Kasachstan – Schwankender Gefährte

Kasachstan_EmblemZu den Hintergründen des nicht leicht zu durchschauenden Konfliktes erschien schon Dezember 2021 ein Artikel in der jungen Welt. Ich frage mich, woher innerhalb von nur 4 Tagen die Aufständischen über Maschinenpistolen und andere militärische Ausrüstung verfügten.
Kasachstan ist ein Verbündeter Russlands. Aber wachsender Nationalismus und US-amerikanische Ambitionen untergraben die Freundschaft

Von Harald Projanski

https://www.jungewelt.de/artikel/415898.gus-staaten-schwankender-gef%C3%A4hrte.html

Vielen ist Kasachstan nur ein Begriff aus dem Film »Borat« des britischen Komikers und Schauspielers Sacha Baron Cohen, auch wenn man in dem Ulkfilm über das Land nichts erfährt. Kaum bekannt ist, dass es sich bei der ehemaligen Sowjetrepublik Kasachstan um den größten mit Russland verbündeten Staat handelt.

Russische Staatsmedien erwecken oft den Eindruck, dass zwischen der Russischen Föderation und der Republik Kasachstan alles bestens läuft. »Wir schätzen aufrichtig die Freundschaft mit dem brüderlichen kasachischen Volk, unsere Beziehungen, die Partnerschaft«, zitierte im November etwa die Moskauer Regierungszeitung Rossiskaja Gaseta den russischen Premierminister Michail Mischustin. Der Handel zwischen beiden Ländern, so Mischustin, solle in diesem Jahr mit umgerechnet mehr als 16 Milliarden US-Dollar (etwa 14 Milliarden Euro) eine »Rekordhöhe« erreichen.

Die Republik Kasachstan ist mehr als siebenmal so groß wie die BRD. Das Land hat 18,8 Millionen Einwohner. Mit Russland verbindet Kasachstan eine Grenze von mehr als 7.000 Kilometern Länge. Der kasachische Staat gehört zur Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) und zur Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit (OVKS), gemeinsam mit Russland, Kirgistan, Tadschikistan, Belarus und Armenien. Das Land ist Mitglied in der von Russland koordinierten Eurasischen Wirtschaftsunion. Kasachstans 2019 gewählter Präsident Kassym-Schomart Tokajew, geboren 1953, ist ein Absolvent der Moskauer Diplomatenhochschule MGIMO und war noch in der Sowjetunion als Diplomat in China tätig. Er ist aufgewachsen als Sohn eines sowjetischen Schriftstellers und Veteranen der Roten Armee – scheinbar ein idealer Partner für Moskau.

Routiniert beherrscht Tokajew die offiziellen Floskeln der Völkerfreundschaft. Der kasachische Präsident rühmt gegenüber Russland die »Freundschaft unserer Völker«, die es zu »bewahren« gelte. Im Interview mit der russischen Regierungszeitung spricht er von den »unzerstörbaren Banden der Freundschaft«, die Kasachstan und Russland vereinten. Zum Staatschef Kasachstans ist Tokajew als Günstling des früheren Präsidenten Nursultan Nasarbajew aufgestiegen, dem er als Außenminister und stellvertretender Regierungschef gedient hatte.

Nasarbajew, geboren 1940, war in Kasachstan noch zur Sowjetzeit im Juni 1989 auf den Posten des Ersten Sekretärs der Kommunistischen Partei Kasachstans gelangt und gehörte 1990/91 dem letzten Politbüro der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) an. Danach ließ er sich 1991 zum Präsidenten wählen, mit bewährten Methoden, die ein Ergebnis von 98,80 Prozent brachten. Noch 2015 bescherte ihm die Wahlkommission ein Resultat von 97,75 Prozent. Im März 2019 legte er sein Amt nieder und protegierte als Nachfolger Tokajew, damals Vorsitzender des Oberhauses. Der benannte sogleich die

kasachische Hauptstadt Astana zu Ehren seines Vorgängers in Nur-Sultan um.

Nursultan Nasarbajew blieb gleichwohl Chef des mächtigen Sicherheitsrates und führt die Staatspartei »Nur Otan« (Licht des Vaterlandes), die sich im Kern aus Staatsbediensteten rekrutiert. Als Parteichef lässt er immer wieder mal Spitzenbeamte antreten, inklusive des Premierministers.Der »Elbasi«, der »nationale Führer«, wie sich Nasarbajew nennen lässt, predigt ihnen, sie sollten die »Stabilität« und die führende Rolle der Partei im Lande sichern – es ist eine Fürstenherrschaft mit einem Hauch von spätsowjetischem Charme.

Nasarbajew sorgte auch dafür, dass seine Tochter Dariga am Tag seines Rücktritts zur Sprecherin des Oberhauses gewählt wurde. Theoretisch wäre sie damit im Fall eines Rücktritts oder Todes des Präsidenten automatisch Staatsoberhaupt geworden. Doch am 2. Mai 2021 setzte Präsident Tokajew die Nasarbajew-Tochter überraschend ohne Begründung als Parlamentssprecherin ab. In der kasachischen Elite gewann Tokajew damit an Ansehen und Gewicht. Denn Dariga Nasarbajewa ist in der Führungsschicht von Bürokraten und den mit ihnen verbandelten »Bisnessmen« nicht beliebt. Wer sie während der Siegesfeier bei der Präsidentenwahl im Dezember 2005 in einem Sportpalast in der Hauptstadt Astana erlebte, konnte sich davon einen Eindruck machen. Da versammelten sich um sie Hofschranzen vor dem Hintergrund eines großen Transparents mit der Parole: »Mit Nasarbajew in eine leuchtende Zukunft!« Listig lächelnd sah sich die für ihre Überheblichkeit bekannte Präsidententochter damals als künftige Herrscherin des Landes. Doch außerhalb von Konzertsälen traf die gelernte Opernsängerin Nasarbajewa eher selten den richtigen Ton. Amtsträger wie auch Durchschnittsbürger bemerkten, dass der Präsidententochter jenes taktische Geschick abgeht, das ihren Vater jahrzehntelang im Amt gehalten hatte.

Dazu gehörte bei Nasarbajew auch die Fähigkeit, den Spielraum seines Staates gegenüber Moskau zu erweitern, ohne Russland oder die Russen in Kasachstan zu provozieren. Vor allem im Norden Kasachstans ist Russisch die vorherrschende Alltagssprache. Historisch war diese Region der Süden Sibiriens. Die sowjetische Führung fügte 1936 südliche Gebiete der Russischen Föderativen Sowjetrepublik in die Kasachische Sowjetrepublik ein. Damit sollte das rückständige Steppengebiet mit seiner überwiegend analphabetischen Bevölkerung in den werdenden sozialistischen Staat integriert werden. Dabei waren die Arbeiterklasse und die Ingenieursintelligenz der kasachischen Sowjetrepublik überwiegend russisch.

Das hat Folgen bis heute. In einer Volkszählung von 2009 bezeichneten sich 23,7 Prozent der Bürger Kasachstans als Russen. Der Anteil der überwiegend Russischsprachigen liegt weit höher, im Norden sind es teilweise mehr als 90 Prozent. Russisch hat den Status einer »offiziellen Sprache«, was bedeutet, dass es auch im Verkehr mit Behörden verwendet werden kann. Das liegt auch daran, dass selbst ein großer Teil der Staatsangestellten Russisch besser beherrscht als die Staatssprache Kasachisch.

Herabsetzung der Russen

Doch seit der Unabhängigkeit Kasachstans hat sich die Lage der russischen Bevölkerung im Lande kontinuierlich verschlechtert. In Wirtschaft, Verwaltung und Politik wurden und werden Russen teils erheblich diskriminiert. Der neue Staat nahm mehr und mehr ethnokratische Züge an. Die Staatsbürokratie und das mit ihr verbandelte Businesskonglomerat von Klanstrukturen nährt sich vor allem durch Exporte von Öl und Gas.

