In Bayern schreiben viele Krankenhäuser rote Zahlen: »Oder die Klinik geht ganz vom Netz«

mdb weinberg

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Harald Weinberg, MdB(Die Linke) mit einem konkreten Vorschlag gegen das Kliniksterben in ländlichen Regionen
https://www.jungewelt.de/artikel/320521.oder-die-klinik-geht-ganz-vom-netz.html
Auszüge:

Bayerns Kliniken stecken zum Teil tief im Minus. Das hat die Zeitung Merkur in der vergangenen Woche berichtet.
Demnach rechnen gegenwärtig 44 Prozent der etwa 350 Kliniken im Freistaat damit, am Ende des Jahres ein Defizit ausweisen zu müssen. Können Sie solche Meldungen noch überraschen?

Nein, diesen Trend beobachten wir schon seit Jahren. Die Krankenhäuser sind immer stärker unter finanziellen Druck und dann ins Defizit geraten.
Dabei sollte man nicht vergessen: Bei einem Klinikum sollten nicht rote oder schwarze Zahlen im Vordergrund stehen, sondern eine vernünftige Gesundheitsversorgung der Patienten. Dafür müssen die Einrichtungen ausfinanziert werden.

Das ist offenbar nicht der Fall. Welche Folgen können die Defizite haben?

Mittelfristig führen sie zur Privatisierung von Häusern, die derzeit von den Gebietskörperschaften getragen werden. Denn diese müssen für die Verluste der Kliniken aufkommen. Wenn nun aber etwa ein Kreiskrankenhaus hohe Defizite aufweist, muss der Kreis, da er nicht selbst über Geld verfügt, die Kreisumlage erhöhen – wobei irgendwann die Bürgermeister, die sie erbringen müssen, den Aufstand proben.
Also entledigt man sich des Problems, indem man das Haus verkauft. Geschieht das nicht, werden bei den entsprechenden Häusern entweder Stationen geschlossen, oder die Klinik geht ganz vom Netz.
Neben einigen anderen Ursachen hat gerade der Kostendruck dazu geführt, dass seit 2009 insgesamt 35 Geburtshilfestationen in Bayern geschlossen wurden. Denn die dort erbrachten Leistungen lassen sich schlecht planen – und sind deshalb besonders vom System der Fallpauschalen betroffen.

Eine Klinik bezieht ihre Mittel aus zwei Quellen: Für Investionskosten, etwa Sanierungen oder den Ausbau von Stationen, kommt das Bundesland auf.
Die Krankenkassen begleichen hingegen die Ausgaben für Personal und medizinische Leistungen; sie rechnen dabei die gewährten Mittel über Fallpauschalen ab. Wo entsteht die Unterfinanzierung?

In beiden Bereichen. Die Bundesländer haben die für Investitionen gewährten Mittel immer weiter heruntergefahren. In Bayern stehen wir im Bundesvergleich noch recht gut da. Doch auch hier werden jährlich nur 650 der eigentlich benötigten 850 Millionen Euro gezahlt.
Dieser Kostendruck auf den Kliniken wird durch das System der Fallpauschalen noch verstärkt. Mit ihm ist im wesentlichen ein Festpreissystem eingeführt worden: Eine bestimmte Prozedur wird in Garmisch genauso vergütet wie in Ansbach. So sollte eine Transparenz hergestellt werden, was die Ausgaben der Kliniken angeht.
Tatsächlich ist in der Folge viel rationalisiert worden. Weil die Häuser über die Fallpauschalen zueinander in Wettbewerb gesetzt wurden, kann es sich keines von ihnen erlauben, nicht in neue medizinische Ausstattung und Sanierungen zu investieren. Da ihnen die Länder dafür nicht genügend Mittel geben, nehmen sie Fremdkapital auf. So entstehen aber im Budget neue Kostenpunkte, Darlehen müssen abbezahlt und Zinsen getilgt werden.
Um das zu schaffen, werden die Einnahmen über die Fallpauschalen herangezogen, die dafür gar nicht gedacht sind. Man finanziert also lieber die Baustelle als das Pflegepersonal.

Einrichtungen, die einem kapitalstarken privaten Klinikkonzern angehören, dürften diesem Druck eher standhalten als kleine Krankenhäuser in Gemeindehand.

Im Prinzip stimmt das, wobei es auch Ausnahmen gibt. Mittlerweile heißt es auch in der politischen Debatte, dass Häuser, die über weniger als 200 Betten verfügen, nicht rentabel geführt werden können.
Betroffen sind also meistens die kleinen Häuser in strukturschwachen Regionen. Wenn sie geschlossen werden, bricht aber viel weg, denn sie sind in der Gegend meist der größte Arbeitgeber. Und gerade für ältere, immobile Patienten verschlechtert sich auch die Gesundheitsversorgung.

Wenn das die Auswirkungen der Fallpauschalen sind, welches Finanzierungssystem würden Sie dann an dessen Stelle setzen wollen?

