Der große Afghanistan-Schwindel – Bundeswehr befürchtet Machtgewinn der Taliban

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Nichts ist gut in Afghanistan!“ sagte vor einigen Jahren Frau Margot Käßmann, damals noch evangelische Oberbischöfin.
Sie sollte recht behalten, obwohl man ihr diese Offenheit nicht verziehen hat und eine Schmähkampagne gegen sie losgetreten wurde. Alles, was das schöne Bild des „Feldzuges für Menschenrechte“ stört, sollte zensiert werden.
Hier nun 2 Meldungen, wenige Tage auseinander, im Neuen Deutschland und im Spiegel, die das NATO-Lügengewebe von beiden Seiten beleuchten:

A.http://www.neues-deutschland.de/artikel/993123.der-grosse-afghanistan-schwindel.html

Kritik an Korruption, Armut und Frauenunterdrückung ist bis heute gefährlich für Aktivisten in Afghanistan

Afghanistans Bevölkerung leidet noch immer. Nichts sei besser geworden seit dem Sturz der Taliban, kritisieren linke Organisationen und arbeiten bewusst außerhalb des Parlaments »aus Verbrechern«.

Ihre Antwort ist blanke Ironie, dabei verzieht Mariam Rawi keine Miene: Auf die Frage, was der Sturz der Taliban gebracht hat, antwortet sie: »Früher kamen nur fünf Prozent der globalen Opiumproduktion aus Afghanistan, jetzt sind es über 90 Prozent. Von 30 Millionen Menschen im Land sind drei Millionen drogensüchtig und acht Millionen erwerbslos. Alle 30 Sekunden stirbt eine Frau wegen mangelnder medizinischer Versorgung. Laut einigen Studien ist Afghanistan für ein weibliches Kind der schlimmste Ort, geboren zu werden. In manchen Dingen, auch bei Korruption, sind wir also Weltspitze

RAWA_Einladung_abgelehntEinladung abgelehnt: Hafiz Rasikh, Mariam Rawi und Weeda Ahmad hätten im 
Bundestag gern über ihr Land berichtet. Foto: Ralf Hutter

Rawi arbeitet für die Revolutionäre Vereinigung der Frauen Afghanistans (RAWA). Vor Kurzem reiste sie mit zwei weiteren Mitgliedern der afghanischen Zivilgesellschaft durch Deutschland, um einen alternativen Blick auf die Lage im Land zu geben.
Nach dem, was sie erzählen, haben die Darstellungen der Bundesregierungen der letzten Jahre nur einen Titel verdient: der große Afghanistan-Schwindel.

Um das Bild eines Landes auf dem richtigen Weg aufrecht zu erhalten, werden die kritischen Stimmen ausgeblendet. So hatten die Regierungsfraktionen beispielsweise am 11. November die afghanische Präsidentengattin Rula Ghani in den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eingeladen, es aber abgelehnt, Rawi und eine andere Frau zu empfangen, deren Organisation sich für die Familien Ermordeter und gegen Straflosigkeit engagiert.
»Rula Ghani repräsentiert die kleine Elite Afghanistans, die mit der Lebenssituation und den täglichen Gefahren und Bedrohungen der Mehrheit der Frauen wenig zu tun hat«, kritisierte die LINKE-Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel. Ghani sei erst 2001 nach Afghanistan gekommen. Bis dahin hatte sie mit ihrem Mann in den USA gelebt.

