Der vereitelte Reichsbürger-Putsch ein amüsanter PR-Coup der Behörden – Was wusste der Verfassungsschutz ?

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

In der Berliner Zeitung wird die Sache als amüsant bezeichnet – Thomas Röper hat da schon Bedenklicheres erfahren.
Ich habe mich an das Buch von Elias, Davidsson: „Psychologische Kriegsführung und gesellschaftliche Leugnung“ erinnert.
Der, ursprünglich Musiklehrer, hat in vielen internationalen Gremien mitgearbeitet und ist erst vor kurzem verstorben.
Misstrauisch wurde er nach der fehlenden Aufklärung der Attentate vom 9.11.2001 und hat 10 Kritierien erarbeitet, um die Wahrscheinlichkeit zu bestimmen, ob ein Terrrorakt eine staatliche Inszenierung ist.
Siehe dazu sein letztes Interview mit Markus Fiedler vom Februar 2022, nachdem sein Wikipedia-Eitrag von der Transatlantifa verunstaltet wurde:
https://wikihausen.de/2022/02/17/elias-davidssons-lebenswerk-und-was-wikipedia-daraus-gemacht-hat-interview-68-wikihausen/

Aber zunächst auszugsweise aus der Berliner Zeitung
https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/warum-die-vereitelung-reichsbuerger-putsches-vor-allen-ein-amuesanter-pr-coup-der-behoerden-war-li.295380

Warum der vereitelte Reichsbürger-Putsch vor allem ein amüsanter PR-Coup der Behörden war

Die Razzia gegen den Prinzen und seine Rentner-Revolte soll der „größte Anti-Terror-Einsatz in der BRD-Geschichte“ gewesen sein.
Dabei wurden nur 25 vergreiste Verwirrte festgenommen.

Von Jesko zu Dohna

Erst einmal, die gestrige Aktion gegen die Reichsbürger-Clique um den 71-jährigen Heinrich (genannt Riko) Prinz von Reuß und seine 24 Mitverschwörer war ein voller Erfolg. Denn extremistische Umtriebe, die unsere staatliche Ordnung aufs Korn nehmen, sind wirklich nicht okay. Deswegen ist es auch gut, dass unsere Sicherheitsbehörden seit NSU und Anis Amri jetzt entschiedener gegen verfassungsfeindliche Machenschaften vorgehen wollen. Und das scheinbar auch wirklich tun.

Es ist immer wichtig genau hinzuschauen. Verwirrten Greisen und echt gefährlichen Gesellen sollten etwa konsequent der Jagdschein, die Schusswaffen und der Führerschein abgenommen werden. So hätte etwa der Mord von Kusel, bei dem Wilderer zwei Polizisten mit kalter Hand ermordeten, verhindert werden können.
Auch versteht es sich von selbst, dass jegliches extremistisches Gebaren (Stichwort: Attila Hildmann) bei Facebook, in Telegram-Gruppen oder sonst wo konsequent überwacht werden muss. Deswegen ist es auch gut, dass der Prinz und seine Bande jetzt in Untersuchungshaft sitzen.

Wer allerdings die Berichterstattung des vergangen Tages als stiller Beobachter verfolgt hat, der wurde dann doch ein wenig befremdet und auch amüsiert vom Zusammenspiel zwischen Behörden, Medien und der sogenannten Twitter-Öffentlichkeit.
Denn die ganze Aktion wirkt nicht wie die Vereitelung eines bevorstehenden Staatsstreichs, der die Bundesrepublik in ihren Grundfesten hätte erschüttern können, sondern wie ein gut orchestrierter PR-Stunt des Bundesinnenministeriums und der Sicherheitsbehörden.

Warum wussten alle Medien seit zwei Wochen Bescheid?

Normalerweise, wenn etwas sehr Gefährliches passiert in diesem Land, arbeiteten Behörden besonders diskret. Da treten schwarz gekleidete Polizisten nachts die Tür ein und holen Verbrecher aus dem Bett. Warum? Damit sich die Brüder weder absetzen, Beweismittel verschwinden lassen noch größeres Unheil anrichten können. Das ist nur logisch.
Am Mittag gibt es dann meist eine kurze Polizeimeldung und in den Tagen danach werden die weiteren Hintergründe vom Spiegel aufgeklärt.
Im Falle unseres Reichsbürger-Putsches, der die „BRD GmbH“ (das ist Reichsbürger-Sprech) gewaltsam in eine Art Monarchie umwandeln sollte, ist das Ganze ein bisschen anders verlaufen. Denn die ersten Artikel zur Razzia waren keine Meldungen, sondern bereits Hintergrundstücke, die bei Bild von acht und beim Spiegel von sechs Autoren – darunter die wichtigsten Investigativ-Reporter des Magazins – geschrieben wurden.

Zudem waren auch alle großen TV-Stationen des Landes quasi live dabei. Und dokumentierten, wie viele der Gestalten in Handschellen und mit Maske aus ihren Häusern geführt wurden. Die Behörden haben die wichtigsten Medien schon zwei Wochen vor der bevorstehenden Aktion informiert.
Das bestätigte auch die Linke-Bundestagsabgeordnete und Extremismus-Expertin Martina Renner gegenüber n-tv: „Ich selbst wusste seit Mitte letzter Woche bereits davon und weiß außerdem von mehreren Medien, die schon seit zwei Wochen Kenntnis hatten. Es waren die Namen der Beschuldigten bekannt, ihre Adresse und der geplante Zeitpunkt des Zugriffs.“

Eine ehemalige AfD-Abgeordnete mit fettigen Haaren

Nun darf man den Medien hier keinen Vorwurf machen. Schließlich kostet es in der heutigen Zeit viel Schweiß, Arbeitszeit und Geld selbst eigene Stories zu recherchieren.
Da ist so eine Geschichte natürlich sehr willkommen. Und der ganze Plot hat alles. Einen abgehalfterten und schillernden Nachfahren eines Kleinst-Fürstentums in Tweedjacke und Cordhose als potenzielles Staatsoberhaupt, eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin mit fettigen Haaren und irrem Blick, aktive und ehemalige Angehörige der Bundeswehr, ausgespähte Kasernen, mögliche Waffenlager, ein kitschiges Jagdschloss in Thüringen und unheimliche Reichsbürger. Wenn das nicht klickt, dann weiß ich auch nicht.

Um der ganzen Geschichte bei den von Inflationsangst und Gaspreisen etwas abgelenkten Bürgern noch ein bisschen Nachdruck zu verleihen, war die ganze Aktion für fast alle „der größte Anti-Terror-Einsatz in der Geschichte der BRD“. 3000 Polizisten, Aktionen in Deutschland, Österreich und Italien und 25 verhaftete Verschwörer.
Donnerwetter, Demokratie gerettet. Das Problem ist nur, eine echte staatszersetzende Gefahr ist von den Verschwörern um den Prinzen zu keinem Zeitpunkt ausgegangen.

Klar, um Reichsbürger zu verhaften, dafür braucht man ein paar mehr Beamte und auch die schweren Einheiten. Schließlich erschießen Reichsbürger gerne mal Polizisten durch die geschlossene Wohnungstür. Aber die reine Anzahl der eingesetzten Beamten sagt natürlich nur bedingt etwas über die Qualität der ganzen Tat aus.

Die Putschisten: Rentner und Pensionäre

Vielmehr handelte es sich bei dem Staatsstreich um ein schlecht geplantes Rumgestümper vieler verschrobener Dilettanten. Das macht keine Angst und bringt einen höchstens zum Lachen. Es geht schon damit los, wie die Vorgärten und Häuser der Verhafteten – übrigens mehrheitlich Rentner und Pensionäre vom Typ Turnbeutelvergesser – aussehen: unordentlich, verdreckt und alles andere als elitär.
Da fällt mir der passende Spruch meiner Englischlehrerin in der 5. Klasse ein: „So wie Deine Hefte und Dein Schreibtisch aussehen, so sieht es auch in Deinem Kopf aus.“

Jetzt werden Sie wahrscheinlich einwenden, dass es doch ziemlich bedenklich ist, dass schon wieder ein Angehöriger der Elitetruppe der Bundeswehr KSK mit dabei war.
Das hört sich natürlich schlimm an, schließlich handelt es sich beim KSK um eine bis an die Zähne bewaffnete Elitetruppe, die auf der ganzen Welt – teilweise verdeckt – in lebensgefährlichen Einsätzen die deutsche Bündnispflicht erfüllt.

Doch ein kurzer Anruf bei einem aktiven Angehörigen* des Kommandos Spezialkräfte lässt auch diese Nachricht schnell in sich zusammenfallen. Denn der Informant sagt, es sei doch bei allen Fällen von Extremismus bisher fast immer so gewesen: Die Typen waren Spinner und waren noch vor ihrer Enttarnung ziemlich isoliert in der Einheit.

Die GSG9 enttarnt einen KSK-Soldaten in Calw

Zum aktuell von der GSG9 in Calw festgenommenen Kameraden Andreas M. sei Folgendes bekannt: „Der Mann war kein Kämpfer, sondern ein Stabsunteroffizier, der nur in der Logistik gearbeitet hat. Wenig schießen, viel SAP und Kaffeekochen.“
Der Mann habe wenig bis gar keine Verantwortung und Kontakt zu echten Kommandosoldaten gehabt. Sein Spezialgebiet sei Materialversand und Management für die Auslandseinsätze gewesen. „Bedrohung, eher gering bis nicht vorhanden“, so die Einschätzung des Soldaten.

Und auch wenn der Reußenprinz durch seine joviale Weltgewandtheit und seinen Stil viele Verschwörer überzeugen konnte, so wäre die ausgewählte Staatsform mit dem Prinzen – dessen Gedankenwelt und Absichten schon seit mindestens 14 Jahren auf YouTube gut dokumentiert sind – als eine Art Kaiser an der Spitze des Deutschen Reiches bei der Mehrheit der Bevölkerung wohl wenig anschlussfähig gewesen.
Und so spürten viele der rund 80.000 Adligen (rund 0,1 Prozent der Bevölkerung) gestern für einen kurzen Moment schon den kalten Stahl der Guillotine in ihrem Nacken.

Denn auf Twitter wurde ziemlich deutlich, dass die Aufständler wohl wenig Rückhalt in der Bevölkerung gehabt hätten.
So twitterte ein relevanter User: „Adelsstatus geht mit signifikant erhöhter Wahrscheinlichkeit für staatsfeindliche Gesinnung einher. Vorschlag: Adel enteignen und abschaffen. Ist einer Demokratie unwürdig und wäre Teil einer historischen Wiedergutmachung.“

Georg Prinz von Preußen ist wie Arno Dübel

Ein aussichtsloser Plan, für den man zumindest Georg Prinz von Preußen, Kaiserenkel und Chef des Hauses Hohenzollern, hätte einspannen können. Doch vom Preußen-Prinzen – der ohne Kriege heute Kaiser wäre – ist aufrührerisches Verhalten nicht dokumentiert.
Er hat wie alle (vor allem lange verarmten und vertriebenen) Adligen verstanden, dass man sich heute im mittleren Management beweisen oder im schlimmsten Fall Journalist werden muss, statt sich in Revanchismus zu üben.
Und was seinen kleinen Zwist mit der Bundesregierung wegen ein paar Immobilien und Kunstobjekte angeht, geht es ihm wie Deutschlands berühmtestem Arbeitslosen Arno Dübel: Er möchte Geld vom Staat und in Ruhe gelassen werden. Ob das rechtens ist, müssen in beiden Fällen Gerichte entscheiden.

In der Geschichte gibt es also außer den Verhafteten nur Gewinner: Nancy Faeser hat nach ihrem One-Love-Armbinden-Debakel in Katar einen PR-Sieg gelandet, die Medien haben ihre Geschichte, Putsch und Revolution fallen aus und die Adligen müssen sich in den nächsten Wochen ein paar investigative Spiegel-Geschichten wie „So tickt der Adel“ oder „Das geheime Netzwerk des Adels“ gefallen lassen. Auch das kann Spaß machen.

Die Medien haben Attila Hildmann groß gemacht

Und die Moral von der Geschichte: Ein bisschen weniger Lametta hätte es bei der Geschichte auch getan. Eine Meldung wie „Facebook-Gruppe ‚Staatsstreich‘ vom Verfassungsschutz hochgenommen, zwei Pistolen und eine Drillingsbüchse eingesammelt“. Das hätte doch gereicht. Denn eins muss man wissen, je höher man die kruden Machenschaften der Reichsbürger hängt, desto mehr spinnerte Menschen treibt man in ihre Arme.

Das gleiche Phänomen hat man zum Beispiel bei Attila Hildmann während der Pandemie gesehen. Niemand außer die Leser seiner veganen Kochbücher kannte den Mann. Aber die Medien jazzten einen Idioten zum gefährlichen Volksfeind hoch.
Und so hat der Stern damit im Grunde den Grundstein für seine eigene etwas übertriebene Reportage („Attila Hildmann. Von Interpol gesucht, vom Stern gefunden“) gelegt. So geht Journalismus heute.
P.S. Im Jagdschloss Waidmannsheil von Prinz Reuß in Bad Lobenstein suchten die Behörden gestern nach einem Waffenlager.
Anmerkung der Redaktion: Bei dem Gebäude handelt es sich um einen einstöckigen Bau mit nur zwei Räumen. Ob das Haus über einen Waffenschrank für die Jagdwaffen des Hausherrn verfügt, ist nicht bekannt.

Und hier auszugsweise Thomas Röper: https://www.anti-spiegel.ru/2022/insider-verfassungsschutz-wahrscheinlich-in-angeblichen-putschversuch-involviert/

Insider: Verfassungsschutz wahrscheinlich in angeblichen „Putschversuch“ involviert

th roeper

th roeper

Beim Anti-Spiegel hat sich ein Insider gemeldet, der Informationen über die Hintergründe des angeblichen Putschversuches und die beteiligten Personen kennt.

Bei mir hat sich ein Insider gemeldet, zu dem ich schon seit einiger Zeit Kontakt habe, der die an dem angeblichen „Putschversuch“ beteiligten Personen und deren Hintergründe kennt. Dabei handelt es sich um einen AfD-Insider, der allerdings mit der Partei seit einiger Zeit nichts mehr zu tun hat.

An dieser Stelle muss ich anmerken, dass sich im Laufe der Jahre mehrere Politiker bei mir gemeldet haben, die im Bundestag sitzen oder gesessen haben oder anderweitig höhere Positionen in ihren Parteien innehatten. Dabei handelt es sich ausschließlich um Mitglieder von AfD und Die Linke.
In der Regel nehme ich das, was sie mir erzählen, als Hintergrundinformationen, über die ich nicht berichte, die mir aber beim Verständnis verschiedener Vorgänge sehr helfen.

In diesem Fall hat meine Quelle mir jedoch erlaubt, über das, was sie mir über den „Putschversuch“ und die Beteiligten erzählt hat, zu berichten. Ich weise daher ausdrücklich darauf hin, dass ich das meiste, was ich hier schreibe, nicht verifizieren konnte, aber ich halte die Quelle für vertrauenswürdig. Was ich verifizieren konnte, habe ich mit Quellen versehen.

Der „Putschversuch“

Ich habe bereits einen Artikel über den „Putschversuch“ geschrieben, in dem ich kurz gesagt zu folgendem Ergebnis gekommen bin: Entweder die Version, die Staatsanwaltschaft und Medien verbreiten, stimmt nicht, oder die „Putschisten“ sind strohdoof.

Der Grund ist offensichtlich: Jeder erfolgreiche Putsch, den es in der Geschichte gegeben hat, hatte die Führung der Armee auf seiner Seite.
Die ultimative Macht hat in jedem Staat die Armee, denn sie ist am besten bewaffnet. Bei erfolgreichen Putschen hat die Armee daher entweder die Putschisten gedeckt, indem sie sie hat gewähren lassen, oder sie hat den Putsch selbst durchgeführt. Wenn die Armee gegen einen Putschversuch war, hat sie ihn notfalls gewaltsam niedergeschlagen.
Es gibt kein Beispiel in der Geschichte, für das die einfache Regel „ein Putsch kann nicht erfolgreich sein, wenn die Armeeführung nicht auf der Seite der Putschisten steht“ nicht gilt.

Da aber keine Mitglieder der Bundeswehrführung festgenommen wurden, handelt es sich bei den „Putschisten“ – wenn die offizielle Version der Geschichte stimmt – um ziemlich naive Hanseln. Sie hätten vielleicht in den Bundestag eindringen und sogar ein paar Politiker als Geiseln nehmen können, aber sie wären schnell von GSG9 oder KSK ausgeschaltet worden, wenn sie sich nicht vorher selbst ergeben hätten.

Die Medien waren im Vorwege informiert

Viele deutsche Medien waren offensichtlich im Vorwege über den geplanten Anti-Terroreinsatz gegen die „Putschisten“ informiert, denn viele Medien waren fast von Beginn der Operation an verschiedenen Standorten anwesend und haben live von dort berichtet und die Redaktionen haben so schnell Artikel mit Hintergrundinformationen zu dem angeblichen „Putschversuch“ und den Beteiligten veröffentlicht, dass jedem, der Artikel schreibt, klar war, dass diese Artikel schon vorher geschrieben waren.
Die Medien haben dabei Informationen veröffentlicht, die von den Sicherheitsbehörden erst später genannt wurden, was ebenfalls zeigt, dass die Medien die Informationen vor den öffentlichen Verlautbarungen bekommen haben.

Dass Medien vor einem Anti-Terroreinsatz gegen die angeblich größte Verschwörung der Geschichte gegen die Bundesrepublik informiert werden, ist undenkbar, denn das würde den Erfolg des Einsatzes gegen die angeblich so gefährlichen „Terroristen“ gefährden. In der Vergangenheit waren Medien nie vor Ort, wenn zum Beispiel Einsätze gegen die RAF durchgeführt wurden.

All das spricht dafür, dass es sich um eine konstruierte Showveranstaltung handelt, die die Öffentlichkeit beunruhigen soll. Oder, wie Julian Reichelt es auf Twitter formuliert hat:

„Unbequeme Wahrheit: Wenn nahezu alle Redaktionen des Landes vorab von einer Geheimoperation wissen, ist es keine Geheimoperation, sondern eine PR-Operation“

Man kann von Reichelt halten, was man will, aber als ehemaliger Chefredakteur der Bild-Zeitung weiß er aus erster Hand, wie der mediale Hase läuft.

Mein Insider hat mich aufgrund meines Artikels über den „Putschversuch“ schriftlich kontaktiert, mir zu meinem Artikel gratuliert, den er sehr zutreffend fand, und er hat mir gesagt, dass er Insiderinformationen über Heinrich XIII. Prinz Reuß und Birgit Malsack-Winkemann hat, die er beide kenne und deren Motive er gut einschätzen könne. Daraufhin haben wir miteinander telefoniert.

Birgit Malsack-Winkemann

Der Insider beschreibt Birgit Malsack-Winkemann als „herzensgute Frau, die keiner Fliege etwas zu Leide tun kann, die allerdings ziemlich chaotisch und unorganisiert“ sei.
Aber in erster Linie sei sie einfach nur ein herzensguter Mensch, der für den angeblichen Putsch als Sündenbock auserkoren wurde.
Dass die Medien sie nun als „gefährliche und bewaffnete Terroristin“ darstellen, sei schlicht Unfug.

Birgit Malsack-Winkemann war Richterin in Berlin und saß in der Legislaturperiode 2017-2021 für die AfD im Bundestag. Nach ihrer Zeit im Bundestag wollte sie auf ihre Stelle als Richterin zurückkehren, woraufhin die Berliner Justizsenatorin den Antrag gestellt hat, sie in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen.
Es kam zu einem Rechtsstreit, den Malsack-Winkemann am 13. Oktober 2022 gewonnen hat, allerdings ist das Urteil noch nicht rechtskräftig.
Das Land Berlin hat zwar angekündigt, Berufung gegen die Entscheidung einzulegen, aber wer die Pressemitteilung über die Urteilsbegründung liest, der stellt fest, dass die Berufung keine Chance auf Erfolg gehabt haben dürfte.

Der Schauprozess

Es handelte sich dabei um einen politischen Schauprozess, der offenbar andere AfD-Abgeordnete einschüchtern sollte. Diese Meinung vertritt meine Quelle und nachdem ich über den Prozess gegen Malsack-Winkelmann recherchiert habe, bin ich geneigt, mich dieser Meinung anzuschließen.
Die Berliner Justizsenatorin hat bei ihrer Klage gegen Malsack-Winkelmann sogar verfassungsmäßig geschützte Rechte von Bundestagsabgeordneten ignoriert, wie man in der Pressemeldung des Gerichts lesen kann:

„Die Äußerungen der Antragsgegnerin im Deutschen Bundestag müssten bei der Bewertung von vornherein außer Betracht bleiben. Nach dem Grundgesetz dürften Abgeordnete nämlich zu keiner Zeit wegen einer Äußerung im Bundestag gerichtlich oder dienstlich verfolgt werden. Dieser verfassungsrechtliche Schutz vor Verfolgung bleibe nach Ablauf des Mandats erhalten und erstrecke sich auch auf das Zurruhesetzungsverfahren.“

Obwohl die Medien Birgit Malsack-Winkemann als „Rechtsextreme“ darstellen, konnte das Gericht dafür keine Hinweise finden, denn weiter heißt es in der Pressemeldung:

„Etwas anderes gelte zwar für außerparlamentarisches Verhalten einer Abgeordneten, das Zweifel am Einstehen für die freiheitliche demokratischen Grundordnung erwecke. Allein die Mitgliedschaft der Antragsgegnerin in der AfD lasse solche Rückschlüsse nicht zu. Im konkreten Fall reichten darüber hinaus auch weder die Äußerungen der Antragsgegnerin auf Facebook und Twitter hierfür aus noch die Existenz von Fotografien, welche die Richterin mit Angehörigen des sog. Flügels der Partei zeigten.“

Die „Kontaktschuld“, die Politik und Medien gerne bemühen, wenn sie zum Beispiel jemandem ein Foto als Sünde auslegen, bloß weil man dort mit den „falschen“ Leuten abgelichtet wurde, funktioniert zwar medial und politisch, um jemanden zu diskreditieren und eine Schmutzkampagne loszutreten, aber juristisch ist das nicht haltbar.
Das zeigt das Gerichtsurteil deutlich und das dürften auch höhere Instanzen bestätigen, denn gegen Fotos mit den „falschen“ Leuten gibt es keine Paragrafen.
Und was immer Malsack-Winkemann auf Facebook und Twitter gepostet haben mag, hat zwar ausgereicht, um politisch korrekte Politiker und Journalisten zu empören, aber es war nicht justitiabel, wie das Gericht ebenfalls festgestellt hat.

Malsack-Winkemann durfte nach dem Urteil wieder als Richterin arbeiten. Meine Quelle hält es aus zwei Gründen für undenkbar, dass sie sich an einem Verbrechen beteiligt haben könnte: Erstens passe das nicht zu ihrem Charakter und zweitens war es ihr Ziel, wieder als Richterin zu arbeiten. Dass sie sich auf einen „Operetten-Putsch“, wie meine Quelle es formulierte, einlässt, sei ausgeschlossen, denn nun drohe ihr nicht nur der Verlust des Jobs als Richterin, sondern auch der Verlust ihrer Pension.

Dass sie sich ausgerechnet jetzt, während ihr Verfahren in Berufung geht und sie ohnehin unter besonderer Beobachtung steht, an irgendetwas Illegalem beteiligt hätte, hält meine Quelle für ausgeschlossen. Aber für die Gegner von Malsack-Winkemann ist das eine Entwicklung, wie sie sie sich nur wünschen konnten: Nach dem Vorwurf, sie sei Mitglied einer „Terrororganisation“, die einen „Putsch“ organisiert habe, ist Malsack-Winkelmann beruflich, finanziell und gesellschaftlich erledigt, egal, wie die Geschichte irgendwann ausgeht.

Und außerdem wird allen Insidern – zum Beispiel in der AfD – ein weiteres Mal gezeigt, wie gefährlich es ist, sich in Deutschland allzu regierungskritisch zu äußern.
Denn nochmal: Das Gericht fand an dem, was Malsack-Winkelmann in sozialen Netzwerken gepostet hat, nichts justiziables. Malsack-Winkelmann hat sich – vor den neuen Vorwürfen wegen des „Putschversuches“ – nichts zu Schulden kommen lassen, außer die Regierungspolitik kritisiert zu haben.

Das ist ein deutliches Signal an alle AfD-Abgeordneten, hier wurde wohl ein Exempel statuiert. Diese Meinung vertritt meine Quelle und aufgrund der Fakten, die ich dazu recherchieren konnte, kann ich dem kaum widersprechen.

Heinrich XIII. Prinz Reuß

Meine Quelle kennt Heinrich XIII. Prinz Reuß schon länger. Sie waren demnach nicht befreundet, aber in lockerem Kontakt. Reuß ist per Definition ein Reichsbürger und – laut meiner Quelle – „ein Herzog, der seinen Titel wiederhaben möchte.“
Reuß argumentiert laut meiner Quelle, es gäbe seit 1919 keine gültige Verfassung mehr in Deutschland, weil die Revolution von 1918 juristisch ein Putsch gewesen sei und seitdem keine deutsche Verfassung – weder die Weimarer Verfassung noch die Verfassung der Nazis und auch nicht das Grundgesetz – per Volksabstimmung in Kraft getreten sind.
Ich zitiere nur, wie meine Quelle den Standpunkt von Reuß beschreibt. Ich mache mir diese Argumentation ausdrücklich nicht zu eigen und meine Quelle auch nicht.

Das Ziel von Reuß sei es, einen Friedensvertrag mit den „großen Siegermächten“ zu erreichen und in Deutschland eine Verfassung einzuführen, die per Volksabstimmung in Kraft tritt. Ob Reuß dabei von einer Wiederherstellung der Monarchie träumt, oder wie er dabei seinen Titel als Herzog zurückbekommen (und wohl auch die Rückgabe seiner herzoglichen Eigentümer erreichen) will, haben wir nicht besprochen.

Reuß will einen Friedensvertrag und eine neue Verfassung

Reuß sei vor einiger Zeit in die USA geflogen und habe dort Gespräche „mit Leuten von Trump“ über einen Friedensvertrag und die deutsche Souveränität geführt, wie meine Quelle sagte. Konkrete Ergebnisse habe das wohl nicht gebracht.
Anschließend habe Reuß auch versucht, die russische Regierung zu kontaktieren, die allerdings kein Interesse gezeigt habe.

Das verwundert nicht, schließlich vertritt Russland die Meinung, dass man sich nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einmischen darf. Deutschland muss, so wie jedes andere Land der Welt, seine inneren Probleme selbst lösen, ist der russische Standpunkt.
Ich gehe davon aus, dass die russische Regierung einen Friedensvertrag mit Deutschland schließen würde, aber die Initiative muss von der deutschen Regierung kommen, Russland wird da nicht von sich aus aktiv.

Dass Russland einen Friedensvertrag abschließen würde, zeigt sich daran, dass Putin und der japanische Regierungschef Abe, der inzwischen bei einem Attentat ermordet wurde, vor einigen Jahren Verhandlungen über einen Friedensvertrag geführt haben, die allerdings ergebnislos geblieben sind. Russland hat, wie man daran sieht, nichts dagegen, den Zweiten Weltkrieg auch juristisch durch Abschluss eines Friedensvertrages zu beenden.

Reuß und die „großen Siegermächte“

Reuß hat meine Quelle im vergangenen Monat nach langer Pause angerufen und sich beklagt, dass die russische Seite „alle Türen zugeschlagen“ habe. Russland hat zwar zu keinem Zeitpunkt irgendein Interesse an den Ideen von Reuß und erst recht keine Unterstützung signalisiert, aber nun hat Russland – so beschwerte sich Reuß bei meiner Quelle – alle Kontakte zu Reuß abgebrochen.
Welche Kontakte das gewesen sein mögen, weiß meine Quelle nicht. Ob Reuß direkt mit irgendwem aus Russland gesprochen hat, oder ob das seine Freundin (eine Russin) getan hat, weiß meine Quelle nicht. Die Quelle hat lediglich wiedergegeben, dass Reuß angerufen und was ihn bewegt hat.

Meine Quelle riet Reuß davon ab, weiter den Kontakt nach Russland zu suchen. Meine Quelle begründet das damit, dass im Westen alles abgehört und alles mitgelesen wird, weshalb Russland mit Kontakten sehr vorsichtig geworden ist, denn dabei geraten vor allem die Betroffenen aus dem Westen in Gefahr.
Man kann ihnen wegen etwaiger Gespräche mit Russland – einer „feindlichen Macht“ – sehr schnell Hochverrat vorwerfen. Dass das in der Tat so ist, zeigt die Verurteilung eines Deutschen vor einigen Wochen, dessen „Verbrechen“ darin bestand, Mitarbeitern der russischen Botschaft offen im Internet zugänglich Informationen per Mail übermittelt zu haben. Das reichte bereits aus, um in Deutschland wegen Spionage verurteilt zu werden.