Das systematische Herabsetzen der Russen im staatlichen und wirtschaftlichen Leben Kasachstans führte seit den 1990er Jahren zur massenhaften Abwanderung russischer Fachkräfte. Einer offiziellen kasachischen Statistik zufolge haben allein in den Jahren 2015 bis 2020 rund 219.000 Menschen Kasachstan verlassen. Nach einer Studie des Russischen Instituts für Strategische Studien in Moskau waren 70 Prozent der im Jahre 2020 Ausgewanderten Russen. Russische Emigranten nennen als Gründe einen Mangel an Arbeitsplätzen, ein Sinken des Lebensstandards, Korruption und Diskriminierung bei der Arbeitssuche. Der sinkende Lebensstandard ist eine Folge des wirtschaftlichen und sozialen Niedergangs Kasachstans als Transithandelsland, wozu auch die Auswirkungen der antirussischen Sanktionspolitik westlicher Staaten beitrugen. Hinzu kamen die jahrelang sinkenden Öl- und Gaspreise. Die jährlichen Wachstumsraten schrumpften von acht Prozent im Jahre 2012 auf 4,1 Prozent im Jahre 2018.
In jüngster Zeit versuchen kasachische Nationalisten verstärkt, die Früchte der wachsenden Unzufriedenheit zu ernten. Zu den Wortführern der nationalistischen Kräfte in Kasachstan gehört der Aktivist und Unternehmer Muchtar Taischan, Jahrgang 1973. Der ehemalige Mitarbeiter der Prä-sidentenadministration unter Nasarbajew und Absolvent der Warschauer Universität gehört zu jenen Vertretern der staatskapitalistischen Klasse, die sich nach einer Anerkennung als Klassenbrüder durch die Bourgeoisien der entwickelten kapitalistischen Länder sehnen. Als Mittel dazu setzen Taischan und seine Anhänger auf eine Mischung aus düsterer Darstellung der sowjetischen Geschichte und Russophobie. Ausdruck findet dies in seiner These zum Tag des Sieges über den Hitlerfaschismus: »Vor und nach 1945 waren wir ein Kolonialvolk, und wir sind es geblieben.« Taischan nahm zur Jahreswende 2013/14 in Kiew an Kundgebungen auf dem Maidan teil, die im Februar 2014 zum Rechtsputsch und Beginn des ukrainischen Bürgerkrieges führten.
Von ukrainischen Ultrarechten ließ sich auch der kasachische Nationalistenführer Kuat Achmetow inspirieren. Er organisierte im August »Sprachpatrouillen« seiner Bewegung »Tyl Maidana«, die russischsprachige Bürger Kasachstans an öffentlichen Plätzen, etwa auf Märkten bedrängten, weil sie Russisch sprachen. Achmetow wurde am 19. August festgenommen, doch bald wieder freigelassen und setzte sich in die Ukraine ab.

Der kasachische Präsidentenberater Erlan Karin behauptete, verantwortlich für die Sprachpatrouillen sei eine »Informationspanik in unserem nördlichen Nachbarland«. Gemeint ist Russland. Der Tokajew-Berater rief die Nationalisten lediglich auf, »vorsichtiger in ihren Äußerungen und ihrer Tätigkeit« zu sein. Karin weiß, wovon er spricht: In den Jahren 2013/14 war er als Lehrer an der American University in Washington, D. C. tätig, einer Pflanzschule für US-Hilfswillige auf der ganzen Welt.

Vorbild Ukraine

Den Hintergrund für die wachsende Stärke der Nationalisten in Kasachstan analysiert der Historiker und Kasachstan-Experte des Moskauer Instituts für die GUS-Länder Andrej Grosin: In Kasachstan seien nationalistische Kräfte »in staatliche Strukturen eingedrungen«, in den »Nationalen Rat für Demokratisierung beim Präsidenten« und ins Parlament. Diese Nationalisten, so Grosin arbeiteten derzeit an Gesetzen über die Rehabilitierung der Turkestanischen Legion der Hitler-Wehrmacht.
In den Reihen dieser ab 1942 geschaffenen Kollaborateurstruppe dienten auch angeworbene kasachische Kriegsgefangene aus der Roten Armee. Ein weiteres Gesetzesprojekt der Nationalisten, so Grosin, betreffe die Hungersnot in Kasachstan in den Jahren 1932/33, die als Genozid gegen die Kasachen dargestellt werden soll, obwohl gleichermaßen auch Russen von der Katastrophe betroffen waren. Kasachische Nationalisten kopieren dabei die Drehbücher ihrer ukrainischen Gesinnungsgenossen. Die versuchen seit dem Maidan 2014 verstärkt, die Hungersnot in der Ukraine in jenen Jahren als Genozid am ukrainischen Volk darzustellen, obwohl es dafür in den Archiven keinen Beleg gibt. Schützenhilfe erhalten die kasachischen wie auch die ukrainischen Nationalisten dabei unter anderem vom US-amerikanischen Sender Radio Liberty.

Wie Kasachstans Präsident Tokajew mit der wachsenden nationalistischen Gefahr umgeht, zeigen seine öffentlichen Auftritte. Er versucht, das Problem zu ignorieren, und deckt dabei seinen Gehilfen Karin, der als Schirmherr der Nationalisten agiert. So predigte Tokajew im Funktionärsjargon die »weitere Stärkung des Systems der Verteidigung der Menschenrechte«, ohne die Rechte russischsprachiger Menschen in seinem Land auch nur zu erwähnen. Er sagt nur gelegentlich, die »Verwendung« des Russischen dürfte »nicht verhindert« werden. Doch Tokajew lässt gleichzeitig weiter an Plänen arbeiten, die schon unter Nasarbajew beschlossen wurden: Die kyrillische Schrift soll zugunsten der lateinischen abgeschafft werden.

Insgesamt spiegeln Tokajews Auftritte vor Funktionsträgern des Staates die tiefe Krise des postsowjetischen Systems wider. In seiner ausführlichen »Botschaft« zur Lage des Landes am 1. September 2021 räumte Tokajew »Ungleichgewichte in der sozialökonomischen Entwicklung« ein – eine dezente Umschreibung für Massenarbeitslosigkeit und eine wachsende soziale Spaltung zwischen Stadt und Land.

Korrupter Petrostaat

Große Teile der Bevölkerung des Gasexportlandes haben keinen Gasanschluss. Die Profite aus den Exporten von Energieträgern eignet sich eine Klasse von Rentiers des kasachischen Beamtenkapitalismus an. Dabei erweist sich das klanartige System als immer schwerer lenkbar. Dies zeigt sich auch an den verbalen Eiertänzen des Präsidenten. In seinem Lagebericht vom 1. September monierte er eine »übermäßige Präsenz des Staates in der Wirtschaft«. Und er sprach von einem »quasistaatlichen Sektor« der Wirtschaft, dessen »Effizienz, Transparenz und Rechenschaftspflicht« möglichst »erhöht« werden sollte. Tokajew erwähnte, die »Hälfte der kriminellen Fälle« im Bereich Landwirtschaft befasse sich mit Subventionsbetrug, und beklagte insgesamt eine »wachsende Zahl von Betrugsfällen«, auch mit Finanzpyramiden. Und er mahnte, »der wirksame Kampf gegen Korruption muss fortgesetzt werden«.

Wie dieser Kampf geführt werden soll, sagte er nicht. Aus den Einlassungen des Staatschefs ergibt sich das Bild eines quasifeudalen, korrupten Petrostaates, der den Kapitalismus der freien Konkurrenz nur imitiert und zusehends ins Kriminelle driftet. Das Steppenland Kasachstan erweist sich politisch und ökonomisch als Sumpf. Bemerkungen Tokajews in dieser Rede, die »Reserven an finanzieller Stabilität« seien »nicht unbegrenzt«, beweisen zudem, dass Kasachstan von der Substanz lebt. Die Regierung verfeuert die Reserven aus dem durch Öl- und Gaseinnahmen früherer Jahre gefüllten »Nationalen Fonds«, um größere Klassenkonflikte zu vermeiden. Zugleich versucht die Staatsführung, die Eskalation von Konflikten zwischen der korrupten Bürokratie und den verarmenden Massen durch politische Manipulation zu verhindern.

So kündigte der Präsident im September an, seine Administration werde »einen wirksamen Mechanismus« zur Unterstützung von »Bürgerinitiativen« ausarbeiten. Worauf das hinausläuft, zeigt die Entwicklung des parteipolitischen Spektrums des Landes in den letzten Jahren. Schon Vorgänger Nasarbajew verstand es, reale politische Konkurrenz prophylaktisch zu verhindern.

Dabei stand er vor zwei Problemen: Zeitweilig drohten die Spaltung der bürokratischen Verwalterkaste und das Anwachsen einer linken, von Kommunisten geführten Opposition. Die positiven Erinnerungen von Millionen Kasachen an die soziale Sicherheit in der sowjetischen Gesellschaft prägen nach wie vor das Alltagsbewusstsein. Nasarbajews Machtapparat gelang es im Jahre 2004, die Kommunistische Partei Kasachstans mit Repression und Korruption zu spalten. Zwölf Mitglieder des Zentralkomitees verließen die KP. Sie gründeten eine »Kommunistische Volkspartei Kasachstans«, die sich im Jahre 2020 in »Volkspartei Kasachstans« umbenannte. Deren Führung sorgt im Chor der politischen Elite für eine leicht dissonante Zweitstimme mit Plädoyers für eine »sozial gerechte Gesellschaft«. Mit dem Segen der auf betreutes Wählen abonnierten Staatsführung kam die pflegeleichte Mitte-links-Partei bei der Parlamentswahl im Januar dieses Jahres auf 9,1 Prozent. Die Nasarbajew-Partei »Nur Otan« verbuchte 71,1 Prozent.

Um die führende Rolle als harmlose Opposition konkurriert die »Volkspartei« im Parlament mit der Partei »Ak Schol« (Leuchtender Weg), die bei der Wahl 10,95 Prozent verbuchte. Deren Vorsitzender, Asat Peruaschew, war zuvor als Berater und Bereichsleiter in der Präsidentenadministration tätig gewesen. Danach hatte er zunächst als Generaldirektor von »Aluminum Kasachstan« vom Kuchen des Staatskapitalismus genascht. Anschließend war er in die Führung von »Nur Otan« aufgestiegen, bis er 2011 sein Talent als elastischer Oppositionspolitiker entdeckte.

