Die Multi-Millionen-Deals von Bill und Hillary Clinton

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Gegenüber den plumpen Auftritten des republikanischen Kandidaten wird in der deutschen Standardmedien Hillary so als Lichtgestalt dargestellt. Hier endlich mal ein kritischer Artikel in der Süddeutschen:
http://www.sueddeutsche.de/politik/us-praesidentschaftswahl-die-multi-millionen-deals-von-bill-und-hillary-clinton-1.3116462

In dessen Zusammenhang bringt sich die neulich bekannt gewordene, vergoldete Stiftungstätigkeit des Ehemannes unser verehrten Bundeskanzlerin, Prof. Sauer, in Erinnerung . Auch dieses Paar dürfte aller finanziellen Sorgen ledig sein:

https://publikumskonferenz.de/blog/2016/04/20/der-merkel-sauer-springer-komplex/

Auszüge:

Die ökonomische Bilanz von Senatorin Hillary Clinton ist durchwachsen und vieles rund um die Familienstiftung unappetitlich.
Im Fokus: Honorare für Reden ihres Mannes Bill.

Von Matthias Kolb, Washington

Drei Tage nach Donald Trumps Grundsatzrede zur Wirtschaft ist Hillary Clinton nach Detroit gereist. Sie hat den „Steuersätze kürzen und Regulierungen streichen“Ideen des Republikaners ihre eigenen wirtschaftspolitischen Pläne entgegengestellt – und hat im Vergleich zu Trump mehr Details genannt.
Die Wähler ahnen nun, wie neue Brücken, Straßen, Flughäfen und bessere Kinderbetreuung bezahlt werden sollen: durch höhere Steuern für Besserverdiener.

Aber großspurige Ankündigungen liegen auch Clinton nicht fern. Seit Wochen verspricht sie, das „größte Investitionsprogramm in gutbezahlte Jobs seit dem Zweiten Weltkrieg“ durchzusetzen. Gern verweisen ihre Berater auch auf ihre Zeit als Senatorin: Für 200 000 Jobs wollte sie in Upstate New York verantwortlich sein, der deindustrialisierten Region nördlich der Metropole.
Eine Recherche der Washington Post zeigt nun aber, dass Clinton zu viel versprochen hat. Ohnehin hat ein Senator in Washington kaum Einfluss auf die regionale Wirtschaft.

Dass Trump den Artikel während seiner Rede in Detroit genüsslich zitierte, ist logisch. Seine anderen Kritikpunkte an Clintons Wirtschaftspolitik – dass sie lange für Freihandel war, Spenden von Wall-Street-Banken annahm, strengere Umweltauflagen befürwortet – gehen allerdings im Chaos unter, wenn Trump darüber orakelt, was Waffenbesitzer nach Clintons Wahl ins Weiße Haus tun könnten.

Trumps Getöse überlagert berechtigte Kritik an Hillary Clinton

Der republikanische Kandidat verspielt damit einen strategischen Trumpf: Das ohnehin große Misstrauen der US-Amerikaner gegenüber Berufspolitikern wächst und wächst – und Berufspolitiker sind die Clintons ohne Zweifel: Weder Hillary noch ihr Ehemann Bill haben in der Privatwirtschaft gearbeitet.
Wegen Trumps verstörenden Auftretens werden Fragen nach den Vorgängen in der Familienstiftung und den hohen Gagen für Reden von Bill Clinton mittlerweile nur als parteilich angesehen. Dabei zeigt die aktuelle Bestseller-Liste der New York Times, dass sich Clinton-Bashing auszahlt. Die drei Top-Sachbücher attackieren die Kandidatin der Demokraten.
Diese Bücher sind schlimme Machwerke von ehemaligen Secret-Service-Agenten und entlassenen Beratern.
Anders das Buch „Clinton Cash“, erschienen im Frühjahr 2015, und auf Platz 12 der Rangliste. Autor Peter Schweizer steht zwar den Republikanern nahe, aber seine Recherchen über Insider-Aktien-Deals von Abgeordneten haben Konservative ebenso blamiert wie Liberale. Schweizer geht in „Clinton Cash“ der Frage nach, wieso ausländische Regierungen und Privatleute viele Millionen an die „Bill, Hillary & Chelsea Clinton Foundation“ überweisen und ob es nicht Interessenskonflikte zwischen dem öffentlichen Amt von Hillary und den Auftritten von Bill gibt (seit Ende seiner Amtszeit hat er mehr als 105 Millionen Dollar für Reden kassiert).

Das ist die Clinton-Stiftung

Die Stiftung wurde 1997 gegründet, um nach Bill Clintons Amtszeit ein Präsidenten-Museum (inklusive Bibliothek und Archiv) zu finanzieren.
Es entstand eine Organisation, die mindestens zwei Milliarden Dollar an Spenden (Stand Juni 2015) eingeworben hat. Die Stiftung ist in dieser Form einzigartig – sie wird von einem Ex-Präsidenten geleitet, dessen Frau Außenministerin war und nun beste Chancen hat, selbst ins Weiße Haus einzuziehen.

Die Stiftung engagiert sich im Kampf gegen HIV in Afrika (Nelson Mandela forderte Bill dazu auf), bekämpft weltweit Fettleibigkeit und fördert Bildungschancen für Mädchen (hier ihre Selbstdarstellung). Eine Besonderheit, die neben Buchautor Peter Schweizer auch Medien wie die Washington Post betonen: Die Clinton-Stiftung schickt selbst keine Entwicklungshelfer los oder finanziert eine nennenswerte Zahl eigener Projekte. Sie vernetzt vielmehr reiche Spender aus aller Welt mit Hilfsorganisationen – und mittendrin ist Menschenfänger Bill Clinton.

Jedes Jahr im September organisiert die Stiftung parallel zur UN-Vollversammlung die „Clinton Global Initiative“, und nur zum Weltwirtschaftsforum in Davos reisen ähnlich viele Berühmtheiten aus Wirtschaft und Politik an. Sie alle wollen mit den Clintons reden und gesehen werden.
Hier setzen die bohrenden Fragen vieler Kritiker an. Dass reiche Mäzene durch Spenden ihr Image aufbessern wollen, ist üblich, aber Schweizer mutmaßt, dass es manchen auch um den Zugang zur Macht geht – und dass diese Menschen hofften, zumindest indirekt US-Politik beeinflussen zu können.

Umstrittene Spenden von undemokratischen Staaten

Erstaunlich eng ist das Verhältnis von Bill Clinton zum kanadischen Bergbau-Unternehmer Frank Giustra. Dieser überlässt dem Ex-Präsidenten oft seinen Privatjet und ist in jenen Staaten dabei, in denen er Geschäfte machen will.
2005 besuchte Bill Clinton das rohstoffreiche Kasachstan, um dem dortigen Diktator für seinen Kampf gegen Aids zu danken, obwohl die Immunschwächekrankheit in Kasachstan kaum verbreitet ist.

Dass Giustras Firma „Uranium One“ kurz darauf erlaubt wurde, Uran in Kasachstan abzubauen, verwunderte viele Beobachter. Giustra verpflichtete sich anschließend, der Clinton-Stiftung mehr als 30 Millionen Dollar zu spenden – und Redner Bill Clinton wurde in Kanada und Russland für sechsstellige Summen gebucht.

Über diesen Fall wird aus mehreren Gründen häufig geredet: 2013 kaufte die russische Atomenergiebehörde Rosatom „Uranium One“ und kontrolliert damit große Teile der Lieferkette des auch militärisch wichtigen Rohstoffs (die New York Times hat Details hier beschrieben).
Außerdem startete die Stiftung eine eigene Einheit namens „Clinton Giustra Enterprise Partnership“ (CGEP).
Das Ziel, Armut in rohstoffreichen Staaten zu mindern, ist ehrenwert – doch für CGEP gelten die Transparenz-Regeln nicht, auf die sich die Clintons für ihre Stiftung verpflichtet haben.

Wie die Rechercheure von Politifact betonen, diskutierten Abgesandte von Barack Obama Ende 2008 nach dessen Wahlsieg ausführlich über die Stiftungsarbeit und mögliche Konsequenzen, wenn Hillary Clinton zur Außenministerin ernannt werden sollte.
Ein eigenes „Memorandum of Understanding“ (hier als PDF) verpflichtete die Stiftung, jährlich ihre Spender zu veröffentlichen, um Interessenskonflikte zu vermeiden.
Belegt sind Zuwendungen aus Algerien, Indien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten – als Senatorin und Chefdiplomatin hatte Hillary Clinton großen Einfluss auf Entscheidungen, die diese Staaten direkt betrafen.

Auf einer eigenen Website ist zwar nachzulesen, dass neben dem Königreich Saudi-Arabien auch die Stiftung eines ukrainischen Oligarchen und der Medienunternehmer Haim Saban zwischen 10 und 25 Millionen Dollar gespendet haben – doch der Name des Bergbau-Unternehmers Giustra fehlt.
Nicht erst seit den „Panama Papers“ weiß die Welt, wie sich Besitzverhältnisse verschleiern lassen.

Auch im Buch „Clinton Cash“ finden sich keine Belege für eine klare „Quid pro quo“-Korruption der Clintons. Obwohl Hunderte konservative Anwälte (etwa bei der Organisation Judicial Watch) vor Gericht um die Freigabe von Dokumenten kämpfen – hier sind wir wieder bei E-Mails -, kam es nie zu Anklagen.
Juristisch lassen sich die Vorwürfe nicht erhärten, und doch bleiben Fragen: Warum etwa akzeptieren die Clintons Millionen vom nigerianisch-libanesischen Milliardär Gilbert Chagoury, der wegen Geldwäsche in Europa verurteilt wurde? Bisher ist es keinem Faktenchecker oder Journalisten gelungen, klare Antworten von der Stiftung zu bekommen.

Erst Mitte der Woche publizierte Judicial Watch neue E-Mails, die ein Phänomen belegen, das auch Schweizer beschreibt:
Viele Mitarbeiter der Clinton-Stiftung wechseln zwischen Ministerien, dem Wahlkampfteam und der Wohltätigkeitsorganisation hin und her.

Schweizer dokumentiert auch, dass Hillary Clinton als Außenministerin vielen Angestellten den speziellen SGE-Status (special government employee) zugestand. Als SGE können Mitarbeiter des Ministeriums andere Aufgaben übernehmen, etwa als Berater.
Mit stattlichen Summen entlohnen Unternehmen die „strategischen Ratschläge“ von Leuten wie Huma Abedin, die nah dran sind an der Ex-Außenministerin (Hillary nennt Abedin eine „zweite Tochter“ ).

