Wir brauchen eine Generalüberholung linker Politik

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Seltener, aufrüttelnder Beitrag von Jan Korte in der ZEIT:
http://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-03/neoliberalimus-die-linke-jan-korte-kritik-opfer/komplettansicht

jan korteDie Linke verliert an Zustimmung bei denen, für die sie einst gegründet wurde: den Arbeitern und Arbeitslosen.
Daran sind wir auch selbst schuld.

Auszüge:

Spannende Diskussionen werden in Deutschland häufig etwas später geführt als in anderen Teilen Europas und der Welt. Das gilt auch für die derzeitige Debatte über die Krise sozialdemokratischer und linkssozialistischer Politik.
Doch spätestens seit dem Sieg der Rechten um US-Präsident Donald Trump, der Pulverisierung sozialdemokratischer Parteien etwa in Frankreich, den Niederlanden oder in Griechenland und schließlich der historischen Niederlage der SPD bei den Bundestagswahlen stellen sich für Linke und Linksliberale auch hierzulande grundlegende Fragen.
Denn der Aufstieg der Rechten kann nicht ohne eine Analyse der Schwäche der Linken und ihrer Fehler verstanden werden.

Wenn nicht versucht wird, zu ergründen, woher die Wut, der Zorn und die Abkehr von Arbeitern und Teilen der Mittelschicht von den Parteien der Arbeiterbewegung kommen, dann kann die Rechtsentwicklung nicht gestoppt werden. Aber anstatt sich diesen so drängenden Fragen selbstkritisch zu stellen, verweilen Teile der Linken in einem moralischen Rigorismus.

Bei vielen Diskussionen – auch im eigenen Umfeld – blitzt eine Überheblichkeit gegenüber jenen auf, die den eigenen, linken Lebenswelten kulturell nicht entsprechen.
Dort „unten“ wird über die falschen Witze gelacht, es wird falsch gegessen, es wird sich falsch gekleidet (und auch noch bei Primark eingekauft – warum wohl!?), falsch geredet.
Viele Linke haben keinerlei Zugang mehr zu Menschen, die sich an ihren (schlecht bezahlten) Arbeitsplatz klammern, um irgendwie durchzukommen.

„Wir wurden gebrochen“

Der neue Faschismus muss aber als Ergebnis des neoliberalen Zeitalters begriffen werden. Der Neoliberalismus hat Menschen, besonders Arbeiter und Arbeitslose, entwurzelt und ihnen jede Sicherheit, die notwendig für ein planbares Leben ist, geraubt. Das hat dazu geführt, dass viele Menschen Veränderungen mittlerweile nicht mehr mit Hoffnung sondern mit Angst begegnen.
Der britische Journalist Paul Mason hat es mit Blick auf die Lage der Arbeiter in Großbritannien treffend formuliert: „Wir wurden gebrochen.“

Die Folgen des Neoliberalismus zeigen sich an der Privatisierung von öffentlichen Einrichtungen oder der gigantischen Zunahme sogenannter prekärer Jobs. Genauso wichtig ist aber, zu sehen, was der Neoliberalismus konkret mit Menschen macht. Wo früher – wenn auch äußerst unzureichend – der Staat in Notsituationen geholfen hat, steht heute die Erfahrung: Dir hilft keiner, hilf dir selber und sieh zu, wie du klarkommst. Hinzu kommt mit unsicheren Jobs, Leiharbeit und Dauerbefristungen eine Form von Gewalt, die Menschen angetan wird und die sie nachhaltig verändert – meist nicht zum Guten.

Diejenigen, die in besonderer Weise von den neoliberalen Veränderungen betroffen sind, sind Menschen, die sich keinen tollen Urlaub leisten können und deshalb darauf angewiesen sind, dass es ein öffentliches, bezahlbares Schwimmbad oder einen Tierpark gibt.
Es geht um Menschen, die ganz praktisch erleben, was es bedeutet, auf Busse angewiesen zu sein, die nicht mehr fahren. Menschen, die darunter leiden, dass die Bahnlinie und der kleine Bahnhof geschlossen wurden.
Sie fragen: Warum ändert ihr das nicht? Warum redet ihr nicht über uns?