Reuß hat in diesem – und in anderen Gesprächen mit meiner Quelle – nie von Putschplänen erzählt. Er wollte sich, so meine Quelle, mit den „großen Siegermächten“ in Gesprächen einigen. Reuß ist, das ist mein Eindruck nach diesen Informationen, ausgesprochen naiv, was meine Quelle bestätigt hat.
In den USA hat weder eine Trump-Regierung noch eine andere Regierung ein Interesse daran, Deutschland in die Unabhängigkeit zu entlassen. Die USA wollen – das galt auch unter Trump – die Kontrolle über Europa verstärken, nicht Europa in die Unabhängigkeit entlassen.

Der Verfassungsschutz wusste schon lange bescheid

Auch das Telefonat zwischen Reuß und meiner Quelle dürfte abgehört worden sein, denn Reuß stand unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Das hat der Chef des Verfassungsschutzes heute im ZDF mitgeteilt. Der Spiegel berichtet über Aussagen von Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang:

„Demnach waren die Sicherheitsbehörden früh über die Umsturzplanungen der Reichsbürgergruppierung im Bilde. Die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern seien dieser Gruppierung sehr früh auf die Schliche gekommen, sagte Haldenwang am Mittwoch in einem ZDF-»Spezial«. Man habe die Gruppe seit dem Frühjahr dieses Jahres beobachtet und einen recht klaren Überblick über deren Planungen und Entwicklung gehabt.“

Die deutliche Warnung

Die Gruppe stand also unter Überwachung des Verfassungsschutzes und der Verfassungsschutz kannte deren Pläne. Eine reelle Gefahr hat die Gruppe also nie dargestellt, alles war unter Kontrolle. Wenn die Aussagen meiner Quelle stimmen, dann gab es die „Gruppe“ in der Form nicht einmal, denn Reuß hatte demnach keine Umsturzpläne und dass Malsack-Winkemann sich an etwas, wie einer Terrorgruppe oder gar einem Putschversuch beteiligt hätte, schließt meine Quelle aus.

Aus Sicht meiner Quelle wurde die Geschichte von den Sicherheitsbehörden inszeniert, um andere Regierungs- oder Systemkritiker einzuschüchtern. Meine Quelle sagte:

„Die werden sicher irgendwelche Chatnachrichten präsentieren. Aber das kenne ich aus AfD-Chats. Da schreibt irgendein Spinner nachts um eins und nach fünf Bier: ‚Man sollte die alle aufhängen‘. Das meint der natürlich nicht ernst, aber aus sowas kann man dann medial Umsturz- oder Mordpläne konstruieren.“

Dass es sich bei dem Medienhype um den angeblichen „Putschversuch“ in erster Linie um eine Aktion handeln dürfte, die andere Regierungskritiker einschüchtern soll, zeigt sich auch an einer Aussage des Verfassungsschutzpräsidenten, die ebenfalls in dem Spiegel-Artikel zu lesen ist:

„Haldenwang betonte, die Sicherheitsbehörden hätten einen wachen Blick auf die Szene und wüssten, was sich dort tue. Er könne nur jedem empfehlen, dazu Abstand zu halten.“

Vom Verfassungsschutz orchestrierte „PR-Operation“?

Wenn man sich an die Skandale des Verfassungsschutzes der vergangenen Jahre erinnert, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass der Verfassungsschutz auch hier involviert war.
Egal, ob beim Celler Loch, bei dem der Verfassungsschutz einen Terroranschlag in Deutschland durchgeführt und der RAF angehängt hat, was 1986 herausgekommen ist, oder im Fall Amri und des Anschlags auf den Berliner Breitscheidplatz, bei dem der Verfassungsschutz der Öffentlichkeit verheimlichen wollte, dass er einen V-Mann in unmittelbarer Nähe von Amri hatte – bei praktisch jedem Terrorfall der letzten Jahrzehnte hat der Verfassungsschutz eine sehr fragwürdige Rolle gespielt. Von der NSU und den bis zum Sanktnimmerleinstag als geheim eingestuften Verfassungsschutz-Unterlagen gar nicht zu reden.

Dass das Verbotsverfahren gegen die NPD daran gescheitert ist, dass die Führung der NPD so derartig mit V-Leuten des Verfassungsschutzes durchsetzt war, dass die Richter nicht auseinanderhalten konnten, wer für die Verfassungsfeindlichkeit der NPD verantwortlich ist – „echte“ NPD-Mitglieder oder eingeschleuste V-Leute des Verfassungsschutzes – kommt noch hinzu.

Da der Verfassungsschutzpräsident mitgeteilt hat, dass der Verfassungsschutz die Gruppe schon lange beobachtet hat, und da die Gruppe den offiziellen Angaben zufolge aktiv Mitglieder aus den Sicherheitsdiensten anwerben wollte, wäre es für den Verfassungsschutz ein Leichtes gewesen, V-Leute in die Gruppe einzuschleusen.
Und es ist davon auszugehen, dass der Verfassungsschutz das auch getan hat, denn „gegnerische“ Gruppen zu unterwandern ist seine Aufgabe als Inlandsgeheimdienst.

Die Skandale des Verfassungsschutzes – vor allem das Beispiel der NPD – lassen den Verdacht zu, dass der Verfassungsschutz über V-Leute Einfluss auf die unterwanderte Gruppe genommen hat. Ob die juristische Aufarbeitung des „Putschversuches“ dazu Erkenntnisse bringt, muss man genau beobachten.

Dass die Medien im Vorwege über den Polizeieinsatz gegen die angeblichen Putschisten informiert waren, ist offensichtlich.
Das stützt die Theorie, dass es sich um eine Inszenierung gehandelt hat. Reichelt hat es treffend formuliert, daher wiederhole ich seinen Tweet hier noch einmal:

„Wenn nahezu alle Redaktionen des Landes vorab von einer Geheimoperation wissen, ist es keine Geheimoperation, sondern eine PR-Operation

All dies stützt meinen Verdacht, dass es sich bei dem „Putschversuch“ wohl eher um eine mediale Show – oder, wie Reichelt es formuliert hat, „eine PR-Operation“ – handelt, aber eben nicht um einen echten Putschversuch durch eine Terrororganisation.

Ich wiederhole, dass ich die meisten Aussagen meiner Quelle nicht überprüfen kann. Was ich überprüfen konnte, habe ich mit Quellen verlinkt. Insgesamt passen die Dinge, die sich überprüfen lassen, aber gut zu dem, was meine Quelle mir erzählt hat. Ob damit auch alle Schlussfolgerungen meiner Quelle (und auch meine Schlussfolgerungen) der Wahrheit entsprechen, ist nicht garantiert.

Aber da diese Geschichte nach einer „PR-Operation“ aussieht, habe ich beschlossen, über das, was mir meine Quelle erzählt hat, zu berichten.

Siehe das erwähnte Buch von Elias Davidsson.

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.
Jochen

Gesichtserkennung Stoppen !

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Keine_Gesichtserkennung

Wenn man das hier liest, bekommt man einen Eindruck davon, was so im Klammheimlichen bei den Behörden vor sich geht.
Der CCC deckte anhand des Ergebnisreports der Polizei über das Berliner Bahnhofsexperiment auf, dass in der 2.Testphase das Vorgehen massiv so manipuliert wurde, um dem damaligen Bundesinnenminister zu gefallen. Sein Einsatz könnte zu einer ungeheuren Datenüberflutung führen.
Wie die Fälle NSU und Amri bewiesen haben, liegen die blinden Flecken an ganz anderer Stelle.
Hier geht es um millionenschwere Folgeaufträge für die IT.
Aber lest selbst über das Bündnis, das sich hier gegründet hat:
https://gesichtserkennung-stoppen.de/aufruf.html

Da mir das so wichtig ist, füge ich noch einen Kommentar des CCC sowie ein Interview mit
Florian Kirchbuchner vom Fraunhofer-Institut im Dlf an.
Wie man sich gegen Gesichtserkennung schützen kann, dazu hier mein Beitrag:cv dazzle4

https://josopon.wordpress.com/2016/11/02/wie-man-gesichtserkennungs-software-austricksen-kann/

Und hier der Aufruf:

Obwohl seit Jahren die Kriminalitätsrate und die Zahl der Todesopfer durch Terroranschläge sinkt, fordern Politiker*innen beständig den Ausbau von Massenüberwachung.
Hierdurch soll einem „Gefühl“ der Unsicherheit der Menschen abgeholfen werden.
Aktuell im Trend: Videoüberwachung mit Gesichtserkennung. Getestet wurden die Systeme bereits am Berliner Bahnhof Südkreuz.

Warum Gesichts­erkennung verbieten?

Falsch­erkennung

Die Systeme funktionieren mangelhaft. In dem Test am Südkreuz wurde ca. jeder 200. Mensch fälschlich als gesuchte Person erkannt.[1]
In der Praxis würde das an einem Bahnhof wie dem Berliner Südkreuz dazu führen, dass täglich 600 Menschen fälschlich als gefährliche Person erkannt werden.
Diese Menschen wären unangenehmen Kontrollen ausgesetzt. Die Polizei wäre von Fehlalarmen überlastet.

Einfache Umgehung

Dreht eine gesuchte Person ihr Gesicht nur um 15 Grad von den Kameras weg, wird sie von den Systemen nicht mehr erkannt.[2]
Die Erkennung lässt sich auch durch das teilweise Bedecken des Gesichts, z.B. mit einem Schal oder einer Mütze, vereiteln.
Wer eine Straftat plant, kann sich einfach vor Erkennung schützen.

Diskriminierung

Gesichtserkennung diskriminiert Frauen, Kinder und People of Colour. Bei diesen Gruppen liegen die Falscherkennungsraten signifikant höher als bei weißen mitteleuropäischen Männern.[3]
Das liegt daran, dass die hiesigen Systeme großteils mit Bildern von weißen, männlichen Gesichtern trainiert werden.
Die negativen Folgen treffen also besonders Gruppen, die ohnehin schon Benachteiligungen ausgesetzt sind.

Gefahr für die Demokratie

Selbst wenn Gesichtserkennung perfekt funktionieren würde: Sie wäre dann in der Lage, ganze Stadtgebiete zu überwachen und die Identität von Zehn- oder Hunderttausenden von Menschen gleichzeitig zu erfassen. Technisch möglich wäre das staatliche Erstellen von Bewegungsprofilen.

Darunter leiden Freiheitsrechte, individuelle Entfaltung und politische Teilhabe. Wer sich im öffentlichen Raum ständig von einer intelligenten Kamera abgescannt und analysiert fühlt, verspürt einen Überwachungsdruck.
Selbsteinschränkung und aufgezwungene „Konformität“ ist die Folge.[4]
In einer gesunden, pluralistischen Demokratie ist es aber wichtig, dass sich Menschen bei ihrer Meinungsbildung, individuellen Entfaltung und politischen Partizipation nicht beobachtet fühlen.

Missbrauchs­potential

Gesichtserkennung birgt enormes Missbrauchspotential – sowohl für einzelne unberechtigt Handelnde als auch für etwaige zukünftige autoritäre Regierungen.
Zivilgesellschaftliches Engagement gegen eine Regierung, die exakt weiß, wer wann wo ist, ist nur schwer denkbar.
Es liegt in der historischen Verantwortung Deutschlands, keine Infrastruktur aufzubauen, die es ermöglicht, die gesamte Gesellschaft zu kontrollieren.

Das Bewusstsein für die Risiken wächst: Zuerst in San Francisco[5], später in weiteren Städten Kaliforniens sowie Massachusetts, USA, wurde die polizeiliche Verwendung von Gesichtserkennungssystemen verboten.

Unsere Forderungen

1. Ein Verbot automatischer Gesichtserkennung in der Öffentlichkeit durch die Polizei oder andere staatliche Akteure.

2. Wirksames Vorgehen gegen Terroranschläge durch soziale Präventions- und Aussteigerprogramme statt ungezielter Massenüberwachung.

Verweise:

  1. https://www.ccc.de/de/updates/2018/debakel-am-suedkreuz siehe weiter unten
    2.https://www.bundespolizei.de/Web/DE/04Aktuelles/01Meldungen/2018/10/181011_abschlussbericht_gesichtserkennung_down.pdf;jsessionid=B00C5E4B9341D9F8733EF8508A6D9C46.2_cid324?__blob=publicationFile&v=1
    3. http://proceedings.mlr.press/v81/buolamwini18a/buolamwini18a.pdf
  2. https://www.freitag.de/autoren/netzpiloten/studie-beweist-selbstzensur-durch-ueberwachung;%20https://www.deutschlandfunk.de/staatliche-ueberwachung-befallen-vom-ueberwachungsvirus.1184.de.html?dram:article_id=307639
  3. https://www.fr.de/wirtschaft/gastwirtschaft/mein-gesicht-meine-freiheit-12919089.html

Unterstützende Organisationen

Chaos Computer Club

Chaos Computer Club e.V.

 

Digitale Gesellschaft e.V.Digitale Gesellschaft e.V.

 

D64 Zentrum für Digitalen Fortschritt e.V.

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LOAD e.V. Verein für liberale Netzpolitik

LOAD e.V. Verein für liberale Netzpolitik

 

FIfF e.V.

 

 

 

 

 

FIfF e.V.

 

Digitale Freiheit e.V.Digitale Freiheit e.V.

 

Digitalcourage e.V.

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Hier der Kommentar des CCC:

Biometrische Videoüberwachung: Der Südkreuz-Versuch war kein Erfolg

2018-10-13 08:46:09, erdgeist

Die Ergebnisse im Abschlussbericht nach dem monatelangen Test der biometrischen Gesichtserkennung sind nicht überzeugend und absichtlich geschönt worden.
Solche Testergebnisse können nicht als Grund dafür herhalten, Biometrietechnik nun flächendeckend einführen zu wollen. Risiken und rechtliche Probleme werden im Bericht gar nicht erst angesprochen.

Diese Woche hat die Bundespolizei den bereits im September erstellten Abschlussbericht [1] zur biometrischen Gesichtserkennung am Berliner Bahnhof Südkreuz veröffentlicht.
Zu den Kosten des monatelangen Versuchs sind keine Angaben enthalten.
Eine zeitgleich bekanntgegebene Meldung preist die Ergebnisse der drei erprobten Systeme als „erfolgreich“ und spricht von einem „enormen Mehrwert“ der Biometriesoftware für die Polizei.

Jedoch zeigen die wenigen Zahlen aus dem Bericht, dass die getesteten Systeme – anders als behauptet – keine akzeptablen Ergebnisse erbrachten.
Zudem erweist sich, dass die Ergebnisse manipuliert wurden, um sie nicht ganz so desaströs aussehen zu lassen.

Der Chaos Computer Club (CCC) fordert im Lichte dieses Debakels, das unnütze und teure Sicherheitstheater unverzüglich einzustellen. Die Gesichter aller Passanten sind keine biometrische Ressource zum Scannen nach Belieben.

Die biometrische Videoüberwachung ist mit zahlreichen technischen Problemen behaftet und erweist sich erneut als untauglich.
Aber das weit größere Problem für jeden Passanten, dessen Gesicht gescannt wird, liegt in der Technologie selbst:
Menschen werden nicht wie mit anderen Videosystemen einfach nur beobachtet, sondern während der Überwachung durch ihre Körpermerkmale identifiziert.
Werden solche Systeme ausgebaut, stehen wir vor einer anlasslosen biometrischen Personenüberwachung im öffentlichen Raum, die mit der heutigen Videoüberwachung technisch nicht vergleichbar ist.

Angaben zu durchschnittlichen Ergebnissen

Das Innenministerium betont die angeblich hohe Anzahl an Treffern: Die Trefferrate gibt laut dem Bericht die Wahrscheinlichkeit an, mit der eine Person von einem getesteten System korrekt identifiziert wird.
Über die angegebene Trefferrate von durchschnittlich achtzig Prozent zeigen sich das Innenministerium und die Autoren des Abschlussberichts hocherfreut.
Faktisch werden bei einer solchen Rate allerdings von zehn gesuchten Personen eben nur acht korrekt identifiziert.

Doch selbst die in der Pressemitteilung besonders hervorgehobene durchschnittliche Erkennungsrate von achtzig Prozent hat in Wahrheit keines der getesteten Systeme erreicht, sondern ist eine absichtlich positiv verfälschende Zahl.
Sie berechnet sich laut dem Abschlussbericht aus den Erkennungsraten aller drei erprobten Systeme.

Praktisch hieße das für die Situation am Bahnhof, dass nicht der beste Anbieter für die biometrische Erkennung zum Einsatz käme, sondern alle drei Systeme zusammen eingesetzt werden müssten, um diesen durchschnittlichen Wert zu erreichen.
Eine solche Trefferrate des „logischen Gesamtsystems“ existiert nämlich nur, wenn alle drei getesteten Systeme die vorbeilaufenden Menschen erfassen und jeweils softwareseitig auswerten.
Bei keinem der getesteten Anbieter wurde diese imaginäre durchschnittliche Zahl in Wahrheit gemessen.
Tatsächlich ist das durchschnittliche Ergebnis des Versuchs für das beste der drei Testsysteme die peinliche Zahl von 68,5 Prozent, die in der ersten Testphase erreicht wurde.
Damit ist die biometrische Technik zu unausgereift für den praktischen Einsatz.

Erwartungsgemäß ändert auch die Positionierung der Kamera das Ergebnis für die Trefferquoten: Am schlechtesten schnitt dabei die Eingangskamera am Bahnhof ab, bei der die schwächsten Trefferleistungen gemessen wurden.
Selbst das beste der drei getesteten Systeme kommt hier nur auf eine Trefferquote von 65,8 Prozent. Tagsüber konnte wegen Gegenlichts sogar auch beim besten der Systeme nur sechzig Prozent erreicht werden.
Der schlechteste der drei Biometrieanbieter wies am Eingang des Bahnhofs sogar nur eine Trefferrate von 18,9 Prozent (tagsüber zwölf Prozent) aus und ist damit glatt durchgefallen.

Für den geplanten Abgleich mit polizeilichen Datenbanken sind solche Erkennungsraten völlig unbrauchbar. Sie als Erfolg verkaufen zu wollen, ist schlicht unredlich.
Insgesamt hält die Bundespolizei dennoch zwei der getesteten Systeme für den „praktischen polizeilichen Einsatz“ geeignet und sieht selbst für das überdurchschnittlich schlechte dritte Testsystem noch ein „hohes Potenzial“.

Wissenschaftliche Standards missachtet

Die zugrundeliegenden Bilder der Gesichter waren in der Phase zu Beginn des Tests von ausgesprochen hoher Qualität, was die Ergebnisse zugunsten der getesteten Systeme verzerrt.
Denn die freiwilligen Probanden wurden in hoher Auflösung und mit guter Beleuchtung fotographiert, so dass die erfassten Gesichter in der ersten Testphase optimal für den Vergleich mit den Livebildern vorlagen.

Der Abschlussbericht weist solche Verzerrungen nicht etwa aus, sondern beschönigt das Vorgehen noch. Generell kann die gesamte Auswertung nicht als wissenschaftlich angesehen, sondern muss als PR-Bericht verstanden werden.
Vielleicht dauerte es deshalb so lange, die bereits am 31. Juli beendeten Tests herauszuputzen, um sie erst im Oktober im Abschlussbericht darzustellen.

Die Wissenschaftlichkeit des Versuchs steht aber auch aus anderen Gründen bereits konzeptuell in Zweifel:
Die Repräsentativität der Probanden war nicht gegeben, so dass kein aussagekräftiges Abbild der Bevölkerung (Alter, Geschlecht, Ethnie) oder des gesuchten Personenkreises getestet wurde.
Zudem war die Anzahl der freiwilligen Tester mit 312 Menschen zu gering bemessen, sie nahm in der zweiten Testphase außerdem noch signifikant ab und verringerte sich auf nur 201 Personen.

„Eine gründliche Untersuchung der realen Erkennungsleistungen der biometrischen Systeme hat mit dem Test am Bahnhof Südkreuz wenig gemeinsam. Wenn ein System der biometrischen Personenüberwachung aber tatsächlich eingesetzt werden sollte, genügen solche Versuche ohnehin nicht. Dann müsste man besser vorher darüber sprechen, ob es gesellschaftlich wünschenswert und überhaupt rechtlich möglich ist, von jedem Vorbeilaufenden biometrische Merkmale zu verarbeiten“, sagte Dirk Engling, Sprecher des CCC.

Die zweite Versuchsphase

Besonders dreist ist das Vorgehen, mit der zweiten Testphase die Ergebnisse nochmals absichtlich zu schönen.
Der damalige Innenminister Thomas de Maizière hatte bei einem Besuch seines Vorzeigeprojektes noch angekündigt, dass in einer zweiten Phase des ursprünglich auf sechs Monate angelegten Versuchs realitätsnähere Bilder benutzt werden würden.
In Wahrheit wurden in dem dann verlängerten Test unter dem Vorwand, angeblich Fahndungsfotos zu verwenden, tatsächlich von den getesteten Systemen selbst aufgezeichnete Gesichtsbilder benutzt.
Diese Bilder hatten im ersten Versuchsteil bereits zu guten Ergebnissen geführt.
Zudem wurde nunmehr nicht nur ein Referenzbild in den Datenbanken hinterlegt, sondern gleich mehrere der zuvor aufgezeichneten Fotos der Probanden aus den Überwachungskameras verwendet.

Damit wurden nicht nur absichtlich und unzulässig die Erkennungraten manipuliert, vielmehr sind mit einem solchen Testvorgehen Rückschlüsse auf reale Szenarien in einem Bahnhof gar nicht mehr möglich.
Schließlich hat es nichts mehr mit der Wirklichkeit zu tun, wenn die biometrischen Systeme Vergleiche von vorher als gut klassifizierten Gesichtsbildern vornehmen, die am gleichen Ort entstanden sind.
So müssten in der Realität Fotos der Verdächtigen an allen Bahnhöfen mit allen dort verbauten Kameras angefertigt werden – eine vollkommmen unsinnige und erneut die Ergebnisse verfälschende Testannahme.
Wenn solche Versuchsmethoden als Begründung für eine künftige Gesetzgebung zum flächendeckenden Einsatz herhalten sollten, sind sie nicht aussagekräftig für eine reale Verwendung.

Die Falscherkennungsrate

Weiterhin sind die Zahlen zur Falscherkennungsrate (FAR) deutlich geschönt. So werden hier nicht etwa alle durch die Kamera erfassten Gesichter der Menschen analysiert, sondern ausweislich des Berichtes nur diejenigen, die zufälligerweise zu dem Zeitpunkt aufgenommen wurden, wenn eine der Testpersonen neben ihnen auf der Rolltreppe stand oder im Bahnhof ging und damit das System durch den Transponder aktivierte.
Die realen Zahlen der fälschlichen Erkennung liegen also nochmals um ein Vielfaches höher als der in dem Bericht ausgegebene Wert.
Zugleich bleibt auch diese Verzerrung des Ergebnisses im Bericht selbst unkommentiert.

Für das „logische Gesamtsystem“ liegt die so ausgewiesene FAR durchschnittlich bei 0,67 Prozent. Bei einer durchschnittlichen Anzahl von etwa 90.000 Reisenden pro Tag am Bahnhof Südkreuz hieße ein solcher Wert, dass täglich 600 Passanten und mehr fälschlich ins Visier der biometrischen Installation gerieten.

Weiterhin werfen die im Versuch verwendeten Verfahren Fragen auf, die in dem Bericht nicht adressiert werden.
Wieso wurden beispielsweise aus den 41.000 gespeicherten Transponder-Events nur 6.000 ausgewählt? Was waren die Kriterien?
Und warum werden nicht in allen Diagrammen im Abschlussbericht die gleichen Datenpunkte verwendet? So gibt es beispielsweise für den November nur einen Punkt im Diagramm für die Falscherkennungsrate, aber ganze neun für die Trefferrate. Hier liegt der Verdacht nahe, dass durch die Auswahl bestimmter Ereignisse Fehlerkennungen unter den Tisch gekehrt werden sollten.
Auch Differenzen in den Erkennungsraten zwischen aufeinanderfolgenden Tagen von im Schnitt zehn Prozent (maximal fünfzig Prozent) sollten die Herausgeber und die Leser der Studien stutzig machen.

Bedeutung der Zahlen in der Praxis

Würde dieses System tatsächlich so in Betrieb genommen, würde die FAR noch weiter darunter leiden, dass die Zahl der Fahndungen mehr als nur die 200 gespeicherten Vergleichsbilder wie in Testphase 2 erzeugt.
Laut Beispiel aus dem Bericht soll in der Praxis mit mindestens 600 Bildern verglichen werden. Entsprechend stiege die FAR nochmals.

Doch selbst wenn die Systeme nur vier unbescholtene Bürger pro Kamera und Stunde fälschlich als Verbrecher erkennen und die Beamten diese dann von Hand aussondern müssen, kann man sich leicht vorstellen, was passiert, wenn nach monatelangem händischen Aussieben dann doch mal ein einzelner Verbrecher durchs Bild huscht und erkannt wird.
Wie aufmerksam ein durchschnittlicher PC-Anwender die hunderste Sicherheitswarnung für Webseiten wegklickt, dürfte ein Gefühl für die Auswirkungen einer solchen Flut von Falscherkennungsmeldungen geben.

Der einzige Lichtblick im Bericht ist die Beschreibung, wie man sich am besten gegen die biometrische Rasterfahndung schützen kann:
Man drehe einfach das eigene Gesicht um mehr als 15 Grad von der Kamera weg.
Damit ist eigentlich alles gesagt, was die Sinnhaftigkeit und Einsatztauglichkeit solcher Systeme angeht.

Links

[1] Abschlussbericht der Bundespolizei (pdf)

„Es ist möglich, die Systeme zu umgehen“

https://www.deutschlandfunk.de/automatische-gesichtserkennung-es-ist-moeglich-die-systeme.676.de.html?dram:article_id=468082

Das Bundesinnenministerium plant, die automatische Gesichtserkennung an Bahnhöfen und Flughäfen einzuführen – entgegen aller Kritik.
Die Erkennungsraten solcher Systeme seien noch immer schlecht, sagte Florian Kirchbuchner vom Fraunhofer-Institut im Dlf. Großflächige Tests könnten das ändern.

Florian Kirchbuchner im Gespräch mit Christiane Knoll

Florian Kirchbuchner befasst sich am Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung mit der Entwicklung solcher Gesichtserkennungssysteme, mit ihm habe ich gesprochen.

Christiane Knoll: Im Bundesinnenministerium entsteht derzeit der Entwurf für eine Polizeireform, die automatische Gesichtserkennung an den großen deutschen Bahnhöfen und Flughäfen vorsieht.
Vielen geht das zu weit. Geht es nach Horst Seehofer, dann soll die Bundespolizei mehr Befugnisse bekommen – und technische Unterstützung.
Der Entwurf sieht die automatische Gesichtserkennung an 135 Bahnhöfen und Flughäfen vor.
Nur: Wäre das überhaupt eine Unterstützung? Ein Pilotversuch am Berliner Südkreuz war eher ernüchternd verlaufen, weil zu viele Menschen nicht oder fälschlicherweise erkannt wurden. Damit ist niemandem gedient.

Die Videoüberwachung ist auf vielen Ebenen umstritten. Wer gerät da ins Netz der Fahnder, was passiert mit den erfassten Daten, und was mit dem öffentlichen Raum?
Vor allem aber: Was kann die Technik überhaupt? Wenn wir schon politische und gesellschaftliche Risiken eingehen, steht dann auf der Haben-Seite wenigstens ein ordentlicher Gewinn und ein Mehr an Sicherheit?
Herr Kirchbuchner, während wir in Deutschland demnächst vielleicht die automatische Gesichtserkennung im öffentlichen Raum einführen, hat die IT-Hochburg San Francisco sie schon wieder abgeschafft und verboten. Warum?

Florian Kirchbuchner: In San Francisco wurde die biometrische Gesichtsüberwachung abgeschafft für den städtischen Bereich, in Straßen und an öffentlichen Plätzen. Hier gab es vermehrt Fehlalarme und falsche Bewertungen der Situation. Entsprechend kam es unter anderem auch zu Polizeieinsätzen, die leider über das normale Maß hinausliefen.
Sie wurde allerdings nicht abgeschafft für die Bereiche der Bundespolizei – im Bereich der Flughäfen oder in den öffentlichen Bahnhöfen.
Dort ist die Bundespolizei verantwortlich, und deswegen konnte sie durch den Stadtrat auch nicht verboten werden.

Knoll: So was kann in Deutschland nicht passieren?

Kirchbuchner: Ich denke, dass die deutsche Polizei dafür bekannt ist, dass sie meistens verhältnismäßig vorgeht und deutlich vorsichtiger in Einsätze schreitet als Polizeibehörden in anderen Ländern.

„Noch keinen Quantensprung erreicht“

Knoll: An diesem Beispiel sieht man schon, dass da einige Fallstricke lauern, fangen wir aber mal an der Basis an: Vor zwei Jahren hat ein Pilotversuch am Berliner Südkreuz Erkennungsraten dieser automatischen Bilderkennungssysteme von 80 Prozent geliefert und jeden hundertsten Passanten falsch identifiziert. Um wie viel besser sind denn die Systeme heute?

Kirchbuchner: Die Systeme sind besser geworden, sie werden ständig weiterentwickelt, allerdings haben wir auch hier in diesen zwei Jahren keinen Quantensprung erreicht. Wir bewegen uns also immer noch in ähnlichen vergleichbaren Erkennungsraten.