Freihandel? Mal dafür, mal dagegen

In ihrer Rede in Detroit wird Clinton auch über Freihandelsabkommen wie Nafta oder den transpazifischen TPP-Deal sprechen. „Clinton Cash“ und unzählige Artikel belegen auch hier ihre wechselnden Meinungen: Wie Obama war sie im Wahlkampf gegen Abkommen mit Staaten wie Kolumbien, doch als Außenministerin kämpfte sie erfolgreich dafür. Dass sie an einem Tag kurz nach Bill – der von Bergbau-Milliardär Giustra begleitet wurde – den Präsidenten traf, macht viele skeptisch. Ähnliches gilt für die Beteuerungen der Demokratin im Wahlkampf, seit jeher Freihandelsabkommen kritisch gesehen zu haben.

Wer sich genauer mit der Clinton-Stiftung beschäftigt, erinnert sich schnell an jene umstrittenen Reden, die Hillary Clinton für 675 000 Dollar vor Wall-Street-Bankern gehalten hat und deren Transkripte weiter geheim bleiben. Dass sie zwischen 2014 und März 2015 elf Millionen für 51 Auftritte kassierte, erklärte sie mit dem lapidaren Satz „Jeder macht das so“ (nicht nur die New York Times war baff).

Gewiss: Sie war damals noch nicht Kandidatin der Demokraten fürs Weiße Haus, doch ihre Glaubwürdigkeit ist beschädigt. Wenn Clinton heute in Detroit erklärt, wie sie Amerikas Wirtschaft ankurbeln und vor allem ärmeren Amerikanern und der Mittelschicht helfen will, dann hören Millionen US-Wähler skeptisch zu.
Schuld am Misstrauen gegenüber Hillary Clinton ist nicht nur jene Verschwörung vom rechten Rand („right-wing conspiracy„),die sie seit Jahren beklagt. Sie hat selbst dazu beigetragen – mit fehlender Transparenz und indem sie Anworten auf viele Fragen verweigert.

Linktipps: Die besten Artikel über die Geldsammel-Maschine der Clintons erschienen in der Washington Post – jener Zeitung, die Trump als seinen Intimfeind ansieht.
Der Artikel „Zwei Clintons, 41 Jahre, drei Milliarden Dollar“ beschreibt
en detail, wer alles Geld an Bill und Hillary gespendet hat.
Wie sich die Entstehung der „Clinton Foundation“ mit der Langeweile und den persönlichen Interessen des Ex-Präsidenten erklären lässt, beschreibt dieser ausführliche Artikel.

Siehe zu dem Thema auch:

Diana Johnstone, geboren 1934 in Minnesota, USA, lebt seit mehr als dreißig Jahren in Paris. Sie ist Journalistin und Buchautorin. Im Frühjahr erschien ihr Buch »Die Chaos-Königin. Hillary Clinton und die Außenpolitik der einzigen Supermacht« im Frankfurter Westend-Verlag

Jochen

Das TTIP-Regime: Wie transatlantische Handelseliten die Welt dominieren

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Guter Übersichtsartikel mit vielen Verweisen aus: »Blätter« 10/2015, Seite 55-66
https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2015/oktober/das-ttip-regime

globepuppetvon Petra Pinzler

Heute vor gut 50 Jahren begann ein Prozess, von dessen Folgen damals noch niemand etwas ahnte. Ein Prozess, der die Handelspolitiker zu den Schlüsselfiguren des globalen Kapitalismus machen wird: die schleichende Ausweitung ihrer Kompetenzen.
Nach und nach eroberten sie sich immer neue Gestaltungsmacht – tief hinein in immer neue Bereiche der Gesellschaft.
Nach und nach gelang es ihnen, die eine Idee durchzusetzen: Handel ist gut, mehr Handel ist besser. Handel wird damit zum Ziel an sich.

Der amerikanische Linguist George Lakoff hat beschrieben, wie Sprache, wie eine bestimmte Bezeichnung für eine bestimmte Politik dafür sorgen kann, dass Menschen sie anders wahrnehmen. Schon in den 1960ern beginnt das in der Handelspolitik durch die Karriere einer Wortkombination.
Sie lautet: „nichttarifäre Handelshemmnisse“.
Zunächst nimmt diese Wortkombination über den engen Zirkel der Fachleute hinaus kaum ein Mensch wahr – und auch heute kennen viele Leute sie noch nicht.
Und doch ermöglicht sie einen anderen Blick auf die Politik und die Gesellschaft, einen Blick, den bewusst oder unbewusst immer größere Teile der Eliten übernehmen.

Ein nichttarifäres Handelshemmnis ist alles, was neben Zöllen den Export und Import behindert. Wenn beispielsweise Deutschland die Produktion von Stahl subventioniert, dann wird es für Südkorea schwerer, dieses Material hierher zu exportieren. Also sind Subventionen nichttarifäre Handelshemmnisse.
Wenn umgekehrt Südkorea nur Ventile erlaubt, die eine Norm erfüllen, welche nur die heimischen Hersteller produzieren, dann macht dies das Geschäft für deutsche Konkurrenten schwerer.
Doch unter den Begriff fällt noch viel mehr: Gesetze zum Schutz von Umwelt oder Arbeitnehmern, die Bevorzugung lokaler Unternehmen oder auch Regeln für den Umgang mit geistigem Eigentum.
Das alles in einen Begriff zu packen, folgt einer bestechend einfachen Logik: Wenn alles ein Hindernis ist, kann alles in Frage gestellt werden.
Man muss dann nicht mehr ausführlich erklären, warum man beispielsweise eine globale Ausschreibung für die Aufträge von Kommunen erzwingen will. Das ist dann eine logische Konsequenz.
Und so kann man mit ein wenig Phantasie den Markt in immer neue Bereiche der Gesellschaft vordringen lassen. Ist es nicht auch ein Handelshemmnis, wenn Hamburg sein Stromnetz wieder ins Eigentum der Stadt zurückholt?
Handelspolitik spiegelt immer auch den Zeitgeist: Liberalisierung und Privatisierung gelten bei vielen Regierungen ab Mitte der 1980er Jahre als das Patentrezept für Wachstum und Wohlstand.

Niemals zuvor oder danach haben Diplomaten gemeinsam so umfassend viele neue Regeln für den Welthandel gesetzt wie zwischen 1986 und 1994 in der sogenannten Uruguay-Runde. Sie verhandelten über insgesamt 15 Bereiche, Zölle waren nur noch ein kleiner unter vielen anderen.
Sie erfanden einen Streitschlichtungsmechanismus, Methoden, um die Subventionen für die Landwirtschaft und die Textilindustrie zu reduzieren, Regeln für Dienstleistungsmärkte. Sie beschlossen die Gründung der Welthandelsorganisation (WTO).
Sie versprachen sich gegenseitig, künftig noch mehr zu liberalisieren: die Finanzmärkte, die Telekommunikation, die Schifffahrt. Am Ende unterschrieben sie Abkommen, die bis heute wirken und sich hinter Abkürzungen wie GATS, TRIPS oder TRIMS verstecken.

Es sind die Jahre, in denen in den USA Ronald Reagan zum Präsidenten gewählt wird und die sogenannten Reagonomics durchsetzt. Der Republikaner propagiert die Reduzierung von Steuern, die Privatisierung bislang staatlicher Aufgaben und Unternehmen. Eben das ganze Instrumentarium des Neoliberalismus. Dazu gehört auch die Annahme: Wenn die Wirtschaft nur ordentlich von Regeln befreit wird und dann boomt, wird von dem Reichtum schon genug nach unten durchsickern.
„Unter den Tendenzen, die Wirtschaftswissenschaften schaden, ist die verführerischste und in meinen Augen auch giftigste die Beschäftigung mit Verteilungsfragen“, erklärt der Nobelpreisträger Robert Lucas Jr. von der University of Chicago, einer der einflussreichsten amerikanischen Ökonomen der vergangenen Jahrzehnte.

Solche Ideen machen Schule, zumal sie – zumindest anfänglich – Aufbruchsstimmung vermitteln und einen einfachen Weg weisen, um die massive Verschuldung der Staaten abzubauen. Denn es gibt in jenen Jahren ja tatsächlich ein Problem: Anfang der 1980er Jahre sind viele Industrieländer überschuldet und zugleich unnötig stark reguliert. Es ist die Zeit, in der es in Deutschland nur ein Telefon gibt: Es ist grau, hat eine Wählscheibe und darf nur von der Post installiert werden.
Da klingen die Botschaften der Neoliberalen verführerisch: Statt hoher Staatsausgaben lieber viel Privatinitiative. Statt unbeweglicher Bürokratien besser schnelle Unternehmer. Statt des Schutzes alter Privilegien viel Raum für neue Initiativen.

Der Durchmarsch der Eisernen Lady

Auch in Europa setzen sich diese Ideen durch. In Großbritannien regiert die Eiserne Lady Margaret Thatcher, die im großen Stil die Staatsbetriebe privatisiert, die Gewerkschaften bekämpft und die Finanzmärkte von staatlicher Aufsicht befreit. „Es gibt keine Alternative“, begründet sie ihre radikale Politik. Und ihren Kritikern, die das Auseinanderbrechen der Gesellschaft in Arm und Reich befürchten, hält sie trocken entgegen: „Es gibt keine Gesellschaft. Es gibt nur Männer, Frauen und Kinder.“

Heute, im Rückblick, weiß man, wie viel Sinnvolles die Schocktherapie von Thatcher und Reagan unnötigerweise zerstörte. Wie ihr Furor nötige Reformen ins Absurde steigerte. Die staatliche britische Bahn, die immer zu spät kam, funktioniert heute als privates Monopol auch nicht besser.
Überhaupt leidet Großbritannien noch Jahrzehnte später darunter, dass damals die industrielle Basis des Landes nicht, wie behauptet, durch eine Radikalkur befreit, sondern eher zerstört wurde und sich nie davon erholt hat. Neidisch schauen die Briten heute auf die deutschen Unternehmen. Und leben von den Geschäften, die in der Londoner City gemacht werden und damit an den Börsen der Welt.

Die 1980er und frühen 90er Jahre haben auch mentale Spuren hinterlassen. Sie veränderten das Denken der Eliten, verankerten den Glauben an die grundsätzlich Wohlstand steigernde Wirkung des Marktes tief im Bewusstsein.
Dies hat sicher damit zu tun, dass 1989/90 der „Eiserne Vorhang“ fiel und das real existierende Gegenmodell zum Kapitalismus endgültig diskreditiert war. Es liegt aber auch am gedanklichen Rahmen, den die neoliberalen Meinungsführer in jenen Jahren so erfolgreich verbreiten konnten.
Die Idee von der grundsätzlich Wohlstand steigernden Wirkung der „freien Märkte“ setzte sich in den Köpfen fest – ohne dass noch gefragt wurde, ob das tatsächlich stimmt und wessen Spielraum und Wohlstand das genau erhöht.

