2 Artikel zur Aufrüstung der EU unter v.d.Leyen: Die Lust an der Macht und Krisenprävention

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Beide erschienen in German Foreign Policy

1. Die Lust an der Macht

https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8046/

BERLIN/WASHINGTON/BEIJING (Eigener Bericht) – Die künftige EU-Kommission soll explizit „geopolitisch“ tätig werden und der Union eine führende Position in der Weltpolitik verschaffen.
Dies bekräftigt die designierte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, über deren Team Beobachter urteilen, es habe „die Lust an der Macht“ entdeckt.

stern

Von der Leyens Pläne für die nächsten fünf Jahre entsprechen in hohem Maß dem Vorhaben Berlins, die Union als eigenständige Weltmacht zwischen den USA und China zu positionieren.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron teilt diese Absicht und warnt mit Blick auf den eskalierenden Kampf zwischen Washington und Beijing, gelinge dies nicht, werde man weltpolitisch jeden Einfluss einbüßen. Starke Kräfte in der deutschen Wirtschaft halten eine deutsch-europäische Zwischenposition für unumgänglich: Andernfalls werde man das Chinageschäft verlieren und schwerste Einbrüche erleiden, heißt es.
In transatlantisch orientierten Milieus wiederum ist zu hören, Berlin und Brüssel kämen nicht umhin, sich früher oder später auf Washingtons Seite zu schlagen.

Eklatante Widersprüche

Die Debatte, wie Deutschland und die EU sich in dem eskalierenden Machtkampf zwischen den Vereinigten Staaten und China positionieren sollen, dauert in Berlin und den anderen Hauptstädten der Union an. Hintergrund sind im Falle der Bundesrepublik widersprüchliche Interessen in mehrfacher Hinsicht. Sprechen die überaus engen wirtschaftlichen, politischen und militärischen Bindungen an die USA aus Sicht Berlins machtpolitisch dafür, im Konfliktfall den Schulterschluss mit Washington zu suchen, so werden inzwischen Zweifel laut: Die anhaltenden Bemühungen der Trump-Administration, die Bundesrepublik zur Unterordnung unter die US-Weltpolitik zu veranlassen, werfen in Berlin die Frage auf, inwieweit Deutschland innerhalb des transatlantischen Bündnisses seine eigenen Ambitionen überhaupt realisieren könne.[1]
Zugleich sind vor allem die ökonomischen Beziehungen zu China inzwischen so dicht, dass die deutsche Industrie im Falle eines eskalierenden Konflikts mit Beijing vor schwersten Einbrüchen stünde. Bereits der Verlust von Ausfuhren im Wert von weniger als 20 Milliarden Euro durch die Russland-Sanktionen hat für Unruhe gesorgt; im Geschäft mit der Volksrepublik steht erheblich mehr auf dem Spiel (german-foreign-policy.com berichtete [2]).
Lehnt die deutsche Industrie eine Positionierung gegen Beijing deshalb eigentlich ab, so nehmen gleichzeitig Befürchtungen zu, sich auf Dauer nicht gegen die chinesische Konkurrenz behaupten zu können.
Dies wiederum spräche für ein gemeinsames Vorgehen den USA. Die Widersprüche, mit denen Berlin zu kämpfen hat, sind eklatant.

In der Großmächtekonkurrenz

Die einzige Chance, deutsche Interessen umfassend zu verwirklichen, sehen Berliner Strategen derzeit im Aufbau einer eigenständigen deutsch-europäischen Weltmachtposition, wie sie die deutschen Eliten schon lange anstreben (german-foreign-policy.com berichtete [3]).
Entsprechend hat sich Außenminister Heiko Maas in der vergangenen Woche im Bundestag geäußert. Mit Blick auf die aktuelle „Großmächtekonkurrenz zwischen den USA, Russland und China“ bestehe „die große Herausforderung“ für die EU darin, sich gemeinsam zu „positionieren“, erklärte Maas: Es gehe darum, „die Aufstellung Europas in dieser neuen Großmächtekonkurrenz nach vorne zu bringen“.[4]
Man könne „nur geschlossen als Europäer auf die globalen Herausforderungen … antworten“; die Bundesrepublik allein sei „zu klein“, um „Antworten auf diese Herausforderungen zu geben“.
Maas forderte dazu eine Straffung der Außen- und Militärpolitik der EU, so etwa durch „Mehrheitsentscheidungen in den Gremien der Europäischen Union“; darüber hinaus müsse „das Krisenmanagement … gestärkt“ werden, „und wir müssen besser gegen die Einflussnahme von außen aufgestellt sein“. Diesbezügliche Schritte würden die bevorstehende deutsche EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 prägen, kündigte Maas an.

Wirtschaftliche Unabhängigkeit

Berlin stößt mit seinen Plänen in der EU auf Zuspruch. Erst kürzlich hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erklärt, „die internationale Ordnung“ sei „stärker denn je ins Wanken geraten“: Zur Zeit vollziehe sich „eine geopolitische und strategische Neuordnung“, und zwar „in nahezu allen Bereichen“; daher müssten „wir unsere eigene Strategie überdenken“.
„Die einzigen beiden, die derzeit … das Sagen haben, das sind die Vereinigten Staaten von Amerika und die Chinesen“, urteilte Macron am 27. August in einer Rede vor der französischen Botschafterkonferenz; die EU hingegen solle sich endlich „in diesen Zeiten des Wandels, der großen Umwälzung positionieren“. „Wir können entweder unbedeutende Verbündete des Einen oder des Anderen sein …, oder wir entscheiden uns dafür, unseren Teil beizutragen und mitzugestalten“, äußerte Macron.[5]
Ähnlich bezogen jetzt Macrons Berater Jean Pisani-Ferry sowie der Direktor des Brüsseler Think-Tanks Bruegel, Guntram Wolff, Stellung. „Die zentrale Aufgabe der EU wird es …, ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit zu verteidigen“, heißt es in einer Stellungnahme der beiden Experten für die neue EU-Kommission: „Das könnte, wenn überhaupt, nur gelingen, wenn alle EU-Staaten an einem Strang ziehen. Die Zeit wird dafür knapp.“[6]

