Das nächste Jahrzehnt der NATO – Die Mobilmachung der Marine gegen Russland und China

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Auf https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8459/ und auf IMI-Online dazu folgende Artikel:

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NATO-Bericht macht Vorschläge zur Dämpfung bündnisinterner Konflikte und zur Stärkung der Allianz gegen Russland und China.

BERLIN/BRÜSSEL (Eigener Bericht) – Die NATO soll ihre innere Geschlossenheit stärken und sich mit neuen Schritten gegen Russland und China in Stellung bringen.
Dies fordert ein Bericht („NATO 2030“), den das Militärbündnis anlässlich seines gestern zu Ende gegangenen Außenministertreffens offiziell vorgelegt hat.
Demnach soll zukünftig ein Veto gegen unliebsame Bündnisbeschlüsse erschwert werden; zugleich müsse die Allianz die Kooperation mit Staaten an den Grenzen zu Russland und im regionalen Umfeld Chinas intensivieren.
Der Bericht war im vergangenen Dezember in Auftrag gegeben worden, um offen eskalierende Differenzen innerhalb der Allianz zu kitten, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zuvor in einer pointierten Formulierung („Hirntod der NATO“) angeprangert hatte.
Erstellt wurde er unter Leitung von Ex-Verteidigungsminister Thomas de Maizière und dem US-Diplomaten Wess Mitchell.
Der Bericht, der in die Erstellung eines neuen „Strategischen Konzepts“ münden soll, wird von Außenminister Heiko Maas lautstark gelobt, von Experten aber als „sicherheitspolitischer Bauchladen“ abgetan.

Der „Hirntod“ der NATO

Offizieller Auslöser für die Erstellung des Berichts, den die NATO-Außenminister auf ihrem Treffen in den vergangenen zwei Tagen diskutierten, war die Äußerung von Frankreichs Präsident Emmanuel Anfang November 2019, man erlebe gegenwärtig „den Hirntod der NATO“.[1]
Anlass für Macrons Äußerung wiederum war, dass kurz zuvor die Türkei nach Syrien einmarschiert war und die Vereinigten Staaten mitgeteilt hatten, ihre Truppen von dort abzuziehen.
Frankreich hatte, über beides nicht vorab in Kenntnis gesetzt, seine in Syrien operierenden Spezialkräfte überstürzt aus dem Land beordern müssen.
Dabei konnte das Vorgehen weder der USA noch der Türkei als Ausrutscher gewertet werden: Washington setzte unter Präsident Donald Trump zusehends auf Alleingänge; Ankara nutzt unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan sein gewachsenes ökonomisch-politisches Gewicht, um die eigene Expansion ohne besondere Rücksichtnahme auf die Allianz voranzutreiben.
Zwar werden die USA unter ihrem künftigen Präsidenten Joe Biden wohl wieder stärker auf Bündniskooperation setzen; doch kann mit Blick auf die tiefe Zerrissenheit des Landes nicht fest davon ausgegangen werden, dass dies auf Dauer, etwa nach der nächsten Wahl im Jahr 2024, auch so bleibt.

„Vereint für eine neue Ära“

Vor diesem Hintergrund hatte auf Initiative von Außenminister Heiko Maas der Londoner NATO-Gipfel Anfang Dezember 2019 beschlossen, einen „Reflexionsprozess“ zur Konsolidierung des Bündnisses zu starten. Zu diesem Zweck setzte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg im April eine „Reflexionsgruppe“ ein, die unter Vorsitz von Ex-Verteidigungsminister Thomas de Maizière und dem zuletzt im State Department für Europa zuständigen US-Diplomaten Wess Mitchell den jetzt vorgelegten Bericht „NATO 2030: Vereint für eine neue Ära“ erstellte.
In die zehnköpfige „Reflexionsgruppe“ eingebunden waren sämtliche relevanten Strömungen in der NATO. Explizit beteiligt waren der türkische Diplomat Tacan İldem und Frankreichs Ex-Außenminister Hubert Védrine.
Schwerpunktmäßig geht es darum, den politischen Zusammenhalt des zumindest partiell auseinanderdriftenden Militärbündnisses zu stärken, um mit größtmöglicher Geschlossenheit die Machtkämpfe gegen Russland und China führen zu können. Dazu bietet der aktuelle Bericht nicht nur Kernaussagen über vorgebliche „globale Bedrohungen“ der kommenden Jahre, sondern auch 138 konkrete Empfehlungen für die praktische Arbeit der Allianz.

Bedrohungsszenarien

„Bedrohungen“ diagnostiziert der Bericht der „Reflexionsgruppe“ rund um den Globus. Hatte die NATO in ihrem „Strategischen Konzept“ aus dem Jahr 2010 noch festgestellt: „Heute lebt der euro-atlantische Raum in Frieden“, so ist nun von einer „Rückkehr der Systemrivalität“ und von einem „Aufstieg globaler Bedrohungen“ die Rede.[2]
Russland etwa sei zwar „nach wirtschaftlichen und politischen Maßstäben eine absteigende Macht“; es habe sich aber als „fähig zu territorialer Aggression“ erwiesen und bleibe „im kommenden Jahrzehnt wahrscheinlich eine Hauptbedrohung“ für die Allianz.
China
hingegen, heißt es in dem Bericht, stelle „eine ganz andere Art von Herausforderung für die NATO“ dar: Es sei „gegenwärtig keine direkte militärische Bedrohung für die euro-atlantische Region“, habe aber dennoch „eine globale strategische Agenda“ und werde in den Jahren bis 2030 wohl „die Fähigkeit“ des Bündnisses herausfordern, „kollektive Resilienz herauszubilden“.

Die Formulierung ist unter anderem auf Chinas heftig attackierte Beteiligung am Aufbau von Infrastruktur wie den 5G-Netzen in Europa gemünzt.
„Terrorismus“ bleibe „eine der unmittelbarsten asymmetrischen Bedrohungen für die Allianz“, heißt es weiter; darüber hinaus bestünden „andere Bedrohungen und Herausforderungen“ im Süden fort – in einem riesigen Gebiet von Nordafrika über den Nahen und Mittleren Osten „bis nach Afghanistan“.

Gegen Russland, gegen China

Die konkreten Empfehlungen des Berichts für die praktischen Aktivitäten der NATO haben eine doppelte Dimension: Zum einen sollen sie die zunehmenden Differenzen innerhalb des Bündnisses wenigstens dämpfen; zum anderen zielen sie auf eine strategische Stärkung der Allianz vor allem gegen Russland und China.
So heißt es, „im Norden“ solle die „Partnerschaft“ mit Schweden und Finnland fortgesetzt und intensiviert werden. Faktisch werden beide Länder schon längst als informelle Mitglieder behandelt und sind bei zahlreichen NATO-Treffen vertreten, so zum Beispiel gestern beim Außenministertreffen.
„Im Osten“ müssten „die Partnerschaften mit der Ukraine und Georgien gestärkt“ werden, heißt es weiter; beide Länder fungieren seit Jahren als vorgeschobene Verbündete unmittelbar an den russischen Grenzen.
Mit Blick auf Asien plädiert der Bericht schließlich dafür, „Konsultation und Kooperation mit indo-pazifischen Partnern zu vertiefen“ – mit Australien, Neuseeland, Japan und Südkorea. Die vier Länder zählen bereits zu den „globalen Partnern“ des Kriegsbündnisses; man könne die schon bestehende Zusammenarbeit im „NATO+4-Format“ ausbauen, heißt es.
Als weitere Option nennt der Bericht eine Kooperation mit dem Quad („Quadrilateral Security Dialogue“), einem lockeren Bündnis der USA, Australiens, Japans und Indiens, das sich gegen China richtet – auch militärisch.[3]

