisten oder Richter zur Durchführung ihrer eigenen Untersuchung hier in Syrien zuzulassen?

Baschar el-Assad: Es hängt von der Existenz oder nicht-Existenz von einer Vereinbarung zwischen den beiden Regierungen ab. Wenn es eine Vereinbarung, eine Konvention oder einen Vertrag über das Rechtssystem zwischen den beiden Ländern und bilaterale Zusammenarbeit in diesem Bereich gibt, ist das kein Problem. Das ist keine politische Entscheidung.

David Pujadas: Vielen Dank, Herr Präsident

Baschar el-Assad: Ich danke Ihnen.

Übersetzung Horst Frohlich

Aktuelles Interview mit dem Geographen Günter Meyer

Die Tageszeitung Die Welt veröffentlichte am Donnerstag ein Interview mit dem Geographen Günter Meyer (Universität Mainz) zu Kriegsverbrechen im Syrien-Krieg. Darin heißt es:

Wer wird für die Giftgaseinsätze in Syrien zur Rechenschaft gezogen?

Viele als Kriegsverbrechen bezeichnete Handlungen sind massiv in Zweifel zu ziehen. Es gibt insgesamt neun Fälle des Einsatzes von Giftgas, die von den UN untersucht worden sind. Sieben davon werden den Rebellen, zwei dem Regime zugeschrieben. Von seiten der Dschihadisten kommen häufiger mit Giftgas gefüllte Granaten zum Einsatz. (…)

Was hat das Kriegsvölkerrecht in asymmetrischen Konflikten, in denen ein staatlicher Kombattant nichtstaatlichen gegenübertritt, überhaupt für eine Bedeutung?

Das Kriegsvölkerrecht hat den Anspruch einer universellen Geltung. Auch in Syrien gelten Haager Landkriegsordnung und Genfer Konventionen. Verstöße dagegen sind also Kriegsverbrechen. Haager und Genfer Abkommen enthalten zum einen das klare Verbot von Angriffen auf die Zivilbevölkerung und auch auf andere zivile Ziele. Zum anderen ist aber auch die Nutzung von Zivilisten als menschliche Schutzschilde, um Angriffe auf militärische Ziele zu verhindern, verboten. Beides hat nicht nur in Aleppo stattgefunden. Allerdings wurde zwar viel über Angriffe des Regimes auf Zivilbevölkerung und Wohngebäude in Ostaleppo gesprochen.

Meist wurde aber nicht erwähnt, dass dort die etwa 900 Al-Nusra-Kämpfer und andere Dschihadisten ihre Kommandozentralen und Verteidigungspositionen in den Wohngebäuden eingerichtet haben. Auch wurden die massiven Artillerieangriffe der Dschihadisten auf die vom Regime kontrollierten Wohngebiete im Westteil der Stadt in der Regel nicht thematisiert.

Jochen

AKTUELL: Der neue US-Präsident Trump legt seine Pläne zu Syrien offen

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

https://de.sputniknews.com/politik/20161112313330213-trump-syrien-plaene/
Trump, der alte Geschäftsmann, erweist sich hier als Realpolitiker, der sich vom militärisch-industriellen Komplex nicht kaufen lässt.

Laut Donald Trump sollte man in Syrien gegen die Terrormiliz Daesh (auch „Islamischer Staat“, IS) kämpfen, anstatt zu versuchen, Staatschef Baschar al-Assad zu stürzen.

„Ich habe eine Sichtweise in Bezug auf die Situation in Syrien, die von der vieler anderer Menschen abweicht“, sagte Trump im Interview mit „The Wall Street Journal“. Der frisch gewählte US-Staatschef schlug vor, den Kampf gegen den IS im Fokus zu behalten, und nicht die Versuche, al-Assad zu stürzen.
„Syrien führt Krieg gegen den IS, wir wollen den IS ebenfalls loswerden. Russland befindet sich derzeit in einem engen Bündnis mit Syrien. Und nun haben wir auch den Iran, der dank unseren Bemühungen immer stärker wird, und der ist auch Syriens Verbündeter“, betonte der Milliardär.
„Aktuell unterstützen wir die Rebellen gegen Syrien, wobei wir kein eindeutiges Verständnis dafür haben, wer diese Menschen sind. Sollten die USA Assad angreifen, wird dies zum Kampf gegen Russland führen“, so Trump.
In Syrien tobt seit 2011 ein Krieg, der laut Uno-Angaben bereits nahezu 300.000 Todesopfer gefordert hat. Den Regierungstruppen von Präsident Baschar al-Assad stehen die islamistischen Terrormilizen Daesh (=IS), al-Nusra-Front und andere, auch vom Westen unterstützte Rebellen gegenüber. Die russische Luftwaffe fliegt seit September 2015 – auf offizielle Bitte der Regierung in Damaskus – Angriffe gegen Stellungen der Terroristen.
In den vergangenen Monaten konnten die syrischen Truppen viele Gebiete von den Terroristen befreien, darunter auch das antike Palmyra.
Russland hatte der US Army mehrmals gemeinsame Operationen gegen die Terroristen vorgeschlagen, bekam jedoch jedes Mal eine Absage.

Jochen

Die gekaufte Grenze – Tunesien mit deutscher Überwachungstechnik

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Deutschland rüstet afrikanische Staaten wie Tunesien mit Überwachungstechnik auf, um Flüchtlinge zu stoppen. Für europäische Konzerne ist das ein Milliardengeschäft.

Von Hauke Friederichs und Caterina Lobenstein

http://www.zeit.de/2016/45/fluechtlinge-grenze-schutz-tunesien-ueberwachungstechnik

Auszüge:

Die wichtigste Grenze der Bundesrepublik Deutschland liegt nicht vor Passau oder Deggendorf. Sie liegt nicht am Rhein, nicht an der Oder, den Alpen oder am Wattenmeer.
Sie liegt weit von Deutschland entfernt, sie führt durch sandige Wüsten, entlang von Küsten mit weißem Strand und türkisblauem Meer.
Deutschlands wichtigste Grenze liegt in Afrika. Frank Vornholt soll dafür sorgen, dass sie gesichert wird.

An einem warmen Oktobertag fährt Vornholt in einem Kleinbus von der tunesischen Hauptstadt Tunis Richtung Südwesten, um nach den Männern zu schauen, die die Grenze bewachen. Er trägt Jeans und Sakko, auf seinem Schoß liegt eine Mappe mit Reiseunterlagen.

Vornholt ist Beamter im deutschen Innenministerium, Referat B4: Internationale grenzpolizeiliche Angelegenheiten.
Jenes Referat, das zurzeit vor allem ein Ziel verfolgt: Es soll der Bundesregierung dabei helfen, Flüchtlinge aus Afrika auf ihrem Weg nach Deutschland zu stoppen.

Tunesien – Deutsche Polizisten bilden tunesische Grenzschützer aus
Video:  //players.brightcove.net/18140073001/c09a3b98-8829-47a5-b93b-c3cca8a4b5e9_default/index.html?videoId=5187246764001hoffe das funktioniert
Allein 2016 hat die Bundespolizei in 66 Missionen Trainer und Ausrüstung nach Tunesien geschickt. Die Grenzschützer sollen Terroristen abwehren, Schmuggler – und Flüchtlinge.

„Die Flüchtlingskrise“, sagt Vornholt, „wird man allein auf dem europäischen Kontinent nicht lösen können.“ Tunesien aber könnte der Schlüssel zu einer Lösung sein.

Nach zwei Stunden Fahrt biegt der Kleinbus in einen Feldweg ein und hält vor einem Tor. Uniformierte Männer salutieren, sie tragen Maschinengewehre. Vornholt ist am Ziel: die Kommandoschule der tunesischen Nationalgarde im Dorf Oued Zarga. Vor dem Schulgebäude weht die tunesische Flagge, daneben Schwarz-Rot-Gold. Hier, mitten in Nordafrika, bildet Deutschland tunesische Grenzpolizisten aus.

Die Grenzer rennen mit vorgereckten Sturmgewehren über das holprige Übungsgelände, geduckt und fast lautlos, nur der Schotter knirscht unter ihren Stiefeln. Sie tragen dunkelgrüne Uniformen, Funkgeräte baumeln an ihren Gürteln, Ferngläser um ihren Hals. Geschmeidig schwenken sie die Gewehre nach rechts, nach links, nach vorn.

„Los, los, los!“, ruft ein Mann mit Safarihut und aufgenähtem Bundesadler an der Schulter. Er ist der Ausbilder hier, ein Polizeioberkommissar aus Sachsen. Mit verschränkten Armen steht er auf dem Platz.
Er pustet in seine Trillerpfeife. Die Tunesier gehen in Deckung. Sie ducken sich hinter rostigen Ölfässern und alten Autoreifen, werfen sich auf den Boden, robben über den Schotter, keuchen, schwitzen und schnaufen. Die Mittagssonne brennt.

Der deutsche Kommissar bringt den tunesischen Grenzschützern bei, wie sie sich und ihre Kameraden vor bewaffneten Feinden schützen. Am Ende der Übung ruft er die Rekruten zusammen. „Ein Superergebnis war das heute“, sagt er. „Weiter so!“

Der große Plan aus dem Innenministerium

Drinnen im Hauptgebäude der Polizeischule sitzt Frank Vornholt in einem Büro mit gepolsterten Türen und schweren Sesseln, neben ihm ein Übersetzer und zwei Bundespolizisten, die seit einem Jahr in Tunesien stationiert sind. Es ist das Büro des Brigadegenerals, der die Schule leitet, ein kleiner Tunesier mit breiten Schultern, in Flecktarnuniform. Über dem Schreibtisch hängen goldgerahmte Urkunden, in einer Vitrine liegen Orden und Ehrennadeln.
Der General schüttelt Vornholt und den anderen die Hände. „Mes amis allemands!“, ruft er: „Meine deutschen Freunde!“ Er reicht Pistazien und geröstete Mandeln, bedankt sich für die Unterstützung aus Deutschland und verspricht: „Bis spätestens 2020 wird an allen Grenzen Tunesiens nach deutschem Standard patrouilliert.“

Frank Vornholt nickt zufrieden.

Mehr als 60 Ausbildungsmissionen hat die deutsche Bundespolizei in diesem Jahr für Tunesien organisiert. Sie hat Trainer und Ausrüstung nach Tunesien geschickt und tunesische Grenzer zur Ausbildung nach Deutschland geholt. Die Tunesier haben gelernt, wie man patrouilliert, wie man gefälschte Pässe erkennt und verdächtige Personen befragt, wie man Nachtsichtgeräte und Wärmebildkameras bedient, wie man die Seegrenzen kontrolliert, wie man Bootsflüchtlinge rettet und Schleuser auf See verhaftet.

Die Ausrüstung liefert Deutschland gleich mit: Lastwagen, Pick-ups und Schnellboote für Patrouillen, Anhänger mit Lichtmasten zum Überwachen der Grenze bei Nacht, Tausende Gefechtshelme und Splitterschutzwesten, Hunderte Schutzbarrieren und Fernrohre, Dutzende Wärmebildkameras und Nachtsichtgeräte.
Bald sollen für die tunesisch-libysche Grenze auch Dingos geliefert werden, gepanzerte Fahrzeuge der Bundeswehr. Außerdem haben die Deutschen den Tunesiern ein Dokumentenprüflabor geschenkt, mit dem sie gefälschte Pässe erkennen können, für rund 250.000 Euro. Die Schnellboote, die Deutschland der tunesischen Küstenwache gratis überlässt, kosten jeweils 300.000 Euro.

Allein in diesem Jahr hat Deutschland einen zweistelligen Millionenbetrag in Tunesiens Grenzschutz investiert. Und das ist erst der Anfang: Die Hilfe soll bis mindestens 2020 weiterlaufen.
Auch Frankreich, Großbritannien und Italien unterstützen Tunesiens Grenzbehörden mit Millionen, ebenso die EU. In den kommenden Jahren will sie unter anderem drei große Kasernen für die Grenzer bauen.

Die tunesische Regierung muss für all das keinen einzigen Cent ausgeben. Die Ausrüstung ist ein Geschenk. Und das Geschenk ist Teil eines großen Plans. Der Plan kommt aus Berlin.