Knoll: Jetzt kann man sich vorstellen, dass es leichter ist, die unbescholtenen Bürger zu erkennen – wer kriminell ist oder auf der Terrorfahndungsliste steht, der zieht sich ja vielleicht doch schnell mal eine Kappe auf und entgeht den Systemen. Da kann der beste Algorithmus nichts mehr ausrichten. Oder sehen Sie das anders?

„Eine einfache Verdeckung kann das System erkennen“

Kirchbuchner: Eine einfache Verdeckung, dass man eine Brille aufsetzt oder einen Schnurrbart aufklebt, das kann das System noch erkennen.
Allerdings ist es tatsächlich möglich, die Systeme zu umgehen, indem ich mir eine Vollgesichtsmaske aufsetze, indem ich einen Hut aufsetze, eine Baseballkappe mit dem Schild tief ins Gesicht gezogen und den Kopf von der Kamera wegdrehe, und schon kann ich nicht erkannt werden. Das ist tatsächlich der Fall.

Knoll: Das heißt, eigentlich sind die Erkennungsraten dieser Systeme immer noch sehr schlecht und gerade eben für die Zielgruppe besonders schlecht.

Kirchbuchner: Sie sind immer noch schlecht und müssen weiterhin verbessert werden, und dazu müssen sie aber auch getestet werden, auch in großflächigem Einsatz.
Es gibt die Möglichkeit, verschiedene Sensorsysteme zu kombinieren. Verschiedene Anbieter haben unterschiedliche Lösungen, und die Ergebnisse kann ich zusammenführen, fusionieren und daraus eine bessere Erkennungsrate erreichen.
Das ist zum Teil auch in Hamburg schon geschehen.

Die weitere Möglichkeit oder Optimierungsmöglichkeiten sind die Anbringung der Kameras, sodass ich mehr oder weniger gezwungen bin, in die Kamera zu blicken.
Alternative wäre aber auch noch, richtige Gates einzuführen oder Schleusen einzuführen, durch die Passanten treten müssen, wenn sie einen Flughafen oder auch den Bahnhof betreten wollen.
Es ist sogar bewiesen, dass hier die Gesichtserkennung durch die biometrischen Systeme zuverlässiger erfolgt als durch den Menschen.

Knoll: Womit wird abgeglichen, was wäre die Datenbank?

Kirchbuchner: Im Hintergrund müsste eine Datenbank sein, in der die vermissten oder die gesuchten Personen erfasst sind. Was nicht sein dürfte, ist eine Datenbank, in der jeder Bundesbürger automatisch erfasst wird.

„Hier muss der Mensch entscheiden“

Knoll: Wenn jetzt eine Person entdeckt wird durch den Abgleich mit der Datenbank, wie würde das Ganze weitergehen?

Kirchbuchner: In diesem Fall müsste dann an einem Computerbildschirm der Fund signalisiert werden, und eine Person müsste dann entscheiden, wie weiter vorzugehen ist.
Man sollte diese Kontrolle niemals dem System alleine überlassen.

Knoll: Das heißt, es wäre der Mensch, der dann letztendlich entscheidet, ob diese Person angesprochen wird, attackiert wird möglicherweise?

Kirchbuchner: Ja. Hier muss der Mensch entscheiden. Ich sehe auch kein Szenario, dass eine Hundertschaft Polizisten in Bereitschaft steht am Bahnhof und darauf wartet, dass der Computer ein Gesicht erkennt.
Meistens ist, wenn die Erkennung erfolgt ist, die Person schon in den Zug eingestiegen, in die nächste Bahn, und auch schon wieder weitergefahren. Aber man kann zumindest hier dann auch den Weg nachvollziehen.

Ethnische Diskriminierung

Knoll: Es gibt ja ein gewichtiges Argument der Kritiker: Die Algorithmen erkennen am besten weiße Männer, weil sie damit trainiert wurden.
Darüber hinaus gibt es aber auch Ethnien, die wegen ihrer Gesichtszüge prinzipiell nicht so leicht zu unterscheiden sind. Die sind gefährdeter, zu Unrecht kontrolliert und im schlimmsten Fall eben auch rausgegriffen, herausgepickt zu werden. Wie sollte man das denn verhindern?

Kirchbuchner: Das ist tatsächlich ein Problem. Es liegt zum einen, wie Sie schon gesagt haben, daran, dass die Algorithmen besser auf kaukasische Gesichter trainiert sind.
Allerdings gibt es auch physiognomische Eigenschaften unterschiedlicher Ethnien, die eine Erkennung, selbst wenn man sie besser trainieren würde, verhindern. Also hier wird es schwierig bleiben mit der vorhandenen Technik.

Knoll: Ja, und Sie sagen ja selbst, dass ein Polizist nach einem Alarm das Gesicht am Bildschirm kontrollieren würde, aber auch der ist ja in der Regel nicht besser bei Gesichtern, die ihm nicht so vertraut sind.

Kirchbuchner: Es ist schwierig, also er wäre das Korrektiv. Wir haben auch hier – die Systeme geben nur einen Wahrscheinlichkeitswert, dass hier eine bestimmte Ähnlichkeit besteht, sie sagen ja nicht, dass man hier ein Verbrecher ist. Natürlich würde es aber dazu führen, dass diese Personengruppen vermehrt kontrolliert werden würden.

„Systeme großflächig testen“

Knoll: Das bedeutet aber, dass die Bilderkennungssysteme erstens Mal noch nicht besonders gut sind und zweitens doch eine Menge von Verzerrungen in sich bergen, die auch prinzipieller Natur sind.
Netzaktivisten fordern deswegen ein Verbot. Wie ist Ihre Einschätzung, sollte die automatische Bilderkennung an Bahnhöfen und Flughäfen tatsächlich kommen?

Kirchbuchner: Also ein Verbot ist insofern nicht notwendig, weil unser Datenschutz verbietet momentan den Einsatz.
Wir können diese Systeme großflächig gar nicht testen, ohne Gesetzesänderungen durchzuführen.

Knoll: Ja, aber die sind ja jetzt gerade in Arbeit, es ist ja geplant.

Kirchbuchner: Ja. Ich bin dafür, dass man das wirklich erlaubt, um die Systeme auch großflächig zu testen. Erst dann können wir sagen, wie gut sie funktionieren.

Knoll: Und Sie glauben, dass sie zum Beispiel für die in den Systemen angelegte Diskriminierung eine Lösung finden können?

Kirchbuchner: Daran forschen wir aktiv. Wir entwickeln hier bei unserem Institut auch Methoden, um Biometriesysteme, Gesichtserkennungssysteme so zu trainieren, dass sie neutral gegenüber Ethnien und Geschlechtern sind.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Jochen

Neue Normalität : Faschisten im politischen Raum

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Nach dem AfD-Parteitag mit dem beschlossenen Warmlaufen zur Koalition mit der CDU/CSU, nach dem Entzug der Gemeinnützigkeit für den Bund der Antifaschisten, nach der versuchten Unterwanderung der Antifa durch Antideutsche machen einem die Feststellungen in der Jungen Welt wirkliches Gruseln:
https://www.jungewelt.de/artikel/367943.antifaschismus-neue-normalit%C3%A4t.html
Dabei muss ich dran denken, dass ALt-und Neonaziverbände innerhalb der Verfassungsorgane BND und Verfassungsschutz immer wieder versucht haben, unter den Augen von USA-Geheimdiensten Todesschwadronen in Deutschland zu etablieren, wie es schon Daniele Ganser mit der Organisation „Gladio“ nachweisen konnte.
Der zweite bekannte Versuch war die Wehrsportgruppe Hoffmann, der dritte offensichtlich der NSU, und der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch, wie man an der Gruppe „Nordkreuz“ sieht. Der Militaristenverein „Uniter“ ist übrigens noch gemeinnützig!
Diese Fehlschläge waren jeweils mit Terrorakten verbunden, in denen viele ermordet oder verletzt wurden, und die Justiz und Polizei waren nicht gerade um Aufklärung bemüht…
Auszüge:

In der Bundesrepublik haben Faschisten inzwischen einen gehörigen Teil des politischen Raums erobert

Von Jürgen Herold
Redaktionell bearbeiteter Auszug aus dem Referat, das am gestrigen Sonntag auf der Bundeskonferenz der Kommunistischen Plattform der Partei Die Linke gehalten wurde. (jW)

Die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat den Versuch eines Faschisten, ein Blutbad in der Synagoge in Halle anzurichten, ein Alarmsignal genannt. Das klingt, als würde vor etwas gewarnt, was noch nicht eingetreten ist.
Doch die Rechtsentwicklung vollzieht sich seit vielen Jahrzehnten. In der alten BRD war sie zu keinem Zeitpunkt völlig außer Kraft gesetzt.
Nunmehr, nicht zuletzt seit den NSU-Morden und dem Umgang damit, haben wir es allerdings mit einer neuen Qualität dieser nicht neuen Tendenz zu tun.
Worum es im Kern der Sache geht, finden wir in einem vom ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier verfassten Gutachten »Nachhaltigkeit als Verfassungsprinzip«. Es wurde im Auftrag der »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« (INSM) gefertigt und am 22. Mai 2019 öffentlich vorgestellt. Darin konstatiert der neoliberale Jurist einen »gewissen Reformbedarf« beim Grundgesetz.
Eines der zentralen Probleme sei, dass die »parlamentarische Demokratie jetzigen Zuschnitts fast zwangsläufig zu einer einseitigen Ausrichtung auf die Interessen und Bedürfnisse der Wählerschaft der Gegenwart führt«.
Ein zynisches Plädoyer für die Abschaffung der bürgerlichen Demokratie, bzw. der von ihr übrig gebliebenen Reste.

Jeden Tag lesen wir von Neonaziaktivitäten. So über eine vom Verwaltungsgericht Minden genehmigte Demonstration – angemeldet und durchgeführt am 9. November – von Dortmund nach Bielefeld, wo die Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck inhaftiert ist. Die Demonstranten dürften sich von der Staatsanwaltschaft Hannover bestärkt fühlen, die das von der Stadt Bochum verhängte und vom OVG Münster bestätigte Verbot des EU-Wahlplakats der faschistischen Kleinpartei »Die Rechte« mit dem Slogan »Zionismus stoppen: Israel ist unser Unglück – Schluss damit« aufhob. Unter einem Bild von Haverbeck steht auf einem anderen Plakat: »Mit 90 Jahren: Für ihre Meinung inhaftiert«.
Im Eilbeschluss des OVG Münster war es auch um das Verbot eines anderen Plakats der Partei »Die Rechte« durch die Stadt Bochum gegangen: »Wir hängen nicht nur Plakate« und optisch im Hintergrund »Wir kleben auch Aufkleber«. Gehenkt haben sie bisher nicht. Geschossen schon. In ihrer Faschistendreistigkeit meldeten sie ausgerechnet in Kassel, wo am 2. Juni Regierungspräsident Walter Lübcke ermordet worden war, eine Demonstration an.

Vorbereitung auf den »Tag X«

Am 9. November standen in Bielefeld den 230 Nazis, die da die Faschistin Haverbeck zu ehren zusammengekommen waren, 14.000 Gegendemonstranten gegenüber. Das ist erfreulich.
Zu verurteilen ist allerdings, dass deutsche Gerichte solche Demonstrationen zulassen. Manche meinen, Versammlungsfreiheit gehöre zur Demokratie und die sei stark genug, Nazis auszuhalten. Ist sie das wirklich?
Die Anhänger der »Bruderschaft Deutschland« aus Düsseldorf haben auf einer Demonstration in Richtung der Gegendemonstranten skandiert: »Wenn wir wollen, schlagen wir euch tot!« Ist das wirklich noch auszuhalten?
Die Rechten belassen es nicht bei Aufmärschen und Hasskonzerten. Sie bereiten sich auf den »Tag X« vor. Ihre Finanziers gehen davon aus, dass die gegenwärtigen Funktionsmechanismen des bürgerlichen Systems kollabieren könnten und dass dann die extreme Rechte bereitstehen müsste, die notwendigen Schritte zu unternehmen.
Das hat es in der Geschichte nicht erst einmal gegeben und nicht nur in Deutschland oder Europa. In Lateinamerika stehen die sogenannten Todesschwadronen für eine solche Terrorpolitik. Und hierzulande?

Auf den Todeslisten der Nazigruppe »Nordkreuz« sind die Namen von 25.000 Frauen und Männern aufgeführt, die diese Gruppe am »Tag X« des Umsturzes beseitigen will. Auf den Listen sollen sich ausschließlich die Namen von Linken-Politikern sowie Mitgliedern von SPD und Grünen befinden. Unter den betroffenen Vereinen sind ausschließlich solche mit linkem Profil genannt.
Nach Ansicht des Bundesministeriums des Innern begründe die »Nennung von Personen, Institutionen oder Organisationen in festgestellten Informationssammlungen« für sich genommen »keine Notwendigkeit zur aktiven Unterrichtung der Betroffenen«. Der Chef des Militärischen Abschirmdienstes Christof Gramm gab Ende Oktober zu Protokoll, derzeit »keine Hinweise« auf eine Schattenarmee ultrarechter Bundeswehr-Soldaten erkennen zu können. Zugleich wollte er allerdings »starke soziale Vernetzungsprozesse« von Personen mit rechtsextremen Tendenzen unterhalb dieser Schwelle nicht ausschließen.
Bei der Eliteeinheit »Kommando Spezialkräfte« KSK gebe es, so Gramm, »um die 20, im Moment sogar etwas über 20« Verdachtsfälle.

Niemand weiß bisher, wie weit rechte Netzwerke in den Staats- und Sicherheitsbehörden verankert sind. Informationen des Verfassungsschutzes besagen, »Nordkreuz«-Aktivisten hätten 200 Leichensäcke und Löschkalk bestellt.
Mitte Juni 2019 waren bei vier Polizisten und Expolizisten Tausende Schuss Munition gefunden worden. Bei einem der Polizisten fanden sich bereits im August 2017 Zehntausende Schuss Munition.
Hier agiert offenbar ein Teil eines bundesweiten Netzwerkes, dessen Administrator ehemals Soldat des KSK der Bundeswehr war. Dieser ist unter dem Namen »Hannibal« auch als Gründer des ebenfalls einen Umsturz planenden Vereins »Uniter« bekannt.
In diesem Kontext fragt Martina Renner, Bundestagsabgeordnete von Die Linke: »Wer im Hannibal-Netzwerk bzw. in der Gruppe ›Nordkreuz‹ ist eigentlich der Spitzel, zu dessen Schutz Ermittlungen gegen alle Mitglieder und Unterstützer verhindert werden?« Und SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil verlangt eine lückenlose Aufklärung des »Nordkreuz«-Netzwerks und möglicher Verbindungen zur Polizei, zu Reservisten und zur AfD.

Alte Nazis in der BRD

Sie werden nichts lückenlos aufklären. Spätestens seit den NSU-Morden und den entsprechenden Prozessen kann das jeder wissen. So richtig und notwendig die Forderung an den Staat nach lückenloser Aufklärung ist, so wenig reicht es, Antifaschismus auf solche Forderungen und auf notwendige Antinazidemonstrationen und -aktionen zu reduzieren.
Wir müssen aufklären, wo die sozialen Ursachen für die Rechtsentwicklung liegen, zeigen, dass diese Entwicklungen Teil der Funktionsweise der bürgerlichen Gesellschaft sind.
Das schließt – gerade auch in Vorbereitung des 30. Jahrestages des Beitritts der DDR zur BRD – auch ein, die Demagogie der Totalitarismusdoktrin zu entlarven.
Und dazu gehört, daran zu erinnern, dass in der alten Bundesrepublik mit den Verantwortlichen der Naziverbrechen nicht abgerechnet wurde. Nicht mit der Deutschen Bank, nicht mit all den gewaltigen Konzernen, nicht mit den Blutrichtern, Nazigenerälen und nicht mit den ungezählten subalternen Mördern.

Nur eines von etlichen Beispielen.¹ 1980 trat Dietrich Stein in Marne/Dithmarschen seine erste Pfarrstelle an. Zwei Jahre danach hörte er vom Friedhofswärter das erste Mal vom Mord an dem Kommunisten Adolf Bauer.
Der Mord fand in einer politisch eskalierten Situation statt. Bei der preußischen Landtagswahl im April 1932 hatten die Nazis im Landkreis Süderdithmarschen 58 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten. Überfälle auf Sozialdemokraten und Kommunisten häuften sich. Bauer lebte seit 1926 mit kurzen Unterbrechungen als Landarbeiter in Süderdithmarschen. Er war Instrukteur in der KPD und schrieb für die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung. Auf Veranstaltungen, auch auf solchen der Nazis, vertrat er unerschrocken seinen Standpunkt.
Bauer war redegewandt, seinen Gegnern intellektuell überlegen. Am Abend des 9. Juli 1932 observierte der SS-Sturm 5 eine von Bauer geleitete KPD-Versammlung in einem Dorf bei Marne. Laut den Prozessakten haben vier Täter Bauer auf halber Strecke zu seinem Wohnort gestellt und dann quer über eine Weide, die bis heute »Mörderweide« heißt, in einen Graben gedrängt. Sie schlugen ihn und drückten ihn mit dem Gesicht in den Schlamm, bis er tot war. Zwei Täter haben sich mit den Füßen auf ihn gestellt und dabei geraucht.
Den Akten zufolge war der Leiter des SS-Sturms, Hans Wigger, von einem der Täter noch in der Nacht oder am frühen Morgen über den Mord informiert worden. Ohne Weisung dieses Hans Wigger hätte es die Jagd auf Bauer nicht gegeben. Wigger wurde 1937 in Marne Bürgermeister.

Nach dem Krieg waren die Täter zunächst vom Landgericht Itzehoe zu mehrjährigen Haftstrafen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt worden. In der Revision stellte das Oberlandesgericht Ende Dezember 1948 das Verfahren ein. Der zuständige Richter Günther Scheer war laut Personalakten im Landesarchiv im deutschnationalen »Stahlhelm«, später in der SA-Reserve. Die beiden Beisitzer waren seit 1933 bzw. 1937 Mitglieder der NsDAP gewesen.
Angesichts der »Verrohung des politischen Kampfes im Jahre 1932«, so urteilten sie, sei zu berücksichtigen, dass »hier auch der Verletzte durch Besitz und Gebrauch einer Schusswaffe seine Teilnahme an den radikalen Formen der damaligen Auseinandersetzungen kundgetan« habe. Da sei es »willkürlich«, eine »Verletzung der Menschlichkeit einseitig bei dem festzustellen, der – womöglich zufällig – bei der Auseinandersetzung obsiegt hatte«.

Im Marner Rathaus hing zumindest bis zuletzt Wiggers Bild in der Bürgermeistergalerie – unkommentiert. Schülerinnen und Schüler, die sich in ihrer Projektarbeit mit dem Mord an Bauer befasst hatten, fragten warum.
Die Stadt hat bislang keine Antwort gegeben. Der heutige CDU-Bürgermeister Klaus Braak ist der Meinung, derzeit gebe es »wichtigere und substantiellere Themen« als die Diskussion um das mörderische Engagement eines Amtsvorgängers in den 1930er Jahren.

Weiteres lässt sich als exemplarisch skizzieren: Der »Schlächter von Warschau«, SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS und Polizei Heinrich Reinefarth, lebte bis zu seinem Tod 1979 unbehelligt auf Sylt, wo er nach dem Krieg sogar Bürgermeister und Landtagsabgeordneter war.
In den ersten zwei Jahren nach Gründung der Bundeswehr 1955 waren 44 Generale und Admirale ernannt worden, die alle zuvor in der Wehrmacht gedient hatten. Unter 14.900 Berufsoffizieren fanden sich 1959 12.360 vormalige Wehrmachtsangehörige sowie 300 SS-Führer.
Ferdinand Piëch
schrieb in seiner Autobiographie über den Werksgründer und Wehrwirtschaftsführer Ferdinand Porsche: »Natürlich bin ich stolz auf meinen Großvater. Und als ich die eminente Rolle des Konstrukteurs begriff, hat mir die ganze Geschichte bloß imponiert und mich nicht eine Sekunde belastet, warum auch?«

Warum auch sollten ihn die von seinem Großvater bei der SS bestellten KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter belasten, von denen nicht wenige zu Tode kamen?

Bürgerliche Kapitulation

In diesen Tagen wird allen Ernstes so getan, als seien die Neonazis ein Produkt der vergangenen Jahre. Oft genug soll dann auch die DDR – die »zweite deutsche Diktatur« – Schuld an dieser Entwicklung tragen.
»Im Osten«, so Exbundespräsident Joachim Gauck am 3. November im Tagesspiegel, »hat die Zeit der politischen Ohnmacht von 1933 bis 1989 gedauert«.
Diese Gleichsetzung des mörderischen Faschismus mit der DDR ist Ausdruck ideologischen Wahns.*)
Erinnert sei auch an die Worte des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer von der CDU: »Sozialismus hat nur für Leid gesorgt. Egal ob national oder real existierend.«
Real existierend – das zeigt das Beispiel Hans Wigger exemplarisch – ist vielmehr, dass es mit den Nazis im Westen nie aufgehört hat. Deren antikommunistische Kompetenz wurde gebraucht. Und auch die der furchtbaren Juristen.
Die Widerständler, besonders, wenn es sich um Kommunisten handelte, waren demgemäß selbst schuld. Die Faschisten waren Einzeltäter, die sich im Grunde genommen nur gewehrt hatten, und alte Nazirichter erteilten Freispruch.
Dazu passt übrigens die jüngste Entscheidung des Finanzamts für Körperschaften I des Landes Berlin, der Bundesvereinigung der VVN-BdA die Gemeinnützigkeit zu entziehen.
Auf diesem fetten Boden wird die Saat des Faschismus aufgehen können.

Wie so etwas in der Praxis funktioniert, lässt sich am Beispiel Schwarzenbruck bei Nürnberg studieren. Die ARD-Sendung »Monitor« berichtete darüber am 18. Juli 2019. Ein bekannter Unternehmer des Ortes mit seinen rund 8.400 Einwohnern ist Klaus Peter Weber. Der baut Wohnungen und spendet für karitative Zwecke. Zu seinem Geburtstag wollte er ein Benefizkonzert geben, die Gemeinde beteiligte sich an dessen Vorbereitung.
Doch Weber ist auch politisch umtriebig. Auf seiner Internetseite finden sich bekannte rechte Forderungen. Merkel müsse weg, ebenso die öffentlich-rechtlichen Anstalten und die »kriminellen Ausländer« sowieso.
Weber wörtlich: »Ich halte diese Toleranz für krankhaft, wenn mich dann jemand als Rassist oder ausländerfeindlich bezeichnet, muss ich sagen, damit kann ich gut leben
Auch im Rathaus wurden seine Videobotschaften zum Thema. Der Gemeinderat beschloss am 4. Juni 2019, das Benefizkonzert nicht aktiv zu unterstützen und distanzierte sich einstimmig von den Inhalten der von Weber veröffentlichten Videos und der darin enthaltenen Äußerungen.
Der Unternehmer reagierte. Er sei kein Rechter, die Gesellschaft sei bloß nach links gerückt. Entweder es gebe eine Entschuldigung und eine vollständige Rehabilitation seiner Person, seines Rufes, seiner Firma oder: »Meine Fachanwälte sind eingeschaltet. Ich sag’ es ungern, aber: Die Möglichkeiten, die ich habe, die werden den Betroffenen wehtun.«

Diese Möglichkeiten nutzt er. Webers Anhänger im Netz: »Es wird Zeit, dass mal wieder Köpfe rollen
Bei Gemeinderäten finden sich Zettel an der Wohnungstür: »Ich würde in Zukunft durch den Türspion gucken, bevor ich die Tür öffne. Volksverräter. Du wirst nie wieder ruhig schlafen. Wir kriegen Dich.«
Ein Gemeindevertreter bekennt sich zu seiner verständlichen Angst um die Familie. Plötzlich möchten CSU und SPD nichts mehr von ihrem Beschluss vom 4. Juni wissen.
Schließlich entschuldigen sich die Fraktionssprecher beider Parteien bei Weber. Doch damit nicht genug. Der SPD-Bürgermeister nimmt mit Weber ein Video auf, das dieser auf seinem Kanal einstellt.
Der Bürgermeister sagt, in devoter Haltung neben Weber stehend: »Ich bedaure sehr, dass wir heute zu dieser Form der Erklärung greifen müssen, um Dinge richtigzustellen. In der Gemeinderatssitzung vom 4. Juni kam es leider zu einer Entscheidung, die ich bedaure, für die ich mich entschuldigen möchte.«

Wer so etwas vernimmt, mag Leo Fischer recht geben, der am 6. Juli im Kontext des Mordes an Lübcke in Neues Deutschland schrieb: »Überall handelt man schon so, als seien sie (die Nazis) schon an der Macht; überall geht man mit ihnen um, als könne man schon nicht mehr anders.
Man überreicht der nationalen Sektion«, die »dank einer cleveren Medienstrategie auf allen Ebenen die Kommentarspalten flutet, die Schlüssel zur Stadt. Nicht aus Hilflosigkeit und noch nicht aus Furcht: Man kann schon gar nicht mehr anders denken als sie. Es ist … schon ›normal‹.«

Parlamentarischer Arm

Diese Normalität verdankt sich nicht zuletzt der Tatsache, dass das AfD-Personal sich aus Oberstaatsanwälten, Obersten a. D., Richtern, Rechtsanwälten, Polizeikommissaren, Professoren und anderen zusammensetzt, die so gerne als Mitte der Gesellschaft bezeichnet werden. Und damit sich diese Vorstellung von »Normalität« weiter verfestigt, ist die AfD nach außen bemüht, das Bild einer ganz normalen Partei abzugeben.
Doch »gemäßigt« ist da nichts. Die letzten Gegner der völkisch-nationalistischen Strömung sind an den Rand gedrängt. Die Parteispitze verneigt sich vor Björn Höcke und seinen Anhängern, die Faschisten jubeln.
Die völkische und nationalistische AfD-Gruppierung »Der Flügel« greift innerhalb der Partei nach der Macht. In Nordrhein-Westfalen übernehmen seine Mitglieder den Landesvorstand.
Ähnliches läuft in Bayern. Die AfD ist eingebunden in ein breites Netzwerk verschiedener rechter und rechtsextremer Gruppen und Organisationen, etwa das »Institut für Staatspolitik«, ein extrem rechter Thinktank, der Studien verfasst, Seminare durchführt, einen eigenen Verlag hat und ebenso eine eigene Zeitschrift.
Dieses Institut hat fast 20 Jahre lang den intellektuellen Nachwuchs der völkisch-nationalistischen Bewegung geschult. Institutschef Götz Kubitschek soll die AfD-Programmatik entscheidend mitgeprägt haben und gilt als enger Vertrauter von Höcke.

Zwischen der AfD und der »Identitären Bewegung« (IB) bestehen rege Kontakte. Aktivisten der IB sind Bundestagsmitarbeiter und sogar Funktionäre der AfD. Rund um die AfD sind alte und neue Organisationen und Medien verschiedener rechter Strömungen gruppiert. So die Gruppen »Ein Prozent«, Pegida, NPD, die Zeitschriften bzw. Zeitung Blaue Narzisse, Compact, Junge Freiheit, die Blogs »Journalistenwatch« (JouWatch) und »Politically Incorrect« (PI-News).
Dieses gesamte rechte Milieu, auch in seiner Heterogenität, so schließt ein weiterer »Monitor«-Bericht der genannten Sendung, »hat in der AfD letztlich seine politische Heimat gefunden. Sie sind teilweise noch ganz woanders aktiv, aber sie wissen, wen sie zu wählen haben und sie wählen die gerne.«
Der Leiter des ARD-Magazins, Georg Restle, selbst mit Morddrohungen konfrontiert, wird in einem jW-Interview, veröffentlicht am 3. August, noch deutlicher: Wir wissen, »dass sich einige Rechte durch Radikalisierungen im politischen Raum geradezu berufen fühlen, zur Tat zu schreiten; offenbar weil sie sich als Vollstrecker eines imaginierten ›Volkswillens‹ verstehen«.
Und an anderer Stelle spricht Restle davon, dass die AfD »von einer sich immer weiter radikalisierenden rechtsextremen Szene als ihr parlamentarischer Arm begriffen wird«.

Den gleichen Zusammenhang beschreibt Axel Holz in der Zeitschrift Antifa (Juli/August 2019) so: »Rechtspopulistische Wahlerfolge und rechte Straßenmobilisierung münden zunehmend in autoritär strukturierte und teilweise gewaltaffine Formen rechter Selbstermächtigung.«
In der gleichen Zeitschrift zitiert Janka Kluge aus einem Rundbrief, den Philip Stein an Mitglieder der von ihm, Götz Kubitschek und Jürgen Elsässer gegründeten Gruppe »Ein Prozent« im März 2018 versandt hatte: »Wie immer sind wir hinter den Kulissen schon zwei Schritte weiter und bereiten den nächsten Angriff auf die Macht des Establishments vor, Stück für Stück werden wir unser Land zurückholen – in den Parlamenten, auf der Straße, in den Betrieben, Schulen, Universitäten, an jedem Ort.«
Diese Strategie, schreibt Kluge, geht mehr und mehr auf. Sie zitiert dann noch einmal Kubitschek, der bereits 2008 in seiner Schrift »Provokationen« schrieb: »Wozu sich erklären? Wozu sich auf ein Gespräch einlassen und auf eine Beteiligung an einer Debatte? Nein, diese Mittel sind aufgebraucht und von der Ernsthaftigkeit unseres Tuns wird Euch kein Wort überzeugen, sondern nur ein Schlag ins Gesicht.«

Und sie schlagen wieder zu, ja, sie haben begonnen zu morden. Und sie werden es weiter tun und in größerer Zahl, wenn ihnen nicht all diejenigen in den Arm fallen, die keinen neuen Faschismus wollen.