Kommunisten verboten

Im selben Jahr erfuhren Kasachstans Kommunisten aus der Presse, dass ein Gericht der Hauptstadt die Tätigkeit ihrer Partei »angehalten« hatte. Das nahm ihr die Möglichkeit, an Wahlen teilzunehmen. Im Jahr darauf wurde die Partei auf Antrag des Justizministeriums per Gerichtsbeschluss »liquidiert«. Seither arbeitet die KP, die nach Angaben der Wahlkommission 2008 noch mehr als 54.000 Mitglieder hatte, trotz Verbot weiter, auch mit Unterstützung ihrer Bruderpartei, der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation. Offenkundiger Anlass für das Verbot der KP war ihre erfolgreiche Bündnispolitik. Ab 2009 engagierten sich die Kommunisten in einem breiten Aktionsbündnis mit anderen demokratischen Kräften, darunter auch Sozialdemokraten.

Schon vor dem Verbot der KP hatte Nasarbajew sich einer Konkurrenz aus den Reihen der Staatsbürokratie durch Verbot entledigt. Im November 2001 formierte sich die Partei »Demokratische Wahl Kasachstans«, geführt von bisherigen hohen Amtsträgern des Regimes. Zu den Gründern gehörten ein ehemaliger Energieminister, ein ehemaliger Arbeitsminister, zwei Exvizeminister für Finanzen und Verteidigung und ein früherer Leiter der »Staatsagentur für die Kontrolle strategischer Ressourcen«. Hinzu kamen führende Bankiers. In der Partei, die mit liberalen Losungen auftrat, sammelte sich ein jüngerer Teil der Staatsbürokratie und der Kompradorenbourgeoisie. Die Partei suchte Annäherung an den Westen, vor allem an die USA, und wollte sich stärker von der sowjetischen Vergangenheit und auch von Russland abgrenzen.

Zwar konnte die »Demokratische Wahl Kasachstans« 2002 bei einer Kundgebung in der Hauptstadt kaum mehr als 2.000 Menschen mobilisieren. Dennoch drohte eine Spaltung des Staatsapparates, worauf Nasarbajew mit systematischer Repression antwortete. Gegen führende Mitglieder wurden Strafverfahren eingeleitet, unter anderem wegen Machtmissbrauchs. Parteigründer Muchtar Abljasow wurde 2018 in Abwesenheit wegen eines Auftragsmordes zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt. Die Vorwürfe sind im einzelnen schwer nachprüfbar. Die Verfahren spiegelten in jedem Fall sowohl die politische Lenkung der Justiz als auch die kriminellen Praktiken bei der Entstehung des Staatskapitalismus in den neunziger Jahren wider. Im Kern gilt für den Showdown zwischen Nasarbajew und dieser Opposition das Wort Kurt Tucholskys über Situationen, in denen »Gauner Gauner Gauner nennen«.

US-Casting

Einer der Parteiführer der »Demokratischen Wahl Kasachstans«, Galimschan Schakijanow, siedelte 2012 in die USA über. Parteichef Abljasow zog nach Frankreich um, das ihn im September 2020 als politischen Flüchtling anerkannte. Abljasow ließ 2017 die zwischenzeitlich zerfallene »Demokratische Wahl Kasachstans« wieder aufleben – politisch im Fahrwasser der US-Strategie, ablesbar auch an Stellungnahmen gegen China. Ähnlich wie die Nawalny-Gruppe in Russland propagiert die Organisation das »kluge Abstimmen«, um Einfluss auf legale Oppositionsparteien zu nehmen. In Kasachstan ist die Partei seit 2018 als »extremistisch« verboten. Am 8. März 2021 gelang es der über Messengerdienste und soziale Netzwerke organisierten Truppe, etwa 2.000 bis 3.000 Teilnehmerinnen in der kasachischen Hauptstadt zu einem »Marsch der Frauen« zu mobilisieren – ein Probelauf.
Das US-amerikanische Casting von Kandidaten für einen antirussischen Umsturz in Kasachstan hat begonnen.

Die 10 schlimmsten Länder der Welt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

logo: Deutscher GewerkschaftsbundDer Internationale Gewerkschaftsbund IGB veröffentlicht jedes Jahr einen Report zur Verletzung von Gewerkschafts- und Arbeitnehmerrechten weltweit. Seit einigen Jahren enthält dieser „Global Rights Index“ auch eine Liste der zehn „schlimmsten Länder für erwerbstätige Menschen“. Er stellt fest:

 In immer mehr Ländern droht Beschäftigten Gewalt

http://www.dgb.de/themen/++co++fd6a406e-6d55-11e8-ad8a-52540088cada
Dort auch eine schöne grafische Übersicht.
Auszüge:

Die Zahl der Länder, in denen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Drohungen und Gewalt ausgesetzt sind, hat sich erneut innerhalb eines Jahres deutlich erhöht. Das geht aus dem „Global Rights Index 2018“ des IGB hervor.
Bereits von 2016 auf 2017 war die Zahl dieser Länder um zehn Prozent gestiegen. Von 2017 auf 2018 stieg sie erneut von 59 Ländern auf 65 Länder an, also innerhalb eines Jahres erneut um mehr als 10 Prozent.

Die 10 schlimmsten Länder

Der IGB hat außerdem wieder eine Liste mit den „Ten worst countries in the world for working people“ (also den „10 schlimmsten Ländern der Welt für arbeitende Menschen“) veröffentlicht:

Algerien

• Staatliche Repression
• Massenverhaftungen und -entlassungen
• Proteste unterdrückt

Guatemala

• Gewalt und Morde
• Diskriminierung
• Kein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren

Kasachstan

• Verhaftung führender Gewerkschaftsvertreter/innen
• Staatliche Repression
• Diskriminierung

Kambodscha

• Einschüchterungen
und Repressalien
• Repressive Gesetze
• Polizeigewalt

Ägypten

• Staatliche Repression
• Diskriminierung
• Massenverhaftungen

Philippinen

• Einschüchterungen und Entlassungen
• Gewalt
• Repressive Gesetze

Saudi-Arabien

• Missbrauch von Wanderarbeitskräften
• Staatliche Repression
• Zwangsarbeit

Bangladesch

• Gewalt
• Massenverhaftungen
• Diskriminierung

Türkei

• Verhaftung führender Gewerkschaftsvertreter/innen
• Diskriminierung und Entlassungen

Kolumbien

• Morde
• Tarifverhandlungen untergraben
• Diskriminierung

In fast zwei Drittel aller Länder können Beschäftigte keine Gewerkschaft gründen

Auch die weiteren Ergebnisse aus den insgesamt 139 untersuchten Ländern sind teilweise erschreckend:

  • In mindestens 9 Ländern wurden Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter ermordet: Brasilien, China, Kolumbien, Guatemala, Guinea, Mexiko, Niger, Nigeria und Tansania (allein in Kolumbien wurden im Laufe des Jahres 19 Gewerkschaftsmitglieder ermordet).
  • In 65% aller untersuchten Länder können einige oder alle Beschäftigten keine Gewerkschaften gründen oder in Gewerkschaften eintreten.
  • In fast neun von zehn der Länder (87%) wird einigen oder allen Beschäftigten das Streikrecht verweigert.
  • In 81% der Länder werden einigen oder allen Beschäftigten Tarifverhandlungen verweigert.
  • Insgesamt 54 Länder beschränken die Rede- und Versammlungsfreiheit (das sind 4 mehr als im Vorjahr und damit ein Anstieg um 8%).

Der komplette IGB-Report:„Global Rights Index 2018“ auf Deutsch als PDF

 

Jochen

Die Multi-Millionen-Deals von Bill und Hillary Clinton

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Gegenüber den plumpen Auftritten des republikanischen Kandidaten wird in der deutschen Standardmedien Hillary so als Lichtgestalt dargestellt. Hier endlich mal ein kritischer Artikel in der Süddeutschen:
http://www.sueddeutsche.de/politik/us-praesidentschaftswahl-die-multi-millionen-deals-von-bill-und-hillary-clinton-1.3116462

In dessen Zusammenhang bringt sich die neulich bekannt gewordene, vergoldete Stiftungstätigkeit des Ehemannes unser verehrten Bundeskanzlerin, Prof. Sauer, in Erinnerung . Auch dieses Paar dürfte aller finanziellen Sorgen ledig sein:

https://publikumskonferenz.de/blog/2016/04/20/der-merkel-sauer-springer-komplex/

Auszüge:

Die ökonomische Bilanz von Senatorin Hillary Clinton ist durchwachsen und vieles rund um die Familienstiftung unappetitlich.
Im Fokus: Honorare für Reden ihres Mannes Bill.

