SPD und Linkspartei im Niedergang – Analyse von Andreas Wehr

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Dieser Einschätzung muss ich mich leider anschließen:
https://gewerkschaftsforum.de/spd-und-linkspartei-im-niedergang/
Auszüge:

SPD_lgoNoch sonnt sich die deutsche Sozialdemokratie im Licht des unverhofften Erfolgs bei den Bundestagswahlen vom 26. September 2021, doch eine aktuelle Meldung zeigt wie es tatsächlich um sie steht: trotz ihres Wahlerfolgs verliert sie weiter an Mitglie­der.

Am 17. Januar 2022 berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ): „Entge­gen Behaup­tun­gen der Partei während der Wahl­kam­pa­gne ist die Zahl der einge­schrie­be­nen Sozi­al­de­mo­kra­ten unter die symbo­lisch wich­ti­ge Marke von 400.000 gefal­len. Aktu­el­len Anga­ben des Willy-Brandt-Hauses zufol­ge haben im letz­ten Jahr der Amts­zeit von Gene­ral­se­kre­tär Lars Kling­beil mehr als 22.000 Mitglie­der die Partei verlas­sen. (…) Der aber­ma­li­ge Verlust von etwa fünf Prozent der Mitglied­schaft konnte durch den Wahl­er­folg nicht ausge­gli­chen werden. Bewegt von diesem Come­back traten der Partei im Septem­ber zwar mehr Neumit­glie­der bei als in allen ande­ren Mona­ten des Jahres. Die Zahl für das ganze Jahr, 12.266, war aller­dings uner­war­tet nied­rig. Rech­net man Ein- und Austrit­te zusam­men, hatte die SPD zum 31. Dezem­ber 2021 noch 393.727 Mitglie­der. Ein Jahr zuvor waren es 404.300 gewe­sen, Anfang 2018 noch 463.700.“

Im Bundestagswahlkampf 2017 war es noch anders.

spd parteibuch

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Da hatte der Hype um Kanzlerkandidat Martin Schulz für einen beispiellosen Zustrom neuer Mitglieder gesorgt. Wahlkampfveranstaltungen mit ihm wurden von Interessierten geradezu gestürmt. Im ersten Halbjahr 2017 traten so viele in die SPD ein, dass manchen Geschäftsstellen die Blanko-Parteibücher ausgingen. Die Hoffnung unter Mitgliedern und Sympathisanten, dass die SPD bei einem Wahlsieg die ungeliebte große Koalition mit der CDU/CSU endlich hinter sich lassen werde war groß.
Doch der Kandidat hielt nicht was er versprach. Die Partei stürzte bei den Bundestagswahlen am 24. September 2017 auf nur noch 20,5 Prozent. Ein historisches Tief!

Aus_dewm_DilemmaNur einen Tag nach der Wahl beschloss der Parteivorstand, Konsequenzen aus dem Desaster zu ziehen und die SPD in die Opposition zu führen, damit sie sich dort erneuern könne. Doch daraus wurde nichts. Die Verhandlungen um die Bildung einer Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, Grünen und FDP scheiterten im November 2017, und in den Medien hieß es, die SPD werde nun abermals zum Regieren gebraucht. Die zierte sich zwar anfangs noch, doch die einstigen Schröder-Gefolgsleute Andrea Nahles und Olaf Scholz führten sie im März 2018 erneut in die große Koalition. Die von den Jusos unter Kevin Kühnert geführte No-Groko-Kampagne blieb erfolglos.

Aus Enttäuschung darüber verließen viele der eben erst eingetretenen Mitglieder die Partei. Unzufriedenheit unter den Verbliebenen sowie Machtgerangel im Führungszirkel kosteten Andrea Nahles im Juni 2019 die Ämter der Vorsitzenden in Partei und Bundestagsfraktion.
Eine Interims-Parteiführung organisierte daraufhin ein Mitgliedervotum über den Parteivorsitz, an dem sich nicht weniger als sieben Kandidatenteams beteiligten. Das von den Jusos geförderte und am Ende siegreiche Paar Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans führte ihren innerparteilichen Wahlkampf unter der Parole, die große Koalition beenden zu wollen. Davon war aber bereits auf dem Parteitag im Dezember 2019 nicht mehr die Rede. Unter Zuhilfenahme trickreicher Formulierungen erklärte der Parteitag vielmehr seine Zustimmung zur Fortsetzung der ungeliebten Zusammenarbeit mit den Unionsparteien.

Dass das Mitgliedervotum zur Wahl der neuen Parteiführung nichts an den innerparteilichen Machtstrukturen geändert hatte, zeigte sich erneut im Sommer 2020 als von einem kleinen Kreis Auserwählter mit Olaf Scholz ein Befürworter der großen Koalition auf den Schild des Kanzlerkandidaten gehoben wurde. Vergessen war, dass er zusammen mit Klara Geywitz bei der Wahl zum Parteivorsitz noch nicht einmal ein Jahr zuvor gegen das weitgehend unbekannte Paar Esken/Walter-Borjans verloren hatte. Es war die breite Mitgliedschaft gewesen, die Scholz nicht in diesem Amt sehen wollte.

