„Millionen stehen hinter mir“ – Die Bande des Monsieur Macron und ein Kommentar von Albrecht Müller

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Da fällt mir die politische Fotomontage von Heartfield ein.

Auch damals wurde ein Politiker von westdeutschen Banken und Stahlindustrie unterstützt. Zuvor hatte er diesen im kleinen Kreis eine gigantische Aufrüstung und die Zerstörung der Arbeiterbewegung versprochen. Er bekam eine massive Wahlkampfunterstützung, so dass er mit seiner Partei in die Regierungskoalition aufgenommen wurde. Die Folgen sind bekannt.
Hier wird deutlich, wer hinter dem kleinen Aufsteiger Macron steht:
https://monde-diplomatique.de/artikel/!5388627
Ein sehr gut recherchierter Artikel mit vielen Namen, wie man ihn sich in den deutschen Leimmedien wünscht. Man wundert sich nicht mehr, dass auch in Deutschland eine massive Einmischung in den französischen Wahlkampf stattfand. Auch hierzulande gewinnen Banken und Rüstungsindustrien von der massiven Aufrüstung und der Zerstörung der Arbeiterbewegung in Europa. Weiter bringt einen immer die Frage, wem dies oder das nützt.
Auszüge :

Die Bande des Monsieur Macron

von François Denord und Paul Lagneau-Ymonet

Der Terminkalender von Wirtschaftsminister Emmanuel Macron für den 17. März 2015 war gut gefüllt. Um 7.45 Uhr war er bei der Zeitschrift Politique internationale zu Gast: eine Diskussion mit Arbeitgebern, Diplomaten und Politikern.
Eine Stunde später traf er in seinem Ministerium ein. Dort eröffnet er eine Konferenz über , staatliche Maßnahmen zur Exportförderung ein Meinungsaustausch zwischen Bürokraten und Privatwirtschaft. Dann diskutiert er mit den sozialistischen Senatoren über das Gesetz für Wachstum, Beschäftigung und wirtschaftliche Chancengleichheit.

Um 13.15 Uhr war der Minister zu einem Mittagessen beim industrienahen Thinktank Cercle Turgot eingeladen. Dessen Präsident François Pérol, zugleich Konzernchef von Banques populaires – Caisses d’épargne, begrüßte Macron mit den Worten: „Willkommen, Emmanuel. Kommst du aus dem Senat? Hat dein Gesetzentwurf zu viele Artikel? Mozart hat man früher auch vorgeworfen, seine Musik habe zu viele Noten.“

Das Gesülze hat etwas von Selbstbeweihräucherung, denn Macron und Pérol haben ähnliche Karrieren hinter sich. Beide sind Arztsöhne und ENA-Absolventen, gingen zur Finanzaufsichtsbehörde, dann zur Rothschild-Bank und landeten im Stab des Staatspräsidenten.

Der Minister konnte die anwesenden Banker, Manager und Wirtschaftsprofessoren mühelos für sich einnehmen, am Ende machten sie ihn zum Ehrenmitglied des Cercle Turgot. Anschließend absolvierte Macron eine Fragestunde in der Nationalversammlung. Danach nahm er sich Zeit für ein langes Gespräch mit Pierre Gattaz, dem Präsidenten des Französischen Arbeitgeberverbands. Anschließend hatte er seinen irischen Amtskollegen Richard Bruton zu Gast, um über Arbeitsmarktreformen zu sprechen.

Dieser 17. März 2015 veranschaulicht trefflich, wie der heutige Präsidentschaftskandidat Macron seine Karriere betreibt: eine geplante Serie von Kurzauftritten, um bei den Machteliten Eindruck zu schinden, ohne freilich tiefere Eindrücke zu hinterlassen.

Macron realisierte den üblichen Traum, eine Elitehochschule zu besuchen, mit dem Studium an der Science Po. 1999 führte ihn der Historiker François Dosse bei dem Philosophen Paul Ri­cœur ein, der einen Assistenten suchte. Als Mitarbeiter Ricœurs fand Ma­cron Zugang zur Zeitschrift Esprit, die der „deuxième gauche“ (zweite Linke) nahesteht und damals die Sozialversicherungsreform von Ministerpräsident Alain Juppé unterstützte.

Im Esprit präsentierte Macron sein theoretisches Konzept für die Ausübung von Macht: „Der Diskurs und die politische Aktion können sich nicht mehr einem Programm unterwerfen, das man bei der Wahl präsentiert und dann fünf Jahre lang durchzieht.“1 In der Politik brauche man eher einen Horizont als einen Maßnahmenkatalog. Bei der deuxième gauche fand er die Ideologie, aus der er sein politisches Handeln begründen konnte.

Während des Studiums an der ENA freundete er sich mit Henri Hermand an. Der 2016 verstorbene Hermand, der viel Geld mit Gewerbeimmobilien gemacht hatte, gehörte zu den Ziehvätern einer christlichen Linken, die sich explizit über drei „antis“ definierte, nämlich als antikommunistisch, antikolonialistisch und antijakobinisch.
2007 stellte der Direktor der Finanzaufsicht, Jean-Pierre Jouyet, den vielversprechenden jungen Mann Jacques Attali vor. Der frühere Berater von François Mitterrand war damals Vorsitzender der von Präsident Sarkozy eingesetzten Wachstumskommission, zu deren Vizegeneralreferenten Macron berufen wurde.
Das Abschlussdokument der Kommission von 2008 enthält den Appell, das übliche Lagerdenken zu überwinden, den der Präsidentschaftskandidat Macron heute an jeder Ecke verkündet.