Mariam Rawi bestätigt diese Kritik. »Sie hat keine Wurzeln in Afghanistan«, lebe »wie eine Gefangene« im Präsidentenpalast, den sie aus Sicherheitsgründen kaum verlassen kann.
Die meisten Afghanen würden nicht mal ihren Namen kennen, sagt die RAWA-Aktivistin, deren Organisation sich seit 1977 für die Rechte der Frauen im Land einsetzt.
Die Aktivistinnen der auch heute noch vor allem im Verborgenen arbeitenden Organisation dokumentierten schon zu Zeiten der Taliban-Herrschaft von 1996 bis 2001 unter großen Gefahren Verbrechen an Frauen. RAWA arbeitet nicht mit den großen ausländischen Hilfsorganisationen zusammen, ist ein Synonym für Fundamentalopposition und dementsprechend verhasst. Deshalb werden nicht einmal ihre Lesekurse für Frauen unter dem Namen RAWA angeboten, und deshalb möchte auch Mariam Rawi, die eigentlich anders heißt, unerkannt bleiben.

Wie gefährlich es für sie ist, verdeutlicht Hafiz Rasikh von der Solidaritätspartei Afghanistans: »Nach einem Interview, in dem ich mich auf RAWA berief, wurde ich tätlich angegriffen.« Regimegegner im Allgemeinen würden als »RAWA-Anhänger« gebrandmarkt.

Die Solidaritätspartei arbeitet ausschließlich außerparlamentarisch. Sie habe 30 000 Mitglieder in 24 Provinzen, sagt Rasikh, aber ins Parlament wollen sie nicht. Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit. »Wir haben gesehen, wie Malalai Joya, die jüngste Parlamentsabgeordnete, wegen ihrer Kritik an der Regierung rausgeworfen wurde. Zudem haben sich viele Abgeordnete die Sitze erkauft oder bekamen sie, weil sie Kriegsfürsten waren. Jeder weiß, dass die Wahlen gefälscht sind und dass überall Korruption ist.«

Die 2004 gegründete säkulare Partei setzt sich für Frauenrechte ein und erklärt sich solidarisch mit dem kurdischen Kobane. In Kurdistan wie in Afghanistan unterstütze die NATO Fundamentalisten, lautet ihre Kritik.
Auf Veranstaltungen erinnert die oppositionelle Organisation auch an die Regierungsübernahmen des sozialistischen Regimes (1978 bis 1992) und der folgenden Mudschaheddin-Clique (bis 1996), die beide für jeweils Tausende Tote verantwortlich sind.

Dieser Aufarbeitung ist die Arbeit von Weeda Ahmad gewidmet. Sie leitet die Vereinigung für afghanische Gerechtigkeitssuchende, die regelmäßig Demonstrationen und Gedenken für die im Laufe der Jahrzehnte unter verschiedenen Regimes ermordeten Menschen veranstaltet. »Im Amnestiegesetz von 2008 steht, über die Verbrechen der Vergangenheit zu sprechen, störe den Frieden«, sagt sie. In Wahrheit sei der Grund ein anderer: »Der Staat wird vor allem von Leuten geführt, die für solche Verbrechen verantwortlich sind.«
Deshalb mag Ahmad ihre Regierung nicht als demokratisch bezeichnen. Ihre allererste Maßnahme sei gewesen, »die Kriegsfürsten und Kriminellen« wieder an die Macht zu bringen, die da schon zwischen 1992 und 1996 waren. Mit ihnen an der Spitze seien die Missachtung von Frauen und die Armut größer geworden. Die Tötung von Zivilisten habe zugenommen – sei es durch Militär, Taliban oder staatsnahe Milizen, ein neues Phänomen, eingesetzt von der Regierung. Da sie nicht überall Polizei und Militär installieren konnte, habe sie lokale Milizen als Sicherheitskräfte verpflichtet, berichtet Ahmad.

Rawi, Rasikh und Ahmad sind gegen diese mächtigen Cliquen wie auch gegen ausländisches Militär im Land. Mit ihrer Kritik an der Regierung stehen sie nicht allein. Mitte November demonstrierten in Kabul mehr als 10 000 Menschen, um Druck auf die Regierung auszuüben, etwas gegen den Islamischen Staat zu unternehmen. Es war die größte Demonstration seit Jahrzehnten.
Anlass war eine grausame Bluttat einige Monate zuvor. Dabei waren sieben Reisende in einer unsicheren Gegend des Landes aus einem Bus geholt und geköpft worden.
»Es war das erste Mal, dass auch Frauen und ein Kind so entführt und getötet wurden«, sagt Rawi. »Das hat die Menschen sehr betroffenen gemacht.« Manche von ihnen versuchten, den Präsidentenpalast zu stürmen, einige wurden dabei angeschossen.

