Inge Hannemanns Kommentar zur Regierungserklärung Arbeit- und Sozialpolitik Hubertus Heil

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

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Gestern eine lesenswerter Kommentar:
http://inge-hannemann.de/kommentar-zur-regierungserklaerung-arbeit-und-sozialpolitik-hubertus-heil/
Auszüge:

Mit Spannung hörte ich der heutigen Regierungserklärung unseres neuen Arbeits- und Sozialministers Hubertus Heil (SPD) zu.
Insbesondere unter der derzeitigen Debatte und medialen Inszenierung des Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU) und seinen realitätsfernen Aussagen zu Hartz IV.
Kurze Erinnerung zu Spahn:

„Die gesetzliche Grundsicherung ist mit großem Aufwand genau bemessen und wird regelmäßig angepasst. Hartz IV bedeutet nicht Armut, sondern ist die Antwort unserer Solidargemeinschaft auf Armut. Diese Grundsicherung ist aktive Armutsbekämpfung! Damit hat jeder das, was er zum Leben braucht. Mehr wäre immer besser, aber wir dürfen nicht vergessen, dass andere über ihre Steuern diese Leistungen bezahlen.“

Aber dazu hatte ich mich bereits in einem anderen Artikel geäußert.

Zurück zu Heil. Heil ist als Verfechter der Agenda 2010 bekannt und zum linken, sozialpolitischen Flügel seiner Partei zähle ich ihn nicht.
Beim zehnjährigen „Jubiläum“ der Agenda 2010 wollte er in seiner Bundestagsrede am liebsten die Schrödersche Arbeitsmarktreform ganz in der Versenkung verschwinden lassen:

„Wir haben aber in den letzten vier Jahren die Zeit genutzt, um unsere Fehler aufzuarbeiten und uns nach vorne auszurichten. Deshalb sage ich: Es geht nicht mehr um die Agenda 2010. Jetzt geht es um die Frage, wie es in Deutschland weitergeht.“

Und dabei irrte er. Die Agenda 2010 und deren Folgen werden ihn linear genauso begleiten wie sein Amt.
Die vergangene Arbeits- und Sozialpolitik seiner Vorgängerinnen von der Leyen und Nahles haben weder Fehler aufgearbeitet noch eine Entspannung in den nachhaltigen Arbeitsmarkt gebracht.
Stattdessen wurden Gesetze verschärft, der Druck auf die Erwerbslosen erhöht und die Zahl der Langzeiterwerbslosen stagniert. Aber bekanntlich macht der Mai alles neu.
Und vielleicht liegt es am Monat März, dass keine neuen Erkenntnisse oder gezielte Planungen in der heutigen Regierungserklärung nur schwer erkennbar waren.

Heil fokussiert seine Rede auf Punkte, die er in der laufenden Legislaturperiode „behandeln“ möchte. Diese wäre zum einen das Erreichen einer Vollbeschäftigung.
Die Vollbeschäftigung wird unterschiedlich definiert und am Beschäftigungsgrad gemessen. Der ideale Messwert wird häufig definiert, dass alle Arbeitssuchenden (arbeitswilligen) Arbeitnehmer auch eine zumutbare Arbeit finden.
Die Arbeitslosenquote wird in dem Fall von bis zu 2 Prozent angegeben. Wenn ich, wie Heil es vorzieht, ignoriere dass es arbeitswillige Menschen gibt, die aus gesundheitlichen Gründen, aus Gründes ihres Alters, ihrer Behinderung, des Stigmas Hartz IV oder weil sie Angehörige pflegen gar keine Chance auf eine (gute) Arbeit mehr erhalten, kann natürlich von Vollbeschäftigung bzw. deren Wunsch fabuliert werden.
Mal abgesehen davon, dass auch Großunternehmen (Siemens) ad hoc Arbeitsplätze aus Profitgier mal so einfach abbauen. Gute Arbeit setzt Heil mit einer guten Lohnentwicklung (ohne näher konkret zu werden, insbesondere auf den Mindestlohn) und einer guten Tarifentwicklung gleich.
In den ersten 100 Tagen ist sein Ziel dass ein Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit per Gesetz durchgesetzt wird, um auch damit die Armutsrente zu verhindern. Hierbei bezieht er sich insbesondere auf die Beschäftigung von Frauen.

