Von der Selbst- zur Fremdverwaltung – Zu Privatisierung und Re-Kommunalisierung in den Kommunen – Vortrag von W.Rügemer

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Erstveröffentlichung hier: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22792

DSC_0046Beim „Arbeitnehmerempfang“ der Stadt Pforzheim (Motto: „Gewerkschaft trifft Politik“) am 29.4.2016 hielt Werner Rügemer auf Einladung des Oberbürgermeisters Gert Hager und des Landrats des Enzkreises Karl Röckinger den folgenden Vortrag.
Das offizielle Thema lautete:

„Zwischen Privatisierung und Re-Kommunalisierung – die kommunale Leistungserbringung“

Die Stadt Pforzheim ist „führend“ bei der Privatisierung der kommunalen Infrastruktur. Anfang 2016 beschloss der Gemeinderat die Übertragung des öffentlichen Nahverkehrs an eine Tochtergesellschaft der Deutsche Bahn AG, zunächst für 10 Jahre. Die städtische Verkehrsgesellschaft SVP wird aufgelöst, die 240 SVP-Beschäftigten werden gekündigt.

Werte Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,

ich hoffe, Sie sind nicht über die bürokratische Sprache im Titel meines Vortrages gestolpert. Es geht um eine zentrale Frage für Bürgerinnen und Bürger, für Alt und Jung, es geht um die Sicherheit des alltäglichen Lebens, um günstige Wohnungen, ordentliche Schulen, sauberes Trinkwasser und funktionierende Abwasserentsorgung, um anregende Kultur, günstigen Nahverkehr, bezahlbare Energieversorgung, sichere Straßen, offene Freizeit- und Sportanlagen, ja auch um eine freundliche und schnelle Verwaltung und noch einiges mehr, und nicht zuletzt um gewählte Stadt- und Gemeinderäte, die Bürgerinteressen vertreten und nicht vor sich hinmauscheln. Das ist schon eine Menge. Das ist ein Kernbestand jeder Demokratie.

Wie es den Kommunen geht, auch daran zeigt sich der demokratische Zustand einer Gesellschaft. Bekanntlich haben die Gemeinden in Deutschland nach dem Grundgesetz von 1949, Artikel 28 die Garantie für gemeindliche Selbstverwaltung. So ähnlich wurde es auch für die Landesverfassungen beschlossen. Da gilt das Universalitätsprinzip, das heißt Allzuständigkeit. Die Gemeinden haben sogar das Aufgabenfindungsrecht, das heißt sie können im Interesse der Bürger auch neue Aufgaben übernehmen.

Das klingt gut. Aber wie ist die Realität? Aus der Selbstverwaltung ist in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland weithin eine Fremdverwaltung geworden. Diese Entwicklung wurde nach der deutschen Wiedervereinigung wesentlich beschleunigt. Und diese Entwicklung ist noch immer nicht zu Ende.

In Pforzheim sind Sie gegenwärtig schon wieder in einem solchen Übergang von der Selbst- zur Fremdverwaltung. Wie wird es mit dem öffentlichen Nahverkehr in Pforzheim weitergehen? Was wird mit den bisherigen Angestellten des gemeindlichen Unternehmens Stadtverkehr Pforzheim, SVP? Und wie werden die Fahrpreise und Transportleistungen durch das neue private Unternehmen gestaltet werden, auch auf mittlere und längere Sicht?

 Kommune: Kernbestand der Demokratie

Aber kommen wir erstmal zurück zu dem, was eine Kommune, eine Gemeinde ist oder sein soll. Sie soll ein Kernbestand der Demokratie sein. „In der Gemeinde fängt die Demokratie an“, verkündete der erste Kanzler der neugegründeten Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer. Daran hat sich dieser autoritäre Knochen nicht unbedingt gehalten. Außerdem musste er den westlichen Siegermächten gehorchen. Aber sein Satz war gut.

Die Demokratie in den Gemeinden geht auf Kämpfe zurück, die in der Geschichte ausgefochten werden mussten, nicht im Himmel der Theorie und der Wünsche, sondern auf der Erde in Deutschland. Immer wieder wurde die kommunale Selbstverwaltung abgeschafft – im finsteren wie dann auch im etwas helleren Mittelalter, durch die Feudalherrschaft. Einzelne Städte konnten sich teilweise daraus befreien, aber nie nachhaltig. Durch demokratische Bewegungen und besonders gefördert durch die französische Revolution wurden die Gemeinden wieder freier, sogar zeitweise auch in den Monarchien von Preußen und Bayern. Ein kräftiger Schub in Deutschland kam durch die bürgerliche Revolution von 1848/1849. Das schlug sich in der Verfassung der Paulskirche nieder, dann auch wieder in der Weimarer Verfassung. Davor musste aber erst das wilhelminische Kaiserreich abgeschafft werden. Dann erst war eine demokratische Ordnung möglich, mit selbstverwalteten Gemeinden.