Nur die kulturellen Kämpfe gewonnen

Leider gibt es Tendenzen in der Linken, diese Sorgen und diese Verheerungen des Neoliberalismus nicht mehr zu sehen. Für mich und Teile meiner Freunde klingen Globalisierung und Europäisierung tendenziell gut, weltoffen und nach Reisefreuden.
Für viele andere klingen diese Worte nach Bedrohung. Und das muss ernst genommen und nicht selbstgerecht ignoriert werden.
Und schon gar nicht darf der Teil dieser Leute, der bei den Wahlen von der Linken zur AfD gegangen ist, abgeschrieben werden. Wir dürfen nicht die Segel streichen und ganze Generationen und Landstriche verloren geben, wie es manche Linke tun. Das wäre unpolitisch.
Politisch sein heißt dagegen, mit Leidenschaft und Hingabe für den eigenen Standpunkt zu streiten, und zwar gerade dort, wo dieser nicht vertreten wird.

Diejenigen, die ökonomisch täglich verletzt werden, haben eine nicht ganz falsche Empfindung: Die ökonomischen Kämpfe wurden von Linken überwiegend verloren, kulturelle Kämpfe dagegen gewonnen (immerhin und zum Glück).
Das führt dazu, dass notwendige kulturelle Errungenschaften wie Verbesserungen für gesellschaftliche Minderheiten der neoliberalen Epoche zugerechnet werden.
Oder anders gesagt: Die Ehe für alle ist kein Trost für jemanden, der seit Jahren nur als Leiharbeiter beschäftigt wird.
Dem müssen wir uns stellen. Mit klarer Haltung, aber auch mit einem neuen Problembewusstsein.

Dass Arbeiter und Menschen, die kaum wissen, wie sie durch den Monat kommen, sich von der SPD abgewandt haben, lässt sich noch recht einfach erklären.
Ihr Abstieg, ihre Drangsalierung erlebte mit der Agenda 2010 eine neue Form der Brutalisierung. Daher wird die SPD weiter scheitern, solange sie diese Politik nicht rückabwickelt.

Warum profitiert die Linke nicht stärker von den Verlusten der SPD?

Seit 1998 hat die SPD über die Hälfte ihrer Wähler verloren. Die entscheidende Frage für die Linkspartei lautet allerdings: Warum ist von diesen nur ein kleiner Teil zu ihr abgewandert?
Eine attraktive Linkspartei müsste in dieser Situation eigentlich bei mindestens 15 Prozent stehen. Darüber muss man nachdenken.
Zwar hat die Linke in den sogenannten urbanen Milieus zuletzt kräftig zugelegt. Das ist erfreulich und wertvoll. Doch gleichzeitig ist zu konstatieren, dass die Linke bei Arbeitern und Arbeitslosen dramatisch an Stimmen eingebüßt hat.
Also bei jenen, für die die Linke gegründet wurde, und für deren Rechte, für deren Würde und für deren Repräsentanz sie kämpft.
Neue Mitglieder und neue Sozialstrukturen verändern in einer Partei den Blick. Aber Linken darf eines niemals passieren: herabzublicken auf „die da unten“ und es sich in der eigenen Blase moralisch überlegen bequem zu machen.
Fünf Dinge müssen sich ändern:

1. Bereits durch die Wahl der Sprache baut man eine Distanz auf, die für Linke nicht akzeptabel ist. Wir müssen unsere Sprache generalüberholen und die Dinge beim Namen nennen: Leiharbeit ist moderne Sklaverei, die Menschen die Würde nimmt. Prekäre Beschäftigung bedeutet Abrackern in Unsicherheit. Und auch positiv gewendet – wenn wir sagen, wir wollen die öffentliche Daseinsvorsorge stärken, muss das übersetzt werden in: Wir wollen Schwimmbäder, Krankenhäuser, Busse, wir wollen Bahnhöfe eröffnen und nicht schließen. Und wir wollen, dass der Staat wieder für euch da ist, für euch als Bürger und nicht als Kunden.

2. Wir müssen die Herzen der Menschen erreichen: Was heißt es eigentlich, sich bei der Tafel anstellen zu müssen? Was bedeutet es für Großeltern, wenn sie ihren Enkeln keinen Ausflug finanzieren können? Hierfür ist Empathie notwendig, und darin müssen einige Linke deutlich besser werden.