B. http://www.spiegel.de/politik/ausland/afghanistan-bundeswehr-fuerchtet-machtgewinn-der-taliban-a-1066371.html

Afghanistan: Bundeswehr befürchtet Machtgewinn der Taliban

Düstere Prognose für Afghanistan: Laut einem Zeitungsbericht fürchten Bundeswehrexperten 2016 eine steigende Bedrohungslage am Hindukusch. Afghanische Sicherheitskräfte könnten in einigen Regionen die Kontrolle verlieren.

In Afghanistan droht nach Meinung der Bundeswehr eine neue massive Offensive der radikal-islamischen Taliban. Wie die „Bild“-Zeitung unter Berufung auf den „Ausblick Sicherheitslage 2016“ berichtet, wird den Taliban eine „zunehmend erfolgreiche Kampfführung“ bescheinigt, die in Afghanistan „insgesamt zu einer Verschlechterung der Sicherheits- und Bedrohungslage“ führe.

Die Islamisten könnten ihre Aktionen „effektiver koordinieren“ und in größeren Gruppen auftreten, heißt es in dem Bundeswehrbericht weiter.
Parallel drohe ein Zusammenbruch der afghanischen Sicherheitskräfte, die jahrelang – auch von der Bundeswehr – aufgebaut worden waren.

Mit Blick auf das kommende Jahr prognostiziert die Bundeswehr: „Neben der zukünftig auch dauerhaften Kontrolle von einzelnen Distriktzentren in militanten Kernräumen sind 2016 auch verstärkte, umfangreiche, ausgeplante und gut koordinierte Angriffe auf Provinzzentren wahrscheinlich.
Dabei ist auch ein zeitlich befristeter Kontrollverlust der afghanischen Sicherheitskräfte möglich.“

Die Mehrzahl der Provinzhauptstädte in Afghanistan sei zwar noch „ausreichend kontrollierbar“, viele ländliche Gebiete hingegen seien überwiegend oder gar nicht mehr zu kontrollieren.

Von der Leyen in Nordafghanistan

Wegen der angespannten Sicherheitslage im Land hatte die Nato erst vor wenigen Tagen ihren geplanten Truppenabzug aus Afghanistan vorerst gestoppt.
Der Einsatz am Hindukusch soll nächstes Jahr mit fast unverändertem Aufwand fortgesetzt werden.

Die Truppe der deutschen Bundeswehr soll dabei sogar wieder von 850 auf bis zu 980 Soldaten aufgestockt werden. Ursprünglich war schon für das kommende Frühjahr der Rückzug der Nato-Truppen aus den Provinzen in die Hauptstadt Kabul geplant.

Kurz vor der geplanten Ausweitung des Afghanistan-Einsatzes besucht Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen die deutschen Soldaten am Hindukusch. Die CDU-Politikerin traf am Sonntagabend im Feldlager im nordafghanischen Masar-i-Scharif ein, wo Soldaten aus 21 Ländern zur Ausbildung und Beratung der afghanischen Streitkräfte stationiert sind.

Die Truppenbesuche der Verteidigungsminister kurz vor Weihnachten haben Tradition. Von der Leyen will am Montag mit deutschen und afghanischen Soldaten sprechen, um sich über den Stand der Ausbildung zu informieren.

ssu/dpa-AFX

Mein Kommentar zu UvdL: Die „Trippel-Königin vom Lazarett“ !

