„Unser Rechtsstaat befindet sich in Erosion“ – 2. Teil des Interviews mit Jörg Becker

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Fortsetzung des Beitrags vom 22.1.16
http://www.heise.de/tp/artikel/47/47172/1.html
Auszüge:

Jörg Becker über die deutsche Kriegsberichterstattung und den bellizistischen Kurs von Rot-Grün – Teil 2

Mit dem Kosovokrieg haben sich viele Politiker und Medien von den Lehren des Zweiten Weltkrieges verabschiedet und propagieren mittlerweile völkerrechts- und grundgesetzwidrige Auslandseinsätze der Bundeswehr. Ein Gespräch mit Jörg Becker[1]über den aktuellen Verfall der politischen und medialen Kultur in Deutschland.

Herr Becker, welche Rollen spielen Elite-Netzwerke und PR-Agenturen bei der aktuellen Berichterstattung?

Jörg Becker: Natürlich spielen sie eine enorm wichtige Rolle. In solchen Netzwerken wird soziales Einvernehmen hergestellt, man einigt sich informell auf dieselben spins, man springt in seiner eigenen Karriere vom Fernsehen zur Unternehmensberatung, vom Bundesministerium zur NATO oder von der Rüstungsindustrie in das Parlament.
Nato und RußlandSolche Netzwerke sind in den USA sehr viel ausgeprägter als bei uns, aber Deutschland „amerikanisiert“ sich auch hier kräftig.

Warum wohl sitzt Genscher im Aufsichtsrat der Berliner PR-Agentur WMP-Eurocom AG, warum war Lothar de Maizière Aufsichtsratsvorsitzender der früheren PR-Agentur Hunzinger AG in Frankfurt und warum war der frühere hessische Minister Volker Hoff gleichzeitig Geschäftsführer der Wiesbadener Werbeagentur Zoffel-Hoff-Partner?

Warum schied der ehemalige Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium Stéphane Beemelmans aus seinem Amt aus und wurde am 1. Dezember 2014 Geschäftsführer der Werbeagentur Eutop Berlin GmbH, warum sitzt der ehemalige Bundesgeschäftsführer der CDU Peter Radunski im Beirat des Kommunikationsberaters MSL-Germany und warum gründete der ehemalige SPD-Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium Kajo Wasserhövel 2010 die Firma Elephantlogic GmbH, eine Agentur für Strategieberatung?

In dieser Welt des dauernd hohen Adrenalins, der Funktionalität, der Leistung, des Könnens und der Exzellenz stören Inhalte. Pecunia non olet: Da kann ein Thomas Hüser, Werbe- und Agenturprofi aus Essen, einfach aus der CDU austreten, um zukünftig den SPD-Chef Sigmar Gabriel im Wahlkampf zu beraten.

Politiker sitzen in solchen Gremien und Agenturen nicht aus Jux und Dollerei, natürlich nicht. Vielmehr geht es um Reputation, Macht, do-ut-des-Geschäfte, kleine und große Gefälligkeiten und Medien- und Öffentlichkeitsarbeit. Im Übrigen und nicht zufällig geht es hier um verschwiegene „Herrenrunden“, oft von aus dem Amt geschiedenen Politikern.

„Merkwürdige Allianz aus NATO und Amnesty International“

Die Grünen haben in Sachen Kriegspolitik eine 180-Grad-Wende vollzogen. Warum gelten diese in den Medien immer noch als pazifistische Partei?

Jörg Becker: Die Meinung der politischen Elite gegenüber Krieg und Frieden hat sich in Deutschland in den letzten zwanzig Jahren drastisch geändert, im Übrigen nicht die der meisten Menschen, sind doch nach wie vor stabile siebzig Prozent der Meinung, Deutschland solle sich aus Kriegen heraushalten. Es war der Kosovokrieg, der die einst grünen Pazifisten in grüne Bellizisten und viele Friedensforscher in Kriegsbefürworter umdrehte.

Völlig zu Recht sprach der kürzlich verstorbene Soziologe Ulrich Beck beim Kosovokrieg von der merkwürdigen Allianz aus NATO und Amnesty International. Die Grünen stehen immer noch für viele Themen aus ihrer Gründungszeit, von denen sie sich aber in ihrer realen Politik längst abgewandt haben:

Aus einstigen Linken wurden Antikommunisten, in der Flüchtlingspolitik nähern sie sich mit Kretschmann und Palmer den Schwarzen an, den Atomausstieg haben sie an Merkel abgegeben, in der Wirtschaftspolitik sind sie fett im neoliberalen Fahrwasser gelandet und aus Pazifismus wurde Krieg im Gewand einer völkerrechtlich mehr als fragwürdigen Schutzverantwortung. Der Lack bei den Grünen ist ab. Der alte Mythos funktioniert aber noch.

Doch nicht nur die grüne Elite wandelte sich in den letzten Jahren in der Kriegs- und Friedensfrage, es wandelten sich zum Beispiel auch strikte Pazifisten wie der Vatikan oder Amnesty International.
Mit ihrer Resolution The Protection of Human Rights through Conflict Prevention, Intervention and Condemnation of Force[3] von 2005 lässt Amnesty International nun den Gebrauch militärischer Gewalt dann zu, wenn Menschenrechte bedroht sind.

