Politik und Medien geschockt: Sozialdemokraten an die Spitze der SPD gewählt

Der PostillonDer Artikel https://www.der-postillon.com/2019/12/walter-borjans-esken.html
trifft es so gut auf den Punkt, dass ich ihn hier auszugsweise wiedergebe.

Berlin (dpo) – Ja, sind denn die Genossen jetzt völlig bescheuert geworden? Politiker nahezu aller Parteien sowie Kommentatoren zahlreicher Medien haben am Wochenende geschockt und verstört auf die Nachricht reagiert, dass die SPD zwei Sozialdemokraten an die Spitze der Partei gewählt hat.

„Sozialdemokraten an der Spitze der SPD? Sowas gab’s seit 20 Jahren nicht mehr! Das ist ja der komplette Wahnsinn!“, schreibt etwa ein Korrespondent auf zeitbildtagesspiegelschauwelt.de und ergänzt:
„Das wird der Untergang dieser stolzen Partei sein, die damals bei 40 Prozent stand und nach zwei Jahrzehnten Agenda-Politik und Neoliberalismus noch von 13 Prozent der Bevölkerung gewählt würde.“
Dass unter den SPD-Mitgliedern, die online über die Parteiführung abstimmten, offenbar sozialdemokratische Ideen die Runde machen, wurde mit großer Besorgnis aufgenommen.
„Der Verfassungsschutz sollte die sofort prüfen!“, fordern bereits erste Anhänger von Union und FDP. „Wobei… Sind sozialdemokratische Umtriebe überhaupt verfassungsfeindlich? Egal!“
Ähnlich schockiert zeigte sich Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (Gazprom), der parteiinterne Basisbefragungen offenbar nicht für lupenrein demokratisch hält, wenn sie nicht das gewünschte Ergebnis bringen:
„Ich habe das Verfahren für unglücklich gehalten und das Ergebnis bestätigt meine Skepsis.“
Experten befürchten, dass der Linksschwenk der SPD langfristig zu einem Abstieg wie dem der portugiesischen (Wahlergebnis: 36,34%) und spanischen (Wahlergebnis: 28%) Sozialdemokraten führen könnte, die derzeit beide mit linken Parteien koalieren.
Auch ein grauenhaftes Schicksal wie das der britischen Labour-Partei, die bei der letzten Wahl 40% erreichten (aktuelle Umfragen: 33%), sei nicht auszuschließen.
Die einzige Chance, ein derartiges Desaster abzuwenden, bestehe nun darin, dass die alte Garde um Olaf Scholz und Seeheimer Kreis den beiden Sozialdemokraten das Leben so schwer wie möglich macht.
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Dazu empfiehlt sich die Analyse der gleichgeschalteten Leim-Medien von Elmar Wigand im Neuen Deutschland zu lesen:
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1129573.esken-und-walter-borjans-ein-umhertaumelnder-zombie.html

Ein umhertaumelnder Zombie

Die Mitgliederabstimmung haucht der SPD trotz Gegenfeuers neues Leben ein, meint Elmar Wigand.

Die SPD lebt. Zumindest teilweise. Noch. Das ist der überraschende Befund der Mitgliederabstimmung zum Parteivorstand.
Aber was ist mit dem DGB und der »Qualitätspresse« los?

Wir waren uns sicher, dass Olaf Scholz die Abstimmung gewinnt. In meinem Bekanntenkreis fand sich niemand, der einen Kasten Bier auf Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans (kurz: Eskwabo) setzen wollte.
Galt doch die SPD bei uns als eine Art sado-masochistischer Zombie, der sich lustvoll quälen, verletzen und amputieren lässt.
Der keine Angst vor dem Untergang hat, weil er sowieso schon tot ist. Der auf der Suche nach Gehirn ziellos durch die Stadt taumelt. Der jeden bei jedem Schritt nach vorn zwei Schritte zur Seite wankt.

Mindestlohn? Ja, aber so erbärmlich niedrig, dass es nicht für eine Rente reicht. Und ohne Behörden, die in der Lage sind, Verstöße effizient zu ermitteln und zu bestrafen.
Equal-pay für Leiharbeiter? Ja, aber erst nach neun Monaten. Und mit Ausnahme von 24 000 DRK-Schwestern.
Grundrente? Ja, aber nur für Leute, die 35 Jahre durchgearbeitet haben – niemand aus meinem Stammtisch in Köln-Ehrenfeld wird das erreichen.
Grundrente:
Ja, aber nur erbärmliche 80 Euro mehr als die Grundsicherung, auf die wir sowieso zusteuern.

Solidarität mit Lohnabhängigen? Nur mit Arbeitsspartanern, die »ihr ganzes Leben hart gearbeitet haben«.
Verbot von sachgrundlosen Befristungen und Kettenbefristungen? Verbot der Werkvertragsarbeit? Leider nein. In der GroKo nicht durchgesetzt.
Entschuldigung für die Hartz-Gesetze, die neoliberale Zurichtung und die Öffnung des Landes für aggressive Finanzinvestoren? Im Leben nicht.

Wir dachten, die SPD wanke zielstrebig auf den Abgrund zu und darüber hinaus.
Und wir haben ehrlich gesagt Gefallen am dem Schauspiel gefunden – auch wenn es für den Kampf gegen AfD und Pegida ein Desaster bedeutet.
Irgendwie gefielen uns das hilflose Gestotter, die aschfahlen gequälten Gesichter nach weiteren Wahlschlappen.
Wir dachten, Eskwabo hätte so viele Chancen wie Bernie Sanders gegen Hillary Clinton
.

Und jetzt plötzlich das! Die eine Erkenntnis ist: Die SPD ist möglicherweise doch kein Zombie.
Vielleicht ist die alte Tante SPD eher eine Wachkomapatientin, die plötzlich wieder aufwacht, sich die Kanülen aus dem Arm reißt, um im Flur herumzuwandeln.
Leider ist sie aber halbseitig gelähmt: Nur 50 Prozent der Mitglieder nahmen an der aufwendig vorbereiteten Abstimmung teil.
Und sogleich stürzen sich die Pfleger auf sie, um sie mit Spritzen ruhig zu stellen und ans Bett zu fesseln. Sie hat eigentlich keine Chance.

