Interview mit Ökonom Samir Amin: »Wir brauchen eine fünfte Internationale«

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Ökonom Samir Amin sieht den Kapitalismus an sein historisches Ende gekommen

Jemand, der lange und weit in die Zukunft blickt und uns lehren kann, den Mut nicht zu verlieren. Venceremos!
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1063362.wir-brauchen-eine-fuenfte-internationale.html
SamirAminSamir Amin ist einer der bedeutendsten Theoretiker und bekanntesten linken Intellektuellen. Der gebürtige Ägypter lebt in Dakar im Senegal und leitet dort das Third World Forum.
Der Ökonom wendet sich gegen die Sichtweise, dass die kapitalistische Moderne ihre Wurzeln allein in Europa hat, und kritisiert die imperialistische Ausbeutung des globalen Südens.
Der Ökonom und Marxist gilt neben anderen als Begründer der Dependenz- und Weltsystemtheorie.
Über das lange Ende des Kapitalismus sprach Simon Poelchau mit Amin.

Auszüge:

Können Sie sich mit Ihren mittlerweile 86 Jahren noch an neue Technologien gewöhnen?

Ich schreibe E-Mails, aber die Benutzung von Smartphones ist mir zu kompliziert.

Was denken Sie dann über diese technologischen Erneuerungen – verändern sie die Welt?
Solche Erfindungen sind wichtig, aber es wurden immer schon Sachen erfunden. Das sollte man in der gegenwärtigen Diskussion im Kopf behalten. Deswegen glaube ich auch nicht, dass die Digitalisierung das wichtigste Charakteristikum der heutigen Zeit ist.

Sie würden also nicht dem Journalisten Paul Mason zustimmen, der meint, dass die Digitalisierung das Ende des Kapitalismus einleitet?
Nein. Das ist eine Vereinfachung. Mit neuen Technologien fängt nichts an und hört nichts auf.
Stattdessen ist der Kapitalismus an sich in eine neue Phase eingetreten. Und vielleicht ist es sogar, wie Lenin es einst formulierte, seine letzte Phase.

Seit wann leben wir in dieser letzten Phase des Kapitalismus – seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2007?
Es fing schon viel früher an. Und zwar in den 1970er Jahren mit dem Ende des Bretton-Woods-Systems und der Entkopplung des Dollars vom Gold. Bis 1990 kam es daraufhin zu wesentlichen Veränderungen der Organisierung des Kapitalismus.
Die Koexistenz der drei Systeme – der westlichen Sozialdemokratie, des Kommunismus und der blockfreien Staaten – kam da an ihr Ende.

Was bedeutet dies für die Gesellschaften, in der wir leben?
Alles ist dem Monopolkapital untergeordnet. Und zwar nicht nur in den alten Industriestaaten, sondern auch im globalen Süden.
Dies bedeutet eine Proletarisierung und Fragmentarisierung der Arbeit – international und auf allen Ebenen. Mit einer immer kleiner werdenden, einigermaßen abgesicherten Kernarbeiterschaft und mit einer immer größer werdenden Mehrheit von Prekarisierten.

Inwiefern?
Nehmen wir die Agrarindustrie: Die Kleinbauern sind jetzt überall auf der Erde von den großen Konzernen abhängig, die ihnen Dünger und Samen verkaufen und sie so an sich binden. Sie sind quasi zu Subunternehmern des Monopolkapitals geworden.

Ist dies im Grunde nicht auch eine Gefahr für die bürgerliche Demokratie?
Ja. Die bürgerliche Demokratie bewegt sich immer mehr hin zu einem Ein-Parteien-System. Egal ob Konservative, Liberale oder Sozialdemokratie – alle traditionellen Parteien unterscheiden sich letztlich nicht mehr wirklich voneinander.
Wo ist zum Beispiel der Unterschied zwischen den Demokraten und den Republikanern in den USA? Alle diese Parteien akzeptieren die gleichen Regeln, nämlich die des Finanzkapitals. Aber auch international gibt es keine Konkurrenz mehr.