Konfliktpotenziale

Mit Blick auf den inneren Bündniszusammenhalt heißt es in den Empfehlungen des Berichts, „die transatlantische Konsultation“ müsse „auf systematische, glaubwürdige und kraftvolle Art und Weise gestärkt werden“. Dazu sollten die Absprachen der Außenminister intensiviert und generell mehr Ministertreffen abgehalten werden.
Zu erwägen sei darüber hinaus, die Stellung des NATO-Generalsekretärs weiter aufzuwerten.
Zudem sollen Blockaden erschwert werden; so haben jüngst Ungarn die Bündniskooperation mit der Ukraine und die Türkei diejenige mit Österreich systematisch torpediert, weil sie auf nationaler Ebene mit den Ländern im Streit liegen. Lege ein Staat – wie in den erwähnten Fällen Ungarn und die Türkei – sein Veto ein, dann müsse dies „auf Ministerebene geschehen, nicht in Gremien“, fordert de Maizière: „Das erhöht den politischen Preis.“[4]
Allerdings erhöht es zugleich die politischen Kosten, wenn Konflikte in Zukunft nicht mehr in Gremien, sondern von den Ministern und damit näher am Blick der Öffentlichkeit ausgetragen werden. Zudem soll in Zukunft, teilt de Maizière mit, „eine Gruppe von Staaten unter dem Dach der Nato“ enger zusammenarbeiten können.
Das eröffnet neue Optionen, schafft aber zugleich neues Konflikt- und Spaltungspotenzial.

„Der übliche sicherheitspolitische Bauchladen“

Erstaunliche Differenzen zeigen sich bei der Beurteilung des Berichts. Außenminister Heiko Maas lobt ausdrücklich, die „Empfehlungen“ des Papiers hätten „Substanz“ und seien „sehr ausgewogen“: „Wir danken der Gruppe für ihre ausgezeichnete Arbeit“.[5]
Ganz anders stuft Patrick Keller, Vizepräsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), das Dokument ein. „Das Beste an diesem Impulspapier ist, dass es keine Überraschungen enthält“, urteilt Keller: Es mangele nicht nur „an echten Innovationen“; auch lasse „der traditionsbewusste Fokus auf Landes- und Bündnisverteidigung“ die „anderen Kernaufgaben des Krisenmanagements und der Partnerschaften arg blass aussehen“.[6]
„Wirklich neue Ideen“ etwa zur „Partnerschaft“ mit nahestehenden Staaten im asiatischen Umfeld Chinas suche man „leider vergeblich“. „Gut die Hälfte des Papiers“ gerate darüber hinaus lediglich „zum üblichen sicherheitspolitischen Bauchladen„.

[1] Emmanuel Macron warns Europe: NATO is becoming brain-dead. economist.com 07.11.2019.

[2] Zitate hier und im Folgenden: NATO 2030: United for a New Era. 25 November 2020.

[3] S. dazu Deutschland im Indo-Pazifik (IV).

[4] „Russland fordert uns heraus“. Frankfurter Allgemeine Zeitung 02.12.2020.

[5] Gemeinsame Erklärung der Außenminister Frankreichs und Deutschlands zum NATO-Reflexionsprozess. Berlin, 01.12.2020.

[6] Patrick Keller: Denkanstöße für die NATO 2030: Zum aktuellen Reflexionspapier. baks.bund.de.

Dazu auch: http://www.imi-online.de/2020/04/14/auf-kurs-in-die-grossmachtkonkurrenz/

Die Mobilmachung der Marine gegen Russland und China

Logovon: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 14. April 2020

 

stern

Bereits vor einiger Zeit untermauerte die heutige EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen noch in ihrer Zeit alsdeutsche Verteidigungsministerin: „Als politische Allianz [die NATO] fordert uns das herausstechende Merkmal der neuen Sicherheitslage: Die Wiederkehr der Konkurrenz großer Mächte. Unsere amerikanischen Freunde haben das früh erkannt. Wir erkennen es inzwischen auch und wir sehen: Ob wir wollen oder nicht, Deutschland und Europa sind Teil dieses Konkurrenzkampfs. Wir sind nicht neutral. Wir stehen auf der Seite der Freiheit und der Menschenwürde. Wir stehen auf der Seite der Demokratie und der Herrschaft des Rechts. Dafür steht die NATO seit 70 Jahren. Die NATO bietet Verlässlichkeit in einer unberechenbaren Welt.“

Spätestens mit der Veröffentlichung der „Konzeption der Bundeswehr“ im Juli 2018 wurde tatsächlich eine Schwerpunktverlagerung weg von sog. „Stabilisierungseinsätzen“, wie etwa der NATO-Krieg in Afghanistan beschönigend genannt wird, hin zu Großmachtkonflikten eingeleitet.
Heruntergebrochen auf die Teilstreitkräfte wirkt sich dieser neue Fokus nicht zuletzt auch auf die Marine aus, die seit einiger Zeit damit begonnen hat, diverse Rüstungsmaßnahmen mit Blick auf Russland in die Wege zu leiten.
Und auch was China anbelangt, setzten bereits im Sommer 2019 erste Debatten ein, Deutschland solle sich mit Kriegsschiffen in der indopazifischen Region an Maßnahmen zur Eindämmung des aufsteigenden Rivalen beteiligen.
In diesem Zusammenhang könnte sich die am 12. März 2020 erfolgte Ankündigung, mit der Fregatte Hamburg ein deutsches Kriegsschiff in die indopazifische Region zu entsenden, als Schritt über den Rubikon erweisen.

Kramp-KarrenbauerWohl nicht zufällig am selben Tage begründete Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in einer Rede bei der Deutschen Maritimen Akademie mit den Worten: „Die Aufgaben unserer Marine gehen über die Landes- und Bündnisverteidigung hinaus. Denn Seewege sind Lebensadern. Und so ist die Freiheit der Seewege für Deutschland und unseren Wohlstand von großer strategischer Bedeutung. […] Es wird deutlich: Wir haben ein vitales Interesse an verlässlichen Regeln, an der liberalen internationalen Ordnung. Und die wird auch zu Wasser verteidigt. Viel genutzte strategische Engpässe, wie die Straßen von Hormus und Malakka, sind besonders bedeutsam und in hohem Maße von Regionalkonflikten bedroht, aber auch von Terrorismus und Piraterie. […] In der zweiten Jahreshälfte, während Deutschlands EU-Ratspräsidentschaft, wollen wir außerdem eine Fregatte in den Indischen Ozean entsenden. Als wichtiges Zeichen: Auch in diesem Teil der Welt haben wir Interessen, auch dort setzen wir uns für internationales Recht ein, auch dort stehen wir unseren Partnern zur Seite.“

Rüstung für die Großmachtkonkurrenz

Ein weiterer Akteur, der aktuell lautstark das Lied von der neuen Großmachtkonkurrenz singt, ist Joachim Krause, der Leiter des „Instituts für Sicherheitspolitik Kiel“ (ISPK).
Auch aus seiner Sicht tritt die Welt in „eine Phase“, in der „strategische Rivalität und Konfrontation an der Tagesordnung“ wären: „Die Schauplätze dieser strategischen Konfrontationen befinden sich in unterschiedlichen Regionen. In Ostasien verhält sich China immer anmaßender und aggressiver gegenüber seinen Nachbarn. Russland bedroht die Ukraine und die baltischen Staaten.“