Der „unparteiische“ Attali-Bericht formulierte 300 Vorschläge für grundlegende Reformen im Sinne eines Gesellschaftsprojekts, das auf Konkurrenz und Deregulierung beruht.2
Die genialen Verfasser dieser Studie begnügten sich nicht damit, den Franzosen sechs Monate vor dem Ausbruch der Finanzkrise die Investition ihrer Ersparnisse in Aktien zu empfehlen. Der geforderte Wettbewerb auf allen Ebenen beinhaltete auch die Konkurrenz zwischen einzelnen Gruppen der arbeitenden Bevölkerung, also Beamte gegen Beschäftigte im privaten Sektor, oder selbstständige Taxifahrer gegen Uber-Fahrer.

Dieses Weltbild war ganz nach dem Geschmack des schneidigen Finanzinspektors Macron, der inzwischen der Redaktion von Esprit angehörte, aber auch in sozialliberalen und proeuropäischen Kreisen verkehrte.
Dazu gehörten auch zwei Thinktanks. Der eine namens „En temps réel“ arbeitet an der „Schaffung starker intellektueller Grundlagen für eine Reformagenda“.
Der zweite, „Les Gracques“, kritisiert explizit die „moderne Linke“, weil sie „überall, wo der Markt wirkt, eine Umverteilung will, und überall, wo es Renditen gibt, den regulierten Markt“.

Macrons gesellschaftliche Rendite wurde durch die Stürme der „Moderne“ nicht beeinträchtigt. 2008 stieg er bei der Rothschild-Bank ein, dank der Empfehlung von vier einflussreichen Freunden: Xavier Fontanet, damals Präsident von Essilor; Serge Weinberg, ehemals Berater von Laurent Fabius, Präsident von Sanofi und Weinberg Capital Partners; dem Industrieanwalt Jean-Michel Darrois; und Alain Minc – der als Einziger der vier nicht der Attali-Kommission angehört hatte. Seinen rasanten Aufstieg bei Rothschild verdankte Macron einem Geschäftsabschluss für Nestlé. Dessen Chef Peter Brabeck-Letmathe war ebenfalls Mitglied der Attali-Kommission.

Attali hält sich zugute, Macron 2008 mit François Hollande zusammengebracht zu haben, als dieser gerade den Vorsitz der Sozialistischen Partei (PS) abgegeben hatte. Macron begann für Hollande zu arbeiten und als dieser 2012 im Élysée-Palast einzog, berief er Macron – wiederum auf Empfehlung Attalis – zum Stellvertretenden Generalsekretär für Wirtschaftsfragen im Büro des Staatspräsidenten.

2014 verkündete Jouyet, der inzwischen zu Hollandes Büroleiter aufgerückt war, seinem Protegé die Ernennung zum Wirtschaftsminister.3
Der Name des Wunderkindes war schon bald mit einem Gesetz über die Liberalisierung des Fernbusverkehrs verbunden, aber auch mit Nachtarbeit und längeren Ladenöffnungszeiten. Zudem weichte Macron die Vorschriften für Kollektiventlassungen auf und trieb die Privatisierung der regionalen Flughäfen voran.

Schon in dieser Phase vollzog sich Macrons kometenhafter Aufstieg nach einem präzisen Muster: Er bekommt mittels eines einflussreichen Mentors Zugang zu einer Machtinstitution, bleibt dort lange genug, um ein enges Netz von Kontakten zu knüpfen, strebt sodann einen höheren Posten an, und so weiter.
Auf all seinen Positionen, im Wirtschaftsministerium wie bei der Finanzinspektion, bei Rothschild wie im Präsidentenbüro, blieb Marcon nie länger als drei Jahre.
Als der 39-Jährige im April 2016 seine Bewegung „En marche!“ gründete, konnte er alle Kontakte aktivieren, die er in jeder Etappe seiner Laufbahn aufgebaut hatte.

Als Macron nach dem Abschluss der ENA bei Sciences Po „allgemeine Kultur“ lehrte, freundete er sich mit Lau­rent Bigorgne an, der seit 2010 das Institut Montaigne, einen überaus liberalen Thinktank, leitet. Bigorgnes Privatadresse war am Anfang die offizielle Anschrift von En marche!.
Aber Macron hat auch keine Vorbehalte gegen Thinktanks aus anderen politischen Lagern. Zum Beispiel ist er mit Thierry Pech befreundet, dem Generaldirektor der PS-nahen Stiftung Terra Nova.

Die Hochfinanz im Rücken

Viele frühere Mitglieder der Attali-Kommission setzen auf En marche!. So zum Beispiel der Autor und Ökonom Erik Orsenna, der am ersten großen Treffen der Bewegung Anfang Juli 2016 im Maison de la Mutualité in Paris teilnahm.
Noch mehr zeigten sich bei der ersten Wahlkundgebung am 10. Dezember 2016 an der Porte de Versailles: Josse­line de Clausade, Berichterstatterin der Kommission, die vom Staatsrat in den Vorstand des Casino-Konzerns gewechselt war; Jean Kaspar, Exgeneralsekretär des Gewerkschaftsbunds CFDT, heute Berater für Sozialstrategien; der schon erwähnte Darrois und Stéphane Boujnah, Chef von Euronext, dem Betreiber der Börsen von Amsterdam, Brüssel, Lissabon und Paris.

