Venezuela – Die boykottierte Parlamentswahl, der angekündigte wirtschaftliche Wiederaufbau und das Ende der Juan-Guaidó-Fiktion

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Zu diesem Thema habe ich mich hier geäußert, seit ausgerechnet der Bayerische Rundfunk in vorauseilender Beflissenheit schon am Tage des Putschversuches eine Siegesmeldung in den Nachrichten von B5aktuell brachte – siehe hier: https://josopon.wordpress.com/2019/02/07/kaum-hatte-der-putschist-guaido-sich-zum-prasidenten-venezuelas-erklart-wurden-im-bayerischen-rundfunk-schon-sprachregelungen-vollzogen-tagesschau-betreibt-desinformation-um-den-usa-beim-sturz-vo/
und https://josopon.wordpress.com/2019/02/28/faktencheck-venezuela-was-in-deutschen-medien-uber-das-sudamerikanische-land-verbreitet-wird-und-wie-es-tatsachlich-aussieht-ein-staatschef-aus-dem-regime-change-labor/
und hier: https://josopon.wordpress.com/2019/01/27/aufruf-zur-internationalen-solidaritat-schluss-mit-der-umsturzpolitik-gegen-venezuela-online-aufruf-bitte-unterzeic-hnen/.
Dazu auch der Sozialjournalist Norbert Häring: http://norberthaering.de/de/27-german/news/1104-tagesschau-maduro

Nun hier aktuell Frederico Füllgraf zur gescheiterten Farbrevolution *) der CIA :
https://www.nachdenkseiten.de/?p=68261
Auszüge:
Maduro2019Am vergangenen 7. Dezember fand in Venezuela eine politisch bedeutsame Wahl zur Erneuerung der Nationalversammlung (Bundesparlament) statt. Die Regierung Nicolás Maduro hatte Monate zuvor einen Aufruf zur Entsendung internationaler Wahlbeobachter veröffentlicht, dem nach Regierungsangaben 300 Vertreter aus 34 Ländern folgten. Die Europäische Union (EU) weigerte sich dennoch. EU-Außenminister Josep Borrell behauptete, der Wahlvorgang im Land verspreche keine Transparenz.
Somit vollzog die EU einen Schulterschluss mit dem umstrittenen und diskreditierten Oppositionsführer Juan Guaidó, der längst vor der Wahl der Regierung Maduro einen programmierten „Betrug“ unterstellte und zum Abstimmungsboykott aufrief.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
https://www.nachdenkseiten.de/upload/podcast/201223-Venezuela-die-boykottierte-Parlamentswahl-NDS.mp3
Die Wahl sorgte auch im Lager der Regierungspartei Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas (PDSUV) für Ernüchterung. Von 20,7 Millionen Wahlberechtigten beteiligten sich lediglich 30,5 Prozent an der Abstimmung über die Neubesetzung des Parlaments.
Im rückblickenden Vergleich mit dem Jahr 2005, als sich maximal 25 Prozent der Wähler an den damaligen Parlamentswahlen beteiligten, ist die Wahlbeteiligung von 2020 die zweitniedrigste in der über zwanzigjährigen Amtszeit des regierenden Chavismo.
Indes, nach der dramatischen Wahlniederlage von 2015, als mit ansehnlich hoher Wahlbeteiligung von 73 Prozent der Chavismo die Mehrheit in der Nationalversammlung an die Opposition verlor, eroberte nun Nicolás Maduros PDSUV mit 67 Prozent der abgegebenen Stimmen die Parlamentsmehrheit zurück und entreißt dessen Kontrolle Juan Guaidó, der ab 5. Januar 2021 seinen Posten als Präsident der Nationalversammlung verliert.

Obwohl der 37-jährige Guaidó von rund 60 Regierungen – darunter den USA, Brasilien und Deutschland – als „legitimes venezolanisches Staatsoberhaupt“ anerkannt, mit milliardenschweren Beträgen von der US-Regierung Donald Trumps finanziert und auf der internationalen politischen Bühne herumgereicht wurde, gelang es ihm nie, sich in seinem eigenen Land durchzusetzen.
Geschweige denn den gegenüber der Trump-Administration geleisteten „Schwur“ einzuhalten, den Sturz Nicolás Maduros herbeizuführen.
„Trumps Politik in Venezuela ist gescheitert. Sie können ja sehen, wo Trump ist, wo ich bin und wo Guaidó geblieben ist“, witzelte Nicolás Maduro vor internationalen Medien nach der Doppelniederlage, also der Wahlniederlage Trumps und der venezolanischen Opposition, und setzte einen Kraftausdruck obendrauf:
„Wir hätten uns mit Trump verstanden, er hat es aber vorgezogen, auf einen Idioten zu wetten, der ihn letztendlich verraten hat“.