Und im März 2015 forderte der Vatikan-Botschafter bei den UN in Genf, der italienische Erzbischof Silvano Tomasi, dass man gegenüber dem sogenannten Islamischen Staat „notfalls auch Gewalt anwenden“ müsse. Faktisch unterstützen damit sowohl Teile des Vatikan als auch Amnesty International die gegenwärtige militärische Großmachtpolitik.

Vor dem Bundeswehreinsatz im Kosovo wurde in den deutschen Medien überwiegend affirmativ berichtet. Konnten Sie im Nachhinein einige Stimmen ausmachen, die ihr damaliges Vorgehen kritisch reflektieren?

Jörg Becker: Nein, das konnte ich gar nicht, sieht man von einem Halbsatz von Gerhard Schröder ab. Was mich dabei besonders ärgert, ist die Tatsache, dass nach nun fünfzehn Jahren viele Ereignisse historisch gut erforscht und geklärt sind, dass sie aber von vielen damaligen Kriegsbefürwortern bis auf den heutigen Tag einfach nicht zur Kenntnis genommen werden.

Ich zähle nur zwei dieser Punkte auf. Erstens, der von Scharping und Fischer präsentierte Hufeisenplan ist eine Fälschung. Er wurde beim Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien nicht als Dokument zugelassen. Zweitens, die NATO-Bombardements vertrieben mehr Menschen aus dem Kosovo als die Serben.

„Bei der Loslösung der Krim kollidierten zwei Völkerrechtsprinzipien miteinander“

Wie Sie soeben erwähnt haben, hat sich Gerhard Schröder[4] am 9.3. 2014 anlässlich eines ZEIT-Matinees mit Josef Joffe und Joachim Bittner im Zusammenhang mit der Krim-Annexion durch Russland wie folgt geäußert:

„Natürlich ist das, was auf der Krim geschieht, etwas, was ein Verstoß gegen das Völkerrecht ist. Aber wissen Sie, warum ich ein bisschen vorsichtiger bin, mit dem erhobenen Zeigefinger, das will ich gerade in einer solchen Veranstaltung sagen: Weil ich es selbst getan habe.“

Joffe: „Was haben Sie gemacht?“

Schröder: „Gegen das Völkerrecht verstoßen.“

Joffe: „Sie haben arrondiert?“

Schröder: „Nein, ich habe nicht arrondiert, aber lassen sie uns doch einmal reden, worum es wirklich geht. Als es um die Frage ging: Wie entwickelt sich das in der Republik Jugoslawien, Kosovokrieg, da haben wir unsere Flugzeuge, unsere Tornados, nach Serbien geschickt und die haben zusammen mit der NATO einen souveränen Staat gebombt, ohne dass es einen Sicherheitsratsbeschluss gegeben hätte.“

[Anmerkung der Redaktion: Schröders Äußerungen wurden aus juristischen Gründen so umfänglich zitiert.]

Warum wurde dieses Geständnis niemals in den Medien thematisiert?

Jörg Becker: Erst einmal ein paar Sätze zu Schröder, zur Krim und zum Völkerrecht. Als Jurist hätte Schröder wissen müssen, dass sein Satz bezüglich der Krim, dass Russland hier einen klaren Verstoß gegen das Völkerrecht begangen habe, in dieser simplen Form schlicht und einfach falsch ist. Bei der Loslösung der Krim von der Ukraine kollidierten zwei Völkerrechtsprinzipien miteinander.

Und jeder Jurist weiß, dass die Kollision von zwei Rechtsprinzipien das Normalste bei jedem Rechtsstreit ist. Da gibt es mit der Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine einerseits einen Völkerrechtsbruch. Doch da pocht die Bevölkerung der Krim mit gutem Grund auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker, genau so, wie es in der UN-Charta und in den beiden UN-Menschenrechtspakten von 1966 verbrieft ist.

Und genau diese Völkerrechtskollision haben deutsche Medien nicht thematisiert und stattdessen das ideologische Geschwätz vom russischen Völkerrechtsbruch bis zum Erbrechen rauf und runter gekaut. Und wie immer ist das Gedächtnis vieler Menschen kurz. Noch 1991 benutzte die Regierung Kohl eben dieses Argument eines Selbstbestimmungsrechtes der Völker, um Kroatien und Slowenien vor allen anderen EU-Staaten völkerrechtlich anzuerkennen.

Und natürlich kauten die deutschen Medien – allen voran die FAZ unter Johann Georg Reißmüller – den Gedanken rauf und runter, dass Kroatien und Slowenien in die staatliche Unabhängigkeit zu entlassen seien. Was denn nun? Welches Völkerrecht gefällt uns denn heute? Wie hätten Sie’s denn gerne?

Schröders Eingeständnis vom März 2014, er habe beim Kosovokrieg einem Völkerrechtsbruch zugestimmt, ist in der deutschen Medienlandschaft genauso untergegangen wie Tony Blairs Eingeständnis vom Oktober 2015, dass die englischen Geheimdienstinformationen vor Beginn des Irakkriegs von 2003 falsch waren. Das Adenauer zugeschriebene Bonmot: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern“ gilt eben vor allem im Medienbetrieb.