In den Arm fallen muss man auch denjenigen, die unter dem Mantel konservativer Bürgerlichkeit eine faschistoide Praxis einfordern, wie Hans-Georg Maaßen, der kürzlich hetzte: »Ich befürchte, dass uns die neue Migrationswelle bald erreichen wird. Wir brauchen in Deutschland Politiker, die auch unschöne Bilder ertragen können.«
Und Peter Sloterdijk sprach in solch einem Kontext von einer Politik der »wohltemperierten Grausamkeit«.

Als Kommunistinnen und Kommunisten in der Partei Die Linke werden wir alles tun, dass der antifaschistische Kampf unserer Partei weiter den Stellenwert erhält, der ihm notwendigerweise zukommt.

Anmerkung

1 Ausführlich nachzulesen bei: Kurt Mohr: »Die Männer von der Mörderweide«, Interview mit Pastor Dietrich Stein, Neues Deutschland, 12.3.2019

*: Das ist kein Wahn, sondern eiskaltes Kalkül, das Eingang in die offiziellen Sprachregelungen gefunden hat.

Jochen

Sammlungsbewegung »Aufstehen« soll Möglichkeiten zur Selbstermächtigung eröffnen

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

SELBSTERMÄCHTIGUNG ist ein schöner Begriff. Meine Patienten und ich müssen ständig gegen die vom System vermittelten Ohnmachtsgefühle ankämpfen. Viele sind schon in Lähmung erstarrt. Eine schöne Zusammenfassung, um wieder Mut zu bekommen, von Daniela Dahn:
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1097701.sammlungsbewegung-primat-der-politik-zurueckerobern.html

daniela dahnPrimat der Politik zurückerobern

Angesichts der postdemokratischen Auflösungserscheinungen im Lande, in Europa und in der Welt wollen sich viele Menschen mit den mangelnden Möglichkeiten zu Einmischung und Selbstermächtigung nicht mehr abfinden. Gerade im weitesten Sinne Linksorientierte wollen nicht in Ratlosigkeit und Resignation verharren.
Das zeigt der große Widerhall, den die Idee einer Sammlungsbewegung schon in den ersten Tagen des Registrieren-Könnens erfährt. Bislang war für Hunderttausende die einzige Möglichkeit, ihre Veränderungswünsche durch Resolutionen und Appelle an die Politiker zu erbitten. Das war mitunter nicht ohne Wirkung, befriedigt aber das Bedürfnis, aktiv mitzugestalten, nicht.

Dazu sind die noch aus dem vorigen Jahrhundert mitgeschleppten und aufgestauten Probleme zu grundsätzlich. Ob eine vernünftige Politik die Bürger vor dem globalen Finanzkapitalismus schützen kann, ist bisher nicht bewiesen. Denn die Macht der Wirtschaft ist größer als die der Politik.
Die zersplitterte nationale und internationale Linke stellt derzeit keine konzept- und handlungsfähige Opposition dagegen dar. Opposition aber ist die Seele der Demokratie.

Der Auftrag der Sammlungsbewegung wäre, das Primat der Politik zurückzuerobern. Kann man dafür sammeln, ohne zu spalten?
Den drei quasi-linken Parteien im Bundestag war bisher die Kultivierung ihrer Unverträglichkeiten wichtiger als das Ergreifen einer gemeinsamen Veränderungsoption. Dabei sind die programmatischen Schnittstellen nicht gering.
Es bleiben dennoch markante Unterschiede, innerhalb und zwischen den Parteien. Insbesondere in der Friedens- oder Interventionspolitik, in der angeblichen Notwendigkeit von Rüstung und deren Export.
Hier ist auch die Kluft zwischen dem Willen der Wähler und deren Repräsentanten besonders groß.

In solches Vakuum könnten Bewegungen vordringen und damit Abgeordnete ermutigen, ihr vermeintlich freies Mandat mehr am Wählerauftrag zu orientieren, als an den Partei-Hierarchien.
Außerparlamentarischer und außerpropagandistischer Druck muss klarstellen: Parteien, Parlament und Regierung sind dem Gemeinwohl verpflichtet.
Und zwar nur diesem – im Gegensatz zur Wirtschaft, die pflichtschuldig nur der Rendite ist. Diese dient nur dann dem Gemeinwohl, wenn sie gerecht verteilt wird.
Die Kluft zwischen Arm und Reich ist ein sicheres Maß dafür, wie ungezügelt die vermögende Elite schaltet und waltet.

Das Kapital hat seine internationale Sammlungsbewegung schon vor etwa zweihundert Jahren begonnen. Und die Internationale der Rechtspopulisten ist dabei, diesem Vorsprung nachzueifern.
Sie vereinnahmt Gramscis Theorie vom Kampf um die kulturelle Hegemonie und beansprucht die Interpretationshoheit. Wenn ein Jegliches seine Zeit hat, dann ist sie gekommen für einen linken öffentlichen Thinktank*).
Es geht um Emanzipation, um Gegenhalten, um Aufstehen. Dem sich ein aufrechter Gang anschließt. Über dessen Richtung eine allen Sympathisanten offen stehende Denkwerkstatt ohne hierarchische Strukturen und Tabus beraten sollte.

Dabei muss nicht am Nullpunkt angefangen werden, es gibt kompetente Bürgerbewegungen, Forschungs- und Gesprächskreise (z.B. von den NachDenkSeiten), die seit Jahren alternative Entwürfe vorlegen, auch zur Öffnung der Demokratie für mehr Bürgerbeteiligung.
So diskutierten wir im Willy-Brandt-Kreis die Anregung des damaligen Direktors des Hamburger Friedensforschungsinstitutes, Dieter S. Lutz, nach der Parteien nicht der einzige Repräsentant des Gemeinwesens sein sollten.
Zusätzlich zum Generallistenparlament schlug er ein dem Druck der Interessen entzogenes Expertenparlament vor, einen Zukunftsrat. Über dessen Wahlmodus und Zuständigkeit wäre gemeinsam nachzudenken.
Auch darüber, ob es seine Unabhängigkeit durch Verzicht auf Diäten bewahren könnte. Aufwandsentschädigung sollte genügen.
Diese Kammer könnte sowohl das Initiativrecht für Gesetze haben als auch ein Veto-Recht, um Politik und Kapital in den Arm zu fallen.
Ein solches Gremium wäre der Ort, etwa Klima- und Friedensforschern regelmäßig das Wort zu erteilen.

Ergänzend sollte auch Gregor Gysis Jahre zurückliegender Vorschlag von der, nicht zufällig von LINKEN initiierten, Sammlungsbewegung diskutiert werden: neben dem Bundestag eine Kammer der sozialen Bewegungen zu wählen. Solche Weiterentwicklung der repräsentativen Demokratie bedürfte einer Grundgesetzänderung.
Aber wenn der Druck dafür groß genug ist, wird es sich jede Partei überlegen müssen, ob sie sich dem Anspruch auf mehr Bürgerbeteiligung entgegenstellt. Und damit den Eindruck vertieft, die Vertretung des Volkes gegenüber den Eliten habe vermeintlich die AfD übernommen.

Eine solche Kammer wäre mit der Hoffnung verbunden, dass dort die Debatten geführt werden, die man im Parlament vermisst.
Hier würde etwa die Friedensbewegung nach dem Sinn von all den Regime Changes fragen, die oft ins Chaos, aber nie in eine Demokratie geführt haben. Stärker hinterfragt würde wohl die US-dominierte NATO, die ohne konkrete Bedrohungs- und Bedarfsanalysen Rüstungsforderungen stellt, die auch als Bestandteil des Wirtschaftskrieges gegen Europa gedeutet werden können.
Für diese Bürgerkammer könnten sich all die bewerben, die das Gefühl haben, nicht gehört zu werden: Arbeitslose und Gewerkschafter, Mieter und Bürgerrechtsanwälte, Klein- und Mittelstandsunternehmer, Künstler, Seenotretter und Migranten.

Denn schließlich dürfte die Sammlungsbewegung, in welcher Kammer auch immer, keinen Zweifel daran lassen, dass die Folgen westlicher Lebensweise und postkolonialer Politik Hauptursache für viele Flüchtende sind, ihre Heimat zu verlassen. Schon deswegen haben wir die moralische Verpflichtung, gegenüber denjenigen, die sich unter Lebensgefahr bis zu uns durchgeschlagen haben, mitfühlend und entgegenkommend zu sein.
Die praktischen Schwierigkeiten der Aufnahme verlangen genauso viel Beachtung. Ohne Solidarität keine Heimat. Die Geflüchteten erteilen uns eine Lektion, die zu ignorieren sich niemand, und schon gar nicht versammelte Erneuerer, leisten können.

Um mitzumachen, muss und kann man gar nicht einer Meinung sein. Der gemeinsame Wille zur Veränderung mag vorerst genügen. Da werden sich auch einige ungebetene Gäste einfinden, was zu verkraften ist, wenn die Stichhaltigkeit des Argumentes ausschlaggebend ist.
Es soll an vereinter linker Kraft nicht interessierten Kreisen kein weiteres Mal gelingen, ein Zusammengehen zu verhindern, wie unlängst bei der alten und jungen Friedensbewegung.
Einem Neuaufguss der unseligen Querfrontdebatte durch das Hochspielen einiger weniger Trittbrettfahrer sollte von Anfang an eine Absage erteilt werden.

Keine Experimente mehr, schallte es 1989 von konservativer Seite, um das neoliberale Experiment ungestört durchziehen zu können.
Verändert wird in Umbruchsphasen allemal, fragt sich nur, wer in wessen Interesse agiert. In einem solchen historischen Moment plötzlich ohne Konzept dazustehen, ist eine traumatische Erfahrung der DDR-Bürgerrechtsbewegung. Sie bedarf keiner Wiederholung.

»Aufstehen« wäre auch die Suche nach der zu gewinnenden Zeit. Bleibt zu hoffen, dass sie gelingt. Ein Experiment. Kein Spiel.
Denn Vorsicht, allzu viele Versuchsanordnungen hält die diesseitige Geschichte womöglich nicht mehr bereit.
Wird die Chance verspielt, rette sich, wer kann: Der Wald steht schwarz und schweiget.

*: Zum Thema „linker ThinkTank“ hat sich schon Andrea Ypsilanti mit ihrem Institut Solidarische Moderne geäußert https://www.neues-deutschland.de/artikel/1096979.linke-sammlungsbewegung-sammlung-ist-eine-frage-der-bewegung.html. Nur schade, dass gerade aus diesem Institut auf intrigante Art Machtpolitik im Sinne der Gegner der Sammlungsbewegung betrieben wird. Sie war doch selber schon Opfer von Intriganz https://josopon.wordpress.com/2015/09/14/corbyn-erinnert-an-ypsilanti-was-ist-aus-den-hessischen-spd-rechtsintriganten-geworden-die-2008-die-erste-rot-rot-gr-une-landesregierung-verhindert-haben/und müsste wissen, welcher Schaden so entsteht.

Das Ansinnen von Daniela klingt aus der Sicht des Skeptikers noch zu idealistisch. Ich frage mich, was das Kapital tun wird, wenn seine Macht von einer nicht käuflichen Bürgerbewegung ernsthaft bedroht wird. Der seit den 1950er Jahren von Amts wegen betrieben Aufbau von Todesschwadronen nach südamerikanischem Vorbild wie dem NSU, verbunden mit dem völlig unzureichenden Aufklärungswillen, spricht hier eine deutliche Sprache. Aber solange die staatskapitalistische Meinungsmache noch so gut funktioniert – man sieht es daran, wer sich jetzt aus Eigeninteresse gegen die Sammlungsbewegung in Stellung bringt – lässt man den Tiefen Staat noch unter dem Teppich.

Jochen

Der Kapitalismus gehört nicht abgeschafft – er gehört reguliert!

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Bedenkenswerte Erinnerung an die Wirklichkeit auf Makroskop_
https://makroskop.eu/2018/02/kapitalismus-gehoert-nicht-abgeschafft-er-gehoert-reguliert/
Auszüge:

Die Linke sollte sich vom Antikapitalismus verabschieden. Wenn man schon von den Lehren des letzten Weltkrieges spricht, dann sollte man auch die der Nachkriegszeit nicht vergessen: kapitalistische Dynamiken können von einem starken Staat gemeinwohlfördernd genutzt werden.

Wo unter Linken über Gesellschaft diskutiert wird, ist nach kurzem Geplänkel meist eine Analyse nicht weit: Das liege alles am Kapitalismus. Der hole das Schlechte aus Mensch und Gesellschaft hervor.
Ihn zu überwinden, das sei der eigentliche Antrieb linker Motivation. So haben wir es schließlich von Marx.
So brillant dessen Analyse der kapitalistischen Ökonomie auch war: Gewartet auf die Überführung des Kapitalismus in den Sozialismus hat auch er umsonst.
Die Zwangsläufigkeit dieses Wechsels der Systeme vereitelte seine Ergebnisoffenheit, er konnte sich Kapitalismus auch nur so vorstellen, wie er ihn zeitgenössisch erlebt hatte. Obgleich er von dessen Anpassbarkeit schrieb, schien ein Wunsch der Vater eines Gedankens zu sein: Die Überwindung des Kapitalismus ist unausweichlich und unumgänglich.

Wie einst Marx sind viele Linke immer noch in der Ansicht, dass die kapitalistische Produktionsweise überwunden werden muss. Sie ignorieren dabei, dass es eben jene Produktionsweise war, die in den letzten 200 Jahren einen massiven Gewinn an Lebensqualität verursacht hat. Trotz aller Verwerfungen und Ausbeutungen, die man natürlich nicht unter den Teppich kehren kann.
Dabei wäre für Linke – mit einem Blick auf die direkte Nachkriegszeit – ein Aspekt besonders interessant: Arbeit gegen Rechtsruck, traditionell ja Antifaschismus genannt, muss nicht antikapitalistisch sein, wie man das in orthodoxen linken Kreisen täglich hört.
Die Eltern des Grundgesetzes hatten ein Anliegen: Ein neuerlicher Nationalsozialismus sollte durch Partizipation der Bürgerinnen und Bürger in einem kapitalistisch regulierten Wirtschaftssystem vereitelt werden. Das war eine antifaschistische Verpflichtung*).

Antifaschismus: Nicht zwangsläufig antikapitalistisch

Für die Nachkriegslinke war eines klar: Den Anfängen sollte man wehren. Nie wieder Faschismus! Dagegen müsse man anarbeiten. Und das war ja auch eine richtige Erkenntnis.
Im Laufe der Jahre hat sich in einem breiten Segment der Linken hierzu ein Ausweg manifestiert: Wenn der Kapitalismus verschwindet – lassen wir mal offen, wohin auch immer er dann geht -, dann könne sich der Faschismus nicht mehr durchsetzen, dann wäre seinem Aufstieg das Wasser abgegraben. Antifaschismus und Antikapitalismus seien demnach nicht voneinander zu trennen.

Diese Synthese ist gar nicht mal so stringent. Die alte Bundesrepublik manifestierte sich ja auf Basis eines Grundgesetzes, dass für sich – und für den neu entstandenen deutschen Rumpfstaat – einen Mittelweg zwischen den beiden Blöcken in Anspruch nahm. Machtpolitisch schlug man sich dann zwar ins westliche Lager, aber wirtschaftspolitisch hielt man durchaus den angloamerikanischen Kapitalismus auf Distanz. Der Rheinische Kapitalismus organisierte sich nicht durch pures Laissez-Faire bei gleichzeitiger Unterdrückung der Arbeiterbewegung**) – er verstand sich als Korporatismus und Regulativ.
Der französische Ökonom Michel Albert hat 1991 die Unterschiede beider Formen herausgearbeitet und »Kapitalismus contra Kapitalismus« verglichen. Fazit: Für Albert war die rheinische Variante wirtschaftlich überlegen. Sie hätte besser als der angloamerikanische Ansatz begriffen, dass Gesellschaft und Wirtschaft keine trennbaren Einheiten seien.

Ohne jetzt so tun zu wollen, als sei in diesem Kapitalismusmodell ein Schlaraffenland ausgebrochen, als habe es dort keine Ungerechtigkeiten gegeben – und Albert tut das auch nicht, er analysierte zum Beispiel, dass im Rheinischen Kapitalismus die Integration von ausländischen Arbeitern sehr zu wünschen übrig lasse, während die Herkunft in den USA keine sehr große Rolle spiele.
Aber der Ausgleichskapitalismus aus Mitteleuropa: Er war der Erfahrung geschuldet, die man mit dem Aufstieg faschistischer Bewegungen gemacht hatte. Eine reine Marktwirtschaft ohne ausreichende Absicherung und Teilhabe würde auf Dauer erneut zu Systemablehnung und Illoyalität führen.
Ein moderner Staat konnte daher nicht mehr darauf setzen, die Bevölkerung sich selbst zu überlassen. Er musste etwas bieten, Sicherheit garantieren und zur Stabilisierung soziale Schwankungen abfedern. Das Sozialstaatsgebot meint genau dies. Der Kapitalismus musste Regularien erhalten, dann wäre auch er eine antifaschistische Maßnahme.

Mit Smartphone zur Antikapitalismus-Demo: Verarmung im Wohlstand

Natürlich hatte das alles einen schönen Nebeneffekt für die Atlantiker: Ein derart gebändigter Kapitalismus, den konnte man auch als hübsches Beispiel für die Systemüberlegenheit dem globalen Osten, der kommunistischen Welt unter die Nase reiben.
Dieses Schaufenster des Westens: Es war rheinisch und nicht etwa angloamerikanisch. Was die europäische Spielart sicherstellte, war das Zusammenspiel von Wohlstandsmehrung und individueller Sicherheit.
Bislang kannte man den Kapitalismus meist noch als Manchester-Typus, als brutalen Wettbewerb, in dem der Markt alles und jeden regelte – wobei »regeln« hier ein Euphemismus ist. Es war das Chaos – auf humanistischer Basis ohnehin. Zwar gelang es dem jungen Kapitalismus schnell den Wohlstand zu mehren, die Situation der englischen Arbeiter verbesserte sich nach Friedrichs Engels Bericht Stück für Stück, aber ein Zustand von Entspannung durch Wohlfahrt war da noch lange nicht erreicht.

Trotzdem war es selbst für Karl Marx nicht zu leugnen: Der Kapitalismus war die Organisation zur Wertschöpfung schlechthin. Sozialismus oder Kommunismus konnte auch erst eintreten, nachdem die Gesellschaft durch den kapitalistischen Betrieb gegangen war. Er legte den Grundstein zur Wertverteilung und zur Sozialisierung. Mit dem Kapitalismus und der Industrialisierung kam der Wohlstand in die Welt.
Agrargesellschaften waren nicht darauf ausgerichtet, ein sozialistisches System zu entwickeln, denn in ihnen gäbe es ja nichts zu verteilen – außer Mangel und Entbehrung.
Der Treppenwitz der Geschichte war nun folgender: Der real existierende Sozialismus nahm dann seinen Ausgang ausgerechnet im nachzaristischen Russland, in einem agrarischen Land also, in dem es so gut wie keine Industrie gab.
Das war sein Grundproblem. Stalin industrialisierte dann in einem mörderischen Tempo nach – wobei das wörtlich gemeint war.

Er pervertierte so natürlich den nachvollziehbar schönen Grundgedanken sozialistischer Frühromantik. Die Menschheit stolperte in ihr nächstes Dilemma. Dorthin wollte die junge Bundesrepublik nicht.
Ein regulativer Kapitalismus als Mittelweg: Dahin sollte die Reise gehen.
Die Neue Linke lehnte den Kapitalismus als Konsumismus jedoch schon anderthalb Jahrzehnte nach der Gründung der BRD ab. Die neue Konsumgesellschaft ersticke nur die Sünden der Väter, so lulle man sich ein, suche man Ersatzbefriedigung und stelle sich nicht der historischen Verantwortung.
Von dieser richtigen Einschätzung des gesellschaftlichen Klimas im Adenauer-Deutschland nahm diese Neue Linke eine antikapitalistische Attitüde an, kleidete sie als antifaschistische Haltung ein und tat dabei so, als sei eine prokapitalistische Position auch dann protofaschistisch, wenn diese sich auf Grundlage des rheinischen, d.h. als regulativen und emanzipatorischen Kapitalismus begriff.

So wurde es unter Linken über Jahrzehnte Usus, seine Gesellschaftskritik antikapitalistisch zu halten. Sicher kämpft man immer noch gegen Armut an, aber die ist mittlerweile mitten im Reichtum angesiedelt – und das ist, bei aller berechtigten Kritik, schon nochmal ein Unterschied.
Paradiesische Armut gibt es freilich nicht – auch relative Armut schmerzt. Aber relative Armut lässt sich eben leichter beseitigen als absolute. Innerhalb eines Kapitalismus, der Werte und Produkte erzeugt, reichen einige regulative Maßnahmen, um Armut zu kanalisieren****). Das geht bei absoluter Armut eher nicht.
Wenn bei antikapitalistischen Demonstrationen mit Smartphones Selfies geknipst werden, dann gibt man ungewollt eines zu: Eigentlich sind die Güter, die dieses System herstellt, nun auch nicht so schlecht.

Es rettet uns kein höh‘res Wesen: Menschengemacht und regulierbar

Einen regulierten, an die Zügel genommenen Kapitalismus könne es überhaupt nicht geben – so hört man oft. Dieses System unterliege so wuchtiger Dynamiken, wie wolle man die so handhaben, dass am Ende Fairness herauskommt?
Aber was ist die Alternative? Einen Sozialismus ruft man ja nicht einfach auf dem Balkon aus.
Und nach welchen Maßgaben ruft man denn so einen Systemchange aus? Reicht es zu verlautbaren: Seid netter zueinander und gebt was von euren Profiten ab – seid endlich ein neuer Typus Mensch?
Wer Geschichte in einem so statischen Kontext auffasst, den sollte man bitte nochmals in den Geschichtsunterricht schicken. Denn es gibt immer Übergänge und Grauzonen.
Und dieser entfesselte Finanzkapitalismus, den der Neoliberalismus lehrt, dieses ganze elitäre Gehabe nach Vorlage von Ayn Rand (»Atlas wirft die Welt ab«): Das ist doch kein Naturgesetz.
Links zu sein hieß zuversichtlich und progressiv zu sein, man glaubte daran, dass kein höh’res Wesen aus dem Elend erlösen würde, dass man das schon selber tun müsse, wie es in der Internationalen angestimmt wurde.
Aber ausgerechnet der Kapitalismus, letztlich auch nur ein System von Menschenhand geschaffen, soll nicht durch ebendiese Menschenhand in den Griff zu bekommen sein?

Wie das gehen kann, hat Sahra Wagenknecht 2012 in ihrem Buch »Freiheit statt Kapitalismus« beschrieben. Dort formuliert sie einen »kreativen Sozialismus« und gibt erstaunlicherweise zu Protokoll, dass »Erhard reloaded« dringend notwendig sei. Denn die Reaktivierung des rheinischen Modells, die Neuauflage der sozialen Marktwirtschaft, sei die Grundlage für neue kreative Wege der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Organisation.
Man müsse das Rad nicht neu erfinden, mit dem Rheinischen Kapitalismus habe man ja mal ein Instrument gehabt, das zur Wohlstandverteilung bestens geeignet war – man müsse es nur reaktivieren, daher auch der Untertitel ihres Buches »Über vergessene Ideale …«, und zudem durch Reformen weiter verbessern.

Wagenknecht, die in der öffentlichen Wahrnehmung als Vertreterin der kommunistischen Plattform der Linkspartei wahrgenommen wird, sprach sich in diesem Buch doch tatsächlich für den regulierten Kapitalismus aus. Und das, während die Linken im Lande mehr denn je das Ende des Kapitalismus herbeisehnen.
Eine Reform dieses Systems kommt ihnen nicht in den Sinn – oder sie trauen es sich nicht zu. Letzteres spricht nicht für sie, denn die Linke, das sind doch die Leute, die sich stets was zugetraut haben, die progressiv tickten und nicht ihr Heil in alten Ideen suchten oder sich ostalgisch zurückträumten.

Antikapitalismus ist verlorene Liebesmüh‘, gar kein Plan für eine progressive Zukunft. Die Regulierung von Marktmechanismen braucht keinen Systemwechsel, sondern systemische Neuausrichtungen.
Wenn die Linken weiterhin auf die Schwammigkeit bauen, sich eine antikapitalistische Zukunft zu ersehnen, von der nichts sonst außer eben dieses Antikapitalistische bekannt ist, dann verpulvern sie Energien, die woanders viel nötiger gebraucht würden. Und sie disqualifizieren sich für eine realpolitische Alternative innerhalb eines Systems, dass man systematisch verbessern und kontrollieren kann.

In seinem Buch befasst sich der Autor unter anderem mit weiteren Lebenslügen der Linken.

Roberto J. De Lapuente: „Rechts gewinnt, weil Links versagt. Schlammschlachten, Selbstzerfleischung und rechte Propaganda“, 224 Seiten, 18 Euro, Westend Verlag, 1. März 2018

Mein Kommentar:

*) Der Autor vernachlässigt völlig, dass bereits unter Adenauer die ehemaligen Nazis in großer Zahl Positionen in der Verwaltung, dem Rechtswesen und den Universitäten sowie in den wichtigsten Zeitungen übernahmen. Der Fisch begann damals schon vom Kopf an zu stinken.
Diese Agenten sorgten in fleißiger Zusammenarbeit mit den USA-Geheimdiensten für eine antikommunistische Steuerung der Kultur genau so wie für die Aufrüstung zu Stay-Behind-Operationen nach dem Vorbild der südamerikanischen Todesschwadronen – letzter Auswuchs der NSU. Antifaschistische Fundamente im Denken der Menschen einzurichten war so gar nicht möglich. Vergl. hier:

https://josopon.wordpress.com/2015/02/23/terrorismus-der-westlichen-welt-kriege-kriegsverbrechen-und-propaganda/
https://josopon.wordpress.com/2015/08/10/der-terrorismus-der-westlichen-welt-teil-2-staatsterrorismus-tyrannei-und-folter/
https://josopon.wordpress.com/2015/07/29/der-terrorismus-der-westlichen-welt-teil-3-hybride-kriegsfuhrung-verdeckte-operationen-und-geheime-kriege/

Ernstzunehmende sozialistische Umgestaltungsversuche wie z.B. in Italien waren damit von vorne herein zum Scheitern verurteilt. Dazu trug auch die Korrumpierung der Sozialdemokratie bei.

**) Der Autor hat hier völlig das KPD-Verbot vergessen, ebenso das Verbot der FDJ und anderer Arbeiterorganisationen.

***) Armut zu kanalisieren, statt sie abzuschaffen, das ist krudes sozialdemokratisches Funktionärsdenken !

****) Sahra Wagenknecht ist sicher so klug einzusehen, dass die Wiedereroberung des Sozialstaates natürlich eine der wichtigen Voraussetzungen ist, um die Arbeiterklasse überhaupt wieder handlungsfähig zu machen. Der von ihr propagierte sozial regulierte Kapitalismus ist genau das schon von Marx vorausgesehene notwendige Durchgangsstadium, in dem die Produktionsmittel ihre höchste Entwicklung erfahren – allerdings mit dem Auffressen sämtlicher natürlicher Ressourcen, des Exportes von Ausbeutung, Mangelwirtschaft und Krieg in die Entwicklungsländer und der Vergiftung der Umwelt verbunden.

Ich weiss nicht, ob der Autor in seinem Buch dazu schon Stellung genommen hat. Wenn nicht, würde ich auf die zweite Auflage desselben warten.

Jochen

Wikipedia regulieren? Tja, wenn Sie betroffen wären… Auch Bereiche von PSIRAM sind gleichgeschaltet!

Am 6.2.2018 ist auf den NachDenkSeiten zum nun folgenden Artikel ein wichtiger Nachtrag von Jens Berger erschienen, der auszugsweise am Ende wiedergegeben ist.