Weitere Punkte waren die Stabilität des Rentenniveaus und der damit einhergehenden Veränderung der Rentenformel. Die Grundrente ist für Heil eine Anerkennung, dass arbeitende Menschen mehr haben, als Menschen die nicht arbeiten.
Auch hierzu hatte ich mich bereits in einer Kurzanalyse geäußert. Seine Aussagen zur Erwerbsunfähigkeitsrente wurde durch eine (sinnvolle) Zwischenfrage von Matthias Birkwald (DIE LINKE) nicht mehr aufgenommen, so dass hier seine Vorstellungen nicht zum Ende kamen. Die Kinderarmut möchte Heil mit einem erhöhten Kinderzuschlag bekämpfen. Hier erwähnte er insbesondere die Menschen, die arbeiten, um dann nicht weiter in der Grundsicherung stecken zu bleiben (sic!). Sein letzter Punkt war die Digitalisierung und deren Ausbau.

Gleich zu Beginn seiner Rede stellte Heil klar, dass er nicht Erwerbslosigkeit finanzieren möchte, sondern die Arbeit und deren Vermittlung. Aus diesem Grund diskutiert er auch nicht über die Höhe der Regelsätze bei Hartz IV bzw. bei den Sozialleistungen.
Arbeit bringe ein selbstbestimmtes Leben, so Heil weiter. Tja, das war’s dann auch schon. Langzeiterwerbslosigkeit und deren Förderung war kein Punkt. Ebenso wenig wie das Thema Menschen mit Behinderung. Hartz IV gibt es auch nicht.

Fazit: Auch Heil hat kein Patentrezept, um die derzeitige desolate Arbeitsmarktpolitik in positive Bahnen zu lenken.
Er bleibt orientierungslos, planlos und ignorant; klebt an der Agenda-2010-Politik wie ein Fliegenschiss und in diesem Fall in trauter Einigkeit mit der CDU / CSU.
Eine wirkliche Arbeitsmarktreform kann sich nur entwickeln, wenn vom Bürokratiemonster Hartz IV Abstand genommen wird.
Dazu gehört zunächst die Abschaffung der Sanktionen beim Arbeitslosengeld II, das Erkennen der Realität von Drangsalierungen, Entrechtungen und Stigmatisierungen durch die Jobcenter und deren legitimiertes Sozialgesetzbuch II sowie die Regulierung der Regelsätze an die Wirklichkeit.
„Fordern und Fördern“ bleibt, wie auch der Koalitionsvertrag verspricht, in seinem aktuellem Skelett bestehen und wird ein wenig scheinbar mit Pflastern verarztet. Heilung ausgeschlossen.
Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Hubertus Heil.

Jochen

Die Rente wird Wahlkampfthema…

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Die voraussehbare massive Altersarmut hat zu der zynischen Empfehlung geführt, die Geringverdiener sollten halt lieber heute hungern und frieren und in private oder betriebliche Abzockerfirmen einzahlen, damit der Staat für sie im Rentenalter das Auszahlen der Sozialhilfe ersparen kann.
Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft – zu deren „Botschaftern“ ausgerechnet der Profiteur und Maschmeyer-Kumpel Rürup und andere Absahnerchefs zählen – macht in der Süddeutschen eine Kampagne auf, um Junge gegen Alte aufzuhetzen.
http://www.nachdenkseiten.de/?p=35597

Darin wird vorausschauend die Kapitalassistentin und Weisswäscherin Nahles unter Druck gesetzt
– ausgerechnet mit dem Slogan „Rente muss gerecht bleiben“.
Eine kritische Stimme erhebt Matthias Birkwald von der Linken:
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1030397.die-rente-wird-wahlkampfthema.html