Globaler Leader

Tatsächlich finden sich entsprechende Festlegungen bereits in den „politischen Richtlinien“ für die nächste EU-Kommission, die die designierte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Mitte Juli vorlegte. Demnach soll „Europa“ seine „einzigartige Marke verantwortlicher globaler Führung stärken“ und mit „einer einigeren Stimme in der Welt“ auftreten. Um „ein globaler Leader“ zu werden, müsse die EU „in der Lage sein, schnell zu handeln“; sie werde deshalb darauf dringen, „dass Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit die Regel werden“, bekräftigte von der Leyen.[7]

nein zur nato ddr1957

Die EU müsse ihre Mittel für die gemeinsame Außenpolitik um 30 Prozent erhöhen; die Ausgaben dafür sollten letztlich auf 120 Milliarden Euro steigen. Und wenngleich die NATO „der Eckstein“ der kollektiven Verteidigung in Europa bleiben werde, seien „kühne Schritte in Richtung auf eine echte Europäische Verteidigungsunion“ nötig.
Dazu solle – unter anderem – der EU-Rüstungsfonds aufgestockt werden, teilte von der Leyen mit. Sie hat erklärt, die künftige EU-Kommission solle explizit „geopolitisch“ tätig werden. Über ihre neue Kommission urteilen Beobachter, sie habe die „Lust an der Macht“ für sich entdeckt.[8]

Auf die Seite der USA

Während Berlin, Paris und Brüssel energisch versuchen, der EU eine Position als eigenständige Weltmacht zwischen den Vereinigten Staaten und China zu erkämpfen, geben sich transatlantische Milieus aus Wirtschaft und Politik skeptisch, ob dies gelingen könne. „Es droht ein neuer kalter Krieg, eine Zweiteilung der Welt in eine westliche und östliche Sphäre“, urteilt etwa der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer.[9] Letztlich werde die EU sich nicht als eine unabhängige Kraft zwischen Washington und Beijing behaupten können; dabei könne es als sicher gelten, dass Brüssel sich letzten Endes auf die Seite der USA schlagen werde. Von den dann bevorstehenden – massiven – Einbußen im Chinageschäft dürfe man sich nicht abschrecken lassen, rät Michael Hüther, Leiter des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) aus Köln: Die deutsche Industrie habe es in der Vergangenheit immer wieder geschafft, in wirtschaftlichen Konflikten auf alternative Märkte auszuweichen.[10]
Jenseits der klar transatlantisch dominierten Branchen der deutschen Wirtschaft rufen Äußerungen wie diejenige von Hüther freilich noch erheblichen Widerspruch hervor; die Auseinandersetzungen darum dauern an.

[1] S. dazu Kampf um den Weltmachtstatus und Transatlantische Perspektiven (II).

[2] S. dazu Die Widersprüche der China-Politik.

[3] S. dazu Wille zur Weltmacht und Die Welt gestalten.

[4] Rede von Außenminister Heiko Maas anlässlich der Debatte im Deutschen Bundestag über den Haushalt 2020 des Auswärtigen Amts. Berlin, 11.09.2019.

[5] Emmanuel Macron bei der Botschafterkonferenz 2019. at.ambafrance.org 27.08.2019.

[6] Elisa Simantke, Harald Schumann, Nico Schmidt: Wie gefährlich China für Europa wirklich ist. tagesspiegel.de 15.09.2019.

[7] Ursula von der Leyen: A union that strives for more: My agenda for Europe. Political guidelines for the next European Commission 2019-2024. 16.07.2019.

[8] Aline Robert, Claire Stam: The new EU Commission shows newfound lust for power. euractiv.com 16.09.2019.

[9], [10] Carsten Dierig, Frank Stocker, Philipp Vetter: „Made in Germany“ in der China-Falle. welt.de 13.09.2019.

2. Krisenprävention

https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8051/

BERLIN (Eigener Bericht) – Zwecks günstiger Positionierung Deutschlands im weltweiten Kampf um Einflusssphären strebt die Bundesregierung die Ausweitung zivil-militärischer Interventionen im Ausland an.
Um im Rahmen der „Großmächtekonkurrenz zwischen den USA, Russland und China“ bestehen zu können, müsse die EU Kriegsoperationen mit „zivilen Hilfen“ kombinieren, ließ erst kürzlich der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) verlauten.
Dieser „vernetzte Ansatz“ solle künftig zum „Dreh- und Angelpunkt“ der europäischen Politik werden und seinen Niederschlag in der Einrichtung eines „Krisenpräventionszentrums“ in Berlin finden, hieß es.
Geplant ist insbesondere, dort Polizisten und andere „Rechtsstaatsexperten“ für die Entsendung in Länder auszubilden, in denen „deutsche Interessen“ durch die „Einflussnahme von außen“ gefährdet scheinen.
Dabei könnten wahlweise „legitime Partner“ wie die malische oder afghanische Regierung „gestärkt“ oder auch Oppositionelle wie in Syrien „unterstützt“ werden, erklärt das Auswärtige Amt.