Das ISPK ist die aktuell wohl einflussreichste Denkfabrik für maritime Fragen außerhalb der Bundeswehr (aber mit beträchtlichen Sympathien für die Truppe ausgestattet).
Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass es sich der Frage widmet, was die Hinwendung zur Großmachtkonkurrenz denn für Strategie und Bewaffnung der Marine konkret bedeutet.
Deshalb kommt ein anderer Beitrag aus dem gut vernetzten ISPK-Stall zu dem Ergebnis, zuallerst müsse die Re-Fokussierung auf Russland und China auch mit den entsprechenden Ressourcen unterfüttert werden: „Im Zuge dieses ersten Paradigmenwechsels der NATO, der Multilateralismus, kooperative Sicherheit und Konfliktbewältigung voranstellte, wurden die Marinen zunehmend in sogenannten out-of-area-Operationen fernab der Heimat eingesetzt. Die Zeit zwischen dem Zerfall der UdSSR und dem Aufbrechen erneuter strategischer Rivalität war von einem steten, teils rasanten, Wandel fast aller europäischen Marinen gekennzeichnet. Vielerorts wurden die Fähigkeiten vernachlässigt, in hochintensiven Szenarien gegen bestens ausgerüstete gegnerische Einheiten zu bestehen. Vor dem Hintergrund einer veränderten Bedrohungslage und einem zunehmend breiteren Verständnis des Sicherheitsbegriffs wurden Seestreitkräfte vermehrt im Rahmen von Stabilisierungseinsätzen, Anti-Terror-Operationen und zur Aufrechterhaltung einer guten Ordnung zur See eingesetzt. Anstatt feindliche U-Boote nördlich des Polarkreises zu jagen, verfolgten die Kriegsschiffe unter NATO- und EU-Mandaten nun Piraten vor dem Horn von Afrika. […] Die Vereinigten Staaten und ihre transatlantischen Partner in Europa sind derzeit darum bemüht, ihre Strategien an die (wieder) wahrgenommene Gefahr ‚klassischer‘ Konflikte anzupassen. Die Maßnahmen reichen von Investitionen in Forschung und Entwicklung von high-end-Technologien bis zur Erhöhung sichtbarer wie glaubwürdiger Präsenz und der Stärkung territorialer Verteidigungsfähigkeiten.“

Der neue Fokus auf die „Landes-/Bündnisverteidigung“ (LV/BV) – sprich: die Vorbereitung auf Großmachtkonflikte – wird aktuell von allen Teilstreitkräften bemüht, um um mehr Ressourcen zu werben.
Für die Marine tat dies unlängst auch ihr Chef, Inspekteur Andreas Krause: „Die Deutsche Marine leistet einen einzigartigen und unverzichtbaren Beitrag zur Sicherung der freien Seewege und ist ein wesentlicher Garant unseres Wohlstands. Neben dem Schutz der Seehandelswege und dem internationalen Krisenmanagement erfährt zudem die Landes- und Bündnisverteidigung seit 2014 wieder eine gleichrangige Bedeutung. Diese größte Aufgabenvielfalt ihrer Geschichte erfüllt die Marine mit der kleinsten Flotte seit ihrer Gründung – derzeit 46 Einheiten. Es ist daher von Bedeutung, dass wir die eingeleitete Modernisierung und den Aufwuchs der Marine weiter konsequent und mit vollem Einsatz verfolgen, um das breiter gewordene Aufgabenspektrum im vollen Umfang erfüllen zu können.“

Maritime Russland-Prioritäten

Seit Jahren baut die Marine ihre Präsenz aus, wobei ein Schwerpunkt aufgrund der Konflikte mit Russland die „Nasse Nordflanke“ darstellt, wie sie im Marinejargon genannt wird.
Die Bundeswehr müsse für „Randmeerkriege“ gerüstet sein, hieß es bereits in der Konzeption der Bundeswehr vom Juli 2018: „[Die] Befähigung zur Randmeerkriegführung […] bleibt unverändertes Ziel für die Ausgestaltung der deutschen SeeSK [Seestreitkräfte]. Im Rahmen der LV/BV spielen dabei der Nordflankenraum der NATO und die Ostsee […] zunehmend eine wichtige Rolle.“

In ihrer bereits eingangs zitierten Rede über Deutschlands maritimen Interessen vom 12. März 2020 fokussierte sich Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer zunächst einmal auf den geographisch näherliegenden neuen Großmachtkonkurrenten: „Blicken wir zunächst auf die Landes- und Bündnisverteidigung.
Da ist klar, dass Russland unsere zentrale militärische Herausforderung bleibt. Das betrifft gleich drei maritime Räume:

Erstens die Ostsee. Sie ist eine wichtige Nachschubroute ins Baltikum. Und was oft vergessen wird: Unter den NATO/EU-Anrainern der Ostsee hat Deutschland die größte Marine. Daraus erwächst uns eine besondere Verantwortung zu führen und zu koordinieren. Das tun wir auch schon, zum Beispiel mit unserer Initiative zur Baltic Commanders Conference.

Der zweite maritime Raum ist der Nordatlantik. Hier beschäftigt mich vor allem die GIUK-Lücke, die gedachte Linie zwischen Grönland, Island und Großbritannien. Ihr kommt hohe strategische Bedeutung zu, da sie über den Zugang zu den nordatlantischen Versorgungslinien entscheidet. Hier geht es um die Verbindung zwischen Nordamerika – also unseren Verbündeten USA und Kanada – und Europa. Deswegen brauchen wir an dieser Stelle mehr Präsenz und Wirkmöglichkeit. Denn, was vielen nicht bewusst ist: Hier geht es auch um den Schutz der Tiefseekabel zwischen Europa und Amerika, die für die digitale Kommunikation und die digitale Wirtschaft enorm wichtig sind.

Und zum Dritten – oft vernachlässigt – das Schwarze Meer. Ein maritimer Raum, in den Russland verstärkt wirkt, wo Russland Druck ausübt. Deshalb ist es wichtig, dass wir unsere NATO- und EU-Partner in der Region stärken.“

Marinekommando und Rüstungsvorhaben

Insbesondere mit Blick auf die Ostsee wurde bereits 2018 die Einrichtung eines NATO-Marinekommandos („Baltic Maritime Component Command“, BMCC) in Rostock beschlossen, das sich augenblicklich im Aufbau befindet. Es soll laut einer Pressemitteilung der Marine in diesem Zusammenhang künftig eine zentrale Rolle spielen: „Das BMCC kann der NATO dabei als maritimes Führungskommando für Operationen in der Ostsee und an der Nordflanke des Bündnisses, aber auch in anderen Regionen, zum Zwecke der Landes- und Bündnisverteidigung zur Verfügung gestellt werden.“

Vor allem sei es erforderlich, für die „Baltischen Staaten“, falls nötig, eine „Nachversorgung über die Ostsee“ sicherzustellen, heißt es in einer weiteren Bundeswehr-Presseerklärung: „Die Ostsee verlängert die Nordflanke bis zu unseren östlichen NATO-Partnern Estland, Lettland, Litauen und Polen. Sie fungiert als nasse Flanke, über die Nachschub organisiert werden muss. Es ist deswegen essentiell, dass die Seeverbindungen nach Osten offenbleiben. Vor dem Hintergrund der seit 2014 signifikant veränderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen verstärken wir gemeinsam mit unseren Alliierten und Partnern die Präsenz sowie die Manövertätigkeit in der Ostsee, um zu zeigen, dass jeder im Rahmen der geltenden Vereinbarungen und Regelungen die Hohe See nutzen darf – auch in der Ostsee und ganz gleich vor wessen Küste (außerhalb der territorialen Gewässer). Letztlich dient dies der Vorbereitung auf die Landes- und Bündnisverteidigung und setzt ein Zeichen der Solidarität gegenüber unseren östlichen Verbündeten.“