Boujnah soll Macron auch den Mann empfohlen haben, der heute das Geld für seine Wahlkampagne einwirbt: Christian Dargnat war Asset Manager bei BNP und Crédit agricole und von 2010 bis 2013 bei der Arbeitgebervereinigung Medef Leiter des Komitees „Währungen und internationales Währungssystem“.

Macrons Verbindungsmann zu den Gewerkschaften – neben Jean Kaspar – ist Pierre Ferracci. Er hat die CGT-nahe Beratungsfirma Secafi zur Unternehmensgruppe Alpha ausgebaut, die Gewerkschaften, Personalvertretungen und Unternehmungsführungen berät.
Auch Ferracis Sohn Marc und dessen Frau Sophie arbeiten für Macron. Ferraci junior arbeitet an der Science Po am Lehrstuhl „Sicherung der beruflichen Laufbahn“, der von Alpha, der Zeitarbeitsfirma Randstad, der staatlichen Arbeitslosenagentur und dem Arbeitsministerium finanziert wird. Die Wirtschaftsanwältin Sophie Ferraci war Macrons Bürochefin im Ministerium und arbeitet jetzt in seinem Wahlteam.

Bei En marche! machen noch weitere frühere Mitarbeiter seines Ministerbüros mit. Macrons Exkabinettschef Alexis Kohler arbeitet heute zwar für MSC, die zweitgrößte Reederei der Welt, fungiert aber nach wie vor als Berater. Und sein ehemaliger Mitarbeiter Julien Denormandie ist inzwischen Macrons Wahlkampfleiter.

Sprecher von En marche! ist Benjamin Griveaux, der ausnahmsweise nicht aus Macrons Ministerbüro stammt. Aber auch er ist ein typischer „Macron Boy“: Spitzendiplome der École des hautes études commerciales (HEC) und von Sciences Po, auf dem rechten Flügel der PS (Strauss-Kahn und Moscovici) zu Hause, zuvor beschäftigt in einem Ministerialbüro (der Sozialministerin Marisol Touraine).

Fazit: Emmanuel Macron, der als der neue Mann ohne Vergangenheit und ohne Beziehungen posiert, verkörpert mit seiner Person und mit seiner Umgebung das kompakte Aufgebot der Staatsaristokratie (Abteilung Finanzministerium) und der Hochfinanz, kurz: das „System“ schlechthin.

Dreißig Jahre nachdem Hol­lande, Jouyet und andere sozialistische Granden verkündet hatten, dass „die Linke sich bewegt“, inszenieren diese alte Garde und Macrons Jungtürken die ewige Geschichte des Modernismus mit neuer Besetzung. Mit einem Mann, der über den Parteien steht und die Entschlossenheit, die technische Kompetenz und die modernsten Methoden besitzt, um das Land zu führen.
Dabei kommt es nicht darauf an, ein Programm zu haben. Entscheidend ist, die Wähler vom rechten Rand der Linken bis zum linken Rand der Rechten4 zu gewinnen.

Aber noch mehr kommt es für Macron darauf an, die Unterstützung einflussreicher Persönlichkeiten zu gewinnen, etwa von Jean Pisani-Ferry, dem früheren Leiter des Kommissa­riats für Strategie und Perspektive, das dem Büro des Premierministers angegliedert ist. Der ehemalige Berater von Strauss-Kahn und Jouyet musste allerdings nach dem Brexit feststellen: „Wir sind die Experten, die 52 Prozent der Briten verabscheuen.“5

Emmanuel Macron wird viel Charisma brauchen, um die Illusion aufrechtzuerhalten, dass er nicht zu diesen Verfemten gehört.

1 Emmanuel Macron, „Les labyrinthes du politique. Que peut-on attendre pour 2012 et après?“, Esprit, Paris, März/April 2011.

2 Commission pour la libération de la croissance française, unter Vorsitz von Jacques Attali, „300 décisions pour changer la France“, Paris (XO Éditions – La Documentation française) 2008.

3 Das Telefongespräch ist dokumentiert: „Bei der Finanzdirektion dachte ich noch, ich wäre dein Chef, jetzt wirst du mein Chef.“ Yves Jeuland, „À l’Élysée, un temps de président“, Dokumentation, gesendet auf France 3 am 28. September 2015.

4 Zum Beispiel die Europaabgeordnete Sylvie Goulard, Autorin von „L’Europe pour les nuls“ (Europa für die Nieten).

5 Le Figaro, 4. Juli 2016.

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz

Die Soziologen François Denord und Paul Lagneau-­Ymo­net sind Autoren von „Le Concert des puissants“, Paris (Raisons d’agir) 2016.

Und hier der Kommentar von Albrecht Müller http://www.nachdenkseiten.de/?p=38012:

Wer regiert die Welt? Wer steckt hinter Macron? Wer hat ihn in kurzer Zeit aufgebaut?