Bei meinen eigenen Recherchen stellt ich fest, dass insbesondere PSIRAM eine sehr manipulative Strategie fährt. Das ist um so ärgerlicher, als sich auf diesem Forum auch viele aufkärerische Artikel zum Thema Esoterik, Quacksalberei, Alternativmedizin finden, die ich nicht missen möchte.
Aber bei allem, was als Kritik an der USA-Wirtschaft oder der Apardheitspolitik der israelischen Regierung verstanden wird, wird die Ebene der rationalen Argumentation verlassen.
Es werden Namen in Ketten gestellt, als wäre es schon ansteckend, wenn der eine den anderen mal zitiert, egal mit was.
Es werden Vorurteile als Signalwörter angeklebt („Antisemit“, „Verschwörungstheoretiker“), als Belege dafür werden lange Redetexte auf Schlüsselworte abgeklopft und diese dann aus dem zusammenhang gerissen zitiert.
Beliebt ist hier auch die unten beschriebene Methode des gegenseitigen Zitierens von Belegen, die dann in einen Zirkelschluss führen.
Zum Thema Verschwörungstheorie: Wenn man vor dem Auffliegen des NSU behauptet hätte, was sich dann als Geheimdienstsumpf und tiefer Staat beweisbar herausgestellt hat, wie wäre man dann wohl eingestuft worden ?
Ebenso, wenn man in den 1950er jahren etwas über die expansive deutsche Nuklearindustrie ausgesagt hätte, was sich schon 25 jahre später für alle sichtbar als Abgrund herausgestellt hat.
Oder aktuell die kriminellen Vorgänge um die deutschen Diesel oder die kriminellen Vorgänge um die NordLB oder die AirBerlin ?
Ich selber bin als Skeptiker Mitglied der GWUP. Aber auch da ist ein Einfluss nachzuweisen. So sind Beiträge zur ideologischen Beeinflussung der Wirtschaftswissenschaften auf unwissenschaftliche Weise abgebogen worden. Obwohl es milliardenfach mehr Schaden anrichet als alle Homöopathen, Gesundbeter, Pendler und Astrolgen zusammen, wird um das Thema ein systematischer Bogen gemacht. Die GWUP wird nicht zu kleinem Teil aus der Industrie finanziert.
Hier der Kommentar in den NachDenkSeiten http://www.nachdenkseiten.de/?p=42220:

Gäbe es über jeden Bürger einen Personenartikel auf Wikipedia, wäre schlagartig klar, welche Macht von der amerikanischen Foundation ausgeht. Wer schreibt, wer löscht, wer entscheidet, was drin steht?

Markus_Fiedler

Markus Fiedler

Markus Fiedler drehte zwei Filme über Meinungsmanipulation durch Wikipedia. Auf der Medientagung IALANA im Januar in Kassel erläuterte er, warum er Transparenz und Regulierung fordert.

Von Ulrike Sumfleth

Ja, ist denn schon wieder Sommerloch? Nein. Auf der Tagung erläuterte Markus Fiedler, von Beruf Biologielehrer, warum er für die beliebte Wikipedia eine Regulierung fordert.
Wikipedia besitzt eine Monopolstellung. Es stellt ein Instrument zur Meinungsbildung dar. Es wird als „echte“ Enzyklopädie wahrgenommen – ist aber keine. Bei Wikipedia kommt es zu einer Konzentration von Meinungsmacht, die laut Bundesverfassungsgericht zu verhindern ist.
Wikipedia ist eine amerikanische Foundation, eine Art Stiftung. Wir haben kein deutsches Klagerecht. Vieles, erklärte er, ist in Ordnung. Aber nicht die Darstellung von Politik und insbesondere Geopolitik.
Hauptziel von Manipulation seien Systemkritiker der US-amerikanischen Politik.

Wo und wie wird manipuliert?

Keine Angst, mit den Schmetterlingsartikeln ist alles in Ordnung. Soll heißen: Naturwissenschaft ist ein klassisches Beispiel dafür, dass es vielfach gar nichts zu meckern gibt.
Doch das sollte nicht davon ablenken, dass in den Biografien unliebsamer Personen manipuliert werde. Durch Autoren und anonyme Akteure.
Durch Signalwörter oder neudeutsch „Framing“ werden z.B. gezielt Diffamierungsbegriffe wie „Verschwörungstheoretiker“ oder „Holocaust-Leugner“ in Personenartikeln platziert. Eine andere Methode ist das Längen: Indem man eine Masse an Informationen hinzufügt, kann man brisante Infos darin „verschwinden“ lassen.

Fiedler legte nahe, dass der britische Geheimdienst GCHQ und die amerikanische NSA auf Wikipedia tätig sind und über ein Netzwerk dafür sorgen, dass anonyme Akteure in großem Stil Artikel beeinflussen.

Es soll hier nicht der Inhalt der Filme wiedergeben werden.Die dunkle Seite der Wikipedia“ und „Zensur“ gibt es auf YouTube.
Im Folgenden darum nur ein Beispiel dafür, wie eine systematische Manipulaton laut Fiedlers Recherche abläuft.

Der hyperaktive „Kopilot“

Am Beispiel des anonymen Autoren „Kopilot“ zeigte Fiedler auf, dass „Kopilot“ u.a. mehr als 50 % aller Beiträge zu dem als Verschwörungstheoretiker diffamierten Friedensforscher Dr. Daniele Ganser auf Wikipedia schrieb.
Die Identität dieses „Kopiloten“ ist so gut wie nicht herauszubekommen. Über zeitliche Verfolgung seiner Aktivitäten stellte sich jedoch heraus, dass „Kopilot“ im Zehn-Minuten-Takt sehr umfangreiche Artikel schreibt.
Die Zahlen sind tragikomisch: Wer schafft 34 anspruchsvolle Politikartikel pro Tag? 2015 gab es gar einen Rekord: 81 Artikel an einem einzigen Tag *). Das ist absurd. Es liegt nahe, dass eine Schar von Autoren beteiligt sein muss.

Netzwerk gegenseitiger Verlinkung

Psiram, Ruhrbarone, GWUP und Brights heißen Blogs, die sich laut Fiedler gegenseitig und zu Wikipedia verlinken und ein Netzwerk bilden **). Googelt man Fiedlers eigenen Namen, wird klar, dass die genannten Akteure auf jeden Fall fleißig dabei sind, sich mit seiner Reputation zu vergnügen und die Suchergebnisse zu dominieren.

Was, wenn Sie verleumdet würden?

Viele Menschen dürften es als unwichtig erachten, sich mit Kritik an der beliebten Wikipedia zu beschäftigen. Wer surft, wird schließlich belohnt: Man bekommt schnell und einfach meist zuverlässige Informationen. Zudem wirkt das ganze ungeheuer demokratisch: Das Wissen der Menschheit kostenlos für alle – toll! Da wirkt wie ein Spaßverderber, wer auf Probleme hinweist.

Aus diesem Grund sei noch einmal an die bloße Vorstellung erinnert, es gäbe standardmäßig für jeden Bürger einen Personenartikel. Warum auch immer. Was tun, wenn man darin völlig zu Unrecht z.B. als „Holocaust-Leugner“ bezeichnet wird? Das ist schon unangenehm, oder? Natürlich ist das pure Fantasie. Aber es braucht solche Gedanken, damit einem die ganze Bedeutung des Online-Lexikons bewusst wird. Wer meint, er habe nichts zu befürchten, ignoriert, dass andere Menschen, die es wagen, die US-Außenpolitik zu kritisieren, womöglich sehr wohl etwas zu befürchten haben. Nämlich Verleumdung, Ausspähung und soziale Ausgrenzung.

Halb so schlimm? Die Sache mit den „früheren Versionen“

Auf den ersten Blick ist Wikipedia transparent. Oben rechts kann man die Versionsgeschichte ansehen und alte Versionen aufrufen. Doch auch hier gibt es laut Markus Fiedler einen Haken. Sogenannte „Sichter“ von Artikeln dürfen Versionen auch unsichtbar rauslöschen. Dann gibt es keinerlei Hinweis mehr auf die Bearbeitung.
Noch einmal die Frage: Wie würde Ihnen das gefallen?

NACHTRAG:
Die Sache mit der Wikipedia – werden Sie aktiv!

jens berger

Ist die Wikipedia wirklich eine seriöse Enzyklopädie? Dass es daran berechtigte Zweifel gibt, haben wir von den NachDenkSeiten bereits öfters thematisiert. Ein weiterer Zweifler ist Markus Fiedler, der auf der Medientagung der IALANA am vergangenen Wochenende in Kassel eine Regulierung des Online-Dienstes forderte. Diese Rede wollte Ulrike Sumfleth im Rahmen eines Gastartikels auch den Lesern der NachDenkSeiten näherbringen. Leider hat die Kollegin dabei ein paar Formulierungen Fiedlers missverständlich wiedergegeben, was wiederum einige unserer Leser zu Protestbriefen veranlasste. Dabei geriet das eigentliche Thema jedoch leider in den Hintergrund. Das ist schade, denn die Probleme der Wikipedia treten immer deutlicher in den Vordergrund und eigentlich wäre es nötig, selbst aktiv zu werden und sich zu engagieren. Von Jens Berger.

Wer sich über Markus Fiedlers Erfahrungen mit der Wikipedia informieren will, der kann dies beispielsweise anhand eines Interviews tun, das Fiedler den NachDenkSeiten gegeben hat. Oder man schaut sich am Besten gleich den Film an, den Fiedler zum Thema gemacht hat. Die kleineren Fehler in unserm Artikel über Fiedlers Vortrag sollten sich dann eigentlich schon von selbst aufklären.

*) So hat der Wiki-AktivistKopilotnatürlich keine 81 Artikel an einem Tag geschrieben, sondern 81 Änderungen an Artikeln vorgenommen. Fiedlers Vorwürfe an diverse Geheimdienste sind eben dies: Vorwürfe. Beweise dafür gibt es nicht.

**) Und welche Rolle nun Blogs und Organisationen wie Ruhrbarone, Brights oder GWUP bei den Problemen der Wikipedia spielen, mag zwar eine interessante und umstrittene Frage sein – maßgeblich für die Bewertung sind derartige Nebenkriegsschauplätze eigentlich nicht und der Disput über sie ist wohl auch nicht sonderlich zielführend. Wichtiger ist der Kernpunkt der Kritik, die sowohl in Fiedlers Rede in Kassel als auch in Ulrike Sumfleths Bericht klar rüberkamen: Die Wikipedia hat in Kernbereichen keinen implementierten Schutz vor Missbrauch, insbesondere in der Form von Verleumdung.

Grund dafür sind insbesondere die Relevanzkriterien und die Bewertung von Quellen durch das Regelwerk der Wikipedia. Bitte lesen Sie dazu unbedingt auch den Artikel, den ich vor gut einem Jahr über das Phänomen fragwürdiger Passagen in den Wiki-Einträgen zu den NachDenkSeiten und dem NachDenkSeiten-Herausgeber Albrecht Müller geschrieben habe. An diesen Problemen hat sich bis heute nicht geändert. Im Gegenteil. Im Nachklang dieser Posse haben wir von Wikipedia-Helfern erfahren, dass sich dem gesunden Menschenverstand zum Trotz auch diesmal wieder die tonangebende Gruppe von „Power-Usern“ durchgesetzt hat, die offenbar ihr halbes Leben auf der Wikipedia verbringt und die Regeln des Online-Dienstes natürlich auswendig kennt. Und da ist für den gesunden Menschenverstand ohnehin kein Platz.

Mein Hauptkritikpunkt an der „Wikipedia-Verfassung“ sind dabei die sogenannten Relevanzkriterien für Quellen. Wenn ich als Autor etwas in der taz schreibe, ist es relevant und wird als Quelle zugelassen. Schreibe ich den gleichen Text auf den NachDenkSeiten, wird er als Quelle abgewiesen. Dies wird – zwischen den Zeilen – damit begründet, dass die taz als redaktionelles Medium schließlich die publizierten Inhalte überprüfen würde und diese Inhalte dadurch für die Wikipedia eine Art Zertifikat für Zuverlässigkeit erhielten. Diese Begründung muss natürlich jedem kritischen Geist, der die NachDenkSeiten regelmäßig liest, die Schuhe ausziehen. Die Mainstreammedien, die seit vielen Jahren massiv wegen Meinungsmache und falscher Berichterstattung kritisiert werden, haben bei der Wikipedia das Deutungsmonopol? Genau so ist es.

Und hier liegt die Wurzel für viele akuten Probleme der Wikipedia, die ja nicht nur Markus Fiedler kritisiert. Wenn beispielsweise Journalisten wie Steven Geyer von der FR oder Martin Reeh von der taz verleumderische Texte über die NachDenkSeiten schreiben, dann können Sie leider auch davon ausgehen, dass diese Texte als Einzelnachweise in der Wikipedia-Seite zu den NachDenkSeiten auftauchen. Egal wie unsinnig die Verschwörungstheorie- oder Querfront-Verdächtigungen auch sein mögen. Geyer und Reeh arbeiten schließlich bei namhaften Zeitungen und da wird ja irgendwer die Manuskripte kontrollieren. Vielleicht sollten die Wiki-Regelmacher mal einen Tag in einer Redaktion dieser Blätter verbringen. Mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass bei diesen Blättern Artikel inhaltlich überprüft werden.

Um die Probleme der Wikipedia in den Griff zu bekommen, wäre ein Aufstand der Anständigen innerhalb der Wiki-Community nötig. Einer unserer Leser, der selbst bei der Wikipedia aktiv ist, gab uns den Ratschlag, doch unsere Leser aufzufordern, sich ebenfalls in der Wikipedia zu engagieren, um dort die nötigen Änderungen durchzusetzen. Diesem Wunsch kommen wir gerne nach. Die realistische Alternative wäre wohl der Bedeutungsverlust der Wikipedia. Und das wäre schade, da das Konzept an sich ja gut ist und es durchaus verdient hätte, vor dem destruktiven Treiben verleumderischer geistiger Kleingärtner gerettet zu werden.

Jochen

Wie unsere Demokratie gekapert wurde. Am Beispiel Brexit.

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Wer das Folgende untet „Verschwörungstheorie“ ablegt, der möchte auch alles andere glauben, was uns die Regierungen über Wirtschafts- und Rentenpolitik, „Verteidigungs“vorbereitungen und „Terorismusbekämpfung“ erzählen, angesichts aufgedeckter Verschwörungen zu NSA, NSU, Gladio u.s.w.

In USA liefern die Internetkonzerne Verbraucher- und Benutzerdaten nach psychologischen Gesichtspunkten aufbereitet an „Think Tanks“, die darauf gezielt psychisch labile Menschen individuell gezielt in ihrem politischen Verhalten beeinflussen. Das ist mit künstlich intelligenten „Bots“ sogar massenhaft möglich.

brexit network

the brexit network

Die hier für Großbritannien beschriebenen Strukturen haben ihre Parallelen hier in Deutschland, wobei noch viele Namen und Institutionen zu recherchieren wären. Hier tauchen Unternehmen auf wie facebook, ebay, PayPal, Uber, die Millionen bisher unbedarft nutzen und Daten hinterlassen. Und sie, genauso wie Banken und Rüstungskonzerne,  arbeiten mit den willfährigen deutschen Behörden und Stiftungen wie der Atlantik-BrückeStiftung Wissenschaft und Politik, der Konrad-Adenauer-Stiftung,(CDU),  Friedrich-Ebert-Stiftung(SPD), Friedrich-Naumann-Stiftung(FDP), , zusammen, spenden an die entsprechenden Parteien, schmieren Journalisten u.s.w. Die Behörden betreiben in Zusammenarbeit mit arvato, das zum bertelsamnn-Konzern gehört, das electronic government, die unbemerkt stattfindende Lenkung und Überwachung.

Hier sorgen sie mit der elektronischen Gesundheitsüberwachungskarte, zwangsweiser elektronischer Vernetzung aller Krankenhäuser, Apotheken und Arztpraxen und den entsprechenden Zugriffsrechten für die Behörden „im Dienst der Terrorabwehr“ für die Aushöhlung der ärztlichen Schweigepflicht. Und meine ärztlichen Kollegen und Verbandsvorsitzenden, winken das durch.

http://www.nachdenkseiten.de/?p=38321
Auszüge:

Der große britische Brexit-Raubzug: Wie unsere Demokratie gekapert wurde.

Dunkle, globale Machenschaften beeinflussten das Ergebnis des EU-Referendums. Involviert waren Big Data ebenso wie milliardenschwere Trump-Freunde und die zersplitterten Gruppen der Leave-Kampagne.
Da nun in Großbritannien erneut Wahlen bevorstehen, stellt sich die Frage, ob unser Wahlsystem noch brauchbar ist.

Von Carolyn Cadwalladr
Übersetzung: Josefa Zimmermann
7.5.17, The Guardian

„Die Verbundenheit, die das Herz der Globalisierung bildet, kann von Staaten mit feindlichen Absichten ausgebeutet werden zum Erreichen ihrer Ziele (…) Die damit verknüpften Risiken sind tiefgehend und stellen eine fundamentale Bedrohung unserer Souveränität dar.“
Alex Younger, Direktor des MI6, im Dezember 2016

Es ist nicht Aufgabe des MI6, vor internen Bedrohungen zu warnen. Das war eine sehr seltsame Rede. Hat hier ein Geheimdienst dem anderen einen einen Schuss vor dem Bug verpasst? Oder zielte es auf Theresa May? Weiß sie etwas, was sie uns nicht sagt?
Senior Intelligence Analyst, im April 2017

Im Juni 2013 rief eine junge amerikanische Studienabsolventin namens Sophie Schmidt während eines Londonaufenthaltes den Chef eines Unternehmens an, bei dem sie zuvor ein Praktikum absolviert hatte. Die Firma, SCL Elections, war gerade im Begriff an Robert Mercer, Milliardär und Besitzer eines geschlossenen Hedgefonds, verkauft und in Cambridge Analytica umbenannt zu werden. Später sollte sie einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangen als die Datenanalysefirma, sie sowohl im Trump-Wahlkampf als auch bei der Brexit-Kampagne eine Rolle spielte.
Aber das lag noch in der Zukunft. Denn London sonnte sich 2013 noch im Nachglühen der Olympischen Spiele. Großbritannien hatte den Brexit noch nicht vollzogen. Die Welt hatte sich noch nicht verändert.

„Das war noch bevor wir zu dieser dunklen, dystopischen Daten-Firma wurden, die der Welt Trump bescherte.“ erzählt mir ein früherer Mitarbeiter von Cambridge Analytica, den ich hier Paul nennen will. „Das war damals, als wir lediglich ein Unternehmen für Psychologische Kriegsführung waren.

„Nannten Sie es wirklich so?“, fragte ich ihn, „Psychologische Kriegsführung?“ „Vollkommen richtig, genau darum ging es! PsyOps, Psychologische Operationen – die gleichen Methoden, die das Militär anwendet, um die Gefühle der Massen zu steuern. Das, was sie unter ‚Herz und Verstand gewinnen‘ verstehen. Wir taten es, um Wahlen zu gewinnen, genau wir wir Länder entwickeln, die kaum Gesetze haben.“

„Warum absolviert jemand ein Praktikum in einer Firma, die in der Psychologischen Kriegsführung tätig ist?“ fragte ich ihn.
Er schaute mich an, als sei ich verrückt. „Es war, als ob man für den MI6 arbeitet. Aber ein MI6, der käuflich ist. Es war einfach schick, sehr englisch. Der Chef war ein ehemaliger Eton-Schüler und man macht dort coole Sachen. Man fliegt durch die ganze Welt. Man arbeitet mir dem Präsidenten von Kenia oder von Ghana oder von wo auch immer zusammen. Es nicht wie eine Wahlkampagne im Westen. Man macht die verrücktesten Dinge.

An diesem Tag im Juni 2015 traf Sophie den Chef von SCL und infizierte ihn mit einer Idee. „Sie sagte, ‚du musst wirklich in den Datenbereich einsteigen!‘ Sie hämmerte es in Alexander hinein. Und sie schlug ihm vor, Kontakt zu dieser Firma aufzunehmen, die jemandem gehörte, den sie über ihren Vater kannte.

„Wer ist ihr Vater?“

Eric Schmidt.“

„Eric Schmidt – der Vorstandsvorsitzende von Google?“

„Ja. Und sie schlug vor, Alexander sollte sich mit dieser Firma namens Pallantir in Verbindung setzten.“

Ich hatte zuvor über mehrere Monate mit ehemaligen Mitarbeitern von Cambridge Analytica gesprochen und Dutzende haarsträubender Geschichten gehört, aber dieser Moment war dennoch verblüffend.

Für jeden, der sich mit Überwachung beschäftigt, ist Palantir ein Schlüsselbegriff. Die Datenkrake hat Verträge mit Regierungen in aller Welt – einschließlich GCHQ und NSA. Der Eigentümer ist Peter Thiel, der milliardenschwere Mitbegründer von eBay und Paypal, der zum ersten lautstarken Unterstützer Trumps im Silicon Valley wurde.

Die Tatsache, dass Eric Schmidts Tochter Sophie hier auftaucht, um sich bei Palantir vorzustellen, ist eigentlich nur ein weiteres schräges Detail in der schrägsten Story, die ich jemals recherchiert habe.

Ein seltsames, aber vielsagendes Detail. Denn es führt direkt zu der Frage, warum die Geschichte von Cambridge Analytica eine der beunruhigendsten unserer Zeit ist.
Sophie Schmidt arbeitet heute für ein anderes Riesenunternehmen im Silicon Valley: Uber.
Und es wird klar, dass von denen, die die Macht und Vorherrschaft im Silicon Valley haben – nämlich Google, facebook und ein paar Andere – die globalen Veränderungen ausgehen, deren Zeugen wir gerade sind.

Es zeigt auch die bedrohliche Leerstelle in der politischen Debatte in Großbritannien. Denn was in Amerika passiert und was in Großbritannien passiert steht in einem Zusammenhang. Brexit und Trump stehen in einem Zusammenhang. Die Beziehungen der Trump-Administration zu Russland und zu Großbritannien stehen in einem Zusammenhang. Und Cambridge Analytica ist ein zentraler Knotenpunkt, in dem all diese Fäden zusammen laufen.
Auf dem Weg zu den Allgemeinen Wahlen zeigt sich auch der Elefant im Raum: Großbritannien kettet seine Zukunft an ein Amerika, das gerade in radikaler und alarmierender Weise von Trump umgestaltet wird.

Diese Geschichte hat drei Handlungsstränge: wie die Grundlagen für einen autoritären Überwachungsstaat in den USA gelegt werden; wie die britische Demokratie untergraben wurde durch einen verdeckten, weitreichenden Koordinierungsplan eines amerikanischen Milliardärs und wie wir im Zentrum einer weitreichenden Landnahme durch Milliardäre stehen, und zwar durch unsere Daten.
Diese Daten werden heimlich gesammelt, ausgewählt und gespeichert. Wer diese Daten besitzt, dem gehört die Zukunft.

Wie bei so vielen Dingen ist der Ausgangspunkt dieser Geschichte ein Googeln am späten Abend. Im letzten Dezember geriet ich in ein verstörendes Wurmloch durch Vorschläge, die mir google autocomplete präsentierte. Sie gipfelten in der Frage, ob der Holocaust wirklich stattgefunden hat. . Und eine ganze Seite von Suchergebnissen behauptete, dass es nicht so war.

Die Google-Algorithmen waren von extremistischen Webseiten ausgetrickst worden. Und Jonathan Albright, Professor für Kommunikation an der Elon University in North Carolina, half mir dabei, das zu verstehen. Er war der Erste, dem es gelang, ein ganzes System von „Alt-Right“-Nachrichten und Informationen zu lokalisieren und aufzudecken. Und er war auch der Erste, der mich mit Cambridge Analytica bekannt machte.

Er nannte die Firma eine zentrale Stelle in der „Propagandamaschine der Rechten“. Ich zitierte das im Zusammenhang mit ihrer Arbeit für die Trump -Wahlkampagne und die Leave-Kampagne beim Referendum. Das führte zu dem zweiten Artikel, in dem es um Cambridge Analytica ging, dem Knotenpunkt des alternativen Nachrichten- und Informationsnetzwerks, das, wie ich vermute, seinen Ausgangspunkt bei Robert Mercer und Steve Bannon hat. Bannon hatte eine Schlüsselpositionen im Trump-Netzwerk und ist heute sein Chefstratege. Aufgrund von Hinweisen vermutete ich, dass ihre strategische Mission in der Zerstörung der Mainstream-Medien und ihr Ersatz durch alternative Fakten, Geschichtsfälschungen und rechte Propaganda besteht.

Mercer ist ein hervorragender Computerwissenschaftler, ein Pionier der frühen künstlichen Intelligenz und Miteigentümer eines der weltweit erfolgreichsten geschlossenen Hedgefonds (mit einer jährlichen Rendite von 71,8 %) Wie ich weiter herausfand, ist er ein guter Freund von Nigel Farage.
Andy Wigmore, der Kommunikationschef von Leave-EU, erzählte mir, dass Mercer seine Firma Cambrigde Analytics dazu bewegte, die Leave-Kampagne zu unterstützen.

Der zweite Artikel war der Anstoß für zwei Untersuchungen, die beide noch laufen: die eine durch das Büro des Informations Commissioner über die mögliche illegale Nutzung von Daten. Und die zweite durch die Wahlkommission, die sich „darauf fokussiert, ob Leave EU eine oder mehrere unzulässige Spenden bzw. Dienstleistungen angenommen hat“.

Was ich schließlich herausfand war, dass Mercers Rolle beim Referendum weit darüber hinausging, weit über über das, was die britische Rechtsprechung zulässt.
Der Schlüssel zum Verständnis, wie ein motivierter und entschlossener Milliardär unsere Wahlgesetze umgehen konnte, liegt bei Aggregate IQ, einem obskuren Webanalyse-Unternehmen, das seinen Sitz in einem Büro über einem Geschäft in Victoria, British Columbia, hat.

AggregateIQ erhielt von Vote Leave (der offizielle Leave-Kampagne) 3.9 Millionen Pfund, mehr als die Hälfte offiziellen 7-Millionen-Budgets. Drei weitere angeschlossene Leave-Kampagnen, BeLeave, Veterans for Britain und die Democratic Unionists Party zahlten weitere 757.750 Pfund.
Eine „Koordination“ zwischen Kampagnen ist nach britischem Wahlrecht verboten, es sei denn, die Ausgaben der Kampagnen werden als gemeinsame Ausgaben deklariert.
Das war nicht der Fall. „Vote Leave“ behauptete, die Wahlkommission habe alles überprüft und für unbedenklich erklärt.

Wie kam es dazu, dass eine obskure kanadischen Firma beim Brexit eine so wichtige Rolle spielte? Diese Frage stellte Martin Moore, Direktor des „Center for the Studies of Communication, Media and Power“ am King’s College London ebenfalls. „Ich durchforstete alle Rechnungen der Leave-Kampagne, nachdem die Wahlkommission sie im Februar ins Netz gestellt hatte. Und ich entdeckte diese riesigen Summen, die alle an eine Firma geflossen waren, von der ich nicht nur noch nie gehört hatte, sondern über die auch im Netz praktisch nichts zu finden war. An AggregateIQ wurde mehr Geld gezahlt als an irgendein anderes Unternehmen bei anderen Kampagnen im Rahmen des Referendums. Alles, was ich damals fand, war eine einseitige Website und sonst nichts. Es war ein absolutes Rätsel.

Moore trug zu einem im April veröffentlichten LSE-Bericht bei, in dem er die britischen Wahlgesetze angesichts neuer Formen digitaler Kampagnen als „schwach und hilflos“ bezeichnete. Durch die Existenz von Offshore-Gesellschaften, Geld im Datenformat, Dritte, die ungehindert agieren, ist eine Kontrolle der Ausgaben nicht mehr möglich. Die alten Wahlgesetze seien nicht mehr zweckmäßig. Die Gesetze, so das Fazit des Berichtes, müssen „dringend durch das Parlament überprüft werden“.

AggregateIQ ist der Schlüssel zur Aufdeckung eines weiteren komplizierten Einfluss-Netzwerks, das Mercer geschaffen hat. Durch eine an mich gerichtete E-Mail habe ich erfahren, dass Adresse und Telefonnummer von AggregateIQ identisch sind mit denen, die Cambridge Analytica auf seiner Website als die der eigenen Übersee-Niederlassung unter dem Namen „SCL Kanada“ aufführt. Einen Tag später war diese Online-Referenz verschwunden.

Es musste eine Verbindung zwischen den beiden Unternehmen bestehen, genau wie zwischen den verschiedenen Leave-Kampagnen und zwischen dem Referendum und Mercer, zu viel, um nur ein Zufall sein. Aber alle – AggregateIQ, Cambridge Analytica, Leave.EU, Vote Leave – stritten es ab. AggregateIQ war angeblich nur ein kurzfristiger „Vertragspartner“ von Cambridge Analytica. Es gäbe nichts zu leugnen. Alle bekannten Fakten wurden veröffentlicht. Und am 29. März wurde Artikel 50 wirksam.

Dann treffe ich Paul, den ersten von zwei Informanten, die früher bei Cambridge Analytica beschäftigt waren. Er ist Ende 20 und die Zeit dort hat Narben bei ihm hinterlassen. „Es ist fast wie ein posttraumatischer Schock. Es war so -´chaotisch. Es passierte so schnell. Ich wachte eines Morgens auf und stellte fest, dass wir uns die Republikanisch-Faschistische Partei verwandelt hatten. Es geht mir immer noch nicht in den Kopf.“ Er lachte, als ich das ärgerliche Geheimnis lüftete, dessen Name AggregateIQ lautete. „Finden Sie Chris Wylie“, sagte er.

„Wer ist Chris Wylie?“

„Er ist derjenige, der die Daten und das Micro-Targeting (individualisierte politische Nachrichten) zu Cambridge Analytica brachte. Er kommt aus West-Kanada. AggregateIQ verdankt ihm seine Existenz. Sie sind seine Freunde. Er brachte sie ins Spiel.“

Es gab nicht nur eine Verbindung zwischen Cambridge Analytica und AggregateIQ, sagte mir Paul. Sie waren ganz eng miteinander verknüpft, Knotenpunkte in Robert Mercers weit verzweigten Reich.