Wo Einschaltquoten, Starkult, Mediencelebrities, Informationsverdünnung, Weglassen von Wichtigem, Inszenierungen, Dauer-Berieselung und eine Prostitution zwischen Journalismus und Public Relations das Mediengeschehen dominant beeinflussen, da gibt es keinen Raum für einen kritischen Blick in die Vergangenheit. Wen kümmert es 2016, dass 1999 Rudolf Scharping und Joschka Fischer mit ihrem sogenannten Hufeisenplan Öffentlichkeit und Parlament belogen haben? Niemand. Schnee von gestern.

Doch viel beunruhigender als dieses Medienphänomen im Zeitalter einer totalen Kommerzialisierung ist mir bei Schröders Völkerrechtsbruch im Frühjahr 1999, dass dieses Eingeständnis keine rechtlichen Folgen hatte.

Warum ging die Generalstaatsanwaltschaft in Karlsruhe nicht gegen Schröder wegen Führung eines Angriffskrieges im Sinne des Artikels 26 im Grundgesetz vor?

Jörg Becker: Unser Rechtsstaat befindet sich in Erosion: Zahlreiche Verfassungsbrüche des Deutschen Bundestages, die das Verfassungsgericht mühsam wieder kitten musste, zunehmende Verquickung zwischen Polizei, Nachrichtendiensten und Militär, politischer Missbrauch gegenüber weisungsgebundenen Staatsanwaltschaften, Verquickung zwischen Nachrichtendiensten und Rechtsradikalen (NPD und NSU), mangelnde Strafverfolgung bei verfassungswidriger Tätigkeit deutscher und ausländischer Nachrichtendienste (BND und NSA), stetige Vorverlagerung weg von festgestellten kriminellen Delikten hin in eine Vorfeldbeobachtung von potentiellen Delikten bei „Schläfern“, „Gefährdern“ und „verdachtsunabhängigen Personen“, Forderung nach einem speziellen „Feindstrafrecht“ durch Günther Jakobs[5], um bestimmten Menschengruppen die Bürgerrechte absprechen zu können, Befürwortung von Folter[6] gegen Terroristen durch Michael Wolffsohn[7] – und allein im Jahr 2015 dreimaliger verfassungswidriger Einsatz der Bundeswehr im Ausland, nämlich im Nordirak, Tornados in Syrien, Awacs in der Türkei, da eine Zustimmung des Deutschen Bundestages nicht eingeholt wurde.

Nochmals zurück zu internationalem Recht. Gegenwärtig führt eine „Koalition der Willigen“ Krieg gegen den „Islamischen Staat“. Die erste Kriegspartei ist ein loses Staatenbündnis ohne jeden rechtlichen Status und die zweite Kriegspartei nennt sich „Staat“, ist es aber nach allen völkerrechtlichen Kriterien nicht. Diese enorme Verhunzung und in den Dreck-Ziehung internationalen Rechts ist ungeheuerlich. Das Morden in Syrien ist ein absurdes Theaterstück und bedeutet das Ende einer Zivilisierung von Krieg. Das Töten von Zivilisten ist kein Kriegsakt, sondern ein Verbrechen.

Solche internationalen und nationalen Verletzungen demokratisch-rechtlicher Grundsätze bereiten mir sehr viel größere Sorgen als unsere gesamte mediokre, verkorkste und re-feudalisierte Medienlandschaft.

Anhang – Links

[1] http://www.springer.com/in/book/9783658074760

[2] http://www.heise.de/tp/artikel/47/47171/

[3] http://speakingtruthtoamnesty.blogspot.de/2012/01/document-when-amnesty-decided-to-be.html

[4] https://www.youtube.com/watch?v=EKQ0ykFQav4

[5] http://www.awk.nrw.de/akademie/klassen/geisteswissenschaften/ordentliche-mitglieder/jakobs-guenther.html

[6] http://www.n-tv.de/politik/Deutsche-foltern-nicht-article89032.html

[7] http://www.wolffsohn.de/cms/

[8] http://www.heise.de/tp/ebook/ebook_17.html

Jochen

Massenschlächtereien der ISIS als Vorwand ? Das „feine Gespür der Öffentlichkeit“ für Volksverdummung und gegen Kriegsgewinnler

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Aktueller Kommentar zu den aktuellen Staatsnachrichten:
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58927
BAGDAD/BERLIN(Eigener Bericht) – Die Bundesregierung kündigt die Lieferung von Kriegsgerät in den Irak an. Anlass ist der Vormarsch der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS), den die Streitkräfte der kurdischen Regionalregierung im Nordirak als Bodentruppen im Verein mit der US-Luftwaffe aufhalten sollen.
Berlin wird ab Mitte dieser Woche vermutlich Fahrzeuge, Nachtsichtgeräte und Schutzkleidung in den Nordirak transportieren.
Die Lieferung tödlicher Waffen ist noch nicht beschlossen, stößt aber in Regierungskreisen immer mehr auf Zustimmung. Darüber hinaus werden Forderungen laut, die Bundeswehr solle sich an Militärschlägen gegen den IS beteiligen.
Experten verweisen darauf, dass solche Luftschläge und die Aufrüstung der irakisch-kurdischen Streitkräfte problemlos von den Vereinigten Staaten erledigt werden könnten; es sei jedoch angebracht, „ein Signal an die USA“ zu senden, man sei zu militärischen Aktivitäten in der „Nachbarschaft“ der EU bereit.
Derlei Aktivitäten vor allem in Nordafrika und Mittelost gehören zu den Zielen einer Kampagne aus dem Berliner Establishment, die auch von Bundespräsident Gauck vorangetrieben wird. Sie zielt auf einen stärkeren deutschen Einfluss unter anderem in Mittelost.