Jetzt kommt raus: Andere Patienten sind offenbar noch toter als die SPD. Erstens: der DGB-Bundesvorstand unter Reiner Hoffmann und der NRW-DGB unter Anja Weber. Reflexartig verabschiedeten beide – Seite an Seite mit dem Arbeitgeberverband – flehende Aufforderungen, die GroKo bitte unbedingt fortzusetzen.
Zweitens: die transatlantisch orientierte Mainstreampresse. Sie befindet sich in einem ähnlichen Zersetzungsprozess wie SPD und DGB. Messbar an sinkenden Auflagen und Werbeeinnahmen, zusammengelegten Redaktionen sowie zunehmend austauschbaren Veröffentlichungen.
Eine Kursänderung ist nicht in Sicht: Das transatlantische Politmilieu reagiert auf die bloße Andeutung einer Abweichung vom Kurs bereits mit Hysterie. Es verlangt Gehorsam und Selbstverleugnung – notfalls bis zum Untergang.

Was haben diese Leute eigentlich gegen Eskwabo? Walter-Borjans trug entscheidend dazu bei, viele kriminelle Reiche zu Selbstanzeigen und Uli Hoeneß in den Knast zu bringen, indem er als NRW-Finanzminister CDs mit Steuersündern aus der Schweiz ankaufen ließ. Damit verstieß er bewusst gegen die BRD-Doktrin »Der Staat verhandelt nicht mit Kriminellen« – in diesem Fall mit profitorientierten Whistleblowern.
Das ist unverzeihlich, das vergessen sie nicht.

Dabei sollten alle mal einen Gang runter schalten. Früher war es immer so, dass die SPD als Partei linke Positionen vor sich her getragen hat. Die SPD-Fraktionen in den Parlamenten haben sich bloß nicht darum gekümmert.
Unter Willy Brandt als SPD-Vorsitzendem wurde Friedenspolitik beschlossen. Helmut Schmidt hat als SPD-Bundeskanzler den NATO-Doppelbeschluss durchgepaukt.
Erst unter Gerhard Schröder wurden die Ämter des Kanzlers und Parteivorsitzenden zusammengelegt. Vermutlich kehrt die SPD jetzt wieder zu dem altbekannten Spiel zurück.

Jochen

100 Jahre »Sozialpartnerschaft« – 30 Jahre Reallohnverzicht – Konsens statt Klassenkampf

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

100jahre sozialpartnerschaftZu dem üblen Agieren gewählter Gewerkschaftsfunktionäre, auch „Arbeiteraristokraten“ genannt, und zur Geschichtsklitterung des Bundespräsidenten hier auszügeweise 2 Artikel:
A: https://www.jungewelt.de/artikel/341748.100-jahre-arbeitsgemeinschaft-konsens-statt-klassenkampf.html

DGB und BDA gratulieren sich zu 100 Jahren »Sozialpartnerschaft«.
Bundespräsident feiert antisozialistischen Pakt als »historisches Ereignis«

Von Nico Popp

Geschichte, soll Napoleon mal gesagt haben, sei einfach die Lüge, auf die sich die Historiker geeinigt haben.
In der Bundesrepublik wird beim Basteln einer nützlichen historischen Erzählung ziemlich viel gelogen; und wenn die Sache wirklich wichtig ist, sogar vom Staatsoberhaupt höchstpersönlich.

Am Dienstag feierten der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) im Hof des Deutschen Historischen Museums »100 Jahre Sozialpartnerschaft«.
Die soll, so wurde hier erzählt, am 15. November 1918 mit dem Arbeitsgemeinschaftsabkommen zwischen freien und christlichen Gewerkschaften auf der einen und den großen Unternehmerverbänden auf der anderen Seite »begonnen« haben – für Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein »wahrhaft historisches Ereignis«, von dem, wie er bedauernd hinzufügte, »nicht mehr viele« in Deutschland wüssten.
Leider, denn damals sei eigentlich die Weiche in Richtung »Wohlstand«, »Demokratie« und »soziale Marktwirtschaft« gestellt worden. Man solle sich doch nur einmal Länder anschauen, in denen diese »Sozialpartnerschaft« nicht so »ausgeprägt« sei – »wilde Arbeitskämpfe« und »politische Streiks«.

Steinmeier erwähnte selbstverständlich nicht, was dieses Abkommen eigentlich ausmachte:
In den ersten Tagen der deutschen Revolution von 1918/19, als der alte Staatsapparat gelähmt war, suchten die Industriellen nach handlungsfähigen Verbündeten gegen die radikale Arbeiterbewegung.
Sie fanden sie in den Gewerkschaftsführern, die in vier Jahren Krieg viel Erfahrung bei der Bekämpfung der Antikriegsopposition gesammelt hatten.
Diese Funktionäre wurden nun schnell und nicht ohne Geschick als »Vertreter« der Belegschaften »anerkannt«; den Achtstundentag gab es dazu, denn der war immer noch besser als der Sozialismus.
Das war nach dem August 1914 die nächste strategische Parteinahme der Gewerkschaftsbürokratie für Kapital und Klassenstaat.

Steinmeier nannte diesen Vorgang »unglaublich mutig«. Jemand muss ihm erzählt haben, dass sich die Revolution insbesondere gegen die Gewerkschaften gerichtet hat: In der »von einem sozialistischen Rätestaat gesteuerten Industrie« brauche man nämlich »keine freien Gewerkschaften«.
Den versammelten Spitzenfunktionären der Einzelgewerkschaften und der Unternehmerverbände rief er zu: »Was Sie leisten, ist wichtig für unser Land.«

Danach diskutierten DGB-Chef Reiner Hoffmann und BDA-Präsident Ingo Kramer ganz arbeitsgemeinschaftlich miteinander. Man weiß nun, dass Kramer und Hoffmann ab und an telefonieren: »Wir beide haben unsere Handynummern.« Kramer beschwerte sich über den Mindestlohn; den habe der Staat gemacht, und das sei ein Schlag gegen die Autonomie der Tarifparteien.
Nach dem Geplauder meldete sich Verdi-Chef Frank Bsirske zu Wort und sorgte mit der Forderung, angesichts der »dramatischen Tarifflucht vieler Unternehmen« die Tarifbindung »deutlich zu stärken« – etwa bei der öffentlichen Auftragsvergabe –, für Unruhe bei Kramer, der sich sicherheitshalber wiederholte: »Wer nach dem Staat ruft, stärkt nicht die Tarifautonomie.«

Die deutsche Kapitalistenklasse muss nicht nach dem Staat rufen, um mit den Gewerkschaften fertig zu werden.
Es hat sich – das dürfte vielen Gewerkschaftsfunktionären schon lange klar sein – nicht wirklich gelohnt, der Eigentumsordnung 1918/19 das Leben zu retten. Sie würden es beim nächsten Mal aber sicher wieder tun.