Nine Eleven ff.: Die Doha-Runde und ihr Scheitern

Gut zehn Jahre nach der globalen Zäsur von 1989 stellte sich die Lage dagegen völlig anders dar.
Im November 2001 auf dem Gipfel der Welthandelsorganisation (WTO) in Doha klang die Abschlusserklärung streckenweise so, als ob der Vertreter einer Dritte-Welt-Gruppe sie geschrieben hätte: „Die Mehrzahl der WTO-Mitglieder sind Entwicklungsländer. Wir wollen ihre Bedürfnisse und Interessen ins Zentrum des Arbeitsprogramms stellen. Wir erkennen an, dass alle Menschen von den Möglichkeiten und den Wohlfahrtsgewinnen des internationalen Handels profitieren müssen.“

Der Grund für diesen neuen Ton waren jedoch nicht die Argumente der inzwischen stark aufgekommenen Globalisierungskritiker. Es war vielmehr der 11. September 2001. Der Tag, an dem fundamentalistische Terroristen zwei Flugzeuge in das World Trade Center in New York lenkten. Der Terroranschlag verändert die Weltpolitik in vielerlei Hinsicht. Der Schock über dieses Attentat sitzt noch tief, als im Dezember die Konferenz in Doha stattfindet.

In jenen Tagen eint die Weltpolitiker nicht nur das Entsetzen, sondern auch eine völlig zutreffende Analyse: Wenn man den Zulauf zu den religiösen Fundamentalisten stoppen will, muss man den armen Ländern mehr Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Man muss die Perspektivlosigkeit bekämpfen und deswegen die Regeln des internationalen Handelssystems umformulieren.
Beispielsweise so, dass sich der Norden verpflichtet, die Subventionen für die eigenen Landwirtschaften zu kappen, damit sie nicht länger die Märkte des Südens zerstören. In Doha, so der erklärte Wille aller, solle eine Entwicklungsrunde beginnen.
Doch der Wille reicht nicht weit. Das liegt sicher daran, dass die Interessen der Länder immer unterschiedlicher werden. Brasilien teilt heute mit Niger nicht mehr Interessen als mit Belgien. Doch die Hauptverantwortlichen für das Scheitern der Doha-Runde sind die EU und vor allem die USA. Sie haben nicht die Kraft, ihre Privilegien wirklich aufzugeben und etwas Grundsätzliches zu ändern.

Jagdish Bhagwati von der New Yorker Columbia University, einer der weltweit berühmtesten und einflussreichsten Handelsexperten der Welt, klagt im Sommer 2015 in Berlin: Das Doha-Abkommen sei im Rückblick daran gescheitert, dass es in den USA niemand wollte, weder die Gewerkschaften noch die Umweltverbände, aber auch nicht die Wirtschaft. Für Letztere sei einfach zu wenig herausgesprungen.

Das neue Jahrtausend: Wir öffnen viele kleine Clubs

Am Ende des alten Jahrtausends also nichts Neues: Abkommen, die der Wirtschaft der reichen Länder nichts nutzen, werden nicht abgeschlossen. Bis heute ist Doha nicht fertigverhandelt.

Stattdessen erleben wir eine neue Entwicklung: Es gründen sich viele exklusive Clubs, mal aus zwei Ländern, mal aus einer Handvoll, mal schließt sich eine geographische Region zusammen, mal sind es weit entfernte Handelspartner.
Die Zahl der sogenannten bilateralen oder regionalen Handelsabkommen explodiert: Am 7. April 2015 zählt die Welthandelsorganisation sage und schreibe 612 regionale Handelsabkommen, davon sind 406 bereits in Kraft getreten. Inzwischen gibt es kaum noch ein Land der Erde ohne die Mitgliedschaft in einem solchen Club.

Die kanadische Politikwissenschaftlerin Noemi Gal-Or nennt das Welthandelssystem deswegen eine „Mehrfachhelix“. Man könnte auch sagen: Die Regierungen benehmen sich wie Katzen, die mit Wollfäden spielen. Sie schaffen ein kaum zu entwirrendes Knäuel.

Und wieder setzen die beiden großen Wirtschaftsmächte den Trend. In Washington und Brüssel hat man in den 1990er Jahren längst erkannt, dass sich manches viel leichter durchsetzen lässt, wenn nur ein großer Verhandler am Tisch sitzt und ein paar kleinen Ländern die Bedingungen diktieren kann. Die Großen können bei bilateralen Gesprächen Bedingungen formulieren, die in der WTO unvorstellbar wären: Vor allem die Amerikaner machen davon eifrigen Gebrauch. Politisches Wohlverhalten wird dabei verlangt.

Freihandelspartner, so sagte im Mai 2003 in einer Rede der ehrgeizige US-amerikanische Handelsrepräsentant Robert Zoellick, der später Weltbankpräsident wurde, müssten „als Minimum“ auch in Fragen der Außenpolitik und der nationalen Sicherheit kooperieren. Doch es geht auch um alle möglichen Regeln, die der eigenen Industrie nutzen.
In einem Abkommen mit Singapur, das noch zu Zeiten von George W. Bush verhandelt wurde, wird zum Beispiel die Öffnung des dortigen Marktes für amerikanische Finanzdienstleister vereinbart, dazu kommen der Schutz amerikanischer Investitionen und Urheberrechte sowie anderer typischer Brancheninteressen.
Sogar der Kaugummihersteller Wrigley hat es geschafft, die Regierung für sich einzuspannen. In Singapur ist der Import von Kaugummi nämlich in jener Zeit verboten. Natürlich ist das lächerlich, doch das ist für diese Geschichte nicht der springende Punkt. Interessant ist, wie sehr eine einzige Firma ihr Interesse zu dem eines ganzen Landes machen kann.

Von NAFTA zu CETA und TTIP: Der Wettlauf zwischen USA und EU

Das erste tiefgreifende regionale Abkommen der Amerikaner ist NAFTA (North American Free Trade Agreement), das 1994 die Wirtschaft der USA mit der Mexikos und Kanadas zusammenbindet. Europa ist zu jener Zeit mit der Erweiterung der EU beschäftigt, auch sie ist ja ein großes Liberalisierungsprogramm, allerdings flankiert durch Übergangsregeln und Hilfsprogramme. Doch die EU schließt auch Verträge mit fernen Ländern – in Asien, Afrika und Südamerika. Gleich eine ganze Reihe von European Partnership Agreements hat sie mit afrikanischen Regierungen in den vergangenen Jahren unterzeichnet und dabei immer wieder auch Exporterleichterungen für die mächtige europäische Agrarindustrie durchgesetzt, obwohl oft genug dokumentiert wurde, wie unsere subventionierten Billighühner oder unsere Milch die lokalen afrikanischen Bauern in den Ruin treiben.

Der ehemalige mexikanische Staatspräsident Ernesto Zedillo nennt den europäisch-amerikanischen Wettlauf um bilaterale Handelsabkommen eine „Strategie des Teilens und Herrschens“. Tatsächlich sind die EU und die USA mal globale Konkurrenten und mal Partner. Beide eint und trennt dasselbe Ziel: Sie wollen schneller als die anderen neue Märkte für ihre Unternehmen erschließen und deren Rechte ausbauen – jeweils ohne selbst zu viel dafür geben zu müssen. Dabei nutzen sie den jeweils anderen zugleich als Argument und Druckmittel.

Deswegen verhandeln die beiden Riesen auch heute weiter – und weiter. Einen „Dominoeffekt“ nannte das der Genfer Wirtschaftsprofessor Richard Baldwin. Derzeit sind sie im Gespräch mit den meisten südostasiatischen Staaten. Das große Projekt der USA heißt TPP (transpazifische Partnerschaft) und umfasst Australien, Brunei, Kanada, Chile, Japan, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur und Vietnam.

Die EU wiederum verhandelt jeweils getrennt mit einer Reihe dieser Länder, außerdem unter anderem mit China und Indien. Ein Abkommen mit Singapur ist fertig verhandelt, aber noch nicht von den Parlamenten abgesegnet, und auch das kanadisch-europäische Abkommen CETA ist fast fertig, hat aber von den Parlamenten ebenfalls noch kein grünes Licht erhalten.

Mit dem geplanten europäisch-amerikanischen Abkommen TTIP, über das seit 2013 verhandelt wird, wollen die USA und die EU nun den größten Wirtschaftsraum der Welt schaffen. Ohne die Abkommen CETA mit Kanada und TTIP mit den USA werde Europa von den boomenden asiatischen Ländern abgehängt, warnte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel im November 2014 im Bundestag: „Sind wir als Europäer draußen vor, dann ist das für eine Exportnation wie Deutschland eine mittlere Katastrophe.“ Dann seien Hunderttausende Arbeitsplätze in der Industrie gefährdet. Dies treffe nicht den öffentlichen Dienst oder Parlamentarier, sondern Facharbeiter und Angestellte. „Die werden das am Ende bezahlen müssen.“

Aber ist die Liberalisierung wirklich ein Wettlauf, bei dem den Letzten die Hunde beißen? Sigmar Gabriel findet das. Barack Obama auch. Die EU-Kommission ebenfalls. Und so spielen die Katzen weiter.

Die Welt der Zukunft: Alte Ideen in immer neuen Paragraphen

„Diese Verträge sind die Plage des Welthandelssystems“, findet dagegen Jagdish Bhagwati. Durch die Vielzahl an Abkommen entstehe ein unüberschaubarer Wust an Regeln, die am Ende den Handel nicht erleichtern, sondern erschweren werden. Weil sich die komplizierten Regeln gegenseitig ausschließen. Tatsächlich hat allein das geplante CETA-Abkommen zwischen Kanada und der EU 1634 Seiten.

Trotz der neuen Vielfalt ist eines auffällig: Immer wieder tauchen ähnliche Ideen in veränderter Form in unterschiedlichen Verträgen auf – selbst wenn sie zuvor anderswo von Volksvertretern abgelehnt wurden. „Was sie bei der WTO nicht geschafft haben, das versuchen sie jetzt bilateral – und durch die Globalisierung eines Rechtssystems, das vor allem ihnen nutzt“, sagt Melinda St. Louis. Mit „sie“ meint die Handelsexpertin der Bürgerrechtsorganisation Public Citizen die exportstarken Multis und die Branchen, die weltweit Geschäfte machen und ihre Rechte entsprechend abgesichert sehen wollen.