In diesem Zusammenhang ist auch der Beschluss zum Ankauf fünf weiterer Korvetten der Klasse K130 zu sehen, die bis 2022 beschafft sein sollen.
Aufgrund ihrer kleinen und wendigen Bauart sind sie „bestens“ für besagte „Randmeerkriege“, wie der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Andreas Krause, angab, der erklärte, sie würden es künftig ermöglichen, sich „stärker um den vernachlässigten Raum der Nordflanke zu kümmern.“
Und auch ein Level darüber, bei den Fregatten, gerät Russland wieder zunehmend ins Rüstungsvisier: Während die bisherige Fregattenklasse 125 vor allem auch als Unterstützung für Militäreinsätze im Globalen Süden „nützlich“ sein sollte, soll die künftige Generation wieder primär Großmächte und hier vor allem Russland ins Visier nehmen.
In der Februar-Ausgabe des Marineforums erläutert Fregattenkapitän Andreas Uhl, Bevollmächtigter Vertreter F 127 im Marinekommando Rostock in der Abteilung Planung, das Anforderungsprofil an die nächste Fregattenklasse – einer „Next Generation Fregate“, die er als „Rückgrat der Flotte zur Mitte dieses Jahrhunderts“ bezeichnet: „Die Klasse 125 wurde zu Beginn des Jahrhunderts als Stabilisierungseinheit […] konzipiert. Die Grundidee für F 127 basiert dagegen auf der Wiederausrichtung der Bundeswehr auf die Landes- und Bündnisverteidigung und repräsentiert den dazugehörigen maritimen Anteil.“

Doch wie eingangs bereits angedeutet, nicht nur Russland, auch eine weitere Großmacht rückt mittlerweile in den Fokus der Marine.

China: Zwischen Rivalität, Neid und Bewunderung

In Ostasien spielt zunehmend die macht- und geopolitische Musik: Der Schwerpunkt der Weltwirtschaft verlagert sich zusehends dorthin und die etablierten Westmächte geraten dabei zunehmend in Konflikt mit dem aufstrebenden China, das eingedämmt werden soll.
Schon länger streben deshalb die USA, Großbritannien und Frankreich eine Ausweitung ihrer dortigen maritimen Militärpräsenz an, während Deutschland sich zumindest in dieser Region lange militärisch ziemlich bedeckt hielt. Doch spätestens ab Sommer letzten Jahres drehte sich der Wind, nachdem die Rufe nach der Entsendung deutscher Kriegsschiffe immer lauter wurden.

Im November 2019 veröffentlichte das Marinekommando seinen Jahresbericht „Fakten und Zahlen zur maritimen Abhängigkeit der Bundesrepublik Deutschland 2019“.
Mit einer Mischung aus Neid, Bewunderung und Rivalität beschreibt der Bericht, die chinesische Marine verfüge heute „über mehr als 300 Kriegsschiffe, während die Zahl der US-Schiffe mit weltweiten Einsatzaufgaben in den letzten Jahren zwischen 270 und 290 lag.“
Damit sei China eine „außergewöhnliche Transformation“ gelungen, es sei in der modernen Geschichte das einzige „Beispiel dafür, wie eine Landmacht zu einer hybriden Land- und Seemacht wird.“

Äußerst kritisch werden in dem Bericht die chinesischen Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer und die seit einiger Zeit gemeinsam mit Russland abgehaltenen Militärmanöver in der Region beschrieben.
Interessant ist dabei aber die Einschätzung, dass die chinesischen Aktivitäten vor allem wirtschafts- bzw. handelspolitisch motiviert seien: „Moskau und Peking nutzen die gemeinsamen Marineübungen, um geopolitische Signale zu setzen. Vorrangig will China seine Seewege sichern, weil seine kommerziellen Interessen weltweit zunehmen. Über 90 % des globalen Ferngüterhandels werden über den Seeweg abgewickelt, zudem ist China der weltweit größte Rohölimporteur.“

Was der Jahresbericht hier aber für China kritisiert, ist so ziemlich genau das, was einige Seiten weiter vorne für Deutschland in Anspruch genommen wurde: „Mehr als 90 % der weltweit gehandelten Güter werden über den Seeweg transportiert, der maritime Weltmarkt steigt jedes Jahr um fast 5 %. […] Als eine der führenden Exportnationen und als Hochtechnologiestandort ist Deutschland auf die freie und ungehinderte Nutzung der See angewiesen.“

Schritt für Schritt gen Osten

Seit Jahren schiebt die deutsche Marine ihre Präsenz Schritt für Schritt in Richtung Osten.
Den Anfang machte der EU-Einsatz ATALANTA am Horn von Afrika, an dem sich die Marine seit seinem Beginn im Jahr 2008 beteiligt.
Der Einsatz vor der Küste Somalias zielt auf die Kontrolle des Golfs von Aden ab, eines der weltweit wichtigsten Nadelöhre der Handels- und Tankerschifffahrt.
Aus diesem Grund wird ATALANTA seither nahezu routinemäßig weiter verlängert, wodurch sich eine Art militärischer Dauerpräsenz zur Absicherung dieses zentralen Handelsweges ergibt.

Seither wird immer wieder gefordert, die Fühler weiter nach Osten auszustrecken. Eine zentrale Figur ist hier unter anderem Carlo Masala, Professor an der Bundeswehr-Universität in München.
Bereits 2015 schrieb er in einem Papier für die Konrad-Adenauer-Stiftung:

„Nach dem Mittelmeer in Antike und Mittelalter und dem Atlantik in der Neuzeit, gilt der indische Ozean als das wichtigste Weltmeer des 21. Jahrhunderts. Die Bedeutung des Indischen Ozeans leitet sich von seinen engen Zufahrtswegen und seiner Rolle als Transitozean der Weltwirtschaft ab. Mit dem Golf von Aden, dem Bab el-Mandeb, dem Suez-Kanal, der Straße von Hormuz, der Straße von Malakka, der Sundastraße und der Straße von Lombok befinden sich die global wichtigsten maritimen Nadelöhre in dieser Region. […] Deutschlands Wohlstand hängt vom freien, internationalen Seehandel und vom ungehinderten Zugang zu den Rohstoffmärkten ab. Die Gewährleistung maritimer Sicherheit im Indischen Ozean ist daher essentielles Interesse Deutschlands. Berlin muss sich – viel stärker als bisher – in der Region engagieren.“

Weiter führte Masala aus, es gehe zwar darum, sich auf ganz verschiedene Arten einzubringen, ein „militärisches Engagement“ solle dabei aber auch „nicht ausgeschlossen werden.“

Masala war dann auch ein wichtiger Akteur, als im Sommer des vergangenen Jahres die Debatte um eine Entsendung deutscher Kriegsschiffe an den Persischen Golf Fahrt aufnahm.
Mit einem Handelsblatt-Artikel, der provokativ mit „Kein Blut für Öl?“ betitelt war, sowie mit einem in viel diskutierten Optionspapier, wie eine deutsche Militärpräsenz am Golf konkret aussehen könnte, brachte sich der Bundeswehr-Professor hier mit dementsprechenden Forderungen ein.
Die Debatte mündete bislang zwar (noch) nicht in eine konkrete deutsche Militärpräsenz am Golf, sie führte aber unter anderem zum Beschluss der „Europäischen Marine-Überwachungsmission in der Meerenge von Hormus“ („European Maritime Awareness in the Strait of Hormuz“, EMASOH) im Januar 2020.
In ihrem Rahmen entsenden nun Frankreich, Dänemark und die Niederlanden Kriegsschiffe in die Region und werden dabei von fünf weiteren europäischen Ländern, darunter auch Deutschland, politisch unterstützt (siehe Telepolis 21. Januar 2020).