Mit einem geschickt geführten Wahlkampf und mit viel Glück – Angela Merkel trat nicht mehr an, CDU/CSU hatten sich über die Kanzlerkandidatur zerstritten und der von oben gegen die Basis der Unionsparteien durchgesetzte Kandidat Armin Laschet enttäuschte auf ganzer Linie – gewann die SPD knapp die Bundestagswahlen, allerdings mit dem schwachen Ergebnis von 25,7 Prozent, was fast genau dem von 2013 entsprach. *)
Dies war aber seinerzeit als überaus enttäuschend gewertet worden – nun galt das Ergebnis von 2021 plötzlich als großartiger Erfolg.

Die Entwicklung der Mitgliedzahlen sagt zwar nicht alles über die Stärke einer Partei aus, sie ist aber ein wichtiger Indikator. Und da sind noch die konstant schlechten Wahlergebnisse der SPD, zumindest auf Bundesebene. Seit der Wahl 2009 bewegen sich ihre Ergebnisse auf dem niedrigen Niveau von 20 bis 25 Prozent. Beides zusammen zeigt: Die Partei befindet sich seit Jahren auf dem Weg nach unten.

Ein europaweiter Trend

Der Abstieg der SPD fügt sich ein in den Bedeutungsverlust der Sozialdemokratie in vielen europäischen Ländern:
In Frankreich sind die noch vor wenigen Jahren regierenden Sozialisten zerfallen, gleich mehrere Gruppen haben sich von ihnen abgespalten. Von einstmals 200.000 Mitgliedern sind nur noch 20.000 übrig. Bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen werden alle linken französischen Parteien keine Rolle mehr spielen.
In Polen, Tschechien und Ungarn sind die Sozialdemokraten nahezu ganz verschwunden, ebenso in Griechenland. In Belgien, Österreich und in den Niederlanden wurden sie bei Wahlen der letzten Jahre deutlich geschwächt.
In Italien konnte sich die Partito Democratico (PD) zwar auf einem niedrigen Niveau behaupten, doch die PD kann nur bedingt als sozialdemokratisch bezeichnet werden, entstand sie doch aus einem Zusammenschluss gewendeter Kommunisten mit Zerfallsprodukten der untergegangenen Democrazia Christiana. Die PD selbst sieht sich als eine sozialliberale Partei.
Bleiben noch die skandinavischen Länder sowie Spanien und Portugal, in denen sozialdemokratische Parteien relevante Machtfaktoren sind. Doch man sollte hier hinzufügen: noch.

Über die Gründe für den europaweiten Abstieg der Sozialdemokratie ist viel geschrieben und gesagt worden. Entscheidend ist, dass die heute in diesen Parteien tonangebenden Funktionäre, die fast ausschließlich der akademischen Mittelschicht entstammen, längst die zentralen Botschaften des Neoliberalismus akzeptiert haben. Angestrebt wird nicht mehr Gleichheit, sondern bestenfalls Chancengleichheit für die sozial Benachteiligten.
Die immer größer werdende Vermögensungerechtigkeit wird als alternativlos angesehen. Und der Abbau noch vorhandener nationaler Schutzmechanismen – etwa im Bereich des Arbeitslebens – zugunsten einer Europäisierung bzw. Globalisierung wird sogar aktiv von ihnen betrieben.

Links sein bedeutet für diese „modernen“ Sozialdemokraten vor allem für fortschrittliche kulturelle Werte einzutreten:
Für eine gendergerechte Sprache, gegen die Diskriminierung sexueller Minderheiten, für Toleranz und gegen Hass im gesellschaftlichen Dialog, für die Bewahrung und den Ausbau des Asylrechts, für Umweltschutz und Tierwohl. Das sind alles richtige Forderungen, aber für die breiten Schichten der Arbeiter, Angestellten und kleinen Selbständigen sind das alles nicht die Themen, die sie für die Sozialdemokratie einnehmen könnten.
Mit ihrer „kulturalistischen Wende“ haben die Sozialdemokraten den Boden mit dafür bereitet, dass extrem rechte Parteien, wie in Deutschland die AfD, erfolgreich sein konnten.

Links von den Sozialdemokraten stehende Parteien – Kommunisten und Linkssozialisten – können hingegen von deren Niedergang nicht profitieren. Sie sind selbst einem Auszehrungsprozess ausgesetzt, der in vielen europäischen Ländern bereits zu ihrer Marginalisierung geführt hat.
Auch hier ist die Ursache die Orientierung an kulturalistischen Politikinhalten. Lediglich in Belgien gelang es der Partei der Arbeit (PvdA/PdT) und in der österreichischen Stadt Graz der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) ihre Stellungen zu halten und auszubauen.
In Deutschland hingegen fiel die Partei DIE LINKE bei den Bundestagswahlen im Jahr 2021 auf nur noch 4,9 Prozent. Und wie die SPD verliert auch sie massiv an Mitgliedern. Von den einstmals 76.000 nach dem Zusammenschluss von PDS und WASG im Jahr 2007 sind nicht einmal mehr 60.000 übriggeblieben.

Die Bedeutung der Partei

Der Niedergang der Parteien der alten Arbeiterbewegung verurteilt jede linke Kritik, die sich gegen das kapitalistische System richtet, zur Machtlosigkeit, denn für ihre Umsetzung in konkretes politisches Handeln bedarf es nun einmal starker linker Parteien. Spontane Zusammenschlüsse wie Occupy Wall Street in den USA oder die Gelbwestenbewegung in Frankreich verlieren schnell an Schwung und verlaufen sich wieder.
Auch eine etablierte Organisation wie Attac kann kein Ersatz für eine sozialistische Partei sein. Linke Zeitungen, Zeitschriften und Internet-Auftritte bleiben auf Dauer ebenso machtlos.