Die Nazis gingen besonders antidemokratisch mit den Gemeinden um. Sofort im Februar 1933 ließ Innenminister Hermann Göring alle Gemeindevertretungen zwangsweise auflösen. Wer dem nicht folgte, wurde vertrieben oder verhaftet. Alle Parteien wurden aufgelöst beziehungsweise verboten. Es blieb nur noch die NSDAP übrig. Das Gesetz zur Gemeindeverfassung von 1933 schaffte alle kommunalen Wahlen ab. Die Bürgermeister spielten nach dem Führerprinzip den Gemeindeleiter, er wurde nicht von den Bürgern gewählt, sondern von der NSDAP beziehungsweise von den Gauleitern und den Regierungspräsidenten ernannt, und zwar auf 12 Jahre, wie im wilhelminischen Kaiserreich. In wichtigen Fälle wie in Köln griff Göring aus Berlin ein: Da durfte nicht der örtliche Gauleiter Oberbürgermeister werden, sondern ein katholischer Bankier, damit das gehobene Bürgertum mitzog.

Der Gemeindeleiter fällte seine Entscheidungen ohne Gemeinderat und in vollkommener Intransparenz. Auch die „Ratsherren“ wurden nicht gewählt, sie wurden ebenso ohne Wahl ernannt, nannten sich aber weiter Ratsherren. Und natürlich waren es fast ausnahmslos Herren. Sie besetzten auch die lukrativen Posten in den Vorständen und Aufsichtsräten der Stadtwerke und der Wohnungsgenossenschaften. Die Gemeinden wurden vom Zentralstaat gelenkt.

Die Nazis legten übrigens im Jahressteuergesetz 1933 fest, dass Schmiergelder von Unternehmen als steuerbegünstigte Betriebsausgaben anerkannt wurden. So kamen zum Beispiel Bau- und andere Unternehmer ganz „unbürokratisch“ auch an ihre kommunalen Aufträge. Und die Gemeindeleiter und hohen Beamten hatten ihren heimlichen Nebenverdienst.
Wissen Sie übrigens, wann die Steuerbegünstigung für Schmiergelder aufgehoben wurde? Das war nicht nach dem Ende der Nazizeit. Die Adenauer-Regierungen behielten das bei, auch die Nachfolgeregierungen bis 1999 betrachteten die sogenannten „nützlichen Ausgaben“ als steuerfreie Wirtschaftsförderung nicht nur im als korrupt verschrienen Ausland, sondern auch in der Bundesrepublik selbst. Erst durch öffentlichen und internationalen Druck beendete die rot-grüne Bundesregierung 1999 diesen skandalösen Zustand. Bekanntlich wurden in vielen deutschen Städten, in Nordrhein-Westfalen wie in Baden-Württemberg, während der 1990er Jahre private Müllverbrennungsöfen durch die Bestechung von Kommunalpolitikern angeschoben, zum Beispiel.

Kommunale Selbstverwaltung schrittweise ausgehöhlt

Die im Grundgesetz verankerte Garantie der kommunalen Selbstverwaltung wurde seit der deutschen Vereinigung schrittweise ausgehöhlt. Das geschah und geschieht in den unterschiedlichsten Formen. In den 1990er Jahren begann es mit der Privatisierung öffentlichen Eigentums. Diese Entwicklung wurde durch die Regierungsparteien CDU, CSU und FDP eingeleitet und nicht nur auf der Bundesebene praktiziert, etwa bei der Post, sondern auch auf der Landesebene und in den Gemeinden. Die private Müllentsorgung habe ich schon genannt. Sie wird ja bis heute praktiziert. In der Regel liegt sie in der Hand der großen Strom- und Energiekonzerne.

Diese Konzerne stiegen aber auch auf andere Weise in die Gemeinden ein und kauften zum Beispiel Anteile an den Stadtwerken. Als Miteigentümer der städtischen Unternehmen für Strom, Fernwärme und Gas konnten die Konzerne gleichzeitig über die Preise der von ihnen gelieferten Energie mitbestimmen. Und gleichzeitig geben die Gemeinden einen Teil ihrer Stadtwerksgewinne an diese Konzerne ab, und zwar dauerhaft. Auch deshalb wachsen die kommunalen Schulden und auch deshalb wird die kommunale Selbstverwaltung unterhöhlt.

Wahrscheinlich erinnern sich einige von Ihnen an das sogenannte Cross Border Leasing. Da haben in allen Bundesländern Städte ihre Kanalisationen, Kraftwerke, Trinkwasseranlagen, Messehallen und andere Einrichtungen der kommunalen Infrastruktur an Investoren in den Vereinigten Staaten von Amerika verkauft, und zwar teilweise für 100 Jahre und wieder zurückgemietet. Das ließen sich die Gemeinden von sogenannten renommierten Banken wie der Deutschen Bank, der United Bank of Switzerland und auch Landesbanken aufschwatzen. Die Investoren hatten schon damals ihren juristischen Sitz zwar nicht in Panama, aber in der größten Finanzoase der Welt, im US-Bundesstaat Delaware – keine Bundesregierung, keine nordrhein-westfälische Landesregierung und kein schwäbischer Bürgermeister haben sich daran gestört. In Baden-Württemberg etwa war Daimler Financial Services besonders aktiv, die Finanztochter des Autokonzerns Daimler. Da fielen so manche Bürgermeister und Gemeinderäte auf die versprochenen „Barwertvorteile“ von ein paar Millionen DM herein, die am Anfang ausgezahlt wurden. Die Handlungsfähigkeit der Kommunen und Landeswasserverbände war eingeschränkt, etwa bei der Bewilligung von Bauland. Die Auflösung dieser dubiosen Verträge hat in manchen Städten zur zusätzlichen Verschuldung beigetragen – statt Schulden abzubauen, wie versprochen worden war.