Erinnerung meinerseits: Herr Steinmeier war einer der führenden Köpfe bei den Hartz-Reformen, die damals auch von Funktionären der Gewerkschaften, Kirchen und des VdK durchgewunken wurden und es den Arbeitgebern erlaubten, im eigenen Betrieb Leiharbeiter als Billiglohnkonkurrenten einzuführen. Siehe hier:
https://www.jungewelt.de/artikel/332391.agenda-2010-architekt-als-partner.html

B: https://www.neues-deutschland.de/artikel/1103865.sozialpartnerschaft-der-widerspenstigen-zaehmung.html

Der Widerspenstigen Zähmung

Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände erneuern ihre Sozialpartnerschaft – warum eigentlich?

Es ist eine auf den ersten Blick innovative Forderung, die ver.di-Chef Frank Bsirske aufstellt. Er spricht sich für einen neuen Steuerfreibetrag für Gewerkschaftsmitglieder in tarifgebundenen Unternehmen aus. Konkret würde das einem Betrag von 1300 bis 1700 Euro im Jahr entsprechen. Die Forderung ist Konsens im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB).
Bsirske erläuterte den Vorschlag im Rahmen eines besonderen Jubiläums. Dieser Tage begehen Gewerkschaften und Arbeitgeber 100 Jahre Sozialpartnerschaft, die mit dem Stinnes-Legien-Abkommen ihren Anfang nahm.
Der Name geht auf die federführenden Unterzeichner, den Ruhrpott-Industriellen Hugo Stinnes und den Vorsitzenden der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands, Carl Legien, zurück, die das Abkommen am 15. November 1918 besiegelten.

Kernpunkte waren der Acht-Stunden-Tag, die Einrichtung von Arbeiterausschüssen (Vorläufer der Betriebsräte) und die Vereinbarung, dass die Arbeitsbedingungen in Kollektivvereinbarungen festgelegt werden. Das regelt heute das seit 1949 geltende Tarifvertragsgesetz. Vor allem sicherte es die Freiheit, sich gewerkschaftlich zusammenzuschließen und zu streiken. Diese Koalitionsfreiheit ist heute ein wichtiges Grundrecht.
100 Jahre später beim Festakt in Berlin: Lob und warme Worte. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nennt die Sozialpartnerschaft in dieser Woche einen Stabilitätsanker, mit dem Deutschland gut durch die Wirtschaftskrise gekommen sei. DGB-Chef Reiner Hoffmann mahnt: »Unternehmerischer Erfolg ist undenkbar ohne Beschäftigte, die sich täglich für dieses Ziel einsetzen. Dafür verdienen sie fairen Lohn, gute Arbeitsbedingungen und Respekt.«
Diese »sozialpolitische Erfolgsgeschichte« müsse fortgeschrieben und die Tarifbindung deutlich erhöht werden.
Und Ingo Kramer, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) postuliert: »Die Unabhängigkeit von staatlichem Einfluss und das verantwortungsvolle Zusammenwirken müssen ein starkes Fundament für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands bleiben.«

100 Jahre Erfolgsgeschichte also? Mitnichten, hiesige Arbeitsgerichte haben immer noch mit Kündigungen von Streikenden zu tun; die Tarifbindung sinkt seit Jahren; Unternehmen wie Ryanair, Amazon oder Zalando wehren sich mit Händen und Füßen gegen den Tarifvertrag. Das sieht in vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen nicht besser aus.
Und die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten meldete jüngst, dass die öffentliche Hand im vergangenen Jahr Niedriglöhne mit 4,2 Milliarden Euro aufstocken musste – letztlich eine staatliche Lohnsubventionierung.
Ingo Kramer warb in der »FAZ« vorige Woche für eine Neuausrichtung der Tarifpolitik. Es sollten verstärkt »modular aufgebaute Tarifverträge« vereinbart werden: Unternehmer sollten nehmen, was sie für ihren Betrieb als passend erachten; beispielsweise den Entgelttarifvertrag – ohne an den Manteltarifvertrag gebunden zu sein, der die Arbeitsbedingungen regelt. Das könne auch ein Weg gegen den Mitgliederschwund der Verbände sein.
Der Flächentarifvertrag ist den Verbänden lange schon ein Dorn im Auge. Gewerkschaftschef Bsirske hält nichts davon: In vielen Unternehmen, die sich einzelne Bausteine aus Tarifverträgen herauspickten, seien Lohndumping und schlechtere Arbeitsbedingungen zu beobachten.

Nicht nur Unternehmerverbände, auch die Gewerkschaften verlieren seit Jahren Mitglieder. Damit wird es für sie schwerer, Tarifverträge durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund ist die Forderung nach einem Steuerfreibetrag für Gewerkschaftsmitglieder zu sehen. Beschäftigte hätten einen Anreiz, sich zu organisieren, Unternehmen einen, Tarifverträge abzuschließen, um mit guten Arbeitsbedingungen um Fachkräfte zu werben.

Bei der BDA findet der Vorstoß dennoch wenig Gegenliebe: »Subventionen für Sozialpartnerschaft lehnen wir ab, die Sozialpartner müssen sich aus sich selbst heraus fort- und weiterentwickeln. Das ständige Rufen nach Staatshilfe wirkt weder selbstbewusst, noch ist es ein Beitrag, irgendeine Herausforderung zu bewältigen«, heißt es auf nd-Anfrage.

Die Diskussion, die sich in der Vergangenheit um derlei Vorschläge entspann, zeigt, wie dehnbar der Begriff der Sozialpartnerschaft ist. Die Unternehmerverbände wollen die Aufweichung des gesetzlichen Acht-Stunden-Tages. Seit Jahren wettern sie gegen den Flächentarifvertrag und rufen nach einer Novellierung des Tarifvertragsgesetzes. Die Gewerkschaften fordern ihrerseits Gesetze, wenn sie es aus eigener Kraft nicht schaffen; so geschehen beim Mindestlohn. Auch damals hatten Unternehmerverbände die Wichtigkeit von Tarifautonomie betont.