Amts- und Szenenwechsel: Joe Biden und Enrique Capriles

Nicolás Maduros Humor scheint begründet. Der gewählte US-Präsident Joe Biden plane Verhandlungen mit dem venezolanischen Präsidenten und ignoriere gleichzeitig die Kontaktaufnahme-Versuche Juan Guaidós, berichtete die US-Agentur Bloomberg am vergangenen 18. Dezember.
Während die Trump-Administration Maduros Rücktritt als Voraussetzung für Verhandlungen ansah, verlange Bidens Team dies nicht, will Bloomberg erfahren haben.

Demnach plane Joe Biden, im Austausch für die Zusicherung „freier und fairer Wahlen“ Teile der mehr als 300 gegen Venezuela und einige seiner Regierungsfunktionäre in den vergangenen Jahren erlassenen Sanktionen abzuschwächen beziehungsweise zurückzunehmen; allerdings mit der Einschränkung, bestimmte, nicht näher erläuterte Sanktionen könnten gar erweitert werden.
Bidens außenpolitisches Berater-Team werde die bestehenden Sanktionen überprüfen, um festzustellen, wo die Beschränkungen mit Hilfe internationaler Verbündeter erweitert und welche Maßnahmen aufgehoben werden könnten, wenn Maduro sich dem demokratischen Ziel „nähert”, heißt es einem von Bloomberg zitierten Positionspapier.
Für die beabsichtigten Verhandlungen erwarte die zukünftige Biden-Regierung allerdings die Zustimmung ausländischer Regierungen, die Nicolás Maduro unterstützen, darunter Russlands, Chinas und des Iran.

Doch der angekündigten internationalen Wende ging eine innenpolitische Veränderung in Venezuela voraus. Drei Monate vor der Parlamentswahl kehrte der ehemalige Oppositionsführer und Landesgouverneur Enrique Capriles Radonski an die vorderste Front der Opposition gegen Maduro zurück.
„Die Landkarte der Opposition ändert sich, die in mehrfacher Hinsicht von entscheidender Bedeutung sein wird. Maduros Begnadigungen haben Washingtons Position nicht verändert“, doch „nicht einmal US-Außenminister Mike Pompeo scheint in der Lage zu sein, Juan Guaidó zu retten“, kommentierte Marco Teruggio in der argentinischen Tageszeitung Pagina12.

Mit Capriles wird seit vergangenem September Juan Guaidós Führungsanspruch des Oppositionsführers infrage gestellt, der immerhin als herausfordernder Präsidentschaftskandidat gegen Hugo Chávez und Nicolás Maduro antrat und ernstgenommen wurde. Der Jurist aus dem Bundesstaat Miranda beteiligte sich sehr wohl an verschiedenen Protestakten gegen den Chavismo, gilt jedoch als eher gemäßigter, vor allem als dialogbereiter Konservativer, der einst mit Guaidó in einer Reihe stand, ihm jedoch das Ende seiner „Seifenoper“ und der politischen Fiktion bescheinigte.

Seine Rückkehr ins Zentrum der Opposition erklärt sich mit vier Schritten.
Erstens mit seiner öffentlichen Ablehnung der von Guaidó vorgeschlagenen „Einheit der Opposition“, zweitens mit der Anerkennung der von der Regierung Maduro gewährten Begnadigung von 110 venezolanischen Oppositionellen, drittens mit der Einschaltung des türkischen Außenministers Mevlut Cavusoglu als Mittler der innervenezolanischen Dialogbemühungen und viertens mit seiner Ablehnung des Guaidó-Aufrufs zum Wahlboykott.
Es bestehen keine Zweifel an Capriles‘ unerschütterbarer Ablehnung des Chavismo und der Regierung Nicolás Maduro, doch ebenso wenig zweifelt Letztere an der Voraussehbarkeit und Zuverlässigkeit von Capriles‘ Handlungen im Vergleich mit dem eitlen und gescheiterten Putschisten Juan Guaidó.