 Public Private Partnership – Finanzieller Irrsinn

Ein noch wesentlich schädlicheres Finanzinstrument hat die Bundesregierung aus SPD und Grünen Anfang der 2000er Jahre nach Deutschland gebracht. Es wurde aus der Finanzoase London in Großbritannien abgekupfert. Es heißt Public Private Partnership, PPP, Öffentlich-private Partnerschaft. Aber das ist keine Partnerschaft auf Augenhöhe. Die meist 30 Jahre lang laufenden Mietverträge für Schulen, Rathäuser und andere öffentliche Gebäude sollen die klammen städtischen Haushalte entlasten. Der juristischen Form nach nehmen die Gemeinden keinen Kredit auf, sie sollen ja die schwarze Null einhalten oder erreichen. Aber die Erfahrungen zeigen, dass diese Verträge in der Mehrheit zulasten der Gemeinden gehen. Pleiten der beauftragten Subunternehmen führen zu Mehrkosten ebenso wie häufige Nachforderungen der Generalunternehmer. Das ist eigentlich ein finanzieller Irrsinn, gerade heute, wo die öffentliche Hand so günstig wie nie Kredite bekommt, während auch der cleverste Investor wesentlich mehr Zinsen für seine PPP-Kredite bezahlen muss. Diese jahrzehntelang überhöhten Zinsen gehen ebenfalls in die Mieten ein, die die Gemeinden zwei bis drei Jahrzehnte zahlen müssen. Wie soll kommunale Selbstverwaltung unter solchen jahrzehntelang bindenden Verträgen möglich sein? (1)

Auch in dieser Stadt, so habe ich gehört, haben sich Bürgermeister und Bürgermeisterinnen an Zinswetten etwa der Deutschen Bank und der Bank J.P. Morgan beteiligt. Die Risiken waren nicht überschaubar. Da werden seitdem jahrelange Gerichtsverfahren geführt, die Zeit und Geld kosten und ebenfalls in so mancher Stadt zu zusätzlicher Verschuldung führen. Aber von diesen vergleichsweise kleinen Sünden am Rande will ich gar nicht reden.

Da bahnte sich jedenfalls ein Ende der kommunalen Selbstverwaltung an, und das Ende ist noch gar nicht in Sicht, wenn es so weitergeht. Bei den genannten Privatisierungen, den Stadtwerksverkäufen, dem Cross Border Leasing, den PPP-Verträgen und den diversen Spekulationsgeschäften spielen private Beratungsfirmen überall eine entscheidende Rolle. Die Gemeinden und auch ihre überregionalen und bundesweiten Zusammenschlüsse wie der Deutsche Städtetag haben es bis heute nicht geschafft, sich die notwendigen Kompetenzen im Umgang mit neuen Finanzprodukten und gewieften Investoren zu verschaffen.

Ich habe gehört, dass auch bei den beiden Entscheidungen, den Stadtverkehr Pforzheim damals vor einigen Jahren an den Energiekonzern Veolia und jetzt an eine Tochtergesellschaft der Deutsche Bahn AG zu vergeben, nicht nur eine Beratungsfirma bezahlt wurde, sondern mindestens drei.

Die Abhängigkeit von gut honorierten privaten Beratern ist zum Dauerzustand geworden, von der Bundesregierung angefangen über die Landesregierungen und in großem Umfang in den Gemeinden. Die Berater sind selbst gewinnorientierte Unternehmen, und sie nutzen die geringen Kenntnisse in den öffentlichen Verwaltungen und bei den ehrenamtlichen Bürgervertretern aus. Der Vorteil für die Gemeinden ist, so meine Erfahrung, für die öffentliche Hand auf die Dauer und im Durchschnitt sehr zweifelhaft. Die Berater verdienen gut an der Verschuldung der Gemeinden, und die Verschuldung ist nach einigen Jahren noch höher als zuvor.

 Steuerschlupflöcher für Vermögende

Eigentlich wird, wie schon erwähnt, die kommunale Selbstverwaltung durch das Grundgesetz garantiert. Aber diese Garantie wird gerade durch den immer stärker ausgebauten Zentralstaat nicht mehr praktiziert, im Gegenteil. Die Bundesregierungen und ihre parlamentarischen Mehrheiten in Berlin lassen großflächige Steuerflucht für inländische ebenso wie für ausländische Konzerne zu. Steuerschlupflöcher für Vermögende, wie sie etwa der hier sowieso sehr nahe Nachbarstaat Schweiz dauerhaft bietet, werden auch von der gegenwärtigen Bundesregierung und ihrem schwäbischen Finanzminister nicht geschlossen. Im Gegenteil, er schützt sie verbissen, genauso wie bei Luxemburg und jetzt Panama, zum Nachteil auch der Gemeinden.
Wenn sich die Bundeskanzlerin wie die „schwäbische Hausfrau“ verhalten würde, wie sie behauptet, dann hätte sie ihren Finanzminister längst nachhause schicken müssen.

Überall müssen die Bürger Mehrwertsteuer bezahlen, und diese Steuer wurde immer weiter erhöht, schneller als alle anderen Steuern. Aber warum erhebt der Staat zum Beispiel auf Aktien- und Wertpapierkäufe und –Verkäufe überhaupt keine Mehrwertsteuer? Auf Autobenzin ja, aber nicht auf Flugbenzin? Das ist eine systemwidrige Ungleichbehandlung. Und es gibt überhaupt keinen Sinn, die heute rein spekulativen Börsengeschäfte, an denen sowieso nur eine kleine Minderheit der Bevölkerung sich beteiligt, solcherart zu bevorzugen. Was meinen Sie, wieviele Milliarden Euro der Staat da jährlich an die Falschen verschenkt? Und die Gemeinden schauen in die leere Röhre.