Jochen

Nicht einfach nur hilflos – ein gewaltfreier Plan, den IS trocken zu legen

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Die das Völkerrecht missachtende, von Banken, Energiekonzernen und Waffenherstellern bezahlte Bande der Großen Koalition hatte im Bundestag nichts weiter zu lügen, als den Kriegsdienstverweigerern vorzuwerfen, sie hätten keinen anderen Plan.
Natürlich gibt es einen anderen Plan, aber der geht gegen die Interessen der o.g. Öl- und Rüstungsindustrie. Und auch gegen den heimlichen Wunsch der USA und der Türkei, den IS auf Sparflamme zu behalten, um ihn weiter als Pfahl im Fleische Russlands, der legitimen Regierung Syriens und der Kurden verwenden zu können, das muss hier noch einmal erwähnt werden.
Hier nun die pazifistische Alternative:
http://www.neues-deutschland.de/artikel/993482.einfach-nur-hilflos.html
Auszüge:

Christine Schweitzer skizziert einen gewaltfreien Weg gegen den IS

Eine Terrororganisation wie der Islamischer Staat lässt sich nur militärisch besiegen – selbst unter Kritikern des geplanten Kriegseinsatzes der Bundeswehr ist diese Überzeugung verbreitet. Sie bestreiten das. Fehlt den anderen die Fantasie oder haben Sie zu viel?
Die Überzeugung, dass im Notfall nur Gewalt hilft, ist ein archetypisches Grundmuster in unserem Denken. Es entfaltet seine Wirkung gerade in schwer lösbaren Situationen. Unseren Vorschlägen wird deshalb gern vorgehalten, sie seien unrealistisch. Dabei ist es die Behauptung, Bomben und Bodentruppen könnten diesen Konflikt lösen, die jeder Realität entbehrt. Das sollte man eigentlich aus den letzten Kriegen in Afghanistan, Irak und Libyen gelernt haben.
Aber all diese Interventionen wurden ja nie evaluiert, während jedes kleinste Projekt der Entwicklungszusammenarbeit seitenweise Beweise seiner Wirksamkeit abliefern muss. Für mich ist die Entscheidung, jetzt Militär zu senden und die Bombardierungen zu intensivieren, einfach nur ein Ausdruck von Ratlosigkeit.*)

Für manche Linke hat der kurdische Widerstand rund um Kobane bewiesen, dass man den IS mit Waffen zurückschlagen kann.
Kobane wurde befreit. Richtig. Aber kurz danach hat der IS zwei neue Städte eingenommen. Die Wirksamkeit war also äußerst begrenzt. Ich würde natürlich niemanden, der um Kobane gekämpft hat, kritisieren. Aber wenn wir von außen eingreifen, müssen wir uns schon die Frage stellen, wie erzielen wir eine Wirkung auf den Gesamtkonflikt und nicht nur für einen einzelnen Ort. Und da bezweifle ich, dass das mit militärischen Mitteln möglich ist.

Warum glauben Sie an eine gewaltfreie Lösung in Syrien?
Die gewaltfreien Wege werden sichtbar, wenn man sich die Frage stellt, welche Ressourcen der IS hat und wie man sie ihm entziehen kann. Den IS gäbe es überhaupt nicht ohne den Krieg gegen den Irak und die Besatzung. Aus Libyen hat die internationale Intervention einen failed state gemacht und zum Hauptrekrutierungsfeld für den IS und andere radikale Gruppen.
Die andere Überlegung ist, dass es manchmal keine kurzfristigen Lösungen gibt. Aber man kann mittelfristig darauf hinwirken, dass sich eine Situation verändert.