Der italienische Historiker und Philosoph Domenico Losurdo hat auf die große Bedeutung verwiesen, die der Partei in der Geschichte der Arbeiterbewegung zukommt: „Die organisierte politische Partei entsteht auf der Woge einer Forderung nach Emanzipation seitens der unteren Klassen. *)
Sie sind es, die eine so weit wie möglich verzweigte und kapillar verästelte Organisation benötigen, nicht etwa die Klassen, die den Staats- und Regierungsapparat und den Reichtum zur Verfügung haben und dazu noch den gesellschaftlichen Einfluss, der aus all dem sich unmittelbar ergibt.
Deshalb stellt sich während einer ganzen historischen Periode der bourgeoisen Meinungspartei die organisierte Arbeiter- oder Volkspartei entgegen.“ [1]

Losurdo erinnerte zugleich an die Forderung Antonio Gramscis, dieser Partei Autonomie innerhalb der ihr feindlich gesonnenen bürgerlichen Gesellschaft zu verschaffen: „Es sind die unteren Klassen, die zu organisierten und langanhaltenden Anstrengungen greifen müssen, um eine autonome Kultur und eine autonome politische Anschauung zu erarbeiten, um ‚ihre eigene Gruppe von unabhängigen Intellektuellen‘ zu bilden und dies im Zuge eines Prozesses, der oft unterbrochen wird von der (politischen und ideologischen) Initiative der herrschenden Gruppen‘ (Gramsci, Gefängnishefte). Darin liegt der Grund, dass sich für die Dauer einer ganzen historischen Periode der zumindest scheinbar entideologisierten bürgerlichen Partei eine Arbeiter- oder Volkspartei sich entgegenstellt, die darauf aus ist, in ihrem Inneren einen mehr oder weniger großen Grad an – auch ideologischem – Zusammenhalt zu verwirklichen.
Eine so beschaffene Partei stellt ein starkes Zentrum autonomer geistiger Produktion dar.“ [2]
Die Italienische Kommunistische Partei (PCI) entsprach nach 1945 bis zu ihrem Zerfall 1990 diesen Anforderungen.

Es war der wachsende Einfluss der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert überall in Europa herausbildenden linken Arbeiter- oder Volksparteien, der zur Demokratisierung führte. Von der revolutionären Welle 1918/19 profitierten vor allem Parteien, indem ihre Stellung in den neuen aus den Revolutionen hervorgegangenen Verfassungsordnungen institutionell verankert wurden.[3]

Der bedeutende Jurist Hans Kelsen, von dem die Entwürfe für die Verfassung der 1918 gegründeten Republik Österreich stammen, stellte den untrennbaren Zusammenhang von Parteien und Demokratie heraus: „Dass das isolierte Individuum politisch überhaupt keine reale Existenz hat, da es keinen wirklichen Einfluss auf die Staatswillensbildung gewinnen kann, dass also Demokratie ernstlich nur möglich ist, wenn sich die Individuen zum Zwecke der Beeinflussung des Gemeinschaftswillens unter dem Gesichtspunkt der verschiedenen politischen Ziele zu Gemeinschaften integrieren, so dass sich zwischen dem Individuum und den Staat jene Kollektivgebilde einschieben, die als politische Parteien die gleich gerichteten Willen der Einzelnen zusammenfassen: das ist offenkundig.“ Kelsen zog daraus den Schluss: „Die Demokratie ist notwendig und unvermeidlich ein Parteienstaat.“ [4]

Zur Situation der deutschen Linken

Es kommt daher auf die Partei an. Doch wie steht es um diese in Deutschland? Lange Zeit galt das unverrückbare Diktum, dass die SPD – ungeachtet ihrer konkreten Politik – der entscheidende Bezugspunkt linker Politik sei und bleiben müsse, da in ihr die bewussten Gewerkschaftsmitglieder organisiert sind, vor allem aber da die Hoffnungen Millionen Lohnabhängiger auf sie gerichtet sind.
Dies hob immer wieder aufs Neue der Sozialwissenschaftler Wolfgang Abendroth hervor, ungeachtet der Tatsache, dass er selbst aus der SPD ausgeschlossen worden war, weil er daran festgehalten hatte, den von der Partei verstoßenen Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) zu unterstützen.

An dieser zentralen Bedeutung der SPD sind heute jedoch Zweifel anzumelden. Seit langem finden sich unter ihren Funktionären kaum noch Gewerkschafter oder andere Vertreter der Subalternen. Sie werden inzwischen auch in der Mitgliedschaft rar.
Die Partei wird vielmehr beherrscht von Vertretern der intellektuellen Mittelschicht, für die die soziale Frage nicht im Mittelpunkt ihres Interesses steht. Immer mehr bemerken das auch viele der traditionellen Anhänger der Partei.
Die immer größer werdenden Verluste der SPD unter den Lohnabhängigen bei Wahlen sind Ausdruck dieser Entfremdung.

logo steht kopf

Nicht besser steht es um die Partei DIE LINKE. Lange Zeit konnte sie von einer treuen Anhängerschaft in der ehemaligen DDR profitieren.
Doch diese Zeiten sind jetzt zu Ende, und damit verliert sie zugleich ihre sozialistische Orientierung. Der Austritt von Christa Luft ist da ein Menetekel. Eine stabile Verankerung unter den Lohnabhängigen ist der Partei nie gelungen. Nur fünf Prozent der Arbeiter, die bei der Bundestagswahl vom September 2021 ihre Stimme abgaben stimmten für die Linke. Selbst FDP und Grüne lagen vor ihr! [5]
Die Parteiführung denkt aber nicht daran, daraus Konsequenzen zu ziehen. Im Gegenteil: Ganz offensichtlich soll DIE LINKE jetzt in eine radikalökologische Richtung gehen, um so von der Arbeit der Bundesregierung enttäuschte Wähler der Grünen für sich gewinnen zu können. [6]
Sollte dies eintreten, ist ihr weiterer Niedergang vorbestimmt.