Einen Monat vor seiner Reise nach Tunesien sitzt Frank Vornholt im Büro seines Chefs im Bundesinnenministerium in Berlin-Moabit. Vornholts Chef heißt Helmut Teichmann, er ist Leiter der Abteilung Bundespolizei – die rechte Hand des Innenministers beim Thema Grenzschutz.

Teichmann, ein Mann mit Bürstenschnitt und fester Stimme, legt eine laminierte Landkarte von Nordafrika auf den Tisch. „Die Verhinderung der illegalen Migration beginnt nicht erst an unseren Binnengrenzen“, sagt er, „wir müssen uns auf die Transitstaaten zubewegen.“
Während er das sagt, fährt Teichmann mit dem Zeigefinger die Länder am südlichen Rand des Mittelmeers ab. Einige sind blau eingefärbt: Ägypten, Tunesien, Marokko. Dorthin hat Deutschland Polizeibeamte entsandt, die bei der Bewachung der Grenzen helfen sollen. In Tunis hat die Bundesregierung vor einem Jahr sogar ein Verbindungsbüro für ihre Polizisten eröffnet. Ginge es nach Teichmann, wäre auf dieser Karte bald ganz Nordafrika blau.

Die Bundesregierung will Flüchtlinge stoppen, bevor sie Europa erreichen. „Vorverlagerungsstrategie“ nennt Teichmann das. Die Strategie ist längst zur Staatsräson geworden, europaweit: Spanien und Italien schicken seit Jahren Technik, Trainer und Milliarden von Euro nach Nordafrika, um Migration zu verhindern.

Die EU unterstützt selbst Diktaturen wie den Sudan mit Geld, um Flüchtlingen den Weg zu versperren. Mit etlichen afrikanischen Staaten verhandelt sie Rückübernahmeabkommen, um Flüchtlinge, die es doch aufs Meer geschafft haben, zurück nach Afrika zu bringen.
Eine Schlüsselrolle könnte dabei Tunesien spielen: Die Bundeskanzlerin Angela Merkel regte kürzlich an, mit dem Land einen ähnlichen Deal zu schließen wie mit der Türkei. Die war lange auch ein Transitland für Flüchtlinge. Jetzt hat sie sich verpflichtet, ihre Küsten streng zu bewachen. Und vor allem: Flüchtlinge, die es nach Europa schaffen, wieder zurückzunehmen.

Ein neuer Eiserner Vorhang entsteht

Wegen dieses Deals kommen zurzeit kaum Menschen aus dem Nahen Osten in die EU. Aus Afrika aber fliehen sie weiter. Die meisten von ihnen legen in Libyen ab, Tunesiens östlichem Nachbarstaat. Das Land ist vom Bürgerkrieg zerstört. Es gibt dort keine verlässliche Grenzpolizei, die man ausrüsten, keine stabile Regierung, mit der man Abkommen schließen könnte.

Was aber wäre, wenn die Menschen, die vor der libyschen Küste von europäischen Rettungsschiffen geborgen werden, künftig nicht mehr nach Italien gebracht würden, sondern nach Tunesien?

Eigentlich hat Tunesien kein Interesse daran, Fremde ins Land zu lassen. Das Land wird von Terroristen des „Islamischen Staates“ (IS) bedroht, die Arbeitslosigkeit ist hoch.
Doch auch die Türkei hatte sich anfangs gegen ein Flüchtlingsabkommen gesperrt. Dann versprach die EU Geld und politische Zugeständnisse. Schließlich willigte die türkische Regierung ein.
© ZEIT-Grafik

Teichmann tippt auf die Nordafrikakarte. „Die EU müsste bereit sein, auch Länder wie etwa Tunesien für die Aufnahme von Flüchtlingen finanziell großzügig zu unterstützen“, sagt er.

Mitte Oktober trafen sich die Staats- und Regierungschefs der EU, um zu beraten, wie sie Menschen, die aus Afrika nach Europa fliehen, aufhalten könnten.
Sie legten fest, dass Länder, die Flüchtlinge zurücknehmen und ihre Grenzen gut bewachen, mehr Entwicklungshilfe bekommen sollten. Jenen Staaten, die das nicht tun, soll Geld gestrichen werden.

Ein neuer Eiserner Vorhang entsteht vor den südlichen Toren Europas. Beschlossen haben ihn die Staats- und Regierungschefs der EU. Errichtet wird er unter anderem von europäischen Rüstungskonzernen, nicht nur in Tunesien. Das französische Unternehmen Thales etwa hat an 25 afrikanische Staaten ein elektronisches System für Passkontrollen geliefert, zum Teil subventioniert von der EU.
Der italienische Konzern Leonardo-Finmeccanica produziert Aufklärungsflugzeuge für die Seeüberwachung in Nordafrika, Rheinmetall baut in Afrika eine Fabrik für Panzerwagen auf, mit denen man an der Grenze patrouillieren kann.
Auch die Rüstungssparte des Airbus-Konzerns, der zu gut elf Prozent dem deutschen Staat gehört, verdient an den neuen Grenzen. Im vergan-genen Jahr hat die deutsche Regierung etliche Airbus-Produkte an die tunesische Grenzpolizei verschenkt: Nachtsichtgeräte vom Typ Night Owl M, Wärmebildkameras, Hightechfernrohre und Radarsysteme.
Früher verdienten die Rüstungskonzerne an der Grenze zwischen Ost und West. Heute verdienen sie an der Grenze zwischen Nord und Süd.

Ob sich Tunesien darauf einlässt, die Flüchtlinge, die in Libyen starten, für Geld und Geschenke an seine Küste zu holen, ist noch nicht klar. Die Grenzschutzausrüstung der Deutschen nimmt die tunesische Regierung aber schon einmal dankend an – vor allem um sich vor Terroranschlägen zu schützen. Kämpfer des IS hatten im vergangenen Jahr an einem Badestrand in Sousse und in einem Museum in Tunis um sich geschossen, seitdem fürchtet das Land weitere Angriffe. Bei den Anschlägen kamen vor allem Urlauber ums Leben.
Nun liegt der Tourismus brach, einer der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes, die Strände sind fast leer. Im März dieses Jahres fielen dann auch noch mehr als 60 IS-Kämpfer in die tunesische Grenzstadt Ben Gardane ein. Sie kamen aus Libyen. Deshalb errichten die USA an der tunesisch-libyschen Grenze nun eine moderne Grenzanlage. Deutschland steuert die Technik für ein mobiles Überwachungssystem bei.

Tunesien hat in Deutschland einen wichtigen Partner im Kampf gegen den Terror gewonnen – und Deutschland hofft auf einen verlässlichen Helfer bei der Abwehr von Flüchtlingen. Während vor einigen Jahren noch Tausende Menschen von der tunesischen Küste ablegten und in kleinen Holzbooten nach Europa fuhren, wagt heute kaum mehr jemand die Überfahrt. Grenzschützer patrouillieren vor der tunesischen Küste. Darauf hatten anfangs vor allem die Italiener gedrängt und Geld dafür gegeben.
Nun aber unterstützt auch Deutschland die Offiziere der tunesischen Küstenwache.

In der Neustädter Bucht an der deutschen Ostseeküste kann man ihnen beim Training zuschauen. An einem kalten Oktobermorgen preschen dort zwei rote Schnellboote über die Wellen. Der Himmel ist dunkelgrau, der Nieselregen kommt von der Seite. Auf den Schnellbooten stehen tunesische Grenzschützer, sie tragen die dunkelblauen Regenanzüge der deutschen Bundespolizei, die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen. Sie halten auf ein Schiff zu, das wenige Meter vor ihnen fährt. Der Außenborder röhrt, es riecht nach Benzin, dann prallt die Gummischnauze des Schnellboots gegen die Bordwand. Der Tunesier am Steuer hebt die Hand, die anderen schwingen sich über die Reling, stürmen das Schiff. Dort kriegen sie einen Mann zu fassen, drücken ihn an die Wand, fesseln seine Hände mit Handschellen. Dann tragen sie den Gefangenen vom Schiff, hieven ihn auf das Schnellboot und drehen wieder ab.

Tunesien wird zur Türkei Nordafrikas

Hier, im Maritimen Trainingszentrum der Bundespolizei in Neustadt in Holstein, üben die Tunesier, wie man feindliche Boote entert, Boote von Menschenschmugglern zum Beispiel. Zwei Wochen werden sie kostenfrei unterrichtet, dann fliegen sie zurück nach Tunesien.

Mithilfe der Bundespolizei soll Tunesien zur Türkei Nordafrikas werden, zum vorgelagerten Grenzposten der Bundesrepublik. Bis vor Kurzem hatten sich die Polizeiausbilder vor allem um die Unterstützung der Sicherheitsbeamten in Afghanistan gekümmert, auch Frank Vornholt war mehrmals in Kabul, er hat dort Generäle beraten.
Damals hieß es, Deutschlands Sicherheit werde auch am Hindukusch verteidigt. Heute müsste der Spruch anders lauten: Deutschlands Grenze wird auch am Mittelmeer geschützt.

Noch immer wagen jeden Monat Tausende Menschen die gefährliche Fahrt übers Mittelmeer, sie fliehen vor Kriegen, Gewalt und Armut. Vor wenigen Wochen wurden auf der Route von Libyen nach Italien an einem einzigen Tag mehr als 6.000 Flüchtlinge aus dem Wasser geborgen und nach Italien gebracht, so viele wie nie zuvor.
Mehr als 3.000 Menschen sind allein in diesem Jahr auf der Route gestorben – ebenfalls so viele wie noch nie.

Helmut Teichmann, der Abteilungsleiter aus dem Innenministerium, glaubt, dass noch viel mehr Menschen fliehen werden. Er blickt auf die Landkarte von Nordafrika und setzt den Zeigefinger auf einen Staat südlich von Tunesien: Niger. „In Niger hat im Schnitt jede Frau über sieben Kinder“, sagt er. „Der Kontinent explodiert bevölkerungsmäßig.“
Auch deshalb, sagt Teichmann, würden künftig mehr Afrikaner nach Europa aufbrechen, mag die Überfahrt noch so gefährlich sein. „Solange die Tür auch nur ein Stück breit aufsteht, werden sie es versuchen.“

Teichmann soll diese Tür schließen. Deshalb schickt er den Beamten Frank Vornholt nach Tunesien.

Während seiner Reise dort spricht Vornholt mit Offizieren der Grenzpolizei und mit Beamten des tunesischen Innenministeriums. Er schüttelt Hände, klopft auf Schultern, trinkt höflich den bitteren Kaffee, den ihm die Tunesier in verzierten Tässchen servieren. Er besucht das Verbindungsbüro der Bundespolizei in Tunis, einen Wachposten an der tunesisch-algerischen Grenze und eine Polizeidienststelle in der Provinz Jendouba.
Die Dienststelle ist ein zerfallener Kolonialbau mit bröckelndem Putz und zersplitterten Fliesen. Drinnen steht ein Sofa, aus dem der Schaumstoff quillt, draußen picken Hühner im Staub. Im kommenden Jahr soll das Gebäude renoviert und vergrößert werden. Die Kosten von rund 900.000 Euro trägt der deutsche Staat.

Jochen

Bomben für den IS – Türkei leistet Dschihadisten Schützenhilfe

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Deutlicher kann man es nicht machen: Türkei und NATO päppelten den IS auf, um ihne dann auf syrischem Boden zu bekämpfen. Nebenbei begleicht Erdogan noch seine Rechnung mit den Kurden. Die deutsche Lückenpresse schweigt dazu:
https://www.jungewelt.de/2016/10-21/002.php
Auszüge:

Türkei fliegt ­schwere Angriffe auf kurdische Milizen – und leistet damit den Dschihadisten Schützenhilfe

Von Michael Streitberg

ypg-flaggeBei Angriffen türkischer Kampfflugzeuge auf Stellungen syrisch-kurdischer Milizen und auf Ortschaften, die von diesen gehalten und gegen Angriffe der Terrormiliz »Islamischer Staat« (IS) verteidigt werden, sind in der Nacht zum Donnerstag mindestens 14 Menschen ums Leben gekommen.
Ankara richtet seine Angriffe damit offen gegen jene Kräfte, die zu den erbittertsten Gegnern der Dschihadisten zählen.

Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu vermeldete am Donnerstag, Ziel der Attacken seien Stellungen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), der Miliz der syrisch-kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD), im Gebiet von Maarata Umm Husch nördlich der Großstadt Aleppo gewesen.
Bei den Angriffen seien bis zu 200 »Terroristen« getötet worden.