Ist der Imperialismus abgeschafft?
Wir leben heute in einer Phase, die Karl Kautsky vor 100 Jahren als Hyperimperialismus beschrieben hatte. Dafür wurde er damals von Lenin angegriffen, doch heute stimmt seine Theorie.

Es gibt keine Konkurrenz mehr zwischen den Staaten?
Es gibt zwar bis zu einem gewissen Grad einige Ausnahmen wie Kuba, Russland, China und Vietnam, doch im Grunde akzeptieren heutzutage alle die Aufteilung der Welt, so wie sie ist.
Bis zum Zweiten Weltkrieg war es anders. Da gab es nicht den einen Imperialismus, sondern zum Beispiel den deutschen, englischen, US-amerikanischen oder französischen Imperialismus. Doch nun sind sich die herrschenden Klassen rund um den Globus im Grunde einig, wie das System laufen soll.

Zum Leidwesen der Mehrheit.
Das kapitalistische System fußt auf einem wahnsinnigen Wachstum der Ungleichheit. Sowohl auf globalem Level als auch innerhalb der einzelnen Staaten.
Dies betrifft auch den reichen Westen und bedeutet wachsende Unsicherheit, Arbeitslosigkeit und Armut. Und das System wird immer zerstörerischer, weil es sich nicht mehr ausdehnen kann. Hinsichtlich der Zerstörung der Natur sind wir da schon an einem sehr gefährlichen Punkt angekommen.

Denken Sie, dass sich das System dann von allein zerstört, weil etwa die Profitraten fallen?
Die Maßnahmen und Strategien, die gegen den tendenziellen Fall der Profitrate eingesetzt werden, waren aus Sicht des Kapitals recht erfolgreich: Sie sichern dem Kapital mit Hilfe von Proletarisierung, Unterordnung sowie Überausbeutung von Mensch, Natur und ganzen Staaten hohe Gewinne. Trotzdem ist der Kapitalismus historisch gesehen an sein Ende gekommen. Und es gibt niemanden, der weiß, wie man damit umgehen soll.

Wie lange geben Sie dem Kapitalismus dann noch?
Es ist wie mit dem Ende des Römischen Reiches – nach nur einer kurzen Phase der Blüte kam es da zu einer zehn Jahrhunderte langen Phase der Dekadenz.
Doch heute ist die Lage noch dramatischer. Es gibt genügend Atombomben, um die Menschheit zigmal auslöschen zu können.
Insofern hatte Putin recht, als er einmal auf die Frage, ob Russland einen Atomkrieg gewinnen würde, antwortete: »Niemand wird ihn gewinnen.
Wir werden alle verschwinden.«

So pessimistisch?
Alle Strategien, die derzeit angewendet werden, haben nichts Vorwärtsweisendes. Sie sind rein defensive und hilflose Reaktionen auf den Zerfall.
Am Ende werden wir vor der Alternative »Sozialismus oder Barbarei« stehen, wie es Rosa Luxemburg einst formulierte.

Sie ist nach Karl Kautsky die zweite Marxistin, die sie erwähnen und die vor rund 100 Jahren wirkte.
Rosa Luxemburg war ihrer Zeit weit voraus. Vor 100 Jahren hat man an ihren Worten vielleicht noch zweifeln und sagen können: »Der Weltkrieg war schlimm, jetzt ist er aber zu Ende und die Geschichte geht weiter.« Doch dies geht heutzutage nicht mehr.
Das Zerstörerische am Kapitalismus ist unübersehbar geworden und deswegen brauchen wir eine positive Alternative zum Bestehenden!

Und das ist der Sozialismus?
Als bloße theoretische Alternative reicht er nicht aus. Wir müssen wissen, wie wir dorthin kommen.
Wir werden nicht innerhalb von 24 Stunden das Paradies auf Erden schaffen können. Wir brauchen eine Strategie, wie wir über viele verschiedene Etappen dorthin kommen. Und diese Etappen werden in Deutschland und Zentralafrika sehr unterschiedlich sein.
Letztlich bedeutet das, dass wir eine neue, eine fünfte Internationale brauchen.