Anno 1918 sahen viele Beschäftigte die Sozialpartnerschaft als Erfolg. Sie waren nach Jahrzehnten harter Klassenkämpfe als Verhandlungspartner anerkannt – wohlgemerkt im Rahmen des bestehenden Systems. Die Unternehmer lenkten mit dem Stinnes-Legien-Abkommen ein, um die nach der Novemberrevolution drohende Enteignung und Vergesellschaftung abzuwenden.
Die Kritik von links an der Sozialpartnerschaft war schon damals scharf. Die SPD habe einen »Burgfrieden mit dem Kapital« geschlossen, hieß es.
An den Ausbeutungsverhältnissen im Industriekapitalismus änderte sich grundlegend nichts, sie wurden vielmehr zementiert.
Und wenn es ihnen passt, kündigen Unternehmer die Partnerschaft einseitig auf.

Jochen

Die Schwäche der deutschen Gewerkschaften und die Schwäche des Euro

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

DGBlogoWer Gewerkschaften kritisiert, auch von links, gilt schnell als Gewerkschaftsfeind.
Selbst ich, der jeden Patienten, der über die Situation an seinem Arbeitsplatz jammert, fragt, ob er schon in der Gewerkaschaft ist.
Kenntnisse zu Arbeits- und Sozialrecht sind in der nordschwäbischen Untertanenschaft leider nur gering verbreitet.
Die lächerlichen Lohnabschlüsse, die ganz schnell trotz guter Kampfbereitschaft der Kollegn in einigen Branchen durchgesetzt und dann mittels Etikettenschwindel noch als Erfolg verkauft werden, führen natürlich zu der Frage, ob die führenden Kollegen das einfach nicht begriffen haben oder ob sie heimlich auf Pöstchen in der nächsten GroKo lauern.
Eingefleischte Marxisten und Anarchisten nennen das eine Arbeiteraristokratie.
Auch die Gewerkschaften verfügen über gute Wirtschaftsexperten, sie müssten nur mal unten anfragen.
Um so wichtiger, was gestern Prof. Flassbeck in die Diskussion warf:
https://makroskop.eu/2016/07/die-schwaeche-der-deutschen-gewerkschaften-und-die-schwaeche-des-euro/

Auszüge:

Flasbeck2013Gewerkschaftsnahe Ökonomen beklagen sich über unsere Kritik an zu niedrigen Lohnabschlüssen. Sie verweisen auf die Machtverhältnisse, die nichts anderes zulassen. Wenn das so ist, fragt man sich, warum die Gewerkschaften in der Öffentlichkeit so verhalten agieren.

Gustav Horn hat kürzlich (hier) die Gewerkschaften gegen meinen Vorwurf (hier) verteidigt, sich in der Tarifpolitik zu sehr zurückzuhalten.Er argumentiert, dass dann, wenn die Gewerkschaften könnten wie sie wollten, längst alles gut wäre, weil sie so hohe Löhne durchsetzen würden, dass die Deflation in Europa verschwände und die deutsche Wettbewerbsfähigkeit erheblich verringert würde. Die Machtverhältnisse am Arbeitsmarkt, so Horn, verhinderten allerdings bessere Abschlüsse.
Diese Machtverhältnisse könne man aber nicht den Gewerkschaften vorwerfen. Er schließt:

„Die „Schuld“ am unbefriedigenden Ergebnis allein den Gewerkschaften aufzubürden, ist also eine sehr asymmetrische Betrachtungsweise.“

Ich dachte mir, dass ich mal einen Moment warte, bevor ich ihm antworte, weil die Gewerkschaften alle paar Wochen selbst den besten Beweis dafür liefern, dass seine Behauptung einfach nicht stimmt.

Jetzt ist es schon so weit. Der oberste deutsche Gewerkschaftler, DGB-Chef Reiner Hoffmann, wurde in Reaktion auf den Brexit von Spiegel-Online (hier) gebeten, aufzuschreiben, wie sich die EU reformieren sollte. Er hat darauf mit einem Gastbeitrag geantwortet und gezeigt, dass es eben nicht nur die Ohnmacht der Gewerkschaften ist, die verhindert, dass das Richtige geschieht. Was würde wohl ein Gewerkschaftler, der im Hornschen Sinne beseelt ist von der Frage, Deutschland müsse die Löhne stärker erhöhen, um den Euro zu retten, in Reaktion auf den Brexit schreiben?

Nun, er würde ohne Zweifel eine Variation des Satzes schreiben, der da lautet, dass die Mehrheit der Briten gemerkt hat, dass mit einem Deutschland, das sich beharrlich weigert, von seinem Merkantilismus und seiner absurden Vorstellung von der Rolle des Staates in der Wirtschafts- und Finanzpolitik zu lassen, Europa einfach nicht zu machen ist.
Er würde schreiben, dass es ein Fehler der letzten vier Regierungen in Deutschland war, auf Lohnmoderation zu setzen.
Er würde schreiben, dass sich spätestens jetzt auch für den letzten Zweifler zeigt, dass eine Währungsunion nur mit starken Gewerkschaften erfolgreich zu gestalten ist.

Die Währungsunion, hätte er geschrieben, setzt nämlich zwingend voraus, dass die Lohnstückkosten in allen Ländern für immer und ewig und in jedem Jahr genau wie das gemeinsam festgelegte Inflationsziel steigen, was impliziert, dass die Reallöhne auf längere Frist in allen Ländern wie die Produktivität steigen, dass es also keine Umverteilung zugunsten des Kapitals geben kann, ohne die Währungsunion kaputt zu machen.
Hinzugefügt hätte er noch, dass die deutschen Arbeiter genau deswegen für die nächsten zehn Jahre einen deutlichen Zuschlag auf die normalen Erhöhungen brauchen, weil nur so die europäischen Kollegen eine Chance haben, sich wieder auf Augenhöhe mit den deutschen zu treffen und ein Kollaps der Euro, vorangetrieben von rechten nationalistischen Parteien, verhindert werden kann.

Was fordern die Gewerkschaften?

Das alles hat Reiner Hoffmann nicht geschrieben. Er hat sich für ein soziales Europa eingesetzt und für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Wer hat ihn daran gehindert, die wahren Probleme, die, wie Horn zugesteht, extrem eng mit der deutschen Lohnpolitik verknüpft sind, aufzugreifen? Waren es die Arbeitgeber?
Geht die Ohnmacht der deutschen Gewerkschaften schon so weit, dass sie nicht mehr sagen und schreiben dürfen, was richtig ist?