Auf Kurs nach Ostasien?

Ungefähr um dieselbe Zeit, wie die Debatte um deutsche Kriegsschiffe am Persischen Golf losgetreten wurde, tauchten auch erste Berichte auf, im Verteidigungsministerium werde darüber nachgedacht, sich mit eigenen Kriegsschiffen an Manövern für die Freiheit der Schifffahrt („Freedom of Navigation Operations“, FONOPS) in Ostasien zu beteiligen. Dabei geht es darum, etwaige chinesische Ansprüche auf die Kontrolle von Schifffahrtswegen zu konterkarieren bzw. ihnen mit einer eigenen Präsenz zur Kontrolle der besagten Nadelöhre entgegenzutreten.
Zwar sind hier derzeit westlicherseits primär die USA (und in etwas abgeschwächter Form Großbritannien und Frankreich) aktiv, doch aus den Reihen des sicherheitspolitischen Establishments wurde zu diesem Zeitpunkt vermehrt nach einer deutschen Beteiligung gerufen, um die Verbündeten in ihren Bestrebungen zur Eindämmung Chinas zu unterstützen und damit gleich auch als eine Art Kollateralnutzen das eigene militär- und machtpolitische Profil zu stärken (siehe Telepolis, 17. Juni 2019).

Der nächste sicherheitspolitische Meilenstein für eine deutsche Militärpräsenz in Ostasien war dann die Grundsatzrede von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer Anfang November 2019, in der sie ganz generell forderte, Deutschland müsse (noch) mehr militärische „Verantwortung“ übernehmen. Ganz konkret äußerte sie sich aber mit Blick auf Ostasien:

„Unsere Partner im Indo-Pazifischen Raum – allen voran Australien, Japan und Südkorea, aber auch Indien – fühlen sich von Chinas Machtanspruch zunehmend bedrängt. Sie wünschen sich ein klares Zeichen der Solidarität. Für geltendes internationales Recht, für unversehrtes Territorium, für freie Schifffahrt. Es ist an der Zeit, dass Deutschland auch ein solches Zeichen setzt, indem wir mit unseren Verbündeten Präsenz in der Region zeigen. Weil wir ein Interesse daran haben, dass bestehendes Recht respektiert wird. Und weil wir nur dann auf die Solidarität anderer zählen können, wenn wir selbst solidarisch sind.“

Ungeachtet der Tatsache, dass „bestehendes Recht“ keineswegs respektiert wird, wenn es westlichen Interessen zuwiderläuft (siehe Telepolis, 26. Februar 2019), ist entscheidend, dass diesen Worten nun anscheinend Taten folgen sollen.

Fregatte für das Mare Nostrum

Am 12. März 2020 wurden dann die Früchte der seit Monaten geführten Debatte geerntet, indem die Marine in einer Pressemitteilung Vollzug meldete: Ab 7. Mai 2020 werde sich die Fregatte „Hamburg“ auf eine fünfmonatige Reise „um den halben Globus“ in Richtung Indopazifik begeben: „Diese umfasst insbesondere die Teilnahme am Indian Ocean Naval Symposium (IONS unter französischer Führung) in Réunion Ende Juni. […] Nach der Teilnahme am IONS fügt sich die Fregatte in das Deutsch-Französische Manöver DEFRAM ein. Dort wird die Zusammenarbeit mit der französischen Marine trainiert bzw. gefestigt. Nach Beendigung des Verbandes macht sich die ‚Hamburg‘ auf den Weg Richtung Australien und wird voraussichtlich von dort aus verschiedene Häfen im Indischen Ozean besuchen. Neben den Hafenbesuchen sind jeweils Übungsabschnitte mit den Marinen der jeweiligen Gastländer geplant.“

Damit schließt sich der Kreis: Bereits in seinerJährlichen Weisung Marine 2020griff der Marineinspekteur Andreas Krause Anfang des Jahres nicht nur explizit die bereits erwähnte Grundsatzrede von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer auf, sondern wertete die darin artikulierte Forderung, deutsche Interessen künftig „besser“ zu „schützen“, gleich auch als Auftrag, der nicht zuletzt den Indopazifik einschließe:

„‘Ein Land unserer Größe und unserer wirtschaftlichen und technologischen Kraft, ein Land unserer geostrategischen Lage und mit unseren globalen Interessen, das kann nicht einfach nur am Rande stehen und zuschauen.‘ Mit diesen Worten hat die Bundesministerin der Verteidigung die Situation in Deutschland in ihrer Grundsatzrede im November 2019 beschrieben. Wenngleich diese Aussage die gesamte Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik adressiert und die Notwendigkeit für ein stärkeres Engagement unseres Landes formuliert, so bestimmt sie auch den Kurs der Deutschen Marine. […] Als führende Handelsnation ist Deutschland auf freie und sichere Seewege angewiesen, um den Wohlstand unseres Landes zu gewährleisten. Daraus erwächst für die Deutsche Marine die Aufgabe, diese für unser Land so wichtigen Routen bereits in Friedenszeiten zu schützen. wenngleich Atlantik und Mittelmeer sowie Nord- und Ostsee nichts von ihrer strategischen Relevanz eingebüßt haben – das neue ,Mare Nostrum‘ der Welt ist der Indische Ozean. 35 Prozent aller Exporte der EU durchqueren diesen Ozean auf ihrem Weg Richtung Ostasien, Tendenz steigend. Insgesamt passieren heute 50 Prozent des weltweiten Containerverkehrs und 70 Prozent des weltweiten Handels mit Öl die Seewege des Indischen Ozeans.“

Mit ihrer bereits mehrfach zitierten Rede vom 12. März betätigte Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer einmal mehr den Indo-Pazifik-Kurs der Marine, der durch die von ihr explizit begrüßte und zeitgleich verkündete Entsendung der Fregatte Hamburg in die Region untermauert werden soll, sofern die Corona-Krise hier nicht noch einen Strich durch die Marinerechnung machen sollte.

Weiter dazu https://www.imi-online.de/2020/09/01/indopazifik-nato/

und https://www.imi-online.de/2020/07/13/nato-china-ausrichtung/

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.
Jochen

Kriegskonsens herstellen – Deutschlands modernes Strategieverständnis

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Die folgende zweiteilige Arbeit fasst noch einmal zusammen, was so geplant wird.
Angesichts der fortgeschrittenen Vorbereitungen auf einen atomaren Erstschlag gegen Russland, inklusive der Stationierung von atomar zu bewaffnenden Kampfdrohnen auf Stützpunkten um Russland herum, kann man da langsam Angst kriegen. Deutlich wird aber, dass aus der vorauseilenden beflissenheit der deutschen Rüstungspolitik langsam eine Konkurrenz zur USA erwächst, die nach dem Motto „Jetzt erst recht!“ um so eher bereit ist, die Schockstrategie eigenständig anzuwenden. Deutschland soll dabei eine Fphrungsrolle übernehmen – Schluss ist mit der noch von Außenminister Westerwelle vertretenen Zurückhaltung.
Von deutschem Boden darf wieder Krieg ausgehen. In diesem Zusammenhang auch noch in den nächsten Tagen einige Analysen.
Aber erst mal hier – die Literaturangaben sind auch erhellend:
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59141

Modernes Strategieverständnis

Teil 1

Das Bundesverteidigungsministerium bindet zahlreiche zivile Experten in die Erarbeitung seines neuen Weißbuchs zur Zukunft der deutschen Streitkräfte ein. Entsprechende beratende „Arbeitsgruppen“ sind vorrangig mit führenden Vertretern aus Wissenschaft, Think-Tanks, Lobbyorganisationen der Rüstungsindustrie, Politik und Medien besetzt.