3. Wir müssen die großen Linien unserer Politik deutlich machen. Wir wollen eine vollständige Abkehr vom neoliberalen Zeitgeist. Das bedeutet konkret: Privatisierungen von Straßen, Schwimmbädern und kommunalen Dienstleistungen müssen verboten werden. Bereits erfolgte Privatisierungen wie etwa der Bahn müssen rückgängig gemacht werden. Und statt über den Austritt aus der Nato zu theoretisieren, kann man ganz praktisch die Mittel für Aufrüstung streichen und das dafür verplante Geld in Schulen und Spielplätze stecken. Last, but not least brauchen wir Personen, die glaubwürdig verkörpern, dass wir gedenken, uns mit den Mächtigen und Reichen schwer anzulegen. Denn wir wollen ihnen wegnehmen, was sie sich wie selbstverständlich in den letzten Jahren genommen haben, und es der Bevölkerung zurückgeben. Das heißt: ab und an auch ruhig mal Enteignung sagen.

4. Wir brauchen eine Aufarbeitung der Niederlagen der sozialdemokratischen und linken Parteien. Dabei ist es nicht hilfreich, wenn ein Teil der politischen Linken statt über Hedgefonds, Steuerhinterzieher und den Erbschaftsadel zu reden, pauschal und abwertend über „ältere, weiße Männer“ redet, ganz so, als würden diese nicht ausgebeutet werden.

5. Last, but not least braucht es eine klare Haltung: Wir dürfen keine Abstriche bei der Solidarität mit Flüchtlingen oder bei Minderheitenthemen machen. Aber wir müssen gleichrangig weitere Schwerpunkte setzen. Das bedeutet, auch für Leute zu kämpfen, die nicht in allem unserer Meinung sind. Auch sie müssen sich von uns vertreten fühlen können.

Kurz: Wir brauchen dringend eine Generalüberholung linker Politik.
Mutig gegenüber den wirklich Mächtigen, empfindsam gegenüber jenen, denen in diesem System täglich die Würde und die Freude am Leben genommen wird, können wir gewinnen.

Jochen

Interview mit Ökonom Samir Amin: »Wir brauchen eine fünfte Internationale«

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Ökonom Samir Amin sieht den Kapitalismus an sein historisches Ende gekommen

Jemand, der lange und weit in die Zukunft blickt und uns lehren kann, den Mut nicht zu verlieren. Venceremos!
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1063362.wir-brauchen-eine-fuenfte-internationale.html
SamirAminSamir Amin ist einer der bedeutendsten Theoretiker und bekanntesten linken Intellektuellen. Der gebürtige Ägypter lebt in Dakar im Senegal und leitet dort das Third World Forum.
Der Ökonom wendet sich gegen die Sichtweise, dass die kapitalistische Moderne ihre Wurzeln allein in Europa hat, und kritisiert die imperialistische Ausbeutung des globalen Südens.
Der Ökonom und Marxist gilt neben anderen als Begründer der Dependenz- und Weltsystemtheorie.
Über das lange Ende des Kapitalismus sprach Simon Poelchau mit Amin.

Auszüge:

Können Sie sich mit Ihren mittlerweile 86 Jahren noch an neue Technologien gewöhnen?

Ich schreibe E-Mails, aber die Benutzung von Smartphones ist mir zu kompliziert.

Was denken Sie dann über diese technologischen Erneuerungen – verändern sie die Welt?
Solche Erfindungen sind wichtig, aber es wurden immer schon Sachen erfunden. Das sollte man in der gegenwärtigen Diskussion im Kopf behalten. Deswegen glaube ich auch nicht, dass die Digitalisierung das wichtigste Charakteristikum der heutigen Zeit ist.

Sie würden also nicht dem Journalisten Paul Mason zustimmen, der meint, dass die Digitalisierung das Ende des Kapitalismus einleitet?
Nein. Das ist eine Vereinfachung. Mit neuen Technologien fängt nichts an und hört nichts auf.
Stattdessen ist der Kapitalismus an sich in eine neue Phase eingetreten. Und vielleicht ist es sogar, wie Lenin es einst formulierte, seine letzte Phase.