Vernetzter Ansatz

Wie der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) kürzlich bei der Bundestagsdebatte über den Haushalt seines Ressorts ausführte, seien sowohl die BRD als auch die EU gehalten, sich im Rahmen der „Großmächtekonkurrenz zwischen den USA, Russland und China“ eindeutig zu „positionieren“. Da „internationale Handlungsunfähigkeit“ schnell zu „nationale(m) Kontrollverlust“ führen könne, müsse Deutschland in allen Staaten, in denen es wirtschaftliche und politische Interessen verfolge, „besser gegen die Einflussnahme von außen aufgestellt sein“, erklärte der Politiker.
Diesem Zweck soll nach seinem Bekunden nicht zuletzt die Einrichtung eines „Krisenpräventionszentrums“ in Berlin dienen.[1]
Geplant ist, hier Polizisten und andere „Rechtsstaatsexperten“ auszubilden, um sie flankierend zu deutschen Soldaten im Ausland einzusetzen.[2]
Dem „vernetzten Ansatz“ der deutschen „Außen- und Sicherheitspolitik“, der diplomatische, militärische, polizeiliche und entwicklungspolitische Maßnahmen miteinander verzahnt, müsse nun auch auf europäischer Ebene endgültig zum Durchbruch verholfen werden, ließ Maas wissen: „Mit dem in diesem Haushalt ausgewiesenen Zentrum setzen wir uns an die Spitze dieser Bewegung.“[3]

Abteilung S

Wenige Tage nach der Ministerrede gab das Auswärtige Amt eine analoge Stellungnahme ab. Da nahezu jede Krise früher oder später „auch in Deutschland zu spüren“ sei, gebiete das „deutsche Interesse“, „Krisenstaaten nachhaltig zu stabilisieren“, hieß es. Man habe daher bereits 2015 die „Themenbereiche Krisenprävention, Stabilisierung, Konfliktnachsorge und Humanitäre Hilfe“ zur „Abteilung S“ zusammengefasst, um „passgenaue Krisenstrategien aus einer Hand“ zu entwickeln, erklärte die Behörde: „In Mali etwa dienen das diplomatische Engagement, der Militäreinsatz der Bundeswehr im Rahmen der UN- und der EU-Mission sowie die Entwicklungsbemühungen einer politischen Gesamtstrategie.“[4]

Peacekeeper

Keinen Unterschied zwischen Soldaten und vermeintlich zivilen Helfern machte auch Außenminister Maas bei seiner Rede zum diesjährigen deutschen „Tag des Peacekeepers“ am 6. Juni: „Sie schaffen auf ganz unterschiedliche Art und Weise Frieden. Im Namen der Vereinten Nationen, der EU, der OSZE oder auch der NATO. Als zivile Expertin, als Polizist oder als Soldatin. In Mali, Niger, Südsudan, Afghanistan, Haiti, im Libanon, in der Ukraine, in Albanien und im Kosovo.“[5]
Im Rahmen der zugehörigen Festveranstaltung ehrte Maas unter anderem die Geschäftsführerin des staatlich finanzierten „Zentrums für Internationale Friedenseinsätze“ (ZIF), Almut Wieland-Karimi. Die Orientalistin gehört den Beiräten der Führungsakademie der Bundeswehr und der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) an; sie fungiert außerdem als ehrenamtliche Geschäftsführerin des Vereins „Mediothek Afghanistan“.
Die „Mediothek“ geriet 2007 in die Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass die Einrichtung eng mit den für psychologische Kriegführung zuständigen Einheiten der deutschen Besatzungstruppe am Hindukusch kooperiert (german-foreign-policy.com berichtete [6]).

Grenzmanagement

Am „Tag des Peacekeepers“ ausgezeichnet wurde auch die Juristin Kerstin Bartsch, die Presseberichten zufolge seit Oktober 2017 in der nigrischen Stadt Agadir die dortigen Repressionskräfte im Umgang mit sogenannten irregulären Migranten schult. Dass das von ihr in diesem Zusammenhang favorisierte „Grenzmanagement“ gleichbedeutend mit der Abwehr von Flüchtlingen und dem Kampf gegen Fluchthelfer ist, hat sie selbst in einem Interview deutlich gemacht: „Der Menschenschmuggel ist ein krimineller Akt gegen die Souveränität eines Landes. Menschen ohne Legitimation werden von Schmugglern gegen Geld über Grenzen gebracht – und das passiert heute in großem Rahmen.“[7]

Künstliche Intelligenz

Einhergehend mit der Entsendung „ziviler Fachkräfte“ bedient sich das Auswärtige Amt nach eigenem Bekunden moderner Analyseinstrumente der „Krisenprävention“. Um „Länder und Regionen mit Blick auf besorgniserregende Entwicklungen zu beobachten und diese auszuwerten“, greife man zum einen auf die von den mehr als 200 deutschen Auslandsvertretungen „rund um die Uhr“ erstellten „Lagebild(er)“ zu, heißt es. Zum anderen stehe mit dem „Datentool“ PREVIEW („Prediction, Visualisation, Early Warning“) nunmehr eine Software zur Verfügung, die durch „Informationsgrafiken“ und entsprechende Landkarten nicht nur „Konfliktlagen“ sichtbar mache, sondern auch „Trendanalysen“ über den potentiellen Verlauf politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen ermögliche: „PREVIEW ist keine Kristallkugel, aber mit Methoden des maschinellen Lernens – auch als ‚künstliche Intelligenz‘ (KI) bezeichnet – hilft der Computer, in großen Datenmengen Konflikt- und Krisenmuster zu erkennen.“[8]
Die auf diese Weise entwickelten „Handlungsmöglichkeiten“ können dabei dem Auswärtigen Amt zufolge allerdings je nach politischer Opportunität variieren. So würden etwa „legitime Partner“ wie die irakische, malische oder afghanische Regierung „gestärkt“, während man in Syrien die „gemäßigte Opposition“ unterstütze, „um ein politisches Vakuum zu vermeiden“.[9]

Personalmangel

Gleichzeitig sieht sich die deutsche Regierung bei ihren Auslandsinterventionen mit einem eklatanten „Mangel an geeignetem fachlichen Personal“ konfrontiert, wie bei der Sitzung des Bundestagsunterausschusses „Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln“ am 24. Juni dieses Jahres deutlich wurde. So kritisierten die Teilnehmer, dass es noch nicht gelungen sei, „einen Auslandseinsatz als Karrierebaustein attraktiv zu machen“, und es durch den „starken Fokus auf den Grenzschutz und die Bekämpfung illegaler Migration“ zu einer „Konkurrenz um Fachkräfte“ zwischen verschiedenen Behörden komme.[10]
Ob die angekündigte Errichtung eines „Krisenpräventionszentrums“ in Berlin hier Abhilfe schaffen kann, erscheint indes fraglich: Da die besagten „zivilen Experten“ in den ausländischen Interventionsgebieten aufgrund des „vernetzten Ansatzes“ der deutschen „Außen- und Sicherheitspolitik“ als Teil des Militärs und somit als Kombattanten wahrgenommen werden, sind sie stets an Leib und Leben bedroht. Daran dürfte auch die von Außenminister Maas versprochene Beschaffung von „gepanzerten Fahrzeugen“ und „Schutzwesten“ für „Peacekeeper“ nichts ändern.