Begründet wird dies mit dem Konzept der „vernetzten Sicherheit“, das nicht mehr zwischen innen- und außenpolitischen „Bedrohungen“ unterscheidet, sondern einen „gesamtstaatlichen Ansatz“ bei Militäroperationen vorsieht.

Erklärtes Ziel ist es daher, die „Kooperation“ zwischen Ministerien, Behörden und Nicht-Regierungsorganisationen entscheidend zu „verbessern“ – ein Vorhaben, das den beauftragten Experten zufolge etwa während des Interventionskrieges in Afghanistan „nicht konsequent genug umgesetzt wurde“.

Darüber hinaus soll die Einbindung ziviler Spezialisten dazu beitragen, die deutsche Bevölkerung für ein forciertes „Krisenmanagement jenseits des Bündnisgebietes“ der NATO zu gewinnen.

Ergebnis müsse ein „großer Konsens“ über die zukünftigen weltpolitischen Aufgaben der Bundeswehr sein, heißt es.

Externe Expertise

Wie das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) vor einiger Zeit mitgeteilt hat, will es bis Mitte kommenden Jahres ein neues „Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr“ erstellen.
Dabei soll nach eigenem Bekunden auf ein „Maximum an Expertenwissen und externer Expertise“ zurückgegriffen werden; in den Arbeitsprozess eingebunden sind folgerichtig nicht nur Militärs, sondern auch führende Vertreter aus Wissenschaft, Think-Tanks, Lobbyorganisationen der Rüstungsindustrie, Politik und Medien.
Dem BMVg zufolge hat es eine solche „Interaktion“ in der Geschichte der Weißbücher zwar „noch nicht gegeben“ [1], jedoch entspreche die Beteiligung ziviler Spezialisten an der Erarbeitung militärpolitischer Grundlagendokumente einem „modernen Strategieverständnis“ [2].

Das „sicherheitspolitische Umfeld“

Bereits am 17. Februar erklärte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) bei einer programmatischen Rede in Berlin, eine Neudefinition der deutschen Militärpolitik sei „überfällig“.
Ihrer Ansicht nach hat sich das „sicherheitspolitische Umfeld“ Deutschlands seit dem Erscheinen des letzten Weißbuchs 2006 „ganz wesentlich verändert“, weshalb man nun zu „konkreten Richtungsentscheidungen“ kommen müsse.
Wie die Ministerin mit Blick auf die Bürgerkriege in der Ukraine, im Irak und in Afghanistan sowie auf die Kämpfe in Mali ausführte, gelte dabei grundsätzlich, sich nicht auf ein „starres Handlungsmuster“ festlegen zu lassen, „das unseren Interessen unverrückbare geographische oder qualitative Grenzen setzt“.
Die Übernahme weltpolitischer „Verantwortung“ beinhaltet für Deutschland laut von der Leyen stets, sich alle Optionen offen zu halten: Neben dem Einsatz diplomatischer und entwicklungspolitischer Mittel könne dies in „fragilen Regionen“ auch bedeuten, dem Westen gefügige Armeen „zu ertüchtigen, auszubilden und aufzubauen“ oder mit eigenen Truppen „zu kämpfen“ und „Frieden zu erzwingen“.[3]

Vernetzter Ansatz

Folgerichtig sprach sich von der Leyen in ihrer Rede für die Weiterentwicklung des „vernetzten Ansatz(es)“ der deutschen Militärpolitik aus.[4]
Dieser unterscheidet nicht mehr zwischen innen- und außenpolitischen „Bedrohungen“, sondern favorisiert „gesamtstaatliche“ Strategien, die militärische, polizeiliche und geheimdienstliche Operationen ebenso beinhalten wie diplomatische und entwicklungspolitische Maßnahmen.
Zum Paradigma der „vernetzten Sicherheit“ bekennen sich auch die von der Ministerin zwecks Erstellung des neuen Weißbuchs in insgesamt vier „Arbeitsgruppen“ organisierten Experten. So forderte etwa das Gremium, das den „nationalen Handlungsrahmen“ der deutschen Militärpolitik untersucht, bereits kurz nach seiner Konstituierung „gemeinsame Lagebewertungen, Fortschrittskontrollen und Evaluierungen“ sowie „eng verflochtene Ausbildungen“ aller relevanten Ressorts.[5]
Die „Arbeitsgruppe“ umfasst ausschließlich Zivilisten, darunter der Politiker Winfried Nachtwei (Bündnis 90/Die Grünen), der unter anderem dem „Beirat Zivile Krisenprävention“ des Auswärtigen Amtes angehört, die Vorstandssprecherin der für die staatliche „Entwicklungshilfe“ zuständigen Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Tanja Gönner*), und der Sozialhistoriker Klaus Naumann, Mitherausgeber der renommierten Zeitschrift „Blätter für deutsche und internationale Politik“.

Zivil-militärische Kooperation

Erst unlängst erklärte Naumann bei einem „Workshop“ der für die Erstellung des neuen Weißbuchs zuständigen Experten, der „vernetzte Ansatz“ der deutschen Militärpolitik stehe „nicht mehr zur Disposition“.
Vielmehr gehe es jetzt darum, die „tatsächliche Kooperation“ zwischen Ministerien, Behörden und Nicht-Regierungsorganisationen entscheidend zu „verbessern“.
Als mahnendes Beispiel führte Naumann in diesem Zusammenhang den Interventionskrieg in Afghanistan an; dort sei die „Vernetzung der verschiedenen Akteure“ zwar „politisch gewollt“ gewesen, „auf vielen Ebenen aber nicht konsequent genug umgesetzt“ worden.
Laut Bundesverteidigungsministerium äußerten sich andere Teilnehmer des „Workshops“ ähnlich. Kritisiert wurde insbesondere das am Hindukusch praktizierte „Nebeneinander-Arbeiten“ von Bundeswehr, Auswärtigem Amt und Entwicklungsministerium, das ein „konsequentes Ineinandergreifen der militärischen und zivilen Bemühungen verhindert“ habe. Dazu passend warb der Parlamentarische Staatssekretär im BMVg, Ralf Brauksiepe, in seiner Rede für einen „Sicherheitsverbund“ aller in Kriegsoperationen eingebundenen Ressorts.[6]

Souveränitätsvorbehalte abbauen

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Die von Verteidigungsministerin von der Leyen geforderte Weiterentwicklung des „vernetzten Ansatzes“ der deutschen Militärpolitik steht auch bei den anderen für die Erstellung des Weißbuchs zuständigen „Arbeitsgruppen“ ganz oben auf der Agenda. So sprechen sich die für die Untersuchung der „Perspektiven der Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ zuständigen Spezialisten dafür aus, die „Vernetzung“ der Mitgliedsstaaten von EU und NATO weiter voranzutreiben und etwaige „Souveränitätsvorbehalte“ zugunsten einer „stärkeren Integration der Bündnisse“ abzubauen. **)
Nur auf dieser Grundlage lasse sich eine „erfolgreiche Bekämpfung“ von Aufstandsbewegungen („asymmetrische Bedrohungen“) weltweit sicherstellen, heißt es.[7]
Analog zu dem Expertengremium, das sich mit dem „nationalen Handlungsrahmen“ der deutschen Militärpolitik befasst, finden sich auch in dieser „Arbeitsgruppe“ ausschließlich Zivilisten. Unter Leitung von Sylke Tempel, Chefredakteurin der von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Politik (DGAP) herausgegeben Zeitschrift „Internationale Politik“, tagen hier unter anderem Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik der Universität Kiel und Präsidiumsmitglied der DGAP, Thomas Bagger, Chef des Planungsstabs des Auswärtigen Amts, sowie die langjährige Redakteurin der Wochenzeitung „Die Zeit“, Constanze Stelzenmüller, die aktuell für den renommierten US-amerikanischen Think-Tank „The Brookings Institution“ arbeitet.