Es spricht viel dafür, dass sich die politische Situation der Bundesrepublik an die anderer europäischer Länder – etwa Frankreichs – angleichen wird.
Linke Parteien spielen dort keine entscheidende Rolle mehr. Was das aber für die Zukunft der Demokratie bedeutet, ist mehr als ungewiss.

Anmerkungen:

[1] Domenico Losurdo, Demokratie oder Bonapartismus. Triumph und Niedergang des allgemeinen Wahlrechts, PapyRossa Verlag Köln, 2008, S. 189 f.

[2] Domenico Losurdo, Demokratie oder Bonapartismus, a.a.O., S. 190

[3] Auch das Grundgesetz hebt in Artikel 21 die besondere, privilegierte Rolle der Parteien hervor.

[4] Hans Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, Reclam-Verlag Ditzingen, 2018, S. 29 f. Die Schrift entstand bereits 1929. Sie hat aber nichts von ihrer Aktualität verloren.

[5] Statista, Wahlverhalten von Arbeiter:innen bei der Bundestagswahl am 26. September 2021, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1257093/umfrage/wahlverhalten-von-arbeiterinnen-bei-der-bundestagswahl/

[6] Vgl. dazu das taz-Interview der Parteivorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow „Entfremdung? Das trifft es“

*: Siehe auch https://josopon.wordpress.com/2017/02/22/spd-laeutet-traditionelles-linkes-halbjahr-vor-wichtigen-wahlen-ein/

Der Autor:

Andreas Wehr, 1954 in Berlin geboren. Stationen in Ausbildung und Beruf: Realschule, Aufbaugymnasium, Abitur, Studium der Rechtswissenschaften an der Freien Universität Berlin. Nach dem zweiten Staatsexamen tätig als Anwalt in einem Steuerberatungsbüro.
1989 bis 1990 Leiter des Büros der Senatorin für Bundes- und Europaangelegenheiten Heide Pfarr, dann Leiter des Büros des Regierenden Bürgermeisters Walter Momper.

Von 1991 bis November 1999 Angestellter in der Senatskanzlei u. a. als Leiter der Dienststelle Berlin des Europabeauftragten des Senats.
Von Dezember 1999 bis Ende 2014 wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke des Europäischen Parlaments in Brüssel.

Von 1971 bis 1998 Mitglied der SPD. Funktionen in der Partei: Von 1980 bis 1982 Landesvorsitzender der Berliner Jungsozialisten, 1992 bis 1994 und von 1995 bis 1998 Beisitzer im SPD-Landesvorstand. Von 1993 bis 1995 Mitglied in der Kommission für Außen- und Sicherheitspolitik und von 1996 bis 1998 Mitglied in der Schwerpunktkommission Europa des Parteivorstandes der SPD.
In den siebziger und achtziger Jahren an führender Stelle aktiv in der Berliner Friedensbewegung.
Mitglied der Partei Die Linke von 2000 bis 2019.

1994 Kandidat für die SPD im Wahlkreis Reinickendorf für den Deutschen Bundestag. 1999 parteiloser Kandidat auf der offenen Liste der PDS bei den Wahlen zum Europäischen Parlament. 2005 Kandidat der Linkspartei. PDS im Wahlkreis Reinickendorf für den Deutschen Bundestag.

Mitglied in der Gewerkschaft ver.di. Bis 1999 Mitherausgeber der „Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft – spw“. Präsidiumsmitglied in der Internationalen Gesellschaft Hegel-Marx für dialektisches Denken. Gründer – zusammen mit Marianna Schauzu – des Marx-Engels-Zentrums Berlin. www.mez-berlin.de

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.
Jochen

Italien in den 90ern, Operation Gladio: Faschisten und Christdemokraten, Mafia und CIA arbeiteten Hand in Hand

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Passend zu den neuen Erkenntnissen zum Münchner Oktoberfest-Attentat und der amtlichen Verschleierung des NSU durch das Verschwindenlassen von Beweismitteln, auffälligen Parallelen zwischen der „Freimaurerloge Propaganda 2“ und der Atlantik-Brücke sowie den neuerlichen Aktivitäten der US-Regierungsbehörden in der Ukraine:
http://www.jungewelt.de/2015/10-05/002.php
Auszüge:

Um jeden Preis fernhalten

Im Kampf gegen die Kommunisten wurden in Italien alle Register gezogen. Faschisten und Christdemokraten, Mafia und CIA arbeiteten Hand in Hand

Von Gerhard Feldbauer
andreotti

Der »wahre Chef« der Putschloge Propaganda due, unter Mithilfe der CIA ins Leben gerufen, einen »kalten Staatsstreich« auszuführen: Giulio Andreotti (1919–2013), Mitglied der Democrazia Cristiana und mehrfacher italienischer Ministerpräsident Foto: EPA/ALESSANDRO DI MEO