Warum?
Weil es ein Revival des politischen Marxismus, des Internationalismus braucht. Und die Geschichte der Internationalen ist trotz ihrer Widersprüchlichkeiten Teil einer gemeinsamen Geschichte.
Dabei geht es nicht darum, alte Strukturen wieder aufzubauen, sondern sich wieder an alten Zielen zu orientieren. Wir müssen gleichzeitig erfinderisch sein, um den Problemen begegnen zu können, denen die arbeitenden Menschen überall auf der Welt ausgesetzt sind.
Und damit meine ich nicht allein die Arbeiterschaft in Europa oder den USA, sondern auch die Arbeiterschaft in Venezuela, Ägypten oder anderswo.

Hört sich nach einem langwierigen, globalen Projekt an.
Die kapitalistische Moderne ist auch nicht allein mit der Industrialisierung in Europa entstanden.
Die Entwicklung fing viel früher und zwar in China an. Sie kam zunächst über die italienischen Stadtstaaten nach Westeuropa.
Erst danach kam es zur industriellen Revolution in England und zur politischen in Frankreich, die die moderne bürgerliche Demokratie erschuf.

Gibt es letztlich nicht auch ein Licht am Ende des Tunnels?
Ja. Aber nur, wenn wir es schaffen, über bloßen Protest und Widerstand hinaus zu kommen.
Wir müssen unsere Kämpfe organisieren, eine positive Alternative schaffen und vor allem einige wichtige Lehren aus der Geschichte im Kopf behalten. Etwa, dass man der Rolle von Anführern gegenüber immer skeptisch sein sollte. So ist die Russische Revolution nicht von Lenin geschaffen worden, sondern die Russische Revolution hat Lenin hervorgebracht.

Lehnen Sie also die Idee ab, dass es eine politische Avantgarde braucht?
Natürlich entstehen durch Kämpfe in gewisser Weise immer auch hierarchische Strukturen mit Anführern an der Spitze. Doch häufig ist dies sehr zweischneidig. Diese Personen sind oft revolutionäre Anführer und Opportunisten zugleich.
Martin Luther, der sich letztlich mit den Fürsten arrangierte, ist da ein anderes gutes Beispiel. Deswegen geht es jetzt darum, Debatten, Strategien, Aktionen und Organisationen zu entwickeln, um es besser zu machen.

Könnten die neuen Technologien da nicht auch helfen?
Natürlich. Aber diese Technologien sind vor allem erfunden wurden, um nützlich fürs System zu sein.
Mit dem Smartphone zum Beispiel kann der Chef einen selbst im Urlaub erreichen. Man kann es aber auch dazu benutzen, um eine Demonstration zu organisieren.

Jochen

Den Kommunismus neu erfinden – Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Der weiß, was die wahren Gründe für Flucht und Terror sind und was zu tun ist,

hat ein neues Buch geschrieben

und lässt sich vom neuen Deutschland interviewen:

http://www.neues-deutschland.de/artikel/997777.den-kommunismus-neu-erfinden.html
Auszüge:
Herr Žižek, in Ihrem gerade erschienenen Buch »Der neue Klassenkampf« analysieren Sie die »wahren Gründe für Flucht und Terror« und geben ein paar praktische Handreichungen, wie damit aktuell umzugehen ist. Das liest sich wie von zwei ganz unterschiedlichen Autoren, hängt nicht beides zusammen?
Wir müssen unterscheiden zwischen dem Chaos, das Flüchtlingsströme in dem um seine Identität ringenden Europa auslösen und dem Chaos, das der globale Kapitalismus in der Welt anrichtet.
Aktuell: Es geht nicht, dass Hunderttausende von Flüchtlingen unorganisiert die Durchgangs- und Aufnahmestaaten Europa überfluten. Das wird weder den Fliehenden noch den Einheimischen gerecht, richtet sich gegen die Menschen. Natürlich müssen wir helfen.