„Der Erfolg unseres Protestes macht uns heute Probleme“, stellt St. Louis fest. Tatsächlich war es für die Antiglobalisierungsbewegung vergleichsweise leicht, die Runden der WTO ins Visier zu nehmen und den Einfluss der Lobbys zu enttarnen. Die bilateralen Abkommen, die hingegen heute von Regierungen in ganz unterschiedlichen Hauptstädten mit ganz verschiedenen Partnern verhandelt werden, lassen sich dagegen viel schwerer verfolgen.
Die Handelspolitik wird so zu einer Art Wettlauf mit unfairen Mitteln: Erfahren die Kritiker früh genug vom Inhalt eines geplanten Abkommens und organisieren sie dann eine Kampagne, um vor der Einschränkung der demokratischen Rechte oder sozialen Errungenschaften zu warnen, so kann das Abkommen scheitern. Doch im Stillen plant die Handelselite dann einfach das nächste Abkommen. Oder konkret: Während die Proteste über das europäisch-amerikanische Abkommen TTIP langsam Wirkung zeigen, verhandelt die EU-Kommission in unserem Namen still und leise in Genf über TISA. Das soll die Dienstleistungsmärkte in Europa, den USA, Japan und 21 weiteren Ländern öffnen. Die Handelspartner können das, weil die Kritiker meist defensiv agieren. Zu viel mehr haben sie weder Zeit noch Energie oder Mittel. Sie bekämpfen konkrete Projekte: TTIP, TTP, CETA und wie die Verträge sonst noch heißen. Manchmal gewinnen sie sogar. Die Frage ist nur, wie lange und wie oft das künftig so sein wird.

Der Kampf um TTIP und CETA

Immerhin: Das Ende der Geschichte ist offen – jedenfalls was TTIP und CETA anbelangt. Zum Glück hat der Protest die Stimmung im Lande mehr und mehr gedreht. Selbst das anfangs so euphorische Wirtschaftsministerium behauptet jetzt nur noch: „Die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft ist ein außergewöhnliches gemeinsames Projekt, das erhebliche Wachstums- und Beschäftigungseffekte erzielen kann. TTIP wird der EU und den USA neuen Schwung für Wirtschaft und Arbeitsmarkt bringen.“

Auf der Webseite der EU-Kommission heißt es, dass eine „unabhängige Studie und frühere Handelsabkommen nahelegen, dass TTIP für Jobs und Wachstum sorgen“ werde. Statt der Zahlen werden jetzt nette Geschichten erzählt wie die von Claus Olson, dem Marketingchef, und seinen dänischen Mette-Munk-Bäckereien. Die müssen sechs Prozent Zoll bezahlen, wenn sie in die USA exportieren wollen. Denen könne TTIP sehr nutzen und so mehr Jobs schaffen, so die Kommission. Möglich ist das.
Es könnten aber auch Jobs verloren gehen. Nur wo? Darüber steht kein Wort auf der Webseite.

Welche Branche durch TTIP einen Nutzen hat und welche nicht, welche Arbeitnehmer vielleicht ihren Job loswerden könnten – solche Fragen werden von den TTIP-Befürwortern weiter ignoriert. Die Kritiker, die das fragen, gelten in Brüssel als altbackene Protektionisten.
Dabei bedeutet so eine Untersuchung ja nicht, dass deswegen gleich das Projekt fallen muss. Sie würde aber ermöglichen, die Verlierer schon früh zu finden – und über mögliche Alternativen für sie nachzudenken.

Aber haben Sie die EU-Kommission oder die Bundesregierung schon einmal über mögliche Verlierer von TTIP reden hören? Statt auf eine ernsthafte Debatte einzugehen, erzählt Brüssel lieber Geschichten über Bäckereien. Denis Novy, Associate Professor of Economics an der University of Warwick, ist einer der wenigen, die vorsichtige Aussagen über negative Effekte wagen: „Es wird unzweifelhaft auch Verlierer geben. Beispielsweise wird die Landwirtschaft im Mittelmeerraum schrumpfen.“
Klar, wenn die amerikanische Agroindustrie wirklich massiv auf den europäischen Markt drängt, wird das den Südeuropäern zu schaffen machen. Ausgerechnet die europäischen Länder, die schon von der Eurokrise hart getroffen wurden, könnten durch TTIP dann noch einmal verlieren.

Na und, könnte man als zynischer Deutscher womöglich dazu sagen, solange wir gewinnen. Aber kann es uns wirklich kalt lassen, wenn ein politisches Projekt die Unterschiede in Europa noch weiter verstärkt?

Es gibt zudem noch ein verstecktes Problem. TTIP wird – wie andere bilaterale Abkommen zuvor – Warenströme massiv umlenken. Genau das ist ja das Ziel.
Die Grenzen zwischen den USA und der EU sollen fallen, automatisch werden die Außengrenzen damit vergleichsweise undurchlässiger. Oder konkret: Durch TTIP können wahrscheinlich deutsche Scheibenwischer leichter in die USA exportiert werden und amerikanische Mixer leichter hierher.
Das aber wird Folgen für den Rest der Welt haben. Es könnte nicht nur der Import aus anderen Regionen schwieriger werden – durch neue, komplizierte transatlantische Regeln. Sondern auch der Export dorthin.

In China beispielsweise wird TTIP sehr klar als ein Plan verstanden, der das Land ökonomisch ausgrenzen soll. In Brasilien wird das ähnlich gesehen. Noch wehren sich die dortigen Regierungen nicht aktiv. Aber das muss nicht so bleiben, zumal das ökonomische und damit auch das politische Gewicht jener Regionen in den kommenden Jahrzehnten eindeutig wachsen wird.

„Es herrscht Angst draußen, was TTIP bedeutet“, sagt Arancha González vom International Trade Center (ITC). Das Center unterstützt Entwicklungsländer dabei, fit für den Weltmarkt zu werden. González kennt viele Firmenchefs aus Afrika, Asien oder Lateinamerika und weiß daher: Gerade in kleineren Ländern fürchten Unternehmer, von dem großen Markt ausgeschlossen zu werden, auch, weil die neuen Regeln ohne sie geschrieben werden.
Sie sorgen sich, dass die Grenzen der neuen Handelszonen gerade für höherwertige Produkte schwerer überwindbar werden. Der Grund ist die komplizierte Rechtslage, die durch TTIP für all die entstehen wird, die nicht dazugehören.

„Freihandelszonen funktionieren nur, wenn die Herkunft von Produkten klar dokumentiert wird“, stellt Heribert Dieter von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin fest. Denn das sei ja ihr Sinn: Die Produkte, die in der Zone hergestellt werden, sollen frei verkauft werden. Die von draußen gerade nicht, für die muss ein Importzoll bezahlt werden. Also muss man sicher sein, wo etwas herkommt. Je komplexer jedoch ein Produkt wird, je mehr Vorprodukte unterschiedlicher Herkunft darin stecken, so Dieter, desto schwieriger wird diese Dokumentation – und umso teurer.

Was soll beispielsweise ein spanischer Textilunternehmer tun, der Baumwollstoff aus Kenia importiert und den fertigen Rock in die USA exportieren will? Er müsste genau dokumentieren, wo das Vorprodukt herkommt und wie viel Wert durch das Zusammennähen hinzugekommen ist. Wie viel das sein muss, damit der Rock als „europäisch“ gilt und deswegen zollfrei nach Amerika verschifft werden darf, bestimmen die sogenannten Ursprungsregeln. Gut möglich, dass dem Produzenten die Bürokratie zu aufwendig ist – und er die Baumwolle dann lieber bei amerikanischen Farmen kauft. Die haben ja auch billige Angebote, weil sie hoch subventioniert werden. Der Afrikaner hätte dann das Nachsehen.

Durch das NAFTA-Abkommen ist genau so etwas passiert: In den NAFTA-Ländern, also in den USA, in Mexiko und in Kanada, dürfen zollfrei nur Baumwollprodukte verkauft werden, deren Rohstoff aus US-amerikanischer Quelle stammt. „Wenn die USA und die EU nicht wollen, dass TTIP dem ärmsten Kontinent schadet, dann sollten sie sich vor den eigentlichen Verhandlungen damit beschäftigen und nicht erst später als einem von vielen Themen“, fordert deswegen schon lange die Niederländerin Eveline Herfken, die einst als Entwicklungsministerin und danach als stellvertretende Generalsekretärin der UN und Beraterin von Kofi Annan gearbeitet hat. Erfolglos.

Afrika als Kollateralgeschädigter

Im Mai 2015, auf dem G7-Treffen in Elmau, bekräftigen die G 7-Regierungschefs zwar wieder einmal, dass sie den Handel für die armen Länder erleichtern wollen – indem sie das „Trade Facilitation Agreement“ umsetzen. Es soll jenen helfen, die Einfuhrhindernisse der großen Märkte besser zu bewältigen. Doch das sind leere Worte.

„Kaum jemand hat sich in Deutschland wirklich darum gekümmert, welche Bedingungen die EU den afrikanischen Ländern in den vergangenen Jahrzehnten diktiert hat“, klagt Uwe Kekeritz, Abgeordneter der Grünen im Bundestag und einer der wenigen Politiker, die sich um Handel und Entwicklung kümmern. Er weiß, dass die Handelspolitiker und Unternehmer die Entwicklungsländer meist als Absatzmärkte sehen und deren Bedürfnisse so meist aus dem Blick geraten.
Auch weil die Öffentlichkeit kaum je etwas anderes von ihnen verlangt: Als die EU in den vergangenen Jahren beispielsweise eine ganze Reihe von Abkommen mit afrikanischen Staaten verhandelt hat, regte das niemanden auf.[1]
Kekeritz fürchtet, dass das bei TTIP ähnlich ist. Bisher hat ihn noch niemand vom Gegenteil überzeugen können.

Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph E. Stiglitz fordert aus dem gleichen Grund, dass alle neuen Handelsabkommen zunächst die Länder des Nordens für die Produkte aus dem Süden öffnen müssen. Was für ein frommer Wunsch! Man kann sich kaum ein Projekt vorstellen, das davon weiter entfernt ist als TTIP.

Können wir uns, die Tiere und die Umwelt überhaupt noch schützen?

Eine Frage schließlich ist bisher komplett unbeantwortet: Wie sollen Politiker in einem durch TTIP veränderten System künftig überhaupt mehr Schutz durchsetzen können? Denn darum geht es schließlich bei Standards: um Schutz.
Seit langem fordern Umweltgruppen beispielsweise im Bereich der Pestizide oder auch der Umwelthormone strengere Regeln. Sollte die EU sie dann durchsetzen, würden die Produzenten einfach rufen: Achtung, Amerika! Und dort produzieren. Für den transatlantischen Marktplatz.

Besonders spüren würde das die Landwirtschaft. Es würde die Chance endgültig ruinieren, sie doch noch einmal anders, umweltfreundlicher zu gestalten.
Bisher existiert in Europa der „Farm-to-Fork“-Ansatz. Diese Idee ist ein fester Bestandteil der EU-Gesetzgebung, nach ihr arbeiten Behörden. Sie bedeutet, dass vom Bauernhof bis hin zur Gabel des Verbrauchers die gesamte Lieferkette hygienisch und ungefährlich sein muss. Nirgendwo sollte ein großes Risiko lauern. Eine Gefahr, wenn sie doch eintritt, soll so früh wie möglich erkannt und bekämpft werden können. Lebensmittel, so die Idee, sind so in jedem Zustand sicher. Auch deswegen reicht es in Europa beispielsweise nicht, die Hühner nur kurz vor dem Verkauf durch ein Chlorbad von Salmonellen zu befreien, die sie sich in dreckigen, überfüllten Massenställen geholt haben.