Wer betrieb die Ausdehnung der Nato bis an die Grenze Russlands? Wer hat die neoliberale Ideologie durchgedrückt? Wer hat erfunden und festgezurrt, für die Durchsetzung der neoliberalen Ideologie den schönen Begriff „Reformen“ zu missbrauchen? Wer hat diese Sprachregelung geplant? Wer hat dafür gesorgt, dass in Europa keine fortschrittlichen Parteien mehr regieren? Wer hat die ehedem fortschrittlichen Parteien von innen heraus so verändert, dass man sie nicht mehr wiedererkennt? Wer betreibt den Regime Change in allen Ländern, deren Regierung dem Westen nicht passt? Wer hat Allende weggeputscht? Wer hat die Kennedys umgebracht? Wer hat den ehemaligen Bundespräsidenten Gauck als Kandidaten entdeckt und nach oben geschoben? Wer regiert in den USA? Trump? Die Geheimdienste? Die Rüstungswirtschaft? Die Finanzwirtschaft? Ein Bündel – oder mehrere Bündel – von allem. „Einflussreiche Kreise“ – so nannte ich das einmal. Albrecht Müller.

Daran hat sich mein früherer Mitherausgeber Dr. Wolfgang Lieb so sehr gestoßen, dass er deshalb den Bettel hinwarf. Ich würde diese heiklen Fragen nicht stellen und auch nicht die Antwort „einflussreiche Kreise“ geben, und damit das Risiko laufen, Verschwörungstheoretiker genannt zu werden, wenn mich in den letzten Tagen nicht eine interessante einschlägige Mail eines NachDenkSeiten-Lesers erreicht hätte.
Ich zitiere aus dieser an Norbert Häring und an mich adressierten Mail, weil sie zugleich den Streit und den Disput markiert, der hierzulande ausbricht, wenn man die in der Überschrift formulierte Frage stellt: Wer regiert die Welt? Wer hat Macron in so kurzer Zeit aufgebaut? …
Hinter diesen Fragen steht die Skepsis, ob hierzulande das Volk überhaupt noch etwas zu sagen hat. Dahinter steht die skeptische Frage, ob wir überhaupt noch annähernd demokratische Verhältnisse haben.

Hier nun also die genannte Mail:

Ich habe jüngst aus aktuellem Anlass einen alten Artikel wieder herausgezogen: Den „Ausstiegsartikel“ von Dr. Wolfgang Lieb vom 23. Oktober 2015 und habe mich gefragt, ob Dr. Lieb das, was er damals so geschrieben hat, wohl heute noch so sieht.

Ich habe dann in seinen Blog-der-Republik geschaut und mir gedacht, dass ich mir die Frage sparen kann. Er sieht das noch so. …

Mir geht es anders:

Ich konnte dem Artikel von Dr. Lieb damals noch ziemlich zustimmen. Heute sicher nicht mehr. Vor allem, was diesen Schlüsselabsatz anbelangt:

„Wenn es „in der Geschichte keine Zufälle“ [PDF] gäbe und „einflussreiche Kreise“ im Hintergrund ohnehin die Politik und die Medien hierzulande und in der Welt steuerten und es also vor allem um „abgekartete Spiele“ ginge, dann wären politisches Engagement und das demokratische Ringen um Alternativen sinnlos.“

Ich bin inzwischen vollkommen überzeugt, dass Lieb mit dieser ‚Aussage völlig falsch liegt. Ich gehe davon aus, dass diese einflussreichen Kreise inzwischen ihren Hampelmann Trump genauso hampeln lassen, wie es ihr eigener Kandidat Hillary Clinton gemacht hätte und dass sie demnächst in Frankreich ihren eigenen Mitarbeiter Macron als Präsidenten installieren werden. Nicht ganz unberechtigt ist allerdings die Frage, ob in dieser Situation jegliches politisches Engagement noch Sinn macht.

Diese Frage muss man sich in der Tat stellen. Ich würde trotz aller gewaltigen Rückschläge und trotz der hier angesprochenen Struktur, wonach Entscheidungen nicht in einem auch nur annähernd demokratischen Prozess getroffen werden, sondern von einem überschaubaren Kreis von Einflussreichen und Superreichen, immer noch hoffen, dass wir durch Aufklärung über diese undemokratischen Verhältnisse helfen können, das Schlimmste zu verhindern und Besseres zu schaffen. Gerade wenn man das will, muss man die Wirklichkeit ehrlich beschreiben

Wer sind die einflussreichen Kreise?