In einem Gespräch mit der römischen Zeitung La Repubblica im September bestätigte der Boss der sizilianischen Mafia »Cosa nostra«, Gioacchino La Barbera, die Beteiligung der Geheimdienste an Mafiamorden. Er gewährte einen Einblick in das seit den 70er Jahren unter Führung der CIA und ihrer geheimen NATO-Truppe Gladio zusammen mit italienischen Geheimdiensten, der Mafia, Exponenten des Vatikans und hohen Politikern geschaffene Geflecht, in dessen Mitte die faschistische Putschloge »Propaganda due« (P2) agierte.
Deren zentrale Figur war der siebenmalige Ministerpräsident Giulio Andreotti. Barbera hatte am 23. Mai 1992 auf der Autobahn A29 kurz vor der Ausfahrt Capaci in der Nähe Palermos eine 500-Kilo-Bombe gezündet, die den sizilianischen Staatsanwalt Giovanni Falcone mit seiner Frau und drei Leibwächtern tötete. Der Mafiaermittler wurde umgebracht, weil er mit seinen Recherchen die kriminellen Verstrickungen Andreottis aufzudecken drohte. La Barbera hatte im Prozess mit der Justiz auf der Grundlage der Kronzeugenregelung zusammengearbeitet, war zu 14 Jahren Haft verurteilt worden und lebt heute nach seiner Begnadigung unter einem neuen Namen und Polizeischutz.
Was er darlegte, war den Ermittlungsbehörden schon seit langem bekannt. Nur gingen viele Staatsanwälte und Untersuchungsrichter aus Angst, das Schicksal Falcones zu erleiden, nicht gegen die Geheimdienste und höchste Regierungsvertreter vor. Zu den Ausnahmen gehörte der Staatsanwalt von Palermo, Giancarlo Caselli, der im März 1993, gestützt auf die Ermittlungen Falcones, Andreotti wegen Mitgliedschaft in der Mafia anklagte.
Jetzt hat das Geflecht seinen Schutzpatron verloren: Silvio Berlusconi, Mitglied des Dreierdirektoriums der P2, die sein Medienimperium finanzierte und ihn 1994 das erste Mal ins Amt des Regierungschefs hievte, wo er, wie die linke Tageszeitung Il Manifesto am 15. Mai jenes Jahres schrieb, eine »schwarze Regierung« aus »Faschisten und Monarchisten, Lega-Leuten und christdemokratischem Schrott, Industriellen, Anwälten und Managern der Fininvest«¹ bildete. Zwischen 1994 und 2011 mit Unterbrechungen Premier von drei faschistoiden Regierungen, setzte Berlusconi die Komplizenschaft mit der Mafia fort, führte einen fanatischen Feldzug nicht nur gegen Kommunisten, sondern gegen Linke generell und verhinderte mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln Ermittlungen gegen die Verbrecherorganisation. Seit er 2011 zu Fall gebracht wurde, gibt es Fortschritte bei der Verfolgung der Mafia, wurden deren Verflechtungen mit hohen Kreisen der Politik, der Wirtschaft und den Faschisten gerichtsnotorisch bekannt (siehe jW-Thema vom 1. August 2015).

Gladios Geburtshelfer

Gut eineinhalb Jahre vor dem Anschlag auf Falcone, am 24. Oktober 1990, war die Existenz der geheimen Stay-behind-Truppe der NATO, die in Italien Gladio hieß, aufgedeckt worden. Damit flossen in die Ermittlungen Falcones neue Erkenntnisse ein.
Denn Gladio war 1964 unter der Ägide Andreottis, der damals als Verteidigungsminister amtierte, gebildet worden, um die von dem Führer des linken Flügels der Democrazia Christiana (DC), Aldo Moro, im Dezember 1963 mit den Sozialisten gebildete Regierung der Linken Mitte (Centro Sinistra) mit einem Colpo di stato (Staatsstreich) zu stürzen. Der italienische Drehbuchautor und Essayist Roberto Faenza schilderte in seinem 1978 erschienenen Buch »Il Malaffare« (Miese Geschäfte), wie der US-Botschafter in Rom, Frederick Reinhard, mit dem Militärattaché Oberst Vernon Walters das Vorgehen gegen Moro beriet. Während Walters dafür war, dass »die Vereinigten Staaten, ohne zu zögern, das Land militärisch besetzen müssten«, wollte Washington das Problem zunächst mit einem Putsch aus der Welt schaffen. Den Colpo sollte der Chef des Armeegeheimdienstes SIFAR, der neofaschistische Offizier Giovanni De Lorenzo, bewerkstelligen, der dazu das Kommando über das Carabinieri-Korps übernahm.
Zusätzlich wurde »für den Putsch eine Söldnertruppe aufgestellt«, für die der Chief of Station der CIA in Rom, Thomas Karamessines, aus seinem Archiv eine Liste von etwa 2.000 Angehörigen der Mussolini-Armee einschließlich der Brigate Nere, der italienischen SS, zur Verfügung stellte. Zwar wurde der Staatsstreich aufgedeckt und scheiterte, aber die Söldnertruppe blieb bestehen. Aus ihr ging, wie die Geheimdienstexperten Giovanni Bellu und Giuseppe D’Avanzo in ihrem 1991 veröffentlichten Buch »I Giorni di Gladio« (Die Tage von Gladio) schrieben, die 12.000 Mann starke geheime Gladio-Division hervor.