Damit der Slogan „Rente muss gerecht bleiben“ nicht von der INSM fürs Internet vereinnahmt wird, hat Sahra Wagenknecht schnell diesen als Web-Adresse eingetragen:

www.rentemussgerechtbleiben.de

LINKE-Sozialpolitiker Matthias W. Birkwald im Interview über notwendige Reformen, die Zukunft der Riester-Verträge und betriebliche Vorsorge

Was ist aus Ihrer Sicht heute das größere Problem – die Demografie oder der hohe Anteil an armen Alleineinziehenden?
Ich warne davor, Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen. 40 Prozent der alleinerziehenden Mütter beziehen Leistungen nach Hartz IV, das stimmt.
Aber in keiner gesellschaftlichen Gruppe nimmt die Armut so rasant zu wie bei denen, die ihren 65. Geburtstag hinter sich haben.
Deshalb muss man sowohl etwas für die Alleinerziehenden und gegen die Kinderarmut tun als auch gegen die auf uns zu kommende große Welle neuer Altersarmut.
Das Rentenniveau könnte bis 2045 auf bis zu 41,6 Prozent sinken, wie es die Bundesarbeitsministerin jetzt prognostiziert hat. Das darf auf keinen Fall passieren.

Wird die Rente ein Wahlkampfthema? Die Koalitionsparteien eiern bei der Frage herum.
Ja.

Zufrieden mit dem Konzept der IG Metall?
Mit sehr vielem kann die LINKE zufrieden sein. Beispielsweise damit, die Rente nach Mindestentgeltpunkten wieder einzuführen. Das würde Menschen, die lange Jahre zu geringen Verdiensten beschäftigt waren, eine höhere Rente bringen. 88 Prozent derer, die davon profitieren würden, sind Frauen.
Mir persönlich geht das Konzept an anderer Stelle aber nicht weit genug. Wir brauchen dringend eine verbindliche Zahl, auf die das Rentenniveau wieder angehoben werden soll. Die fehlt leider.

Und wie hoch wäre das?
Das Rentenniveau muss zunächst stabilisiert und danach wieder auf lebensstandardsichernde 53 Prozent angehoben werden.

Ich höre es schon: Viel zu teuer …
Das würde durchschnittlich verdienende Beschäftigte mit 3022 Euro brutto 33 Euro mehr im Monat kosten. Die Zahlung von vier Prozent vom Brutto in einen Riester-Vertrag könnte dann wegfallen – durchschnittlich 108 Euro plus steuerliche Zulagen. Macht unterm Strich 75 Euro mehr im Monat.
Auf der anderen Seite kämen 130 Euro mehr Rente im Monat für diejenigen raus, die 45 Jahre zum Durchschnittsverdienst gearbeitet haben.

Und wie soll das gehen? Es gibt sehr viele Riester-Verträge, die noch lange laufen.
Unser Vorschlag ist, dass Menschen ihr Geld für einen kleinen Beitrag von den Versicherungsunternehmen zurückbekommen und dann kostenfrei auf ihr persönliches Rentenkonto bei der gesetzlichen Rentenversicherung einzahlen können.

Die IG Metall will auch die Betriebsrenten stärken.
Wir haben nichts gegen Betriebsrenten, die zu 100 Prozent vom Arbeitgeber oder der Arbeitgeberin finanziert werden. Das ist betriebliche Altersversorgung. Auch 50 Prozent kann man noch akzeptieren.
Aber heute wird den Beschäftigten doch oft gesagt: Wandele einen Teil deines Entgeltes um, zahl in die Betriebsrente ein, und wir legen das für dich bei einer Versicherungsgesellschaft an. Dann sprechen wir aber von einer betrieblichen Altersvorsorge. Bei Auszahlung muss dann der doppelte Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag bezahlt werden und das aus eigenem Geld Ersparte muss auch noch versteuert werden.
Die Menschen haben im Ergebnis weniger in der Tasche, senken ihre eigene gesetzliche Rente und die von allen anderen.