Genau sagen, kann man das nicht. Wenn man vom Ergebnis ausgeht, von den gravierenden politischen Entscheidungen, dann hat man Indizien:

  • Es werden Kriege geführt, es wird aufgerüstet, obwohl man 1990 das Gegenteil beschlossen hat. – Die Schlussfolgerung: Die Rüstungswirtschaft hat zentralen Einfluss auf das Geschehen.
  • Wir wurden als Steuerzahler dazu verdonnert, Banken zu retten, weil sie angeblich systemrelevant gewesen seien. Wir haben auf diese Weise den Spekulanten ihre Wettschulden abgenommen. – Die Finanzwirtschaft ist in den einflussreichen Kreisen sicher gut vertreten.
  • Wir schlagen uns mit einer wirtschaftspolitischen Ideologie herum, die das Heil der Welt in der Kürzung von Sozialleistungen und in sogenannten Reformen zu Lasten der abhängig Beschäftigten sucht. Wir haben weltweit Steuerpolitik zugunsten der Oberschicht betrieben. – Zu den einflussreichen Kreisen gehören mit Sicherheit die Superreichen in der Welt und insbesondere im Westen und in den USA. Soros ist ein Musterbeispiel.
  • Wir haben immer wieder festgestellt, dass die Geheimdienste selbst einem neugewählten US-Präsidenten widersprechen und wir haben immer wieder feststellen müssen, dass ihre Praktiken des Abhörens ohne nachhaltigen Widerstand und ohne nachhaltige Kontrolle geblieben sind. – Sie, „die Dienste“, gehören zum inneren Zirkel der einflussreichen Kreise.
  • Wir stellen die enge Zusammenarbeit mit den Medien fest und hören von unseren Medien nur noch Gleichlautendes. Musterhaft demonstriert nach dem Wahlabend in Frankreich. Macron ist ihr Mann.
  • Wir stellen fest, dass imperiale Absichten, also der Griff auf andere Länder und vor allem auf die Ressourcen anderer Länder hoffähig geworden ist. Die Macher des Imperiums der USA sind Teil und Kern des inneren Zirkels der einflussreichen Kreise.

Das waren ein paar Hypothesen und Anstöße zum Nachdenken. Am Text wird weitergearbeitet – auch unter Beachtung der Gedanken und Beobachtungen

Jochen

Die tiefe Krise der abhängigen Arbeit

Hier spricht mir jemand aus der Seele:

http://publik.verdi.de/2016/ausgabe-05/gesellschaft/meinung/seite-15/A1

Der Politik des Dumpings endlich ein Ende setzen

Werner Rügemer ist freier Autor und Publizist.DSC_0046

Die Europäische Union hat viele Krisen: bankrotte Privatbanken, überschuldete Staaten (auch die mit der schwarzen Null), ungeliebtes Führungspersonal und so weiter. Der Krisenmix zeigte sich auch beim „Brexit„. Die Mehrheit der Briten wollte, dass ihr Staat die EU verlässt. Aber „Drinbleiben“ oder „Raus­gehen“: Beides kann für die Mehrheit der Bevölkerung genauso schlecht bleiben oder werden, wenn nicht die Krisen­ursachen und die Alternativen genauer benannt werden.

Die wohl am meisten verdrängte und am meisten verzerrt darge­stellte Krise ist die der abhängigen Arbeit. Das gilt für die gesamte Europäische Union, für Großbritannien, für Griechenland und Portugal, aber auch für die wichtigsten EU-Staaten wie Frank­reich und Meister Deutschland.

„Es geht uns allen gut“, so die Dauerbotschaft der deutschen Bundes­kanzlerin. So gnadenlos schlicht kann man die tiefste Krise der Arbeit beschönigen, die die Bundesrepublik Deutschland je hatte: Die Erpressungssituation von Millionen Arbeitslosen, Mindest­löhnern, Werkvertraglern, „Aufstockern„, unfreiwillig Teilzeit­arbeitenden und Leiharbeitern, Mehrfachjobbern, Ein-Euro-Jobbern, befristet Beschäftigten, aus Not arbeitenden Rentnern und Rentne­rinnen und der vielen, die sich täglich ein paar Nahrungsmittel bei den eintausend mildtätigen Tafeln in Deutschland abholen müssen.

Unternehmenschefs nötigen Beschäftigte zu immer mehr unbezahl­ten Überstunden. Gegenwärtig werden so pro Jahr die Gewinne der Aktionäre und die Einkommen der Topmanager mit mindestens 40 Milliarden Euro zusätzlich subventioniert, und das sind nur die doku­mentierten Überstunden, während die Zahl der nicht dokumentier­ten Überstunden ebenfalls wächst. Aus Angst um ihren Job verzichten Beschäftigte auf immer mehr Urlaubstage. Während Millionen Beschäf­tigte mit Vollzeitstellen 45 und auch viel mehr Stunden in der Woche arbeiten, sind Millionen andere Beschäftigte gezwun­gen, sich mit 15 oder 20 Stun­den mit Teilzeitjobs über Wasser zu halten. Und die Statistiken über die Zahl der Arbeitslosen werden manipuliert. Keine Krise der Arbeit? Es geht uns allen gut?

Diese verheerende Entwicklung haben die Verantwortlichen der Europäischen Union spätestens seit dem Jahr 2000 gezielt vorangetrieben

Diese verheerende Entwicklung haben die Verantwortlichen der Europäischen Union spätestens seit dem Jahr 2000 gezielt vorangetrieben. Mit der „Strategie von Lissabon“ sollte die EU „der wettbewerbs­fähigste Wirtschaftsraum der Welt“ werden. Die deutsche Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder installierte damals die Agenda 2010: Deutschland sollte vorangehen. So wurde Deutschland zum größten Niedriglohngebiet der EU „reformiert“.