Die von Großbritannien aus operierende »Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte«, die den bewaffneten Aufständischen in Syrien nahesteht, zog diese Zahlen in Zweifel. Nach ihren Erkenntnissen seien mindesten elf Kämpfer der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), einer von den YPG angeführten Militäral­lianz, ums Leben gekommen.
Die der kurdischen Bewegung nahestehende Nachrichtenagentur Firat sprach am Donnerstag hingegen von bislang 14 bestätigten Opfern. Unter ihnen seien vier Zivilisten und zehn Kämpfer.

 

Ankara wirft der PYD und den YPG sowie deren Frauenbataillonen YPJ ihre Verbindungen zur verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK in der Türkei vor. Die türkische Regierung führt seit der Aufkündigung des Friedensprozesses mit der PKK durch Präsident Recep Tayyip Erdogan im Juli 2015 einen erbarmungslosen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung und ihre politischen Organisationen.
Ankara befürchtet, militärische Erfolge und Gebietsgewinne der kurdischen Milizen in Syrien könnten auch jenseits der Grenze den Forderungen der Kurden nach Selbstbestimmung und regionaler Autonomie neuen Auftrieb verleihen.

Der Verwaltungsrat der autonomen Föderation Nordsyrien-Rojava, die sich aus den von PYD und ihren Verbündeten verwalteten Gebieten in Nordsyrien zusammensetzt, verurteilte die türkischen Angriffe scharf. »Mit seinem Handeln zeigt der türkische Staat der ganzen Welt einmal mehr, dass sein Ziel nicht in der Bekämpfung des IS besteht. Vielmehr zielt er auf jene Kräfte, die gegen den IS kämpfen«, so das Gremium in einer von Firat zitierten Erklärung am Donnerstag. »Wir rufen unser Volk zum Aufstand gegen die Invasion des türkischen Staats auf, die sich gegen die Zukunft unseres Volkes und unseres Landes richtet«, heißt es dort weiter.

Mit ihren Angriffen auf die YPG attackiert die Türkei jene Milizen, die den IS in der Region bisher am erbittertsten bekämpft haben – wie selbst die USA bereits zugeben mussten. Ankara behauptet, mit seinem Eingreifen in den syrischen Bürgerkrieg sowohl den IS als auch die »terroristische« YPG zu bekämpfen. Kritiker werfen der Erdogan-Administration jedoch vor, die Dschihadisten in den vergangenen Jahren mit Waffenlieferungen und Finanzhilfen massiv unterstützt zu haben. Auch die türkischen Luftangriffe würden sich in allererster Linie gegen die Kurden richten.
Die internationale Empörung hält sich unterdessen in Grenzen: Während USA und EU die syrischen Streitkräfte und ihre russischen Verbündeten wegen ihrer Angriffe auf die von Aufständischen gehaltenen Teile von Aleppo anklagen, wird über Ankaras schmutzigen Krieg meist vornehm geschwiegen.

Jochen

Illegale Kriege der NATO und Deutschlands – Daniele Ganser

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Das Buch ist übigens nicht im Kopp Verlag erschienen, sondern bei orell füssli.

Ganser hat sich schon früher eindeutig zur NATO-Poltik geäußerthttps://josopon.wordpress.com/2015/03/23/us-strategien-die-deutschland-in-eine-gefahrliche-konfrontation-zu-russland-treiben-ein-diabolischer-plan/  und wird seitdem als Verschwörungstheoretiker diffamiert.

Ein Interview dazu hier auf den NachDenkSeiten:

Illegale Kriege

Dass viele westliche Politiker längst vor Kriegsverbrechertribunale hätten gestellt werden müssen, dass letztlich noch jeder der uns in den letzten Jahren präsentierten „Kriegsgründe“ sich schließlich als Propagandamärchen herausstellte und dass die NATO inzwischen kein Verteidigungsbündnis mehr ist – all das taucht in Medien und Politik selten auf.
Der Schweizer Friedensforscher Daniele Ganser deckt in seinem neuen BuchIllegale Kriegenun schonungslos diese „andere Seite“ der Wahrheit auf und gelangt zu dem Schluss, dass der Westen seit 1945 immer wieder und konsequent schwerste Verbrechen gegen das Völkerrecht und die Menschheit verübt. Jens Wernicke sprach mit ihm.

Herr Ganser, in Ihrem heute erschienenen neuen Buch widmen Sie sich den „illegalen Kriegen“, wie Sie es nennen. Warum?

Das Thema ist derzeit sehr wichtig. Wir befinden uns in einer Gewaltspirale, das ist offensichtlich.
Die Gewaltspirale hat viele Ursachen, aber die weitaus wichtigste Ursache sind die illegalen Kriege, sie treiben die Gewaltspirale an.

Als Beispiel: Der Angriff der NATO-Länder USA und Großbritannien auf den Irak 2003 war ein illegaler Krieg ohne UNO-Mandat, der die Gewaltspirale extrem angetrieben hat. Wir haben seither im Irak mehr als 1 Million Tote.
Die ehemaligen Offiziere und Geheimdienstmitarbeiter des gestürzten Präsidenten Saddam Hussein bilden heute den Kern der sunnitischen Terrormiliz IS, welche Syrien destabilisiert und auch in Europa Terroranschläge ausübt.

Die Gewaltphänomene sind vernetzt. Wir befinden uns in einem Teufelskreis aus Gewalt und Gegengewalt.

Ist denn auch der Syrienkrieg ein illegaler Krieg?

Ja, auch der Angriff auf Syrien 2011 war illegal. Die Angreifer USA, Großbritannien, Frankreich, Türkei, Katar und Saudi-Arabien haben brutale Banden trainiert und mit Waffen ausgerüstet und versuchen seit 2011 Präsident Assad zu stürzen, was ihnen aber bisher nicht gelungen ist.

Diese brutalen Banden müssen als Terroristen bezeichnet werden, aber die Angreifer benutzen das Wort „moderate Rebellen“ und verwirren dadurch die Öffentlichkeit.

Deutschland hat sich erst spät in den Krieg eingebracht, dann aber auf der Seite der Angreifer. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel will nun Assad stürzen, genau wie US-Präsident Obama, der französische Präsident Hollande und der türkische Präsident Erdogan. Das ist aber alles illegal. Es wäre genauso illegal, wenn Assad Frau Merkel stürzen wollte.

Inwiefern betrifft uns europäische Bürger das?

Der Krieg in Syrien hat mehr als 400.000 Tote gefordert und eine riesige Flüchtlingswelle ausgelöst. Viele Menschen in Deutschland, der Schweiz und Österreich haben Angst und sind verunsichert. Nicht nur jene, die Kinder haben, fragen sich, wo wir wohl in 20 oder 30 Jahren sind, ob wir dann noch mehr Gewalt und Flüchtlinge haben werden oder ob wir es irgendwie schaffen, aus der Gewaltspirale auszusteigen.

Die Medienberichte über Krieg und Terror jagen sich und es ist schwer, den Überblick zu behalten. Kurzum: Das Chaos ist perfekt. In meinem Buch erkläre ich dreizehn illegale Kriege von 1945 bis heute, Irak 2003 und Syrien 2011 sind nur zwei Beispiele von vielen. Das Buch hilft dem Leser, in chaotischen Zeiten den Überblick zu behalten.

Und was unterscheidet einen legalen von einem illegalen Krieg?

Nach dem Angriff von Hitler auf Polen 1939 kam bekanntlich der Zweite Weltkrieg mit 60 Millionen Toten.
Nach dem Krieg haben sich die traumatisierten Überlebenden 1945 gesagt: Nie wieder Krieg! Das war eine gute, eine richtige Haltung.
Sie gründeten die Weltfriedensorganisation UNO mit Hauptsitz in New York und Zweitsitz in Genf. In der UN-Charta steht klar und deutlich geschrieben: Kein Land darf ein anderes Land angreifen. Kriege sind illegal. Das ist das so genannte Gewaltverbot.

Konkret heißt es im Artikel 2 der Charta:

„Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.«

Der Text ist deutlich. Seit 1945 sind daher alle Kriege illegal. Es gibt nur zwei Ausnahmesituationen, in denen Krieg auch heute noch erlaubt ist: Das Recht auf Selbstverteidigung oder einen Krieg, der mit explizitem Mandat des UNO-Sicherheitsrates geführt wird.

Mir scheint, dass immer wieder das Argument der Selbstverteidigung vorgebracht wird. So haben etwa die USA nach 9/11 aus der Notwendigkeit zur Selbstverteidigung heraus den internationalenKrieg gegen den Terrorerklärt. Zwei Jahre vorher musste Deutschland, um einenneuen Hitlerim Kosovo zu verhindern, der eine Bedrohung für den Weltfrieden war, dort „intervenieren“, wie es neuerdings heißt.

Ja, das stimmt. Die Regierung von Präsident Bush hat nach 9/11 gesagt, sie würde jetzt ihr Recht auf Selbstverteidigung wahrnehmen. Sie sind in die UNO gegangen und dort wurde ihnen bestätigt, dass jedes Land das Recht auf Selbstverteidigung hat. Das war keine Überraschung, denn das steht ja auch in der UNO-Charta.
Der wesentliche Punkt ist aber: Die UNO hat in ihrer Resolution den USA nicht das Recht gegeben, Afghanistan anzugreifen, was die USA am 7. Oktober 2001 jedoch taten.

Wer die UNO-Resolution durchliest, erkennt, dass Afghanistan gar nicht erwähnt wird. Der Angriff auf Afghanistan war daher illegal. Er basierte auf der von Präsident Bush vorgetragenen Geschichte, dass Osama bin Laden für die Anschläge vom 11. September verantwortlich war, doch genau dieser Punkt konnte vor der UNO nicht bewiesen werden und ist bis heute umstritten, sodass der Sicherheitsrat, in dem auch China und Russland sitzen, kein Mandat für einen Angriff auf Afghanistan gab.

Beim Angriff von Deutschland auf Serbien 1999, den ich im Buch genau darlege, war es etwas anders. Damals gab es ja vorgängig keinen Terroranschlag in Deutschland, der dann als Vorwand für einen Angriff auf Serbien hätte dienen können.
Den ganzen sogenannten Krieg gegen den Terror gab es damals noch nicht. Zudem war die NATO damals auf der Seite der albanischen Muslime und bombardierte die christlichen Serben.

Deutschland hat damals zusammen mit US-Präsident Bill Clinton ohne UNO-Mandat Serbien angegriffen, um zu demonstrieren, dass die NATO nach der Auflösung des Warschauer Paktes überhaupt noch eine Rolle hat, eine unschöne Rolle, wie man anfügen muss.
Dazu wurde durch die PR-Firma Ruder Finn das Feindbild Milosevic in den Medien verbreitet. »Ich muss sagen, als die NATO 1999 angriff, haben wir eine Flasche Champagner aufgemacht«, erinnerte sich später James Harff von der einflussreichen amerikanischen PR-Firma Ruder Finn. Seine Kommunikationsfirma mit Sitz in Washington hatte den Zerfall von Jugoslawien mit Kriegspropaganda begleitet.

Im August 1991 hatte sie von der kroatischen Regierung einen Propaganda-Auftrag erhalten, im Mai 1992 von der bosnischen Regierung und im Herbst 1992 von der Führung der Kosovo-Albaner. In allen Fällen lautete der Auftrag, die Serben als Unterdrücker und Aggressoren darzustellen, die Kroaten, bosnischen Muslime und Kosovo-Albaner als Opfer. Genau diese Darstellung diente der NATO auch 1999. Die Serben waren immer die Bösen, die Kroaten, die Albaner und die bosnischen Muslime waren immer die Guten. Nur mit diesem Trick konnte man die Deutschen wieder in den Krieg führen.

Sie sagen also, Staaten ignorieren das Gewaltverbot der UNO-Charta und belügen die Bevölkerung?
Aber … muss die Völkergemeinschaft dann nicht einschreiten und derlei einen Riegel vorschieben?

Ja, das müsste man. Aber wenn es sich um einen NATO-Staat handelt, geht niemand dagegen vor, weil alle Angst haben, wie man beim Angriff der USA und Briten auf den Irak 2003 sehen kann: Der frühere US-Präsident Bush und der frühere britische Premier Blair müssten längst als Kriegsverbrecher verhaftet sein, aber es passiert nicht. Die meisten Zeitungen getrauen sich nicht einmal diese Forderung abzudrucken.