Wahlenthaltung: kein exklusives venezolanisches Phänomen

Verschiedene europäische Medien – darunter die Deutsche Welle, die britische BBC und die französische France24 – hinterfragten das Ergebnis der jüngsten Parlamentswahl. „Die niedrige Wahlbeteiligung von 31 Prozent, 40 Punkte weniger als bei den Parlamentswahlen von 2015, überzieht den erwarteten Sieg mit einem Schatten und wird von der Opposition als ihr Argument verwendet”, kommentierte France24.
Dass die nahezu 70-prozentige Stimmenthaltung wahrhaftig keinen Grund zum Feiern bietet, sollte eindeutig festgehalten werden. Doch ist sie ein ausschließlich venezolanisches Symptom?

Für den Aktivisten der venezolanischen Pobladores-Bewegung und Vertreter von Alba Movimentos, Hernán Vargas, stellt die von den USA und der EU verhängte Wirtschaftsblockade den Hauptgrund für das schlechte Wahlergebnis dar. „Stimmenthaltung ist eine Auswirkung der Blockade, da sie zweifellos zu materiellen Abnutzungserscheinungen im Land geführt hat.
Die Politik der Blockade sollte einen Aufruhr, das heißt einen Umbruch und einen Verstoß gegen die Ordnung des Landes hervorrufen, der zu einem Aufruhr führt.
In der Praxis ist dies aber nicht der Fall, im Gegenteil“, erklärte Vargas in einem Gespräch mit Brasil de Fato, der Wochenzeitung der brasilianischen Bewegung der Landlosen/MST.

Die Erklärung greift einen entscheidenden Aspekt auf, macht es sich aber zu einfach. Mitentscheidende Gründe für die von Vargas erwähnten Abnutzungserscheinungen ist die erratische Wirtschaftspolitik Nicolás Maduros seit 2013, insbesondere die zögernde Initiative, sich vom Erdöl als einziger Einnahmequelle zu befreien und vor allem eine nationale Nahrungsmittelindustrie mit produktiver und nachhaltiger Landwirtschaft als Lieferanten aufzubauen, die die Versorgung gesichert, die schwindelerregende Auslandsverschuldung von 136 Milliarden US-Dollar und die öffentliche Verschuldung mit 289 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) verhindert hätten.
Doch ebenso wenig bestehen Zweifel daran, dass die politischen Sanktionen dramatische ökonomische und soziale Schäden verursacht haben, bei denen das Volk der Hauptleidtragende ist und die sich nach Regierungsangaben auf mindestens 116 Milliarden US-Dollar summieren.

Die extrem hohe Stimmenthaltung ist also auch Ausdruck politischer Enttäuschungen über nicht eingehaltene Versprechungen des demokratischen Vertretungssystems.
Und damit steht Venezuela nicht allein da, wie der Fall Chile mit seiner ultraliberalen Regierung Sebastián Piñera deutlich macht. Am vergangenen 7. Dezember präsentierte zum Beispiel das Zentrum für Querschnittsuntersuchungen der Katholischen Universität (PUC Chile) unter Verwendung der von der Wahlbehörde (Servel) zur Verfügung gestellten Statistik eine Analyse individueller Wählerdaten, die an den zwischen 2012 und 2017 durchgeführten Wahlen teilgenommen hatten.
Obwohl sich die Untersuchung auf diesen Zeitraum konzentrierte, umfasste sie auch frühere Daten, die allesamt einen klaren Trend zum Rückgang der Wahlbeteiligung attestieren, deren niedrigsten Indikatoren bei den Kommunalwahlen von 2012 mit 43,2 Prozent und 2016 mit 34,9 Prozent registriert wurden.
Piñera wurde 2018 mit gerade einmal 3,8 Millionen Stimmen von insgesamt 14.796.244 Stimmberechtigten gewählt und hält sich Ende 2020 mit lächerlichen 7 Prozent Wählerzustimmung an der Macht.
„Chile ist als eines der Länder mit der niedrigsten Wahlbeteiligung der Welt bekannt … Diese Statistiken sind für eine Demokratie und in einem OECD-Land schockierend“, erklärte Simone Reperger, Vertreterin der SPD-eigenen Friedrich-Ebert-Stiftung in Chile, gegenüber der Deutschen Welle.