Also: Vorsicht bei der Verbreiterung der Betriebsrenten.

Zur Person

Matthias W. Birkwald ist Bundestagsabgeordneter der LINKEN aus Köln und rentenpolitischer Sprecher der Fraktion. Mit nd-Redakteur Jörg Meyer sprach er am Rande der Sozialstaatskongresses der IG Metall in Berlin über betriebliche Altersvorsorge und die rentenpolitischen Vorstellungen der Linkspartei

Jochen

Nahles plant den nächsten Renten-Flop zugunsten der Arbeitgeber !

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Der nächste Wahlkampf-Heißluftballon, von den verbliebenen SPD-Linken, des Rechnens nicht kundig, mit voreiligem Applaus bedacht.
Müller_Albrecht_02mAlbrecht Müller, der die Entwicklung seit langem beobachtet, schöpft Verdacht, genauso wie Matthias Birkwald von den Linken:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=34312#more-34312
Auszüge:

Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD angekündigt, die betriebliche Altersvorsorge auszubauen.
Für ihre Pläne bekam Andrea Nahles jetzt Schützenhilfe von einer großen Gewerkschaft, der IG Metall. In einer Pressekonferenz am 20.7. ließ diese unter anderem verlauten:

„… Weiter fordert die IG Metall eine deutlich höhere Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung. „Wir fordern daher eine Betriebsrente für alle als ergänzende Absicherung“, sagte Hofmann, 1. Vorsitzender der IG Metall. „Hier müssen für tarifliche Lösungen bessere Rahmenbedingungen geschaffen werden.“

Bei der Parlamentarischen Linken der SPD (PL) liest sich der Text zum gleichen Thema so:

“Betriebliche Altersvorsorge – flächendeckend und branchenspezifisch

Die betriebliche Altersversorgung ist für uns die beste zusätzliche Vorsorge für einen angemessenen Lebensstandard im Alter. Die aktuelle Ausgestaltung der Betriebsrenten ist komplex und erreicht nicht diejenigen, die eine zusätzliche Altersvorsorge dringend nötig haben, nämlich Gering- und Niedrigverdienende. Wir wollen daher eine flächendeckende, obligatorische Betriebsrente mit klarem und verbindlichem Gesetzesrahmen und einem Vorrang für tarifliche Lösungen. Wir wollen kollektive Lösungen, die Verwaltungskosten minimieren und die Portabilität bei Jobwechseln garantieren.

Sie soll zum einen die gesetzliche Rente ergänzen. Zum anderen wollen wir mit der betrieblichen Altersvorsorge branchenspezifische Anforderungen (Altersteilzeit, Abkaufen von Abschlägen, …) tarifpartnerschaftlich umsetzen.Unterschiedliche Branchen haben unterschiedliche Belastungen und Anforderungen an einen Rentenübergang.Wo keine Tarifpartner über die Betriebsrenten entscheiden, gelten starre gesetzliche Regelungen und Anforderungen.

Zur Finanzierung können u.a. die vorgesehenen Mittel zur Förderung der Riester-Rente für die betriebliche Altersvorsorge eingesetzt werden.“

Auch die CDU propagiert die Betriebsrente:

„Wir brauchen einfache, transparente und kostengünstige Formen der ergänzenden Vorsorge“, drängt der Chef der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Karl-Josef Laumann. „Ich setze da vor allem auf die betriebliche Altersversorgung.“ Dort fielen weniger Kosten an als bei Privatvorsorge. Zudem könne man Erwerbsunfähigkeit so besser absichern. Die Riester-Förderung habe „die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt“, sagte Laumann dem Tagesspiegel – trotz Förderquoten von 40 Prozent und mehr. „Die Zahl der Verträge dümpelt seit einigen Jahren bei 16 Millionen. Rund ein Fünftel der Riester-Verträge ist ruhend gestellt. – das heißt, da werden gar keine Beiträge eingezahlt. Und die, die es am nötigsten hätten, sorgen am wenigsten vor.“

Die Botschaften klingen alle sehr ähnlich und wirken verabredet. Kritische Stimmen kommen aus zwei gegensätzlichen Ecken, einerseits vom Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), andererseits von den Linken.