Angeblich geschaffen, um im Falle einer sowjetischen Invasion »stay behind«, also hinter den feindlichen Linien zu operieren, wurde Gladio jedoch, wie der langjährige Kommandeur General Gerardo Serravalle vor einer Parlamentskommission, die sich mit dem verfassungswidrigen Treiben seiner Geheimarmee befassen musste, aussagte, hauptsächlich zu »verdeckten Operationen« eingesetzt, die das Ziel hatten, »die italienischen Kommunisten um jeden Preis von der Regierung fernzuhalten«. Mit der Gladio-Division entfesselte die CIA die sogenannte Spannungsstrategie, die Mord- und Terroranschläge beinhaltete, durch die bis Anfang der 80er Jahre 350 Menschen ums Leben kamen und Tausende verletzt wurden. Organisiert von Spezialisten der CIA, führten Gladio-Einheiten einen Großteil der Attentate aus.

Geheimer Chef der P2

Auf Weisung Haigs waren 400 hohe Militärs für die P2 angeworben worden, darunter 43 Generäle, die gesamte Führungsspitze der Geheimdienste, und der komplette Generalstab des Heeres. In den 1981 gefundenen, nicht vollständigen Mitgliederlisten standen weiter 47 Großindustrielle, 119 Bankiers und Leute der Hochfinanz, drei Minister der amtierenden Regierung, drei Staatssekretäre, 18 hohe Justizvertreter, 22 Spitzenjournalisten, darunter Chefredakteure der staatlichen Rundfunkgesellschaft RAI und des Corriere della Sera, 38 Parlamentarier aus den Regierungsparteien sowie weitere aus der faschistischen Partei MSI. *)

Parallel zu Gladio schuf die CIA mit der geheimen Freimaurerloge P2 eine Organisationstruktur für jene Kreise, deren Ziel es war, die Kommunisten von der Macht fernzuhalten und überhaupt eine Abkehr Italiens vom NATO-Kurs der Blockkonfrontation, für die Aldo Moro stand, durch Errichtung eines Regimes faschistischen Typs dauerhaft zu verhindern.

Kurz nach der Aufdeckung von Gladio enthüllte der Mailänder Espresso am 25. November 1990, dass der Chef für verdeckte Operationen der CIA in Italien, Theodore Shackley, 1969 das P-2-Projekt mit dem späteren NATO-Oberbefehlshaber General Alexander Haig und Henry Kissinger, zu jener Zeit Nationaler Sicherheitsberater der USA, besprochen hatte. Zum Großmeister der Loge wurde der Altfaschist Licio Gelli erkoren. Nachdem die P2 im März 1981 aufgedeckt worden war, berichteten Zeitungen wie der Europeo am 15. Oktober 1983, »der wahre Chef der Propaganda due« sei Ministerpräsident Giulio Andreotti. Auch Nara Lazzarini, die Sekretärin und Geliebte Gellis, sagte vor der P-2-Kommission des Parlaments aus, dass der »der eigentliche Chef Andreotti war«. Die Geheimdienstgeneräle Federigo Mannucci und Luigi Bittoni gaben ebenfalls an, Andreotti sei »Gellis Chef in der Loge« gewesen.

Neben dem bereits erwähnten Berlusconi gehörte der Chef der Sozialistischen Partei, Bettino Craxi, dem von Gelli geführten Dreierdirektorium an. Von der Mafia war eine große Zahl ihrer Chefs eingetreten, darunter die ganze Führungsspitze der Cosa Nostra mit dem berüchtigten Salvatore »Totò« Riina an der Spitze. Die Interessen des Vatikans nahm der Präsident der Ambrosiano-Bank, Roberto Calvi, wahr, der als »Bankier Gottes«, wie er genannt wurde, Finanzmanager des Vatikans und auch noch Verbindungsmann zur sizilianisch-amerikanischen Mafia war.
Als die Bank nach der Aufdeckung der P2 bankrott ging, musste der Kirchenstaat 250 Millionen Dollar Entschädigung zahlen und Johannes Paul II., um weitere Ermittlungen gegen seine Bank zu verhindern, sich persönlich verantwortlich erklären.
Calvi, der vor den Ermittlungen nach London floh, wurde dort von der Mafia umgebracht und am 18. Juni 1982 unter der Black Friars Bridge erhängt aufgefunden. Er hatte gedroht, »klingende Namen« zu nennen, wenn die Ermittlungen gegen ihn nicht eingestellt würden. Das richtete sich vor allem gegen Johannes Paul II., der auch geheime Zahlungen an den Führer der polnischen Untergrundgewerkschaft Solidarnosc, Lech Walesa, in Höhe von rund einer Milliarde Dollar geleistet hatte, die über Calvi gelaufen waren.
Größere Summen davon hatte der polnische Papst bei Reisen nach Warschau auch in seinem Diplomatengepäck direkt befördert.