NATO-Staaten haben wiederholt völlig straflos das in der UNO-Charta verankerte Gewaltverbot missachtet und wie bereits erwähnt, zum Beispiel 1999 Serbien bombardiert.
Der damalige Präsident Clinton hatte hierfür kein Mandat des UNO-Sicherheitsrates, der Krieg war illegal. Und auch der damalige Bundeskanzler Schröder hat das Völkerrecht gebrochen und das später sogar noch zugegeben.

Nein_zur_Nato_DDR1957Mein Buch zeigt an konkreten Beispielen, dass die NATO kein Verteidigungsbündnis, sondern ein Angriffsbündnis ist, dass die Verantwortlichen dabei stets völlig straflos bleiben und die NATO-freundlichen Medien die illegalen Kriege sogar noch befeuern und unterstützen, indem sie die NATO-Propaganda kritiklos in die gute Stube der Leser hineintragen.

Und was passiert, wenn ein Nicht-NATO-Land einen illegalen Krieg führt?

Das ist etwas völlig anderes. Wenn ein schwächeres Land das Gewaltverbot missachtet, reagieren die NATO-Länder sofort und erinnern alle Staaten der Welt an das Völkerrecht, die UNO-Charta und das Gewaltverbot.

Ein Beispiel: Als der irakische Diktator Saddam Hussein 1990 in Kuwait einmarschierte, war das ein illegaler Krieg, der umgehend und zu recht vom UNO-Sicherheitsrat verurteilt wurde. Saddam Hussein ist ein Kriegsverbrecher, er wurde durch eine internationale Streitmacht unter Führung der USA mit Mandat der UNO 1991 wieder aus Kuwait vertrieben. Das war ein legaler Krieg, weil er ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates hatte.

Für eine solch klare Verurteilung eines Angriffskrieges braucht es aber die Unterstützung der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates, also die drei NATO-Länder USA, Frankreich, Großbritannien sowie die beiden BRICS-Staaten Russland und China. Doch die NATO-Länder und die BRICS-Staaten haben bekanntlich oft nicht dieselben Interessen. Nur nach Saddams Invasion von Kuwait waren sich die Mitglieder im Sicherheitsrat auf einmal einig. Intensive Kriegspropaganda der USA trug dabei einiges zu dieser Einigkeit bei.

YouTube-Video: „Wie funktioniert Kriegspropaganda?“

Damit ich das richtig verstehe: Eigentlich waren alle Kriege der letzten Jahre und Jahrzehnte gemäß Völkerrecht illegal?

Ja, fast alle. Beim Angriff der USA auf Libyen 1986 gab es kein Mandat des UNO-Sicherheitsrates. Auch US-Präsident Reagan müsste sich vor einem Gericht verantworten, wenn er noch leben würde.
2011 haben die USA zusammen mit Frankreich und Großbritannien Libyen erneut angegriffen. Diesmal gab es zwar ein Mandat der UNO. Aber nur für eine Flugverbotszone.

Die NATO-Länder kümmerte das aber nicht, sie führten einen Regime Change durch, Gaddafi wurde in der Wüste begraben, auch das war völlig illegal und durch die UNO-Resolution nicht abgedeckt. Libyen versinkt seither im Chaos. Aber der französische Präsident Sarkozy, der britische Premier Cameron und US-Präsident Obama kamen mal wieder völlig straflos davon.
Am 1. August 2016 hat Obama Libyen nochmals bombardiert, das wurde in den meisten Zeitungen nur noch auf den hinteren Seiten vermeldet. Das Völkerrecht wird systematisch zerschlagen und ignoriert, das ist nicht klug.

Wenn wir eine ehrliche und gerechte Welt hätten, müssten Obama, Sarkozy und Cameron sich wegen dem Libyenkrieg vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen ihrer Verbrechen gegen die Menschheit verantworten. Es wäre auch völlig illegal gewesen, wenn Gaddafi 2011 Frankreich angegriffen hätte. Dann müsste Gaddafi vor den Strafgerichtshof der UNO. Ich bin sicher, das wäre auch passiert. Aber wenn eben die NATO-Länder das Kriegsbeil ausgraben und ein Land überfallen, geschieht nichts, überhaupt nichts.

Die NATO-Länder sind also die schlimmsten Aggressoren, wenn es um Elend und illegale Kriege geht?
Sind das nicht weitestgehend sogar die ehemaligen Kolonialisten, die die reichen Länder schon seit jeher unterdrückt und ausgebeutet haben?

Ja, leider sind die NATO-Länder die schlimmsten Aggressoren, wenn man die letzten 70 Jahre anschaut. Natürlich hat es auch Kriege ohne Beteiligung der NATO gegeben, zum Beispiel den Angriff der Sowjetunion auf Afghanistan 1979 oder den Angriff von Israel auf Libanon 2006.

Aber insgesamt fällt auf, dass es vor allem die NATO-Länder waren, angeführt von den USA, die nach 1945 die meisten Kriege vom Zaun gebrochen haben. Hierbei haben die USA stets versucht, ihre Vorherrschaft als Imperium abzusichern und auszubauen.

Wie kommt es, dass die NATO-Staaten das Völkerrecht verletzen und damit durchkommen können?

Viele wissen zwar, dass der Angriff der NATO-Länder USA und Großbritannien auf den Irak 2003 illegal war. UNO-Generalsekretär Kofi Annan hat das damals auch deutlich gesagt. Nicht alle wissen aber, dass auch der Angriff auf Vietnam 1964 illegal war, weil er schon länger zurückliegt. Einige werden auch durch Kriegslügen verwirrt, also etwa die Tonkin-Lüge im Falle von Vietnam oder die ABC-Lüge im Falle des Irak.

Vor allem aber wirken die Medien oft kriegstreibend und nicht kriegshemmend. So fordern die Medien etwa aktuell in einem fort den Sturz von Assad in Syrien. Dabei wird selten erklärt, dass es völlig illegal ist und dem UNO-Gewaltverbot widerspricht, eine Regierung in einem fremden Land zu stürzen. Regime Changes sind verboten.

In Syrien betreiben die NATO-Länder derzeit zusammen mit den Golfmonarchien Katar und Saudi-Arabien einen illegalen Putsch, das kann jeder beobachten. Der deutsche Nahost-Experte, Professor Günter Meyer, hat richtig darauf hingewiesen, dass die USA primär sogenannte moderate Gruppen unterstützen, dass diese aber mit der Nusra-Front zusammenarbeiten. Das heißt, auch die Waffen, die an die Moderaten geliefert werden, landen im Endeffekt bei der Nusra-Front.
Das ist doch ein Skandal, denn das bedeutet nichts Anderes als dass die NATO mit den Terroristen gemeinsame Sache macht. Denn die Nusra-Front ist eindeutig ein Ableger von Al-Qaida.

Diese Unterstützung der Nusra-Front geschieht indirekt auch mit deutscher Beteiligung, denn die Tornados, die dort im Einsatz sind, um Luftaufklärung zu betreiben, liefern ihre Daten an das militärische Operations- und Kontrollzentrum der Gegner von Assad, wo dann die USA, die Türkei und Geheimdienstoffiziere aus Katar und Saudi-Arabien die Informationen sammeln und an die Rebellen weitergeben.

Wir befinden uns hier in einem echten Teufelskreis, wo Gewalt zu noch mehr Gewalt führt und das Gewaltverbot der UNO immer mehr in den Hintergrund gerückt ist.

Sprechen wir also davon, dass das „Recht des Stärkeren“ auf die Weltbühne zurückkehrt und dass die großen Industrienationen angreifen und überfallen können, wen und wie sie wollen? Das Völkerrecht erodiert und … nichts und niemand steht dieser Entwicklung im Weg?

Genauso ist es, leider. Das Ganze läuft schon seit 1945, wird aber seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 unter dem neuen Vorwand „Krieg gegen den Terror“ betrieben.

Die historischen Fakten der letzten 70 Jahre zeigen deutlich, dass NATO-Länder wiederholt andere Länder angegriffen und hierdurch das in der UNO-Charta verankerte Gewaltverbot verletzt haben.

Die NATO ist keine Kraft für Sicherheit und Stabilität, sondern eine Gefahr für den Weltfrieden.

Auch der laufende sogenannte »Krieg gegen den Terror« ist durchsetzt mit Lügen. Dieser von den USA und den NATO-Ländern 2001 ausgerufene Krieg bietet keinen glaubwürdigen Ausstieg aus der Gewaltspirale an und geht die realen Ursachen für den Terror überhaupt nicht an, weil er im Kern gar nicht auf diesen oder dessen Beseitigung, sondern auf die Eroberung und Sicherung von Erdöl, Erdgas, Geld und Macht abzielt.
Der sogenannte »Krieg gegen den Terror« ist und bleibt ein Kampf um Rohstoffe und die globale Vorherrschaft, also alter Wein in neuen Schläuchen.

Die Bilanz nach 15 Jahren ist verheerend: Mehrere Staaten, darunter Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien, sind völlig destabilisiert, Misstrauen und Angst breiten sich aus, es gibt nicht weniger, sondern mehr Terroranschläge, während die Bürgerrechte abgebaut und der Überwachungsstaat ausgebaut werden.

Der sogenannte »Krieg gegen den Terror« stärkt den Militärisch-industriellen Komplex und schwächt die Menschenrechte und die UNO-Charta; er muss von der Friedensbewegung beendet werden, weil er gescheitert ist.

Gibt es denn überhaupt eine Friedensbewegung, die den Krieg gegen den Terror kritisch hinterfragt?

Natürlich gibt es eine Friedensbewegung und natürlich ist diese gegenüber dem sogenannten „Krieg gegen den Terror“ sehr kritisch eingestellt.

Die Friedensbewegung ist aber noch relativ klein, daher wird sie von der NATO und den Politikern ignoriert.

Ich halte ja viele Vorträge in der Schweiz, in Deutschland und in Österreich, und da sehe ich, dass tausende von Menschen diese illegalen Kriege und auch die Kriegslügen ablehnen. Das macht doch Mut.

Was könnte jeder einzelne von uns für eine friedlichere Welt ohne illegale Kriege tun?

Es gibt Lösungen, es gibt Hoffnung. Ich bin für eine Wende hin zu 100 Prozent erneuerbaren Energien, also weg vom Krieg um Erdöl und Erdgas, hin zur dezentralen, erneuerbaren Energieproduktion. Ich habe selber ein Elektroauto und Solarzellen auf meinem Haus.

Ich beobachte, dass immer mehr Menschen gegenüber der NATO kritisch eingestellt sind, sich aber machtlos fühlen, solange sie täglich NATO-Propaganda lesen und im TV sehen. Daher sollte man in die eigene Medienkompetenz investieren und weniger TV schauen und Zeitungen, die NATO-Propaganda verbreiten, schlicht abbestellen.

Ich suche mir meine Informationen selber, das kann ich jedem nur empfehlen. Wenn man nur wartet, was einem vorgesetzt wird, erhält man ungefragt Kriegspropaganda.
Viele Medien sind nicht dazu da, die Menschen zu informieren, sondern um sie zu steuern und zu lenken.

Zudem sollte man viel in die Natur gehen und auch auf eine gesunde Ernährung achten, denn ein gesunder Körper und ein gesunder Geist sind deutlich resistenter, was Hetze und Propaganda angeht.

Die Schweiz und Österreich sollten zur strikten Neutralität zurückkehren, keine Truppen ins Ausland schicken und die sogenannte »Partnership for Peace« der NATO verlassen, weil es sich angesichts der NATO-Angriffskriege hierbei um eine »Partnership for War« handelt.

Und last but not least sollte Deutschland aus der NATO austreten und in Erinnerung der eigenen Geschichte keine Truppen mehr ins Ausland schicken, sondern sich als neutrales Land für das Völkerrecht und friedliche Konfliktlösungen einsetzen.

Ich bedanke mich für das Gespräch.

Daniele Ganser
(Dr. phil.) ist Schweizer Historiker, spezialisiert auf Zeitgeschichte seit 1945 und Internationale Politik. Seine Forschungsschwerpunkte sind Friedensforschung, Geostrategie, verdeckte Kriegsführung, Ressourcenkämpfe und Wirtschaftspolitik. Er unterrichtet an der Universität St. Gallen (HSG) zur Geschichte und Zukunft von Energiesystemen und an der Universität Basel im Nachdiplomstudium Konfliktanalysen zum globalen Kampf ums Erdöl. Er leitet das Swiss Institute for Peace and Energy Research (SIPER) in Basel.