Von Matthias Kolb, Washington

Drei Tage nach Donald Trumps Grundsatzrede zur Wirtschaft ist Hillary Clinton nach Detroit gereist. Sie hat den „Steuersätze kürzen und Regulierungen streichen“Ideen des Republikaners ihre eigenen wirtschaftspolitischen Pläne entgegengestellt – und hat im Vergleich zu Trump mehr Details genannt.
Die Wähler ahnen nun, wie neue Brücken, Straßen, Flughäfen und bessere Kinderbetreuung bezahlt werden sollen: durch höhere Steuern für Besserverdiener.

Aber großspurige Ankündigungen liegen auch Clinton nicht fern. Seit Wochen verspricht sie, das „größte Investitionsprogramm in gutbezahlte Jobs seit dem Zweiten Weltkrieg“ durchzusetzen. Gern verweisen ihre Berater auch auf ihre Zeit als Senatorin: Für 200 000 Jobs wollte sie in Upstate New York verantwortlich sein, der deindustrialisierten Region nördlich der Metropole.
Eine Recherche der Washington Post zeigt nun aber, dass Clinton zu viel versprochen hat. Ohnehin hat ein Senator in Washington kaum Einfluss auf die regionale Wirtschaft.

Dass Trump den Artikel während seiner Rede in Detroit genüsslich zitierte, ist logisch. Seine anderen Kritikpunkte an Clintons Wirtschaftspolitik – dass sie lange für Freihandel war, Spenden von Wall-Street-Banken annahm, strengere Umweltauflagen befürwortet – gehen allerdings im Chaos unter, wenn Trump darüber orakelt, was Waffenbesitzer nach Clintons Wahl ins Weiße Haus tun könnten.

Trumps Getöse überlagert berechtigte Kritik an Hillary Clinton

Der republikanische Kandidat verspielt damit einen strategischen Trumpf: Das ohnehin große Misstrauen der US-Amerikaner gegenüber Berufspolitikern wächst und wächst – und Berufspolitiker sind die Clintons ohne Zweifel: Weder Hillary noch ihr Ehemann Bill haben in der Privatwirtschaft gearbeitet.
Wegen Trumps verstörenden Auftretens werden Fragen nach den Vorgängen in der Familienstiftung und den hohen Gagen für Reden von Bill Clinton mittlerweile nur als parteilich angesehen. Dabei zeigt die aktuelle Bestseller-Liste der New York Times, dass sich Clinton-Bashing auszahlt. Die drei Top-Sachbücher attackieren die Kandidatin der Demokraten.
Diese Bücher sind schlimme Machwerke von ehemaligen Secret-Service-Agenten und entlassenen Beratern.
Anders das Buch „Clinton Cash“, erschienen im Frühjahr 2015, und auf Platz 12 der Rangliste. Autor Peter Schweizer steht zwar den Republikanern nahe, aber seine Recherchen über Insider-Aktien-Deals von Abgeordneten haben Konservative ebenso blamiert wie Liberale. Schweizer geht in „Clinton Cash“ der Frage nach, wieso ausländische Regierungen und Privatleute viele Millionen an die „Bill, Hillary & Chelsea Clinton Foundation“ überweisen und ob es nicht Interessenskonflikte zwischen dem öffentlichen Amt von Hillary und den Auftritten von Bill gibt (seit Ende seiner Amtszeit hat er mehr als 105 Millionen Dollar für Reden kassiert).

Das ist die Clinton-Stiftung

Die Stiftung wurde 1997 gegründet, um nach Bill Clintons Amtszeit ein Präsidenten-Museum (inklusive Bibliothek und Archiv) zu finanzieren.
Es entstand eine Organisation, die mindestens zwei Milliarden Dollar an Spenden (Stand Juni 2015) eingeworben hat. Die Stiftung ist in dieser Form einzigartig – sie wird von einem Ex-Präsidenten geleitet, dessen Frau Außenministerin war und nun beste Chancen hat, selbst ins Weiße Haus einzuziehen.

Die Stiftung engagiert sich im Kampf gegen HIV in Afrika (Nelson Mandela forderte Bill dazu auf), bekämpft weltweit Fettleibigkeit und fördert Bildungschancen für Mädchen (hier ihre Selbstdarstellung). Eine Besonderheit, die neben Buchautor Peter Schweizer auch Medien wie die Washington Post betonen: Die Clinton-Stiftung schickt selbst keine Entwicklungshelfer los oder finanziert eine nennenswerte Zahl eigener Projekte. Sie vernetzt vielmehr reiche Spender aus aller Welt mit Hilfsorganisationen – und mittendrin ist Menschenfänger Bill Clinton.

Jedes Jahr im September organisiert die Stiftung parallel zur UN-Vollversammlung die „Clinton Global Initiative“, und nur zum Weltwirtschaftsforum in Davos reisen ähnlich viele Berühmtheiten aus Wirtschaft und Politik an. Sie alle wollen mit den Clintons reden und gesehen werden.
Hier setzen die bohrenden Fragen vieler Kritiker an. Dass reiche Mäzene durch Spenden ihr Image aufbessern wollen, ist üblich, aber Schweizer mutmaßt, dass es manchen auch um den Zugang zur Macht geht – und dass diese Menschen hofften, zumindest indirekt US-Politik beeinflussen zu können.

Umstrittene Spenden von undemokratischen Staaten

Erstaunlich eng ist das Verhältnis von Bill Clinton zum kanadischen Bergbau-Unternehmer Frank Giustra. Dieser überlässt dem Ex-Präsidenten oft seinen Privatjet und ist in jenen Staaten dabei, in denen er Geschäfte machen will.
2005 besuchte Bill Clinton das rohstoffreiche Kasachstan, um dem dortigen Diktator für seinen Kampf gegen Aids zu danken, obwohl die Immunschwächekrankheit in Kasachstan kaum verbreitet ist.

Dass Giustras Firma „Uranium One“ kurz darauf erlaubt wurde, Uran in Kasachstan abzubauen, verwunderte viele Beobachter. Giustra verpflichtete sich anschließend, der Clinton-Stiftung mehr als 30 Millionen Dollar zu spenden – und Redner Bill Clinton wurde in Kanada und Russland für sechsstellige Summen gebucht.

Über diesen Fall wird aus mehreren Gründen häufig geredet: 2013 kaufte die russische Atomenergiebehörde Rosatom „Uranium One“ und kontrolliert damit große Teile der Lieferkette des auch militärisch wichtigen Rohstoffs (die New York Times hat Details hier beschrieben).
Außerdem startete die Stiftung eine eigene Einheit namens „Clinton Giustra Enterprise Partnership“ (CGEP).
Das Ziel, Armut in rohstoffreichen Staaten zu mindern, ist ehrenwert – doch für CGEP gelten die Transparenz-Regeln nicht, auf die sich die Clintons für ihre Stiftung verpflichtet haben.

Wie die Rechercheure von Politifact betonen, diskutierten Abgesandte von Barack Obama Ende 2008 nach dessen Wahlsieg ausführlich über die Stiftungsarbeit und mögliche Konsequenzen, wenn Hillary Clinton zur Außenministerin ernannt werden sollte.
Ein eigenes „Memorandum of Understanding“ (hier als PDF) verpflichtete die Stiftung, jährlich ihre Spender zu veröffentlichen, um Interessenskonflikte zu vermeiden.
Belegt sind Zuwendungen aus Algerien, Indien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten – als Senatorin und Chefdiplomatin hatte Hillary Clinton großen Einfluss auf Entscheidungen, die diese Staaten direkt betrafen.

Auf einer eigenen Website ist zwar nachzulesen, dass neben dem Königreich Saudi-Arabien auch die Stiftung eines ukrainischen Oligarchen und der Medienunternehmer Haim Saban zwischen 10 und 25 Millionen Dollar gespendet haben – doch der Name des Bergbau-Unternehmers Giustra fehlt.
Nicht erst seit den „Panama Papers“ weiß die Welt, wie sich Besitzverhältnisse verschleiern lassen.

Auch im Buch „Clinton Cash“ finden sich keine Belege für eine klare „Quid pro quo“-Korruption der Clintons. Obwohl Hunderte konservative Anwälte (etwa bei der Organisation Judicial Watch) vor Gericht um die Freigabe von Dokumenten kämpfen – hier sind wir wieder bei E-Mails -, kam es nie zu Anklagen.
Juristisch lassen sich die Vorwürfe nicht erhärten, und doch bleiben Fragen: Warum etwa akzeptieren die Clintons Millionen vom nigerianisch-libanesischen Milliardär Gilbert Chagoury, der wegen Geldwäsche in Europa verurteilt wurde? Bisher ist es keinem Faktenchecker oder Journalisten gelungen, klare Antworten von der Stiftung zu bekommen.

Erst Mitte der Woche publizierte Judicial Watch neue E-Mails, die ein Phänomen belegen, das auch Schweizer beschreibt:
Viele Mitarbeiter der Clinton-Stiftung wechseln zwischen Ministerien, dem Wahlkampfteam und der Wohltätigkeitsorganisation hin und her.