„Die Kanadier waren unser Backoffice. Sie entwickelten unsere Software. Sie speicherten unsere Daten. Wenn AggregateIQ verwickelt ist, ist auch Cambridge Analytica verwickelt. Und wenn Cambridge Analytica verwickelt ist, dann auch Robert Mercer und Steve Bannon. Sie müssen Chris Wylie finden.“

Ich fand Chris Wylie. Aber er sagte nichts dazu.

Der Schlüssel zum Verständnis dessen, wie Daten die Firma veränderten, ist das Wissen über ihre Herkunft. Und ein Brief vom “Director of Defence Operations, SCL Group”, half mir, das zu erkennen. Er stammte vom “Commander Steve Tatham, PhD, MPhil, Royal Navy (rtd)”, der sich darüber beklagte, dass ich in meinem Mercer-Artikel das Wort „Desinformation“ benutzt hatte.

In meiner Antwort wies ich ihn auf die Artikel hin, die er über „Täuschung“ und „Propaganda“ geschrieben hatte, Begriffe, die ich für Synonyme von „Desinformation“ hielt. Erst später fiel mir auf, wie seltsam es ist, dass ich mit einem pensionierten Marinekommandanten über Militärstrategien korrespondiere, die womöglich im Wahlkampf in Großbritannien und in den USA zum Einsatz kamen.

Was bei der US-amerikanischen Berichterstattung über diese „Datenananlyse-Firma“ verloren gegangen war, ist das Wissen über ihre Herkunft: Sie kam aus den Tiefen des Militärisch-Industriellen Komplexes. Eine seltsamer britischer Ableger davon wird – ebenso wie das britische Militär-Establishment – bevölkert von Old-School-Tories. #
Da war Geoffrey Pattie, ein ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär für die Beschaffung von Rüstungsgütern und Direktor von Marconi Defence Systems, mit von der Partie und Lord Marland, Diplomat unter David Cameron und Pro-Brexit-Aktivist, war ebenso dabei. Steve Tatham war Leiter der der Abteilung „Psychologische Operationen“ bei den Streitkräften in Afghanistan. Dem Observer sind Briefe bekannt, aus denen hervorgeht, dass er vom britischen Verteidigungsministerium, dem Auswärtigen Amt und der Nato unterstützt wird.

SCL / Cambridge Analytica war nicht irgendein Startup, das von ein paar Jungs mit einem Mac-PowerBook aufgezogen wurde. Es ist faktisch Teil des britischen und inzwischen auch des amerikanischen Verteidigungsestablishments. Ein Ex-Kommandant des US Marine Corps Operations Center, Chris Naler, ist seit kurzem für Iota Global tätig, ein Partner der SCL-Gruppe.

Dies ist nicht nur eine Geschichte über Sozialpsychologie und Datenanalyse. Man muss sie im Zusammenhang damit sehen, dass ein militärischer Vertragspartner mit militärischen Strategien die Zivilbevölkerung beeinflusst.
Der Amerikaner David Miller, Professor für Soziologie an der Bath University und Fachmann in Sachen PsyOps und Propaganda, sagt, es sei „ein außerordentlicher Skandal, dass dies in irgendeiner Weise mit Demokratie in Verbindung gebracht wird. Es sollte den Wählern klar sein, woher die Informationen kommen. Und wenn das nicht transparent oder offensichtlich ist, dann stellt sich die Frage, ob wir noch in einer Demokratie leben oder nicht.“

Paul und David, zwei weitere Ex-Cambridge-Analytica-Mitarbeiter, waren in der Firma tätig, als sie massenhaft Daten in ihre Technik der psychologischen Kriegsführung integrierte. „Dadurch wurden Psychologie, Propaganda und Technik auf diese machtvolle neue Art zusammen gebracht“, berichtete mir David.

Und ermöglicht wurde das durch Facebook. Denn vor allem von Facebook erhielt Cambridge Analytica seine riesigen Datenmengen.
Davor hatten Psychologen der Cambridge University Facebook- Daten legal zu Forschungszwecken gesammelt und ihre von Experten überprüften Pionierstudien über die Bestimmung von Persönlichkeitsmerkmalen, Parteipräferenz, Sexualität usw. anhand von „Gefällt mir“-Angaben auf Facebook publiziert. Und SCL / Cambridge Analytica schloss einen Vertrag mit einem Wissenschaftler dieser Universität, Dr. Aleksandr Kogan, um neue Facebook-Daten zu sammeln. Und er tat dies, indem er Leute dafür bezahlte, dass sie an einem Persönlichkeits-Quiz teilnahmen, bei dem nicht nur die eigenen Facebook-Daten gesammelt wurden, sondern auch die ihrer Freunde. Dies geschah mit Genehmigung des sozialen Netzwerkes.

Facebook war die Quelle der psychologischen Erkenntnisse, die Cambridge Analytica in die Lage versetzten, individualisierte, zielgruppengenaue Informationen zu verbreiten. Es bildete gleichzeitig auch den Mechanismus, der sie in großem Maße zur Verfügung stellte.

Die Firma erwarb auch völlig legal Konsumentendaten – alles von Zeitschriftenabonnements bis Flugreisen – und verknüpfte diese zusammen mit den psychologischen Daten mit den Wählerdaten. Und all diese Informationen wurden dann mit den Adressen, Telefonnummern und oft auch den E-Mail-Adressen der Personen verknüpft.
„Ziel ist es, jeden einzelnen Aspekt der Informationsumgebung eines jeden Wählers zu erfassen“, sagte David. „Und die Persönlichkeitsdaten ermöglichten Cambridge Analytica, individuelle Nachrichten zu erstellen.“

Das Auffinden von „leicht beeinflussbaren“ Wählern ist der Schlüssel für jede Kampagne und mit dieser Schatztruhe von Daten ist Cambridge Analytica in der Lage, Menschen mit neurotischen Tendenzen ins Visier zu nehmen, zum Beispiel diejenigen, die der Vorstellung von einer Immigrantenschwemme anhängen. Mit diesem Schlüssel kann der Triggerpunkt jedes einzelnen Wählers ermittelt werden.

In mehreren Schlüsselstaaten erarbeitete Cambridge Analytica Kampagnen für einen republikanisches Aktionskomittee. Laut einer Notiz, die ein Informant gesehen hat, war das Hauptziel „Wählerrückzug“ und „die Demokraten zu überzeugen, zu Hause zu bleiben“: eine zutiefst beunruhigende Taktik.
Es wurde schon früher behauptet, dass Unterdrückungstaktiken in der Kampagne verwendet wurden, aber dieses Dokument liefert den ersten tatsächlichen Beweis.

Aber funktioniert so etwas eigentlich? Einer der geäußerten Kritikpunkte bei meinem Artikel und auch bei anderen ist, dass Cambridge Analyticas besondere Vorgehensweise überbewertet wurde. Handelt es sich dabei wirklich um etwas Anderes als andere politische Beratungsmethoden?
„Es ist keine politische Beratung“, sagt David. „Sie müssen verstehen, das ist in keiner Weise ein normales Unternehmen. Ich glaube nicht, dass Mercer sich dafür interessiert, ob es jemals Profit abwirft. Es ist das Produkt eines Milliardärs, der riesige Summen ausgibt, um sein eigenes wissenschaftliches Experimentierlabor aufzubauen, um zu testen, was funktioniert, um winzige Einflussfaktoren zu finden, die eine Wahl beeinflussen können. Robert Mercer hat erst in diese Firma investiert, nachdem sie eine Reihe von kontrollierten Pilotversuchen durchgeführt hatte. Er ist einer der intelligentesten Informatiker der Welt. Er wird nicht 15 Millionen Dollar in irgendeinen Unsinn stecken.“

Tamsin Shaw, Associate Professor für Philosophie an der New York University, hilft mir, den Kontext zu verstehen. Sie hat die Finanzierung und Verwendung psychologischer Forschung über Folter durch das Militär erforscht. „Die Möglichkeiten, diese Forschungsergebnisse zur Manipulation von Gefühlen zu verwenden, sind weitgehend etabliert. Es handelt sich um eine im Rahmen der Militärforschung geförderte Technologie, die von einer globalen Geldelite eingesetzt wird, um Wahlen in einer Weise zu beherrschen, von der die Menschen keine Ahnung haben. Sie wissen nicht, was mit ihnen passiert.“, sagt sie. „Es geht darum, bestehende Phänomene wie den Nationalismus zu benutzen, um Randgruppen zu manipulieren. Es ist absolut beängstigend, so große Datenmengen in den Händen einer Horde internationaler Plutokraten zu wissen, die damit tun und lassen können, was sie wollen.“Wir befinden uns in einem Informationskrieg. Milliardäre kaufen diese Unternehmen auf, die dann im Innersten der Regierungen tätig sind. Das ist eine sehr besorgniserregende Situation.“

Ein Projekt, das Cambridge Analytica 2013 in Trinidad durchführte, vereinigt alle Elemente dieser Geschichte. Gerade als Robert Mercer seine Kaufverhandlungen mit dem SCL-Chef Alexander Nix begann, wurde SCL von einigen Ministern in Trinidad und Tobago zurückgehalten. Der Auftrag beinhaltete die Entwicklung eines Micro-Targeting-Programmes für die damalige Regierungspartei. Und AggregateIQ – dieselbe Firma, die für Vote Leave den Brexit liefern sollte – wurde ins Spiel gebracht, um die Targeting-Plattform zu entwickeln.

David sagte:

„Die Standardmethode von SCL / CA ist, einen Vertrag mit der Regierungspartei abzuschließen. Und sie zahlt für die politische Arbeit. Also, es geht oft um irgendein sinnloses Gesundheitsprojekt, das zur Wiederwahl des Ministers führen soll. Aber in diesem Fall hatten wir die Regierungskontakte mit dem Nationalem Sicherheitsrat von Trinidad.“

Die Arbeit im Sicherheitsbereich sollte der Preis sein für die politische Arbeit. Dokumente, die dem Observer vorlagen, zeigen, dass es um einen Vorschlag zur totalen Erfassung der Netzaktivitäten der Bürger ging, ebenso wie die Speicherung aller Telefongespräche und die Anwendung von Spracherkennungsprogrammen, um eine nationale Polizeidatenbank zu erstellen mit Eintragungen über jeden Bürger im Hinblick auf seine Neigung, Straftaten zu begehen.

„Der Plan, der dem Minister vorgelegt wurde, war der Minority Report. Es ging um Vorfeld-Kriminalität. Und es ist absolut erschreckend, dass Cambridge Analytics mittlerweile im Pentagon tätig ist.“ sagte David.

Diese Dokumente werfen ein Licht auf einen wichtigen und von den Medien wenig beachteten Aspekt der Trump-Administration.
Die Firma, die Trump in erster Linie half, an die Macht zu kommen, hat nun Verträge mit dem Pentagon und dem State Department unterschrieben. Ihr früherer Vizechef Steve Bannon sitzt nun im Weißen Haus. Wie berichtet wird, steht er auch zur Debatte für die Arbeit in den Bereichen Militär und Heimatschutz.

In den Vereinigten Staaten ist die Regierung sehr eng an Gesetze gebunden, die festlegen, welche Daten über einzelne Bürger gesammelt werden dürfen. Aber privaten Firmen ist alles erlaubt. Ist es unvernünftig, hierin die Anfänge eines autoritären Überwachungsstaates zu sehen?

Der Staat lässt es zu, dass Unternehmensinteressen Zugang zum Inneren der Verwaltung haben. Dokumente belegen, dass Cambridge Analytica mit vielen anderen politisch rechts stehenden Milliardären verbunden ist, zum Beispiel mit Rupert Murdoch. Eine Notiz verweist auf den Versuch von Cambridge Analytica, einen Artikel durch einen Journalisten in Murdochs Wall Street Journal zu platzieren: Die Notiz lautet:

„RM neu ausgerichtet und mit Jamie McCauley von Robert Thomson News Corp Office verbunden“.

Das erinnert mich wieder an die Geschichte von Sophie Schmidt, Cambridge Analytica und Palantir. Ist das nur ein wichtiges Detail oder ist es eine Spur, die zu etwas Neuem führt? Sowohl Cambridge Analytica als auch Palantir lehnten es ab, sich darüber zu äußern, ob es eine Verbindung zwischen ihnen gibt. Aber durch Zeugen und E-Mails wird bestätigt, dass 2013 mehrere Treffen zwischen Cambridge Analytica und Palantir stattfanden. Die Möglichkeit einer Arbeitsbeziehung stand zumindest zur Diskussion.

Weitere Dokumente, die dem Observer vorlagen, bestätigen, dass mindestens ein hochrangiger Palantir-Mitarbeiter Cambridge Analytica wegen des Trinidad-Projektes und einer späteren politischen Arbeit in den USA konsultiert hat. Wie ich erfuhr, entschied Palantir zu diesem Zeitpunkt, dass das Risiko eines Imageverlustes bei einem über das Formale hinausgehenden Arrangement zu groß sei. Es gab keinen Vorteil dabei. Bei Palantir handelt es sich um eine Firma, der man zutraut, mit großen Datenvolumen von britschen und US-Bürgern umzugehen für das GCHQ und die NSA und auch für andere Länder.

Dennoch, bei beiden sind die Eigentümer Milliardäre, die sich ideologisch auf einer Linie befinden: Robert Mercer und Peter Thiel. Die Trump-Kampagne behauptete, dass sie von Thiel mit Daten versorgt wurde. Die Kampagne wurde von Steve Bannon geführt, der damals bei Cambridge Analytica tätig war.

Ein leitender QC, der viel Zeit beim Investigatory Powers Tribunal verbringt, sagte, das Problem mit dieser Technologie sei, dass alles davon abhänge, in wessen Händen sie sich befindet.

„Einerseits erledigen das Firmen und Regierungen, die behaupten: „Ihr könnt uns vertrauen, wir sind gut und demokratisch und backen am Wochenende Kuchen.“ Aber andererseits können sie auch das gleiche Fachwissen an das repressive Regimes verkaufen.“

In Großbritannien vertrauen wir noch unserer Regierung. Wir respektieren unsere Behörden, die unsere Gesetze schützen. Wir vertrauen der Rechtsstaatlichkeit. Wir glauben, dass wir in einer freien und fairen Demokratie leben. Und genau das ist der Grund, so glaube ich, warum uns der letzte Teil dieser Geschichte so tief verunsichert.

Die Details des Trinidad-Projekts entschlüsselten schließlich das Geheimnis, was es mit AggregateIQ auf sich hatte. Trinidad war das erste Projekt von SCL, das Big Data für Micro-Targeting benutzte, bevor das Unternehmen von Mercer aufgekauft wurde. Es war dieses Modell, in das sich Mercer einkaufte. Und es brachte alle Spieler zusammen: den Cambridge-Psychologen Aleksandr Kogan, AggregateIQ, Chris Wylie und zwei weitere Personen, die in dieser Geschichte eine Rolle spielen sollten: Mark Gettleson, ein Fokusgruppen-Experte, der zuvor für die Liberal-Demokraten gearbeitet hatte. Und Thomas Borwick, Sohn von Victoria Borwick, der konservativen Parlamentsabgeordneten für Kensington.

Als mein Artikel, der Mercer und Leave.EU miteinander in Verbindung brachte, im Februar veröffentlicht wurde, war niemand so sehr darüber verärgert wie der ehemalige Tory-Berater Dominic Cummings, der Kampagnenstratege von Vote Leave. Er startete eine wütende Twitter-Tirade. Der Artikel sei „voller Fehler und verbreitet selbst Desinformation“, „CA spielte überhaupt keine Rolle beim Brexit Referendum.“.

Eine Woche später zeigte der Observer die möglichen Verbindungen von AggregateIQ zu Cambridge Analytica auf. Cummings Twitter-Feed verstummte. Er beantwortete meine Nachrichten und E-Mails nicht.

Die Frage, ob die einzelnen Leave-Kampagnen koordiniert werden, lag in der Luft. In der Woche vor dem Referendum spendete Vote Leave Geld an zwei andere Brexit-Gruppen, 625.000 Pfund an BeLeave, das von dem Modedesign-Studenten Darren Grimes angeführt wurde, und 100.000 Pfund an Veterans for Britain. Und beide Gruppen gaben das Geld weiter an AggregateIQ.

Die Wahlkommission schrieb an AggregateIQ. Aus informierter Quelle war zu erfahren, dass die Antwort von lautete, sie hätten ein Schweigeabkommen unterzeichnet. Und da AggregateIQ sich nicht im Geltungsbereich britischer Gesetze befindet, blieb es dabei. Vote Leave behauptet, laut Wahlkommission sei das alles Rechtens gewesen.

In seinem Blog schrieb Dominic Cummings sehr ausführlich über die Referendumskampagne. Was aber fehlte waren irgendwelche Details über seine Datenwissenschaftler. Er „heuerte Physiker an“, das ist alles, was er zu sagen hat. In Büchern über den Brexit sprechen andere Mitglieder des Teams über „Doms Astrophysiker“, die „ein streng gehütetes Geheimnis“ waren. Sie bauten Modelle mit Daten, die sie auf Facebook gesammelt hatten.

Endlich, nachdem ich ihm wochenlang Nachrichten geschickt hatte, antwortete er mit einer E-Mail. Wir stimmten schließlich in einem Punkt überein, wie sich herausstellte. Er schrieb:

„Die Gesetze / Behörden sind ein Witz. In Wirklichkeit kann jeder, der will, Gesetze übertreten, ohne dass es jemand merkt. Aber indem man die Menschen dazu bringt, sich auf Geschichten zu konzentrieren wie die von Mercers angeblich nicht vorhandener Rolle beim Referendum, verschleiern sie die wichtigen Themen.“

Und um schließlich die Frage zu beantworten, wie Vote Leave diese obskure kanadische Firma auf der anderen Seite des Planeten gefunden hat, schrieb er:

„Jemand fand AIQ (AggregateIQ) im Internet und rief dort an. Er sagte mir, lass es uns mit diesen Jungs machen. Sie waren deutlich kompetenter als alle, mit denen wir in London gesprochen hatten.“

Das Unangenehmste an dieser Geschichte ist für Dominic Cummings, dass sie nicht glaubwürdig ist. Man braucht nur wenige Minuten, um einen Datenfilter auf die Google-Suche zu setzen und herauszufinden, dass es Ende 2015 oder Anfang 2016 keine Google-Treffer für „AggregateIQ“ gab. Es gab keine Presseberichterstattung, keine zufälligen Erwähnungen, sie hatten noch nicht einmal ihre Website geschaltet. Ich habe Dominic Cummings dabei erwischt, alternative Fakten zu behaupten.

Fakt ist aber, dass Gettleson und Borwick, beide bisher Berater für SCL und Cambridge Analytica, Mitglieder der Kerngruppe des Vote Leave Teams waren. Sie sind beide in den offiziellen Dokumenten, die bei der Wahlkommission eingereicht wurden, genannt, wo sie ganz bescheiden ihre bisherige Arbeit für SCL / Cambridge Analytica als „Mikro-Targeting in Antigua und Trinidad“ und „direkte Kommunikation für mehrere PACs, Senats- und Gouverneurskampagnen“ beschreiben “

Und Borwick war nicht nur irgendein Mitglied des Teams. Er war der Technische Leiter von Vote Leave.

Diese Geschichte zeigt ein komplexes Netzwerk von Verbindungen auf, aber alle Wege führen zurück zu Cambridge Analytica. Alles führt zu Mercer. Denn die Verbindungen müssen offensichtlich gewesen sein. „Auch wenn AggregateIQ Mercer nicht gehört, so war es doch Teil seiner Welt, sagte mir David. „Sie hatten fast ausschließlich Verträge mit Cambridge Analytica oder Mercer. Ohne sie würde AggregateIQ nicht existieren. Während der Zeit des Referendums arbeiteten sie jeden Tag an der Ted-Cruz-Kampagne mit Mercer und Cambridge Analytica. AggregateIQ konstruierte und betrieb Cambridge Analyticas Datenplattform.“

Cummings wollte sich nicht darüber äußern, wer das so geplant hatte. Aber Rechnungen, die bei der Wahlkommission eingereicht wurden, weisen Zahlungen an eine Firma namens Advanced Skills Institute auf. Es kostete mich Wochen zu erkennen, was das bedeutet. Denn das Unternehmen wird in der Regel als ASI Data Science bezeichnet. Es handelt sich um eine Firma, deren Besetzung mit Datenspezialisten ständig wechselt. Die Mitarbeiter gehen anschließend zu Cambridge Analytica und umgekehrt. Es gibt Videos von ASI-Data Science, die die Persönlichkeitsmodelle von Cambridge Ananlytica präsentieren und Seiten über Veranstaltungen, die beiden Unternehmen gemeinsam organisiert haben. ASI teilte dem Observer mit, dass es keine formale Beziehung zu Cambridge Analytica gibt.

Das ist die entscheidende Tatsache: Während der US-Vorwahlen gab AggregateIQ ihr geistiges Eigentum (IP) aus der Hand. Die Firma hat keine eigene IP-Adresse: sie gehört Robert Mercer. Um für eine andere Kampagne in Großbritannien zu arbeiten, benötigte die Firma die ausdrückliche Erlaubnis von Mercer. Auf die Frage nach irgendwelchen geschäftlichen Verbindungen zwischen „Cambridge Analytica, Robert Mercer, Steve Bannon, AggregateIQ, Leave.EU und Vote Leave“, erwiderte ein Sprecher von Cambridge Analytica: „Cambridge Analytica hat weder bezahlte noch unbezahlte Arbeit für Leave.EU geleistet.“

In dieser Geschichte soll es nicht darum gehen, dass Dominic Cummings ein paar Schlupflöcher in den Vorschriften der Wahlkommission gefunden hat oder einen Weg, wie er zusätzlich eine Million Pfund ausgeben kann, oder (wie der Observer entdeckt hat) die Kosten seiner Physiker bei der Deklaration der Ausgaben um 43.000 Pfund zu niedrig angegeben hat. In dieser Geschichte geht es nicht einmal um die offenbar vertuschte koordinierte Zusammenarbeit von Vote Leave und Leave.EU mit AggregateIQ und Cambridge Analytica. Sie handelt davon, wie ein motivierter US-Milliardär – Mercer, mit seinem Chef-Ideologen Bannon – dazu beigetragen haben, den größten konstitutionellen Wandel des Jahrhunderts in Großbritannien herbeizuführen.

Hier geht es darum zu verstehen, wie und wo der Brexit mit Trump zu tun hat. Diese Verbindung, die sich mitten durch Cambridge Analytica zieht, ist das Ergebnis einer schon seit Jahren bestehenden transatlantischen Partnerschaft.
Nigel Farage und Bannon sind seit Mitte 2012 eng verbunden. Bannon eröffnete den Londoner Zweig seiner Nachrichtenwebsite Breitbart im Jahr 2014, um Ukip, die letzte Front „in unserem aktuellen kulturellen und politischen Krieg zu unterstützen“, so sagte er der New York Times.

Großbritannien hatte schon immer eine Schlüsselfunktion in Bannons Plänen, erzählte mir ein anderer Ex-Mitarbeiter von Cambridge Analytica unter der Bedingung der Anonymität. Es war ein wichtiger Teil seiner Strategie, die gesamte Weltordnung zu verändern.

„Er glaubt, dass zuerst die Kultur verändert werden muss um dann die Politik zu verändern. Und Großbritannien war der Schlüssel dazu. Er dachte, wenn Großbritannien führt, würde Amerika folgen. Die Idee vom Brexit war für ihn von großer symbolischer Bedeutung.“

Am 29. März trat der Artikel 50 in Kraft und ich rief bei einer der kleineren Kampagnen, Veterans for Britain, an. Cummings‘ Strategie bestand darin, die Menschen in den letzten Tagen der Kampagne anzusprechen und Vote Leave spendete der kleineren Gruppe in der letzten Woche 100.000 Pfund. Eine kleine Anzahl ausgewählter Personen, die sie als „leicht beeinflussbar“ identifizierten, wurden mit mehr als einer Milliarde Anzeigen bombardiert, die meisten davon in den letzten paar Tagen.

Ich fragte David Banks, den Sprecher von Veterans for Britain, warum sie das Geld bei AggregateIQ ausgegeben hatten.

„Nicht ich fand AggegrateIQ. Sie fanden uns! Sie riefen uns an und platzen bei uns herein. Es gibt keine Verschwörung. Sie waren einfach diese kanadische Firma, die ein Büro in London eröffnete, um in der britischen Politik zu arbeiten. Und sie machten Dinge, die kein britisches Unternehmen im Angebot hatte. Ihr Targeting basierte auf einer Reihe von Technologien, die es hierzulande noch nicht gab. Vieles davon war geschützt. Sie hatten eine Möglichkeit gefunden, Menschen auf der Grundlage von Erkenntnissen über ihr Verhalten zielgenau anzusprechen. Sie machten uns ein Angebot.“

Es scheint klar zu sein, dass David Banks nicht wusste, dass es hier etwas Rechtswidriges gehen könnte. Er ist ein patriotischer Mann, der an britische Souveränität und britische Werte und britische Gesetze glaubt. Ich glaube nicht, dass er von irgendwelchen Überschneidungen mit anderen Kampagnen wusste. Ich glaube lediglich, dass er benutzt wurde.

Und ich glaube, dass wir als britisches Volk insgesamt zum Spielball wurden. In seinem Blog schreibt Dominic Cummings, dass es beim Brexit auf „etwa 600.000 Menschen – knapp über 1% der registrierten Wähler“ ankam. Es ist keine Übertreibung zu glauben, dass ein Mitglied der globalen Ein-Prozent einen Weg gefunden hat, dieses entscheidende eine Prozent der britischen Wähler zu beeinflussen.

Das Referendum war eine offene Zielscheibe, die für US-Milliardäre zu verlockend war, um nicht einen Schuss darauf zu wagen. Besser gesagt, die US-Milliardäre und andere interessierte Kreise, denn indem wir die engen transatlantischen Verbindungen zwischen Großbritannien und Amerika, Brexit und Trump, anerkennen, müssen wir auch anerkennen, dass Russland irgendwie in diese enge Umarmung eingeschlossen ist.

Im letzten Monat habe ich über die Verbindungen der britischen Rechten zur Trump-Administration und der europäischen Rechten geschrieben. Und diese Verbindungen führen aus vielen Richtungen nach Russland, irgendwo zwischen Nigel Farage, Donald Trump und Cambridge Analytica hindurch.

Dem Observer wurde eine Landkarte vorgelegt mit Markierungen an den Orten auf der Welt, wo SCL und Cambridge Analytica tätig waren, einschließlich Russland, Litauen, Lettland, Ukraine, Iran und Moldawien. Vielfältige andere Quellen von Cambridge Analytica decken andere Verbindungen zu Russland auf, einschließlich Reisen in das Land, Treffen mit Vertretern staatseigener russischer Unternehmen und Hinweise auf SCL-Mitarbeiter, die für russische Dienste tätig sind.

Artikel 50 trat in Kraft. AggregateIQ arbeitetet außerhalb des Geltungsbereichs britischer Gesetze. Die Wahlkommission ist machtlos. Und eine neue Wahl steht uns unter den gleichen Bedingungen nächsten Monat bevor. Es ist nicht so, dass die Behörden nicht wüssten, dass es Grund zur Sorge gibt. Der Observer hat erfahren, das der Crown Prosecution Service einen Sonderstaatsanwalt ernannt hat, der entscheiden soll, ob es Fälle gibt, die eine kriminalpolizeiliche Untersuchung wegen Bruchs der Wahlfinanzierungsgesetze notwendig machen. Der CPS hat es an die Wahlkommission weitergeleitet.
Ein Informant aus dem Umfeld der Geheimdienste erzählte mir, dass an der möglichen russischen Einflussnahme auf das Referendum gearbeitet wird.

Gavin Millar, ein QC und Experte für Wahlrecht, beschrieb die Situation als „sehr besorgnisserregend“. Er glaubt, der einzige Weg, die Wahrheit zu ermitteln, sei eine öffentlicher Untersuchungsausschuss. Aber die Regierung müsste ihn einberufen, eine Regierung, die gerade Neuwahlen zum eigenen Machterhalt initiiert hat. Eine Wahl, die zum Ziel hat, uns dauerhaft auf eine Linie mit Trumps Amerka zu bringen.

Martin Moore von King’s College London wies darauf hin, dass Wahlen ein modernes Werkzeug für Staaten sind, die ein autoritäres Regime anstreben. „Sehen Sie doch Erdogan in der Türkei. Was Theresa May tut, ist quasi antidemokratisch. Es geht ihr bewusst darum, ihre Macht zu stärken. Es geht nicht um einen Kampf zwischen zwei Parteien. “

Das ist Großbritannien im Jahr 2017, ein Großbritannien, das zunehmend wie eine „verwaltete“ Demokratie erscheint, von einem US-Milliardär bezahlt, mit militärischen Technologien ausgestattet, ausgeliefert von Facebook und von uns uns ermächtigt.
Wenn wir dieses Referendum so stehen lassen, stimmen wir all dem implizit zu. Hier geht es nicht um Remain oder Leave. Es geht weit über Parteipolitik hinaus.
Es geht um den ersten Schritt in eine schöne, neue, zunehmend undemokratische Welt.