Die Grenze des rechtlich Möglichen

Die Bundesregierung kündigt die Lieferung von Kriegsgerät an die Streitkräfte der kurdischen Regionalregierung im Nordirak an. Wie ein Sprecher des Verteidigungsministeriums am gestrigen Montag bestätigte, soll noch in dieser Woche Militärausrüstung geliefert werden; im Gespräch sind Fahrzeuge, Nachtsichtgeräte, Schutzwesten und Helme aus Beständen der Bundeswehr. Die Geräte sollen für den Krieg gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) verwendet werden.
Ob auch Waffen bereitgestellt werden – die kurdische Regionalregierung verlangt unter anderem panzerbrechende Waffen und Sturmgewehre -, ist noch nicht beschlossen; allerdings mehren sich die Stimmen in Berlin, die dies fordern. CSU-Regierungsmitglieder schlagen beispielsweise eine Lieferung von Panzerabwehrraketen des Typs „Milan“ vor. Der ehemalige deutsche Außenminister Joseph Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) spricht sich für Waffenlieferungen aus; letzte Woche hat der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag Gregor Gysi eine Zeitlang dasselbe getan.[1]
Am Wochenende hat sich auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel offen für das Vorhaben gezeigt, dem die Verteidigungsministerin ebenfalls zuzuneigen scheint. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat bereits angekündigt, Berlin werde bei seiner Unterstützung für die kurdische Regionalregierung „bis an die Grenze des rechtlich und politisch Möglichen gehen“.[2]

Eine neue innerwestliche Arbeitsteilung

Der Beschluss der EU-Außenminister vom vergangenen Freitag, Waffenlieferungen einzelner EU-Staaten an die kurdische Regionalregierung ausdrücklich willkommen zu heißen, steht in einem strategischen Kontext, der weit über den Kampf gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) hinausreicht. Die EU-Außenminister haben am Freitag eine „europäische Verantwortung“ anerkannt, „mit dem Irak in unserem gemeinsamen Kampf gegen Terrorismus zu kooperieren“.[3]
Das entspricht der Absicht, die EU solle in der innerwestlichen Aufgabenteilung mit den Vereinigten Staaten stärkere Kontrollfunktionen in Nordafrika und Mittelost übernehmen. Weil die USA sich langfristig auf die Konkurrenz gegen China konzentrieren wollen und daher ihren weltpolitischen Schwerpunkt nach Ost- und Südostasien verlagern („pivot to Asia“, german-foreign-policy.com berichtete [4]), streben sie in anderen Weltregionen Entlastung durch Berlin und Brüssel an.
In Berlin wird dieser Wunsch, der neue Chancen für die deutsch-europäische Machtentfaltung bietet, durchaus wohlwollend aufgenommen.
„Deutsche Sicherheitspolitik“ solle sich „in erster Linie auf das zunehmend instabil werdende europäische Umfeld von Nordafrika über den Mittleren Osten bis Zentralasien konzentrieren“, hieß es im Oktober in einem Strategiepapier der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) – „nicht zuletzt, um die amerikanischen NATO-Verbündeten im Zuge ihres wachsenden Engagements in Asien zu entlasten“.[5]

Ein Signal an die USA

Entlastung für die Vereinigten Staaten hat vergangene Woche Guido Steinberg, ein Mittelost-Experte der SWP, ausdrücklich als Motiv für die Forderung genannt, die EU und ihre Mitgliedstaaten müssten im Irak stärker aktiv werden.
„Aus rein militärischer Sicht werden die Europäer nicht gebraucht“, erklärt Steinberg ganz offen: Die US-Streitkräfte seien „mit wenigen Flugzeugen sehr gut in der Lage“, Luftangriffe auf Stellungen des IS zu fliegen. „Auch Waffenlieferungen könnten die Amerikaner problemlos alleine leisten.“[6]
„Politisch“ sei es jedoch „durchaus wichtig, dass die Europäer ihre Unterstützung bei den Luftangriffen und bei der Aufrüstung der kurdischen Armee anbieten“. Immerhin sei „die Nachbarschaft der Europäer betroffen“: „Die Europäer könnten zeigen, dass sie sich um ihre Nachbarschaft im Südosten genauso kümmern wie um die im Osten.“ Ein deutsch-europäisches Eingreifen gegen den IS wäre „ein Signal an die USA“, dass man zu stärkeren eigenen Aktivitäten bereit sei.

Genozid als Argument

Der strategische Kontext bildet auch den Hintergrund für das Vorpreschen diverser Politiker bei der Aufrüstung der irakisch-kurdischen Streitkräfte – und darüber hinaus bei der Frage, ob die Bundeswehr nicht an Militärschlägen gegen den IS teilnehmen solle.
Eine Ausweitung deutscher Militärinterventionen ist Gegenstand einer Kampagne, die das Berliner Establishment seit dem Herbst 2013 nicht zuletzt mit Hilfe von Bundespräsident Joachim Gauck vorantreibt (german-foreign-policy.com berichtete [7]).
Eine Umfrage der Hamburger Körber-Stiftung hat im Frühjahr festgestellt, dass die Zustimmung in der deutschen Bevölkerung für Bundeswehreinsätze vergleichsweise niedrig ist und allenfalls dann gesteigert werden kann, wenn die Einsätze sich gegen eine „Bedrohung von Frieden und Sicherheit in Europa“ richten – oder wenn sie gestartet werden, um „einen Völkermord zu verhindern“.[8]
Die Massenschlächtereien des IS im Irak bieten nun die Chance, einen breit unterstützten Militäreinsatz gegen einen Völkermord zu initiieren und damit die Legitimation für Bundeswehrinterventionen zu erhöhen.