[1] Rede von Außenminister Heiko Maas anlässlich der Debatte im Deutschen Bundestag über den Haushalt 2020 des Auswärtigen Amts. auswaertiges-amt.de 11.09.2019.

[2] Personal für internationale Friedenseinsätze schwer zu finden. bundestag.de 08.07.2019.

[3] Rede von Außenminister Heiko Maas anlässlich der Debatte im Deutschen Bundestag über den Haushalt 2020 des Auswärtigen Amts. auswaertiges-amt.de 11.09.2019.

[4] Leitlinien der Bundesregierung: Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern. auswaertiges-amt.de 17.09.2019.

[5] Rede von Außenminister Heiko Maas anlässlich des Tags des Peacekeepers. auswaertiges-amt.de 06.06.2019.

[6] Siehe hierzu Stimme der Freiheit.

[7] Hohe Ehre für Kerstin Bartsch. nw.de 06.06.2019.

[8] Krisenfrüherkennung, Konfliktanalyse und Strategische Vorausschau. auswaertiges-amt.de 08.08.2019.

[9] Grundlagen der Krisenprävention. auswaertiges-amt.de 29.07.2019.

[10] Personal für internationale Friedenseinsätze schwer zu finden. bundestag.de 08.07.2019.

[11] Rede von Außenminister Heiko Maas anlässlich des Tags des Peacekeepers. auswaertiges-amt.de 06.06.2019.

Colt Single Action, Werksgravur 1893 von Cuno Helfricht

Jochen

Nichts als Nebelkerzen: Die von Wirtschaftsverbänden lancierte Kampagne gegen das Rentenpaket ­

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Wagenknecht2013Diese Kampagne wird hier von Sahra Wagenknecht demontiert:
http://www.jungewelt.de/2014/06-07/054.php?sstr=Wagenknecht
Auszüge:

Die von Wirtschaftsverbänden lancierte Kampagne gegen das Rentenpaket ­verschleiert wirkungsvoll, worum es eigentlich geht:

Das Rentenniveau sinkt seit Jahren, die große Mehrheit wird im Alter nicht mehr menschenwürdig leben können

Die Unternehmerverbände schäumten, die Presse tobte. Der »Ausbau sozialer Wohltaten« sei ein »Betrug am Bürger«, zeterte BDI-Chef Ulrich Grillo, da in den Augen des Bundesverbandes der Deutschen Industrie selbstverständlich nur der Abbau sozialer Leistungen einen Dienst am Bürger darstellt.
Klaus Zimmermann
, früher Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und heute Prototyp eines auf der Gehaltsliste interessierter Kreise stehenden Mainstream-Ökonomen, beschwerte sich: »Mit der Rentenparty, die die deutsche Bundesregierung gerade auf Kosten der jungen Generation vorbereitet, gibt Deutschland in Europa seinen Anspruch auf Führung in rentenpolitischen Zukunftsfragen auf.«

Ganz in diesem Sinne geißelte Springers Welt das »teuerste Rentenpaket aller Zeiten« als »fatales Signal der neuen deutschen Sozialromantik« und tischte den Lesern folgende Bewertung auf: »Andrea Nahles zertrümmert mit ihrer Sozialpolitik nicht nur die Agenda 2010, sondern gefährdet auch den Europa-Kurs der Kanzlerin. Der Preis dafür wird noch viel höher sein, als wir heute ahnen.«
Da schwante natürlich auch der Brüsseler EU-Kommission eine Gefährdung der »Stabilität der deutschen Staatsfinanzen«. Sie drohte eine Rüge wegen Vertragsverletzung an.

Simulierte Hysterie

Das Ganze ist ein Lehrbeispiel dafür, wie erfolgreiche Kampagnen funktionieren. Es ging um das vor gut zwei Wochen im Bundestag verabschiedete und am 1. Juli in Kraft tretende Rentenpaket, und tatsächlich ist zumindest dessen Preis während des monatelangen Feldzugs seiner Gegner ständig angestiegen.
Im Januar klagten der Direktor des von Verbänden und Unternehmen finanzierten Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) und ihm folgend die CDU-Mittelstandsvereinigung, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und wiederum der BDI über absehbare Mehrausgaben von 60 Milliarden Euro, die die Rentenpläne der Koalition von 2014 bis 2020 verursachen würden.
Dann fiel den Propagandaprofis offenbar auf, daß seit Beginn der Banken- und Euro-Rettung ständig weit höhere Beträge durch die Schlagzeilen geistern und die Zahl 60 Milliarden kaum noch geeignet ist, Angst und Schrecken zu verbreiten. Also nahm man kühn einen um zehn Jahre längeren Zeitraum ins Visier und schob eine Zahl in fast dreifacher Höhe nach: 160 Milliarden, hieß es nun, werde die gebeutelte Nation bis zum Jahr 2030 für die Neuerungen bei der Rente blechen müssen.
Der Eliteeinheit unter den Kampftruppen der Meinungsmache, der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, genügte auch das nicht. Flugs beauftragte sie einen ihrer Hofökonomen, eine noch eindrucksvollere Zahl gutachterlich zu untermauern, und Reinhold Schnabel von der Universität Duisburg-Essen lieferte prompt: 230 Milliarden werde der Rentenwahnsinn kosten, orakelte er, von der Presse bereitwillig abgedruckt.