Namens- und Stichwortverzeichnis

  • SCL Group
    Britisches Unternehmen mit 25 Jahren Erfahrung mit militärischen „psychologischen Operationen“ und „Wahlmanagement”.
  • Cambridge Analytica
    Datenanalyse-Unternehmen, gegründet 2014. Robert Mercer besitzt 90% der Anteile, SCL 10%. Durchführung von großen digitalen Targeting-Kampagnen für die Donald-Trump-Wahlkampagne, die Nominierungskampagne von Ted Cruz und viele andere Kampagnen für die US-Republikaner. – in der Regel gesponsert von Mercer. Unterstützte Nigel Farages Leave.EU beim Referendum.
  • Robert Mercer
    US-Milliardär, Hedgefond-Eigentümer und der größte Wahlkampfspender von Trump. Eigentümer von Cambridge Analytica und des IP [intellectual property] von AggregateIQ. Freund von Farage. Enger Vertrauter von Steve Bannon.
  • Steve Bannon
    Chefstratege von Trump. Vize -Chef von Cambridge Analytica während der Referendumsperiode, Freund von Farage.
  • Alexander Nix
    Direktor von Cambridge Analytica und der SCL Gruppe.
  • Christopher Wylie
    Kanandier, brachte als Erster Datenexpertise und Micro-Targeting ein in Cambridge Analytica; warb AggregateIQ an.
  • AggregateIQ
    Datenanalyse-Firma mit Sitz in Victoria, British Columbia, Kanada. Arbeitete für das von Mercer gesponsertes Politische Aktionskomittee, das die Trump-Kampagne unterstützte. Mercer ist Eigentümer von AIQs IP. 3,9 Mio Pfund von Vote Leave für Micro-Targeting erhalten während der Referendumskampagne. Befindet sich außerhalb britischer Rechtsprechung.
  • Veterans for Britain
    Erhielt £100,000 von Vote Leave. An AggregateIQ gezahlt.
  • BeLeave
    Junge Leave Kampagne, gegründet von einen 23 jährigen Studenten. Erhielt £625,000 von Vote Leave & £50,000 von einem anderen Spender. Gezahlt an AggregateIQ.
  • DUP
    Democratic Unionist Party of Northern Ireland. Zahlte £32,750 an AggregrateIQ.
  • Thomas Borwick
    Technischer Leiter von Vote Leave. War vorher bei SCL/Cambridge Analytica und AggregateIQ tätig.
  • ASI Data Science
    Datenspezialist. Verbindung zu Cambridge Analytica, incl Austausch von Personal und gemeinsamen Veranstaltungen. Erhielt £114,000 von Vote Leave. Vote Leave deklarierte nur £71,000 bei der Wahlkommission.
  • Donald Trump
    US-Präsident. Wahlkampagne von Mercer gesponsert und von Bannon geleitet. Datenlieferung durch Cambridge Analytica und AggregrateIQ.
  • Nigel Farage
    Früherer Ukip-Führer. Leiter von Leave.EU. Freund von Trump, Mercer and Bannon.
  • Arron Banks
    Geschäftsmann aus Bristol, Mitgründer von Leave.EU. Eigentümer einer Datenfirma und einer Versicherung. Größter Einzelspender von Leave – £7.5 Mio.

Einige Namen, Altersangaben und andere Identifizierungsmerkmale der Informanten in diesem Artikel wurden verändert.

Jochen

Kampfgemeinschaften – extrem rechtes Netzwerk in der Bundeswehr – Ausläufer des „Tiefen Staates“ – Werden neue Todesschwadronen aufgebaut ?

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Eine schlimme Vermutung: Der enttarnte Oberleutnant bereitete ein Attentat unter falscher Flagge vor.
Nachdem der NSU so aus dem Ruder gelaufen ist, dass er zu diesem heimlichen Zweck nicht mehr taugte, musste offensichtlich ein neues Netzwerk aufgebaut werden.
Dazu vorgestern auf den NachDenkSeiten Paul Schreyer (s.u.) und heute auf German Foreign Policy:
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59586
Auszüge:

Kampfgemeinschaften

03.05.2017 BERLIN (Eigener Bericht) –
In der Bundeswehr ist nach Angaben des Verteidigungsministeriums ein extrem rechtes Netzwerk aktiv. Dies wird unter Berufung auf Unterlagen des Ministeriums berichtet. Demnach hätte Oberleutnant Franco A., der vergangene Woche unter Terrorverdacht festgenommen wurde, mehrere Mittäter. A. soll Mordattentate auf eine Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, auf eine antirassistische Organisation sowie womöglich auch auf Ex-Bundespräsident Joachim Gauck und auf Bundesjustizminister Heiko Maas erwogen haben.
Eine der zentralen Fragen im Fall Franco A. ist nach wie vor, wieso der Mann nach der Erstellung einer Masterarbeit, die laut Experten an NS-Propaganda erinnerte, von den zuständigen Stellen der Bundeswehr von jedem „Zweifel an der erforderlichen Einstellung zur Werteordnung“ freigesprochen wurde.

Die Frage stellt sich umso dringlicher, als rechtsgerichtete Kräfte in den Streitkräften aktiv sind – auch an einflussreicher Stelle, etwa an der Münchner Universität der Bundeswehr. In „Denkzirkeln“ junger Offiziere und Offiziersanwärter wird beispielsweise eine „umfassende mentale Revolution“ gefordert, die eine „Reinigung des Offiziersstandes“ von „falsch verstandene(r) Toleranz und liberale(n) Auffassunge(n)“ bewirken soll.

Rassistischer Appell

Zu den zentralen Fragen im Fall Franco A. gehört nach wie vor, weshalb der Oberleutnant nach der Abgabe seiner Masterarbeit an der französischen Militärhochschule St. Cyr weder entlassen noch vom Militärgeheimdienst MAD überprüft wurde. Ein Gutachter vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam kam Berichten zufolge zu dem Schluss, bei der Arbeit handle es sich um „einen radikalnationalistischen, rassistischen Appell“, dessen „biologistische Metaphorik“ an NS-Propaganda erinnere.[1]
Der Kommandeur von St. Cyr, Général de Division Antoine Windeck, hat laut den Berichten gegenüber A.s deutschem Vorgesetzten an der Universität erklärt: „Wenn es ein französischer Lehrgangsteilnehmer wäre, würden wir ihn ablösen“. Zu diametral entgegengesetzten Urteilen kamen hingegen A.s deutscher Vorgesetzter, ein Oberstleutnant der Bundeswehr, sowie der zuständige deutsche Wehrdisziplinaranwalt. Er könne „keinen Anhaltspunkt“ entdecken, dass A.s Einstellung mit seiner soldatischen Pflicht unvereinbar sei, schrieb der Vorgesetzte, während der Wehrdisziplinaranwalt in einem Aktenvermerk notierte, „Zweifel an der erforderlichen Einstellung zur Werteordnung“ seien bei A. „auszuschließen“.[2]

Konservative Revolutionäre

Ultrarechte Einstellungen, wie sie bei A. in extrem zugespitzter Form zutage treten, werden Teilen der Bundeswehr regelmäßig attestiert. Dabei finden sich rechte Kräfte auch in einflussreicher Stellung in den Streitkräften, beispielsweise an der Münchner Bundeswehr-Universität sowie in deren Umfeld.
Exemplarisch zeigte dies ein Vorfall im Jahr 2011. Damals hatte sich heftiger Streit um die offizielle Studierendenzeitschrift der Hochschule („Campus“) entzündet, nachdem das Blatt provozierende rechte Thesen verbreitet hatte: „Frauen als Kämpfer einzusetzen“ bedeute „einen strukturellen Kampfwertverlust“, hieß es etwa; zudem sei die Rede vom „Staatsbürger in Uniform“ eine „inhaltsleere Hülle“.[3]
Recherchen ergaben, dass der damalige „Campus“-Chefredakteur sowie zwei weitere Redakteure publizistisch einem Milieu entstammten, das sich positiv auf die Konservative Revolution bezieht und als dessen führender Kopf der bekannte Rechtsintellektuelle Götz Kubitschek gilt.[4]
Bei der Konservativen Revolution handelt es sich um eine ultrarechte Strömung der 1920er und frühen 1930er Jahre, die Experten zufolge „zu den geistigen Wegbereitern des Nationalsozialismus“ zählt.[5]
Kubitschek wiederum, Gründer des in dieser Tradition stehenden „Instituts für Staatspolitik“, wird als geistiger Mentor des ultrarechten AfD-Flügels um den AfD-Fraktionsvorsitzenden im Thüringer Landtag, Björn Höcke, eingestuft.

„Kontroverse Themen“

Den damaligen Streit konnten die drei „Campus“-Redakteure, Oberleutnant Martin Böcker, Leutnant Felix Springer sowie Leutnant zur See Larsen Kempf, für sich entscheiden: Sie wurden von der offiziellen Studierendenvertretung mit großer Mehrheit in ihren Ämtern bestätigt. Er lege Wert darauf, auch „kontroverse Themen“ ausführlich zu diskutieren, erklärte der Vorsitzende der Studierendenvertretung dazu.[6]
Zu den Thesen, die „Campus“ gedruckt hatte und um die sich der Streit drehte, gehörte folgende Behauptung eines Wissenschaftlers vom „Institut für Theologie und Ethik“ an der Bundeswehr-Universität: „Anders als erhofft, entfaltet sich unter freiheitlich-demokratischen Bedingungen keine gemeinschaftlich-gute Lebensform.“[7]
Die Präsidentin der Bundeswehr-Universität, die sich verärgert darüber geäußert hatte, musste letzten Endes die Kritik einstellen, zumal auch Professoren der Hochschule den „Campus“-Redakteuren den Rücken gestärkt hatten. Zu ihnen zählte Carlo Masala, der weiter als Professor für Internationale Politik an der Universität tätig ist. Masala hatte sich zuvor in einem öffentlichen Beitrag selbst auf einen Protagonisten der Konservativen Revolution bezogen – auf den gelegentlich als „Kronjuristen“ des NS-Reichs bezeichneten Staatsrechtler Carl Schmitt.[8]

Eine „mentale Revolution“

Die drei ehemaligen „Campus“-Redakteure, in ultrarechten Kreisen gelegentlich „Campus-Drei“ genannt, sind in den vergangenen Jahren auch weiterhin publizistisch aktiv gewesen. Im Jahr 2013 haben sie den Sammelband „Soldatentum“ herausgegeben, der auf der Grundlage rechtsgerichteter Positionen Abschied vom Konzept des „Bürgers in Uniform“ nimmt. Der Münchner Bundeswehr-Professor Carlo Masala ist mit einem eigenen Beitrag darin vertreten; die Stiftung des Deutschen BundeswehrVerbandes („Karl-Theodor-Molinari-Stiftung“) hat den Druck kofinanziert.
General a.D. Klaus Naumann, einst Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzender des NATO-Militärausschusses, hat ein Geleitwort für das Buch verfasst, dem Beobachter zumindest teilweise eine Nähe zu Konzepten der Konservativen Revolution attestieren.[9]
Einer der Autoren, Marcel Bohnert, hat im Jahr darauf einen weiteren Band mit dem Titel „Armee im Aufbruch“ herausgegeben, der ebenfalls – teils unter Bezug auf bekannte NS-Militärs wie Erich von Manstein und Erwin Rommel – dem Konzept der Inneren Führung eine Abfuhr erteilt. Stattdessen werden in dem Buch „klassische preußische Tugenden“ gelobt; „aufgeklärte(r) Verfassungspatriotismus“, so heißt es, sei „für die brutale Praxis des Gefechts zu unbeständig“.[10]
Das Buch, das hochrangige Militärs sowie Mitarbeiter des Bundesverteidigungsministeriums in den höchsten Tönen lobten (german-foreign-policy.com berichtete [11]), ist aus „Denkzirkeln“ junger Offiziersanwärter und Offiziere an der Universität der Bundeswehr in Hamburg entstanden. Einer der Autoren fordert die gründliche „Reinigung des Offiziersstandes“ von „falsch verstandene(r) Toleranz und liberale(n) Auffassunge(n)“ – durch eine „umfassende mentale Revolution“.

„Grenzen der Diversität“

In diesen Kreisen, die allgemein der jüngeren „Generation Einsatz“ zugerechnet werden, ist Ende vergangener Woche ein Beitrag auf Zustimmung gestoßen, den „Armee im Aufbruch“-Herausgeber Bohnert am Samstag in der einflussreichen Frankfurter Allgemeinen Zeitung platzieren konnte. Anlass für die Publikation ist der jüngste Skandal um sadistische Praktiken und sexistische Übergriffe bei der Soldatenausbildung in der Bundeswehr gewesen; der zeitliche Zusammenhang zum Skandal um Franco A. ist wohl ein Zufall.
Im Zusammenhang mit den erwähnten sadistischen Praktiken, die lange Zeit geduldet und verschwiegen wurden, ist weithin ein „falscher Korpsgeist“ in der Truppe kritisiert worden. Bohnert stuft die Übergriffe als „martialisch“ und „fragwürdig“ ein, befürwortet aber dennoch „soldatische Härte“: „Kampfgemeinschaften können im Ernstfall nur dann effektiv funktionieren, wenn sie eine starke Bindung und Geschlossenheit entwickeln“. Wie die militärische Praxis zeige, gebe es „Grenzen der Diversität“; „die pauschale Verteufelung jeglicher Härte“ sei „ein Fehler, der sich in den wieder zunehmenden Auslandseinsätzen unserer Soldatinnen und Soldaten bitter rächen wird“.[12]
Bohnert, Major und Teilnehmer des Generalstabslehrgangs an der Bundeswehr-Führungsakademie in Hamburg, steht exemplarisch für die nennenswerte Zahl an Bundeswehrsoldaten, die sich der aktuellen Kritik an den sadistischen Exzessen wenigstens teilweise widersetzen – und gleichzeitig für rechtsgerichtete Positionen zumindest offen sind.

[1], [2] Christian Thiels: Viele Hinweise – kaum Konsequenzen. www.tagesschau.de 02.05.2017.
[3] S. dazu Eingeschränkte Demokratie.
[4] Chefredakteur von „Campus“ war Oberleutnant Martin Böcker; in der Redaktion waren außerdem Leutnant Felix Springer und Leutnant zur See Larsen Kempf tätig. Böcker und Springer waren Autoren der vom Institut für Staatspolitik herausgegebenen Zeitschrift Sezession, Kempf schrieb für die dem Institut für Staatspolitik nahestehende Publikation Blaue Narzisse.
[5] Konservative Revolution. www.dhm.de.
[6] S. dazu Weniger Demokratie wagen.
[7] Jochen Bohn: Deutsche Soldaten ohne Identität: Uns fehlt die Idee des „Guten“. Campus. Zeitung des studentischen Konvents 01/2011.
[8] Europa sollte ein Reich werden. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 10.10.2004.
[9] Cornelia Mannewitz: Wissenschaftlicher Militarismus von rechts. In: Der Rechte Rand Nr. 144, September/Oktober 2013. S. 26-27.
[10] S. dazu Rezension: Armee im Aufbruch.
[11] S. dazu Mentale Revolution.
[12] Marcel Bohnert: Über Korpsgeist und Kampftruppen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 29.04.2017

Unter falscher Flagge? Der „syrische Terrorist“ vom Bundeswehr-Bataillon 291

Die in der letzten Woche erfolgte Festnahme eines Oberleutnants der Bundeswehr, der mit erheblichem Aufwand eine Scheinidentität als vermeintlich syrischer Asylbewerber aufgebaut und dann eine Pistole auf einem Flughafen versteckt hatte, wirft zahlreiche Fragen auf.

Was sonst gern als „Verschwörungstheorie“ abgetan wird, inszenierter Terrorismus für verdeckte politische Ziele, steht nun offen als Verdacht im Raum – und das auf der ganz großen Medienbühne von der Tagesschau bis zur Süddeutschen Zeitung. Selbst die BILD berichtete zwei Tage in Folge auf der Titelseite.
Von Paul Schreyer. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
http://www.nachdenkseiten.de/upload/podcast/170503_Der_syrische_Terrorist_vom_Bundeswehr_Bataillon_291_NDS.mp3

Zunächst eine kurze Zusammenstellung der bislang bekanntgewordenen Fakten zum Fall. Der aus Offenbach stammende Oberleutnant Franco A. lässt sich Ende 2015 in Bayern als syrischer Flüchtling registrieren. Ihm wird eine Unterkunft zugewiesen, die er auch sporadisch besucht, um die Post abzuholen und die neue Scheinidentität aufrechtzuerhalten. Tatsächlich arbeitet er ab 2016 im Jägerbataillon 291 der Bundeswehr, wo er auf einer Stabstelle „internationale Übungen und Manöver plant“, wie der Spiegel berichtet.

Im Dezember 2016 wird er offiziell als Flüchtling anerkannt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gewährt ihm „subsidiären Schutz“, was eine zunächst einjährige Aufenthaltserlaubnis und eine Arbeitserlaubnis beinhaltet. Einen Monat später, im Januar 2017, besucht Franco A. den „Ball der Offiziere“ in der Wiener Hofburg, ein großes gesellschaftliches Ereignis, das vom Österreichischen Bundesheer alljährlich organisiert wird. Der Ball ist laut Auskunft der Veranstalter „ein Treffpunkt nicht nur der Offiziere des Österreichischen Bundesheeres und der Wiener Gesellschaft, sondern auch europäischer Politik und Wirtschaft. (…) Aufgrund der immer stärker werdenden internationalen Zusammenarbeit mit ausländischen Armeen finden sich auch immer häufiger Offiziere aus diesen Ländern als Ballbesucher ein“.
Sponsoren des Balls sind unter anderem die großen internationalen Rüstungskonzerne Krauss-Maffei Wegmann, BAE Systems und General Dynamics.

Nach dem Besuch des Balls und unmittelbar vor seinem Rückflug nach Deutschland versteckt der Oberleutnant eine Pistole auf der Toilette des Wiener Flughafens. Diese Waffe wird einige Tage später von Wartungspersonal entdeckt. Die alarmierte österreichische Polizei stellt daraufhin eine Falle und nimmt Franco A. fest, als dieser am 3. Februar die Pistole wieder aus dem Versteck holen will. Die Fingerabdrücke auf der Waffe führen die Behörden dann zum registrierten „syrischen Flüchtling“, der Doppelidentität des Oberleutnants.
Der Offizier wird fortan verdeckt observiert, die Staatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt ab Februar, am 26. April wird er schließlich festgenommen. So der Ablauf, soweit bisher bekannt.
Offenkundig ist, und so vermutet es auch die Staatsanwaltschaft, dass der Oberleutnant einen Terroranschlag plante und diesen dann dem fiktiven „syrischen Flüchtling“ in die Schuhe schieben wollte – die Vorbereitung eines klassischen „Anschlags unter falscher Flagge“ also. Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Clemens Binninger von der CDU, sprach in einer ersten Stellungnahme von einem „Fall in uns bisher unbekannter Dimension“.

Wie bekannt wurde, handelt es sich bei Franco A. offenbar um einen Rechtsradikalen, worauf die Bundeswehr auch schon frühzeitig Hinweise hatte. Der Offizier hatte an der französischen Elite-Militärhochschule Saint-Cyr studiert, wo ein Professor seine Masterarbeit (Titel: „Politischer Wandel und Subversionsstrategie“) 2014 als extremistisch und „nicht mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar“ einstufte.
Unter anderem folgende Fragen stellen sich nun zum Fall: Handelte der Offizier privat oder womöglich in Absprache mit Vorgesetzten? Und wie ist es möglich, dass er als „syrischer Flüchtling“ anerkannt wurde?

Zur letzten Frage gibt es zumindest einen Anhaltspunkt. Nachdem sich Franco A. Ende 2015 als Flüchtling registrieren ließ und im Mai 2016 einen regulären Asylantrag stellte, wurde er im November 2016 schließlich in einer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Nürnberg zu seinen Beweggründen persönlich befragt.
Wie nun bekannt wurde, handelte es sich bei seinem Befrager um einen „von der Bundeswehr ans Bamf ausgeliehenen Soldaten“. Der Flüchtling spielende Soldat wurde also seinerseits von einem als Bamf-Beamten agierenden Soldaten überprüft.

Einzeltäter oder Teil eines Netzwerks?

Zur Frage, ob Franco A. privat handelte oder in Absprache mit Vorgesetzten, lohnt ein genauerer Blick auf seinen Arbeitgeber, das Bundeswehr-Jägerbataillon 291. Dieses in Frankreich stationierte Bataillon ist keine gewöhnliche Einheit, sondern eine Art Pionierverband für besondere Aufgaben. Das Bataillon ist dort präsent, wo es geopolitisch brenzlig ist, etwa in Litauen oder in Mali.
Es ist außerdem eingebunden in politisch brisante Manöver, wie die Übung „Saber Strike“ 2015 in Polen, die nicht von der NATO, sondern direkt von der US-Armee befehligt wurde.
Kommandeur des Bataillons und damit Vorgesetzter von Oberleutnant Franco A. ist Oberstleutnant Marc-Ulrich Cropp, Jahrgang 1972. Dessen Karriere ist eng mit den Spezialkräften und auch mit den USA verknüpft. Nachdem er bereits Ende der 1990er Jahre Weiterbildungen in den Vereinigten Staaten besucht hatte, absolvierte er schließlich von 2008 bis 2010 eine Eliteausbildung beim U.S. Marine Corps, wo er die „School of Advanced Warfighting“ besuchte.
Zurück in Deutschland leitete er im Verteidigungsministerium die Planungsabteilung für Operationen der Bundeswehr-Spezialkräfte.

Unmittelbar vor seiner Ernennung zum Kommandeur des Bataillons 291 im März 2015 bekleidete er von 2012 an einen weiteren hohen Posten im Ministerium, als Stabsoffizier beim Chef des Planungsstabes, also bei einem der engsten Vertrauten des Ministers. Cropp arbeitete in dieser Funktion bis 2014 für den Chef des Planungsstabes Ulrich Schlie, ein Mitglied der Atlantikbrücke, der 2002 als Mitarbeiter von Wolfgang Schäuble und dann als außenpolitischer Berater von Roland Koch politisch gestartet war.
Unter der Ministerin Ursula von der Leyen war Cropp dann ab 2014 dem neuen Chef des Planungsstabes Géza Andreas von Geyr unterstellt, der ebenfalls aus dem Umfeld von Schäuble stammt und von 2010 bis 2014 als Vizepräsident des BND amtierte.

In diesem personellen Umfeld machte der heutige Vorgesetzte von Franco A. Karriere. Im Jägerbataillon 291, das laut Bundeswehrbeschreibung „eine besondere Befähigung zum Einsatz in urbanem und sonstigem schwierigem Gelände“ hat, unterstehen ihm derzeit etwa 600 Soldaten.

Der Oberleutnant mit der Doppelidentität gehörte dem Bataillon seit 2016 an und war dort auf einer Stabstelle mit der Planung von internationalen Übungen und Manövern befasst.
Das Jägerbataillon ist Teil der Deutsch-Französischen Brigade, welche sich laut Bundeswehr „signifikant an NATO-Großübungen beteiligt“ und „ein Modell für militärische Zusammenarbeit insbesondere in operativer Hinsicht“ sei: „Die Deutsch-Französische Brigade ist ein Großverband, der sich in Teilen stets weltweit im Einsatz befindet.“
Das Jägerbataillon 291 ist dabei der erste Verband der Bundeswehr, der dauerhaft in Frankreich stationiert ist. Nachdem Cropp die Leitung übernommen hatte, nahm das Bataillon an dem direkt von der US-Armee geführten Manöver „Saber Strike“ 2015 in Polen teil. In der Presse hieß es dazu:

„Mark-Ulrich Cropp und seine Männer sind auf sich allein gestellt. Cropp ist Oberstleutnant und Kommandeur des Jägerbataillons 291 aus Illkirch bei Straßburg. (…) für Cropps Infanteristen ist nicht das Großgerät der Truppe maßgeblich, sondern die Fähigkeit, sich im Kriechgang über den Waldboden einem gegnerischen Schützengraben unerkannt zu nähern, um ihn einzunehmen. (…) ‚Die Bundeswehr‘, auch das ist sein Fazit aus dem Gefecht in Pommerns Wäldern, ‚muss sich vor niemand verstecken‘.“

Deutlich wird eine Struktur, welche die Bundeswehr als Reservoir für internationale Einsätze benutzt, teilweise außerhalb nationaler Befehlsgewalt.
Was die Anschlagspläne von Oberleutnant Franco A. angeht, sind bislang keine Indizien bekannt geworden, die auf eine Verwicklung staatlicher Stellen oder Vorgesetzter hindeuten. Es ist denkbar, dass der Offizier als Privatmann handelte. Ob das allerdings, im Kontext seiner Arbeit und der geschilderten Umstände, auch als plausibel gelten kann, ist bis auf weiteres unklar.

Auffällig ist der große Aufwand der Strafverfolgungsbehörden bei der Aufklärung. In Zusammenhang mit der Festnahme des Oberleutnants und eines weiteren Verdächtigen durchsuchten in der vergangenen Woche insgesamt 90 Polizeibeamte 16 Objekte in Deutschland, Österreich und Frankreich.

Mein Kommentar: Beim NSU und z.B. dem Mord an Michele Kiesewetter waren die Behörden nicht so fleißig. Aber hier ist eine zu große Nähe zum stinkenden Kopf des Ganzen spürbar.

Jochen

NSU-Ausschussvorsitzender Clemens Binninger: „NSU bestand nicht nur aus drei Leuten“ – oder: „Wie viel Staat steckt im NSU?“

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Endlich wieder eine glaubwürdige Darstellung im Interview der FR:
http://www.fr-online.de/neonazi-terror/nsu-prozess–nsu-bestand-nicht-nur-aus-drei-leuten-,1477338,34710676.html
Passend dazu weiter unten ein Kommentar aus dem „Blättchen“.
Auszüge:

Binninger2Der NSU-Ausschussvorsitzende Clemens Binninger spricht über Ungereimtheiten und offene Fragen bei der Aufklärung der Morde, über unnütze V-Leute und Indizien, die auf Mittäter hindeuten.

Für Clemens Binninger, den Vorsitzenden des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages, sind viele Fragen um die Morde und Anschläge des rechtsterroristischen „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) noch unbeantwortet. Am Donnerstag setzt der CDU-Politiker Binninger mit seinen Kollegen die Aufklärungsarbeit in Berlin fort.

Herr Binninger, Bundeskanzlerin Angela Merkel hat 2012 versprochen, sie werde alles tun, um die NSU-Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken. Wie viele davon gab es nach Ihren Kenntnissen?
Wenn ich die Fakten und Indizien aus Akten und Vernehmungen betrachte, bin ich zutiefst davon überzeugt, dass der NSU nicht nur aus drei Leuten bestand und dass es neben den Helfern und Unterstützern, die angeklagt sind, weil sie Wohnungen, Handys, Waffen beschafft haben, auch Mittäter gab.
Ich weiß auch nicht, wie es war, aber ich teile die Auffassung des Generalbundesanwalts nicht, dass alle 27 Straftaten – zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge, 15 Banküberfälle – nur von den beiden Männern begangen wurden. Es gibt eine Reihe von Indizien, die darauf deuten, dass es Mittäter vor Ort gegeben hat, die geholfen oder ausgespäht haben.

Warum hat sich der Generalbundesanwalt dann so schnell festgelegt und diese Indizien ignoriert?
Die Erwartungshaltung war enorm nach dem Auffliegen dieser Zelle. Man wollte den Fall schnell geklärt haben, auch wegen des Unverständnisses, wie so etwas unentdeckt bleiben konnte über all die Jahre.
Meine Sorge ist, dass man sich sehr früh auf eine Hypothese festgelegt hat – nämlich dass das drei Leute waren. Wenn man sich davon nicht mehr abbringen lässt, ist man nicht mehr offen für andere Spuren.
Das war der Fehler, der schon gemacht worden war, bevor der NSU aufflog, als man bei dessen Mordserie von Organisierter Kriminalität ausging. Ich habe Sorge, dass sich das jetzt mit der Trio-These wiederholt.

Haben Sie die Hoffnung, dass wenn im NSU-Prozess das Urteil gesprochen ist, noch weitere Beteiligte angeklagt werden?
Das wird schwierig werden. Die Akten, die ich kenne, stimmen mich nicht zuversichtlich. Es sei denn, dass bei den Ermittlungen noch neue Erkenntnisse hinzukommen. Geständnisse halte ich für unwahrscheinlich.

Das heißt, wir müssen akzeptieren, dass Neonazis, die als Zeugen im Gericht sitzen, sich demonstrativ maulfaul geben und damit die Aufklärung verhindern können?
Es ist eine Prüfung für den Rechtsstaat. Auch Leute, die diesen Staat und seine Bürger bekämpft haben, müssen von Justitia fair und objektiv behandelt werden. Sie untermauern zwar so nochmals ihre menschenverachtende Gesinnung, sie müssen aber nicht an ihrer eigenen Überführung mitwirken. Wir müssen andere Wege finden: Gute polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Ermittlungen, vielleicht auch gute parlamentarische Ausschüsse, um zu mehr Aufklärung zu kommen.