Der Vorwurf an die Friedensbewegung ist, Zuschauen koste noch mehr Zivilisten das Leben. Wie lange ist mittelfristig?
Dieser Konflikt wird sich nicht von heute auf morgen beenden lassen. Das ist allerdings nicht die Schwäche unserer Vorschläge, die ohnehin mit Zuschauen nichts zu tun haben. Vielmehr hat die Welt vier Jahre lang versäumt, etwas zur Entschärfung des Bürgerkriegs in Syrien beizutragen. Man glaubte, das Problem würde sich von allein lösen.
Für den Augenblick kann man nur möglichst vielen Menschen helfen, dieser Situation zu entkommen. Das kostet Geld, aber dürfte sogar billiger sein als der Tornado-Einsatz der Bundesregierung. Wir müssen uns den Vorwurf im Übrigen gar nicht anziehen. Auch Militär bringt keine schnelle Lösung. Selbst wenn man glaubt, die Bombardierungen könnten den IS vernichten, würde das Jahre dauern. In dieser Zeit würden sehr viele Menschen sterben.

Wie sieht Ihre Alternative zum Militäreinsatz konkret aus?
Man muss dem IS die internationale Unterstützung entziehen, die er noch immer aus Ländern um Syrien und Irak herum erhält. Sie lassen Menschen, die sich dem IS anschließen wollen, ausreisen, tun nichts gegen Waffenimporte oder Handel, den der IS mit Öl und Altertümern betreibt. So läuft einer der Handelswege ins Ausland über den NATO-Staat Türkei.
Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Demontage der ideologischen Grundlagen des IS. Viele islamische Theologen bestreiten dessen Behauptung, ein Kalifat im Sinne des Islam gegründet zu haben. Diesen Stimmen sollte man Gehör verschaffen.
Zudem muss man verhindern, dass sich Menschen dem IS anschließen. Vielen IS-Sympathisanten ist das Gefühl von Marginalisierung und Diskriminierung gemeinsam. Da könnte eine Menge getan werden, wenn man jungen Menschen eine alternative Lebensperspektive eröffnet. Man mag den IS zerschlagen, den Terror hat man damit nicht besiegt. An Al-Kaida denkt heute kaum noch einer, und auch nach dem IS wird es sicher neue Gruppen geben, wenn wir unsere Politik nicht ändern.

Wenn man die Bombardierung stoppt, werden die IS-Kämpfer jubeln und behaupten, sie hätten den Westen in die Knie gezwungen. Würde ihnen das nicht neue Anhänger in die Arme treiben?
Dieser kurzfristige Jubel müsste wohl ertragen werden. Deeskalation kann leicht als Schwäche ausgelegt werden. Aber wenn glaubwürdig wäre, dass es ein Umdenken bei uns gibt, würde diese Botschaft gehört werden und auch bei Anhängern von radikalen Gruppen zu einem Umdenken führen.

Gibt es Anzeichen dafür, dass Verhandlungen mit dem IS etwas bringen? Warum sollte er auf sein Kalifat verzichten?
Damit in das Gespräch einzusteigen, wäre natürlich nicht sinnvoll. Aber es gibt viele Beispiele, wo Menschen durch Verhandlungen mit IS-Kommandeuren vor Ort etwas erreicht haben: dass sie eine Schule eröffnen konnten, dass ihre Moschee vom IS verschont wurde, dass Gefangene freigelassen wurden.
Es könnte also zunächst erst mal um ganz konkrete Dinge gehen wie den Schutz der Zivilbevölkerung und bestimmter besonders bedrohter Volksgruppen wie die Jesiden.

Ohne Gegenwehr wird der IS weiter Land erobern.
Deshalb muss man die Unterstützung von außen stoppen. Der IS braucht dieses internationale Netzwerk. Auf sich alleine gestellt, dürfte er weder personell noch mittelfristig finanziell in der Lage sein, aufrecht zu erhalten, was er tut. Er ist eine der reichsten Gruppierungen dieser Art im Moment. Das Geld stammt u. a. aus dem Verkauf von Öl und Altertümern im Ausland. Warum stoppt man das nicht? Sonst werden Sanktionen auch sehr zielgenau gegen Länder verhängt.

Wer soll Ihren Plan umsetzen?
Die Vereinten Nationen wären ein wichtiger Akteur. Und ich würde die Fähigkeiten der Organisation für islamische Zusammenarbeit (OIC) wenigstens prüfen. Sie ist sehr zerstritten, hat aber bei anderen Bürgerkriegsgebieten wie den Philippinen tatsächlich den Friedensprozess in die Gänge gebracht.