Leider ist die Liste der Maßnahmen noch nicht zu Ende, mit denen die Selbstverwaltung der Gemeinden weiter ausgehöhlt wird. Das neue Personen-Beförderungsgesetz von 2013 haben Sie bei der damit erzwungenen Vergabe des Stadtverkehrs Pforzheim schon zu spüren bekommen.

 CETA: Rückfall hinter Europäische Wasser-Richtlinie

Aber nun sollen noch mehr internationale private Investoren, Berater und Dienstleister zum Zuge kommen, noch mehr als bisher schon möglich. Sie werden die gegenwärtig hinter verschlossenen Türen verhandelten Freihandelsverträge mitverfolgt haben. Ständig werden in den Medien und Regierungserklärungen Abkürzungen wie CETA und TTIP genannt. TISA gehört auch zu dieser Art. TISA steht für Trade in Services Agreement, also Handel mit Dienstleistungen. Da geht es ganz gezielt um die bisher noch öffentlichen Dienstleistungen, die für transatlantische Investoren geöffnet werden sollen.

Bekanntlich ist der Freihandelsvertrag CETA zwischen der Europäischen Union und Kanada zu Ende verhandelt. Im Internet können Sie die 1.650 Seiten nachlesen. Eine deutschsprachige Fassung hält die Bundesregierung zur Unterrichtung der Abgeordneten und der Bürger übrigens nicht für nötig. So können Sie sich, wenn Sie das trickreiche Handelsenglisch gut beherrschen und sich mal zwei Wochen Urlaub nehmen und sich mit einigen Fachbüchern und Lexika zum Studium zurückziehen, genauer kundig machen.

Aber wir haben Glück. Die Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft AöW hat sich aus eigenem Interesse mal die CETA-Kapitel zu Trinkwasser und Abwasser genauer vorgenommen. Die Experten der deutschen Wasserwerke haben herausgefunden: CETA fällt hinter die Europäische Wasser-Richtlinie zurück. Privatisierung in den Kommunen soll möglich sein, jedenfalls in bestimmten Teilbereichen. Und eine Re-Kommunalisierung wäre nicht möglich. Die Sonderrechte insbesondere für ausländische Investoren können in die kommunalen Rechte des Anschluss- und Benutzungszwangs, der Gebührenfestsetzung, der Festlegung von Wasserschutzgebieten, der Wegenutzung, der Wasserentnahme und Wassereinleitung eingreifen. Investoren könnten der interkommunalen Zusammenarbeit Grenzen setzen. (2)

Meine Aufzählung ist, wie Sie schon vermuten, keineswegs vollständig. Zum Beispiel von den Kosten für die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen habe ich hier gar nicht erst gesprochen. 

Kommunale Selbstverwaltung zu schädlicher Fremdverwaltung geworden

 Jedenfalls, die kommunale Selbstverwaltung ist über weite Strecken zu einer für die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger schädlichen Fremdverwaltung geworden. Können Bürgerinnen und Bürger dagegen etwas tun?

Ich hoffe, mit vielen anderen, dass das möglich ist. Es war ja schon in der Vergangenheit möglich. Bürgerinitiativen haben zumindest einige Privatisierungen und einige Cross Border Leasing und Public Private Partnership-Verträge verhindert. Vielleicht waren Sie aus Pforzheim ja schon bei einer der vielen kleinen und auch der großen Aktionen gegen das Freihandelsabkommen TTIP dabei?

Und vielleicht kennen Sie Initiativen aus dem bürgerschaftlichen und politischen Raum, die die große Steuerflucht verhindern wollen, die die Vermögensteuer wieder einführen wollen, die den Handel mit Aktien und anderen Wertpapieren endlich mit der Mehrwertsteuer belegen wollen und dergleichen? Überall auf diesen Gebieten regt es sich, auch wenn Sie das in Ihren beiden Lokalzeitungen und in der Tagesschau und im heute-journal noch nicht lesen und sehen können.

Wie es mit der Demokratie überhaupt und auch mit der kommunalen Selbstverwaltung ist: Sie musste immer erkämpft und dann gesichert werden. Wir sind wieder an einem solchen Punkt in der Geschichte angekommen, eigentlich schon länger. Aber jetzt bemerken das mehr Menschen als bisher.

Vor einer Woche haben sich Bürgermeisterinnen und Bürgermeister und gewählte Vertreter und Initiativen aus 40 Städten und Landkreisen Europas in Barcelona getroffen. Aus Spanien, Frankreich, Österreich, Großbritannien, den Niederlanden und Belgien und auch aus Deutschland war man dabei. Vertreten waren auch die Großstädte Barcelona, Madrid, Birmingham, Wien, Grenoble und Köln. Es gibt übrigens schon 1.600 Gemeinden in der Europäischen Union, die sich per Gemeinde- und Stadtratsbeschluss für TTIP-frei erklärt haben.