Man kann sicher darüber streiten, ob das europäische Verfahren der Hühnerzucht so viel besser ist als das amerikanische. Wirtschaftsminister Gabriel spottet gern über die Sorgen, die die Deutschen wegen des Chlorhühnchens haben. Er sagt dann, dass es auch nicht viel gesünder sei, europäische Hühner zu essen, die mit Antibiotika gefüttert wurden. Da hat er wahrscheinlich recht. Auch hätte er damit recht, wenn er sagte, dass auch hierzulande Tiere in riesigen, unhygienischen Ställen großgezogen werden. Damit die einigermaßen gesund bleiben, bekommen sie nämlich die Antibiotika ins Futter, die später im Fleisch nachweisbar sind.[2]

Dennoch unterscheidet sich die europäische Idee grundsätzlich von der amerikanischen: Hier muss nicht nur das Endprodukt gesund sein. „Wenn Hühner wie in den USA zur Desinfizierung beim Schlachten durch ein Chlorbad gezogen würden, ist der Anreiz für hohe Hygienestandards in Ställen gering“, warnt Deutschlands oberster Verbraucherschützer Klaus Müller.

Und in der Tat: Den Konsumenten und damit die Politiker und die Behörden betrifft es auch, wie gesunde Lebensmittel produziert werden. Anders gesagt: Wir dürfen fordern, dass es dem Huhn halbwegs gut geht. Denn genau solche Ideen sorgen dafür, dass die Regeln für die Produktion strenger werden, die Ställe größer und der Einsatz von Antibiotika vielleicht irgendwann sinkt. Nur deshalb wurde die Käfighaltung verboten.[3]

Solche Wünsche kosten aber Geld. Sie machen die Hühnerzucht tendenziell teurer und die Hühnerschenkel in den Supermarktregalen auch. Sollten künftig, dank der Handelsabkommen, doch amerikanische Hühnchen hier verkauft werden, wächst die Konkurrenz. Das wiederum schafft Druck auf die hiesigen Bauern, noch billiger zu produzieren oder eben die Landwirtschaft aufzugeben, weil sie den Preiskrieg nicht führen können. TTIP würde so, quasi als unbeabsichtigte Nebenwirkung, die Standards senken.

Ein fairer Handel ist möglich

Dabei gibt es längst konkrete Alternativen. Vier Jahre lang haben mehr als 50 Organisationen an ihrem Alternativen Handelsmandat gearbeitet. Mit dabei waren Attac, Menschenrechtsgruppen, große entwicklungspolitische Organisationen wie Misereor und Oxfam, Umweltorganisationen und der Kleinbauernverband Via Campesina. Organisationen aus dem Süden haben mitgemacht und von den Auswirkungen der EU-Handelspolitik auf die armen Länder berichtet. Am Ende entstand ein Papier, in dem neben wolkigen Wünschen für eine bessere Welt durchaus handfeste und realitätsnahe Vorschläge zu lesen sind.
Beispielsweise, dass über alle Verhandlungen vorher informiert wird, dass Abkommen kündbar sein müssen, dass sie zu UN-Konventionen passen müssen.

Das klingt banal. Aber schon diese drei Forderungen umzusetzen, wäre ein riesiger Schritt. Denn sie betreffen den Kern der Probleme. In den vergangenen Jahren sind Handelspolitiker nicht nur immer weiter in wichtige gesellschaftspolitische Bereiche vorgedrungen. Ebenso gefährlich ist ja, dass sie ein eigenes, global wirksames Recht entwickelt haben, und zwar nicht nur durch die Schiedsgerichte. Sie haben das gesamte Handelsrecht losgelöst von anderen völkerrechtlichen Regeln weiterentwickelt: von den Menschenrechtskonventionen oder denen zum Schutz der Umwelt. Der Göttinger Völkerrechtler Peter-Tobias Stoll nennt das den „Autismus des Handelsrechtes“.

Die Folgen sind absurd. Im Moment belohnt das globale Handelssystem die Zerstörung der Natur und des Menschen. Die Beschränkung des Warenverkehrs wird von der WTO in Genf bestraft, Regierungen müssen dafür zahlen.
Werden aber bei der Produktion die Umwelt verdreckt oder die Arbeiter misshandelt, dann spielt das keine Rolle. Schlimmer noch: Das Handelsrecht verhindert sogar, dass die Importländer dieser Waren sich gegen so etwas wehren.
„Das ist nicht mehr zeitgemäß“, sagt Michael Windfuhr vom Deutschen Institut für Menschenrechte. Längst habe die UN andere Konventionen verabschiedet. Handelsregeln müssten mit denen mehr verzahnt werden. Damit sie den Kampf gegen die Verletzung von Menschenrechten stärken, nicht schwächen. Nötig wäre, das komplett veraltete internationale Handelsrecht zu entstauben.

Das könnte schon mit dem nächsten Abkommen beginnen, denn es existieren dafür sehr konkrete Ideen. Die EU-Kommission müsste sie nur aufgreifen und genauso selbstbewusst vortragen wie die USA ihre Anliegen. Denn es gibt Vorschläge, wie die Regeln, nach denen bei der WTO geurteilt wird, reformiert werden könnten. Vorschläge, wie auch die globalen Unternehmen mehr zur Verantwortung gezogen werden könnten.

Denn auch das ist ein großes Problem: Bisher reden alle immer über die Verantwortung der Staaten. Was aber ist mit den Konzernen, die die globalen Lieferketten organisieren? Auch sie könnte man verpflichten, beispielsweise bei ihren Zulieferern aus anderen Ländern darauf zu achten, dass die mit ihren Mitarbeitern fair umgehen.

Alternative TTIP light

Noch fehlt es aber auch hier am politischen Willen in Brüssel und in Washington. Dabei könnte TTIP vergleichsweise leicht zum Modellvertrag werden, denn beiden Partnern sollte es nicht schwerfallen, ein paar dieser Ideen zu unterschreiben, zumindest wenn sie ihre eigenen Worte und Werte ernst nehmen. Dadurch, dass sie beispielsweise die Rechte von Arbeitnehmern garantieren, würden sie nicht nur in ihren eigenen Gesellschaften wieder an Zustimmung gewinnen. Sie könnten ganz leicht auch weltweit Zeichen setzen und zeigen, dass sie nicht für die Globalisierung von privatem Schiedsrecht zugunsten weniger Investoren kämpfen, sondern für die Globalisierung der Menschenrechte, des Umweltschutzes.

Europa und die USA sollten ganz schnell ein TTIP light verabschieden, lautet ein ganz konkreter Reformvorschlag: Sie könnten ein paar Zölle streichen, ein paar unumstrittene Regeln angleichen, und fertig ist das Ganze – erst einmal. Unter anderem haben das Sebastian Dullien, Joseph Jannig und Adriana Garcia vom ECFR vorgeschlagen.
Noch besser wäre, wenn sich auch noch ein gemeinsamer Umweltstandard entwickeln ließe, der nicht zu weniger, sondern zu mehr Schutz führt – beispielsweise des Klimas. Danach wäre dann Zeit, grundsätzlicher über die Handelspolitik nachzudenken und zu diskutieren, wie sie umweltfreundlicher und menschengerechter werden kann. Wie Europa auch in diesem Feld erst nehmen kann, wozu es sich selbst in seinen Verträgen verpflichtet hat und was seine Bürger wollen: ein Wirtschaftsmodell zu schaffen, das Menschen und Natur nicht schadet, sondern nutzt.

Doch solche Ideen finden in Brüssel und Berlin wenig Anhänger. Zu viele Leute haben schon zu viel ihres persönlichen Ansehens mit einem Erfolg von TTIP verbunden. Sie haben das Projekt deswegen immer mehr überfrachtet, als eine Art Heilsbringer, nun muss es zu viele Bedingungen gleichzeitig erfüllen. Es soll nun schnell zu Ende gebracht werden, Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama haben das auf dem G 7-Gipfel in Elmau wieder gefordert. Es soll so ambitioniert sein wie kein Abkommen zuvor – also mehr Bereiche des jeweils anderen Marktes öffnen denn je. Es soll Werte transportieren. Der Wirtschaft nutzen. Die Bevölkerung nicht zu sehr beunruhigen. Die Exporte steigern, aber der Umwelt nicht schaden. Etwas Besseres werden, als es andere Länder der Welt zustande gebracht haben, diese aber nicht ausschließen. Und es soll von den Parlamenten verabschiedet werden.

Das ist wie die Quadratur des Kreises. Wie die Maut, nur viel gefährlicher. Vielleicht muss also doch erst noch ein Abkommen scheitern und noch eines, damit dann ganz neu angefangen werden kann.

Fest steht: Die gesamte Welthandelspolitik gehört neu geordnet, sie muss den Wirtschaftspolitikern weggenommen werden – bevor die in den nächsten Verträgen festschreiben, was niemand mehr rückgängig machen kann. Denn das ist wohl die größte Gefahr aller Handelsabkommen: Hat die EU sie erst einmal abgeschlossen, können sie quasi nicht mehr gekündigt werden. Sie sind dann geltendes Völkerrecht – und hinter das kann keine deutsche Regierung zurück.


[1] Vgl. dazu Sarah Lempp, Hunger durch Handel. Die EU-Wirtschaftspolitik und ihre Folgen für Westafrika, in: „Blätter“, 2/2014, S. 73-80. (D. Red.)

[2] Vgl. dazu Annett Mängel und Maria Rossbauer, Riskante Resistenzen: Die Antibiotikakrise, in: „Blätter“, 1/2015, S. 17-20. – D. Red.

[3] Beim europäisch-amerikanischen Streit über das Rindfleisch herrscht immer noch Waffenstillstand. 2009 waren beide Seiten die Sache erst einmal leid, die Anwälte hatten sich müde gekämpft, und es war allen Beteiligten klar: Nachgeben würde niemand. Also einigte man sich darauf, dass die EU eine Einfuhr von einer bestimmten Menge garantiert hormonfreiem Rindfleisch erlauben würde. 2014 lag die Quote dafür bei 48 200 Tonnen. Die USA reduzierten im Gegenzug die Strafzölle.