Dabei blieb es nicht. Die EU richtete nach deutschem Vorbild 2010 das „Europäische Semester“ ein. Die Staaten sollen Leistungen kürzen und noch günstigere Rahmenbedingungen für Unternehmen schaffen – mit Strafzahlung bei Nichtbefolgen. Das kontrolliert die Europäische Kommission in allen 28 EU-Mitgliedsstaaten jährlich. Sie interveniert lohnpolitisch, nicht nur in Griechenland, Zypern, Spanien, Finnland und Portugal. Sie interveniert nun auch in den großen Staaten.

Die Kommission zwang die Regierung von Matteo Renzi in Italien, den Arbeitsmarkt „wettbewerbsfähiger“ zu machen. Die Kommis­sion steht – gemeinsam mit dem Unternehmerverband MEDEF – auch hinter dem aggressiven Arbeits“reform“gesetz der französi­schen Regierung unter dem Staatspräsidenten Francois Hollande. Diese „Reform“ geht noch über die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze hinaus: Zum Beispiel sollen die Lohnverhandlungen in die einzelnen Unternehmen verlagert werden. Die Parole lautet: Gewerkschaften überflüssig machen! Und dieses Gesetz will die Regierung per Notverordnung am Parlament vorbei durchziehen.

Im Jahresbericht 2016 der Kommission befindet sich übrigens auch die Bundesrepublik unter den Staaten mit „makroökonomischem Ungleichgewicht“, deshalb seien weitere Struktur“reformen“ nötig. Die Kommission will zudem für jeden Mitgliedsstaat einen nationa­len „Wettbewerbsausschuss“ einrichten, der die Löhne überwacht und in die Tarifautonomie eingreifen darf.

Das zerstörerische Lohn- und Rechts-Dumping innerhalb der EU-Staaten und zwischen ihnen würde noch aggressiver und würde nie aufhören.

Dieser Entwicklung muss ein Ende gesetzt werden!

Frankreich ist das erste große EU-Land, in dem breiter und perspektivenreicher Wider­stand gegen solche Arbeitsgesetze organisiert wird. Er sollte endlich der Anstoß sein für einen europäischen koordinierten Widerstand, als Teil einer demokratischen, konstitutionellen und sozialen Neugründung Europas.

»Nuit Debout« macht weiter – Hier die Möglichkeit, Solidarität mit den französischen Arbeitern zu bekunden !

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

http://arbeitsunrecht.de/mitmachen/solidaritaet-mit-protesten-in-frankreich/

Setzen Sie ein Zeichen: Unterstützen Sie diese Resolution mit einer Unterschrift!

Wir, Menschen aus Wissenschaft, Publizistik und Gewerkschaften aus Deutschland, erklären unsere Solidarität mit den Menschen in Frankreich, die gegen die Arbeitsrechts-„Reform“ weiter protestieren und streiken. Diese Streiks und Proteste sind berechtigt, notwendig und ein Vorbild für die gesamte Europäische Union.

So kann Demokratie nicht funktionieren

Wir protestieren gegen das Gesetz, das per Notverordnung am Parlament vorbei diktiert wird. Es stimmt weitgehend mit den Forderungen des Arbeitgeberverbandes MEDEF überein und richtet sich gegen die Meinung und Interessen der Mehrheitsbevölkerung. Diese Demokratur verschärft die Rechtsentwicklung in der Europäischen Union.

Wir protestieren ebenfalls gegen die massive Polizeigewalt und Verurteilungen, mit denen die Versammlungs- und Meinungsfreiheit der Streikenden und Protestierenden eingeschränkt wird.

Niedriglohngesetze nicht erfolgreich

Präsident François Hollande und Premierminister Manuel Valls haben auf angebliche Erfolge gleichartiger Gesetze in anderen EU-Staaten verwiesen.
Doch diese Erfolge gibt es nicht, im Gegenteil.

Die Bundesrepublik Deutschland, die unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) mit der Agenda 2010 am frühesten mit solchen „Reformen“ begann, wurde dadurch zum größten Niedriglohnstaat in Europa. Das schädigt nicht nur die Beschäftigten, die Arbeitslosen und vor allem die Jüngeren in Deutschland selbst, sondern auch die Volkswirtschaften der anderen EU-Mitgliedsstaaten, nicht zuletzt Frankreichs. Diese Reformen sind eine Ursache für die wachsende Arbeitslosigkeit in der ganzen EU.

Gewerkschaftsvermeidung und gesteigerte Arbeitshetze

Durch die Agenda 2010 und weitere Maßnahmen der Folgeregierungen wurden in Deutschland kollektive, transparent entwickelte Tarifverträge zurückgedrängt. Die Gewerkschaften werden geschwächt. Einzelbetriebliche Vereinbarungen führen unter dem internen Druck der Arbeitgeber – sie drohen mit der Schließung oder Verlagerung des Betriebs oder mit Entlassungen – zur noch weiteren Entgrenzung der Arbeitszeiten, zu Lohnsenkungen, zu unbezahlten Überstunden, zu noch mehr Teilzeit- und Minijobs, zu noch mehr befristeten oder sogar unbezahlten Arbeitsplätzen (Praktika).