Die Parlamentswahl als letzter Hebel zum wirtschaftlichen Wiederaufbau

Der 6. Dezember war für Präsident Maduro und den Chavismo eine Win/Win-Wette, sie brauchten unbedingt die jüngste Parlamentswahl und -mehrheit. Diese Mehrheit soll neue Investitions-Gesetzesregelungen im Parlament verabschieden, die milliardenschwere Investitionen aus Russland, China, Iran und der Türkei beschleunigen und den wirtschaftlichen Wiederaufbau fördern können.
Das Stichwort dazu heißt Ley Antibloqueo/Antiblockade-Gesetz“ und wurde bereits im Oktober 2020 von der chavistisch dominierten Verfassungsgebenden Versammlung verabschiedet; ein Schritt, der offenbar den Schlüssel-Investoren als nicht ausreichend erschien und daher erweiterter Legitimation bedurfte.

Das Gesetz bietet der Regierung die Nutzung rechtlich institutioneller Mittel, vor allem die US-Sanktionen „durch einen flexiblen Schutz und, gesetzt der Fall, mit einem rigorosen Gegenangriff zu konfrontieren“, so der Wortlaut des Gesetzes. „Wir müssen Formeln finden, um frei und legal mit der Welt handeln zu können, ohne Angst vor Repressalien aus den USA. Wir müssen das Landeseinkommen zurückgewinnen, indem wir uns auf unsere Stärken und Fähigkeiten verlassen, um unser Volk vor den schrecklichen Auswirkungen der Blockade schützen zu können“, begründete Nicolás Maduro die Initiative.
Gemäß Artikel 19 des Anti-Blockade-Gesetzes wird die Regierung „in bestimmten Fällen Normen von rechtlichem oder sublegalem Rang zurücknehmen, deren Anwendung unmöglich oder kontraproduktiv ist“.
Darüber hinaus wird der Exekutive erlaubt, Änderungen in der Eigentumsstruktur bestimmter Unternehmen, sowohl des staatlichen Erdölkonzerns PDVSA wie auch privater Unternehmen, vorzunehmen.

Schlüsselfunktion im Gesetz haben Artikel 6 und 9, die zum einen das Vorrecht des staatlichen Besitzes am PDVSA-Konzern und zum anderen den Schutz ausländischer Investitionen sichern.
„Die Befugnis zur Ausübung von Geschäften und damit verbundenen Lizenzen beschränkt sich darauf, niemals zu Lasten von Artikel 303 der venezolanischen Verfassung zu handeln, der den Staat dazu auffordert, alle Anteile der staatlichen Ölgesellschaft PDVSA zu behalten“, und „das Gesetz sieht ´Investitionsgarantien´ vor, mit denen die Regierung versucht, ausländisches Kapital anzuziehen.
Dies tut sie mit der Versicherung, Klauseln zum Schutz der Investitionen anzubieten, um Vertrauen und Stabilität zu schaffen. Die Exekutive darf ebenso ´jeden Finanzmechanismus´ nutzen, um den Zweck dieser Gesetzgebung zu erfüllen“, heißt es im Wortlaut des Gesetzes.

Hatte die von der Opposition kontrollierte Nationalversammlung im Oktober 2020 noch die Verabschiedung des Antiblockade-Gesetzes als für null und nichtig erklärt, so ist damit zu rechnen, dass die seit dem 6. Dezember mit Regierungsmehrheit dominierte Nationalversammlung das Gesetz mit großer Mehrheit durchpeitscht.
Doch wird auch dieser neue Umstand jene Länder, wie die USA und den EU-Block, überzeugen, die die Chavismo-Behörden nicht für legitim halten und seinen Zugang zu den internationalen Finanzierungs- und Ölhandelsmärkten blockieren?

*: Zu Farbrevolutionen siehe auch https://josopon.wordpress.com/2014/09/21/cia-in-der-ukraine-freedom-and-democracy/

Über Kommentare hier auf meinem Blog würde ich mich freuen.

Jochen

Griechenland 1967 – Erinnerungen an einen NATO-Militärputsch

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Spoo2015Eckart Spoo erinnert sich hier:
http://www.sopos.org/aufsaetze/50dc8888e0f6d/1.phtml
Ähnlichkeiten mit der Situation in der Ukraine ssind unverkennbar.
Vielleicht war es auch für Tsipras ein grund, den gut vernetzten Konservativen mit in die Koalition zu holen.
Man hat bisher noch nichts davon gehört, dass an den milliardenschweren Kriegsflottenbestellungen etwas gekürzt werden soll.
Diese waren ja 2008 Voraussetzung dafür, dass Griechenland überhaupt Hilfe aus der EU bekam.