Bei dem Treffen in Barcelona wurde erklärt: „Die Kommunen sind nicht nur von den intransparenten Verhandlungen völlig ausgeschlossen, die Abkommen schränken auch ihr demokratisches Selbstbestimmungsrecht massiv ein. Durch den verstärkten Privatisierungsdruck gefährden die Abkommen die öffentliche Daseinsvorsorge wie Wohnen, Gesundheit, Umwelt, soziale Dienste, Bildung, die lokale wirtschaftliche Entwicklung und Ernährungssicherheit.“ Die in Barcelona anwesenden Vertreter aus Brüssel und Grenoble haben sich bereit erklärt, die nächste Versammlung der europäischen Gemeinden auszurichten. (3)

Hoffentlich können Sie Ihren Kindern und Enkeln sagen: Ja, ich habe mich gewehrt. Ja, ich bin aktiv geworden.
Oder: ich hatte zwar keine Zeit, ich musste arbeiten und noch meinen Zweitjob machen und eine neue Stelle als Busfahrer suchen und den Haushalt und die Kinder versorgen – aber ich habe diejenigen unterstützt, die aktiv sein konnten.

Ich hoffe, dass ich Sie auf diesem Wege ermutigen kann. Sie werden feststellen, dass Sie nicht alleine sind.
Schauen Sie sich um.

Fussnoten:

1 Werner Rügemer: „Heuschrecken“ im öffentlichen Raum. Public Private Partnership – Anatomie eines globalen Finanzinstruments, Bielefeld 2012. Siehe auch www.gemeingut.org

2 AöW: Wasserwirtschaft im Sog des Freihandels – CETA, Positionspapier, Berlin April 2016, S. 5

3 Attac Deutschland: TTIP-freie Kommunen in der EU formieren sich – Konferenz in Barcelona als Startschuss, Pressemitteilung 24.4.2016

Jochen

Im „größten Online-Angebot zum Judentum in D-A-CH und Israel“ hagalil.com wird denunziert und gegen Linke gehetzt

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

A. Müller von den NachDenkSeiten hat darauf aufmerksam gemacht:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=24241
Mir geht es nicht darum, diese pluralistische Online-Zeitung in Verruf zu bringen.
Aber etwas mehr journalistische Sorgfalt hätte man ihr schon empfohlen, bevor sie unkommentiert 20 Lügen von Adriana Stern veröffentlichen:
http://www.hagalil.com/archiv/2009/10/30/ruegemer/
was dann dazu geführt hat, dass Rügemer in unverschämtester Weise ohne Anhörung von seiner eigenen Gewerkschaft diffamiert wurde.
Dazu schreibt A.Müller:

Rundumschlag mit dem Antisemitismus-Vorwurf: Verdi strich Vortrag mit Werner Rügemer zu TTIP

Werner Rügemer, Autor mehrerer Bücher, zuletzt einer Studie im Auftrag der gewerkschaftlichen Otto-Brenner-Stiftung sollte auf Einladung von Verdi Sprockhövel dort am 27.11.2014 über das Thema TTIP und Arbeitsrechte referieren.
In Kenntnis dieses geplanten Auftritts sandte der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Stadtrat von Sprockhövel, Schmitz, dem Bürgermeister Winkelmann (CDU) einen Artikel aus dem Magazin hagalil.com von Adriana Stern „Mehr als Klüngel und Korruption: Die verschroben antisemitische Weltsicht von Werner Rügemer“, so der Titel des Machwerks. Der Bürgermeister legt darauf hin Verdi nahe, die Veranstaltung abzusagen. Verdi lädt Rügemer aus. –
Sie entschieden alle ohne Prüfung der Texte und ohne Rücksprache bei Werner Rügemer. Er klagt gegen Magazin und Autorin auf Unterlassung und gegen den Bürgermeister wegen Amtspflichtverletzung auf Schadenersatz.Albrecht Müller.

20 Vorwürfe und 20 Widerlegungen

In dem Magazin werden 20 teilweise abstruse und rundum falsche Vorwürfe erhoben. Ein paar Beispiele:

  • Die Autorin Stern fragt, wieso sich Rügemer so leidenschaftlich gerade auf die von ihm beschriebenen (angeblichen) Machenschaften des Bankiers Oppenheim in Köln stürzt. Sie will damit offensichtlich seinen angeblichen Antisemitismus insinuieren.

Tatsache ist, dass Rügemer sich in einem von 13 Büchern, in “Der Bankier. Ungebetener Nachruf auf Alfred von Oppenheim” mit dieser Familie beschäftigt hat.

  • Die Autorin unterstellt Rügemer die Behauptung, “der jüdische Bankier Oppenheim habe sich aktiv an der Wegnahme jüdischen Eigentums beteiligt”

Richtig ist: Die Bank Oppenheim ist zwar eine jüdische Gründung, die Eigentümerfamilie entfernte sich spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts von diesem Ursprung und integrierte sich bürgerlich-patriotisch-religiös. Der Kölner Familienteil konvertierte zum Protestantismus, heiratete deutsch-großbürgerlich oder deutsch-adlig, bewegte sich im Kreise von preußischer Regierung, anders oder nicht gläubigen Industriellen und Bankern. Die Oppenheims verstanden sich nicht als Zionisten und traten nicht für einen Staat Israel ein.

  • Die Autorin von Hagalil unterstellt Rügemer die Behauptung “ihm (Alfred von Oppenheim) wie vielen anderen ‘Elite-Juden’ habe der Nationalsozialismus nicht geschadet. Im Gegenteil, er und sie seien im Nationalsozialismus reich geworden. Und dies bewahre der jüdische Bankier und auch die anderen Juden bis heute als gut gehütetes Geheimnis.