Welche Rolle soll der syrische Präsident Assad in diesem Prozess spielen?
Sicherlich muss man auch mit Assad reden. Ich finde es aber sehr problematisch, dass er nun als das kleinere Übel auf einmal wieder legitimiert wird. Das ist falsch. Man müsste eine Lösung finden, die irgendwann ohne ihn auskommt.

Und doch bleibt der Einwand, dass Ihre Vorschläge sämtliche real existierenden Kräfteverhältnisse und Interessen ausblenden.
Ich weiß natürlich, dass weder Frau Merkel noch Herr Hollande oder Herr Obama sagen werden: Klar, lasst es uns also mal so versuchen. Ich erwarte aber durchaus, das auch bei der Politik ein Weiterdenken einsetzt.
Im Fall der Ukraine haben wir erlebt, wie sich auf einmal die Fantasie öffnete, als eine militärische Option ausgeschlossen war. Da kamen von der deutschen Regierung plötzlich Runde Tische ins Spiel!
In Konfliktgebieten sagen Menschen oft im Rückblick, sie hätten keine Alternative zu Gewalt gekannt. »Wenn wir damals schon gewusst hätten, wie man Konflikte anders beilegen kann, hätten wir uns vielleicht anders entschieden.« Die scheinbare Alternativlosigkeit treibt Politik und Bevölkerung sehr schnell zur Antwort Gewalt. Das klingt so schön einfach. Ist aber einfach nur hilflos.

Christine Schweitzer (Jg. 1959) beschäftigt sich wissenschaftlich und praktisch politisch mit ziviler Konfliktbearbeitung. Sie arbeitet beim Bund für Soziale Verteidigung und verfasste für die Friedensorganisation einen alternativen Friedensplan für Syrien.

* Anmerkung: Hinter diesem Kriegsplan steckt aus meiner Sicht KEINE Ratlosigkeit. Nein, er wurde schon seit über einem Jahr geplant, sonst würde es jetzt nicht so schnell gehen können. Dazu gehört die Aufspaltung und Unterwanderung der Friedensbewegung in Deutschland genau so wie das Gewähren lassen islamistischer Spinner in Frankreich und Belgien unter den Augen der Sicherheitsorgane. Man brauchte nur auf das Massaker in Paris zu warten.

Jochen

Ahrar Al-Sham: Erdogans neuer IS – Ankara und Washington sind im Begriff, eine neue Terrortruppe zur Durchsetzung ihrer Interessen zu etablieren

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

man hätte darauf warten können, nachdem die Versuche der USA, „gemäßigte“ Terroristen zum Kampf gegen die gewählte Regierung Syriens zu mobilisieren, gescheitert sind.
Hier zwei Artikel aus der jungen Welt von Sevim Dagdelen, MdB:
https://www.jungewelt.de/2015/08-01/017.php
Syrien_Schutzzone2015Auszüge:

In den letzten Monaten konnte der sogenannte Islamische Staat (IS) zwei Aufgaben, derentwegen er bisher vom türkischen AKP-Regime unterstützt worden war, immer weniger erfüllen: einerseits den Kampf zum Sturz des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad, zum anderen die Zerschlagung der kurdischen Selbstverwaltungsstrukturen im Norden Syriens.
Schon seit Ende 2014 hatte die türkische Regierung daher auch zunehmend auf die Islamische Front gesetzt, die neben kleineren Einheiten der Muslimbrüder auch die Al-Qaida-Truppe Nusra-Front und als zweitstärkste Kraft Ahrar Al-Sham (übersetzt: Freie Männer Syriens) umfasst.
Diese eroberten bereits im Frühjahr 2015 die syrische Provinz Idlib und drängten die syrischen Regierungstruppen immer weiter in Richtung der Großstadt Hama zurück.