Ein aktuelles Interview mit E.Spoo zum Thema Kriegspropganda und Medien findet sich hier auf „Der fehlende Part“ ab der 22.Minute:

ttps://www.youtube.com/watch?v=3PVPEFQS4pE

Hier auszugsweise Eckard Spoo:

Nein_zur_Nato_DDR1957Die Nordatlantikpakt-Organisation (NATO), 1949 in Washington gegründet, verpflichtet ihre Mitglieder, »die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu gewährleisten« (Präambel des Nordatlantikvertrags).
Zu den Gründungsmitgliedern dieses Militärbündnisses gehörte Portugal, das damals und noch viele Jahre nicht vom Recht, sondern vom Salazar-Regime mit faschistischen Methoden beherrscht wurde. Unterstützung fand das Regime bei der von CDU/CSU und FDP regierten Bundesrepublik Deutschland. Westdeutsche Konzerne erhielten durch Salazar Zugang zu billigen Rohstoffen und Arbeitskräften in den damaligen portugiesischen Kolonien und belieferten ihn mit Waffen für den Kolonialkrieg.
Salazar war es, der 1952 die Aufnahme der BRD in die NATO beantragte.

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Als Griechenland 1967 durch einen Militärputsch unter faschistische Herrschaft geriet, geschah das nach dem NATO-Generalstabsplan »Prometheus«.
Die hehren »Grundsätze der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts« wurden nicht gewährleistet, sondern außer Kraft gesetzt.
Sieben Jahre lang dauerte das blutige Regime der griechischen NATO-Offiziere, das von Anfang an besonders starken Rückhalt in der BRD hatte.

Am 21. April jenes Jahres, kurz vor dem Termin einer Parlamentswahl, bei der aller Voraussicht nach die Linke gesiegt hätte, verbreitete am frühen Morgen der Rundfunk eine Proklamation der Armee, die dem Volk verkündete, sie habe die Macht übernommen, »um einer Machtübernahme der Kommunisten zuvorzukommen«.
Panzer rollten in die großen Städte, Parlament, Regierungsgebäude, Zeitungshäuser wurden besetzt, Funktionäre demokratischer Organisationen verhaftet, viele von ihnen in Konzentrationslager auf vegetationslosen Inseln deportiert, Versammlungen verboten, Gesetze aus der Zeit der Nazi-Okkupation wieder für gültig erklärt, gewerkschaftliche Organisationen und Streiks unterdrückt und Militärgerichte eingesetzt. Wahlen fanden nicht mehr statt.
Im Befehl Nr. 13 verbot die Armee, »Musik und Lieder des Komponisten Mikis Theodorakis zu verbreiten oder zu spielen«.

Der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß bescheinigte dem von den Putschisten regierten Griechenland, es sei zur »Stabilität« zurückgekehrt, und das CSU-Organ Bayernkurier rühmte den von der Junta ernannten Ministerpräsident Kollias: »Jurist durch und durch, eine beeindruckende Legierung von persönlicher Bescheidenheit, gedanklicher Präzision und repräsentativer Würde, verkörpert er die Zustimmung der guten alten Honoratiorenschicht zum Regime.«
Aber Stabilität stellte sich nicht ein, stattdessen stieg die Inflation, der Widerstand im Volk ließ sich nicht überwinden – auch nicht durch die Festnahme und Verschleppung von mehr als 150.000 »Ordnungsstörern« während der sieben Diktaturjahre. Die Europäische Kommission für Menschenrechte bezeichnete 1969 nach gründlichen Untersuchungen Folter als »eine in Griechenland übliche Verwaltungsmaßnahme.«