Tatsache ist: Den Begriff “Elite-Juden” hat Rügemer nirgends verwandt. Die Autorin gibt dazu auch keine Quelle an.
In dem Buch der Bankier werden Friedrich-Karl und Waldemar von Oppenheim weder als Juden noch als „Elite-Juden“ bezeichnet.
Es wird allerdings dargestellt, dass sie während des Nationalsozialismus unbehindert Teilhaber und Geschäftsführer der Bank blieben und zahlreiche Aufsichtsmandate behielten usw.

  • Die Autorin behauptet, Rügemer „nimmt auch die Bank Goldman Sachs (schon am Namen wird klar, dass es sich um eine jüdische Bank handelt) mit dazu, die er sich nicht scheut, für die Weltwirtschaftskrise hauptverantwortlich zu machen.“

Tatsache ist: Für dieses Zitat gibt die Autorin keine Quelle an.
Rügemer weist darauf hin, er habe nirgends geschrieben oder nahegelegt, dass Goldman Sachs eine jüdische Bank sei und die Hauptverantwortliche für die Weltwirtschaftskrise sei.

So geht es weiter. Mit einer falschen Behauptung nach der anderen.

Der Vorwurf des Antisemitismus wird systematisch eingesetzt, um Menschen mundtot zu machen.
Der Vorwurf richtet sich gegen jene, die es sich erlauben, die jetzige israelische Regierung und ihre fatale Politik zu kritisieren. Und gegen jene, die sich erlauben, die Politik der USA, der NATO und das TTIP zu kritisieren.
Der Antisemitismus-Vorwurf wird zur Zeit auch genutzt, um in der Partei Die Linke gegen jene mobil zu machen, die den Schwenk hin zur Bereitschaft zu militärischen Einsätzen nicht mitmachen wollen, Und selbstverständlich gegen Friedensbewegung und ihre Demonstrationen.

Erstaunlich ist an dem gesamten Vorgang, wie willfährig der Fraktionsvorsitzender der Grünen, ein Bürgermeister der CDU und leider auch die Vertreter von Verdi bei diesem Denunzierungsakt mitmachen.
Es ist gut jedenfalls, dass Werner Rügemer rechtlich gegen den Bürgermeister vorgeht.

Dazu noch ein Kommenar des ver.di-Mitgliedes Werner Schlegel:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=24251

Adriana Stern ist Mitglied im Verband Deutscher Schriftsteller (VS in ver.di, Landesverband NRW ), dessen erweitertem Landesvorstand ich als Bezirkssprecher angehöre.
Ich könnte hier einiges Negative über Ihr Auftreten bei den letzten Jahres-Mitgliederversammlungen sagen. Aus zwei Gründen lasse ich’s:

  1. Würde es sich um meine subjektiven Eindrücke (und Bewertungen) handeln, die andere VS-Mitglieder vielleicht nicht teilen.
  2. Möchte ich mich – Sie können diese Mail jederzeit auch öffentlich verwenden – nicht ebenfalls dem Vorwurf des “Antisemitismus” aussetzen. Es ist schließlich schon seit Jahren üblich, dass mit diesem Erschlagwort jede Kritik an Israels Regierungspolitik oder am Verhalten von Menschen mit jüdischer Abstammung diskreditiert wird (Hendrik M. Broder etwa hat diese Masche gar zum Brotberuf erkoren).

Eine andere und sehr ernste Sache ist für mich jedoch die von Ihnen geschilderte Diffamierung des Kollegen Rügemer.
Wenn der Sachverhalt – wovon ich ausgehe – so zutrifft, handelt es sich hier schlicht um eine üble Denunziation.

Ich kenne Adriana Sterns Motive dafür nicht. Aber als Außenstehender sollte man wissen: Unter den Kölner VS-Mitgliedern, zu denen Stern und Kollege Rügemer gehören, gibt es seit einigen Jahren heftige Konflikte. Sie führten u.a. zu einer Spaltung der dortigen Bezirksgruppe und zu einigen VS-Aus-, bzw. Funktionsrücktritten und diversen Vorstandsneuwahlen.
Zu den Konfliktbetroffenen gehörten u.a. auch Adriana Stern und Werner Rügemer – auf unterschiedlichen Seiten.
Da liegt ein Verdacht nahe: Dass mit dieser ruf- und vermögensschädigenden Denunziation der Antisemitismus-Vorwurf instrumentalisiert wurde.

Wie auch immer: Dass ein VS-Mitglied ein anderes derart denunziatorisch angreift, stellt einen gravierenden Verstoß gegen die VS-Statuten dar.
Ich werde deshalb diese Mail an Mitglieder des VS-Landesvorstandes und an andere VS-Mitglieder weiterleiten. Verbunden mit der Aufforderung, den Fall zu prüfen und ggflls. die notwendigen Verbandsmaßnahmen (z.B. Ausschluss) gegen Frau Stern zu ergreifen.

Bemerkung nicht am Rande:
Als Mitglied eines großen ver.di-Bezirksvorstandes in NRW bedauere ich außerordentlich, dass die Sprockhoeveler KollegInnen die Anschuldigungen gegen Dr. Werner Rügemer ungeprüft übernahmen. Sozusagen “fremdschämend” entschuldige ich mich bei ihm ausdrücklich dafür.