NAFTA- Zwanzig Jahre Freihandel gegen Amerikas Arbeiterklasse

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Guter Überblick hier:
http://monde-diplomatique.de/artikel/!5202410
Auszüge:

In den USA, Mexiko und Kanada hat sich der versprochene Wohlstand nicht eingestellt

von Lori M. Wallach
Als das Abkommen über die nordamerikanische Freihandelszone (Nafta) am 1. Januar 1993 in Kraft trat, wurde das Blaue vom Himmel herunter versprochen – in wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Hinsicht.
Heute sind sich in den USA die meisten Leute – quer durch alle politischen Lager – einig, dass Nafta ihnen selbst und der Nation als Ganzes geschadet hat.
TTIP-CETA2016Und je mehr Details über die streng vertraulichen Verhandlungen zur transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP)1 bekannt werden, desto deutlicher wird, dass TTIP dieselben Konstruktionsfehler aufweist wie sein amerikanischer Vorgänger.
Nafta war ein Experiment. Dieses „Handelsabkommen“ unterschied sich radikal von früheren Modellen, weil es mehr regelte als nur den Handel. Frühere US-Handelspakte hatten sich auf den Abbau von Zöllen und Quoten beschränkt. Nafta dagegen gewährte ausländischen Investoren neue Privilegien und Schutzbestimmungen. Es schuf Anreize für die Verlagerung von Investitionen und Arbeitsplätzen ins Ausland, indem es Risiken eliminierte, die bei Produktionsauslagerung in Billiglohnländer entstehen können.
Nafta gewährte ausländischen Investoren das Recht, vor Investor-Staat-Schiedsgerichten Schadenersatz von einem anderen Staat einzuklagen, wenn ihre Gewinn­er­war­tungen durch neue Gesetze dieser Staaten geschmälert wurden.
Kanada, Mexiko und die USA verpflichteten sich mit Nafta, einschränkende Regeln in Dienstleistungsbereichen wie dem Bank-, Energie- und Transportsektor abzubauen. Dank Nafta konnte die Pharmaindustrie ihre Monopole bei medizinischen Patenten ausweiten, während die Standards für Lebensmittel- und Produktsicherheit ebenso reduziert wurden wie Grenzkontrollen.
Auch mussten die Unterzeichnerstaaten auf Initiativen zur Absatzförderung lokaler Produkte – wie die „Buy American“-Kampagne – verzichten.
1993 prognostizierten Gary Hufbauer und Jeffrey Schott vom Peterson Institute for International Economics, (die auch im Fall TTIP grandiose Wohlstandszuwächse propagieren), Nafta werde den Handelsbilanzüberschuss gegenüber Mexiko vergrößern, und damit in den USA binnen zwei Jahren 170 000 neue Jobs schaffen.
Auch die US-Farmer könnten durch Exporte ihr Einkommen erhöhen. Und Mexiko würde dank Nafta zu einem stabilen und wohlhabenden Land der Ersten Welt aufsteigen, womit auch der Einwanderungsdruck auf die USA nachlassen würde.
Da die Umwelt- und Verbraucherschutzstandards auf einem höheren Niveau harmonisiert würden, werde alles besser: von der allgemeinen Gesundheit über die Lebensmittelversorgung bis hin zur Luft- und Wasserqualität. Und natürlich würden die Verbraucherpreise sinken und die Volkswirtschaften immer weiter wachsen.

Zwanzig Jahre später haben sich die Versprechungen und Vorhersagen nicht bewahrheitet – eher im Gegenteil: Das enorme US-Handelsdefizit gegenüber Mexiko und Kanada hat bis 2004 rund 1 Million Jobs vernichtet. So hoch beziffert das Economic Policy Institute (EPI) den Nettoverlust an Arbeitsplätzen in den USA.2
Dieser Arbeitsplatzabbau resultiert aus der Strategie zahlreicher US-Firmen, die im Nafta-Abkommen gewährten Privilegien für ausländische Investoren zu nutzen und ihre Produktion nach Mexiko zu verlagern, wo Löhne wie Umweltschutzstandards niedriger sind.
Laut EPI hat das Handelsbilanzdefizit gegenüber Mexiko bis 2010 netto rund 700 000 US-Arbeitsplätze gekostet. Mehr als 845 000 US-Arbeitnehmer haben sich für das Anpassungshilfeprogramm Trade Adjustment Assistance (TAA) angemeldet, weil sie ihre Jobs aufgrund von Importen aus Kanada und Mexiko respektive Produktionsverlagerungen in diese Länder verloren hatten.
Nafta hat in den USA den Abwärtsdruck auf die Löhne verstärkt und das Einkommensgefälle noch vergrößert. Am stärksten traf es die 63 Prozent der Berufstätigen ohne Collegeabschluss, bei den Löhnen wie bei den Arbeitsplätzen.
Dabei schlugen sich die Veränderungen in der Handelsbilanz nicht so sehr in der Menge als in der Art der verfügbaren Arbeitsplätze nieder. Viele Beschäftigte verloren ihre Arbeit im industriellen und gewerblichen Sektor, weil durch Nafta Produktionsverlagerungen erleichtert und konkurrierende Importe gefördert wurden. Diese Arbeitskräfte konkurrieren um schlechter bezahlte Stellen im Dienstleistungssektor, die nicht in andere Länder ausgelagert werden können.

Weniger Arbeitsplätze in den USA

Laut dem US-Bundesamt für Arbeitsmarktstatistik (US Bureau of Labor Statistics) mussten sich zwei Drittel der entlassenen Produktionsmitarbeiter, die 2012 eine neue Stelle fanden, mit Gehältern begnügen, die deutlich niedriger lagen (zumeist um 20 Prozent). Bei einem durchschnittlichen Arbeiter, der zuvor auf mehr als 47 000 Dollar im Jahr kam, fiel das Einkommen also um mindestens 10 000 US-Dollar.
Je mehr ehemalige Mitarbeiter aus dem Produktionssektor um gering qualifizierte Jobs etwa im Hotel- und Gastgewerbe konkurrierten, desto stärker sanken in diesen Sektoren im Zuge von Nafta die Reallöhne. Das erklärt auch, warum die Durchschnittslöhne seit Abschluss von Nafta auf der Stelle treten, obwohl die Produktivität der Arbeitnehmer rasant gestiegen ist.
In einigen Fällen hat Nafta die Verbraucherpreise sinken lassen. Doch damit wurden die durch das Abkommen verursachten Lohneinbußen der Mittelschicht nicht kompensiert. Selbst wenn man diese Spareffekte berücksichtigt, hat sich die Kaufkraft von US-Arbeitnehmern ohne Hochschulabschluss als Folge der neuen Nafta-Handelsstruktur um 12,2 Prozent vermindert.
Obwohl die Lebensmittelimporte aus Kanada und Mexiko um 239 Prozent zulegten, zogen die durchschnittlichen Lebensmittelpreise in den USA seit Abschluss des Abkommens um 67 Prozent an, was den Voraussagen deutlich zuwider läuft. Vor Inkrafttreten des Abkommens hatten Nafta-Befürworter zwar eingeräumt, dass einige Arbeitsplätze in den USA verloren gehen könnten. Aber insgesamt, versicherten sie, würden die einheimischen Arbeitnehmer aufgrund der verbilligten Importe von dem Abkommen profitieren.
Gleich nach Inkrafttreten von Nafta verwandelte sich der geringfügige Überschuss, den die USA vor 1993 im Handel mit Mexiko erzielt hatte, in ein massives Handelsbilanzdefizit. Und das bereits vor Nafta bestehende Defizit im Handel mit Kanada wuchs kräftig an. 1992 hatten die USA im Handel mit Mexiko inflationsbereinigt noch einen Überschuss von 2,5 Milliarden Dollar verbucht, während sich das Defizit gegenüber Kanada auf lediglich 29,6 Milliarden US-Dollar belief. Mittlerweile verbuchen die USA im Handel mit den Nafta-Partnerstaaten ein Defizit von insgesamt 177 Milliarden Dollar.
Nafta sollte eigentlich über eine Verbesserung der US-Handelsbilanz den Arbeitsmarkt ankurbeln. Mit Nafta hat sich das Wachstum der Industriegüter- und Dienstleistungs­ex­por­te aus den USA nach Mexiko und Kanada abgeschwächt. Der jährliche Zuwachs der Industriegüterausfuhren fiel seit Abschluss des Abkommens um 62 Prozent. Selbst das Wachstum im Bereich der Dienstleistungsexporte hat sich deutlich verlangsamt. Dabei war man davon ausgegangen, dass der US-Dienstleistungssektor aufgrund seines angeblichen Wettbewerbsvorteils besonders gut abschneiden würde. Zwar sind die Ausfuhren von US-Dienstleistungen nach Mexiko und Kanada weiter angewachsen, aber die durchschnittliche Steigerungsrate seit Inkrafttreten von Nafta blieb um 49 Prozent hinter den Zuwachsraten der Zeit vor 1993 zurück.
In den letzten 10 Jahren überstieg das Gesamtwachstum der Exporte in Länder, mit denen die USA kein Freihandelsabkommen haben, das kumulierte Wachstum der US-Ausfuhren in Freihandelspartnerländer um 30 Prozent.
Einige Umwelt- und Gesundheitsgesetze der Nafta-Unterzeichnerstaaten wurden bereits im Rahmen der Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS) angefochten. Auf diesem Weg erstritten Investoren mehr als 360 Millionen Dollar an Kompensationszahlungen für Regelverstöße (zum Beispiel gegen Giftstoffverbote oder wasser- und forstwirtschaftliche Bestimmungen). Bei den Tribunalen sind derzeit Klagen mit einem Streitwert von mehr als 12,4 Milliarden US-Dollar anhängig.
Unter anderem haben Investoren die Patentregeln für Medikamente, ein Fracking-Moratorium und ein Programm zur Förderung erneuerbarer Energien angefochten.