Seit wann leben wir in dieser letzten Phase des Kapitalismus – seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2007?
Es fing schon viel früher an. Und zwar in den 1970er Jahren mit dem Ende des Bretton-Woods-Systems und der Entkopplung des Dollars vom Gold. Bis 1990 kam es daraufhin zu wesentlichen Veränderungen der Organisierung des Kapitalismus.
Die Koexistenz der drei Systeme – der westlichen Sozialdemokratie, des Kommunismus und der blockfreien Staaten – kam da an ihr Ende.

Was bedeutet dies für die Gesellschaften, in der wir leben?
Alles ist dem Monopolkapital untergeordnet. Und zwar nicht nur in den alten Industriestaaten, sondern auch im globalen Süden.
Dies bedeutet eine Proletarisierung und Fragmentarisierung der Arbeit – international und auf allen Ebenen. Mit einer immer kleiner werdenden, einigermaßen abgesicherten Kernarbeiterschaft und mit einer immer größer werdenden Mehrheit von Prekarisierten.

Inwiefern?
Nehmen wir die Agrarindustrie: Die Kleinbauern sind jetzt überall auf der Erde von den großen Konzernen abhängig, die ihnen Dünger und Samen verkaufen und sie so an sich binden. Sie sind quasi zu Subunternehmern des Monopolkapitals geworden.

Ist dies im Grunde nicht auch eine Gefahr für die bürgerliche Demokratie?
Ja. Die bürgerliche Demokratie bewegt sich immer mehr hin zu einem Ein-Parteien-System. Egal ob Konservative, Liberale oder Sozialdemokratie – alle traditionellen Parteien unterscheiden sich letztlich nicht mehr wirklich voneinander.
Wo ist zum Beispiel der Unterschied zwischen den Demokraten und den Republikanern in den USA? Alle diese Parteien akzeptieren die gleichen Regeln, nämlich die des Finanzkapitals. Aber auch international gibt es keine Konkurrenz mehr.

Ist der Imperialismus abgeschafft?
Wir leben heute in einer Phase, die Karl Kautsky vor 100 Jahren als Hyperimperialismus beschrieben hatte. Dafür wurde er damals von Lenin angegriffen, doch heute stimmt seine Theorie.

Es gibt keine Konkurrenz mehr zwischen den Staaten?
Es gibt zwar bis zu einem gewissen Grad einige Ausnahmen wie Kuba, Russland, China und Vietnam, doch im Grunde akzeptieren heutzutage alle die Aufteilung der Welt, so wie sie ist.
Bis zum Zweiten Weltkrieg war es anders. Da gab es nicht den einen Imperialismus, sondern zum Beispiel den deutschen, englischen, US-amerikanischen oder französischen Imperialismus. Doch nun sind sich die herrschenden Klassen rund um den Globus im Grunde einig, wie das System laufen soll.

Zum Leidwesen der Mehrheit.
Das kapitalistische System fußt auf einem wahnsinnigen Wachstum der Ungleichheit. Sowohl auf globalem Level als auch innerhalb der einzelnen Staaten.
Dies betrifft auch den reichen Westen und bedeutet wachsende Unsicherheit, Arbeitslosigkeit und Armut. Und das System wird immer zerstörerischer, weil es sich nicht mehr ausdehnen kann. Hinsichtlich der Zerstörung der Natur sind wir da schon an einem sehr gefährlichen Punkt angekommen.

Denken Sie, dass sich das System dann von allein zerstört, weil etwa die Profitraten fallen?
Die Maßnahmen und Strategien, die gegen den tendenziellen Fall der Profitrate eingesetzt werden, waren aus Sicht des Kapitals recht erfolgreich: Sie sichern dem Kapital mit Hilfe von Proletarisierung, Unterordnung sowie Überausbeutung von Mensch, Natur und ganzen Staaten hohe Gewinne. Trotzdem ist der Kapitalismus historisch gesehen an sein Ende gekommen. Und es gibt niemanden, der weiß, wie man damit umgehen soll.