Nein, wer das europäische Problem verstanden hat und/oder verstehen will, schreibt anders. Es kann nicht sein, dass ein deutscher Spitzengewerkschaftler, der zudem selbst lange in Brüssel gearbeitet hat, nichts von diesem deutschen Problem weiß.
Wenn er es kennt und er dennoch so schreibt, als ob es nicht existiert, lässt das nur einen Schluss zu: Er will, wie fast alle anderen – einschließlich der Arbeitgeber – in Deutschland, davon ablenken, dass das deutsche Lohndumping den tödlichen Keil in die EWU getrieben hat.
Er versucht, durch lautes Pfeifen im Walde die unhaltbare deutsche Position haltbar zu machen. Das ist für eine Organisation wie die Gewerkschaften fatal.

Man kann, ich habe das in vielen Beiträgen immer wieder gesagt, die deutschen Gewerkschaften nicht für das Entstehen der Lohnlücke in den vergangenen fünfzehn Jahren verurteilen.Lohnluecke

 

Erklärung: Die orange Kurve zeigt die nach der Theorie ohne Umverteilung mögliche Lohnerhöhung (Produktivitätszuwachs+Inflationausgleich). Alles, was darunter liegt, ist Umverteilung zu Gunsten der Arbeitgeber.

Es war eine Rot-Grüne Regierung, die, fehlgeleitet von einer unsinnigen Wirtschaftstheorie, den Druck auf die Löhne und auf die Kampfbereitschaft und -fähigkeit der Gewerkschaften weit überwiegend zu verantworten hatte.
Wenn die Gewerkschaften aber jetzt dazu übergehen, ihr damaliges Handeln zu rationalisieren, indem sie die Konsequenzen dieses Handelns auch nur verschweigen, machen sie sich zum Teil dieser merkantilistischen und – für die europäischen Partner – destruktiven Politik.

Die europäische Lohndivergenz muss weg

Ich habe es schon mehrfach klargestellt: Es kann weder in einer neoklassischen noch in einer keynesianischen Vorstellungswelt eine funktionierende Währungsunion geben, wenn lohnpolitische Fehlentscheidungen nicht einmal über die lange Frist korrigiert werden können (hier z. B.).
Wenn Gustav Horn sagt, sorry, die Gewerkschaften sind einfach nicht stark genug, dann muss man daraus schließen, sorry, die Währungsunion muss sofort beendet werden, denn nun wissen wir es aus erster Hand, dass die deutschen Gewerkschaften nicht stark genug sind, um einmal entstandene Ungleichgewichte zu korrigieren.

Horn schreibt:

„Unter diesen Umständen eine einer gemeinsamen Regel folgende Lohnbildung zu erreichen, ist bestenfalls auf lange Sicht möglich, unter den gegenwärtigen Gegebenheiten jedoch illusionär. Die Kritik an der mangelnden europäischen Ausrichtung der Lohnentwicklung in Deutschland mag gemessen an den Erfordernissen berechtigt sein, ist aber pharisäerhaft. Es bedarf vielmehr des mühsamen und langwierigen Aufbaus europäischer Lohnverhandlungsstrukturen, um zu tragfähigen Ergebnissen zu kommen.“

Nun, dann muss man an dieser Stelle als „Pharisäer“ allen überzeugten Europäern entgegenschleudern:
Es war alles ein gewaltiger Irrtum! Macht sofort Schluss mit der Währungsunion!
Die deutschen Gewerkschaften können unter keinen Umständen das Material liefern, das man für den Bau und den Erhalt einer erfolgreichen Währungsunion braucht!

Wenn das richtig ist, müssen die Gewerkschaften und ihre akademischen Berater die Speerspitze derer bilden, die für ein sofortiges Ende der Währungsunion eintreten. Bisher hat man aber genau davon nichts gehört. Und das laute Schweigen der Gewerkschaftsspitzen in Sachen ernsthafte Diagnose oder, wie die Bundeskanzlerin sagt, „ehrliche Analyse“ der europäischen Probleme, spricht ebenfalls Bände.
Nein, machen wir uns nichts vor: Auch wer – wie ich – starke Gewerkschaften für absolut notwendig hält und jederzeit bereit ist, ihnen beizuspringen, kommt nicht umhin zu konstatieren, dass sich in Deutschland eine Koalition aus Gewerkschaftern und Arbeitgebern gebildet hat, die versucht, gegen jede Vernunft die deutschen Fehler der Vergangenheit zu verdecken und totzuschweigen.

P.S.: Es ist übrigens sachlich falsch, wenn Horn und viele andere auf eine andere Finanzpolitik als die mögliche Lösung der europäischen Probleme verweisen. Eine andere Finanzpolitik braucht Europa auch. Die Preis- und Lohnrelationen in Europa müssen aber auf jeden Fall korrigiert werden, und das kann die Finanzpolitik nicht machen.
Darauf zu hoffen, dass die deutsche Finanzpolitik in irgendeiner politisch denkbaren Konstellation in Deutschland in den nächsten Jahren die Arbeitslosigkeit so weit nach unten drückt, dass sich dadurch die Verhandlungsposition der deutschen Gewerkschaften erheblich verbessert, und sie ihre neu gewonnene Verhandlungsmacht nutzen, um endlich die notwendigen europäischen Korrekturen bei den Lohnrelationen durchzusetzen, ist, gelinde gesagt, absurd.

Jochen

Totengräber des DGB – Bündnis konservativer Gewerkschaften – mit einem Kommentar von Elmar Wigand

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Fracking, Kohleverstromung, TTIP, Anbiedern, Gabriels Schoßhündchen spielen – Wer hier mitgliederfreundliche Politik erwartet hat, sieht alt aus:
http://www.jungewelt.de/2015/04-17/013.php

Es hat sich angedeutet. Doch dass es die Chefs der Industriegewerkschaften IG Metall, IG BCE und IG BAU gemeinsam mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) auf eine offene Spaltung des DGB ankommen lassen würden, ist doch überraschend.
Vordergründig handelt es sich bei dem am Mittwoch gegenüber handverlesenen Medienvertretern präsentierten Papier um eine Kooperationsvereinbarung, die Abgrenzungsprobleme der beteiligten Organisationen vermeiden helfen soll.
Tatsächlich aber ist es eine Kampfansage an die Gewerkschaften im Dienstleistungsbereich, allen voran ver.di.
Noch mehr: Die Zukunft des DGB als handlungsfähiger Gewerkschaftsverbund steht auf dem Spiel.