Kriegskonsens herstellen

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Die Einbindung ziviler Experten in die Erarbeitung des neuen Weißbuch soll nach dem Willen des Verteidigungsministeriums allerdings nicht nur dem „vernetzten Ansatz“ der deutschen Militärpolitik zum endgültigen Durchbruch verhelfen, sondern auch dazu beitragen, die Bevölkerung für ein vermehrtes kriegerisches „Krisenmanagement jenseits des Bündnisgebietes“ von NATO und EU zu gewinnen [8].
Zwar fänden die Sitzungen der „Arbeitsgruppen“ stets „unter Ausschluss der Öffentlichkeit“ statt, jedoch würden die hier formulierten Diskussionsergebnisse danach „in Kolloquien vorgestellt, die auch für die Presse zugänglich sind“, heißt es.[9]
Dieser „Partizipationsprozess“ wiederum gewährleiste, dass „durch Einbeziehung vieler sicherheitspolitisch Interessierter und vor allem der Öffentlichkeit“ ein „breites Interesse“ am Weißbuch geweckt werde.[10]
Die Organisation und Moderation des „Partizipationsprozesses“ liegt beim Leiter der politischen Abteilung des BMVg, Géza Andreas von Geyr – offenbar aus gutem Grund: Der vormalige Vizepräsident des für Auslandsspionage zuständigen Bundesnachrichtendienstes (BND) will nach eigenem Bekunden sowohl für „Klartext und Substanz“ im Weißbuch als auch für einen „großen Konsens“ in der Gesellschaft sorgen [11] – zugunsten von Kriegseinsätzen der Bundeswehr.

[1] Neues Weißbuch: Öffentlichkeit wird beteiligt. www.bmvg.de 21.01.2015.
[2] Weißbuch 2016: FAQ. www.bmvg.de 17.02.2015.
[3], [4] Rede der Verteidigungsministerin anlässlich der Auftaktveranstaltung Weißbuch 2016. www.bmvg.de 17.02.2015.
[5] Weiterentwicklung der vernetzten Sicherheit. www.bmvg.de 18.02.2015.
[6] Auf dem Weg zum Weißbuch 2016: Tagung des dritten Experten-Workshops zum nationalen Handlungsrahmen der deutschen Sicherheitspolitik. www.bmvg.de 22.05.2015.
[7] „Angetrieben durch faktische Verantwortung“. www.bmvg.de 19.02.2015.
[8] Partizipationsphase zum Weißbuch 2016: Enge Abstimmung mit internationalen Partnern in Brüssel. www.bmvg.de 30.04.2015.
[9] Weißbuchprozess: Arbeitsgruppe tagt zum internationalen Umfeld der deutschen Sicherheitspolitik. www.bmvg.de 14.04.2015.
[10] Was ist ein Weißbuch? www.bmvg.de 16.02.2015.
[11] Weißbuch-Prozess: die Organisation des großen Diskurses. www.bmvg.de 27.04.2015.

*) Tanja Gönner war als Verkehrsministerin eine der sieben Vertreter der Befürworter des Projekts Stuttgart 21, die bei den von Heiner Geißler moderierten Schlichtungsgesprächen für Stuttgart 21 sprachen. Ihre Zugehörigkeit zur Stiftung „Lebendige Stadt“, die von der ECE Projektmanagement gegründet wurde, welche in Stuttgart das „Quartier am Mailänder Platz“ bebaut hatte (seit Dezember 2014: MILANEO Shoppingcenter) , brachte Gönner im Oktober 2010 in die Kritik. Im März 2011 wurde Gönner von Greenpeace angezeigt. Ihr wurde vorgeworfen, trotz eines entsprechenden Urteils Unterlagen zur Sicherheit des Kernkraftwerkes Philippsburg zurückzuhalten.
**) Souveränitätsvorbehalte abbauen bedeutet Entmachtung der demokratisch gewählten Parlamente !.

Modernes Strategieverständnis (II)

http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59143

Vom Bundesverteidigungsministerium mit der Erstellung eines neuen Weißbuchs beauftragte Experten erklären Deutschland zur weltpolitischen Ordnungsmacht.
Entsprechende Aussagen traf unter anderem Volker Perthes von der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) bei einer Konferenz über das militärpolitische Grundlagendokument, das zur Zeit ausgearbeitet wird. Laut Perthes muss sich die BRD künftig als „verantwortliche Mittelmacht“ verstehen, die die „globale Ordnung wahrt und entwickelt“.
Der „Radius“, in dem Deutschland „ordnungspolitisch“ tätig werden soll, erstreckt sich demnach von seiner „östlichen Nachbarschaft“ über Afrika bis in den Nahen Osten.
Analog hatten sich bereits andere Mitarbeiter der SWP geäußert; in einem programmatischen Papier heißt es, „Deutschlands Umfeld“ habe sich in einen „Krisenbogen“ verwandelt, „der vom Baltikum über den Mittleren Osten bis zum Maghreb reicht“. Dem Verteidigungsministerium zufolge bildet die fortschreitende militärische „Integration“ innerhalb der EU die Basis der deutschen Ordnungsvorstellungen – erklärtes „Fernziel“ ist unverändert die Schaffung einer „Europäischen Verteidigungsunion“.

Ordnungsmacht im Krisenbogen

Das „Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr“, das zur Zeit unter Ägide des Bundesverteidigungsministeriums erarbeitet wird, basiert auf der Definition Deutschlands als weltpolitische „Ordnungsmacht“. Wie Volker Perthes von der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) bereits bei der ersten Präsentation der Pläne für ein neues militärpolitisches Grundlagendokument erklärte, handele es sich bei der BRD um eine „verantwortliche mittlere Macht“, die „mit anderen zusammen die europäische und die globale Ordnung wahrt und entwickelt“.
Zwar sei diese Vorstellung „im deutschen Diskurs nicht sehr beliebt“, jedoch wisse die Öffentlichkeit, „dass ihr Land zu groß ist, um sich angesichts bedrohlicher internationaler Entwicklungen einfach wegzuducken“.
Der „Radius“, in dem Deutschland „ordnungspolitische Verantwortung“ übernehmen soll, erstreckt sich laut Perthes nicht nur auf Europa selbst, sondern auch auf dessen „östliche Nachbarschaft“ und die „südliche Peripherie“, insbesondere auf Afrika und den Nahen Osten.[1]
Ähnliche Aussagen finden sich in einem vor einiger Zeit erschienenen programmatischen Papier der SWP zum neuen Weißbuch. Hier heißt es, Deutschlands „Umfeld“ habe sich in einen „Krisenbogen“ verwandelt, „der vom Baltikum über den Mittleren Osten bis zum Maghreb reicht“. Diese „Außenwelt mit ihren Krisen“ wiederum liefere die „Gründe dafür, warum wir Streitkräfte haben“.[2]