Altersarmut und Burn-out

Selbst die deutsche Regierung muss mittlerweile zugeben: wegen der Niedriglöhne und begleitende Rentenkürzungen bildet sich bereits jetzt eine gewaltige Altersarmut. Pensionäre sind in wachsender Zahl zu Nebenarbeit gezwungen. Hunderttausende Niedriglöhne müssen staatlich subventioniert werden. Mithilfe von etwa tausend Tafeln muss der Hunger der Verarmten notdürftig gestillt werden. Die wachsende Unsicherheit und der unkontrollierte Leistungsdruck haben zu mehr Stress und einem Anstieg der psychischen Krankzeiten und Depressionen geführt.

Das Rattenrennen stoppen

Die nach deutschem Vorbild durchgezogenen Arbeitsrechts-„Reformen“ sind Teil eines zerstörerischen Standort-Wettbewerbs und haben zu Ungleichheiten geführt, die auch den demokratischen und sozialen Zusammenhalt in der EU schon jetzt schwer schädigen.

Wir stimmen mit den Streikenden und Protestierenden in Frankreich überein: Die abhängige Arbeit muss aufgewertet, deren finanzielle und moralische Herabwürdigung muss beendet werden! Auch Flüchtlinge dürfen nicht für Lohn-Dumping missbraucht werden!

Kämpfen wofür?

Wir schließen uns der Forderung von Attac Frankreich an:

  • Lohnerhöhungen insbesondere für die unteren Einkommensgruppen!
  • Investitionen müssen in Arbeitsplatz-schaffende Produkte fließen, etwa in den ökologischen Umbau der Systeme für Transport und Energie!
  • Investitionen in Bildung und Ausbildung für alle!
  • Arbeitszeitverkürzung für alle!
  • Beendigung des zerstörerischen Lohndumping-Wettbewerbs zwischen den EU-Mitgliedsstaaten!

Hier unterschreiben !

Erstunterzeichner_innen

Initiativen: Makroskop Mediengesellschaft (Prof. Dr. Heiner Flassbeck, Dr. Paul Steinhardt) | Labour Net Germany (Mag Wompel) | aktion./.arbeitsunrecht (Jessica Reisner) | Lunapark21 (Dr. Winfried Wolf) | Welt der Arbeit (Franz Kersjes) | Naturfreunde Deutschlands (Uwe Hiksch) | Sand im Getriebe (Marie-Dominique Vernhes) | Klartext (Prof. Rainer Roth ) |

Dazu auch der Soziologe und Aktivist Clouet über die Ziele der Protestbewegung »Nuit Debout« im Interview

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1015170.protestieren-bis-zum-ruecktritt.html

Herr Clouet, die Europameisterschaft hat begonnen, die Streiks gehen weiter. Will die Protestbewegung die gesamte EM sabotieren?
Wenn ich zwischen der EM und meiner Zukunft wählen muss, dann wähle ich meine Zukunft. Ich habe gar kein Problem damit, die EM zu sabotieren. Wenn die Regierung uns dazu drängt, bleibt uns keine andere Wahl. Sie setzt sich einfach über das Parlament hinweg und drückt ein Gesetz durch, obwohl es die Mehrheit der Franzosen ablehnt.

Wie lange ist das noch durchzuhalten?
Die sozialen Bewegungen werden immer größer und stärker. Sie entwickeln immer neue Aktionsformen. Zum Beispiel gibt es seit Wochen in Paris vergünstigte Stromtarife, weil die Gewerkschaft CGT den Stromanbieter EDF besetzt hat. Die meisten Arbeitnehmer unterstützen die Streiks auch weiterhin.

Auch wenn sie dafür lange Arbeitswege und stundenlanges Warten vor Tankstellen in Kauf nehmen müssen?
Viele Leute sagen natürlich, dass es nicht immer ganz einfach ist. Aber deshalb fordern sie nicht von den Gewerkschaften, die Streiks zu beenden. Die meisten sind sich einig, dass die Regierung hier die Schuld trägt.

Es gab in den vergangenen Wochen aber auch viele Verletzte, ein Demonstrant liegt sogar im Koma.
Die Strategie der Polizei war von Anfang an sehr gewalttätig. Außerdem gibt es einige Autonome, die die Demonstrationen künstlich anheizen, kleine Läden und öffentliche Einrichtungen beschädigen. Wir wissen leider nicht, wie viele Autonome für die Polizei arbeiten. Aber wir glauben, dass die Steinewerfer Teil der Polizeitaktik sind. Mittlerweile werden auch Gewerkschaftler der CGT von den Autonomen angegriffen. Die Polizei nutzt sogenannte Ordnungstechniken, die eskalierend wirken.

Was genau kann man sich darunter vorstellen?
Zum Beispiel werden die Demos in zwei oder drei Teile aufgespalten. Dann wird ständig Tränengas auf die Leute geschossen, die friedlich demonstrieren. Daraufhin kommt es zu gewaltsamen Reaktionen einiger Demonstranten und damit rechtfertigt die Polizei dann ihren Angriff.