Weiterlesen:

Jochen

Salven aus den Verlagshäusern: Der Anteil der Medien an den Kriegen des Westens

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Viele Beispiele für Manipulation und Meinungsmache können wir gerade erleben.
Z.B. wird unter den Tisch fallenlassen, dass die syrische Regierung den Rebellen in Aleppo Amnestie zugesichert hat, wenn sie ihre Waffen abgeben. Auch die nachträgliche Rehabilitierung des in der Haft verstorbenen serbischen Präsidenten S. Milosevic wurde nicht erwähnt.
https://www.jungewelt.de/m/artikel/294522.salven-aus-den-verlagsh%C3%A4usern.html
lueckenpresseIch habe mir das Buch „LüCKenpresse“ von Ulrich Teusch bestellt und bin schon ganz gespannt darauf.
Und hier auszugsweise der Beitrag von John Pilger:

Am 23. August veröffentlichte der mit zahllosen Preisen ausgezeichnete australische Journalist und Dokumentarfilmer John Pilger auf seiner Internetseite den Artikel »Provoking nuclear war by media«. Wir veröffentlichen an dieser Stelle den Text in deutscher Sprache. (jW)

Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag hat den verstorbenen serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic in aller Stille von dem Vorwurf entlastet, während des Bosnienkrieges von 1992 bis 1995 Kriegsverbrechen begangen zu haben, einschließlich des Massakers von Srebrenica.

Weit davon entfernt, sich mit dem verurteilten Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, zu verschwören, hatte Milosevic »ethnische Säuberungen« verurteilt, gegen Karadzic opponiert und versucht, den Krieg zu beenden, infolgedessen Jugoslawien weiter zerfiel.
Diese Wahrheit, die am Ende einer mehr als zweieinhalbtausend Seiten umfassenden Urteilsbegründung gegen Karadzic vom vergangenen März unterging, zertrümmert einmal mehr jene Propaganda, mit der die NATO 1999 ihren illegalen Angriff auf Serbien rechtfertigte.

Milosevic, »Schlächter vom Balkan«

Milosevic starb 2006 während eines scheinjuristischen Verfahrens des von den USA erfundenen »internationalen Tribunals« in Den Haag an einem Herzinfarkt, als er sich völlig allein in seiner Zelle befand. Nachdem ihm eine Herzoperation verweigert worden war, die sein Leben hätte retten können, verschlechterte sich sein Zustand zusehends.
Das war US-Offiziellen bekannt, sie hielten es aber geheim, wie Wikileaks später enthüllte.

Milosevic war Opfer der Kriegspropaganda, die sich heute wie eine Sturzflut aus Bildschirmen und Zeitungen über uns ergießt und große Gefahren für uns alle signalisiert. Die westlichen Medien machten aus Milosevic den Prototyp eines Dämons und verunglimpften ihn als »Schlächter vom Balkan«, der insbesondere für den »Völkermord« in der abtrünnigen serbischen Provinz Kosovo verantwortlich sei.
Das behauptete der britische Premierminister Tony Blair, der Verbindungen zum Holocaust zog und Maßnahmen gegen den »neuen Hitler« einforderte.
David Scheffer, US-Sonderbotschafter für Kriegsverbrechen [sic!], erklärte, nicht weniger als »225.000 Männer albanischer Abstammung im Alter zwischen 14 und 59 Jahren« seien von Milosevics Streitkräften ermordet worden.

Das war die Rechtfertigung für das von Bill Clinton und Blair maßgeblich verantwortete NATO-Bombardement 1999, bei dem Hunderte von Zivilisten in Krankenhäusern, Schulen, Kirchen, Parks und Fernsehstudios getötet wurden und das die ökonomische Infrastruktur Serbiens zerstörte.
Bei der berüchtigten »Friedenskonferenz« im französischen Rambouillet wurde Milosevic ausgerechnet von US-Außenministerin Madeleine Albright angegriffen, die sich (1996 in einer US-Fernsehshow, jW) mit der infamen Bemerkung hervorgetan hatte, der Preis einer halben Million getöteter irakischer Kinder sei »es wert« gewesen (gemeint war das US-amerikanische Embargo gegen den Irak, jW).

Albright machte Milosevic ein »Angebot«, das für keinen Staatschef akzeptabel gewesen wäre. Entweder er stimme der militärische Besetzung seines Landes durch »außerhalb des rechtlichen Verfahrens« stehende ausländische Besatzungstruppen und der Auferlegung eines neoliberalen »freien Marktes« zu, oder Serbien werde bombardiert.
Dies war der Inhalt eines »Appendix B«, den die Medien entweder nicht gelesen hatten oder aber dessen Bekanntwerden unterdrückten.

Das Ziel war, Europas letzten unabhängigen »sozialistischen« Staat zu zerschlagen.

Nachdem die NATO mit dem Bombardement begonnen hatte, gab es einen Massenexodus von Flüchtlingen aus dem Kosovo, die »vor einem Holocaust flohen«.
Als es vorbei war, fielen internationale Polizeieinheiten in das Kosovo ein, um die Opfer des »Holocaust« zu exhumieren. Der US-Bundespolizei FBI gelang es nicht, ein einziges Massengrab zu finden, und so zog sie wieder ab. Einem Team spanischer Forensiker erging es nicht anders, was seinen Leiter dazu veranlasste, wütend die »sprachliche Pirouette der Kriegspropagandamaschinerie« anzuprangern.
Am Ende wurden 2.788 Tote im Kosovo gezählt. Dazu gehörten Kombattanten beider Seiten sowie Serben und Roma, die von der »Befreiungsarmee des Kosovo« (UÇK, Abkürzung für albanisch »Ushtria Çlirimtare e Kosovës«, jW) ermordet worden waren. Es gab keinen Völkermord. Der NATO-Angriff war beides – Betrug und Kriegsverbrechen.

Bis auf einen kleinen Bruchteil trafen die als »präzisionsgelenkte Munition« gepriesenen Raketen der USA nicht militärische, sondern zivile Ziele wie die Nachrichtenstudios des Belgrader Rundfunk- und Fernsehsenders RTS (in den frühen Morgenstunden des 23. April 1999, jW). Sechzehn Menschen wurden getötet, darunter Kameraleute, Produzenten und eine Maskenbildnerin. Blair bezeichnete die Toten ruchlos als Teil von Serbiens »Kommando- und Kontrollstruktur«.
Im Jahr 2008 offenbarte Carla Del Ponte, Chefanklägerin des ICTY von 1999–2007, sie sei unter Druck gesetzt worden, die Verbrechen der NATO nicht zu untersuchen.

Der Wunsch, »Gutes zu bringen«

Es war das Modell für Washingtons folgende Invasionen in Afghanistan, Irak, Libyen und die verdeckte Intervention in Syrien, die allesamt als »Hauptkriegsverbrechen« im Sinne der Nürnberger Prozesse bezeichnet werden können; sie alle hingen von der Medienpropaganda ab. Der Boulevardjournalismus spielte seine traditionelle Rolle.
Am wirksamsten aber war der seriöse, glaubwürdige, zumeist liberale Journalismus: eine mit evangelikalem Eifer vorgetragene Unterstützung Blairs und seiner Kriege durch den Guardian, die unablässig vorgetragenen Lügen über Saddam Husseins in Wahrheit nicht existierende Massenvernichtungswaffen im Observer und der New York Times sowie das ständige Rühren der Propagandatrommel für die Regierungspolitik durch die BBC. All das stand im krassen Gegensatz zum Schweigen über Fakten.

Auf dem Höhepunkt der Bombardierung interviewte Kirsteen Anne »Kirsty« Wark von der BBC General Wesley Clark, den Oberbefehlshaber der NATO-Truppen im Kosovo. Über der serbischen Stadt Nis war gerade ein tödlicher Regen von US-Streubomben niedergegangen, mit dem Frauen, alte Menschen und Kinder auf einem offenen Marktplatz und in einem Krankenhaus ermordet wurden. Wark stellte jedoch weder zu diesen noch zu anderen zivilen Todesopfern auch nur eine einzige Frage. Einige ihrer Kollegen waren sogar noch unverfrorener. Im Februar 2003, als Blair und George W. Bush den Irak in Brand gesetzt hatten, stand Andrew Marr, politischer Redakteur der BBC, in der Londoner Downing Street und machte aus seiner Reportage eine Siegesrede. Begeistert erzählte er seinen Zuschauern, Blair habe gesagt, sie seien in der Lage, »Bagdad ohne Blutbad einzunehmen, und dass die Iraker am Ende feiern würden. Und in beiden Punkten ist nun eindeutig erwiesen, dass er absolut richtig lag«. Heute, mit einer Million Toten und einer in Schutt und Asche gebombten Gesellschaft, wäre es der US-Botschaft in London anzuempfehlen, sich Marrs BBC-Interviews noch einmal anzusehen.

Marrs Kollegen standen Schlange, um Blairs Aussage für »bestätigt« zu erklären. Der Wa­shington-Korrespondent der BBC, Matt Frei, sagte: »Es gibt keinen Zweifel, dass der Wunsch, Gutes zu bringen, dem Rest der Welt und vor allem dem Nahen Osten die amerikanischen Werte zu bringen, (…) jetzt zunehmend eng mit der Ausübung militärischer Macht verbunden ist.«

Ausschließlich Assad trage Schuld

Die Verbeugung vor den Vereinigten Staaten und ihren Kollaborateuren als einer gütigen Kraft, die »Gutes bringt«, bestimmt entscheidend den etablierten Journalismus des Westens.*1)

Damit ist gleichzeitig gegeben, dass die Schuld an der gegenwärtigen Katastrophe in Syrien ausschließlich Baschar Al-Assad zugeschoben wird. Der Westen und Israel sind seit langem entschlossen, ihn zu stürzen – nicht wegen irgendwelcher humanitärer Besorgnisse, sondern um Israels Macht in der Region zu stabilisieren.
Die von den USA, Großbritannien, Frankreich, der Türkei und ihren »Koalitions«-Stellvertretern entfesselten und bewaffneten dschihadistischen Kräfte dienen eben diesem Zweck. Sie sorgen für die Propaganda und die Videos, aus denen in den USA und Europa Nachrichten gemacht werden und die Journalisten den Zugang zu dem bieten, was eine einseitige »Berichterstattung« über Syrien garantiert.

Die Stadt Aleppo ist permanent in den Nachrichten. Den meisten Lesern und Zuschauern wird nicht bewusst sein, dass die Mehrheit der Bevölkerung von Aleppo in dem von der syrischen Regierung kontrollierten westlichen Teil der Stadt lebt. Dass sie unter täglichem Artilleriebeschuss der vom Westen unterstützten Al-Qaida stehen, wird nicht gemeldet. Am 21. Juli 2016 griffen französische und US-amerikanische Bomber ein von der Regierung kontrolliertes Dorf in der Provinz Aleppo an und töteten 125 Zivilisten. Darüber berichtete der Guardian ohne Fotos.

In den 1980er Jahren haben die USA in Afghanistan mit der »Operation Cyclone« einen Dschihadismus geschaffen und abgesichert, der als Waffe dazu dienen sollte, die Sowjetunion zu zerstören. Heute machen die USA etwas Ähnliches in Syrien. Wie die Mudschaheddin in Afghanistan fungieren heute die syrischen »Rebellen« als Bodentruppen der USA und Großbritanniens. Viele von ihnen kämpfen für Al-Qaida und vergleichbare Organisationen. Einige, wie die Fatah-Al-Scham-Front, haben sich mit Rücksicht auf amerikanische Empfindlichkeiten wegen der Anschläge vom 11. September 2001 umbenannt. Sie werden trotz einiger Schwierigkeiten von der CIA geführt, wie sie es mit Dschihadisten überall auf der Welt tut.