Das Mordkomplott gegen Moro

Moro-MordAls Verfechter des »historischen Kompromisses« mit der Kommunistischen Partei Opfer eines von der P2 inszenierten Mordkomplotts: Aldo Moro (1916–1978), »Parteifreund« Andreottis (Leichnam, gefunden am 5. Mai 1978 in einem Pkw in Rom) Foto: picture-alliance / dpa

Im Januar 1978 schloss Aldo Moro mit dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei (PCI), Enrico Berlinguer, ein Regierungsabkommen, nachdem die Kommunisten eine DC-geführte Regierung zunächst im Parlament unterstützt hatten. Als die Regierung des Compromesso storico (Historischer Kompromiss), wie sie bezeichnet wurde, am 16. März 1978 ins Amt eingeführt wurde, wurde das von der CIA und der P2 geplante Mordkomplott gegen Moro in die Tat umgesetzt. Der DC-Führer wurde entführt und 55 Tage später umgebracht.
Als Werkzeug benutzten die Rädelsführer die Brigate Rosse (Rote Brigaden, BR), die seit ihrer Gründung 1970 von Geheimdienstagenten infiltriert waren.²

In Washington war Moro von seinen Gegnern als »Allende Italiens« und »schlimmer als Castro« verketzert worden. Der Enthüllungsjournalist und Herausgeber des Bulletins Osservatore Politico, Mino Pecorelli, schrieb am 13. September 1975, ein hoher Beamter habe Moro in Anspielung auf die Witwe des ermordeten John F. Kennedy gedroht, dass es im Fall der Fortführung seiner Politik »eine Jacqueline in Italien geben werde«.
Pecorelli wurde, nachdem er angekündigt hatte, die Rolle Andreottis im Mordkomplott gegen Moro aufzudecken, am 20. März 1979 vor seiner Redaktion in der Via Tacito in Rom von einem Mafiakiller erschossen.

Das von der CIA geleitete Center of Strategic and International Studies, dem Ronald Reagan, Haig, Kissinger und William Colby (langjähriger CIA-Chef in Rom, später Direktor des Geheimdienstes, Mitorganisator des Putsches gegen Salvador Allende) angehörten, hatte schon nach dem enormen Wahlerfolg des PCI 1976 (34 Prozent der Stimmen) beschlossen, »entschieden in Italien einzugreifen«, um zu verhindern, dass das Land über eine Regierung mit den Kommunisten den Weg »der Neutralität zwischen den Blöcken einschlage«.

Premier der Regierung, der auch der PCI das Vertrauen aussprach, wurde Andreotti. Moro und Berlinguer hatten dieser Forderung der DC-Rechten nachgegeben, weil sie damit die Amerikaner beruhigen wollten. Der Senator Sergio Flamigni (PCI, später Linkspartei), Mitglied der zur Untersuchung des Mordes an Moro eingesetzten Parlamentskommission, hat in insgesamt fünf Büchern detailliert nachgewiesen, wie Andreotti als geheimer Chef der P2 und Komplize der Mafia Moro der Exekution durch die geheimdienstlich gesteuerten Roten Brigaden auslieferte und das Regierungsbündnis mit den Kommunisten zu Fall brachte.³

Gedeckt durch den Premier, verhinderte die P2 über ihre 57 Mitglieder in den Schlüsselpositionen des Sicherheitsapparates, dass das »Gefängnis« der BR aufgespürt wurde. Der Geheimdienstoberst Camillo Guglielmi kontrollierte am Tatort in der Via Fani die Entführung. Er leitete auf dem NATO-Stützpunkt Cap Marragiu auf Sardinien die Ausbildung verdeckter Agenten in den BR.
Gladio-General Serravalle bestätigte später, der Schütze, der die Leibwächter Moros liquidierte, sei ein hochqualifizierter Militärspezialist gewesen. Die Geheimdienstler unterschlugen Hinweise auf an der Entführung beteiligte Brigadisten, Fotos von der Entführung, die der Besitzer einer Kfz-Werkstatt geistesgegenwärtig gemacht hatte, auf denen alle Beteiligten unmaskiert zu sehen waren, Informationen über einen BR-Stützpunkt in einer Wohnung in der Via Gradoli, die der Geheimdienst angemietet hatte und in der sich tatsächlich BR-Chef Mario Moretti aufhielt.
39 am Tatort aufgefundene Patronenhülsen, bei denen es sich um NATO-Spezialmunition für Gladio-Einheiten handelte, verschwanden spurlos. Verschwiegen wurde, dass in den Hosenaufschlägen des ermordeten Moro Sand gefunden wurde, der von den Tolfa-Hügeln nördlich von Rom stammte, wo sich ein Gladio-Stützpunkt befand.
Den Behauptungen, dass der Aufenthaltsort Moros nicht gefunden werden konnte, trat der damalige Vizesekretär der DC, Giovanni Galloni, mit folgender in der Liberazione vom 23. Oktober 2007 veröffentlichten Erklärung entgegen: »Die Vereinigten Staaten wussten, wo Aldo Moro gefangengehalten wurde. Und Francesco Cossiga (Innenminister) wusste darüber viel mehr, als er in diesen Jahren aussagte.«