Während die beschlossene Besserstellung älterer Mütter, die die CDU/CSU im Wahlkampf versprochen hatte, nur gelegentlich mitkritisiert wird, richtet sich die öffentlichkeitswirksam vorgetragene Wut hauptsächlich gegen das, was Sozialministerin Andrea Nahles »Rente ab 63« nennt: die Möglichkeit, nach 45 Beitragsjahren unter bestimmten Bedingungen und für einen eng begrenzten Zeitraum schon ab 63 Jahren ohne Abschläge in Rente gehen zu können.

Gegen die dadurch angeblich heraufbeschworene »Frühverrentungswelle« wurde mit einer Hysterie getrommelt, als drohe eine Massenpensionierung von abhängig Beschäftigten bald jede Wirtschaftsaktivität in deutschen Landen zu ersticken.
»Länger leben und kürzer arbeiten, daß diese Rechnung nicht aufgeht, haben die meisten verstanden, nur die SPD und die Union nicht«, donnerte der Präsident des Verbandes »Die Familienunternehmer«, Lutz Goebel.
Auch die Grünen befürchten einen »Nahles-Knick« und meinen damit, daß die Zahl der Erwerbstätigen zwischen 63 und 65 Jahren dramatisch einbrechen könnte, zum großen Schaden unserer händeringend Fachkräfte suchenden Unternehmerschaft.

Die ganze Debatte ist an Zynismus und Verlogenheit kaum zu überbieten. Zunächst einmal kann nach normalem Sprachgebrauch eigentlich nur eine Größe »dramatisch einbrechen«, die zuvor ein einigermaßen hohes Niveau erreicht hat.
Geflissentlich blieb in der lautstarken Debatte daher unerwähnt, wie viele Ältere aktuell in den bundesrepublikanischen Büros und Fabriken einem sozialversicherungspflichtigen Vollzeitjob nachgehen. Schaut man sich die Zahlen an, stellt man fest: Selbst unter den 60jährigen ist es gerade noch jeder dritte.
Mit jedem Lebensjahr mehr geht der Anteil drastisch nach unten: Unter den 63jährigen gibt es noch ganze 15 Prozent Vollzeitbeschäftigte, unter den 64jährigen noch 11,4 Prozent.
Bei den Frauen liegen die Werte noch niedriger. Das bedeutet: Selbst wenn alle 63jährigen sich von heute auf morgen in den Ruhestand verabschieden würden, beträfe das gerade 15 Prozent aller Menschen dieses Alters und würde die deutsche Wirtschaft kaum in den Ruin stürzen.

Wenn die offizielle Arbeitslosenzahl für die über 60jährigen dennoch »nur« bei 8,4 Prozent liegt, hat das mit schlichten statistischen Tricks zu tun. Wer das 58ste Lebensjahr überschritten hat, Hartz IV bezieht und länger als ein Jahr kein Jobangebot mehr bekommen hat, fällt bisher nämlich definitionsgemäß aus der Arbeitslosenstatistik heraus.
Das haben unsere Jobwunderpropagandisten bewußt so beschlossen, denn jeder weiß, daß Arbeitslose in dieser Altersgruppe kaum eine Chance haben, jemals wieder in den regulären Arbeitsmarkt zurückzukehren.

Alt und Working poor

Statt einer »Frühverrentungs-« rollt hier die »Zwangsverrentungswelle«: Der von der letzten großen Koalition 2008 eingeführte Paragraph 12a im Sozialgesetzbuch II verpflichtet nämlich die Jobcenter, Hartz-IV-Beziehende an ihrem 63. Geburtstag in den Ruhestand zu schicken, ganz gleich, ob sie das wollen oder nicht.
Die meisten wollen verständlicherweise nicht, denn die erworbenen Rentenansprüche werden unter diesen Bedingungen mit gravierenden Abschlägen entwertet. Derzeit sind es 8,7 Prozent, bis 2027 steigen die Abschläge auf 14,4 Prozent. Ein Anspruch von 1000 Euro schmilzt so auf knapp 860 Euro. Die Zwangsverrentung zerstört damit oft jede Chance, im Alter noch einmal ein bißchen besser zu leben als auf Hartz-IV-Niveau. Pro Jahr trifft dies etwa 65000 Menschen.

Von den Frühverrentungshysterikern ebenfalls geflissentlich unterschlagen wird das aktuelle durchschnittliche Renteneintrittsalter, das ja mitnichten bei jenen 65 Jahren und drei Monaten liegt, mit denen man derzeit abschlagsfrei in Rente gehen kann.
Nein, im Schnitt bekommen die Leute derzeit mit 64 Jahren Altersrente. Ganz ohne Andrea Nahles und ihr Rentenpaket.
Allerdings ist der Preis dieser »Rente ab 64« hoch, eben weil sie mit kräftigen Abschlägen erkauft wird. Entsprechend erhält heute schon jeder zweite Ruheständler nicht mehr die Rente, die er eigentlich erworben hat, sondern eine geminderte.

Die schlechten Jobchancen Älterer sind in einem gesellschaftlichen Klima, das von den Beschäftigten das Ertragen von äußerstem Leistungsstreß, Verfügbarkeit rund um die Uhr, absolute Mobilität und selbstverständlich keine Anzeichen von Schwäche oder gar Krankheit erwartet, kein Wunder.
Der vielzitierten Facharbeiternot zum Trotz beschäftigen gut 36 Prozent aller Betriebe in Deutschland überhaupt keine über 50jährigen. Nur 11,7 Prozent aller Neueingestellten sind älter als 50. Mit jedem weiteren Lebensjahr geht die Zahl weiter zurück.
Wer also jenseits der 55 und gar der 60 seinen Arbeitsplatz verliert, kann relativ sicher sein, keinen neuen mehr zu finden.