Mehr Landflucht in Mexiko

Die Regierung Obama hat aus diesen Exzessen nicht gelernt. Im Gegenteil: Als sie 2011 ihre Blaupausen für Investitionsabkommen überarbeitete, ignorierte sie alle Anregungen aus der Zivilgesellschaft. Und derzeit dringt sie noch immer darauf, die Investor-Staat-Schiedsverfahren in das TTIP-Abkommen aufzunehmen, obwohl aus der Europäischen Kommission und EU-Mitgliedstaaten Proteste gegen diese quasi private Schiedsgerichtsbarkeit laut werden.
Die hartnäckigsten Befürworter dieser Institution sind US-Unternehmen wie der Energiekonzern Chevron, der mit Hilfe von Investor-Staat-Schiedsverfahren Kompensationszahlungen in Milliardenhöhe für im Amazonas-Gebiet angerichteten Schäden abwenden möchte.3
Das durchschnittliche jährliche Handelsdefizit der US-Landwirtschaft ist seit 1993 gegenüber Mexiko und Kanada auf 975 Millionen US-Dollar gestiegen und ist damit fast drei Mal so hoch wie vor Abschluss von Nafta. Viele US-Lebensmittelkonzerne verlagerten ihre Produktion nach Mexiko, was den sprunghaften Anstieg der Nahrungsmittelimporte erklärt.
Dabei erlaubten die Nafta-Regeln auch ein Aufweichen der US-Lebensmittelstandards. Vor Nafta waren ausschließlich Lebensmitteleinfuhren von Erzeugern gestattet, die sich an die US-Mindeststandards hielten, was in Mexiko ein einziger Rinderzuchtbetrieb und keine Geflügelzucht geschafft hatten. Seitdem sind die Rindfleischimporte aus Mexiko und Kanada um 133 Prozent gestiegen.
Dabei hatte man auch den US-Farmern mehr Wohlstand und stabile Einkommen durch wachsende Exporte versprochen. Die Realität sieht ganz anders aus – nicht nur Farmer in den USA. Auch die Menschen in Mexiko und Kanada haben von dem Abkommen nicht profitiert. Die meisten erlebten statt einer Win-win-Situation eine Lose-lose-Pleite. Zum Beispiel hat Nafta im ersten Jahrzehnt nach 1993 den Export von subventioniertem US-Mais ansteigen lassen. Damit wurde die Lebensgrundlage von mehr als einer Million mexikanischer Bauern zerstört.
Die massenhafte Verarmung hat die Gesellschaft weiter destabilisiert und zudem den Drogenkrieg angeheizt. Die Landflucht führte zur Absenkung der Löhne in den Maquiladoras, den grenznahen Montagebetrieben, was wiederum den Strom mexikanischer Migranten in die USA anschwellen ließ.4
Obwohl die Erlöse, die mexikanische Bauern für ihren Mais erzielten, in den Keller fielen, hat sich der deregulierte Einzelhandelspreis für das Grundnahrungsmittel Tortilla in den ersten 10 Jahren des Nafta-Pakts fast verdreifacht. Da in Mexiko der Preisindex für Basiskonsumgüter gegenüber dem Vor-Nafta-Niveau um das Siebenfache, der Mindestlohn aber nur um das Vierfache gestiegen ist, sind die Realeinkommen der Arbeitnehmer seit 1993 deutlich abgesunken: Die Kaufkraft eines Mindestlohnbeziehers ist in Mexiko heute im Durchschnitt um 38 Prozent geringer als vor Inkrafttreten von Nafta.
Anhaltende Landflucht, steigende Preisen und stagnierende Löhne haben dazu geführt, dass nach wie vor mehr als 50 Prozent der Gesamtbevölkerung und mehr als 60 Prozent der Landbevölkerung unter der Armutsgrenze leben. Das versprochene Nafta-Paradies ist ausgeblieben.
No_TTIP_G7DemoDie Verhandlungen zum TTIP-Abkommen hätten eine Chance bieten können, ein neues Modell wirtschaftlicher Integration zu entwickeln. Voraussetzung wäre gewesen, die Fehler und die negativen sozialen Folgen von Freihandelsabkommen à la Nafta zu vermeiden.

Da die aktuellen Verhandlungen jedoch genauso klandestin und einseitig geführt werden und auf ähnliche, dem Gemeinwohl zuwider laufende Regelungen hinauslaufen, müssen sich Arbeitnehmer wie Verbraucher in Europa und Nordamerika auf weitere negative Entwicklungen gefasst machen. Dass sie Alarm schlagen, ist deshalb nur zu berechtigt.
Ein Blick auf die Bilanz der Nafta sollte uns motivieren, das TTIP-Projekt zu verhindern.
Anmerkungen
1 Siehe Lori Wallach, „Zehn Einwände aus den USA“, Le Monde diplomatique, Juni 2014.
2 Quellen und weitere Informationen siehe „Nafta’s 20-year Legacy and the Fate of the Trans-Pacific Partnership“, Public Citizen’s Global Trade Watch, Februar 2014: www.citizen.org/documents/NAFTA-at-20.pdf.
3 Vgl. Hernando Calvo Ospina, „Chevron gegen Ecuador“, Le Monde diplomatique, März 2014.
4 I1993 wanderten 370 000 Mexikaner in die USA ein, 2000 waren es 770 000; 1993 gab es etwa 4,8 Millionen in den USA illegal lebende Mexikaner, 2012 bereits 11,7 Millionen.
Aus dem Englischen von Markus Greiß
Lori M. Wallach ist Direktorin der Verbraucher­schutz­or­ganisation Public Citizen’s Global Trade Watch, Wa­shing­ton, D. C.

Mein Kommentar: Man sollte mal nachrecherchieren, was aus Gary Hufbauer und Jeffrey Schott vom Peterson Institute for International Economics mittlerweile geworden ist. Vermutlich haben sie wohldotierte Pöstchen in entsprechenden Gremien, wie sie sich auch das SPD-Spitzenpersonal erwartet.

Jochen

USA – Der Amero, eine neue Währung für die nordamerikanische Währungsunion? – voltairenet.org – 04.01.15 –

Spekulation oder Realität ? Man kann nichts mehr für unmöglich halten.

mundderwahrheit

Der Amero, eine neue Währung für die nordamerikanische Währungsunion?

Die Debatten über die Zukunft des Euro müssen im Hinblick auf das nordamerikanische Amero-Projekt geändert werden. Durch ihre eigene Zerstörung des Dollars könnten die Vereinigten Staaten bestimmte derzeitige Inhaber in Verlegenheit bringen. Sie könnten auch einen großen Währungsraum offiziell schaffen und die Verschmelzung mit dem Euro vorschlagen. Falls das Projekt des Amero sich realisieren sollte, würde es einen tiefgreifenden Wandel der US-Politik bedeuten, der jetzt bei der Eroberung der Welt ihre kontinentale Basis begünstigen würde.

| Mexiko-Stadt (Mexiko) | 4. Januar 2015
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– An einem einzigen Tag hat der Rubel mehr als 20 % gegenüber dem Dollar und dem Euro verloren; zur gleichen Zeit hat Sergey Griniajev, Generaldirektor des Zentrums für Studien und strategische Prognosen von Russland angekündigt, dass die Vereinigten Staaten sich auf die Einführung einer neuen Währung, den Amero vorbereiten, wenn die Dollar-Blase platzen wird. Er…

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TTIP: »Üppig an möglichst vielen Klagen verdienen« – Ein Gespräch mit Annette Sawatzki vom Online-Kampagnennetzwerk »Campact“

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

No_TTIP_G7DemoAktuelles Interview in der Jungen Welt:
https://www.jungewelt.de/inland/%C2%BB%C3%BCppig-m%C3%B6glichst-vielen-klagen-verdienen%C2%AB
Auszüge:

Freihandelsabkommen: Sondertribunale wären eine Goldgrube für Anwaltsfirmen. Ein Gespräch mit Annette Sawatzki
Interview: Ralf Wurzbacher

Annette_SawatzkiAnnette Sawatzki ist Mitarbeiterin beim Online-Kampagnennetzwerk »Campact – Demokratie in Aktion« und beschäftigt sich mit Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik

Für Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel steht fest, dass Deutschland dem CETA-Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada trotz des darin vorgesehenen Investorenklage-Systems ISDS zustimmen wird – weil der Rest Europas die Vereinbarung wolle. Das stimmt nicht ganz, oder?

Herrn Gabriel fehlt offenbar der Kontakt zu Rest-Europa. Die Parlamente in Frankreich, Österreich und den Niederlanden haben sich klar gegen ISDS ausgesprochen. Luxemburgs Regierung hat das bereits im Juni in einem Brief an die Kommission getan. Auch sonst wächst der Widerstand rasant.
Der SPD-Chef tut so, als würde die nationale Rechtsprechung von den geplanten Sonderschiedsgerichten in keiner Weise eingeschränkt.

Warum widersprechen Sie dem?

CETA erlaubt Investoren, diese private Schiedstribunale anstelle von ordentlichen Gerichten anzurufen, um gegen staatliche Entscheidungen vorzugehen und Entschädigung zu verlangen. Berufung gegen die Urteile ist nicht möglich.
Dort entscheiden Juristen, die pro Fall honoriert werden, die also wollen, dass möglichst oft und teuer geklagt wird. Die Tribunale legen deshalb Vertragsformeln wie »faire und gerechte Behandlung«, die sich auch in CETA finden, sehr investorenfreundlich aus.
Und setzen sich dabei auch über die Urteile von Verfassungsgerichten hinweg, selbst über fundamentale rechtsstaatliche Prinzipien wie die Gewaltenteilung.

Inwiefern?

Auf Druck der EU wurde die Klausel »faire und gerechte Behandlung« in CETA noch investorenfreundlicher formuliert als im nordamerikanischen Freihandelsabkommen NAFTA. Dabei knüpfte man wörtlich an besonders weitgehende Urteile von ISDS-Tribunalen an: Sobald »legitime Erwartungen« eines Investors durch eine staatliche Maßnahme enttäuscht werden, kann er den Staat vor ein ISDS-Tribunal zerren.
»Legitim« sind Erwartungen, sobald das Tribunal findet, eine »bestimmte Darstellung« eines staatlichen Akteurs habe den Investor dazu motiviert, zu investieren oder Investitionen nicht zu beenden.

Sie haben CETA in einem Beitrag auf Campact.de als »Roter Teppich für Klage-Konzerne« bezeichnet …

Als »spezifische Darstellung« gelten auch Verpflichtungen, die staatliche Stellen beispielsweise in Konzessionsverträgen, bei Bauvorhaben oder anderen Vereinbarungen mit Investoren eingegangen sind.
Auch wenn diese Vereinbarungen gar nicht die Möglichkeit von ISDS-Verfahren vorsehen, werden sie vom CETA-Investorenschutz abgedeckt und berechtigen zu Klagen. Mit CETA bekämen etwa 41.000 US-Unternehmen Klagerechte gegen EU-Staaten – über ihre kanadischen Tochterfirmen.

Wie verbreitet ist heute die Anrufung solcher Tribunale?

Lange Zeit war das eine Seltenheit, doch dann wurde ISDS als lukratives Geschäftsfeld entdeckt. Seither stieg die Zahl der Klagen rasant, auf jetzt 568 bekannte Fälle.
Immer mehr Konzerne richten ihre Struktur nicht nur auf Steuervermeidung, sondern auch auf die maximale Ausschöpfung von Klagechancen aus.
Das hat bereits einige Länder dazu gebracht, aus dem ISDS-System auszusteigen, auch weil mittlerweile belegt ist, dass Investitionsschutzabkommen nicht zum Anstieg von Direktinvestitionen führen. Deshalb ruft unter anderem Nobelpreisträger Joseph Stiglitz dazu auf, ISDS zu beerdigen.

Warum ist den Verhandlern dessen Durchsetzung dann so wichtig?