Mit freundlichem Gruß

Werner Schlegel
Autor / Journalist (ver.di- und VS-Mitglied)

Es ist nicht auszuschließen, dass nach Veröffentlichung dieses Beitrags ein Shitstorm gegen mich losgeht mit dem Vorwurf, ich sei ein Antisemit. Ich weiss nicht, wieviel EInfluss der israelische militärisch-industrieller Komplex auf die deutsche Öffentlichkeit hat. Was Naomi Klein in ihrem Buch „Schock-Strategie“ über das moderne Israel schreibt, kann einen schon das Grausen lehren.

Jochen

Union Busting: »Betriebsrats-Fresser« in Aktion

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Wir dokumentieren einen Beitrag von Elmar Wigand aus der Gewerkschaftsbeilage der Tageszeitung junge Welt vom 24.9.2014:
Artikel und Kommentare hier:
http://arbeitsunrecht.de/union-busting_betriebsratsfresser-aktion/

Union Busting, die systematische Bekämpfung von Betriebsräten und gewerkschaftlicher Organisierung, gehört in Deutschland längst zur Angebotspalette von Arbeitsrechtssozietäten und internationalen Wirtschaftskanzleien.
Unternehmer mit gesteigertem Agressionspotential, die Betriebsratsgründungen verhindern, bestehende Mitbestimmungsorgane zermürben, gestandene Gewerkschafter im Betrieb zur Aufgabe zwingen wollen, finden im Internet zahlreiche Dienstleister unterschiedlicher Güte und Preisklasse.

Zum Standardprogramm gehören u.a. Wellen von substanzlosen Abmahnungen und Kündigungen, Bespitzelung durch Detektive, demütigende Personalgespräche und gezieltes Mobbing.
Die Anbieter solcher Dienstleistungen unterscheiden sich lediglich darin, ob sie diesen Klassenkampf von oben unverhohlen bewerben oder ob sie eher diskret ihre Hilfe zur Bewältigung »betriebswirtschaftlicher Sachzwänge« und bei der Einhaltung von »Effizienzkriterien« anbieten.

Bislang konnten Union Buster in Deutschland ihre juristischen Winkelzüge und Konstruktionen recht ungestört und weitgehend unbeachtet von Gewerkschaften und der Öffentlichkeit propagieren, planen und verfeinern. Diese Zeiten könnten sich dem Ende zuneigen. Am 27. März 2014 verhinderte ein lokales Bündnis in Stuttgart (»Initiative Klassenkampf«) erstmals ein entsprechendes Seminar der Kanzlei Schreiner+Partner. Und am 24.9.2014 organisierte das Bündnis »Aktionskreis Arbeitgebertage« lautstarken Protest gegen eine von der Verlagsgruppe Rentrop in Hamburg ausgerichtete Fortbildung für Manager (siehe Bericht).

Die Vorreiter

Seit 2001 beackern die deutschen Marktführer für explizites Union Busting – der Abeitsrechtler Helmut Naujoks sowie die Kanzlei Schreiner+Partner – dieses Feld. Sie sind mittlerweile durch zahlreiche Medienberichte und Veröffentlichungen zum Thema bekannt und verschrien, was ihr Geschäft vielleicht erschwert, aber keineswegs zum Erliegen bringt:
Der Arbeitsrechtsrambo Naujoks, der bereits 2007 durch einen eklatanten Fall von Betriebsrat-Bashing bei der Volksbank Ludwigsburg überregional Aufsehen erregte, durfte unlängst bei zahlreichen Filialen von Burger King sowie bei Götz-Brot in Würzburg, einem Zulieferer von Aldi, zulangen.
Der Druck, den er auf Beschäftigte ausüben kann, ist gewaltig, seine Erfolgsquote vor Gericht ist allerdings bescheiden.

»Schreiner+Partner« gehen in der Regel geschickter vor. Sie schulen Personalverantwortliche und Vorgesetzte in hausinternen Seminaren.
Bundesweit bieten sie in einer Art Wanderzirkus zudem »Arbeitgebertage« genannte Veranstaltungen in Hotels an, bei denen die »Kündigung der Unkündbaren« und »Minderleister« auf dem Programm steht.
Nach der Methode »Schreiner« kommen nicht selten unverdächtige lokale Anwälte oder auch renommierte Kanzleien zum Zuge, um die standardmäßige Flut an Abmahnungen und Kündigungen zu verschicken und vor Gericht zu vertreten. Dirk Schreiner und seine fünfzehn Partner scheuen, anders als Naujoks, das Licht der Öffentlichkeit.

Seit 2007 stößt die Bonner Verlagsgrupe Norman Rentrop mit ihrem Subunternehmen »BWRmedia« in das Segment des Hardcore-Arbeitsunrechts vor. Rentrops Imperium kümmert sich – neben konservativen Christen (Bibel TV) und ratlosen Millionären (Zentrum für Value Investing e.V.) – auch um mittelständische Unternehmer, die sich von den Marktgesetzen der globalisierten Welt zerrieben sehen und Rat suchen. Die Schuld suchen sie bei ihren Angestellten (»Minderleister«, »Blaumacher«), den Gewerkschaften (»Klassenkämpfer«, »Blockierer«) und beim Gesetzgeber (»Bürokratiemonster«). Rentrop beliefert sie mit Loseblattsammlungen, Ratgebern, Newslettern und Schulungen.
Bei den alljährlichen »Arbeitgebertagen zum Brennpunkt Betriebsrat« der BWRmedia treffen sich zwielichtige Anwälte und Vertreter großer Kanzleien, die gemeinhin als seriös gelten. Mit Burk­hard Boemke (Uni Leipzig) ist regelmäßig sogar ein echter Juraprofessor an Bord, der zudem als Managementberater eine Kanzlei betreibt (Boemke und Partner).