Auf ihrem Sondertreffen am 28. Juli erklärten die NATO-Botschafter hingegen ihre »starke Solidarität« mit Ankara.
Im Abschlussdokument findet sich zwar der Hinweis, dass Terrorismus »eine weltweite Bedrohung ist, die keine Grenzen, Nationalitäten oder Religion kennt« und von der internationalen Gemeinschaft gemeinsam bekämpft werden müsse. Zudem werden explizit der Anschlag von Suruc als auch andere gegen Polizei und Militäroffiziere gerichtete Attentate erwähnt.
Insgesamt kann die Erklärung vor dem Hintergrund der zuvor bekanntgewordenen Pläne für eine Pufferzone im Norden Syriens jedoch nur als Einverständnis mit dem türkischen Vorgehen in Syrien, aber auch dem Irak gewertet werden.

Von den Plänen für die türkische Pufferzone in Syrien berichtet das Informationsportal Al-Monitor, dass diese einen Keil zwischen die kurdischen Selbstverwaltungskantone Afrin im Westen und Kobane weiter östlich treiben soll. Mit einer Länge von 100 und einer Tiefe von 40 Kilometern wäre sie fast zweimal so groß wie das Saarland. Die Kontrolle solle über türkische Artillerie- und Luftangriffe erreicht werden, hieß es weiter.

Ein Einmarsch türkischer Truppen sei indes nur vorgesehen, wenn die kurdische YPG sich von Kobane über den Euphrat gen Westen ausbreite und versuchen sollte, eine Verbindung nach Afrin herzustellen. Wenn keine eigenen Einheiten geschickt werden sollten, muss das Erdogan-Regime auf Al-Qaida und insbesondere die mit dem Terrornetzwerk verbündeten Ahrar-Al-Sham-Einheiten als Bodentruppen gegen die kurdischen Selbstverwaltungsstrukturen zurückgreifen.
Die kurdische Nachrichtenagentur Firat News berichtete bereits von Angriffen der Al-Nusra-Front auf den kurdischen Kanton Afrin. Allerdings ist die propagandistische Vermittelbarkeit von Al-Qaida gerade im Westen weiterhin höchst problematisch, da es sich um eine von Osama bin Laden eingeführte Terrormarke handelt und sich die Menschen in diesem Zusammenhang umgehend an Praktiken des Massenmords und der Massaker an Andersdenkenden erinnern.

Um hier gegenzusteuern, wird insbesondere die Terrortruppe Ahrar Al-Sham von der Türkei unterstützt. Zudem wurde im Vorfeld der Deklaration eine regelrechte PR-Kampagne in den USA, aber auch in Europa gestartet, um dem westlichen Publikum die Ahrar Al-Sham für eine »Adoption« schmackhaft zu machen. So erschien am 10. Juli dieses Jahres ein Kommentar des außenpolitischen Verantwortlichen der Ahrar Al-Sham, Labib Al-Nahhas, in der Washington Post, der unter der Überschrift »Die tödlichen Konsequenzen der Falschbenennung syrischer Revolutionäre« das Ziel verfolgt, den USA die Terrortruppe als gemäßigte Opposition anzudienen, da auch deren Mission zur Ausbildung »moderater Rebellen« nicht richtig vorankommt. Ahrar Al-Sham seien eine sunnitisch-islamische Gruppe, die von Syrern geführt und fälschlicherweise beschuldigt würde, organisatorische Verbindungen zur Al-Qaida zu haben, so Al-Nahhas.
Siehe hier: Propaganda für den Terror: https://www.jungewelt.de/2015/08-01/019.php

Vor dem Hintergrund der gemeinsamen Kampfeinheit mit der Al-Qaida in Syrien entbehrt diese Aussage natürlich nicht einer gewissen Komik. Umso erstaunlicher aber ist, dass eine regierungsnahe Zeitung in den USA, die sich im Besitz des US-Oligarchen Jeff Bezos (Amazon) befindet, ausgerechnet einem Vertreter einer Truppe ein Forum gibt, die noch im Herbst 2014 – neben Al-Qaida und dem IS – von den USA selbst in Syrien bombardiert worden war.