Schweizer dokumentiert auch, dass Hillary Clinton als Außenministerin vielen Angestellten den speziellen SGE-Status (special government employee) zugestand. Als SGE können Mitarbeiter des Ministeriums andere Aufgaben übernehmen, etwa als Berater.
Mit stattlichen Summen entlohnen Unternehmen die „strategischen Ratschläge“ von Leuten wie Huma Abedin, die nah dran sind an der Ex-Außenministerin (Hillary nennt Abedin eine „zweite Tochter“ ).

Freihandel? Mal dafür, mal dagegen

In ihrer Rede in Detroit wird Clinton auch über Freihandelsabkommen wie Nafta oder den transpazifischen TPP-Deal sprechen. „Clinton Cash“ und unzählige Artikel belegen auch hier ihre wechselnden Meinungen: Wie Obama war sie im Wahlkampf gegen Abkommen mit Staaten wie Kolumbien, doch als Außenministerin kämpfte sie erfolgreich dafür. Dass sie an einem Tag kurz nach Bill – der von Bergbau-Milliardär Giustra begleitet wurde – den Präsidenten traf, macht viele skeptisch. Ähnliches gilt für die Beteuerungen der Demokratin im Wahlkampf, seit jeher Freihandelsabkommen kritisch gesehen zu haben.

Wer sich genauer mit der Clinton-Stiftung beschäftigt, erinnert sich schnell an jene umstrittenen Reden, die Hillary Clinton für 675 000 Dollar vor Wall-Street-Bankern gehalten hat und deren Transkripte weiter geheim bleiben. Dass sie zwischen 2014 und März 2015 elf Millionen für 51 Auftritte kassierte, erklärte sie mit dem lapidaren Satz „Jeder macht das so“ (nicht nur die New York Times war baff).

Gewiss: Sie war damals noch nicht Kandidatin der Demokraten fürs Weiße Haus, doch ihre Glaubwürdigkeit ist beschädigt. Wenn Clinton heute in Detroit erklärt, wie sie Amerikas Wirtschaft ankurbeln und vor allem ärmeren Amerikanern und der Mittelschicht helfen will, dann hören Millionen US-Wähler skeptisch zu.
Schuld am Misstrauen gegenüber Hillary Clinton ist nicht nur jene Verschwörung vom rechten Rand („right-wing conspiracy„),die sie seit Jahren beklagt. Sie hat selbst dazu beigetragen – mit fehlender Transparenz und indem sie Anworten auf viele Fragen verweigert.

Linktipps: Die besten Artikel über die Geldsammel-Maschine der Clintons erschienen in der Washington Post – jener Zeitung, die Trump als seinen Intimfeind ansieht.
Der Artikel „Zwei Clintons, 41 Jahre, drei Milliarden Dollar“ beschreibt
en detail, wer alles Geld an Bill und Hillary gespendet hat.
Wie sich die Entstehung der „Clinton Foundation“ mit der Langeweile und den persönlichen Interessen des Ex-Präsidenten erklären lässt, beschreibt dieser ausführliche Artikel.

Siehe zu dem Thema auch:

Diana Johnstone, geboren 1934 in Minnesota, USA, lebt seit mehr als dreißig Jahren in Paris. Sie ist Journalistin und Buchautorin. Im Frühjahr erschien ihr Buch »Die Chaos-Königin. Hillary Clinton und die Außenpolitik der einzigen Supermacht« im Frankfurter Westend-Verlag

Jochen

Wiederkehr des Kalten Krieges? Einsichten von Noam Chomsky über die amerikanische Außenpolitik anlässlich des „Ukraine-Konfliktes“

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

chomsky american dream

Ganz aktuell wieder, was Chomsky hier auseinanderlegt.
Es passt alles, und es kann einen schaudern, wie gut das alles noch funktioniert –
Knapp verhinderter Neonazi-Putsch in Italien, von Todesschwadronen, die sich auch in unserem Land unter den Augen von VS und BND breit gemacht haben und von denen der NSU nur die abgebrchene Speerspize ist – dazu demnächst mehr
https://www.jungewelt.de/2014/12-23/052.php
Und hier die „Pegida“ als SA-Nachahmer, demnächst wieder Fackelzug mit „Stille Nacht“ und Horst-Wessel-Lied ?
http://www.neues-deutschland.de/artikel/956417.journalistenverband-sieht-gestoertes-verhaeltnis-zur-pressefreiheit-bei-pegida-demonstranten.html

Und nun – was hat Chomsky zu dem kommentiert, was nich nicht eingetreten war:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=24390
Auszüge:

Liegt Sahra Wagenknecht richtig, wenn sie im Bundestag von einer „Neuauflage des Kalten Krieges mit Russland“ spricht?
Wenn man in die Zeitungen schaut, muss man ihr zustimmen. So durften z.B. die Leser des Weser Kuriers die folgende Schlagzeile lesen: „Beifall für deutliche Worte der Kanzlerin. Nach Merkel-Rede: Russland-Experten und Opposition loben Haltung gegenüber dem russischen Präsidenten“ (18.11.14).
Die Regionalzeitung aus Bremen bewies mit dem Artikel eindrucksvoll, wie man die regierungsamtliche und von den Leitmedien durchgesetzte Deutungshoheit des „Ukraine-Konfliktes“ durch Aussagen von Osteuropa-Experten unterstützt.
Von Christian Girschner.

Die Expertin Susanne Schattenberger von der „Elite“-Universität Bremen, die Direktorin der Forschungsstelle Osteuropa ist, erklärte gegenüber dem Weser Kurier, im Ukrainekonflikt sei eine neue „Frustrationsstufe“ erreicht worden und man würde „über Putins Strategie im Dunkeln tappen“. Und der inzwischen emeritierte Gründer dieses ehrwürdigen Institutes Wolfgang Eichwede bekundete anschließend, dass Putin „die deutsche Politik getäuscht“ und damit für einen „Vertrauensbruch“ in den deutsch-russischen Beziehungen gesorgt habe. Daher wären die Worte der Kanzlerin „sehr klug“, weil sie „Putin und der russischen Elite deutlich“ machen, „dass eine solche Politik auf kein Verständnis treffe“.
Die Bremer Bundestagsabgeordnete der grünen Partei Marieluise Beck durfte als „Oppositions“-Vertreterin die härtere Gangart der Kanzlerin gegenüber Russland loben und regte sich zugleich darüber auf, dass Putin zur besten Sendezeit in der ARD „die russische Aggression als Notwehr umdeuten“ durfte, „ohne dass er mit kritischen Fragen rechnen“ musste.
Dieses Interview durfte abschließend auch noch der Chefredakteur der Zeitschrift Osteuropa Manfred Sapper geißeln, wenn er ausführte, dass der Interviewer die „demagogischen Äußerungen von Putin (hätte) hinterfragen müssen“. In diesem Zusammenhang wies er auf die Sanktionen gegen Russland hin, weil diese „wirksam“ wären und der „russischen Volkswirtschaft einen gewaltigen Schaden zugefügt“ hätten.

„Triebfeder des Krieges ist in der Regel der Wille zur geopolitischen Vorherrschaft verbunden mit ökonomischen Interessen. Für die öffentliche Meinung darf das jedoch nicht transparent gemacht werden. (…) Die Zustimmung ist leicht zu bekommen, wenn das Volk glaubt, dass von diesem Krieg seine Unabhängigkeit, seine Ehre, seine Freiheit, vielleicht gar sein Leben abhängt, und dass der Krieg die Durchsetzung unanfechtbarer Werte befördert. Die Propaganda muss daher bestimmte Triebfedern des Krieges für das Volk unkenntlich, andere hingegen glaubhaft machen.“ (Anne Morelli: Die Prinzipien der Kriegspropaganda; Lüneburg 2004, 45)

Konsensfabrik

Dieser wohlwollende Leitartikel des Weser Kuriers verzichtete folgerichtig auf abweichende Stimmen und Sichtweisen über den Ukrainekonflikt. Intellektuelle haben zwar die Pflicht die Wahrheit zu sagen, aber von Noam Chomsky wissen wir, dass Journalisten, Wissenschaftler und die höher gebildeten Schichten am finanziell und sozial lohnenden Rockzipfel des politikökonomischen Machtkomplexes hängen.
Als entsprechend indoktrinierte Leistungserbringer sind sie unter anderem für die Fabrikation von Konsens in der Gesellschaft verantwortlich, um so die dumme, aber leider mit einem Wahlrecht ausgestatte Masse für die Mächtigen zu lenken.
Entsprechend sind sie dafür verantwortlich, dem „inneren Feind“ das richtige Bewusstsein und Verhalten einzutrichtern.