Die sauberste Lösung wäre es, wenn die Kassen mit den Kliniken Jahresbudgets aushandeln würden. Kommt eine Einrichtung damit nicht aus, wird sie das begründen müssen. Mittel, die nicht verbraucht werden, können ins nächste Jahr mitgenommen werden.
Die Finanzierung über die Fallpauschalen, die nur zu falschen Anreizen geführt hat, wäre damit weg.
Interview: Johannes Supe

Jochen

Gefährlicher Ort Klinik – ein Drittel mehr Patienten in deutschen Krankenhäusern, zugleich weniger Pflegepersonal als Anfang der 1990er

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

pflegenotstand

Bei diesem Bericht in der jungen Welt erinnere ich mich an eine Untersuchung von 2014, die den direkten Einfluss der Pflegebesetzungszahl auf die Sterberate in Kliniken beweist: https://josopon.wordpress.com/2014/07/02/jetzt-wissenschaftlich-belegt-personaleinsparung-in-krankenhausern-totet/
Auszüge des heutigen Artikels:

Neuer Bericht: Heute ein Drittel mehr Patienten in deutschen Krankenhäusern, zugleich weniger Pflegepersonal als Anfang der 1990er

Von Jana Frielinghaus

Man sollte möglichst nicht schwer krank werden – und Obacht bei Glatteis! Denn ein Krankenhausaufenthalt könnte zusätzliche Probleme bringen.
Wenige Tage vor der Bundestagswahl hatte der angehende Krankenpfleger Alexander Jorde Bundeskanzlerin Angela Merkel etwas von den Zuständen in deutschen Kliniken erzählt – von Dauerüberlastung der Fachkräfte und »tausendfacher Verletzung der Menschenwürde« aufgrund des Personalmangels. Merkel habe in den vergangenen zwölf Jahren nicht viel dagegen getan, kritisierte der Auszubildende.
Im Wahlkampf war das Thema zuvor nicht vorgekommen, ebensowenig die schlechte Bezahlung von Schwestern und Pflegern.

Am Donnerstag legte die Deutsche Stiftung Patientenschutz (DSP) Daten des Statistischen Bundesamtes vor, die das Ausmaß der Misere deutlich machen. Die Zahl der Pflegekräfte in hiesigen Krankenhäusern ist demnach seit Anfang der 90er Jahre leicht auf 325.000 zurückgegangen. Zugleich müssen heute pro Jahr im Schnitt aber fast eine halbe Million Menschen mehr in Kliniken betreut werden als damals.
Das entspricht einem Anstieg – und damit einer Erhöhung der Belastung des Pflegepersonals – um 34 Prozent. Es komme hinzu, dass immer mehr Patienten hochbetagt und chronisch krank seien, mahnte Stiftungsvorstand Eugen Brysch gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Jeder sechste im Krankenhaus Betreute sei über 80 Jahre alt.

Die von der DSP vorgelegte Aufschlüsselung nach Bundesländern zeigt zudem, dass die Situation in einzelnen Regionen noch weitaus schlimmer ist. So musste eine Vollzeitkraft in Berlin 2016 durchschnittlich 63 Fälle betreuen, fast doppelt so viele wie 1991 (32). Im Bundesdurchschnitt kommen auf einen Pfleger aktuelle 60 Patienten, vor 25 Jahren waren es 44.
Zum Vergleich: In den Niederlanden, in Schweden oder der Schweiz kommen auf eine Fachkraft in der Krankenhauspflege laut einer aktuellen Studie sieben bis acht Betreute.

 Brysch forderte, eine neue Bundesregierung müsse eine verbindliche Personaluntergrenze für Pflegekräfte auf allen Krankenhausstationen einführen. Bisher hätten die Gesundheitsminister von Bund und Ländern wie auch die Klinikbetreiber die Zuspitzung der Lage ignoriert. Zugleich verlangte der Stiftungsvorstand, die Schere zwischen den Berufsgruppen müsse kleiner werden. Denn die Zahl der Krankenhausärzte in Krankenhäusern sei in den vergangenen 25 Jahren um 66 Prozent auf 158.000 gestiegen. Die Verweildauer der Patienten in den Kliniken habe sich im gleichen Zeitraum halbiert. Sie liegt heute noch bei gut einer Woche. Dies, obwohl viele Betroffene eigentlich »mehr Hilfe, Zuwendung und Pflege brauchen«, wie DSP-Vorstand Brysch betonte.

Unterdessen hat die Gewerkschaft Ver.di die Beschäftigten mehrerer Krankenhäuser in der Bundesrepublik zu Aktionen und Warnstreiks aufgerufen, so am Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM). Seit Monaten fordern Gewerkschafter dort eine verbindliche Regelung zur Behebung gravierender Versorgungsmängel und für mehr Patientensicherheit durch mehr Personal in allen Bereichen.
»Unterbesetzung belastet die Beschäftigten. Darunter leiden auch die Patienten«, erklärte der zuständige Gewerkschaftssekretär Fabian Rehm. Der Personalmangel sei »nicht mehr zu ertragen«. Rehm kündigte eine Ausweitung der Arbeitskampfmaßnahmen für den Fall an, dass die Klinikleitung nach dem Warnstreik kein Angebot vorlegt.
Nach Angaben von Verdi fehlen allein am UKGM 800 und insgesamt 162.000 Vollzeitpflegerinnen und -pfleger in den bundesweit 1.950 Kliniken.

Jochen