Beseitigung der Mitwisser

Nach Moros Tod fielen bis in die 90er Jahre hinein immer wieder Politiker und Ermittler Mafiamorden zum Opfer, die Andreotti zu nahe kamen. Darunter befand sich im April 1982 der PCI-Abgeordnete Pio La Torre, der als Mitglied der Antimafiakommission des Parlaments die Komplizenschaft von Mafia und DC untersuchte und dabei auf Andreotti stieß. Er hatte ein Antimafiagesetz ausgearbeitet, das erstmals die Mitgliedschaft in der Verbrecherorganisation als Straftatbestand definierte, für geständige Mafiosi die Kronzeugenregelung (Strafminderung) einführte und Banken zur Auskunft bei Mafiaermittlungen verpflichtete.
Zu einem gefährlichen Mitwisser Andreottis im Komplott gegen Moro wurde der Carabinieri-General Carlo Alberto dalla Chiesa. Als Leiter der Terrorismusbekämpfung fand er im Oktober 1978 in einem BR-Stützpunkt in Mailand Aufzeichnungen Moros, die dieser im »Volksgefängnis« der BR verfasst hatte. Das Innenminister Francesco Cossiga übergebene Material enthielt ebenfalls Hinweise auf Andreottis Rolle und verschwand spurlos. Im April 1982 ging dalla Chiesa als Antimafia-Präfekt nach Palermo. Er habe Andreotti, wie sein Sohn Nando dalla Chiesa später aus seinem privaten Tagebuch publik machte, angekündigt, dass er »keine Rücksicht auf die DC nehmen« werde.⁴
Die Zeitschrift Avvenimenti zitierte daraus in ihrer Nummer 47/1992, Andreotti habe den General drohend daran erinnert, dass die Mafia diejenigen, die »nicht schweigen«, umbringe. So geschah es dann. Am 3. September 1982 wurde dalla Chiesa von vier Mafiakillern in Palermo auf offener Straße zusammen mit seiner zweiten Frau, die er gerade geheiratet hatte, und seinem Leibwächter von einem Kugelhagel förmlich durchsiebt.

Im März 1993 begannen gegen Andreotti gleich zwei Verfahren, in denen seine Beteiligung am Mordkomplott gegen Moro gerichtsnotorisch zur Sprache kam:
In Palermo wurde er wegen Komplizenschaft mit der Mafia angeklagt, in einem zweiten Prozess in Perugia der Anstiftung zum Mord an Pecorelli bezichtigt, dem Herausgeber des Osservatore Politico. Andreotti habe, hieß es in der Anklageschrift in Palermo, »einen Beitrag zum Schutz der Interessen und zum Erreichen der Ziele der Organisation geleistet«, insbesondere »hinsichtlich gerichtlicher Strafverfahren gegen Exponenten der Organisation«. Es kam ans Licht, dass der Richter Corrado Carnevale vor dem Kassationsgericht für Andreotti in Hunderten Prozessen die Urteile gegen Faschisten und Mafiosi annulliert hatte, was ihm den Beinamen »Urteilskiller« einbrachte. In den Ermittlungen gegen Licio Gelli und die P2 hatte er eine Anklage wegen umstürzlerischer Tätigkeit, Putschvorbereitung und Mitgliedschaft in einer bewaffneten kriminellen Vereinigung verhindert. Ein Mafiaboss sagte aus, dass die Kontakte zu Andreotti »über die Geheimloge liefen«.
Andreotti wurde zu einer Haftstrafe von 24 Jahren verurteilt, erhielt aber in der Revision aus »Mangel an Beweisen« einen Freispruch »zweiter Klasse«. Mit dem gleichen Ergebnis endete die Anklage wegen Anstiftung zum Mord an Pecorelli.
Einen gewissen Erfolg stellten die Prozesse dennoch dar. Der jahrzehntelang mächtigste Politiker Italien saß neun Jahre auf der Anklagebank, und die Verbrechen, deretwegen er angeklagt wurde, kamen öffentlich zur Sprache. Andreotti erhielt nie wieder ein Staatsamt. Nach der Aufdeckung seiner Rolle in Gladio wurde er nach den Parlamentswahlen im April 1992 nicht wieder zum Ministerpräsidenten berufen. Die angestrebte Wahl zum Staatspräsidenten, mit der er sein Lebenswerk krönen wollte, scheiterte.

Anmerkungen

1 Holding, in der Berlusconi, der reichste Kapitalist Italiens, seine über 300 Unternehmen zusammengefasst hat.

2 Siehe das Buch des Autors: Agenten, Terror, Staatskomplott. Der Mord an Aldo Moro, Rote Brigaden und CIA, Köln 2000.

3 Das sind: L’affare Moro. Cronaca dei 55 giorni che sconvolsero l’Italia (Die Affäre Moro. 55 Tage, die Italien erschütterten), Rom 1993; Trame atlantiche. Storia della Loggia massonica segreta P2 (Atlantische Intrigen. Geschichte der geheimen Freimaurerloge P2), Mailand 1996; »Il mio sangue ricadrà su di loro«. Gli scritti di Aldo Moro prigioniero delle Br (»Mein Blut komme über euch«. Die Aufzeichnungen Aldo Moros als Gefangener der Roten Brigaden), Mailand 1997; Convergenze parallele. Le Brigate rosse, i servizi segreti e il delitto Moro (Gleichlaufende Spuren. Die Roten Brigaden, die Geheimdienste und das Moro-Verbrechen), Mailand 1998; Il covo di Stato. Via Gradoli 96 e il delitto Moro (In der Höhle des Staates. Via Gradoli 96 und das Moro-Verbrechen), Mailand 1999.

4 Der Sohn verfasste darüber das Buch: Delitto Imperfetto. Il Generale, la Mafia, la Società italiana (Unvollendetes Verbrechen. Der General, die Mafia und die italienische Gesellschaft), Mailand 1984.

Gerhard Feldbauer, früherer Italien-Korrespondent des Neuen Deutschland, schrieb auf diesen Seiten zuletzt am 26.8.2015 über den Zustand der italienischen Linken.

*) Bei der Betrachtung der Mitgliederliste der „P2“ sind Parallelen zu der der Atlantik-Brücke auffällig. Nur dass wir da nicht von so vielen Mafiosi wissen.