Der undankbare und unberechenbare „Pöbel“ muss, wie Noam Chomsky die Sichtweise der herrschenden Schichten zusammenfasst, stets auf Linie gebracht, diszipliniert und beaufsichtigt werden. Er soll vor allem gehorsam sein, brav arbeiten und sich der Marktdisziplin unterwerfen.
Die Masse muss vor allem von der politischen Bühne ferngehalten werden; sie darf sich nicht politisch einmischen und die Regierungsgeschäfte stören. Diese besondere Arbeitsteilung bedingt jedoch, dass die breite Bevölkerung im Gegensatz zu den privilegierten Schichten weniger ideologisch indoktriniert ist. Letzteres spiegelt sich aktuell in Umfragen über den Ukrainekonflikt wieder.
Viele Menschen wollen immer noch nicht das schlicht gestrickte Medienbild vom aggressiven Russland im Ukrainekonflikt übernehmen. Aus diesem Grund werden von den Parteien, Medien und Intellektuellen die Anstrengungen massiv erhöht, ihre >richtige< Deutungshoheit über den Konflikt nach unten durchzureichen.
Schließlich muss man, um gegen den neuen Feind politisch und militärisch zu mobilisieren, auch die eigene Bevölkerung ideologisch gleichschalten, um mögliche Proteste und Widerstände in der Gesellschaft und in den Institutionen schon im Keim zu ersticken. Entsprechend aggressiv geht man inzwischen im medialen und politischen Establishment gegen abweichende Meinungen und Positionen vor. Augenblicklich läuft deshalb der Indoktrinationsapparat auf Hochtouren. Ab und zu darf dann innerhalb des vorgegebenen Interpretationsrahmens des Ukraine-Konfliktes ein kritischer Mahner die Frage aufwerfen, ob man vielleicht ineffiziente Methoden anwendet, um das von allen geteilte politische Ziel zu erreichen.

Kalter Krieg oder amerikanisches Imperium

Inzwischen erblicken manche in dem Ukrainekonflikt die Wiederkehr des Kalten Krieges, obwohl doch Russland gar nicht mehr >kommunistisch< ist.
Wie kann daher der Kalte Krieg wieder zurückgekehrt sein?

Üblicherweise geht die hegemoniale Doktrin über den Kalten Krieg davon aus, dass sich dieser erst nach 1945 entscheidend entwickelte.
Der Kalte Krieg dominierte demzufolge die innen- und außenpolitische Struktur. Er galt als ein „Systemkonflikt“ und entschied deshalb über die ökonomischen, kulturellen und militärischen Begebenheiten eines Landes und der Welt. Der kommunistische Osten musste durch den friedliebenden, defensiven und freien Westen eingedämmt und abgeschreckt werden, weil dieser einen ökonomischen und ideologischen Expansionstrieb besaß.
So setzte sich der Westen für Demokratie, Menschenrechte, freie Märkte und Privateigentum in der Welt ein, bekämpfte mit großem Mut und militärischem Aufwand den übermächtigen und stets aggressiven >totalitären Feind<.
Entsprechend wurde die amerikanische Vorherrschaft in der >nicht-kommunistischen Welt< mit Sicherheit und politischer Freiheit gleichgesetzt.

Für Noam Chomsky ist diese Doktrin über den Kalten Krieg jedoch nie etwas anderes als ein nützliches ideologisches Propagandainstrument gewesen.
Der Kalte Krieg ist für ihn ein inszenierter Schwindel, um die tatsächlichen Absichten und Interessen der USA zu verschleiern, die schon im 19. Jahrhundert von der amerikanischen Herrschaftselite formuliert wurden und später fest institutionalisiert werden sollten.
Diese imperialen Prinzipien bilden bis heute eine unveränderliche Konstante in der US-Außenpolitik. In der US-Außenpolitik variiert nur die für die Umsetzung dieser Prinzipien angewendete Taktik, die den jeweiligen Umständen und dem erreichten Fortschritt der Militärtechnik angepasst wird.

Der Kalte Krieg war für die USA ein ideologisch herrschaftssicherndes Rechtfertigungsinstrument, weil man damit unter anderem:

  • die eigene Bevölkerung in Furcht und Schrecken halten konnte, dies ist die wirkungsvollste Methode zur Herrschaftssicherung für die Machtelite und Reichen;
  • das Pentagon-System aufbauen konnte, was ein staatliches Subventions-, Forschungs-, Entwicklungs- , Absatz- und Steuerungsinstrument der amerikanischen Industrie darstellt, ohne die heilige Doktrin vom freien Markt als Lüge bloßzustellen;
  • eine gigantische militärische Aufrüstung und ein weltweites Netzwerk von Militärbasen betreiben konnte;
  • einen Militärkeynesianismus praktizieren konnte, damit die Macht und das soziale Bewusstsein der Lohnabhängigen nicht durch eine nachfrageorientierte Wirtschafts- und Sozialpolitik gestärkt wurden;
  • die beständigen militärischen, wirtschaftlichen wie politischen Interventionen gegenüber anderen Staaten rechtfertigen konnte, also Einfädelungen von Regierungsstürzen, Handelskriegen, Geheimdienstaktionen wie die Tötung von Politikern und Ausführung von terroristischen Anschlägen, Aufbau und Unterstützung von Terrororganisationen, Militärinterventionen, Kriege, Ausbildung von Folterknechten, Durchführung von Stellvertreterkriegen usw.;
  • die Arbeiterbewegung und ihre Parteien bzw. Gewerkschaften weltweit verfolgen, einschüchtern und notfalls zerschlagen oder ihre unbelehrbaren Anführer, Mitglieder und Anhänger massakrieren konnte.

Schon am Ende des neunzehnten Jahrhunderts waren die USA ein mächtiger Staat geworden, der die wirtschaftlichen Interessen der besitzenden Klassen nach außen mit Gewalt und Drohungen gegenüber anderen Staaten durchsetzte.
So schuf die USA eine von ihr exklusiv kontrollierte Ausbeutungszone von Ländern, die den Handels-, Export- und Rohstoffinteressen des amerikanischen Kapitals entsprachen.
Mit dem ersten Weltkrieg wurde die Beherrschungs- und Unterwerfungszone weiter vergrößert und noch vor Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg legten die Planer der US-Regierung die bis heute gültigen imperialen Prinzipien für die neue Weltmacht fest.
Diese und nicht die angebliche „Systemauseinandersetzung“ mit der Sowjetunion bestimmten und bestimmen die US-Weltmachtpolitik.
So bekam jede Weltregion eine entsprechende dienende politikökonomische Funktion für die USA bzw. für die amerikanischen Konzerne und Investoren zugesprochen. Über diesen Weg wollte man den eigenen Führungs- und Herrschaftsanspruch gegenüber allen anderen Staaten durchsetzen und sichern.

Imperiales Selbstbestimmungsrecht

Diese Dienstleistungsfunktion anderer Staaten für den ökonomischen Erfolg der USA kann jedoch, wie die US-Planer voraussahen, beeinträchtigt und von anderen in Frage gestellt werden. Eine unabdingbare Voraussetzung für den dauerhaften Erfolg der USA wird deshalb darin gesehen, selbst zu bestimmen, was in anderen Ländern passiert.
Diesem imperialen Selbstbestimmungsrecht der USA hat sich jeder Staat ohne Ausnahme zu unterwerfen: Widerspruch wird nicht geduldet.
Schon eine Einschränkung ihrer politischen Handlungsfreiheit wird von den USA als Angriff auf ihren Weltführungsanspruch angesehen, weil damit auch ihre Glaubwürdigkeit, Macht und ihr Prestige in Frage gestellt wird.
Wer als Staat dennoch gegen diesen Weltmachtanspruch verstößt, sich den politikökonomischen und geostrategischen Interessen der USA nicht unterwirft, sondern dagegen opponiert, wird als „Feind“ aus der „Weltgemeinschaft“ ausgestoßen und mit allen militärischen, politischen, ideologischen und geheimdienstlichen Mitteln bekämpft.
Der Staat, der die amerikanische Hegemonie auch nur ansatzweise in Frage stellt, gilt deshalb als ein zu vernichtender „Virus“; er wird als eine grundlegende Gefahr für die Interessen der USA angesehen. Schließlich kann der Virus andere Länder infizieren und sich so unkontrolliert verbreiten. Den Virus, den die USA so fürchtet, ist der „extreme“, „radikale“ oder „unabhängige Nationalismus“ eines Landes.
Unter diesem Begriff subsumiert die US-Führungselite den Staat, der auf die Idee kommt, dass die heimischen Ressourcen und Reichtümer zur Entwicklung und Förderung seines Landes und zum Wohlergehen seiner Bevölkerung eingesetzt werden sollten. Damit kündigt dieser Staat seine zugewiesene Dienstleistungsfunktion für die US-Investoren und amerikanische Machtelite auf.
Eine solche politikökonomische Ausrichtung eines Landes muss in den Augen der amerikanischen Herrschaftselite von Beginn an und mit aller Gewalt und Rücksichtslosigkeit bekämpft werden, bevor noch andere Staaten diesen anti-amerikanischen Weg einschlagen.
Man sollte sich im Klaren darüber sein, dass die USA „gegen jegliche Entwicklung in der Dritten Welt sind, die sich ihrer Kontrolle entzieht“ und deshalb „müssen die untergeordneten Nationen begreifen, dass sie in Gegenwart des Herrn und Meisters den Mund zu halten haben. Bei Zuwiderhandlungen droht ihnen die Anwendung von Gewalt. Danach werden sie so lange leiden, wie wir es für richtig halten.“ (Chomsky: Wirtschaft und Gewalt; Lüneburg 1993, 382)