Glauben Sie wirklich daran, dass die Regierung das umstrittene »El-Khomri-Gesetz« noch zurückziehen wird?
Das Gesetz wurde bereits geändert – allerdings nicht zum Besseren. Nachdem die Regierung den ersten Entwurf in den Senat gegeben hat, wurde es von den konservativen Senatoren noch einmal komplett umgeschrieben. Nun ist es neoliberaler als vorher. Jetzt kommt es zurück ins Parlament – auch dort kann sich noch viel ändern.
Wahrscheinlicher ist aber, dass die Regierung wieder den Artikel 49.3 der Verfassung benutzt und ihre eigenen Leute im Parlament in eine Mehrheit zwingt. Nach dem Artikel kann die Regierung die Abgeordneten vor die Wahl stellen: Entweder für die Regierung und das Gesetz mit Ja oder gegen die Regierung und das Gesetz mit Nein zu stimmen. Wenn sich Ende Juni genug Sozialisten für ein Nein entscheiden, kann die Regierung gestürzt werden. Darauf warten wir.

Keine Änderung des Gesetzes, sondern gleich Neuwahlen?
Ich glaube, das ist die einzig vernünftige Lösung. Denn es gibt viele Sozialisten, die nicht zwischen dem Gesetz und der Regierung wählen wollen.

Viele Linke in Deutschland blicken gespannt nach Frankreich, denn Proteste in Deutschland, beispielsweise gegen die Hartz-Gesetze im Jahr 2004, werden nicht annähernd so stark ausgetragen. Da kommt das Klischee von den revolutionären Franzosen und den braven Deutschen auf.
Ich glaube nicht, dass es hier um kulturelle Unterschiede geht. Die Hartz-IV-Gesetze sind viel klüger durchgesetzt worden als unser »El-Khomri-Gesetz«. Wir hatten keine Hartz-Kommission mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, die sich in den Gesetzgebungsprozess einbringen konnten. Das »El-Khomri-Gesetz« wurde allein von der Regierung geschrieben – ohne Sozialpartner. Danach waren alle Gewerkschaften dagegen und selbst der Arbeitgeberverband – allerdings weil es ihm nicht liberal genug war. Außerdem trafen die Hartz-Gesetze nur eine Minderheit, nämlich die schwächsten Glieder der Gesellschaft. In Frankreich wären durch die Veränderung des Arbeitsrechts fast alle Arbeitnehmer betroffen. Das erklärt, warum so viele Franzosen die Streiks in Kauf nehmen und selbst auf die Straße gehen: Sie sind einfach fast alle betroffen.

Was sagt das über die sozialdemokratischen Regierungen beider Länder aus?
Die deutsche Sozialdemokratie geht viel klüger vor, wenn es darum geht, die Lebensbedingungen von Leuten zu verschlechtern. Für konservative Parteien ist es generell schwerer, soziale Kälte zu organisieren, da sie von vornherein die Gewerkschaften und viele Arbeitnehmer gegen sich haben. Sozialdemokraten glauben am Anfang noch, die Sozialpartner auf ihrer Seite und die tun sich auch schwer damit, gegen ihre politischen Partner zu agieren. Außerdem nähern sich die beiden sozialdemokratischen Parteien immer mehr der neoliberalen Einheitspolitik in Europa an.

Zur Person – privat

Hadrien Clouet ist Doktorand der Soziologie am Pariser Institut für politische Studien Sciences Po. Der Arbeitsmarktexperte engagiert sich in der Protestbewegung »Nuit Debout«, die seit Ende März auf dem Platz der Republik in Frankreichs Hauptstadt gegen die geplante Reform des Arbeitsrechts demonstriert. Über 70 Prozent der Franzosen lehnen das nach der Ministerin Myriam El Khomri benannte Gesetz ab.

Dazu auch eine Kritik des französischen Wirtschaftswissenschaftlers Thomas Piketty am Arbeitsmarktgesetz der Regierung:

Auszüge:
Während die sozialen Spannungen Frankreich zu blockieren drohen und die Regierung weiterhin den Dialog und Kompromiss verweigert, erweist sich das Gesetz zur Reform des Arbeitsmarkts immer deutlicher als das, was es ist: ein heilloses Durcheinander, ein weiteres in einer fünfjährigen verpatzten Regierungszeit, und vielleicht das schlimmste.
Die Regierung will uns glauben machen, dass sie den Preis dafür zahlt, Reformen voranzubringen, und dass sie allein gegen alle Formen von Konservatismus kämpft. Die Wahrheit sieht auch bei diesem Thema anders aus: Die Regierungsmacht vervielfältigt die Improvisationen, Lügen und den handwerklichen Pfusch.
Das zeigte sich bereits beim Thema Wettbewerbsfähigkeit. Die Regierung stieg damit ein, dass sie – zu Unrecht – die Kürzungen der Arbeitgeberbeiträge zurücknahm, die die vorherige Regierung veranlasst hatte, bevor sie ein unwahrscheinliches Monsterverfahren startete, und zwar in Form eines Steuerkredits, der darauf zielte, den Unternehmen einen Teil der ein Jahr zuvor geleisteten Beiträge zu erstatten, wobei sie einen enormen Reibungsverlust wegen des Mangels an Verständlichkeit und Nachhaltigkeit ihrer Maßnahmen bewirkte. Stattdessen hätte sie eine ehrgeizige Reform der Finanzierung der Sozialversicherung angehen sollen.

Blogbeitrag von T. Piketty vom 2.6.2016: http://piketty.blog.lemonde.fr/2016/06/02/loi-travail-un-effroyable-gachis/.
Aus dem Französischen von Marion Fisch.

Jochen