Der GDV fürchtet, dass das Geschäft an ihnen vorbeiläuft, wenn künftig die Tarifparteien eigene Vorsorgeeinrichtungen gründen. Gerade kleine und mittlere Unternehmen seien häufig nicht tariflich gebunden, gibt der Versicherungsverband GDV zu bedenken. „Die betriebliche Altersvorsorge ist schon heute hochkomplex. Ein zusätzlicher Durchführungsweg stiftet mehr Verwirrung, als dass er hilft.“ (Quelle)

Matthias Birkwald, rentenpolitischer Sprecher der Linkspartei benennt wenigstens die Risiken:

„Seit den rot-grünen Rentenreformen zur Jahrtausendwende befindet sich das Rentenniveau im freien Fall. Die als Kompensation gedachte Riester-Rente ist gescheitert. …

Vor dem Hintergrund der anhaltenden Kapitalschwemme warne ich aber dringend davor, zu viel Hoffnung in die betriebliche Altersversorgung zu setzen. Die anhaltenden Niedrigzinsen führen schon jetzt dazu, dass die Kapitalmarktrisiken zunehmend auf die Beschäftigten verlagert werden. Es ist deshalb richtig, die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen bei der Finanzierung stärker in die Pflicht zu nehmen. Die beitragsfreie Entgeltumwandlung auszubauen lehne ich ab – voll und ganz: Sie führt gerade bei Jenen zu niedrigeren Renten und zu Mindereinnahmen, die eigentlich von einem steigenden Rentenniveau profitieren sollten.“

Es ist zum Verzweifeln. Da erkennen die Verantwortlichen (endlich!) nach 15 Jahren, dass die Riesterrente ein Flop war und tappen in großer inhaltlicher Einheit in die nächste Falle.

Nach dem Motto: die private Altersvorsorge ist tot. Es lebe die private, betriebliche Altersvorsorge.
Auf die Linken wird man nicht hören und den GDV wird man schon mit den richtigen Angeboten ruhigstellen.

Ein Artikel in der Zeit befasst sich mit den „Pferdefüßen“ von Betriebsrenten. Er wird den handelnden Personen dringend zur Lektüre empfohlen:

„Das Loch ist riesig: 30 Milliarden Euro fehlen derzeit, um all die Pensionszusagen zu erfüllen, die deutsche Betriebe Mitarbeitern gegeben haben. Das hat die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen festgestellt. Vor allem in den neunziger Jahren garantierten viele Betriebe hohe monatliche Auszahlungen, sie machten sogenannte Direktzusagen – im Vertrauen auf gute Gewinne und anhaltend hohe Zinsen.

Die Niedrigzinsphase jedoch „bringt die Arbeitgeber zunehmend in Bedrängnis“, stellt die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung fest. Laut einer Umfrage der Unternehmensberatung Willis Towers Watson denkt mehr als die Hälfte der Mittelständler darüber nach, ihre betriebliche Altersvorsorge (bAV) anzupassen, jeder dritte will sogar sein Versorgungswerk schließen. Was bedeutet das für diejenigen, die eine Betriebsrente bekommen oder ansparen? Immerhin besitzt jeder zweite Beschäftigte laut Umfragen einen oder mehrere Verträge.

Wenig sorgen muss sich, wer bereits eine Rente erhält. Auch wenn im Vertrag eine fixe Auszahlungssumme steht – das ist noch in jedem zweiten Vertrag so –, gilt sie weiterhin. Geht eine Firma pleite, springt der bundesweite Pensions-Sicherungs-Verein ein.