Das steht für Sie à priori fest?
Ja sicher! Aber wir müssen das organisiert tun. Sonst entsteht nicht die notwendige Akzeptanz bei der aufnehmenden Bevölkerung in Europa.
Die größte Gefahr für unseren Kontinent besteht doch nicht in radikalisierten Muslimen, die unter den Flüchtlingen sein mögen, sondern in den radikalisierten Einheimischen, die die Flüchtlinge abwehren wollen – siehe Frankreich oder Deutschland.
Wenn das – verständlicher Weise – die zivilen Stellen nicht bewältigen können, sollte Europa im Rahmen der Organisation der Flüchtlingsströme auch das Militär einsetzen. Nicht als Macht gegen einen Feind, sondern so, wie es auch bei Naturkatastrophen hilft, wenn die zivilen Stellen des Chaos nicht Herr werden.

Und vor den Grenzen Europas?

Außerdem sollten in den Anrainerstaaten, vor allem in der Türkei, aber auch in Libyen Auffangzentren eingerichtet werden, in denen in geordneten Verfahren entschieden werden kann, welchen Weg die Menschen nehmen können, die nach Europa kommen wollen.

Und was tun wir dann mit den Flüchtlingen, wenn sie »geordnet« bei uns ankommen?

Vor allem müssen wir uns von dem linksliberalen »Verstehenwollen« für alles, was da an Neuem und Fremdem kommt, verabschieden. Die political correctness, verbunden mit heuchlerischen Selbstbezichtigungen hilft nicht weiter. Wir sollten so etwas wie ein konstruktives Desinteresse füreinander entwickeln, das Andere der zu uns kommenden Lebensgewohnheiten respektieren, Assimilation und Integration nicht als Ziel ausgeben. In dieser Nachbarschaft mit den neuen Bewohnern sollte Europa selbstbewusst seine eigenen Errungenschaften vertreten: individuelle Freiheitsrechte, soziale Sicherung der elementaren Lebensumstände, Gewaltmonopol des Staates und vor allem die Rechte der Frauen. Daran müssen sich Flüchtlinge halten, weil wir das, was hier oft unter Schmerzen erkämpft worden ist, nicht preisgeben sollten.

Was bedeutet das konkret?
Wenn eine Muslima die Burka tragen will, sollten wir das akzeptieren, es ist ihre Entscheidung. Wenn sie es aber gegen den Willen ihrer Familie und ihrer Gemeinschaft nicht will, wenn sie sich für eine andere Lebensführung entscheidet, sollten wir sie mit allen unseren Mitteln schützen und ihr das ermöglichen! Da darf es gar keinen Kompromiss geben!

Auf lange Sicht ist das nachbarliche Desinteresse keine Lösung des Problems. Wo sehen Sie die Ursachen für die Flüchtlingsströme?

Das Desinteresse hilft beim nachbarschaftlichen Zusammenleben, wir ertragen dann einander besser. Aber es gibt darüber hinaus lebenswichtige gemeinsame Interessen, zu deren Durchsetzung sich die Armen in den reichen Ländern und die armen Völker zusammenschließen sollten.

Erst Desinteresse und dann der Kampf für gemeinsame Interessen? Sie decken in Ihrem Buch viele Paradoxien in den Verhältnissen und dem Verhalten der Akteure auf…
… vielleicht zu viele …

… sorgen diese Paradoxien nicht für die unerwünschte Instabilität?
Das Paradox hat etwas mit der Dialektik zu tun, wie sie von Hegel entwickelt wurde. Die sorgt nicht für Instabilität, sondern wohnt allen gesellschaftlichen Verhältnissen inne. Wie Sie wissen, arbeite ich hauptsächlich über Hegel und seine von manchen für überholt gehaltene Philosophie. Das Paradox und die Dialektik sind Motoren für neue Lösungen. Deshalb zeige ich sie auf. Sie müssen diskutiert und überwunden werden. Dann werden neue Paradoxien entstehen und so weiter.
Es geht um einen Prozess in der Öffentlichkeit, die im Augenblick ohne Worte für die drängenden Probleme zu sein scheint.