Notsituationen

Tatsächlich nehmen die Forderungen nach deutschen Militärschlägen im Irak zu. Bereits letzte Woche erklärte der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Omid Nouripour, er „glaube, dass die deutsche Öffentlichkeit ein sehr feines Gespür … für Notsituationen“ habe – und „dass sie weiß, dass die Menschen dringend vor den IS-Schlächtern gerettet werden müssen“. Man könne nun „nicht immer alle unangenehmen Aufgaben komplett den USA überlassen“; daher solle „die deutsche Luftwaffe“ sich am US-Einsatz gegen die Stützpunkte des IS beteiligen.[9]
Aktuell heißt es in einem Bericht unter Berufung auf Regierungskreise, die Bundesregierung sei mittlerweile bereit, eine „internationale Mission“ im Norden des Irak zu unterstützen; dafür sei lediglich ein Beschluss des UNO-Sicherheitsrates erforderlich.[10]

Nicht gestellte Fragen

Nicht gestellt wird die Frage, wie es überhaupt zum Vormarsch des IS kommen konnte.
Dabei sind brutale Übergriffe westlicher Staaten – die US-geführte Invasion in den Irak 2003 und die Einmischung in den Syrien-Krieg seit 2011 – wesentliche Ursachen dafür, dass die Gesellschaften des Irak und Syriens so umfassend zerstört wurden, dass die Terrororganisation IS zuletzt fast freie Bahn hatte.

[1] „Größeres Unheil verhindern“. www.taz.de 11.08.2014.
[2] „Wir dürfen bei Völkermord nicht tatenlos zuschauen“. www.faz.net 17.08.2014.
[3] Council conclusions on Iraq. Brussels, 15 August 2014.
[4] S. dazu Das pazifische Jahrhundert.
[5] Neue Macht – Neue Verantwortung. Elemente einer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik für eine Welt im Umbruch. Ein Papier der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und des German Marshall Fund of the United States (GMF), Oktober 2013. S. dazu Die Neuvermessung der deutschen Weltpolitik.
[6] Interview: „Europa sollte USA bei Luftangriffen gegen IS und Aufrüstung der Kurden helfen“. www.swp-berlin.org 12.08.2014.
[7] S. dazu Schlafende Dämonen, Die Neuvermessung der deutschen Weltpolitik, Die Weltpolitik-Kampagne der Eliten und Die Eliten wollen mehr.
[8] Einmischen oder zurückhalten? Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage von TNS Infratest Politikforschung zur Sicht der Deutschen auf die Außenpolitik. Hamburg, Mai 2014.
[9] Grünen-Außenpolitiker Nouripour zum Irak: „Deutsche Luftwaffe könnte den US-Einsatz unterstützen“. www.spiegel.de 13.08.2014.
[10] Waffenlieferungen an Kurden: Gabriel will bei Völkermord im Irak nicht tatenlos zusehen. www.spiegel.de 17.08.2014.

 

Jochen

Wer Waffen schickt, gießt Öl ins Feuer ! Will Gabriel beim Morden mitmachen ?

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Auf SPIEGEL Online:

Gabriel2017Gabriel will bei Völkermord im Irak nicht tatenlos zusehen

Im Ernst, möchte er gerne beim Morden mitmachen – indem er Waffen dahin liefern lässt ?
Was glaubt er wohl, wofür diese Waffen dann, wie alle anderen, verwendet werden sollen ?
Dazu Jürgen Grässlin:
http://www.neues-deutschland.de/artikel/942590.wer-waffen-schickt-giesst-oel-ins-feuer.html

Sollen Kämpfer der irakischen Armee und der kurdischen Peschmerga gegen mordende Terroreinheiten des Islamischen Staates (IS) auch mit deutschen Waffen hochgerüstet werden?
Kann man Rüstungsexporte verbieten, selbst wenn Völkermord droht? Oder andersherum gefragt:
Wird mit Waffenlieferungen an Schiiten und Kurden im Irak nicht ein todbringender Konflikt weiter angeheizt?

Der Wind hat sich gedreht, in einer einzigen Woche. Am vergangenen Sonntag verkündete der GRÜNEN-Vorsitzende Cem Özdemir seine Erkenntnis, wonach der drohende Genozid an Jesiden mit Yogamatten nicht zu stoppen sei.
Tags darauf weckte Regierungssprecher Steffen Seibert noch die Hoffnung, die Bundesregierung werde keine Rüstungsexporte in das Pulverfass Irak genehmigen.
Am Dienstag schon ruderten Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in die entgegengesetzte Richtung: Waffentransfers an die irakische Armee könnten nicht mehr kategorisch ausgeschlossen werden.
Gabriel schloss gar Kriegswaffentransfers an kurdische Peschmerga-Kämpfer nicht aus.