Das unmittelbare Ziel ist die Zerstörung der Regierungsmacht in Damaskus, die nach einer äußerst glaubwürdigen Umfrage des Markt- und Meinungsforschungsinstituts YouGov Siraj die Mehrheit der Syrer unterstützt oder die sich von ihr zumindest erhofft, von ihr geschützt zu werden, unabhängig von der Barbarei, die sich in deren Machtbereich ereignet.
Langfristig zielt diese Strategie darauf, Russland in seiner Rolle als entscheidender Verbündeter im Nahen Osten zu bekämpfen. Das ist Teil eines Zermürbungskriegs der NATO gegen die Russische Föderation, um sie am Ende zu zerstören.

Dämon Putin

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Schurke, Dämon, Vampir. Kein Vergleich war den meisten Medien der NATO-Staaten zu billig, den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu schmähen (Plakat der ukrainischen Gemeinde in Tschechien auf einer Demonstration am 8. März 2014 in Prag gegen die russische Aneignung der Krim) – Foto: David W Cerny/Reuters

Das atomare Risiko liegt auf der Hand, auch wenn es von den Medien der »freien Welt« verschwiegen wird. Die Kommentatoren der Washington Post, die für die Fiktion von Massenvernichtungswaffen im Irak Reklame machten, fordern, dass US-Präsident Barack Obama Syrien angreift.

Hillary Clinton, die öffentlich über ihre Henkerrolle bei der Zerstörung Libyens frohlockte, hat wiederholt erklärt, dass sie als Präsidentin »weiter gehen« würde als Obama.

Gareth Porter, ein Samisdat-Journalist, der aus Washington berichtet, enthüllte vor kurzem die Namen von Personen, die möglicherweise einem Clinton-Kabinett angehören könnten und einen Angriff auf Syrien befürworten. Sie alle verbindet eine gemeinsame Geschichte als angriffslustige Protagonisten des Kalten Krieges. Der ehemalige Direktor der CIA, Leon Panetta, sagt, dass »der nächste Präsident in Betracht ziehen muss, zusätzlich Spezialeinheiten auf dem Boden einzusetzen«.

Das Bemerkenswerteste an der jetzt sturmflutartig über uns hereinbrechenden Kriegspropaganda ist ihre offenkundige Absurdität und gleichzeitig die Vertrautheit mit ihr. Ich habe mir Archivaufnahmen von Filmen aus dem Washington der 1950er Jahre angesehen, als Senator Joseph McCarthy eine Hexenjagd gegen Diplomaten, Staatsbedienstete und Journalisten lostrat und sie in ihrer Existenz ruinierte, weil sie die Lügen über die Sowjetunion und China öffentlich infrage gestellt hatten.
Wie ein Krebsgeschwür ist der Anti-Russland-Kult nun wieder zurückgekehrt.

In Großbritannien führt Luke Harding vom Guardian die Russland-Hasser seiner Zeitung dabei an, Wladimir Putin alle Schuld zuzuweisen. Als der Inhalt der Panama-Papers am 3. April 2016 an die Öffentlichkeit gelangte, setzte der Guardian den russischen Präsidenten mit Foto auf die Titelseite, obwohl dessen Name an keiner einzigen Stelle in den Enthüllungen vorkommt.

Wie einst Milosevic wird nun Putin zum Dämon Nummer eins gemacht. Er war es natürlich, der eine Maschine der Malaysian Airlines über der Ukraine abschoss. Überschrift: »Meiner Meinung nach hat Putin meinen Sohn getötet.« Beweise? Nicht erforderlich.
Natürlich war es auch Putin, der für den nachweislich von Washington veranlassten (und finanzierten) Sturz der gewählten Regierung in Kiew im Jahr 2014 verantwortlich war.
Für die nachfolgende Terrorkampagne faschistischer Milizen gegen die russischsprachige Bevölkerung der Ukraine war natürlich Putins »Aggression« verantwortlich.
Zu verhindern, dass die Krim eine NATO-Raketenbasis wird, und die dort lebende mehrheitlich russische Bevölkerung zu schützen, die in einem Referendum für eine Wiedervereinigung mit Russland – von dem die Krim annektiert worden war – stimmte, waren weitere Beispiele für Putins »Aggression«.
Die Verleumdungen der Medien werden so zwangsläufig zum Krieg der Medien. Sollte der Krieg mit Russland planmäßig oder aus Versehen ausbrechen, tragen Journalisten dafür einen großen Teil der Verantwortung.

Trump, der »sibirische Kandidat«

Der New York Times-Kolumnist Paul Krugman, ein mit dem Nobelpreis ausgezeichneter Ökonom, bezeichnete Donald Trump als »sibirischen Kandidaten«, weil Trump Putins Mann sei, wie er sagt. Trump hatte es gewagt, in einem seiner seltenen lichten Momente anzudeuten, dass ein Krieg mit Russland eher eine schlechte Idee sein könnte.
Er ging sogar noch einen Schritt weiter und entfernte den Passus über US-amerikanische Waffenlieferungen an die Ukraine aus dem Programm der Republikaner. »Wäre es nicht toll, wenn wir mit Russland klarkämen?« fragte er.

Aus diesem Grund hassen die Kriegstreiber des liberalen US-Establishments ihn. Trumps Rassismus und seine polternde Demagogie haben damit jedoch nichts zu tun. Mit dem Rassismus und Extremismus, den Bill und Hillary Clinton auf dem Kerbholz haben, können sie Trump spielend jeden Tag übertrumpfen.
(Vor 20 Jahren wurde Clintons »Reform« der Sozialgesetzgebung lanciert, die einen Krieg gegen die afroamerikanische Bevölkerung eröffnete).
Nicht anders bei Obama: US-Polizisten schießen afroamerikanischen Bürger nieder, doch der große Hoffnungsträger im Weißen Haus hat nichts dafür getan, sie zu schützen oder ihre Verarmung zu mildern. Gleichzeitig führte er vier Kriege und war für eine beispiellose Mordkampagne verantwortlich.

Die CIA hat gefordert, Trump solle nicht gewählt werden. Die Generäle des Pentagons fordern das gleiche. Auch die Kriegsbefürworter der New York Times gönnen sich eine Verschnaufpause von ihrer unerbittlichen Kampagne billiger Verleumdungen gegen Putin und werben dafür, Trump die Stimme zu verweigern. Da ist etwas im Gange.
Diese Volkstribune des »permanenten Krieges« erschreckt, dass das Multi-Milliarden-Dollar-Geschäft des Krieges, mit dem die Vereinigten Staaten ihre Vorherrschaft behaupten, gefährdet werden könnte, wenn Trump sich erst mit Putin und dann mit Chinas Xi Jinping auf einen Deal einigt.

»Trump hätte Stalin geliebt!« grölte Vizepräsident Joe Biden auf einer Kundgebung für Hillary Clinton. Clinton nickte zustimmend, als er weiter ausrief: »Wir unterwerfen uns niemandem. Wir beugen uns nicht. Wir fallen vor niemandem auf die Knie. Wir ergeben uns niemals. Wir sind immer die ersten auf der Ziellinie. Das ist es, was wir sind: Wir sind Amerika!«

Verachteter Kriegsgegner Corbyn

In Großbritannien war es Jeremy Corbyn, der ebenfalls Hysterie unter den Kriegstreibern in der Labour-Partei und in den Medien auslöste, die es gewohnt sind, über ihn herzuziehen. Lord West, ein ehemaliger Admiral und Arbeitsminister, sprach deutliche Worte. Corbyn habe eine »empörende« Antikriegsposition eingenommen, »weil er damit die unbedacht handelnden Massen dazu bringt, für ihn zu stimmen«.

In einer Debatte mit seinem Herausforderer Owen Smith wurde Corbyn vom Moderator gefragt: »Wie würden Sie auf einen Übergriff Wladimir Putins auf einen Mitgliedsstaat der NATO reagieren?« Corbyn antwortete: »In erster Linie ginge es darum zu verhindern, dass so etwas überhaupt passiert. Man würde mit Russland einen guten Dialog entwickeln. (…) Wir würden versuchen, eine Entmilitarisierung der Grenzen zwischen Russland, der Ukraine und den anderen Ländern an der Grenze zwischen Russland und Osteuropa einzuleiten. Was wir nicht zulassen dürfen, ist der verhängnisvolle Truppenaufmarsch auf beiden Seiten, der große Gefahren in sich birgt.«

Als Corbyn dazu gedrängt wurde zu sagen, ob er einem Krieg gegen Russland die Genehmigung erteilen würde, »wenn Sie es müssten«, antwortete Corbyn: »Ich möchte nicht in den Krieg ziehen – ich möchte eine Welt schaffen, in der wir nicht mehr gezwungen sind, in den Krieg zu ziehen«.

Diese Art der Befragung ist Britanniens linksliberalen Kriegsbefürwortern zu verdanken. Labour Party und Medien haben ihnen sehr lange Karrieremöglichkeiten geboten.
Eine Zeitlang gerieten sie durch den von den großen Verbrechen im Irak ausgelösten moralischen Tsunami ins Schwimmen, und ihre Verkehrung der Wahrheit erschien als zeitweilige Peinlichkeit.

Abweichende Meinungen im Journalismus oder in der wissenschaftlichen Lehre wurden seitdem entweder systematisch verbannt oder zurechtgebogen, demokratisches Denken wurde zuerst entleert und dann wieder mit »Identitätspolitiken« gefüllt, die Gender mit Feminismus und Angst in der Gesellschaft mit Befreiung verwechseln, und die vorsätzlich die staatliche Gewalt und die Geschäftemacherei mit Waffen ignorieren, durch die unzählige Leben in weit entfernten Ländern wie Jemen und Syrien vernichtet werden und die einen Atomkrieg in Europa und in der ganzen Welt als Möglichkeit am Horizont aufscheinen lassen.

Das Wachrütteln von Menschen aller Altersgruppen rund um den spektakulären Aufstieg von Jeremy Corbyn wirkt dem bis zu einem gewissen Grad entgegen.
Corbyn hat sein Leben der Aufgabe gewidmet, über die Schrecken des Krieges aufzuklären. Sein Problem und das seiner Anhänger ist die Labour Party.
In den USA war es die Demokratische Partei, die für Tausende Anhänger von Bernhard »Bernie« Sanders’ zum Problem wurde, einmal abgesehen vom letztlichen Verrat ihrer großen weißen Hoffnung. In den USA, der Heimat der großartigen Bürgerrechts- und Antikriegsbewegungen, bilden »Black Lives Matter«, »Codepink« und ähnliche Organisationen moderne Versionen dieser Bewegungen.

Denn nur eine Bewegung, die sich in den Straßen und über die Grenzen hinweg ausbreitet und wächst und die nicht aufgibt, ist in der Lage, die Kriegstreiber zu stoppen.
Im nächsten Jahr ist es hundert Jahre her, seit Wilfred Owen das Gedicht »Dulce et Decorum est« schrieb (lat. für: »Süß und ehrenvoll ist es«), aus dem die folgende Strophe stammt. Jeder Journalist sollte es lesen und sich immer wieder daran erinnern …

Wenn du hören könntest, wie bei jedem Stoß das Blut
Gurgelnd aus seinen schaumgefüllten Lungen läuft,
Ekelerregend wie der Krebs, bitter wie das Wiederkäuen
Von Auswurf, unheilbare Wunden auf unschuldigen Zungen,
Mein Freund, du erzähltest nicht mit so großer Lust
Kindern, die nach einem verzweifelten Ruhmesglanz dürsten,
Die alte Lüge: Dulce et decorum est
Pro patria mori. (*2)

(*2) Die Übersetzung der Gedichtstrophe ist folgender Quelle entnommen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Dulce_et_Decorum_est_(Gedicht)#cite_note-2

*1) Wie die Etablierung von führenden Journalisten in Leitmedien stattfindet, dazu aus Betroffenensicht Udo Ulfkotte:
https://josopon.wordpress.com/2014/11/10/interview-mit-udo-ulfkotte-ex-faz-uber-gekaufte-journalisten-in-grosen-zeitungen/
Über CIA-Mietmäuler und Sprachrohre der Kriegstreiber in deutschen Redaktionen hier:

https://josopon.wordpress.com/2015/09/02/mietmauler-und-sprachrohre-der-kriegstreiber-gehoren-in-keine-deutsche-redaktion/

Jochen

Der Terror und die Religion – Interview mit Werner Ruf

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Wieder etwas ganz wichtiges auf den NachDenkSeiten:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=34791#more-34791
160829-Werner-RufWerner Ruf ist emeritierter Professor mit den Arbeitsschwerpunkten Internationale und intergesellschaftliche Beziehungen und Außenpolitik.
Auszüge:

Der Terror und die Religion

Veröffentlicht in: Audio-Podcast, Interviews, Länderberichte, Terrorismus

Geostrategische Erwägungen und die  bestimmen seit dem 19. Jahrhundert die Interessen der großen Mächte im Nahen Osten. Mit dem »arabischen Frühling« schienen sich die Hoffnungen der Menschen auf ein Leben in Würde zu erfüllen. Doch der Sturz säkularer Diktatoren mündete in Staatszerfall, Aufstieg des politischen Islam und unverhohlene Hegemonialpolitik der Despotien am Golf, allen voran Saudi-Arabien. Ausgetragen werden die Konflikte mit Hilfe privater Gewaltakteure, unter denen der »Islamische Staat« sich dadurch auszeichnet, dass er sich von seinen Sponsoren weitgehend unabhängig gemacht hat. Religion wird instrumentalisiert zur Errichtung neuer Ordnungen und Machtstrukturen, die ethno-religiöse Säuberungen gigantischen Ausmaßes zur Folge haben. Über die politische Ökonomie von Terror und pervertierter Religion sprach Jens Wernicke mit dem Autor und Friedensforscher Werner Ruf.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Herr Ruf, in Ihrem aktuellen Buch untersuchen Sie die politische Ökonomie von unter anderem dem sogenannten „Islamischen Staat“. Was ist der „Islamische Staat“ überhaupt?