Europas militärisches Rückgrat

Die für die beschriebene „Ordnungspolitik“ notwendige „Bandbreite militärischer Mittel“ will die SWP nach eigenem Bekunden vorrangig durch Kooperationen im Rahmen der EU sicherstellen: „Souveränität in der Verteidigungspolitik besteht nur noch bei der Entscheidung, in welchen Bereichen und mit wem Deutschland europäische Arbeitsteilung organisiert.“[3]
Volker Perthes ließ umgekehrt in seiner erwähnten Rede zum neuen Weißbuch keinen Zweifel daran, wer bei der Gestaltung der „Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ die führende Rolle spielen wird: „Wir sind zu wichtig und auch zu groß, als dass Entscheidungen bei uns keinen Einfluss auf die Möglichkeit einer solchen gemeinsamen europäischen Politik hätten.“[4]
Ähnlich äußerten sich die Mitglieder der vom Verteidigungsministerium zwecks Erarbeitung des Weißbuchs eingerichteten „Arbeitsgruppe Bundeswehr“. Bereits in der konstituierenden Sitzung hieß es, Deutschland müsse aufgrund seiner „geopolitischen Position“ und seiner „Einflussmöglichkeiten“ das „Rückgrat einer europäischen Verteidigung“ bilden.
Mit Verweis auf die enge Zusammenarbeit zwischen dem deutschen und dem niederländischen Militär erklärten die Teilnehmer, es sei an der Zeit für den „Wechsel von Kooperation zur Integration“.[5]
Dem Gremium unter Vorsitz des Journalisten Thomas Wiegold, der den Internet-Blog „Augen geradeaus!“ betreibt, gehört neben Generalleutnant Heinrich Brauß, Beigeordneter Generalsekretär der NATO für Verteidigungspolitik und Streitkräfteplanung, auch der Befehlshaber der Niederländischen Streitkräfte, General Tom Middendorp, an. Erst unlängst haben die Niederlande zwei ihrer Kampfeinheiten direkt dem Kommando der deutschen Streitkräfte unterstellt (german-foreign-policy.com berichtete [6]).

Unabhängig von den USA

Zu den in der „Arbeitsgruppe Bundeswehr“ zwecks Erstellung des Weißbuchs organisierten Experten zählen mit Henning Otte und Wolfgang Hellmich auch zwei dezidierte Rüstungslobbyisten:
Der Bundestagsabgeordnete Otte (CDU) fungiert als Stellvertretender Präsident der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik (DWT); sein Kollege Hellmich (SPD) gehört zudem der Gesellschaft für Sicherheitspolitik an, der vormaligen Gesellschaft für Wehrkunde (GfW). Beide dürften die von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) unlängst verkündete Entscheidung begrüßen, bei der Anschaffung von Kriegsgerät künftig verstärkt auf deutsch-europäische Gemeinschaftsentwicklungen zu setzen.
So ist etwa geplant, die Bundeswehr statt mit „Patriot“-Luftabwehrbatterien mit dem Flugabwehrsystem „Meads“ auszurüsten. Letzteres wird von einem Konsortium europäischer und US-amerikanischer Waffenschmieden unter starker deutscher Beteiligung hergestellt, während die „Patriot“-Systeme komplett aus den USA importiert werden mussten.
Ähnliche Tendenzen zur „Europäisierung“ der Rüstungsproduktion zeichnen sich bei Kampfdrohnen, Panzern und Schlachtschiffen ab (german-foreign-policy.com berichtete [7]).
Die Ministerin folgt damit der schon zu Beginn der Arbeiten am Weißbuch von der SWP erhobenen Forderung, eine „politisch flankierte Konsolidierung“ deutscher Rüstungskonzerne herbeizuführen – „gemeinsam mit den Partnern in Europa“.[8]

Gravitationszentrum Berlin

Zuletzt bekannte sich von der Leyen bei einem „Weißbuch-Experten-Workshop“ Ende April in Brüssel zur „Vertiefung der Integration im Verteidigungsbereich mit dem Fernziel einer Europäischen Verteidigungsunion„.
Wie die Ministerin ausführte, müsse Deutschland dabei als „Gravitationszentrum für Entwicklungen und Entscheidungen“ fungieren – verbunden mit der Bereitschaft, „militärische Mittel auch in Konflikten hoher Intensität einzusetzen“. *)
Die Steigerung der Kriegsführungsfähigkeit der EU wiederum bedeute stets auch eine „Stärkung des europäischen Pfeilers in der NATO“, erklärte von der Leyen. Berichten zufolge wurden die Anregungen der Ministerin von den Teilnehmern des „Workshops“ dankbar aufgegriffen. So hieß es etwa, Deutschland könne eine „wichtige Vermittlerrolle und Brückenfunktion zwischen den Mitgliedstaaten in der NATO“ einnehmen, gehe es doch darum, die „Bedrohung“ durch Russland ebenso militärisch zu kontern wie die „Instabilitäten im Krisenbogen von Nordafrika bis nach Afghanistan“.[9]

Differenzen mit der NATO

Darauf, dass sich die Deutschland zugeschriebene „Vermittlerrolle“ innerhalb der NATO keinesfalls widerspruchsfrei darstellen dürfte, hatte Volker Perthes von der SWP bereits in seiner Rede anlässlich der ersten Präsentation der Weißbuchplanungen hingewiesen.
Perthes konstatierte ein „Auseinanderdriften“ der „Prioritäten zwischen (den) USA und den europäischen Staaten“: „Die USA fokussieren sich immer mehr auf Asien/Pazifik, während wir hier in Europa zunehmend selbst definieren müssen, wie wir mit Bedrohungen von Ordnung in Europa und seiner unmittelbaren Nachbarschaft umgehen, und je mehr wir in Europa also selbst die geforderte Führung übernehmen, desto mehr werden wir vermutlich auch Differenzen über das richtige Vorgehen mit unseren NATO-Partnern haben.“[10]

[1] Volker Perthes: Wissenschaft und Weißbuch. Berlin 17.02.2015. www.bmvg.de.
[2], [3] Hilmar Linnenkamp/Christian Mölling: Das Weißbuch zur Verteidigungspolitik. SWP-Aktuell 21, Februar 2015.
[4] Volker Perthes: Wissenschaft und Weißbuch. Berlin 17.02.2015. www.bmvg.de.
[5] Der Workshop Perspektiven der Bundeswehr nimmt seine Arbeit auf. www.bmvg.de.
[6] Siehe dazu Der deutsche Weg zur EU-Armee (III).
[7] Siehe dazu Milliarden für europäische Kriege.
[8] Hilmar Linnenkamp/Christian Mölling: Das Weißbuch zur Verteidigungspolitik. SWP-Aktuell 21, Februar 2015.
[9] Partizipationsphase zum Weißbuch 2016: Enge Abstimmung mit internationalen Partnern in Brüssel. www.bmvg.de 30.04.2015.
[10] Volker Perthes: Wissenschaft und Weißbuch. Berlin 17.02.2015. www.bmvg.de.

*) Das ist eine eindeutige Abkehr von der noch von Außenminister Westerwelle vertretenen Politik der militärischen Zurückhaltung. Und unser Bundeswehrpräsident Gauck hält noch die Hand darüber.

Jochen