Jesidische Tragödie im Nordirak

Im Nordirak spielt sich ein schrechlicke Tragödie ab. Nach einem Überraschungsangriff der Kämpfer vom Islamischen Staat (IS) sind jesidische Kurden in die Bergregion von Sindschar nahe der syrischen Grenze geflohen. Ihr Schicksal ist offen, Deutschland könnte helfen.
Über die Frage, wie die Hilfe aussehen soll, ist eine Debatte ausgebrochen. Mehr

Die Tür zu diesem rechtlich mehr als gewagten Gedanken hatte ihm LINKE-Fraktionschef Gregor Gysi geöffnet, der in der tageszeitung (taz) auf die Frage nach den Mitteln zu einem Stopp der IS öffentlich verkündete: Er sei strikt gegen Waffenexporte.
»Da aber Deutschland ein wichtiges Waffenexportland ist, könnte in diesem Ausnahmefall ein Waffenexport dorthin dann statthaft sein.«

Die Forderung an die Politik nach forcierten deutschen Rüstungsexporten, nicht in Richtung Irak, wird seit Monaten lautstark erhoben.
Hinter diesem Disput steckt eine Industrie, der – angesichts gewaltiger Überkapazitäten – das Wasser bis zum Hals steht.
Dabei ist das Szenario von Massenexekutionen und drohendem Völkermord nicht neu. Schlimmer noch: Traurigerweise trifft es im Moment auf mehrere Regionen der Welt zu. Im Sudan und Südsudan, in Somalia, im Irak und in Syrien beispielsweise wird seit Jahren massenhaft gemordet, vielfach mit deutschen Kriegswaffen.
Dorthin allerdings ist es selbst hiesigen Regierungspolitikern nicht einsichtig, warum Deutschland weitere Waffen liefern soll.
Denn Kriegsgerät gibt es dort schon viel zu viel. Die führenden Rüstungsexportnationen beliefern weltweit »befreundete« Staaten mit Kriegswaffen.
Die Empfängerländer ihrerseits liefern das Kriegsgerät unbehindert und unkontrolliert weiter, auch an sogenannte »Terroreinheiten« – die IS ist ein Beispiel unter vielen. Von den Empfängerländern werden Endverbleibserklärungen unterzeichnet, der Verbleib der Waffen im jeweiligen Land wird jedoch nicht im mindesten kontrolliert.
Mit dem Rückzug der schiitischen Regierungseinheiten gelangten sunnitische IS-Kämpfer in den Besitz modernster US-amerikanischer Kriegswaffen.

Selbstverständlich müssen in diesen Wochen Zehntausende notleidender Jesiden und Christen Aufnahme finden in Nachbarländern, wie der Türkei.
Und selbstverständlich muss die internationale Staatengemeinschaft alles Menschenmögliche – und weitaus mehr als bisher – zugunsten der schutzbietenden Staaten und der schutzsuchenden Menschen unternehmen. Doch Flüchtlingshilfe in den Grenzregionen der Kriege und Konflikte ist ein milliardenteures Geschäft.
Die Vereinten Nationen und die humanitären Hilfsorganisationen erhalten zur Bewältigung dieser Mammutaufgabe lediglich Brosamen im Vergleich zu den Zuwendungen an eine weltweit noch immer profitierende Rüstungsindustrie.

Hierzulande, aber auch in anderen europäischen Militärmächten, schwelt angesichts schrumpfender Militäretats ein Kampf um Einfluss, Macht und richtig viel Geld.
Die Diskussion um deutsche Kriegswaffenlieferungen – diesmal an die Gegner von IS – offenbart einen seit Jahren schwelenden Richtungsstreit, ob die Bundesregierung weiterhin hemmungslosen Waffenhandel genehmigen oder die Konversion der Rüstungsindustrie fördern will. Die Rüstungsindustrie scharrt heftig mit den Hufen.
Ungeachtet der desaströsen Menschenrechts- und Sicherheitslage würden die Panzerbauer Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall Leopard-2-Kampfpanzer nur allzu gern an das wahhabitische Herrscherhaus in Riad liefern.
Airbus plant, Kampflugzeuge des Typs Eurofighter Typhoon mit Sidewinder-Raketen von Diehl an den Oman zu verkaufen.
Die Marineeinheiten Israels und anderer Länder wollen weitere Kriegsschiffe von ThyssenKrupp Marine Systems erhalten …

Rüstungsexporte an menschenrechtsverletzende Regimes zu unterbinden – der Diskurs darüber sollte endlich öffentlich geführt werden.
Das Thema zum Thema gemacht hat die Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!«, in der sich die Friedens-, Menschenrechts-, Flüchtlings- und Globalisierungsbewegung mit den beiden großen christlichen Kirchen und humanitären Hilfswerken zu einem bislang einmaligen Bündnis von weit mehr als 100 Organisationen zusammengeschlossen hat.
Nicht länger nimmt eine zunehmend kritische Öffentlichkeit Kriegswaffentransfers an Repressoren und Kriegstreiber, an Menschenrechtsbrecher und Massenmörder stillschweigend hin. Hinter der Aufschrei-Kampagne steht die überwiegende Mehrheit der Deutschen.
Denn beachtliche 78 Prozent aller Befragten votierten in einer repräsentativen Meinungsumfrage von Emnid für einen völligen Stopp von Rüstungsexporten.
Sie fordern eine Abkehr vom Waffenhandel und die Konversion der Todesindustrie.