Sie haben einmal gesagt, dass die Zweiparteiensysteme in Europa den notwendigen dialektischen Prozess nicht vorantreiben. Wie meinen Sie das?
Nehmen Sie Deutschland: Die politischen Kernaussagen von CDU/CSU und SPD kann man kaum unterscheiden. Alternativen sind es jedenfalls nicht. Die neue Polarisierung verläuft in anderen Bahnen: Die »Parteien der Mitte« bilden einen Block – die extreme Rechte mit einem gehörigen Anteil sozialer Forderungen den Gegenblock.
So war es in Frankreich, als im zweiten Gang zu den Regionalwahlen die Sozialisten ihre aussichtslosen Kandidaten zu Gunsten von Sarkozy zurückgezogen haben. Das war taktisch richtig und zeigt zugleich die neue Polarisierung: Die Parteien der republikanischen Werte gegen die Antirepublikaner. Es wird eine Aufgabe sein, den armen Leuten, die dem Front National ihre Stimme gegeben haben, klarzumachen, dass sie die gleichen Interessen haben wie die armen Völker. Dazu müssen beide erkennen, wer ihr Gegner in diesem Klassenkampf ist.

Wie soll das funktionieren?

Der einzige Weg, um den Teufelskreis des globalen Kapitalismus wirksam zu durchbrechen, besteht in der Entmachtung einer sich selbst regulierenden Wirtschaft.

Die Sackgassen des globalen Kapitalismus treten immer offenkundiger zutage. Die Flüchtlinge sind jetzt der Preis der globalen Wirtschaft. Also ist die dringendste Aufgabe ein radikaler ökonomischer Wandel, der die Verhältnisse abschaffen sollte, die zu Flüchtlingsströmen führen.
In meinem Buch habe ich das wie folgt formuliert: »Die Hauptursache für Flucht liegt im globalen Kapitalismus und seinen geopolitischen Spielen selbst. Wenn wir ihn nicht radikal ändern, werden sich zu den afrikanischen Flüchtlingen bald welche aus Griechenland und anderen europäischen Ländern gesellen
In meiner Jugend nannte man solch einen organisierten Versuch, das Gemeingut zu regulieren, Kommunismus. Vielleicht sollten wir ihn neu erfinden.

Muss man nicht nach Antagonismen suchen, die diese neue »kommunistische Idee« zu einer praktischen Dringlichkeit machen?
Vier liegen auf der Hand. Es sind dies die ökologische Katastrophe, die Unangemessenheit des Privateigentums für das sogenannte geistige Eigentum, die neueste technologisch-wissenschaftliche Entwicklung, vor allem im Bereich der Biotechnologie und die neuen Formen der Apartheid durch neue Mauern und Slums. Aber das sollten Ihre Leser in meiner Broschüre selbst nachlesen!

Slavoj Žižek und der neue Klassenkampf

Slavoj Žižek ist der berühmteste Gegenwartsphilosoph des Balkans. 1949 in Jugoslawien geboren, studierte er Philosophie an der Universität Ljubljana sowie anschließend in Paris. Der schon zu realsozialistischen Zeiten dissidentische Philosophieprofessor ist ein Querdenker geblieben.
So fordert der an Marx orientierte Wissenschaftler angesichts der Krise des Kapitalismus eine radikaldemokratisch-revolutionäre Umwälzung der Gesellschaft und »radikale Repolitisierung der Ökonomie«.
Seine dieser Tage auch auf den deutschen Buchmarkt gelangte aktuelle Polemik titelte er »Der Neue Klassenkampf. Die wahren Gründe für Flucht und Terror« (Ullstein, 96 S., geb., 8 €). In Lubljana gewährte Žižek dem nd-Autor Harald Loch ein Exklusiv-Interview.