»Diese Kooperation ist gegen niemanden gerichtet, sondern nur für uns«, zitiert die Süddeutsche Zeitung vom Donnerstag den Vorsitzenden der Chemiegewerkschaft (IG BCE), Michael Vassiliadis.
Doch diese Aussage darf bezweifelt werden. Wenn sich vier Einzelgewerkschaften zusammentun – und die anderen vier DGB-Organisationen bewusst außen vor lassen – ist das eine klare Botschaft. Sie richtet sich vor allem gegen ver.di. Die 1.000-Berufe-Gewerkschaft steht naturgemäß im Zentrum der Abgrenzungsprobleme. Mit der IG BAU hat sie sich in der Vergangenheit heftig um die Vertretung der Reinigungskräfte in Krankenhäusern gestritten. Während dieser Konflikt weitgehend beigelegt ist, eskaliert die Auseinandersetzung mit der IG Metall zusehends.

Deren Vorsitzender Detlef Wetzel erklärte schon vor seiner Wahl Ende 2013 kategorisch: »Alles, was zur Wertschöpfungskette eines Endprodukts gehört, muss in unserem politischen Fokus sein.« Soll heißen: Die gesamte Lieferkette, sämtliche Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Herstellung von Autos, Maschinen etc. werden von der IG Metall erfasst.
Sicherlich macht es Sinn, zum Beispiel bei der Ausgliederung von Unternehmensteilen dafür Sorge zu tragen, dass die direkt Betroffenen in ihrer angestammten Gewerkschaft bleiben können, die ihnen Unterstützung im alten Stammbetrieb verschafft.
Doch zu klären sind derlei Fragen nur in solidarisch geführten Verhandlungen.

Offensichtlich ist: Es geht vor allem um das Anliegen der Apparate, die Mitgliedszahlen und damit ihre Finanzkraft zu stabilisieren. Mit dem Interesse der abhängig Beschäftigten als Klasse hat das nichts zu tun.
Doch der Konflikt hat auch einen politischen Kern. Die beteiligten Organisationen sind allesamt streng sozialdemokratisch ausgerichtet. Regierungskritische und gesellschaftspolitische Kampagnen lehnen sie anders als ver.di, GEW und NGG kategorisch ab.
Auch beim Gesetz zur »Tarifeinheit« wird die politische Spaltung deutlich. Empörend ist, dass sich DGB-Chef Reiner Hoffmann öffentlich auf die Seite einer Fraktion stellt. Er könnte damit zum Totengräber des Gewerkschaftsbundes werden, dem er selbst vorsitzt.

Dazu noch auszugsweise ein Kommentar von Elmar Wigand im ND:
http://www.neues-deutschland.de/artikel/969093.fragwuerdiges-buendnis-der-dgb-bolschewiki.html

Besondere Aufmerksamkeit ist generell immer dann gefragt, wenn Dinge hervorgehoben werden, die eigentlich für alle Beteiligten klar sein sollten.

Am 15. April luden vier Gewerkschaftsbosse in Berlin zu einem Pressegespräch. Die Spitzen der DGB-Gewerkschaften IG Metall, IG BCE, EVG und IG BAU gaben eine erweiterte Kooperation bekannt (»nd« berichtete). Dieser nach gesundem Menschenverstand eigentlich selbstverständliche Vorgang – dass Gewerkschafter, die zudem noch im selben Dachverband sind, eng kooperieren wollen – lässt Raum für Interpretationen und gibt Auskunft über die Verfassung der DGB-Gewerkschaften in Zeiten der Großen Koalition.
Dreh- und Angelpunkt dieser DGB-internen Viererbande ist bei näherer Betrachtung ihr Verhältnis zu zentralen Politik-Projekten der SPD in dieser Legislaturperiode.

Das erstaunliche Binnenbündnis innerhalb des DGB bahnte sich bereits durch ähnliche PR-Termine an. Am 16. November 2014 traten die Vier als »Allianz für Vernunft in der Energiepolitik« vor die Presse und leisteten Lobbyarbeit für Fracking in Deutschland. Das wegen möglicher Umweltgefahren höchst umstrittene Verfahren »dürfe nicht von vornherein ausgeschlossen werden«, sagte IG BCE-Chef Vassiliadis damals. Er war mit dem Vorstandsvorsitzenden von ExxonMobil Deutschland, Gernot Kalkoffen, in die USA gereist, »um sich über die US-Energiepolitik und die Erfahrungen mit Fracking zu informieren«. Offensichtlich konnte er überzeugende Erkenntnisse gewinnen, an denen er andere Gewerkschaftsgranden teilhaben ließ.
Auch IG-Metall-Chef Detlef Wetzel forderte also im Sinne von ExxonMobil: »Wir brauchen eine verlässliche und bezahlbare Energieversorgung. Sie bildet die Basis für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie.«

Im Januar 2015 wiederholte sich das Spiel. Es ging um eine Beschränkung des Streikrechts in der Daseinsvorsorge – bekannt als Gesetzesinitiative zur »Tarifeinheit«. In einer Presseerklärung der IG BCE hieß es: »Der DGB und die Mehrheit seiner Mitgliedsgewerkschaften unterstützen den Gesetzentwurf der Bundesregierung.« Unterschlagen wurde, dass diese Mehrheit keineswegs überwältigend war, da ver.di (ca. 2 Mio. Mitglieder), NGG und GEW die geplanten Angriffe auf das Streikrecht grundsätzlich ablehnten.
Beim transatlantischen  Investitionsschutz-Abkommen TTIP zeigt sich die neu geschmiedete Allianz der DGB-Viererbande dagegen brüchig.
So wagte es die IG BAU, sich gegen das TTIP zu positionieren. Sie steht damit auf der ablehnenden Seite von ver.di und der NGG.

Die Entscheidungsfindung innerhalb der neuen DGB-Fraktion verlief keineswegs demokratisch, sondern genügte bestenfalls den Prinzipien des »demokratischen Zentralismus«. Die einfachen Gewerkschaftssekretäre waren von den Vorstößen ihrer Führungsebenen überrascht, von einer demokratischen Meinungsbildung keine Spur.
Dissidenten müssen mit dem Gang der Dinge leben und können nur die Faust in der Tasche ballen. Möglicherweise sind sie sogar in der Mehrheit.