Und das mit Fug und Recht. Denn kein anderer Bereich der deutschen Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik ist tödlicher als der der Kriegswaffenexporte.
Die Opfer deutschen Waffenhandels gehen in die Millionen. Tatsächlich Millionen? Zweifelsfrei!
Allein durch Kugeln aus dem Lauf von Heckler & Koch-Gewehren sind aufgrund jahrzehntelanger Direktexporte und Lizenzvergaben zum Nachbau in Staaten wie Iran, Pakistan, Saudi-Arabien, der Türkei und Mexiko bisher mehr als zwei Millionen Menschen ums Leben gekommen.
Weitaus mehr Menschen überlebten den Kugelhagel – zeitlebens verstümmelt und traumatisiert, wie ich durch meine Vor-Ort-Recherchen in Krisen- und Kriegsgebieten belegen kann.

Das Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) schreibt in Paragraf 6 vor, dass die Exportgenehmigung »zu versagen« ist, wenn »die Gefahr besteht, dass die Kriegswaffen bei einer friedensstörenden Handlung« verwendet werden.
Ergänzend verabschiedete Rot-Grün im Januar 2000 die bis zum heutigen Tag gültigen Politischen Grundsätze zum Rüstungsexport als Richtlinie der Bundesregierung. Darin wird unmissverständlich vorgegeben, dass der Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungs- und Endverbleibsland bei den Entscheidungen über Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern »besonderes Gewicht beigemessen« werden muss.

Bundeskanzlerin Angela Merkel avancierte zur Toptäterin deutschen Waffenhandels. Als Vorsitzende des geheim tagenden Bundessicherheitsrats (BSR) verantwortet sie die Ausfuhrgenehmigungen an besonders brisante Staaten in Krisen- und Kriegsgebieten.
Laut aktuellem Rüstungsexportbericht schreckte die CDU/CSU/FDP-geführte Bundesregierung 2013 nicht einmal vor Waffentransfers an astreine Diktaturen und Staaten im Krieg zurück.

Die schwarz-gelbe Bundesregierung steigerte den Waffenhandel im vergangenen Jahr in den entscheidenden Segmenten auf schier unglaubliche Rekorde.
Die Einzelausfuhrgenehmigungen erklommen das neue Allzeithoch von 5,8 Mrd. Euro.
Dass mit 62 Prozent fast zwei Drittel der Einzelausfuhrgenehmigungen für die besonders problematischen »Drittländer« außerhalb der NATO erteilt wurden, belegt die Tragweite des Desasters. Zu den führenden Empfängerländern deutscher Kriegswaffen zählen die menschenrechtsverletzenden Regimes in Algerien, Katar, Saudi-Arabien und Indonesien.

Schlichtweg skandalös sind auch die Ausfuhrgenehmigungen so genannter Kleinwaffen. Mit 82,63 Millionen Euro wurde – in der angesichts der Opferzahlen tödlichsten aller Waffengattungen – ein historischer Höchstwert erreicht.
Auch hier gilt: Mehr als die Hälfte der Pistolen und Maschinenpistolen, Sturm-, Maschinen- und Scharfschützengewehre wurden für Drittländer genehmigt.

Vor der Bundestagwahl 2013 versprachen führende Sozialdemokraten, dass im Fall ihrer Regierungsbeteiligung die unter Rot-Grün im Januar 2000 verabschiedeten und seither gültigen Politischen Grundsätze zum Rüstungsexport zum maßgeblichen Entscheidungskriterium für Waffenhandel erhoben würden.
Zukünftig soll die Menschenrechtslage im Bestimmungs- und Endverbleibsland für Exportgenehmigungen ausschlaggebend sein. Im Bundessicherheitsrat stellt die SPD immerhin den Bundesaußenminister, der zugleich Vizekanzler ist, den Bundesjustiz- und den Bundeswirtschaftsminister. Dessen Ressort verantwortet maßgeblich die Rüstungsexportkontrolle.

Die Empörung der Gegenseite ist gewaltig. Die Widerstandsfront der ewig Gestrigen reicht von der Rüstungskanzlerin mit ihren fünf CDU/CSU-Ministern im BSR und CSU-Ministerpräsident Horst Seehofer im Rüstungsland Bayern über den einflussreichen Bund der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) bis hin zu Gewerkschaftern der IG Metall in den Waffenschmieden. So haben 20 Betriebsräte rüstungsexportierender Unternehmen einen medial vielbeachteten Brief verfasst.
Die Arbeitnehmervertreter fordern Planungssicherheit, will heißen neue Rüstungsausfuhrgenehmigungen zur Arbeitsplatzsicherung.

Anmerkung: Die beste Planungssicherheit ist durch Konversion der Produktion zu Nicht-Rüstungsgütern gegeben, s.u. !

Auf die schwarz-rote Bundesregierung warten zwei zentrale Aufgaben. Zum einen müssen Kriegswaffenausfuhren und Lizenzvergaben an menschenrechtsverletzende Staaten verboten werden. Zum anderen – und hier geht es ans Eingemachte – müssen bereits bestehende Verträge und Vorverträge gekündigt werden.