Wenn die Regierung die zuletzt angestiegene Erwerbstätigkeit reiferer Jahrgänge lobt, vergißt sie in der Regel dazuzusagen, um welche Art von Jobs es sich dabei handelt.
Zum einen ist es so, daß Ältere einfach länger auf ihrer Stelle bleiben, weil es kaum noch attraktive Vorruhestandsregeln gibt und man bei einem insgesamt sinkenden Rentenniveau oft auch jeden erlangbaren Rentenpunkt braucht, um später einigermaßen über die Runden zu kommen.
Und da es vielfach trotzdem nicht reicht, gibt es eben auch immer mehr Ältere, die Minijobs, meist auch für Minilöhne, annehmen, selbst noch nach dem Renteneintritt.
So gehen heute 60 Prozent mehr Rentnerinnen und Rentner als noch vor zehn Jahren solch kreativen Tätigkeiten wie dem frühmorgendlichen Austragen von Zeitungen, dem Reinigen von Wohnungen oder dem Befüllen von Regalen in Supermärkten nach. Unbedingter Tatendrang kann dabei als Motiv ausgeschlossen werden.
Vielmehr hat die Politik der letzten Jahre erfolgreich immer mehr Menschen in die Situation gebracht, daß sie ohne Hinzuverdienst nicht mehr wissen, wie sie von ihren Hungerrenten Miete und Strom bezahlen sollen. Schließlich haben nach Berechnung des Sozialverbands Deutschland (SoVD) die Renten in den alten Bundesländern seit 2004 knapp zwölf Prozent und in den neuen Bundesländern rund acht Prozent an Kaufkraft verloren.

Damit ist allerdings auch klar, wie heuchlerisch das ganze Frühverrentungsgerede ist. Eine abschlagsfreie Rente ab 63 hätte mitnichten zur Folge, daß sehr viel mehr Menschen als ohnehin schon vor dem 65sten Lebensjahr aus dem Berufsleben ausscheiden würden.
Sie würde lediglich bedeuten, daß die Ansprüche der Betreffenden nicht gekürzt werden. So wären sie im Alter vielleicht nicht mehr gezwungen, irgendwelche entwürdigenden Tätigkeiten zu verrichten. Es geht also gar nicht um den Beginn der Rente, es geht um deren Höhe.
Und jetzt kommt der ernüchternde Teil der Wahrheit: Wenn derzeit jeder zweite Rentner mit Abschlägen in Rente geht, so wird dieses Schicksal auch ab dem Juli 2014, wenn Nahles’ sogenannte »Rente ab 63« für langjährig Versicherte eingeführt sein wird, nicht viel weniger Seniorinnen und Senioren treffen.
Denn tatsächlich ist der Kreis der Profiteure der neuen Regelung außerordentlich überschaubar. Mit 63 Jahren ohne Abschläge in Rente gehen kann nämlich nur, wer zwischen Juli 1951 und Dezember 1952 geboren wurde und 45 Beitragsjahre nachweisen kann.
Für die ab 1953 Geborenen steigt die Altersgrenze allmählich wieder auf 65 Jahre an. Letzteres ist allerdings schon heute geltende Gesetzeslage, denn das hatte die damalige große Koalition bereits bei Einführung der »Rente erst ab 67« beschlossen: Wer 45 Beitragsjahre hat, soll nur bis 65 arbeiten müssen.

Das von den Wirtschaftslobbyisten zum »teuersten Rentenpaket aller Zeiten« aufgeblasene Gesetz entpuppt sich damit als schlichte Übergangsregelung: Während sich der reguläre Zeitpunkt für den Eintritt in die Altersrente – ohne irgendwelchen Widerspruch oder weitere Debatte – in Richtung der 67 bewegen soll, geht der für eine abschlagsfreie Rente der »besonders langjährig Versicherten« in Richtung 65. Genau zehn Jahrgänge sind etwas besser gestellt als jetzt, für die ab 1964 Geborenen gilt dann wieder das, was Müntefering ins Werk gesetzt hat.

Und natürlich sind auch nicht die zehn Jahrgänge insgesamt begünstigt, sondern aus jedem von ihnen nur ein relativ kleiner Personenkreis. So hat der Paritätische Wohlfahrtsverband in einem Brief an Ministerin Nahles darauf hingewiesen, daß Altenpfler, Krankenschwestern, Sozialarbeiter oder Erzieher, also faktisch alle, die in sozialen Berufen oder im Gesundheitswesen tätig sind, selbst bei einer ungebrochenen Erwerbsbiographie und keinem einzigen Jahr Arbeitslosigkeit nicht in den Genuß der früheren Rente ohne Abschläge kommen werden.
Denn die Ausbildung dauert in solchen Berufen schlicht zu lang, um auf die nötigen 45 Beitragsjahre zu kommen. Als Hauptbegünstigter der Regelung wird zu recht der (meist männliche) Facharbeiter genannt, obwohl selbst von diesen Berufsgruppen nur eine Minderheit profitiert.
Zwar darf man mehrmals im Leben kurze Zeit arbeitslos gewesen sein, hat es allerdings ein Mal länger gedauert und man ist in Hartz IV bzw. war in Arbeitslosenhilfe gerutscht, ist es vorbei.

Die größte Verschlechterung, die den Kreis der Glücklichen nochmals drastisch reduziert hat, wurde auf den letzten Metern beschlossen, als die SPD vor der absurden »Frühverrentungs«-kampagne einknickte und der »rollierende Stichtag« ins Gesetz kam:
Danach werden von der vorgezogenen abschlagsfreien Rente genau die nicht mehr profitieren, die sie am dringendsten brauchen: diejenigen nämlich, die jenseits der 60 arbeitslos werden.
Die letzten beiden Jahre vor dem Renteneintritt zählen nämlich im Falle von Arbeitslosigkeit nur noch dann als Beitragsjahre, wenn letztere infolge einer Insolvenz oder vollständiger Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers eintritt. Das gilt selbst dann, wenn der Betreffende Arbeitslosengeld I bezieht, von dem ja Beiträge abgeführt werden. So begünstigt das neue Gesetz faktisch nur die, die es geschafft haben, bis 63 und länger zu malochen, und deren bis dahin erworbene Rentenansprüche so gut sind, daß ein vorzeitiges Ausscheiden attraktiv erscheint – oder die von ihrem Unternehmen zu diesem Zeitpunkt mehr oder weniger sanft hinausgedrängt werden.