Bezeichnend war auch die elitäre Art der Präsentation. Exklusiv geladen waren nur vier Pressevertreter: Alfons Frese (Tagesspiegel), Stefan Sauer (DuMont Schauberg), Detlef Esslinger (SZ) und Stefan Kreutzberger (FAZ). Hierbei scheint es sich um verdiente Alpha-Journalisten zu handeln, denen die DGB-Mehrheitsfraktion vertraut, welche intern von der IG Metall angeführt wird.
Auch hier bleiben Fragen: Warum wurden selbst bewährte, staatstragende Medien wie »Spiegel«, »Zeit« und »stern« nicht bedacht? Von systemkritischen Geistern oder exotischen Wesen wie Bloggern ganz zu schweigen…

Als Gesamteindruck bleibt: Das Auftreten der besagten DGB-Gewerkschaften ist in sich verworren und widersprüchlich.
Darin spiegelt sich vor allem eine tiefe Ratlosigkeit: Wie soll sich die Gewerkschaftsbewegung aus ihrer babylonischen Gefangenschaft in der Sozialdemokratie und aus ihrer Nähe zu Großkonzernen und deren Projekten befreien?
Oder ist es nicht angenehmer, weiterhin die wärmende Nähe der Macht zu spüren, anstatt den mühseligen Weg der Konfrontation, Abgrenzung und Neuformierung zu gehen? Zumal dieser gegen eine beängstigende Medienmacht erfolgen müsste.

Für alle, die auf eine Erneuerung der Gewerkschaftsbewegung als gesellschaftliche Gegenmacht setzen, ist das neue Bündnis der regierungskonformen DGB-Bolschewiki äußerst ernüchternd. Und genau in diesem Sinne sollte die Botschaft vermutlich auch wirken: Haltet die Klappe und setzt euch!
Dass der gesamte Laden bald auseinanderbricht, ist dabei eher unwahrscheinlich. Dass er nach der Lateinlehrer-Methode dauerhaft zusammengezwungen werden kann, ebenfalls.

Elmar Wigand forscht zum »union busting« – der Bekämpfung von Betriebsräten und Gewerkschaften. Er ist ist Gründungsmitglied der aktion./ .arbeitsunrecht.

Jochen

Streit über TTIP-Abkommen innerhalb und zwischen den Gewerkschaften: In den USA 700 000 Arbeitsplätze wegen Freihandel VERLOREN !

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

fahnenEs ist unglaublich, wie die DGB-Spitze ihren Kollegen in den Rücken fällt, um der SPD das Gesicht wahren zu helfen.
Um so wichtiger ist für Gewerkschaftler, sich auf einer Konferenz Anfang Oktober mehr zu vernetzen.
Anmeldung und Programm: www.rosalux.de/streikkonferenz
Kritische Aussagen des IGMetall-Linken Jakob Schäfer hier:
http://www.jungewelt.de/2014/09-20/045.php
Auszüge:

»Wenige profitieren auf Kosten vieler«

Streit über TTIP-Abkommen könnte Konflikt zwischen DGB-Führung, IG Metall und ver.di verschärfen.

Vom Grundatz her bekennt sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in einem Papier, das gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsministerium verfaßt wurde, zum transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP, das zwischen der EU und den USA geplant ist.
Welches Signal geht davon aus?

In der innerparteilichen Diskussion brauchte SPD-Chef Gabriel offenbar einen wichtigen Bündnispartner, um die Position der SPD-Führung auf dem Parteikonvent am Wochenende durchzudrücken.
Skandalös an dem besagten Papier ist zweierlei: Erstens, daß die DGB-Spitze eine solche Position veröffentlicht, während die Diskussion in den Gewerkschaften immer mehr Fahrt aufnimmt. Und zweitens, daß das Papier sogar gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium unterzeichnet wurde.
Damit signalisiert die DGB-Führung – trotz der im Papier genannten Bedingungen – eine grundsätzliche Zustimmung.

Erst in der Vorwoche hatte die EU-Kommission eine europaweite Bürgerinitiative gegen das TTIP- bzw. das CETA-Abkommen mit Kanada für unzulässig erklärt. Rechnen Sie jetzt noch mit ernsthaften Protesten hierzulande?

Dieses DGB-Papier erleichtert natürlich nicht gerade die innergewerkschaftliche Diskussion. Aber für die Entwicklung des Widerstands hat es nur eine untergeordnete Bedeutung. Die Position der IG Metall ist bisher immer noch klar ablehnend.
Der Vorsitzende Detlef Wetzel hat im März in einem Interview wörtlich gesagt: »Freihandelsabkommen sofort stoppen.« Auch ganz aktuell heißt es bei der IG Metall, daß die grundsätzlichen Mängel nicht beseitigt wurden und daß von dem geplanten Abkommen wenige auf Kosten vieler profitieren.
Ich sehe gerade bei den beiden großen Gewerkschaften IG Metall und ver.di keine Hinweise, daß sie inhaltlich die Positionen der DGB-Führung übernehmen.
In dem Zusammenhang will ich nur auf die geplanten Proteste von »TTIP un-fair-handelbar« am 11. Oktober verweisen.

Der Widerstand lebt also noch?

Allerdings. Denn es kommt ja nicht auf das formale Mittel Bürgerinitiative an. Auch die Annahme des Bürgerbegehrens hätte das Abkommen noch nicht gestoppt. Letztlich war dies ein Mittel zum Zweck. Hier haben 230 Organisationen aus 21 EU-Staaten mitgewirkt und allein in Deutschland 700000 Unterschriften gegen TTIP gesammelt. Damit wurde die Öffentlichkeit sensibilisiert und informiert.
Letztlich kommt es darauf an, daß der politische Widerstand sich ausweitet und sichtbar wird.
Die größten Möglichkeiten zur Entfaltung des praktischen Widerstands haben allerdings die Gewerkschaften.
Nach dem Gefälligkeitsdienst, den die DGB-Führung der SPD-Führung gewährt hat, wächst damit die Verantwortung der Einzelgewerkschaften, vor allem der IG Metall und von ver.di. Sie müssen jetzt beweisen, daß sie wirklich Widerstand leisten. Wenn sie zu großen Kundgebungen aufrufen, kann das der Bewegung einen gewaltigen Schub geben.