Alle Neusparer bekommen aber wohl künftig weniger: Nur noch jeder siebte neue Vertrag bringt eine feste Monatsrente. Im Großteil der neuen Policen steht heute sinngemäß: Der Mitarbeiter zahlt einen bestimmten Betrag ein – was aber am Ende herauskommt, wird der Kapitalmarkt zeigen. Die Hälfte der Betriebsrentner muss sich schon heute mit maximal 200 Euro monatlich begnügen. Ihr Anteil dürfte wachsen: „Früher ergaben Versorgungspläne eine Auszahlung von zehn bis 15 Prozent des letzten Einkommens“, sagt Heiko Gradehandt, bAV-Experte bei Willis Towers Watson, „bei aktuellen Plänen liegen wir deutlich unter fünf Prozent.“

Dafür zahlen viele ihr Arbeitsleben lang rund drei Prozent ihres unversteuerten Bruttoeinkommens ein. Diese Einzahlungen in die Betriebsrente mindern daher die Steuerlast. Unterm Strich, so die verlockende Faustformel, könne man also bei gleichem Monatsnetto doppelt so viel sparen wie jemand, der sein Einkommen voll versteuere.
Zudem behaupten Anbieter gern, dass die Konditionen der Sammelverträge günstiger seien als die privater Altersvorsorge-Policen.
Axel Kleinlein vom Bund der Versicherten widerspricht und rät: „Nur wenn der Arbeitgeber die Beiträge allein zahlt, sollte man mitmachen.“
Vorsicht ist dagegen geboten, wenn der Mitarbeiter per Entgeltumwandlung einen Teil seines Gehalts selbst einzahlen soll. Denn die bAV-Verträge haben oft schlechtere Konditionen als private Policen, hat Versicherungsmathematiker Peter Schramm beobachtet. Er hat errechnet, dass der Steuervorteil aus der Ansparphase fast vollständig wieder aufgezehrt wird, weil die ausgezahlte Betriebsrente später voll versteuert werden muss und auch Beiträge für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung darauf fällig werden. Zudem fällt die gesetzliche Rente kleiner aus, da das bAV-Sparen jahrelang den Bruttoverdienst gedrückt hat. Ob sich ein bAV-Vertrag später rechnen wird, hängt außerdem davon ab, wie lange man beim Arbeitgeber bleibt, ob man heiratet, eine Immobilie kauft und welche Steuerklasse man jetzt und später hat.
Deshalb warnt Kleinlein vor allem junge Sparer: „Wer mit 25 oder 30 Jahren noch wenig Plan von seinem künftigen Leben hat, sollte solche lang laufenden Verträge meiden. Er sollte lieber flexibel bleiben und anders sparen.“

Kritische Anmerkungen und Fragen zu den Vorstellungen für eine neue, privat organisierte und vom Steuerzahler geförderte betriebliche Altersvorsorge:

  • Vieles ist unklar. Zum Beispiel: wie hoch müsste der Zuschuss der Steuerzahler sein? Was müssen Arbeitnehmer von ihrem Bruttolohn abzweigen? Was kostet die Verwaltung des neuen Systems und wer bezahlt das?
  • Letztlich wird es auf eine Gehaltsumwandlung hinauslaufen, die die oben beschriebenen Nachteile für die ArbeitnehmerInnen haben wird. Wie soll unter diesen Umständen die Akzeptanz hergestellt werden? Insbesondere bei den Geringverdienern?
  • Die Tarifbindung in Deutschland hat kontinuierlich abgenommen. Was passiert dort, wo es keine Tarifpartner gibt?
  • Glaubt denn irgendjemand daran, dass wegen der Ideen für eine flächendeckende Betriebsrente sich die Tarifbindung erhöhen wird?
  • Wie will man mit dem neuen System gerade den am meisten von Altersarmut Betroffenen, den gering verdienenden Frauen zum Beispiel, in Betrieben ohne Gewerkschaften und Betriebsrat zu der neuen Zusatzrente verhelfen? Wer sorgt dort dafür, dass die Betriebsrente installiert wird? Im oben zitierten Papier der Parlamentarischen Linken der SPD heißt es dazu: „Wo keine Tarifpartner über die Betriebsrenten entscheiden, gelten starre gesetzliche Regelungen und Anforderungen.“ – Das klingt ja ganz forsch, aber wie das in der Praxis zustande kommen und getragen werden soll und wie den dort betroffenen Menschen geholfen werden soll, das haben sich offenbar die Autoren des neuen Produktes von der Bundesministerin Andrea Nahles über den IG Metall-Vorsitzenden bis zur Parlamentarischen Linken nicht überlegt.
  • Es müssen neue verwaltungsintensive Strukturen geschaffen werden, neben den bereits bestehenden und kostengünstigen Strukturen der Gesetzlichen Rentenversicherung. Die Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern fallen ja nicht vom Himmel. Das riecht nach einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für hauptamtliche Gewerkschafter.
  • Es gibt gute Gründe, Gewerkschaften in dieser für sie schwierigen Zeit zu helfen. Dies aber mit einer Zwangsmaßnahme und auf Kosten der Steuerzahler und auf dem Weg über eine private Zusatzrente zu tun, ist nicht akzeptabel.
  • Für eine mitgliederstarke Gewerkschaft wie die IG Metall sind in Betrieben, in denen sie gut präsent sind, entsprechende Vereinbarungen mit den Arbeitgebern relativ problemlos zu verhandeln. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass der „erste inhaltliche Aufschlag“ von dieser Gewerkschaft, der IG Metall, kommt. Was aber macht z.B. eine Gewerkschaft wie ver.di, die viele Mitglieder im Dienstleistungsbereich und öffentlichen Dienst hat, wo noch viel mehr um jeden Euro gefeilscht wird als in Metallbetrieben. Das wäre eine Sisyphos-Aufgabe.
  • Wieso sollten Arbeitgeber und ihre Verbände, die heute schon viel Energie darauf verwenden, Löhne und Lohnnebenkosten möglichst niedrig zu halten, ein gesteigertes Interesse daran haben Gelder in eine betriebliche Altersvorsorge zu stecken? Mit welcher „Möhre“ werden sie gelockt?

Eigentlich ein klarer Fall: alle Kräfte und Mittel auf die Stärkung der gesetzlichen Rente konzentrieren

Wenn die Verantwortlichen in Berlin wirklich eine Rentenreform planen, die ihren Namen verdient, sollten sie alle Anstrengungen und alle finanziellen Mittel auf die Stärkung der ersten Säule, der Gesetzlichen Rentenversicherung, konzentrieren. Die Verwaltungsstrukturen gibt es bereits und sie arbeiten kostengünstig und effizient.

Es lohnt sich übrigens, einen Blick auf das Rentensystem unserer Nachbarn in Österreich zu werfen. (Siehe hier und hier)

Nicht noch einmal eine Missgeburt!

Vor allem die SPD hat uns mit der Riester-Rente, der Rürup-Rente und der Entgeltumwandlung zugunsten der privat organisierten Betriebsrenten einen teuren Flop beschert. Obwohl es damals, 2001 deutliche Warnungen davor gab, haben die Sozialdemokraten im Verein mit dem ehemaligen IG-Metall Vizevorsitzenden Walter Riester die staatlich geförderte Privatvorsorge durchgesetzt.

Jetzt, nach 15 Jahren merken sie, dass das falsch war. Reformen dieses Kalibers sollte man jedoch nicht auf einen so kurzen Zeitraum anlegen. Man muss sich bei solchen Reformen schon genauer überlegen und alles durchdenken. Das geschieht wieder nicht. Überlegungen und Interessen, die mit der Rente und dem Kampf gegen die Altersarmut nichts zu tun haben, nämlich die Stärkung der Gewerkschaften und der Tarifbindung, spielen jetzt eine zentrale Rolle.

Das kann nur schief gehen; deshalb appellieren wir an alle unsere Leserinnen und Leser, die an qualitativ guten Reformen und an sachlichen Lösungen, interessiert sind, mit ihren Abgeordneten und auch mit ihren Gewerkschaften über den neu angelegten Irrweg zu sprechen.

 

Jochen