Wie viele das tatsächlich sein werden, weiß niemand genau. 2012 betrafen die Altersrenten für »besonders langjährig Versicherte« – also Menschen mit 45 Versicherungsjahren und mehr – gerade mal 12.306 Personen (10555 Männer und 1751 Frauen). Nun wurden unter dieser Rubrik allerdings nicht alle erfaßt, die in Zukunft profitieren würden.
Aber klar ist: Viele werden es nicht sein, für die sich aufgrund der »Rente ab 63« tatsächlich etwas verbessert. Die Regierung kalkuliert mit Gesamtkosten von sieben Milliarden Euro bis zum Jahr 2017. Nach 2017 werden die Mehrausgaben dann immer kleiner, bis sie, wenn der Jahrgang 1964 in Rente geht, gleich Null sind.
Das »teuerste Rentenpaket aller Zeiten« kostet mit sieben Milliarden in dieser Legislatur also etwa ein Drittel dessen, was für den Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan aufgebracht wurde.

Verkümmert auf Basisschutz

Sicher, zum Rentenpaket gehört noch die Mütterrente, die die CDU/CSU durchgesetzt hat. Für sie wird mit 6,5 Milliarden an jährlichen Kosten gerechnet, wobei Begünstigte natürlich nur jene älteren Mütter sind, deren Rente oberhalb der Grundsicherung liegt. Die Anderen gehen leer aus.

Aber nicht die Mütterrente, deren Kosten insgesamt ja ebenfalls überschaubar sind, sondern die »Rente ab 63«, die sich die SPD zurechnen kann, wurde öffentlich attackiert.
Wenn man sich die realen Zahlen ansieht, sowohl was die Kosten als auch was die Anzahl der Begünstigten angeht, erscheint die ausgebrochene Hysterie als schlichtweg krank. Aber das war sie nicht. Der Wahnsinn hat Methode. Es ging nie um die lächerlichen sieben Milliarden oder um die wenigen hunderttausend Leute, die tatsächlich einen Vorteil von dem beschlossenen Gesetz haben werden.
Es ging darum, unter dem ohrenbetäubenden Getöse über angebliche »Frühverrentungswellen«, »soziale Wohltaten« und »Kostenexplosionen« jede Debatte über den eigentlichen Skandal in der deutschen Rentenversicherung im Keim zu ersticken: den Skandal, der darin besteht, daß die gesetzliche Rente als eine den Lebensstandard im Alter halbwegs sichernde Leistung in den vergangenen 14 Jahren in Deutschland komplett zerschlagen wurde, den Skandal, daß das Rentenniveau seit Jahren sinkt und in Zukunft noch stärker sinken wird, den Skandal, daß selbst ein Durchschnittsverdiener mit relativ langer Beitragszeit heute nicht mehr damit rechnen kann, im Alter von seiner Rente menschenwürdig leben zu können, und natürlich auch den Skandal, daß die Riester-Betrugsprodukte schamlos mit öffentlichen Geldern subventioniert werden, obwohl sie bekanntermaßen nur die Banken und Versicherungen und keinen einzigen künftigen Rentner reich machen.
Und es ging darum, all jene in der SPD und in den Gewerkschaften, die sich vielleicht noch an die Wahlversprechen dieser Partei erinnern könnten, mundtot zu machen:
Wenn bereits eine so marginale und vorübergehende Verbesserung einen derartigen Aufruhr verursacht, wer wagt dann noch, mehr zu fordern, wer hat dann noch den Mut, auf das hinzuweisen, was eigentlich notwendig wäre: Die Wiederherstellung der gesetzlichen Rente.

Albrecht Müller hat vor kurzem auf den Nachdenkseiten aus einer schon älteren Rede von Bernd Raffelhüschen, einem der bekanntesten Lobbyisten der Versicherungswirtschaft, zitiert.
In dieser Rede aus dem Jahr 2008, die an selbstgefälligem Zynismus schwer zu überbieten ist, führt besagter Raffelhüschen vor Versicherungsvertretern aus: »Die Rente ist sicher – sag’ ich Ihnen ganz unverblümt. (Gelächter unter den Versicherungsvertretern.) Die Rente ist sicher, nur hat kein Mensch mitgekriegt, daß wir aus der Rente schon längst eine Basisrente gemacht haben. Das ist alles schon passiert. Wir sind runtergegangen durch den Nachhaltigkeitsfaktor und durch die modifizierte Bruttolohnanpassung. Diese beiden Dinge sind schon längst gelaufen, ja, waren im Grunde genommen nichts anderes als die größte Rentenkürzung, die es in Deutschland jemals gegeben hat. (…)
Aus dem Nachhaltigkeitsproblem der Rentenversicherung ist quasi ein Altersvorsorgeproblem der Bevölkerung geworden.
So, das müssen wir denen erzählen! Also, ich lieber nicht, ich hab genug Drohbriefe gekriegt! Kein Bock mehr, irgendwie. Aber Sie müssen das, das ist Ihr Job!«

Damit diese von SPD, Grünen, CDU/CSU und FDP verantwortete »größte Rentenkürzung, die es in Deutschland jemals gegeben hat«, aus dem kollektiven Gedächtnis verschwindet und die Verkümmerung der gesetzlichen Rente zu einem Basisschutz in Höhe des Hartz-IV-Niveaus mehr und mehr als Normalität empfunden wird, reden die vereinigten Kampflobbyisten vom »größten Rentenpaket aller Zeiten«, von »Sozialromantik«, »Rentenparty« und all dem Zeug, von dem sie selbst sehr gut wissen, daß es vollkommener Unsinn ist.