Wie lange geben Sie dem Kapitalismus dann noch?
Es ist wie mit dem Ende des Römischen Reiches – nach nur einer kurzen Phase der Blüte kam es da zu einer zehn Jahrhunderte langen Phase der Dekadenz.
Doch heute ist die Lage noch dramatischer. Es gibt genügend Atombomben, um die Menschheit zigmal auslöschen zu können.
Insofern hatte Putin recht, als er einmal auf die Frage, ob Russland einen Atomkrieg gewinnen würde, antwortete: »Niemand wird ihn gewinnen.
Wir werden alle verschwinden.«

So pessimistisch?
Alle Strategien, die derzeit angewendet werden, haben nichts Vorwärtsweisendes. Sie sind rein defensive und hilflose Reaktionen auf den Zerfall.
Am Ende werden wir vor der Alternative »Sozialismus oder Barbarei« stehen, wie es Rosa Luxemburg einst formulierte.

Sie ist nach Karl Kautsky die zweite Marxistin, die sie erwähnen und die vor rund 100 Jahren wirkte.
Rosa Luxemburg war ihrer Zeit weit voraus. Vor 100 Jahren hat man an ihren Worten vielleicht noch zweifeln und sagen können: »Der Weltkrieg war schlimm, jetzt ist er aber zu Ende und die Geschichte geht weiter.« Doch dies geht heutzutage nicht mehr.
Das Zerstörerische am Kapitalismus ist unübersehbar geworden und deswegen brauchen wir eine positive Alternative zum Bestehenden!

Und das ist der Sozialismus?
Als bloße theoretische Alternative reicht er nicht aus. Wir müssen wissen, wie wir dorthin kommen.
Wir werden nicht innerhalb von 24 Stunden das Paradies auf Erden schaffen können. Wir brauchen eine Strategie, wie wir über viele verschiedene Etappen dorthin kommen. Und diese Etappen werden in Deutschland und Zentralafrika sehr unterschiedlich sein.
Letztlich bedeutet das, dass wir eine neue, eine fünfte Internationale brauchen.

Warum?
Weil es ein Revival des politischen Marxismus, des Internationalismus braucht. Und die Geschichte der Internationalen ist trotz ihrer Widersprüchlichkeiten Teil einer gemeinsamen Geschichte.
Dabei geht es nicht darum, alte Strukturen wieder aufzubauen, sondern sich wieder an alten Zielen zu orientieren. Wir müssen gleichzeitig erfinderisch sein, um den Problemen begegnen zu können, denen die arbeitenden Menschen überall auf der Welt ausgesetzt sind.
Und damit meine ich nicht allein die Arbeiterschaft in Europa oder den USA, sondern auch die Arbeiterschaft in Venezuela, Ägypten oder anderswo.

Hört sich nach einem langwierigen, globalen Projekt an.
Die kapitalistische Moderne ist auch nicht allein mit der Industrialisierung in Europa entstanden.
Die Entwicklung fing viel früher und zwar in China an. Sie kam zunächst über die italienischen Stadtstaaten nach Westeuropa.
Erst danach kam es zur industriellen Revolution in England und zur politischen in Frankreich, die die moderne bürgerliche Demokratie erschuf.

Gibt es letztlich nicht auch ein Licht am Ende des Tunnels?
Ja. Aber nur, wenn wir es schaffen, über bloßen Protest und Widerstand hinaus zu kommen.
Wir müssen unsere Kämpfe organisieren, eine positive Alternative schaffen und vor allem einige wichtige Lehren aus der Geschichte im Kopf behalten. Etwa, dass man der Rolle von Anführern gegenüber immer skeptisch sein sollte. So ist die Russische Revolution nicht von Lenin geschaffen worden, sondern die Russische Revolution hat Lenin hervorgebracht.

Lehnen Sie also die Idee ab, dass es eine politische Avantgarde braucht?
Natürlich entstehen durch Kämpfe in gewisser Weise immer auch hierarchische Strukturen mit Anführern an der Spitze. Doch häufig ist dies sehr zweischneidig. Diese Personen sind oft revolutionäre Anführer und Opportunisten zugleich.
Martin Luther, der sich letztlich mit den Fürsten arrangierte, ist da ein anderes gutes Beispiel. Deswegen geht es jetzt darum, Debatten, Strategien, Aktionen und Organisationen zu entwickeln, um es besser zu machen.

Könnten die neuen Technologien da nicht auch helfen?
Natürlich. Aber diese Technologien sind vor allem erfunden wurden, um nützlich fürs System zu sein.
Mit dem Smartphone zum Beispiel kann der Chef einen selbst im Urlaub erreichen. Man kann es aber auch dazu benutzen, um eine Demonstration zu organisieren.

Jochen