Jochen

Syriza ist Europas Chance – so Wirtschaftsexperten Michael Schlecht und Sahra Wagenknecht, MdBs

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Europa hat ein neues Schreckgespenst: Syriza. Das griechische Linksbündnis könnte die nächsten Wahlen gewinnen.
Syriza wendet sich gegen das Diktat von „Sparsamkeit“ und „Wettbewerbsfähigkeit“ in Europa.
Was die Bundesregierung und die Finanzanleger befürchten: Setzt sich Syriza durch, dann wird auch in anderen Ländern eine Abkehr vom Spar-Kurs gefordert.
Was hier als Gefahr an die Wand gemalt wird, ist in Wahrheit die große Chance für Europa – und für Deutschland.

Am 25. Januar wird in Griechenland gewählt. Voraussichtlicher Wahlsieger ist Syriza.
Das Linksbündnis will die humanitäre Krise in Griechenland lindern, Essen an Hungrige verteilen, Obdachlosen Wohnungen geben, den Mindestlohn auf 750 Euro erhöhen und allen Rentnern eine 13. Monatsrente verschaffen, die weniger als 700 Euro zur Verfügung haben.
Das Geld dafür will sich Syriza zum großen Teil von den Konzernen und Oligarchen holen. Dieses Programm wird von den europäische Eliten und Finanzanlegern bereits als „Kommunismus“ bezeichnet.

Wo kommen all die Hungernden und Obdachlosen in Griechenland her? Sie sind Produkt nicht nur der Krise, sondern auch der Kürzungsprogramme, die Bundesregierung und EU dem Land auferlegt haben.
Mitten in der Krise musste die griechische Regierung ihre Ausgaben eindampfen, Steuern erhöhen, Löhne senken, Angestellte zu Zehntausenden entlassen.

Logische Folge: Die Wirtschaftsleistung ist in den letzten fünf Jahren um ein Viertel gefallen, der Staatskonsum ging zum 40 Prozent zurück, die Binnennachfrage um 30 Prozent, die Investitionen um fast 70 Prozent.
Weniger Schulden hat Griechenland durch den Sparkurs nicht, im Gegenteil: Zu Beginn der Krise lag die Staatsschuld bei 110 Prozent der Wirtschaftsleistung.
Nach vier Jahren Sparen, Reformen und 230 Milliarden Euro „Hilfen“ durch EU und Währungsfonds sind es über 170 Prozent.

Syriza fordert daher ein Ende der Kürzungs-Orgie und einen Schuldenerlass. Zurecht! Denn der Austeritätskurs führt nur immer tiefer ins Elend.
Zudem muss Griechenland weiter sparen, seine Bevölkerung verarmen und neue Kredite aufnehmen – nur um die aufgelaufenen Schulden zu bedienen. Ein Schuldenschnitt ist ohne Alternative.
Bei Schulden in Höhe von 170 Prozent der Wirtschaftsleistung ist kein Aufschwung möglich, Griechenland bleibt die Geisel seiner Gläubiger.

Die werden vertreten von EU und Bundesregierung. Sie drohen Griechenland bereits offen mit dem Austritt aus der Euro-Zone. Solch ein „Grexit“ sei für die Währungsunion heute „verkraftbar“, ließ die Bundeskanzlerin inoffiziell vermelden.

Ganz so optimistisch ist man an den Finanzmärkten nicht. Ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone wird dort zwar derzeit nicht befürchtet.
Mit einem Austritt Griechenlands wäre allerdings ein Präzedenzfall geschaffen, der demonstriert: Die Währungsunion ist nicht länger unumkehrbar. Das wäre eine Einladung an alle Spekulanten, in der nächsten Krise gegen den Euro zu spekulieren