Welche Fragen sind für Sie noch offen, zu deren Aufklärung Sie mit dem Untersuchungsausschuss beitragen könnten?
Wer in der Öffentlichkeit den Fall betrachtet, denkt vielleicht: NSU – alles klar. Man hat das Paulchen-Panther-Video gefunden, man hat die Tatwaffen gefunden. Wenn Sie sich im Detail damit befassen, stellen Sie fest, dass die Beweisführung gar nicht so einfach ist. Es gibt keine Fingerabdrücke eines der Toten oder Beschuldigten an einer Tatwaffe. Es gibt kein Geständnis.
Es gibt 27 Tatorte, und an keinem einzigen Tatort haben wir DNA oder Fingerabdrücke von einem der Beschuldigten gefunden.
Es gibt aber einen großen potenziellen Unterstützerkreis von rund 100 Personen. Ich habe mal nachgefragt: Von diesem NSU-Unterstützerkreis hat man nur von 19 Personen die DNA, um sie mit Tatortspuren abzugleichen.

Das ist wenig.
Das ist sehr wenig. Von 81 Personen wurden keine DNA-Proben genommen. Es ist klar: Nur Beschuldigte können gezwungen werden, eine DNA-Probe abzugeben.
Aber man muss die restlichen Personen doch wenigstens fragen, ob sie es freiwillig tun. Aus gutem Grund werden bei schweren Straftaten, wenn erforderlich, auf freiwilliger Basis Speichelproben entnommen.

Die Geheimdienste waren mit einer Vielzahl von V-Leuten sehr nah dran am NSU. Warum wurde so wenig daraus gemacht, warum wurde nicht intensiver gefahndet?
Es ist ein Mysterium bis heute, warum kein V-Mann seinem V-Mann-Führer etwas mitgeteilt haben will. In keiner Akte, außer in einigen Aussagen von „Corelli“ Mitte der 90er Jahre, findet sich irgendein Hinweis.
Ab 2001 sind die drei Untergetauchten wie weg vom Schirm.

Glauben Sie, da hat tatsächlich keiner etwas mitbekommen?
Nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass es keinen einzigen V-Mann geben soll, der nicht zumindest gewusst hat, wo das Trio sich aufhält.

Was haben Sie bei Ihrer Nachforschung über V-Leute gelernt?
Sie sind mit größter Vorsicht zu genießen. Im ersten Untersuchungsausschuss haben wir die so genannten Heise-Bänder gefunden, auf denen der Neonazi Thorsten Heise ein Gespräch mit dem enttarnten V-Mann Tino Brandt mitgeschnitten hat. Das ist ein Blick in den Abgrund des damaligen V-Mann-Wesens.
Brandt sagt, er sei überrascht gewesen, mit wie wenigen Informationen sich seine V-Mann-Führer zufrieden gegeben hätten und er sei meistens gewarnt worden vor Durchsuchungen.

Sind V-Leute also unnütz und gefährlich?
Der Verfassungsschutz muss besser mit diesem Instrument umgehen. Ein Beispiel: V-Mann-Führer, die zu lange eine Quelle führen, verlieren die Distanz.
Dennoch glaube ich, dass wir nicht ganz darauf verzichten können. In kleinen Kreisen, die sich lange kennen, wie es der Thüringer Heimatschutz war, kriegen Sie niemand Neues von außen angedockt. Aber wenn man merkt, eine Quelle bringt nichts, muss man sich auch von ihr trennen.

Im Geheimdienst selbst sieht man die Gefahr wohl andernorts: Verfassungsschutzpräsident Maaßen hat den Abgeordneten vorgeworfen, die Nachforschungen der Untersuchungsausschüsse hielten sein Amt von der Terrorabwehr ab. Herr Binninger, sind Sie schuld, wenn es in Deutschland einen Anschlag gibt?
Sicher nicht. Ich akzeptiere es, dass mir eine Behörde sagt: Wir haben sehr viel zu tun, die Anforderungen des Parlaments sind hoch, wir liefern die Akten, aber es kann dauern. Aber weil eine Abteilung Akten zusammenstellen muss, zu sagen, in einer anderen Abteilung klappt die Arbeit nicht mehr – das ist kein Argument. Das ist eine Organisationsfrage. Parlamentarische Kontrolle hat ihre Berechtigung. Ich glaube, er hat die Aussage dann auch nicht mehr wiederholt.

Mit der Kontrolle der Geheimdienste sind Sie auch als Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) im Bundestag betraut. Welche zusätzlichen Kompetenzen bräuchten Sie, um wirksam zu kontrollieren, dass die Geheimdienste auch so handeln, wie der Gesetzgeber das vorsieht?
Keine. Wir haben uns bei der letzten Reform Kompetenzen gegeben: Wir dürfen die Behörden aufsuchen, die Herausgabe von Akten verlangen, Mitarbeiter befragen, können einen Ermittlungsbeauftragten einsetzen, die Bundesregierung muss uns unterrichten.

Haben Sie davon auch Gebrauch gemacht?
In den vergangenen Legislaturperioden wurden diese Befugnisse so gut wie nie genutzt. Akten eingesehen, Fragen gestellt, das schon. Aber Kontrollbesuche? Nein.
Als ich Vorsitzender wurde, habe ich gesagt, wir müssen das machen. Deswegen haben wir uns sieben Kontrollaufträge gegeben, die eben mal nicht der Presseberichterstattung hinterherhecheln, sondern die von uns ausgehen.

Warum nutzen Sie diese Instrumente erst jetzt?
Damit sind wir beim Hauptproblem, weswegen ich auch Reformbedarf sehe: Die Instrumente haben wir. Was wir nicht haben, ist Personal und Zeit. Alle Kollegen, die im Gremium sitzen, haben noch andere Aufgaben.
Und es gibt auch keine Chance, das zu ändern, es geht einfach nicht. Deshalb brauchen wir im PKGr einen Arbeitsstab, der dauerhaft in unserem Auftrag diese Dinge abarbeitet. Wir sind dabei, das und einige andere Punkte mit einer Gesetzesreform auf den Weg zu bringen.

Noch einmal zurück zum Thema NSU: Welche Zweifel haben Sie beim Mordfall in Kassel 2006?
Ich habe mir den Tatort angeschaut. Diese Tat begeht man eigentlich nicht allein, man kann sie kaum begehen, ohne dass jemand sagt: Jetzt kannst du rein. Man sieht zu wenig von draußen.
Dann hat man in der letzten NSU-Wohnung eine Skizze gefunden, die diesen Tatort zeigt. Die Skizze muss jemand für die Täter gemacht haben. Das deutet für mich auf mehr als zwei Täter hin.

Wie sehen Sie die Rolle des damaligen Verfassungsschützers Andreas Temme, der am Tatort war, aber nichts gesehen haben will?
Das Oberlandesgericht München hat ja seine Aussage für glaubwürdig erklärt.

Was mich bei Temme nicht überzeugt, ist, dass er sagt, er habe das Opfer nicht gesehen, obwohl er so groß ist, nichts gerochen, obwohl er Sportschütze ist, nichts gehört und auch auf der Straße nichts gesehen.
Dass er sich nicht gemeldet hat mit der Behauptung, er habe den Tag verwechselt. Dass er behauptet hat, er sei mit dem Fall nie dienstlich betraut gewesen – obwohl es in der Woche davor diese Mail seiner Vorgesetzten gab, die sagt, man solle sich wegen der Mordserie umhören.

Viele offene Fragen.
Ja. Auch die Tatbegehung: durch eine Plastiktüte schießen und die anwesenden Kunden einfach ausblenden. Ein Täter, der das kann, muss eine hohe Professionalität im Umgang mit Waffen und Eiseskälte besitzen.
Das passt nicht zu den Bankräubern Mundlos und Böhnhardt, die fast bei jedem Banküberfall durchdrehen, die Angestellte schlagen, in die Decke schießen.

AUTOR:
Martín Steinhagen
Redaktion Frankfurt/Rhein-Main

Aus dem „Blättchen“ von Gabriele Muthesius:

Am 25. Juni dieses Jahres fand im Grünen Salon der Berliner Volksbühne eine Podiumsveranstaltung der LINKEN statt.[2] Unter der Moderation von Dieter Dehm ging es um den NSU-Komplex und speziell die Arbeit der beiden diesem gewidmeten Untersuchungsausschüsse des Thüringer Landtages. Dabei lieferten sich Katharina König, Abgeordnete der Linken im Thüringer Landtag und Mitglied beider Ausschüsse, und der Schriftsteller Wolfgang Schorlau sowie der Wissenschafts-journalist Ekkehard Sieker einen zum Teil sehr heftigen Schlagabtausch.
(dort auch eine ausführliche Quellenliste)

Am 4. November 2011, um 12:05 Uhr, entdeckten zwei Streifenpolizisten in Eisenach-Stregda ein Wohnmobil. Die offizielle Darstellung dessen, was anschließend passierte, lautet – kurzgefasst – so: Aus dem Camper wurde das Feuer auf die beiden Polizisten eröffnet (ein Schuss), die daraufhin in Deckung gingen. Sie hörten anschließend weitere Schussgeräusche aus dem Camper, in dem unmittelbar darauf ein Brand ausbrach. Nachdem die herbeigerufene Feuerwehr den verschlossenen Camper gelöscht und aufgebrochen hatte, entdeckte man zwei Leichen, von denen sich später herausstellte, dass es sich um die Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt handelte.
Nach dem Schuss auf die beiden Polizisten soll Mundlos erst Böhnhardt und dann sich selbst erschossen haben, nachdem er zwischenzeitlich noch das Wohnmobil in Brand gesteckt hatte.
Diese Lesart kehrt allerdings zahlreiche Widersprüche, Ungereimtheiten und offene Fragen unter den Tisch, deren Aufdeckung nicht zuletzt dem Team Schorlau / Sieker zu verdanken ist und die auch Gegenstand der bereits erwähnten Besprechung im Blättchen waren.
Am 28. April 2016 wurde im zweiten Thüringer NSU-Ausschuss erneut Michael Menzel einvernommen. (Er war am 31. März 2014 bereits vor den ersten Ausschuss – amtlich: „Untersuchungsausschuss 5/1‚ Rechtsterrorismus und Behördenhandeln‘“ – geladen worden.)
Menzel war als Leitender Polizeidirektor in Gotha am 4. November 2011 in Stregda vor Ort jener verantwortliche Ermittlungsleiter,

  • der im Einzelnen nicht mehr nachvollziehbare Veränderungen des Tatortes zumindest billigend in Kauf genommen hat, als er – vor irgendwelchen kriminaltechnischen Untersuchungen – das Abschleppen des Campers durch ein privates Unternehmen in eine Abstellhalle auf dessen Betriebsgelände in Eisenach anordnete. Dazu musste das Wohnmobil über eine etwa 30 bis 40 Grad schräge Rampe auf ein Abschleppfahrzeug gezogen werden. Zuvor hatte Menzel der angerückten sogenannten Tatortgruppe, der normalerweise die kriminaltechnische Tatortarbeit, Spurensuche und Sicherung des Tatortbefundes obliegt, keine Gelegenheit gegeben, sogenannte Spheron-Aufnahmen zu machen, die gegebenenfalls eine Tatortrekonstruktion nach der Abschleppaktion ermöglicht hätten.
  • unter dessen Verantwortung in Stregda die laut Thüringer Bestattungsgesetz zwingend vorgeschriebene ärztliche Leichenschau unterblieb, obwohl ein dazu befugter Notarzt und zwei ebenfalls befugte Gerichtsmediziner vor Ort waren.
  • der regel- und polizeipraxiswidrig den Camper samt Leichen abschleppen ließ.
  • der sich dem Verdacht aussetzte, bereits bei seinem Eintreffen am Tatort gegen 12:30 Uhr über detailliertes Vor-, um nicht zu sagen Täterwissen verfügt zu haben, denn er informierte bereits zwischen 16:30 und 17:00 Uhr[5] telefonisch einen Kollegen in Heilbronn, dass im Camper die Dienstwaffe der am 25. April 2007 in Heilbronn ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter gefunden worden sei. (Laut Einsatzverlaufsbericht der Kriminalpolizeistation Eisenach wurde diese Waffe aber überhaupt erst um 23:11 Uhr aufgefunden und identifiziert.)
  • der auch dafür verantwortlich war, dass das Wohnmobil verladen und abtransportiert wurde, obwohl der Sachverhalt, dass sich scharfe Waffen an Bord befanden, durch Bergung und Entladung einer Pistole Heckler & Koch, Modell P 2000 aus dem Camper, die um 14:45 Uhr erfolgten[7], bekannt war.
  • (Für den Abschleppunternehmer Matthias Tautz, der Verladung und Transport vornahm, barg dies ein hohes persönliches Risiko. Immerhin hatte es in dem Wohnmobil ja auch gebrannt. Laut Protokoll antwortete Tautz im zweiten Thüringer NSU-Ausschuss auf die Frage, ob er über die Existenz scharfer Waffen informiert worden sei: „ […] Wenn ich gewusst hätte, dass da Handgranaten[8] drin wären, hätte ich es nicht gefahren. Also das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen. […] Weil da ist nur eine Blechwand zwischen Wohnmobil und mir gewesen und das muss ich nicht haben.“)

*

„Wie viel Staat steckt im NSU?“ Zur Beantwortung dieser Frage haben die beiden Thüringer Untersuchungsausschüsse bisher allenfalls Bruchstückhaftes beigetragen, das kein einigermaßen klar konturiertes Bild ergibt. Im Falle der Katharina König kann sich die Autorin überdies des Eindrucks nicht erwehren, dass unter dem Motto „Verschwörungstheorien abwehren“ eine recht selektive Wahrnehmung und Interpretation von Fakten, Erklärungen, Zusammenhängen und Indizien stattfindet. Der Auftritt im Grünen Salon der Volksbühne in Berlin hat diesen Eindruck nicht gemindert.

*

5268281700001nBei Wolfgang Schorlau antwortet der frühere Chef des fiktiven Privatermittlers Dengler beim BKA auf die Frage „Welche Geschichte wird uns mit dem Ableben der beiden Neonazis erzählt?“: „Schwer zu sagen. Vermutlich wurde ein Schlussstrich gezogen. Plötzlich wird eine der größten Mordserien in der Geschichte der Bundesrepublik zu Ende ermittelt, die Morde an den türkischen Geschäftsleuten werden aufgeklärt, der mysteriöse Mord an der Polizistin Kiesewetter, der Nagelbombenanschlag in Köln, ein weiterer Anschlag, einige Banküberfälle und vielleicht noch ei­niges anderes. Ein Sammelsurium, könnte man sagen.
Es ist eine Schlussstrichgeschichte. Wir haben die Täter, ein Terror-Trio, die das allein zu verantworten haben. Zwei sind tot, der dritten Per­son wird der Prozess gemacht. Danach, nach dem Urteil in Mün­chen, können wir alle wieder zur Tagesordnung übergehen, und niemand soll mehr fragen, was die Dienste damit eigentlich zu tun haben.“[80]
(Die schützende Hand, S. 189) Und: „Schauen Sie mal nach Thüringen, Dengler. Dort wurde die Suppe angerührt.“[81]

Wo stände die Bundesrepublik, wenn Schorlau in die richtige Richtung wiese?

Entsprechende Befürchtungen kann man zumindest mit einer Herangehensweise, wie sie in den Thüringer NSU-Ausschüssen bisher an den Tag gelegt worden sind, nicht widerlegen und schon gar nicht aus der Welt schaffen.

Jochen

Der V-Mann Führer Andreas Temme und die politische/juristische Aufklärung in Form eines Bestattungsunternehmens

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Aus Spanien, trotz erschwerter Internet-Bedingungen.
Vielleicht erregt sich ja ein mutiger Hesse so, dass er den Bouffier wegen Strafvereitelung im Amt anzeigt. In diesem Zusammenhang möchte ich auch nochmals auf Wolfgang Schorlaus sehr guten Politkrimi „Die schützende Hand“ hinweisen, wo das ganze unter dem Schutz der Fiktion, aber sehr nahe der bisher dokumentierten Realität beschrieben wurde. 5268281700001nWir wollen auch nicht vergessen, dass die Panorama-Chefredakteuse kurz nach dem Auffliegen von Temme einen Reinwaschungsbeitrag in ihre Sendung „Panorama“ einbrachte.
Hier im Volltext der NachDenkSeiten: http://www.nachdenkseiten.de/?p=34749

Das Oberlandesgericht in München hat kurz vor der Sommerpause die Akte Temme geschlossen.
Der V-Mann-Führer des hessischen Geheimdienstes Andreas Temme hatte sich zur Tatzeit in dem Internetcafé in Kassel aufgehalten, in dem Halit Yozgat am 6. April 2006 durch zwei Schüsse in den Kopf ermordet wurde. Die Frage, welche Rolle der V-Mann-Führer spielte, der seine Anwesenheit leugnete und vor allem durch Falschaussagen auffiel, sollte auch im Prozess in München geklärt werden. Nun ist der Fall „geklärt“: Das OLG hält Andreas Temme für glaubwürdig und unschuldig, die „Wahrheitssuche“ für abgeschlossen und weitere Beweisanträge der Nebenkläger für überflüssig. Von Wolf Wetzel[*].

Stellen Sie sich einmal vor, sie bekämen folgendes Drehbuchskript zur Begutachtung:

Als junger Mann trägt der Protagonist aufgrund seiner neonazistischen Gesinnung den Spitzname ‚Klein Adolf’. Dann wird er Geheimdienstmitarbeiter beim hessischen Verfassungsschutz. Er ‚führt’ seine Neonazis als V-Leute. Er und seine als V-Leute geführten Neonazis sollen Straftaten vor ihrer Begehung verhindern. Seine Vorgesetzten bezeichnen ihn als ausgezeichneten Mitarbeiter. Dieser Mann hat einen ‚siebten Sinn’. Als NSU-Mitglieder in Kassel 2006 den Internetbesitzer Halit Yozgat mit zwei Schüssen in den Kopf hinrichten, sitzt er mittendrin. Kurz nach dem Mord verlässt er seinen Internetplatz und legt ein Geldstück auf den Tisch, der mit Blutspritzern bedeckt ist. Der Besitzer liegt tot hinter dem Schreibtisch.
Wenig später wird er sich an nichts erinnern: Weder will er das Internetcafe gekannt, noch Schüsse gehört haben, geschweige denn den schwer verletzten Halit Yozgat hinter seinem Schreibtisch gesehen haben.

In den zahlreichen Vernehmungen, erst als Tatverdächtiger, dann als Zeuge bleiben mehr Falschaussagen zurück, als glaubwürdige Einlassungen. Seine Vorgesetzten halten eisern zu ihm, treffen sich mit ihm auf einer Raststätte, machen ihm Mut und erinnern ihn unentwegt an die ‚Kasseler Problematik,’ in der er auch ein bisschen drinstecke.

Das Verfahren gegen ihn wird eingestellt. Heute hat er einen ruhigen Job in der Rentenabteilung des hessischen Innenministeriums.

Sie würden ein solches Skript als haarsträubend konstruiert in den Papierkorb werfen. Tatsächlich hat der V-Mann-Führer Andreas Temme bis heute „einen Stein im Brett“ – nicht nur bei seinen Vorgesetzten.

Das Oberlandesgericht/OLG – ein teures Bestattungsunternehmen

Das OLG hält für glaubwürdig, dass Andreas Temme, der im Nebenraum des Internetcafés saß, keine Schüsse gehört habe – ein Mann, der zum Spaß seine Freizeit im Schützenverein verbringt und im Besitz zahlreicher Waffen ist.

Es sei nachvollziehbar, dass der ca. 1,90 Meter große Andreas Temme dreimal an dem Sterbenden vorbeigegangen war, ohne den hinter seinem 80 Zentimeter hohen Tisch Liegenden gesehen zu haben.

Es hält für glaubwürdig, dass der V-Mann-Führer Andreas Temme weder den dahinter liegenden Halit Yozgat gesehen habe, noch die Blutspritzer auf dem Tisch, auf den er ein Geldstück legte.

Das OLG hält es für plausibel, dass Andreas Temme, als gegen ihn als möglichen Tatbeteiligten ermittelt wurde, erst glaubhaft bestritt, dass er das Café überhaupt kenne, dann glaubhaft leugnete, dass er an diesem Tag dort war und schließlich glaubhaft einräumte, dass er vermeiden wollte, dass seine schwangere Ehefrau davon erfährt, dass er in besagtem Internetcafé in einem „Flirtportal“ surfen gegangen ist.

Und noch plausibler hält das OLG die eigene Entscheidung, die Schmauchspuren an Handschuhen, die in seinem Zimmer (bei seinen Eltern) gefunden wurden, nicht daraufhin zu untersuchen zu lassen, ob sie identisch sind mit der verwendeten Munition der Tatwaffe.
Sachlich, nachvollziehbar und plausibel“ finden das deutsche Richter summa summarum und üben schon einmal für das Urteil, das bald über eine neonazistische Terrorgruppe namens NSU gefällt werden wird, die – mindestens genauso sachlich, nachvollziehbar und plausibel – aus drei Mitgliedern bestanden habe. Im Namen des deutschen Volkes.

So kafkaesk diese Wahrheitssuche auch ist, sie deckt nur mühsam zu, was der Fall Temme wie kein anderer Stolperstein in der NSU-Aufklärung belegen hilft.
Er kann dazu beitragen, bestimmte, vage Ausdeutungen aus dem Weg zu räumen.

Dazu gehört das von vielen geteilte Urteil, der Schlüssel für das „Komplettversagen“ sei schlampige Ermittlungstätigkeit der Polizei und ein institutioneller Rassismus, der die Ermittlungsrichtung leite.

Der Fall Temme in Kassel belegt eindrucksvoll, dass dieser Vorwurf einiges erklären kann, aber auch einiges zudecken und verbergen hilft, wenn es um die Gründe für Ermittlungssabotage, für den Schutz möglicher Mittäter oder Personen geht, die Täterwissen haben.

Die polizeilichen Ermittlungen waren in Kassel – im Gegensatz zu anderen NSU-Tatorten – durchaus konsequent, geradezu vorschriftsmäßig: Man ermittelte tatsächlich in alle Richtungen und stieß somit sehr schnell auf den hessischen Geheimdienstmitarbeiter Andreas Temme. Aufgrund der Beweismittel wurde er als Tatverdächtiger geführt und aufgrund seiner fortgesetzten Unglaubwürdigkeit abgehört – wochenlang und äußerst ergiebig. Dass die Polizei den Verfassungsschutz abgehört hatte, ist sicherlich keine Alltäglichkeit, umso aufschlussreicher sind die Protokolle, nachdem eine von Anwälten entdeckte Manipulation rückgängig gemacht werden konnte. Sie belegen aufs Eindringlichste, wie sich sein Vorgesetzter, LfV-Direktor Lutz Irrgang, wie sich der Geheimschutzbeauftragte des LfV, Gerald-Hasso Hess, bis hin zum hessischen Innenministerium darum bemühten, die polizeilichen Ermittlungen zu sabotieren und Andreas Temme dergestalt zu coachen, dass die in Telefonaten immer wieder erwähnte „Kasseler Problematik“ unter dem Teppich bleibt.

Dass dies kein zufälliges Zusammenspiel überirdischer Kräfte ist, hat bereits im Juni 2012 Gerhard Hoffmann, leitender Kriminaldirektor des Polizeipräsidiums Nordhessen und damaliger Leiter der SOKO Café, gegenüber den Mitgliedern des NSU-Ausschusses in Berlin ausgesagt. Aus dem Gedächtnis gibt Mely Kiyak folgenden Dialog zwischen Mitgliedern des Untersuchungsausschusses (UA) und dem SOKO-Chef Gerhard Hoffmann (GH) wieder:

»GH: Innenminister Bouffier hat damals entschieden: Die Quellen von Herrn T. können nicht vernommen werden. Als Minister war er für den Verfassungsschutz verantwortlich.
UA: Er war doch auch Ihr Minister! Ist Ihnen das nicht komisch vorgekommen? Jedes Mal, wenn gegen V-Männer ermittelt wurde, kam einer vom Landesamt für Verfassungsschutz vorbei, stoppt die Ermittlung mit der Begründung, der Schutz des Landes Hessen ist in Gefahr. Aus den Akten geht eine Bemerkung hervor, die meint, dass man erst eine Leiche neben einem Verfassungsschützer finden müsse, damit man Auskunft bekommt. Richtig?
GH: Selbst dann nicht …
UA: Bitte?
GH: Es heißt, selbst wenn man eine Leiche neben einem Verfassungsschützer findet, bekommt man keine Auskunft.«
(FR vom 30.6.2012)

Eigentlich hatte der Leiter der ›SOKO Café‹ bereits sehr früh alles Nötige gesagt, wie die ‚Aufklärung’ vonstatten zu gehen hat. Er hat die ‚rote Linie’ gezogen – und alle haben sich daran gehalten. Bis heute.

Dass das Gericht in München diese ‚rote Linie’ ohne tödliche Gefahr überschreiten könnte, dass diese auch die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Berlin und Wiesbaden übertreten könnten und müssten, wäre ihre Aufgabe, ihre Pflicht.

Dass sie es dennoch nicht tun, liegt ganz sicher nicht an mangelndem Wissen, schon gar nicht an fehlenden Möglichkeiten.

Ermittlungsmethoden

Wer sich mit polizeilichen Ermittlungstätigungen und -methoden beschäftigt, wird schnell erfahren, dass dort ›der Zufall‹ – also die Lehre vom Unwahrscheinlichen – als Erkenntnismethode nicht vorkommt. Zu Recht. Denn polizeiliche Ermittlungsmethoden gehen vom Gegenteil aus: von der Wahrscheinlichkeit eines Geschehensablaufes. Denn weder die Polizei noch ein Staatsanwalt noch ein Richter kennen die Wahrheit. Sie könnten im besten Fall nur ein Geschehen rekonstruieren – mithilfe von Indizien, Zeugen und Spuren. Ausgangspunkt ist folglich nicht ein Geschehen, ein bestimmtes, sondern verschiedene Geschehensabläufe, die sich aus den ›Beweismitteln‹ ergeben. Das bekommt – in der Theorie – den Namen: Ermittlungen ialle Richtungen.

Am Ende dieses Ermittlungsprozesses bleibt ein Geschehensablauf, der aufgrund der vorhandenen Beweismittel in sich konsistent ist, am plausibelsten rekonstruiert werden kann.

Nimmt man alle uns vorliegenden Beweismittel im Fall Kassel zur Grundlage und handelt nach diesen polizeilichen Prämissen, dann kommt man zu einem recht eindeutigen Ergebnis:

Für den Geschehensablauf, den Polizei und Gericht für die Ereignisse in Kassel für plausibel halten, spricht so gut wie nichts: Es gibt keine einzige Zeugenaussage, die die NSU-Mitglieder Mundlos und Böhnhardt als unmittelbare Tatbeteiligte nahelegen.

Einzig und allein die Tatwaffe (eine Česká 83), die im Brandschutt des Hauses gefunden wurde, in dem auch die NSU-Mitglieder wohnten, lässt eine Täterschaft des NSU infrage kommen. Mehr nicht.

Das ist ein schwacher, um nicht zu sagen, hauchdünner Beweis. Denn damit ist weder geklärt noch bewiesen, dass die beiden NSU-Mitglieder auch die Täter waren – selbst wenn man davon ausgeht, dass sich die Waffe tatsächlich im Besitz der uns bekannten NSU-Mitglieder befand.

Gegen den Geheimdienstmitarbeiter Andreas Temme sprechen zahlreiche Indizien und Sachbeweise:

  1. Ein neonazistischer Hintergrund
  2. Ein Duz-Verhältnis zu dem V-Mann und Neonazi Benjamin Gärtner, der zum NSU-Netzwerk zählt
  3. Die Anwesenheit zur Tat- und Mordzeit
  4. Das Mitführen einer Plastiktüte, in der sich laut Zeugenberichten die Tatwaffe befunden haben könnte. Von dieser berichtete auch seine Ehefrau, in einem abgehörten Telefonat: »willst du nicht mal auf mich hören? Ich sage noch, ne, nimm keine Plastiktüte mit!« (tagesspiegel.de vom 8.6.2015)
  5. Das Auffinden von Handschuhen, an denen sich Schmauchspuren befinden, die identisch mit denen sind, die die Tatwaffe hinterlässt
  6. Die Verweigerung einer Zeugenschaft
  7. Zahlreiche Falschaussagen in Verbindung mit Absprachen von Falschaussagen
  8. Die Verhinderung der Aufklärung angeblicher ›privater‹ Umstände durch seine Vorgesetzten

Vergleicht man – ohne Ansehen der Person – die Indizien und Sachbeweise, die für eine Täterschaft der drei stets genannten NSU-Mitglieder und/oder für die (Mit-)Täterschaft von Andreas Temme sprechen, dann braucht man für dieses Ergebnis keine kriminalistische Ausbildung.

Geht man – gemäß der vorliegenden Beweismittel – von einer 20-prozentigen Wahrscheinlichkeit einer Täterschaft der uns bekannten NSU-Mitglieder aus, so belasten die restlichen 80 Prozent den hessischen Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas Temme wegen möglicher Mittäterschaft bzw. Beihilfe zu Mord.

Fänden die polizeilichen Ermittlungsgrundsätze tatsächlich Anwendung, würde das Ermittlungsergebnis im Mordfall Kassel geradezu zwingend zu einer Anklage gegen Andreas Temme führen.

Dass dies bis heute nicht passiert ist, hat auch nichts mit Zufall zu tun.

Anders formuliert: Wenn die genannten „Beweismittel“ hinreichend die Täterschaft der beiden NSU-Mitglieder Mundlos und Böhnhardt belegen, dann müsste Andreas Temme zehn Mal lebenslänglich erhalten.

Jochen