Im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten unterließ es die BRD, die Militärdiktatur und deren Verbrechen zu verurteilen. Bundespräsident Heinrich Lübke würdigte vielmehr die »traditionelle Freundschaft« zwischen beiden Ländern, die sich auf »das hohe Ideal der Freiheit« gründe. In der Großen Koalition gab es keine Differenzen wegen des Verhältnisses zu Griechenland.
Der SPD-Vorsitzende und damalige Außenminister Willy Brandt hielt aufgebrachten Parteimitgliedern entgegen: Wer den Abbruch der diplomatischen Beziehungen fordere, »vertritt nicht die Interessen des Staates«. Der damalige stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Hans Apel, erklärte: »Was hätten wir eigentlich davon, wenn die jetzige Diktatur abgelöst würde zum Beispiel durch eine prokommunistische?«
Bei dieser offiziellen Haltung blieb es auch nach dem Wechsel von der Großen zur SPD/FDP-Koalition. Für das Auswärtige Amt blieb Griechenland »ein wichtiger Bündnispartner, mit dem uns eine Vielzahl gemeinsamer Interessen verbindet«, und Bundesverteidigungsminister Georg Leber stellte es schlicht als unzulässig dar, Bündnispartner zu kritisieren.
Vom ersten bis zum letzten Tag der griechischen Militärdiktatur hat Bonn so geredet und gehandelt, wie es das CSU-Organ Bayernkurier einmal empfohlen hat: Das Gesamtinteresse des Westens muß hier vor der Ideologie rangieren«, also vor Freiheit, Recht und Demokratie.

Als im November 1973 Studierende des Athener Polytechnikums in den Streik und Arbeiter in Solidaritätsstreiks traten, entwickelten sich Massendemonstrationen, gegen die das Militär mit Panzern, Tränengas, Schußwaffen vorging. Daraus entstand ein Massaker: Mehr als 200 Demonstranten wurden getötet, weit über 2.000 verletzt.
Aber noch wenige Wochen bevor das Militärregime abtreten mußte, stellte die Wirtschaftswoche fest: »Wenn Diktatoren herrschen, bekommen Anleger gern feuchte Augen. In Griechenland hat sich der Aktienindex seit dem Obristenputsch vom April 1967 verfünffacht.«
Die Welt
aus dem Springer-Konzern resümierte: »Allein 1973 nahm der Warenaustausch zwischen den beiden Ländern um 44 Prozent zu« – die Bundesrepublik habe »sowohl unter den Lieferanten als auch den Abnehmern der griechischen Wirtschaft den ersten Rang« eingenommen.

Die Erwartungen, mit denen deutsche Konzerne 1967 den Putsch begleitet hatten, wurden also nicht enttäuscht. Damals hatte das Handelsblatt geschrieben, man erwarte eine »Verbesserung der technischen Abwicklung der Geschäfte«, weil die Verzögerungen infolge »dauernder Streiks« durch »energisches Eingreifen der Regierung in aller Kürze beseitigt sein werden«.

Auch in den folgenden Jahren fand das Handelsblatt immer wieder Argumente für den Kapitalexport nach Griechenland, das nicht nur »ein wichtiger Stützpfeiler der NATO«, sondern auch ein »lohnender Markt« sei. Den griechischen Arbeitsmarkt pries das Blatt mit den Worten, die Löhne seien »weiterhin niedrig«.

Die militärische Zusammenarbeit zwischen den beiden NATO-Partnern wurde in den sieben Jahren der Diktatur sehr eng. Westdeutschland lieferte U-Boote, Hunderte Transportflugzeuge, Unmengen an Feuerwaffen der Firmen Heckler & Koch und Rheinmetall und vieles mehr.
Die Bundeswehr durfte griechische Militärflugplätze und einen Raketenschießplatz auf Kreta benutzen. Solche Kooperationen wurden mit der Notwendigkeit begründet, die Südostflanke der NATO zu sichern und zu stärken. Gestärkt wurde das Obristenregime.

Aber als 1974 die Türkei, Griechenlands Nachbar, gleichfalls NATO-Mitglied und weit entfernt davon, Freiheit, Recht und Demokratie zu gewährleisten, den Norden der Republik Zypern besetzte (den sie noch heute besetzt hält) und die griechische Bevölkerung vertrieb, richtete sich der Zorn der Griechen nicht nur gegen die Türken, sondern auch gegen die NATO und gegen die Junta in Athen, die bald abtreten mußte, und das befreite Griechenland löste sich aus der militärischen Zusammenarbeit in der NATO; etliche Jahre widersetzte es sich dem Druck aus Washington und Bonn, bis es sich wieder eingliederte.

Eine ausführliche Darstellung der griechischen Militärdiktatur gibt das Buch »Unser Faschismus nebenan – Erfahrungen bei NATO-Partnern« von Günter Wallraff und Eckart Spoo, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch.

Jochen