Der „Islamische Staat“ ist nur einer von gut einem Dutzend von Gewaltakteuren, die in Syrien ihr Unwesen treiben und sich dabei auf eine sektiererische Auslegung des Islam berufen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Gewaltakteuren hat der IS es vermocht, im Irak und in Syrien staatliche Strukturen aufzubauen, ein Mindestmaß an Sicherheit für die Menschen herzustellen, Grundbedürfnisse wie die Wasser- und Energieverorgung einigermaßen zu sichern und so eine gewisse Akzeptanz zu erreichen. Religion – oder besser: Konfession – ist dafür das Vehikel. Gnadenlos verfolgt werden „Ungläubige“, als da sind: Christen, Zoroastrier, Jeziden, aber auch säkulare Muslime jedweder Richtung und vor allem Schiiten.

Letzteres hat seinen Ursprung in der Konfessionalisierung der Politik, die die USA nach dem Krieg von 2003 im Irak betrieben haben, wo nicht nur die Armee, sondern der gesamte öffentliche Dienst einschließlich Erziehungs- und Gesundheitswesen von „Sunniten“ gesäubert und durch „Schiiten“ ersetzt wurden. Saddam Hussein stammte zwar aus eine sunnitischen Region, aber er war säkular, beispielswiese war der Dauer-Außenminister des Irak, Tarek Azizi, Christ.

Die In-Besitznahme des Staates durch die Schiiten führte zu einer abgrundtief korrupten Pfründewirtschaft, zu systematischer Verfolgung und Diskriminierung der Sunniten. So ist es nicht verwunderlich, dass die Führungskader des IS vor allem hohe Offiziere aus Armee und Geheimdienst Saddam Husseins sind, Zyniker der Macht, die die Religion für ihre Zwecke des Einschlusses von „Sunniten“ und des Ausschlusses von „Schiiten“ benutzen und die Konfessionalisierung der Auseinandersetzungen instrumentalisieren.

Ähnlich, doch mit größerer Effizienz, hat der „Islamische Staat“ eine kriminelle Ökonomie aufgebaut. Er generiert seine Einnahmen durch das Abpressen von „Steuern“, die Nicht-Sunniten an Straßensperren, für Häuser, Geschäfte etc. bezahlen müssen. Eine wichtige Einnahmequelle sind Geiselnahmen, auch von Kindern, die bei Nichtbezahlung des geforderten Lösegeldes ermordet werden – schließlich müssen die Forderungen glaubhaft sein.

Erhebliche Summen werden erreicht durch die Geiselnahme – und nötigenfalls Ermordung – von Ausländern: Journalisten, Entwicklungshelfer etc., wie beispielweise des amerikanischen Journalisten James Fooley. Solche „wertvollen“ Geiseln werden unter den Gewaltakteuren auch gehandelt oder sich wechselseitig abgejagt. Die Verbreitung von Angst und Schrecken durch bestialische Strafen und Hinrichtungen ist Grundlage der Herrschaft und der Finanzierung zugleich.

Eine weitere wichtige Einnahmequelle ist der Handel mit Antiquitäten, für die es im Westen offensichtlich einen riesigen Markt gibt. Hinzu kommt der Export von Öl aus irakischen und syrischen Ölfeldern, unter den Kunden an diesem Markt, den man offensichtlich nicht stilllegen will, sollen auch EU-Staaten sein. Die Einnahmen des IS wurden auf bis zu 4 Millionen Dollar pro Tag geschätzt. Der IS ist also eine Terror-Organisation und zugleich ein globaler ökonomischer Akteur.

Was treibt die Menschen zum „Islamischen Staat“?

Es gibt sicherlich fanatisierte Menschen, die sich diesem Gewaltakteur anschließen. Das allerdings gilt genauso für die vielen anderen Gewaltakteure wie – um nur wenige zu nennen – die Nusra-Front, einen Ableger von Al Qa’eda, Jaisch al Islam oder Ahrar esh-Sham etc.

Tatsache ist aber auch, dass der IS wohl seinen Kämpfern lange Zeit den besten Sold, nach Schätzungen 400 bis 600 Dollar im Monat zahlen konnte. Die Attraktivität besteht also nicht nur in fanatisiertem Glauben oder der Möglichkeit, Gewaltfantasien ausleben zu können, sondern auch in handfesten materiellen Interessen. Aus Tunesien und Libanon ist bekannt, dass den Freiwilligen, die sich einer dieser Banden anschließen, Handgelder bis zu 6.000 oder 8.000 Dollar bezahlt werden.

Es ist also nicht so, dass der „Islamische Staat“ aus einer Ansammlung überzeugter Massenmörder und Terroristen besteht?

Keineswegs. Diese Terror-Organisation bietet – wie die anderen auch – materielles Auskommen, eine Lebensperspektive, Kameradschaft – und Macht. Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang Untersuchungen des Verfassungsschutzes, denen zufolge 378 Personen aus Deutschland zu den djihadistischen Gewaltakteuren ausgereist sind. 54 davon sind deutschstämmige Konvertiten. Nur 26 Prozent hatten eine Schulausbildung abgeschlossen, nur 12 Prozent hatten einen Job, meist im Billiglohnsektor, ein Drittel war bereits im Bereich der Kleinkriminalität – da geht es um Eigentumsdelikte, Drogenhandel, Körperverletzung etc. – straffällig geworden.

Das heißt: Die Rekrutierung erfolgt am unteren Rand unserer Gesellschaft, unter den perspektivlosen Verlierern der neoliberalen Globalisierung.
Und die gilt in Europa wie im Nahen Osten gleichermaßen wie in den insgesamt über 80 Ländern, aus denen Kämpfer der Djihadisten stammen sollen.

Es geht also…

In Wahrheit um Armut, nicht um Religion. Die Religion wird offensichtlich vor allem dazu benutzt, dem terroristischen Unternehmen etwas Missionarisches, ein Sendungsbewusstsein zu verleihen und die Gruppen zusammenzuschweißen.

Dahinter steht eine Ökonomie der Gewalt, des Terrors, die es den Führern erlaubt, beträchtliche Summen Geldes anzusammeln.
Dies gilt vor allem durch die monetäre Unterstützung, die die Banden in erster Linie aus den Golfstaaten erhalten. Deren Motive sind in erster Linie sehr irdischer Natur.

Und was hat der sogenannte „Sexuelle Djihad“ mit all dem zu tun?

Dies ist ein besonders abartiger Aspekt dieses insgesamt abscheulichen Themas. Junge Frauen gehen freiwillig nach Syrien, um dort mit sexuellen Dienstleistungen die Moral der Kämpfer zu stärken. Dass es sich bei diesem »sexuellen Djihad« nicht um ein Einzelphänomen handelt, zeigen die Zahlen, die der Verfassungsschutz für 2015 erhoben hat.

Danach waren 21 Prozent der aus Deutschland in den Djihad Ausgereisten Frauen, meist junge Mädchen. Dass den jungen Frauen romantische Eheschließungen vorgegaukelt werden, ist oft Teil dieses Geschäfts. Frauen, die nach der selektiven Auslegung der Schriften durch die Djihadisten verheiratet werden, haben keinerlei sozialen und materiellen Schutz, der ihnen in den meisten islamischen Ländern, in denen eine Zivilehe existiert, zusteht.
Mit einem dreimaligen »ich verstoße Dich« ist der Ehemann seine Frau los. Diese kann dann unter extrem schlechten und erniedrigenden Bedingungen versuchen, sich wieder zu verheiraten, da sie anders ihren Lebensunterhalt nicht sichern kann. Danach bleibt nur noch die Prostitution.

Für die Frauen, die freiwillig in den »Djihad« ziehen, gelten auch nicht mehr die Mindestsicherungen, die es im traditionellen islamischen Milieu und Gewohnheitsrecht gab: Die Einwilligung der Eltern und die vorherige öffentliche Bekanntgabe der beabsichtigten Eheschließung. Diese Frauen verlieren genau den relativen Schutz, den sie in traditionellen Gesellschaften genießen wie beispielsweise, dass eine »verstoßene« Frau wieder in ihre Herkunftsfamilie zurückkehren kann, dass ihre Mitgift wie etwa Schmuck als eine Art Lebensversicherung ihr Privateigentum bleibt.

Um welche Interessen geht es im Hintergrund?

Das ist wie immer des Pudels Kern – und die Interessen sind sehr vielfältig, zum Teil widersprüchlich. Da sind natürlich die USA, die letztendlich die Kontrolle über die strategisch und energiepolitisch so wichtige Region behalten wollen.
Da ist Russland, dessen letzter und einziger Verbündeter im Nahen Osten das Assad-Regime in Syrien ist, vor allem aber: In Tartous unterhält die russische Marine ihren einzigen Stützpunkt außerhalb des eigenen Territoriums.
Da ist die Türkei, die auf jeden Fall die Entstehung einer Form von kurdischer Staatlichkeit in Syrien verhindern will und wohl auch Gebietsansprüche in einem zerstörten Syrien verfolgt.

Und da sind die Golfstaaten, die – allen voran Saudi-Arabien – eines der letzten säkularen Regime in der Region beseitigen und sich als einzige Vormacht in der Region aufbauen wollen. Sie heizen die konfessionelle Dimension des Konflikts an, da sie den Iran als einzigen ernsthaften Gegner in der Region schwächen wollen. Der Sturz Assads würde die sogenannte „schiitische Achse“ zerbrechen, die vom Iran über Syrien bis in den Libanon reicht.

Doch sind sich die Golfstaaten nicht einig, da die Saudis die salafistischen Gruppen unterstützen, Qatar dagegen die Muslimbrüder, zu denen auch das Erdogan-Regime zu zählen ist. Beide finanzieren sich in Syrien bekämpfende unterschiedliche Gewaltakteure.

Zudem versucht Qatar seit rund zehn Jahren, eine Gaspipeline zu bauen, die über Syrien Anschluss an die großen Ost-West-Pipelines in Richtung Europa bekommen soll, die durch die Türkei verlaufen.
Israel sieht die Auseinandersetzungen wohl mit Wohlgefallen, zumindest insofern sie die Schwächung des Iran zum Ziele haben. Folgerichtig gibt es wohl israelische Unterstützung für die al-Qa’eda nahestehende Terrororganisation Nusra-Front.
Weiter verkompliziert wird die Situation durch die Entdeckung riesiger Erdgas-Felder, die sich im Küstenbereich vom Gaza-Streifen entlang der israelischen, libanesischen und syrischen Küsten bis vor die Türkei ziehen.

Jeder dieser Akteure verfolgt eigene Interessen, die denen der anderen widersprechen.

Die Finanzierung und Unterstützung der Gewaltakteure in Syrien ist Kern des Problems.

Dies erklärt, weshalb die Friedensbemühungen der UN, die sogenannten Genfer Initiativen, insgesamt erfolglos geblieben sind: Gerade scheitert der dritte Versuch, alle Akteure zu einem Kompromiss zu bringen.