Allein mit der menschenrechtsverletzenden Regierung des algerischen Staatschefs Bouteflika hatte die von Angela Merkel und Philipp Rösler geführte Bundesregierung von CDU/CSU und FDP in der letzten Legislaturperiode Waffenlieferungen im Wert von rund zehn Milliarden Euro vereinbart. Die allerersten dieser Ausfuhren katapultieren Algerien aktuell auf Platz eins deutscher Empfängerländer für Kriegswaffen.
Will Gabriel sein Wahlversprechen einlösen, muss er also auch veranlassen, dass bereits geschlossene Verträge der christlich-liberalen Vorgängerregierung mit Militärs in den Krisen- und Kriegsregionen der Welt gekündigt werden. Gemäß Paragraf 7 des KWKG kann eine bereits erteilte Genehmigung »jederzeit widerrufen werden«.
Der Inhaber der Genehmigung ist anschließend »vom Bund angemessen in Geld zu entschädigen«, so Paragraf 9. Das kostet Geld – sinnvoll angelegtes Geld.

Ein weiteres schlagkräftiges Argument hat Gabriel bereits selbst in die Diskussion eingebracht: Nach erfolgten Waffenlieferungen oder Lizenzvergaben folgen zuweilen Bundeswehrsoldaten, um mit militärischen Mitteln »alles wieder zu befrieden«. In der Folge stünden deutsche Soldaten feindlich gesinnten Kombattanten mit zuvor gelieferten »deutschen Waffen gegenüber«.
Vormals so geschehen in Somalia, aktuell in Afghanistan. Dort schießen Taliban mit soliden Schnellfeuergewehren des Typs G3 aus der pakistanischen Lizenzfertigung auf Soldaten der Bundeswehr. Diese kämpften ihrerseits mit neuen G36-Sturmgewehren, gleichfalls entwickelt im Hause Heckler & Koch.

Der Schlüssel einer zukunftsfähigen Bundesrepublik liegt in der Rüstungskonversion, der Umstellung auf eine verantwortbare Fertigung ziviler Produkte, beispielsweise in der Medizin- und Umwelttechnik. In diesen innovativen Bereichen können weitaus mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, als die vergleichsweise geringe Zahl von rund 100 000 in der Rüstungsindustrie.

GraesslinJürgen Grässlin ist Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD), Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.) und der Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!«.

Er ist Autor zahlreicher kritischer Sachbücher über Rüstungsexporte sowie Militär- und Wirtschaftspolitik. Zuletzt verfasste er das »Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deutschland am Krieg verdient«.
Grässlin wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem »Aachener Friedenspreis«.

Dazu ein KOMMENTAR VON ANDREAS ZUMACH ÜBER WAFFEN FÜR DIE KURDEN IM IRAK :

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=a1&dig=2014/08/14/a0065&cHash=d751728f08619dc44f275bd7a30a7ebf

Auszüge:

 Gute Gründe gegen einen Rüstungsexport

Es gehört zu den Grundsätzen dieser Bundesregierung und aller Vorgängerregierungen, keine Waffen in Krisengebiete zu liefern.“ Diese Behauptung von Kanzlerinsprecher Seibert und Militärministerin von der Leyen ist eine freche Lüge.
Das belegen die Statistiken der bundesrepublikanischen Rüstungsexporte – seit 1971, seit die Regierung Brandt erstmals Grundsätze zum Verbot solcher Exporte in Krisen- und Spannungsgebiete beschloss.

Solange die Regierung Merkel lediglich mit dieser scheinheiligen Lüge zu begründen versucht, warum sie bislang neben humanitären Hilfsgütern nur „nichttödliche“ militärische Ausrüstung an die kurdischen Truppen im Nordirak liefern will, wird die in- und ausländische Kritik an der „Halbherzigkeit“ oder „falschen Zurückhaltung“ Deutschlands weiter zunehmen. Zumal seit nach den USA gestern auch Frankreich die Lieferung von angriffsfähigen Waffen angekündigt hat.

Tatsächlich sprechen triftige Gründe gegen jegliche Rüstungsexporte in den Irak, insbesondere die Erfahrungen der letzten knapp 50 Jahre.
Ab 1978 rüsteten Deutschland, andere Nato-Staaten und die Sowjetunion gemeinsam den laizistischen Diktator Saddam Hussein für seinen 1. Golfkrieg gegen den islamischen Iran auf.
Nach dem 2. Golfkrieg 1991 wurden bis heute miteinander konkurrierende kurdische Gruppen im Nordirak aufgerüstet.
Und nach dem 3. Golfkrieg 2003 folgte zunächst die wechselseitige Aufrüstung sunnitischer und schiitischer Milizen durch die US-Besatzer zwecks gegenseitiger Vernichtung als „Terroristen“ und schließlich die Aufrüstung der irakischen Armee.
Aus deren Arsenalen mit US-Waffen bediente sich wiederum die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS), die zudem schon seit ihrem Auftreten im syrischen Bürgerkrieg Finanz- und Militärhilfe von den in Berlin und Washington als Bündnispartner betrachteten Staaten Saudi-Arabien und Katar erhält. Eine wahre Erfolgsgeschichte der Destabilisierung eines Landes und seiner Nachbarregion, der schon Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind.

Weder Rüstungsexporte noch US-Luftangriffe werden den IS aufhalten und die von ihm bedrohten Menschen wirksam schützen. Dazu wäre – wenn überhaupt – nur eine von der UNO mandatierte Bodentruppe unter Beteiligung von Soldaten möglichst aller fünf Vetomächte des Sicherheitsrates in der Lage.

Weder Waffenausfuhren noch US-Luftangriffe werden die Terrormiliz IS aufhalten !

Jochen