Gewarnt wird auch vor dem so genannten „politischen Risiko“: Wenn Syriza gewinnt und sich gegen EU und Bundesregierung durchsetzt, dann geht ein Ruck durch Europa.
Vom Spar-Diktat geplagte Länder wie Portugal, Italien und Spanien könnten sich gegen den deutschen Kurs auflehnen.
Gefürchtet wird vor allem die spanische Protestpartei Podemos. Ende dieses Jahres wird in Spanien gewählt. In den Umfragen liegt Podemos aktuell vorn. „2015 wird das Jahr des Wechsels in Spanien und Europa“, schrieb jüngst Podemos-Chef Pablo Iglesias. „Wir fangen in Griechenland an. Los Syriza!“

Hätte er doch recht! Denn nicht nur Griechenland braucht den Politikwechsel.
In ganz Europa muss der Spar- und Lohnkürzungs-Wahnsinn beendet werden. Er hat uns bereits in die Deflation geführt, seit Dezember sinken die Preise in der Euro-Zone.
Europa braucht wieder eine Stärkung der Binnennachfrage durch höhere Löhne.
Und vor allem ein massives Investitionsprogramm, um die Produktivität zu steigern. Anders wird es nicht gehen.
Auch nicht in Deutschland, wo selbst in guten Jahren die Menschen nichts vom Wirtschaftswachstum haben.

Syriza-Chef Alexis Tsipras schrieb dieser Tage an die Deutschen:
„Am 25. Januar wird in Griechenland eine neue Chance für ganz Europa geboren. Mögen wir sie nicht ungenutzt lassen.“

Weitere Informationen: www.michael-schlecht-mdb.de

Dazu auch 16.01.2015 Sahra Wagenknecht

Bundesregierung löst Notfall bei griechischen Banken aus

„Die Bundesregierung hat mit ihren kolportierten Grexit-Szenarien zwei griechische Banken in die Liquiditätskrise geredet. Offenbar ist Merkel jedes Mittel recht, wenn es das Ziel befördert, dass die unverantwortliche Kürzungspolitik in Griechenland fortgesetzt werden kann“, kommentiert Sahra Wagenknecht die Meldung, dass griechische Banken Notfallkredite beantragt haben. Die Erste Stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE weiter:

„Merkel verteidigt in Griechenland die Politik der Agenda 2010, die Deutschland einen der größten Niedriglohnsektoren Europas, einen Anstieg der Armut und massenhafte Entwürdigung von Betroffenen gebracht hat. Ein Sieg von SYRIZA bei den Wahlen in Griechenland und eine Rücknahme der dortigen Kürzungspolitik wäre auch eine Niederlage für die Agenda-2010-Parteien in Deutschland.

Griechenland – aber auch der Rest der Eurozone – braucht sofort einen Kurswechsel, um eine Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Situation zu erreichen. Das geht nur mit mehr Wachstum über höhere öffentliche Investitionen und Ausgaben sowie einer ausreichenden Reduzierung der Schulden. Damit bei einer Schuldenreduzierung der Schaden für die öffentliche Hand minimiert wird, müssen im Fall Griechenlands die restlichen Forderungen der Banken und privaten Gläubiger – unter Wahrung der Pensionsansprüche von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern – vollständig gestrichen werden. Zusätzlich ist das Aufkommen einer europaweit koordinierten Vermögensabgabe einzusetzen, um die Kosten des Schuldenschnittes für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler auch in Deutschland zu minimieren.“
http://www.linksfraktion.de/pressemitteilungen/bundesregierung-loest-notfall-griechischen-banken/

Dazu auch im Neuen Deutschland:

Ratingagentur macht Wahlkampf

Fitch setzt Athen von »stabil« auf »negativ« herunter

Berlin. Gut eine Woche vor der Parlamentswahl hat die US-Agentur Fitch den Ausblick für Griechenland von »stabil« auf »negativ« gesenkt. Damit wird eine Abstufung der Kreditwürdigkeit, die mit »B« bereits im spekulativen Bereich liegt, wahrscheinlicher. Die derzeitige Phase politischer Unsicherheit habe die Risiken für die griechische Kreditwürdigkeit verstärkt, hieß es zur Begründung.