Wie erklären Sie sich den plötzlichen Sinneswandel der DGB-Spitze?

Ich glaube nicht, daß die DGB-Spitze einen Sinneswandel vollzogen hat. Der Vorsitzende, Reiner Hoffmann, vertritt diese Positionen schon immer.
Ich denke, daß sich jetzt der Konflikt zwischen DGB-Führung und den Spitzen zumindest von IG Metall und ver.di verschärfen wird.

Der DGB will mit dem TIPP-Abkommen darauf hinwirken, »faire und nachhaltige Handelsregeln global voranzutreiben und Maßstäbe zu setzen«.
Klingt das nicht schön?

Alle Erfahrung zeigt, daß eine Liberalisierung des Handels immer zu zwei wichtigen Veränderungen geführt hat:
1. Mit solchen Abkommen können Staaten oder Kommunen zu Schadensersatzzahlungen gezwungen werden, wenn sie Vorschriften oder Verbote erlassen. So hat beispielsweise Kanada 1997 den hochtoxischen Stoff MMT verboten. Der Hersteller Ethyl Corp. konnte dann Kanada erfolgreich auf einen Schadensersatz für entgangene Profite von 19,5 Millionen Euro verklagen. Dies geschah aufgrund des NAFTA-Abkommens zwischen Mexiko, den USA und Kanada.
Zweitens: In der IG Metall-Zeitung vom Juni wurde darauf hingewiesen, daß mit NAFTA allein in den USA rund 700000 Arbeitsplätze verlorengingen.
Die Gewerkschaften haben also allein schon deswegen das größte Interesse daran, gegen dieses Abkommen zu mobilisieren.

Jakob Schäfer ist Mitglied der IG Metall und engagiert sich im Arbeitsausschuß der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken

In diesem Zusammenhang noch Auszüge aus einem Interview der jW mit Jeannine Geißler, stellvertretender Geschäftsführerin des ver.di-Bezirks Hannover/Leine-Weser:

»Wir sind hier in der Tat etwas aus der Übung«

Anfang Oktober findet in Hannover die Konferenz »Gemeinsam Strategien entwickeln. Konflikte führen. Beteiligung organisieren – Erneuerung durch Streik II« statt. Wer kommt da zusammen? Bisher haben wir 450 Anmeldungen, und es könnten noch einige mehr werden. Viele kommen aus Betrieben und haben dort Erfahrungen mit Arbeitskämpfen und Konflikten gesammelt. Auch Gewerkschaftssekretäre, Studierende und andere Interessierte werden da sein.
Hauptredner sind Hans-Jürgen Urban vom IG-Metall-Vorstand, Ingrid Artus von der Uni Erlangen und der Linke-Vorsitzende Bernd Riexinger.

Welche Themen stehen im Mittelpunkt?

Der Titel ist Programm: Konfliktorientierung und Beteiligung sind zentral. In einer Vielzahl von Workshops wird es darum gehen, wie gewerkschaftliche Arbeit stärker an diesen Parametern ausgerichtet werden kann.
Die Themen sind dabei breit gefächert: Von Streiks in verschiedenen Branchen über Kämpfe gegen Betriebsschließungen bis zur Organisierung von Leiharbeitern und Werkvertragsbeschäftigten.
Die thematische Breite widerspiegelt sich auch in den Organisationen, die die Konferenz tragen: Neben der Rosa-Luxemburg-Stiftung und ver.di Hannover unterstützen auch die örtliche IG Metall, NGG, GEW, IG BAU und das ver.di-Bildungswerk die Veranstaltung.

In kaum einem Industrieland wird so wenig gestreikt wie in Deutschland. Wie kommt das?

Wir sind hier in der Tat etwas aus der Übung gekommen. Lange Zeit hat in Deutschland die sogenannte Sozialpartnerschaft dominiert.
Statt offener Konflikte setzten beide Seiten eher auf Verhandlungen, oft im stillen Kämmerlein.
Seit mindestens zehn Jahren funktioniert das so nicht mehr. Die Arbeitgeber gehen viel öfter auf Konfrontation, stellen Beschäftigtenrechte und Tarifverträge in Frage.
Die Gewerkschaften haben eine ganze Weile gebraucht, um zu erkennen, daß sich die Verhältnisse geändert haben. Sie müssen sich neu aufstellen und wieder lernen, Konflikte offensiv anzugehen.

In manchen Dienstleistungsbereichen – zum Beispiel in Krankenhäusern, Kitas und im Einzelhandel – hat es in den vergangenen Jahren eine deutliche Zunahme von Arbeitskämpfen gegeben. Wie erklären Sie sich das?

Das geschieht in den Bereichen, wo Unternehmen und Institutionen den Druck auf die Beschäftigten massiv gesteigert haben.
Zum Beispiel hat sich die Arbeitssituation in den Krankenhäusern durch Privatisierung und Unterfinanzierung dramatisch verschlechtert.
Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem die Leute sagen: Es muß was passieren.

Wenn die Arbeitskämpfe vor allem Folge von Attacken der Arbeitgeber, also Ausdruck der gewerkschaftlichen Defensive sind, warum beinhalten sie dennoch ein Potential zur »Erneuerung«?

Vielleicht ist diese Erneuerung eher ein Rückbesinnen auf die Ursprünge der Gewerkschaftsbewegung, die entstanden ist, weil die Arbeitsbedingungen so unsäglich waren, daß sich die abhängig Beschäftigten einfach zusammentun mußten.
Diese Erkenntnis ist wieder aktuell: Wir müssen uns von unten erneuern, mit Konfliktorientierung und Beteiligung, weil wir sonst keine ­Chance haben, die Arbeitgeber in die Schranken zu weisen.

In Hannover werden Hunderte Gewerkschafter viel diskutieren. Und dann?

Unser Ziel ist eine dauerhafte Basisvernetzung. Dazu dienen die Branchentreffen während der Konferenz.
Wir wollen konkrete Verabredungen für ein gemeinsames Agieren – z.B. im ­Sozial- und Erziehungsdienst, wo 2015 eine ganz wichtige Tarifauseinandersetzung ansteht. Zudem denken wir darüber nach, in etwa anderthalb Jahren eine weitere Konferenz zu organisieren, um diesen Prozeß weiterzuführen.

Anmeldung und Programm: www.rosalux.de/streikkonferenz

Jochen