Deshalb haben die USA den Vietnamkrieg nicht verloren, wie es die übliche Erzählung behauptet, vielmehr konnten sie zwar nicht alle, aber ihr wichtigstes Anliegen durchsetzen. Denn die USA zerstörten nachhaltig die Grundlagen für die Gefahr eines guten Beispiels, schließlich lag „die ganze Region in Trümmern“ und hatte „keine Chance mehr, dass der „Virus“ erfolgreicher unabhängiger Entwicklung andere „infizieren“ könne.“ (ebd., 388)
An anderer Stelle fährt Chomsky fort: „Mc George Bundy, der ehemalige Sicherheitsberater Kennedys und Johnsons, besann sich Jahre später darauf, dass es womöglich keine schlechte Idee gewesen wäre, den Vietnamkrieg bereits 1965 zu beenden. Durch den Putsch 1965 in Indonesien hatten die Vereinigten Staaten ihren Südostasienkrieg im Grunde schon gewonnen. Vietnam war zu einer Ruine zerfallen und konnte niemandem mehr als Vorbild dienen. Die Vereinigten Staaten hatten in ihrem Hauptinteressengebiet, Indonesien, erfolgreich ihre Macht ausgebaut. In der Folgezeit wurden in der gesamten Region Diktaturen errichtet, um die Ausbreitung „der Fäulnis“ zu verhindern – jene von erfolgreichen unabhängigen Entwicklungen ausgehende Fäulnis, die anderen Ländern als Vorbild dienen kann. Dies war auch eines der Grundthemen im Verlauf des Kalten Krieges. Aus Henry Kissingers Sicht sind nationale Bewegungen Viren, die andere Länder anstecken können – Ideen, die er auch auf Allende in Chile anwandte. Allendes Regierung war ein Virus, und die ausgelöste Infektion konnte sich sogar bis nach Südeuropa ausbreiten. Wenn die Menschen begreifen, dass Sozialreformen über parlamentarische Wege zu erreichen sind, herrscht Gefahr. (…) Viren, die ansteckend sind, müssen vernichtet werden, und wer infiziert werden kann, muss geimpft werden. So verfuhr man in Südostasien und in Lateinamerika. In den sechziger Jahren begann in Lateinamerika eine Welle der Repression: In Brasilien wurde eine Diktatur errichtet, die bis in die achtziger Jahre bestand; danach fielen weitere Dominosteine, die letztlich zu Reagans mörderischen Kriegen in Mittelamerika führten. In Südostasien regierte Ferdinand Marcos auf den Philippinen; in Thailand bestand eine Diktatur, und in Indonesien herrschte Suharto; in Burma wurde die Demokratie größtenteils zerschlagen – (…). Als die Infektion eingedämmt war und die Viren vernichtet waren, sah alles plötzlich ganz wunderbar aus.“ (Noam Chomsky/Andre Vltchek: Der Terrorismus der westlichen Welt; Münster 2014, 153f.)

Auf dieser Grundlage resümiert Chomsky über den Kalten Krieg an einer Stelle seines Werkes, wenn er zusammenfasst: „Der Kalte Krieg, der im wesentlichen schon 1917 begann, war in seinen wichtigen Aspekten ein globaler „Nord-Süd-Konflikt“. Bis zum Ersten Weltkrieg war Russland Europas „Dritte Welt“ gewesen, die Rohstoffe, Märkte und Investitionsmöglichkeiten bot, ohne selbst davon zu profitieren. Andererseits stellte es durch seinen Umfang und seine militärische Macht einen Sonderfall und einen weltpolitisch bedeutsamen Faktor dar, dessen Gewicht mit der führenden Rolle, die die Sowjetunion gegen das nationalsozialistische Deutschland gespielt hatte, noch zunahm. Militärisch stieg Sowjetrussland nach dem Zweiten Weltkrieg zur Supermacht auf, die Bedrohung sah der Westen jedoch im unabhängigen Nationalismus und dem möglichen Virus-Effekt. Von daher lässt sich die „logische Unlogik“ erklären, die das US-Kriegsministerium 1945 bemerkte, als es Pläne vorbereitete, denen zufolge die Vereinigten Staaten den größten Teil der Welt kontrollieren und die Sowjetunion militärisch einkreisen sollten, ohne dem Gegner vergleichbare Rechte einzuräumen.“ (Chomsky: Hybris 2003, 90)

In den Augen der US-Strategen war also die Sowjetunion ein umfassender Teil der „Dritten Welt“ gewesen, die aus ihrer traditionellen Rolle für die westlichen kapitalistischen Industriestaaten ausgebrochen war und deshalb „eingedämmt“ und durch eine Rollback-Politik wieder in ihre dienende Funktion zurückgezwungen werden musste. Nach diesen imperialen Grundprinzipien steht auch außer Frage, „dass die Vereinigten Staaten mit Diktaturen und Tyrannen keine Probleme haben, sofern diese den US-Interessen dienlich sind, und, dass sie überzeugte Demokratien angreifen und vernichten, sobald diese von ihrer unterwürfigen Dienstleistungsrolle abweichen.“ (Chomsky: Die Herren der Welt, Berlin 1993, 27)

Thesen über den imperialen Charakter des Ukraine-Konfliktes

 

Wendet man diese grundlegenden imperialen Prinzipien der USA auf den aktuellen „Ukraine-Konflikt“ an, erhält man folgendes Szenario.
Russland war auch nach dem Ende der Sowjetunion bzw. des „Kommunismus“ für die USA ein Feind-Staat, der beaufsichtigt und eingedämmt werden musste. Russland besaß nämlich als Nachfolgestaat der Sowjetunion im Gegensatz zu vielen anderen Staaten ein großes Arsenal an Atomwaffen und -raketen, die weiterhin als eine permanente Gefahr durch die amerikanische Machtelite angesehen wurden, denn sie schränkten weiterhin die imperiale Handlungsfreiheit der übrig gebliebenen Weltmacht ein.
Die Weltmacht USA forcierte, da eine direkte Zerstörung des russischen (atomaren) Waffenpotentials nicht möglich war, unter anderem – entgegen den gegebenen Abmachungen – die schrittweise Osterweiterung der NATO, um Russland militärisch und geopolitisch zu schwächen bzw. einzudämmen. Nach der ökonomisch und politisch desaströsen Jelzin-Ära, die von den USA ganz gezielt mit eingefädelt worden war, hat Russland unter Putin nun zentrale imperiale Prinzipien der USA verletzt.
So mutierte Russland von einer potentiellen Gefahr für die Weltmacht USA zu einem gefährlichen Virus, der isoliert, eingedämmt und bekämpft bzw. zerstört werden muss. Die russische Regierung von Putin hat nämlich folgende anti-amerikanischen „Verbrechen“ begangen:

  • Russland hat sich als Atommacht wieder zu einem selbständigen Akteur in der internationalen Politik zurückgemeldet, der die Handlungsfreiheit der ökonomisch angeschlagenen USA einschränkt, sich also nicht mehr vollständig den geopolitischen Zielen und Ambitionen der USA unterwirft, sondern vermehrt eigene Interessen verfolgt;
  • Russland ist für die USA zu einem gefährlichen „Virus“ geworden, weil es – im Gegensatz zur Regierungszeit von Jelzin – die Ressourcen und Reichtümer vorrangig für seine eigene ökonomische Entwicklung einsetzt, damit die Dienstleistungsfunktion für westliche Investoren und Konzerne eingeschränkt hat, d.h. auch, Russland ist zu einem gefährlichen Vorbild für andere Länder geworden;
  • Russland ist ein Mit-Architekt von nicht-amerikanisch beherrschten Wirtschaftsbündnissen und -abkommen geworden, die die amerikanische Vorherrschaft auf der Welt weiter unterminieren werden.