Welche Verantwortung trägt der Westen für all das?

Der Westen – allen voran die USA – hat in Syrien die fatale Politik des regime-changes fortgesetzt, mit der er schon das Chaos im Irak und in Libyen, das übrigens zur neuen Bastion des IS zu werden scheint, verursacht hat. Die simple Forderung „Assad muss weg“ enthält keinerlei politische Perspektive für das, was danach kommen soll. Es gibt eine Reihe von teils gerade erst bekannt gewordenen Planungsüberlegungen aus dem Pentagon und Empfehlungen des Council on Foreign Relations, wonach al Qa’eda und ihr nahestehende Milizen als wichtige und nützliche Partner im Konflikt angesehen werden.

Angedacht wird in diesen Überlegungen auch die Errichtung eines salafistischen Fürstentums – also eines möglichen Kalifats -, das die sunnitischen Teile des Irak und Syriens umfassen soll, weil dies den Vorstellungen der Verbündeten vom Golf entspreche.
Eine solche „Lösung“ auf konfessioneller Basis hätte die Vertreibung von Millionen Menschen christlicher und anderer Konfessionen zur Folge, da sie von ethno-religiösen Säuberungen unermesslichen Ausmaßes begleitet würden: Die bisherigen Fluchtbewegungen wären nur ein Vorbote dessen, was durch ein solches Vorhaben ausgelöst würde.

Zusammenfassend: Ohne westliche Unterstützung also kein „Islamischer Staat“?

Die Anfänge dieses terroristischen Gewaltakteurs reichen zurück in den Irak, wo nach der US-Invasion und dem Sturz Saddam Husseins ehemalige Führungskader und djihadistische Afghanistan-Kämpfer im US-Folterlager Camp Bucca zusammentrafen.
Glaubt man den oben erwähnten US-Dokumenten, erschien der IS der Obama-Administration als nützliches Werkzeug zum Sturz Assads. Nachdem der IS als Feind erkannt oder definiert wurde, scheinen jetzt ernsthafte Überlegungen im Gange, die mit der Nusra-Front verbündete Terror-Miliz Ahrar esh-Sham als verbündete US-Truppe aufzubauen.

Hinter vielen djihadistischen Gruppen steht nach wie vor Saudi-Arabien, dessen wahhabitischer Staats-Islam Grundlage der religiösen Interpretation der Djihadisten ist. Die von Saudi-Arabien patronierte „Rebellen-Koalition“ von dreißig Gewaltakteuren, die an den Genfer Verhandlungen teilnehmen sollen, sind hauptverantwortlich für den Stillstand der Verhandlungen in Genf.
Aber der Westen lässt Saudi-Arabien gewähren.

Die USA haben auch in der Türkei, in Jordanien und in Saudi-Arabien „gemäßigte“ islamistische Gruppen ausgebildet, die die Freie Syrische Armee, einen Zusammenschluss aus Deserteuren der Armee Assads und djihadistischer Gruppen, unterstützen sollten. Nachdem mehrere ausgebildete Gruppen samt ihren Waffen zu IS & Co. übergelaufen sind, wurde das Programm im letzten Jahr wohl weitgehend eingestellt. Waffenlieferungen, vor allem über die Türkei, liefen aber seit 2011. Ohne diese Unterstützung wäre der IS wohl nicht geworden, was er ist. Auch die Vermarktung von Öl und Antiquitäten lief wohl lange Zeit reibungslos.

Wenn Sie das Wechselspiel zwischen globalisiertem Terror, Religion und Profit in einem Satz zusammenfassen, dann lautet der?

Religion ist das Vehikel, Terror die Praxis, Profit ist das Ziel.

Wie begegnen wir diesem Phänomen am besten? Immer mehr Bomben und Krieg oder…?

Sicherlich nicht!

Wenn ernsthaft Frieden gewollt wäre, müssten die Waffenexporte in die Region sofort und vollkommen eingestellt werden, denn die Waffen sind auch wichtige Handelsgüter – wie sonst konnten die an kurdische Peschmerga im Nordirak gelieferten deutschen Milan-Raketen in die Hände des IS gelangen?

Es müsste endlich Artikel 2.7 der UN-Charta respektiert werden, der jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Landes verbietet.

Es müssten private militärische Unternehmen, die vor allem im Irak für Kriegsverbrechen verantwortlich sind, weltweit verboten werden und die Welt müsste Abschied nehmen von der neoliberalen Ordnung, die weltweit Elend und Perspektivlosigkeit produziert und Gewaltakteuren wie dem IS die soziale Basis für ihre Rekrutierung liefert.

Ich bedanke mich für das Gespräch.

Jochen

Obama fordert, Merkel liefert: Freihandel und Truppen

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Wer die lobhudelnde Hofberichtserstattung über den Obama-Besuch und das Herunterlügen der Teilnehmerzahlen an den TTIP-Demos verfolgt hat, den kann nichts weiter überraschen. Hier Auszüge aus 2 Artikeln aus der jungen Welt:

»Tornados« auf Dauer

http://www.jungewelt.de/2016/04-26/004.php

Obama verlangt in Grundsatzrede in Hannover mehr militärisches Engagement der Europäer, Angela Merkel liefert noch am selben Tag.

Von Arnold Schölzel

Die deutsche Luftwaffe soll langfristig auf dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik bleiben. »Wir haben die Absicht, dort Infrastrukturmaßnahmen durchzuführen«, erklärte ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums am Montag in Berlin. Er bestätigte einen Bericht des Internetportals Spiegel online. Geplant seien eigene Flugbetriebsflächen, Wartungseinrichtungen sowie Unterkünfte. Bislang erfolge die Stationierung teilweise »auf Zeltbasis«, was auf die Dauer unbefriedigend sei.

Laut Spiegel online sind für die Ausbaumaßnahmen knapp 65 Millionen Euro veranschlagt. Davon seien zehn Millionen für die Einrichtung eines deutschen Flugbereichs, 15 Millionen Euro für feste Unterkünfte für die Soldaten plus 4,5 Millionen Euro für ein Betreuungsgebäude vorgesehen, außerdem 34 Millionen Euro für einen voll ausgerüsteten Gefechtsstand. Die Aufträge sollten aufgrund türkischer Sicherheitsvorgaben an dortige Unternehmen vergeben werden.
Von Incirlik aus sind seit dem 8. Januar bis zu sechs deutsche Aufklärungsflugzeuge des Typs »Tornado« über Syrien und dem Irak im Einsatz – offiziell für den Kampf der US-geführten Koalition mit Saudi-Arabien und anderen Feudaldiktaturen gegen den »Islamischen Staat« (IS). Dazu kommt ein Airbus-Tankflugzeug.
Die Unterkünfte sollen laut Spiegel online für bis zu 400 Soldaten ausgelegt sein, etwa doppelt so viele, wie derzeit in Incirlik stationiert sind. Das Mandat hatte der Bundestag bis zum 31. Dezember 2016 befristet

Die Information über die verstärkte deutsche Kriegsbeteiligung wurde am Montag verbreitet, als US-Präsident Barack Obama in einer Grundsatzrede vor Studenten in Hannover erneut forderte, die europäischen NATO-Mitglieder sollten sich stärker im Pakt selbst und in den Krisengebieten der Welt engagieren. Er behauptete, »Europa« trage dazu bei, »dass die Normen und Regeln aufrechterhalten werden, mit denen Frieden geschaffen werden kann auf der ganzen Welt«.
Notwendig sei aber unter anderem, dass jedes NATO-Mitgliedsland »seinen vollen Beitrag von zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes« leiste. Dies sei nicht immer geschehen: »Ich muss ehrlich sagen, dass Europa manchmal etwas selbstgefällig war hinsichtlich der eigenen Verteidigung.« Vor allem forderte er mehr Unterstützung im Kampf gegen den IS und kündigte an, bis zu 250 zusätzliche US-Soldaten nach Syrien zu schicken. Bisher sind dort offiziell rund 50 Angehörige von US-Spezialeinheiten am Boden aktiv.

Am Montag nachmittag kam Obama in Hannover mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, dem britischen Premier David Cameron, Frankreichs Staatschef François Hollande und dem italienischen Regierungschef Matteo Renzi zusammen. Auch dabei stand ein stärkeres »militärisches Engagement« in Osteuropa, in Syrien und in Libyen auf der Tagesordnung.

Bereits am Sonnabend hatte die Zeitschrift Spiegel unter Berufung auf deutsche Regierungskreise berichtet, Washington dringe darauf, dass sich die Bundeswehr signifikant an der geplanten Stationierung von einander ablösenden NATO-Einheiten an der Ostgrenze des Paktes beteilige. Vor allem von Großbritannien und Deutschland verlangen die USA demnach Truppen und Kriegsgerät für die NATO-Präsenz in den baltischen Staaten, Polen und Rumänien.
Dies habe US-Präsident Barack Obama bereits in seinem Nationalen Sicherheitsrat angekündigt. Er kann sich auf Angela Merkel verlassen: Bei Truppenaufmarsch und Krieg macht sie mit.

Mein Kommentar dazu: Da können die rumänischen Mädchenhändler ihre Sklavinnen gleich den „Sturmtruppen“ vor Ort anbieten und müssen sie nicht nach Deutschland schaffen.
Der Kommentar dazu in der Jungen Welt:

Beste Freunde

Von Sevim Dagdelen

The times they are a-changin’ – als Barack Obama im Sommer 2008 nach Deutschland kam, jubelten dem »Yes, we can«-Kandidaten Zehntausende euphorisch an der Berliner Siegessäule zu. Die Bundeskanzlerin zeigte dem US-Präsidentenanwärter die kalte Schulter und verwehrte ihm einen Auftritt vor dem symbolträchtigeren Brandenburger Tor.
Nun, am Ende seiner zweiten Amtszeit, gehen in Deutschland Zehntausende gegen den Friedensnobelpreisträger aus Washington und seine willige Freihandelshelferin auf die Straße. Nie waren Obama und Merkel so unpopulär wie heute, dafür sehen sich die beiden als ziemlich beste Freunde.
Die USA und die ganze Welt brauchen »ein starkes, wohlhabendes und geeintes Europa«, säuselte Obama am Montag in Hannover. Die EU und die NATO müssten sich in den von Bürgerkriegen erschütterten Staaten Syrien und Irak stärker »engagieren« und endlich mehr Geld für die Aufrüstung ausgeben.

Obama lockt und lobt, Merkel liefert. Pünktlich zum Ruf nach »stärkerem Engagement« gibt die Bundesregierung erste Aufrüstungspläne bekannt.
Der auf ein Jahr begrenzte »Tornado«-Einsatz wird entfristet, die deutschen Soldaten bleiben auf unbestimmte Zeit für »out of area«-Flüge in der Türkei.
Die Merkel-Regierung lässt auf der NATO-Militärbasis Incirlik für Dutzende Millionen Euro einen eigenen Gefechtsstand der Bundeswehr bauen und handelt ein langfristiges Stationierungsabkommen aus – mit dem Despoten Recep Tayyip Erdogan, dessen Kriegspolitik gegen die Kurden Hunderttausende zu Flüchtlingen im eigenen Land macht.

Was schert das weiter in Hannover? Es war Washingtons »Engagement« im Irak, das die Terrorkreatur »Islamischer Staat« als Geißel der Menschheit geschaffen hat.
Es ist der »Stabilitätsanker« Saudi-Arabien, der die Kopf-ab-Krieger in Syrien stärkt und gegen Jemens Bevölkerung einen brutalen Luftkrieg führt.
Und nun ruft der Brandstifter seine Helfershelfer zum Löscheinsatz.
Und noch perverser: Obama erklärt die Opfer des westlichen »Engagements« selbstgefällig zu Helden, die sich wegen des Freiheitsversprechens durch die Wüste und über das Meer auf nach Europa machen, nicht etwa infolge der NATO-Kriegsverheerungen.
Die Regie in Hannover spielt dazu »Ein Hoch auf uns« ein, 400 handverlesene Studenten jubeln. Was aber sind die paar Claqueure gegen die 90.000, die am Wochenende gegen Obama und Merkel und deren Freihandelsprojekt TTIP demonstrierten?
Sevim Dagdelen ist Sprecherin für Internationale Beziehungen der Fraktion Die Linke im Bundestag und Mitglied des Auswärtigen Ausschusses

Jochen