Um zu verstehen, wie erfolgreich diese Kampagne tatsächlich war, sei noch einmal ins Gedächtnis gerufen, was die SPD sogar noch nach der Wahl, auf ihrem Parteikonvent am 24. November, beschlossen hatte. Damals hieß es wenig zweideutig: Der »… Einstieg in die Erhöhung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre ist auszusetzen. Die Anhebung des Renteneintrittsalters ist erst dann möglich, wenn die rentennahen Jahrgänge, also die 60 bis 64jährigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, mindestens zu 50 Prozent sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind«. Da diese Quote bei weitem nicht erreicht ist, bedeutet das eine klare Absage an die Rente erst ab 67.

Ähnlich entschieden wird zum Rentenniveau ausgeführt: »Wir werden das derzeitige Sicherungsniveau bis zum Ende des Jahrzehnts aufrechterhalten. 2020 gilt es neu zu bewerten, wie über die Wirkungen der Reformen auf dem Arbeitsmarkt im Hinblick auf Beschäftigung, Einkommen und Produktivität die Ankopplung der Renten an die Erwerbseinkommen vorzunehmen ist.« Derzeit liegt das Sicherungsniveau der Rente bei 47,8 Prozent der Durchschnittslöhne. Das ist schon deutlich weniger als vor dem Unheil der Riester-Reformen, als es noch 53 Prozent waren. Bis »Ende des Jahrzehnts«, also bis zum Jahr 2020, soll dieses Niveau laut jetzt beschlossenem Gesetz auf nur noch 46,9 Prozent absinken. 2030 soll es bei mickrigen 43,7 Prozent liegen, niedriger als ohne die Neuregelung – und das alles ganz ohne »neue Bewertung«.

Manches besser, nichts gut

Die Selbstverständlichkeit, mit der die Rente erst ab 67 jetzt auch von der SPD akzeptiert wird, ist übrigens nicht nur ein Bruch der eigenen Wahlversprechen, sondern fällt sogar hinter die bisher geltende Gesetzeslage zurück.
Unter öffentlichem Druck wurde die »Rente ab 67« nämlich nicht pauschal beschlossen, sondern eine Klausel aufgenommen (Paragraph 154 Absatz 4 des Sechsten Sozialgesetzbuches), nach der alle vier Jahre geprüft werden soll, ob die Anhebung der Regelaltersgrenze unter Berücksichtigung der Entwicklung der Arbeitsmarktlage sowie der wirtschaftlichen und sozialen Situation älterer Arbeitnehmer weiterhin vertretbar erscheint.
Um ihr Wahlversprechen »Aussetzung der Rente ab 67« zu erfüllen, hätte die SPD also noch nicht einmal ein neues Gesetz gebraucht. Sie hätte einfach nur darauf dringen müssen, die vorhandene Regelung erst zu nehmen.

»Manches wird besser, aber nichts wird gut«, hat der Rentenexperte der Linken, Matthias W. Birkwald, das Rentenpaket auf einen kurzen Nenner gebracht.
Und Norbert Blüm kritisiert: »Die verzweifelten aktuellen Reparaturversuche sind nur eine Ablenkung von den Folgen der Riester-Rente … Das Rentenniveau ist der Knackpunkt einer soliden Rentenpolitik. Wenn die 4 Prozent Beitrag zur Riester-Rente in die Rentenkasse fließen würden, wäre ein anständiges Rentenniveau zu sichern.«
Aber wer außer dem früheren CDU-Arbeitsminister, den unermüdlichen Autoren der Nachdenkseiten und vor allem der Linken thematisiert den Rentenskandal heute noch?
Die Gewerkschaften, die lange gegen die Heraufsetzung der Regelaltersgrenze auf 67 Sturm gelaufen sind, sind weitgehend verstummt.
Und dank BDI, Springer und Co. steht Andrea Nahles öffentlich durchaus nicht als Wahlbetrügerin da, sondern als tapfere Frau, die »ihr Rentenprojekt« gegen den massiven Widerstand der Wirtschaft durchzusetzen vermochte.

Zufrieden mit ihrem Erfolg bereitet die Kampflobby jetzt ihr nächstes Projekt vor. Die Geschütze sind bereits in Stellung gebracht, die ersten gekauften Hofökonomen und solche Politiker, deren Ruf ohnehin ruiniert ist, beginnen zu feuern. »Der Anstieg der durchschnittlichen Rentenbezugsdauer wie auch des Rentenzugangsalters auf 64 Jahre zeigt, daß die Rente mit 70 … nicht nur machbar, sondern auch geboten ist«, predigt IW-Chef Michael Hüther.
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, sekundiert: »Durch die steigende Lebenserwartung und die demographische Wende ist die Frage der Rente mit 70 unausweichlich«.
Und auch der Chef der sogenannten Wirtschaftsweisen, Christoph Schmidt, belehrt uns: »Um die finanzielle Stabilität der Rentenversicherung langfristig zu sichern, sollte das Renteneintrittsalter ab dem Jahr 2029 regelgebunden weiter ansteigen, orientiert an der absehbaren Entwicklung der künftigen Lebenserwartung«.
Aus der politischen Kaste wagt sich EU-Energiekommissar Günther Oettinger hervor, für den es, wie zu befürchten steht, auch in der neuen EU-Kommission Verwendung geben wird: »Wir haben einen Fachkräftemangel und müssen in den nächsten Jahren über die Rente mit 70 sprechen.«
Noch Fragen?

Um die Notwendigkeit eines späteren Renteneintritts zu begreifen, reiche Volksschule Sauerland, hatte Franz Müntefering einmal gesagt.
Um die hinter der Renten-Kampagne stehenden Interessen zu verstehen, sollte eigentlich das simple Einmaleins genügen.
Freilich nur, wenn wir uns von dem öffentlichen Getöse nicht ins Bockshorn jagen lassen.
Sahra Wagenknecht ist stellvertretende Vorsitzende der Fraktion von Die Linke im ­Bundestag

Jochen