Selbstaufgabe Russlands erzwingen

Es wird deshalb für die US-Strategen darum gehen, das abtrünnige Russland wieder auf Linie zu bringen, d.h. genau genommen, Russland hat sich der USA unterzuordnen und muss als möglicher geopolitischer Widersacher endgültig ausgeschaltet werden.
Aus diesem Grund wird die Weltmacht USA alle bekannten Unterwerfungsmethoden gegenüber Russland mobilisieren, um dieses Ziel zu erreichen, dazu gehört u.a.:

  • eine forcierte militärische Einkreisung und Schwächung Russlands (Vermehrung/Ausbau der Militärbasen an den russischen Grenzen, militärische Aufrüstung bzw. Modernisierung, dazu gehört insbesondere die Modernisierung des atomaren US-Raketenarsenals, um ihre militärische Schlagkraft weiter zu steigern);
  • Zurückdrängung russischer Einflusszonen, beispielsweise in den ehemaligen Sowjetrepubliken (Kasachstan, Usbekistan usw.), dem Kaukasus und am kaspischen Meer, damit die USA die geopolitische Kontrolle über das dortige Erdöl/Erdgas erlangt (während anglo-amerikanische Konzerne das Erdöl fördern und die Profit einstreichen), dies schließt ebenfalls die Energietransportkorridore mit ein, die außerhalb Russlands zu verlaufen haben. Denn wer die Energiequellen wie Erdöl und Gas kontrolliert, kontrolliert die Welt – eine Leitdoktrin der Weltmacht USA;
  • das Schüren von neuen Konflikten innerhalb und an den Grenzen Russlands, beispielsweise durch Unterstützung oder Initialisierung von separatistischen Bewegungen und „islamistischen Fundamentalisten“ bzw. Terroristen;
  • die gezielte Schwächung/Destabilisierung („Regimewechsel“) von russischen Bündnispartnern;
  • die Schädigung der ökonomischen Basis Russlands durch wirtschaftliche Manipulationen, Handelskriege, Sabotageakte und Sanktionen;
  • die Schaffung und Unterstützung von politischen Kräften, die die Regierung von Putin stürzen und durch eine amerikakonforme Regierung ersetzen;
  • propagandistische Skandalisierung über – auch von außen gesteuerte bzw. inszenierte – soziale, politische und kulturelle Ereignisse oder Krisen in Russland;
  • ideologische „Kolonalisierung“ Russlands unter dem Label der Stärkung der Zivilgesellschaft und Demokratisierung;
  • Aufbau eines Raketenabwehrschirms durch die USA in Europa, welches dazu dient, einen atomaren Erst- bzw. Enthauptungsschlag gegen Russland durchführen zu können, ohne die Konsequenzen eines russischen Gegenschlages fürchten zu müssen (allein die Androhung eines Erstschlages sollte eine politisch disziplinierende und unterordnende Wirkung auf Russland entfalten);
  • die von den USA betriebene Eingliederung der Ukraine in die NATO-Zone durch einen herbeigeführten Putsch dient der weiteren militärischen Einkreisung und Schwächung Russlands;
  • die Ukraine wird nach ihrer Übernahme durch die USA/NATO zur neuen Abschussrampe für atomare Mittelstreckenraketen ausgebaut, um einen Enthauptungsschlag gegen Moskau führen zu können. Wenn atomare US-Raketen aus der Ukraine Moskau in zwei Minuten erreichen, kann Russland sich nicht mehr verteidigen, es wird damit in jeder Hinsicht für die USA erpressbar;
  • die von den USA mit der Einverleibung der Ukraine anvisierte Verdrängung des russischen Marinestützpunktes in Sewastopol auf der Krim durch einen amerikanischen Stützpunkt wurde vorerst von Russland vereitelt. Dieser Marinestützpunkt ist für Russland von größter geopolitischer Bedeutung und für die USA ein geopolitisch aus Welt zu schaffendes Ärgernis. Der Infrastrukturstab der US-Marine hatte bereits im Juni 2013 eine Ausschreibung zur Sanierung eines größeren Gebäudekomplexes in Sewastopol herausgegeben. Dies belegt vor allem die langfristige Planung und Vorbereitung der Übernahme der Ukraine durch die US-Administration (dazu:Vortrag von Wolfgang Effenberger: Die politische Weltlage, ab Minute 36:35).

NATO hat wieder ein Feindbild Russland

nein zur nato ddr1957

Wir haben es also nicht mit einer Wiederkehr des „Kalten Krieges“ zu tun, der nie etwas anderes als ein irreführendes Propagandainstrument der Weltmacht USA gewesen war, um ihre geopolitischen und imperialen Interessen ideologisch zu verschleiern.
Vielmehr ist die aktuell betriebene Eskalation im Ukraine-Konflikt das Resultat, dass Russland unter Putin einerseits zu einem für die USA unliebsamen Akteur in der Weltpolitik geworden ist und andererseits die Ausplünderung seines Landes durch amerikanische und europäische Konzerne ein Ende gesetzt hat.
Die amerikanische Aggression gegen Russland wird so lange anhalten, bis die dienende und unterwürfige Rolle Russlands wieder hergestellt wurde. In dieser Hinsicht ist die Ukraine für die USA nur ein Faustpfand, um Russland weiter unter Druck zu setzen, es zu isolieren und zu schwächen.
Hinter der amerikanischen und europäischen Propaganda gegen Russland steht daher eine gut verschleierte Herrschaftsstrategie, die Russland zu einem Aggressor und neuen Feind stilisiert und mystifiziert. Gleichzeitig sichert die USA mit diesem von ihr selbst geschaffenen – und von der EU unterstützten – Ukraine-Konflikt und die damit einhergehende Restauration des „alten“ Feindbildes die Unterordnung ihrer europäischen NATO –Bündnispartnern, die ansonsten höchst unterschiedliche und in Konflikt stehende Interessen verfolgen, sich aber augenblicklich wieder der US-Oberherrschaft unterwerfen.
Das neue Feindbild Russland legitimiert nicht nur die zwischenzeitlich verloren gegangene Existenzberechtigung der NATO, sondern eine neue Runde der militärischen Aufrüstung und Umgruppierung der NATO – selbstverständlich unter Führung der friedliebenden USA.
Außerdem setzen die USA mit dem Ukraine-Konflikt ein weiteres strategisches Ziel um, nämlich die Verhinderung eine für Europa und Russland vorteilhaften politikökonomischen Zusammenarbeit, die die Macht der USA beschneiden könnte. Dieses Ziel brachte Emmanuel Todd schon vor über zehn Jahren in seinem Nachruf auf die USA auf den Punkt: Mit der „Aufrechterhaltung eines gewissen Niveaus an Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und Russland sollte die Annäherung zwischen Europa und Russland – die Wiedervereinigung des Westteils von Eurasien – verhindert und so der Antagonismus, der aus dem Kalten Krieg übriggeblieben war, möglichst lange am Leben gehalten werden.“ (Emmanuel Todd: Weltmacht USA. Ein Nachruf; München/Zürich,2003, 194)

In der Weltpolitik hat sich auch nach dem ausgerufenen Ende des Kalten Krieges nichts verändert, es ist und bleibt das alte Spiel um Herrschaftssicherung und –unterwerfung, zwischen Herr und Knecht:
„Kurz gesagt geht es immer noch darum, die Macht im Club der reichen Männer zu bewahren, die Dienstleistungsregionen unter Kontrolle zu halten und die staatlich organisierten öffentlichen Subventionen für die heimischen, entwickelten Industriesektoren weiterfließen zu lassen. Der Demokratie ist mit aller Kraft zu widerstehen, außer im politisch korrekten Sinne der ungestörten Herrschaft von Geschäftsinteressen. Menschenrechte sind irrelevant. Die Politik bleibt stabil und passt sich lediglich an neue Verhältnisse an, was die Kulturmanager auf adäquate Weise nachvollziehen. Diese Gesichtspunkte springen so unverhohlen ins Auge und bleiben mit solch manischer Geläufigkeit auf der Tagesordnung, dass man schon ziemlich talentiert sein muss, um sie zu übersehen.“ (Chomsky: Wirtschaft und Gewalt; Lüneburg 1993, 153)

Literatur

  • Eine Auswahl von Büchern über die US-Weltpolitik von Noam Chomsky (unsortiert):
  • Wirtschaft und Gewalt. Vom Kolonialismus zur neuen Weltordnung (1993; Lüneburg)
  • Eine Anatomie der Macht (2004; Hamburg)
  • Die Herren der Welt (2014; Wien)
  • Neue Weltordnungen. Vom Kolonialismus bis zum Big Mac (2004; Hamburg)
  • Pirates und Emperors. Terrorismus in der „Neuen Weltordnung“ (2004; Grafenau/Frankfurt)
  • Hybris. Die endgültige Sicherung der globalen Vormachtstellung der USA (2003; Hamburg)
  • Die politische Ökonomie der Menschenrechte (2001; Grafenau)
  • Interventionen (2008; Hamburg)
  • Was Onkel Sam wirklich will (1993; Zürich)
  • Die Herren der Welt (1993; Berlin)
  • Clintons Vision. Freier Markt und Abschottung (1994, Grafenau)
  • Der gescheiterte Staat (2006; München)
  • Vom politischen Gebrauch der Waffen. Zur politischen Kultur der USA und den Perspektiven des Friedens (1987; Wien)
  • Der neue militärische Humanismus. Lektionen aus dem Kosovo (2000; Zürich)
  • Die 5. Freiheit. Über Macht und Ideologie (1988, Berlin)
  • Chomsky/Vltchek: Der Terrorismus der westlichen Welt (2014; Münster)

Dazu ergänzend ist zu beachten:

  • William Blum: Zerstörung der Hoffnung. Bewaffnete Interventionen der USA und des CIA seit dem 2. Weltkrieg (2008, Frankfurt)
  • William Blum: Schurkenstaat (2006, Berlin)
  • John Perkins: Weltmacht ohne Skrupel (2007; München)
  • John Perkins: Bekenntnisse eines economic hit man(2007; München)

Anmerkung: Die Rolle der intellektuellen Speichellecker hat Bertold Brecht gut in seinem TUI-Roman beschrieben. Dieser gehört nicht zum Lesestoff für Abitursklassen.

Jochen