Auch in Europa, diesmal im britischen Telegraph, einer Zeitung die der konservativen Partei nahesteht und die sich redaktionell eng mit ihren oligarchischen Eigentümern, den Barclay-Brüdern, abstimmt, durfte Labib Al-Nahhas am 21. Juli 2015 exklusiv seine Ansichten verbreiten. Er versprach sogar, sich nach einem Sturz Assads für ein politisches System einzusetzen, in dem die Minderheiten geschützt würden.
Die Gottesstaatsambitionen von Ahrar Al-Sham wurden hinter der Formulierung verborgen, ein System errichten zu wollen, in dem der Religion eine entscheidende Rolle im Hinblick auf Syriens Zukunft beigemessen werden solle. Der Westen dürfe nicht allein auf Bombardierungen setzen, sondern solle Ahrar Al-Sham vielmehr als legitime Kraft für einen Regime-Change in Syrien anerkennen.

Alles spricht dafür, dass die NATO mit ihrer Akzeptanz der türkischen Kontrollzone in Syrien auch Ahrar Al-Sham als Bodentruppe gegen die Kurden und für einen Sturz Assads zu akzeptieren bereit ist.
Dann würde die mit Al-Qaida im gemeinsamen Kommando stehende Terrortruppe Ahrar Al-Sham den IS ablösen oder zumindest in seiner geopolitischen Stoßrichtung ergänzen.
Dazu passt die ausweichende Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Autorin:
https://www.jungewelt.de/2015/08-01/029.php

Antwort von Michael Roth, Staatsminister für Europa, auf eine schriftliche Frage von Sevim Dagdelen, Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion (8. Juli 2015):

Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung seit 2013 zu Menschenrechtsverletzungen der islamistischen Terrororganisation Ahrar Al-Sham bzw. »Islamistische Front« in Syrien inklusive aller Unterabteilungen bzw. Quellenorganisationen, die durch Waffenlieferungen des deutschen NATO-Partners Türkei unterstützt wird, in Syrien vor?

Der Bundesregierung liegen keine eigenen, belastbaren Erkenntnisse über Menschrechtsverletzungen des islamistischen Rebellenzusammenschlusses »Islamische Front« bzw. von »Ahrar Al-Sham« vor.

Eine umfassende Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen aller Gruppen im Syrien-Konflikt unternimmt die im Jahr 2011 vom Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen eingesetzte unabhängige internationale Untersuchungskommission über die Menschenrechtslage in Syrien (»Commission of Inquiry«, CoI). In ihren periodischen Berichten finden sich Angaben zu Menschenrechtsverletzungen, die Angehörigen der beiden o. g. Gruppierungen anzulasten sind. Die Berichterstattung der CoI kann eingesehen werden unter: http://www.ohchr.org/EN/HRBodies/HRC/IICISyria/Pages/IndependentInternat….

Daraus geht u. a. hervor, dass »Ahrar Al-Sham« und andere Gruppen der »Islamischen Front« wiederholt Zivilisten entführt und als Geiseln genommen haben sowie mutmaßliche »Kollaborateure« des Regimes ermordet haben. Kinder unter 18 Jahren werden von Gruppen der »Islamischen Front« rekrutiert, militärisch ausgebildet und u. a. in unterstützenden Tätigkeiten (z. B. als Wächter oder Späher) eingesetzt. Darüber hinaus sind Gruppen, die zur »Islamischen Front« gehören, an der Belagerung der beiden Ortschaften Nubul und Sahra in der Provinz Aleppo beteiligt.

Im übrigen wird verwiesen auf die Antwort zur Schriftlichen Frage 5/96 von Frau MdB Kunert vom 29. Mai 2015.

Jochen