Weil ihnen Lobbyisten eingebleut haben, Verträge ohne ISDS seien nicht mehr vorstellbar. Bei dieser »Politikberatung« spielt die ISDS-Industrie aus Kanzleien und Prozessfinanzierern eine wichtige Rolle.
Nehmen Sie das CETA-Gutachten, das im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums ISDS für harmlos und verfassungskonform erklärt.
Der Autor Stephan Schill ist ISDS-Schiedsrichter in Washington, hat also ein vitales Interesse daran, möglichst üppig an möglichst vielen Klagen zu verdienen.

Jochen

Streit über TTIP-Abkommen innerhalb und zwischen den Gewerkschaften: In den USA 700 000 Arbeitsplätze wegen Freihandel VERLOREN !

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

fahnenEs ist unglaublich, wie die DGB-Spitze ihren Kollegen in den Rücken fällt, um der SPD das Gesicht wahren zu helfen.
Um so wichtiger ist für Gewerkschaftler, sich auf einer Konferenz Anfang Oktober mehr zu vernetzen.
Anmeldung und Programm: www.rosalux.de/streikkonferenz
Kritische Aussagen des IGMetall-Linken Jakob Schäfer hier:
http://www.jungewelt.de/2014/09-20/045.php
Auszüge:

»Wenige profitieren auf Kosten vieler«

Streit über TTIP-Abkommen könnte Konflikt zwischen DGB-Führung, IG Metall und ver.di verschärfen.

Vom Grundatz her bekennt sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in einem Papier, das gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsministerium verfaßt wurde, zum transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP, das zwischen der EU und den USA geplant ist.
Welches Signal geht davon aus?

In der innerparteilichen Diskussion brauchte SPD-Chef Gabriel offenbar einen wichtigen Bündnispartner, um die Position der SPD-Führung auf dem Parteikonvent am Wochenende durchzudrücken.
Skandalös an dem besagten Papier ist zweierlei: Erstens, daß die DGB-Spitze eine solche Position veröffentlicht, während die Diskussion in den Gewerkschaften immer mehr Fahrt aufnimmt. Und zweitens, daß das Papier sogar gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium unterzeichnet wurde.
Damit signalisiert die DGB-Führung – trotz der im Papier genannten Bedingungen – eine grundsätzliche Zustimmung.

Erst in der Vorwoche hatte die EU-Kommission eine europaweite Bürgerinitiative gegen das TTIP- bzw. das CETA-Abkommen mit Kanada für unzulässig erklärt. Rechnen Sie jetzt noch mit ernsthaften Protesten hierzulande?

Dieses DGB-Papier erleichtert natürlich nicht gerade die innergewerkschaftliche Diskussion. Aber für die Entwicklung des Widerstands hat es nur eine untergeordnete Bedeutung. Die Position der IG Metall ist bisher immer noch klar ablehnend.
Der Vorsitzende Detlef Wetzel hat im März in einem Interview wörtlich gesagt: »Freihandelsabkommen sofort stoppen.« Auch ganz aktuell heißt es bei der IG Metall, daß die grundsätzlichen Mängel nicht beseitigt wurden und daß von dem geplanten Abkommen wenige auf Kosten vieler profitieren.
Ich sehe gerade bei den beiden großen Gewerkschaften IG Metall und ver.di keine Hinweise, daß sie inhaltlich die Positionen der DGB-Führung übernehmen.
In dem Zusammenhang will ich nur auf die geplanten Proteste von »TTIP un-fair-handelbar« am 11. Oktober verweisen.

Der Widerstand lebt also noch?

Allerdings. Denn es kommt ja nicht auf das formale Mittel Bürgerinitiative an. Auch die Annahme des Bürgerbegehrens hätte das Abkommen noch nicht gestoppt. Letztlich war dies ein Mittel zum Zweck. Hier haben 230 Organisationen aus 21 EU-Staaten mitgewirkt und allein in Deutschland 700000 Unterschriften gegen TTIP gesammelt. Damit wurde die Öffentlichkeit sensibilisiert und informiert.
Letztlich kommt es darauf an, daß der politische Widerstand sich ausweitet und sichtbar wird.
Die größten Möglichkeiten zur Entfaltung des praktischen Widerstands haben allerdings die Gewerkschaften.
Nach dem Gefälligkeitsdienst, den die DGB-Führung der SPD-Führung gewährt hat, wächst damit die Verantwortung der Einzelgewerkschaften, vor allem der IG Metall und von ver.di. Sie müssen jetzt beweisen, daß sie wirklich Widerstand leisten. Wenn sie zu großen Kundgebungen aufrufen, kann das der Bewegung einen gewaltigen Schub geben.

Wie erklären Sie sich den plötzlichen Sinneswandel der DGB-Spitze?

Ich glaube nicht, daß die DGB-Spitze einen Sinneswandel vollzogen hat. Der Vorsitzende, Reiner Hoffmann, vertritt diese Positionen schon immer.
Ich denke, daß sich jetzt der Konflikt zwischen DGB-Führung und den Spitzen zumindest von IG Metall und ver.di verschärfen wird.

Der DGB will mit dem TIPP-Abkommen darauf hinwirken, »faire und nachhaltige Handelsregeln global voranzutreiben und Maßstäbe zu setzen«.
Klingt das nicht schön?

Alle Erfahrung zeigt, daß eine Liberalisierung des Handels immer zu zwei wichtigen Veränderungen geführt hat:
1. Mit solchen Abkommen können Staaten oder Kommunen zu Schadensersatzzahlungen gezwungen werden, wenn sie Vorschriften oder Verbote erlassen. So hat beispielsweise Kanada 1997 den hochtoxischen Stoff MMT verboten. Der Hersteller Ethyl Corp. konnte dann Kanada erfolgreich auf einen Schadensersatz für entgangene Profite von 19,5 Millionen Euro verklagen. Dies geschah aufgrund des NAFTA-Abkommens zwischen Mexiko, den USA und Kanada.
Zweitens: In der IG Metall-Zeitung vom Juni wurde darauf hingewiesen, daß mit NAFTA allein in den USA rund 700000 Arbeitsplätze verlorengingen.
Die Gewerkschaften haben also allein schon deswegen das größte Interesse daran, gegen dieses Abkommen zu mobilisieren.

Jakob Schäfer ist Mitglied der IG Metall und engagiert sich im Arbeitsausschuß der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken

In diesem Zusammenhang noch Auszüge aus einem Interview der jW mit Jeannine Geißler, stellvertretender Geschäftsführerin des ver.di-Bezirks Hannover/Leine-Weser:

»Wir sind hier in der Tat etwas aus der Übung«

Anfang Oktober findet in Hannover die Konferenz »Gemeinsam Strategien entwickeln. Konflikte führen. Beteiligung organisieren – Erneuerung durch Streik II« statt. Wer kommt da zusammen? Bisher haben wir 450 Anmeldungen, und es könnten noch einige mehr werden. Viele kommen aus Betrieben und haben dort Erfahrungen mit Arbeitskämpfen und Konflikten gesammelt. Auch Gewerkschaftssekretäre, Studierende und andere Interessierte werden da sein.
Hauptredner sind Hans-Jürgen Urban vom IG-Metall-Vorstand, Ingrid Artus von der Uni Erlangen und der Linke-Vorsitzende Bernd Riexinger.

Welche Themen stehen im Mittelpunkt?

Der Titel ist Programm: Konfliktorientierung und Beteiligung sind zentral. In einer Vielzahl von Workshops wird es darum gehen, wie gewerkschaftliche Arbeit stärker an diesen Parametern ausgerichtet werden kann.
Die Themen sind dabei breit gefächert: Von Streiks in verschiedenen Branchen über Kämpfe gegen Betriebsschließungen bis zur Organisierung von Leiharbeitern und Werkvertragsbeschäftigten.
Die thematische Breite widerspiegelt sich auch in den Organisationen, die die Konferenz tragen: Neben der Rosa-Luxemburg-Stiftung und ver.di Hannover unterstützen auch die örtliche IG Metall, NGG, GEW, IG BAU und das ver.di-Bildungswerk die Veranstaltung.

In kaum einem Industrieland wird so wenig gestreikt wie in Deutschland. Wie kommt das?

Wir sind hier in der Tat etwas aus der Übung gekommen. Lange Zeit hat in Deutschland die sogenannte Sozialpartnerschaft dominiert.
Statt offener Konflikte setzten beide Seiten eher auf Verhandlungen, oft im stillen Kämmerlein.
Seit mindestens zehn Jahren funktioniert das so nicht mehr. Die Arbeitgeber gehen viel öfter auf Konfrontation, stellen Beschäftigtenrechte und Tarifverträge in Frage.
Die Gewerkschaften haben eine ganze Weile gebraucht, um zu erkennen, daß sich die Verhältnisse geändert haben. Sie müssen sich neu aufstellen und wieder lernen, Konflikte offensiv anzugehen.

In manchen Dienstleistungsbereichen – zum Beispiel in Krankenhäusern, Kitas und im Einzelhandel – hat es in den vergangenen Jahren eine deutliche Zunahme von Arbeitskämpfen gegeben. Wie erklären Sie sich das?

Das geschieht in den Bereichen, wo Unternehmen und Institutionen den Druck auf die Beschäftigten massiv gesteigert haben.
Zum Beispiel hat sich die Arbeitssituation in den Krankenhäusern durch Privatisierung und Unterfinanzierung dramatisch verschlechtert.
Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem die Leute sagen: Es muß was passieren.

Wenn die Arbeitskämpfe vor allem Folge von Attacken der Arbeitgeber, also Ausdruck der gewerkschaftlichen Defensive sind, warum beinhalten sie dennoch ein Potential zur »Erneuerung«?

Vielleicht ist diese Erneuerung eher ein Rückbesinnen auf die Ursprünge der Gewerkschaftsbewegung, die entstanden ist, weil die Arbeitsbedingungen so unsäglich waren, daß sich die abhängig Beschäftigten einfach zusammentun mußten.
Diese Erkenntnis ist wieder aktuell: Wir müssen uns von unten erneuern, mit Konfliktorientierung und Beteiligung, weil wir sonst keine ­Chance haben, die Arbeitgeber in die Schranken zu weisen.

In Hannover werden Hunderte Gewerkschafter viel diskutieren. Und dann?

Unser Ziel ist eine dauerhafte Basisvernetzung. Dazu dienen die Branchentreffen während der Konferenz.
Wir wollen konkrete Verabredungen für ein gemeinsames Agieren – z.B. im ­Sozial- und Erziehungsdienst, wo 2015 eine ganz wichtige Tarifauseinandersetzung ansteht. Zudem denken wir darüber nach, in etwa anderthalb Jahren eine weitere Konferenz zu organisieren, um diesen Prozeß weiterzuführen.

Anmeldung und Programm: www.rosalux.de/streikkonferenz

Jochen