Experten für miese Tricks

Welch aggressiver Mief sich unter Boem­kes Professorentalar verbirgt, das illustrieren schon Titel und Untertitel seines Referats im Jahr 2013 bei den »Arbeitgebertagen zum Brennpunkt Betriebsrat«: »Betriebsratswahl 2014: So bekommen Sie den Betriebsrat, den Sie sich wünschen«.
Boem­ke dozierte unter anderem Folgendes: »Wenn Ihnen der gewählte Betriebsrat nicht paßt: Wahlanfechtung als Rettungsanker.«

Für den juristischen Laien klingt das, als finde hier Beihilfe bzw. Anstiftung zum Rechtsbruch statt. Die Beeinflussung und Behinderung von Betriebsratswahlen steht schließlich in der Bundes­republik nach Paragraph 119 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) unter Strafe.
Doch leider interessieren sich deutsche Staatsanwälte bislang nicht für diesen Bereich des Strafrechts. Bei Verstoß gegen Paragraph 119 ist immerhin eine Gefängnisstrafe von bis zu einem Jahr vorgesehen. Allerdings dürfte er zu den am stärksten ignorierten Straftatbeständen des deutschen Rechts gehören.

Professor Boemke, der seit 1998 als Direktor des Instituts für Arbeits- und Sozialrecht an der juristischen Fakultät der Universität Leipzig fungiert und bereits etliche Staatsanwälte in ihrer Ausbildung begleitet haben dürfte, trat im vorigen Jahr bei den BWRmedia-Arbeitgebertagen mit einem weiteren Referat hervor: »Kündigung der ›Unkündbaren‹: So trennen Sie sich selbst von Betriebsratsmitgliedern&Co.«.
Geliefert wurden hier Schritt-für-Schritt-Anleitungen, Informationen zu aktuellen Gerichtsurteilen auf diesem Feld und »Alternativen zur Kündigung«.

Auch andere Rechtsgelehrte lassen in den Ankündigungen der »Arbeitgebertage« ordentlich die Hosen runter: Über »Das optimale Wahlergebnis für Sie als Arbeitgeber: Betriebliche Strukturen geschickt gestalten und Freistellungsgrenzen beachten« referierte 2013 etwa Mathias Kühnreich, Partner der Sozietät Buse Heberer Fromm.
Und Eckard Schwarz, Leiter der Hamburger Arbeitsrechtsabteilung der Kanzlei Hogan Lovells erklärte 2012, unter welchen Voraussetzungen man Betriebsratsmitglieder mit einer außerordentlichen Kündigung loswerden kann.
Ferner wurden feilgeboten: Tips zur Überwachung und Kontrolle von Angestellten, zum Einsatz verdeckter Testkäufer (wieder von Burkhard Boemke).
Und Hermann Heinrich Haas, Partner der altehrwürdigen Hamburger Kanzlei Esche Schümann Commichau, widmete sich der Frage, wie man sogenannte Minderleister (»Low Performer«) »trotz Betriebsrats« und auch, wenn ihre Versäumnisse »schwer zu definieren und noch schwerer zu belegen« sind, loswerden kann.

Sprudelnde Profitquelle

Kongresse nach Art der »Arbeitgebertage« sind für Juristen nicht bloß eine willkommene Nebenerwerbsquelle, sondern auch eine Kontaktbörse; es geht darum, neue Kunden für die Kanzleien zu gewinnen. Die angeratenen Maßnahmen sollen im betrieblichen Alltag umgesetzt und durch Mandate versilbert werden.
Es geht um Wellen von Abmahnungen, Kündigungen, Klagen und Gegenklagen. So kommen meterdicke Aktenstapel und oft jahrelange Prozesse zustande.

Es ist eine Besonderheit des deutschen Anwaltsgewerbes, daß das »Modell Deutschland« und seine Mitbestimmung, die Tarifautonomie in blumigen Festreden stets gepriesen werden. Was die Unternehmerschaft und ihre Berater nicht davon abhält, Flächentarife, Organisationsmacht von Gewerkschaften und eben auch Betriebsräte seit den 1980ern nach Kräften auszudünnen, zu unterminieren oder in ganzen Branchen oder Regionen abzuschaffen.
Man sollte sich nicht täuschen lassen – weder vom gediegenen Auftreten renommierter Wirtschaftsanwälte noch von ihren gedämpften Formulierungen.
Die im Netz auffindbaren Werbebroschüren der bereits erwähnten Hamburger Arbeitgebertage belegen eindeutig, daß Union Busting auch von renommierten Juristen propagiert wird. Zudem sind die durch Referenten vertretenen Kanzleien keine unbeschriebenen Blätter.

So gerieten »Buse Heberer Fromm« bereits im November 2011 durch die systematische Zerschlagung von Betriebsräten der Steakhauskette Maredo an den Standorten Frankfurt am Main und Osnabrück in die Schlagzeilen. Das mit Hilfe der Juristen sorgfältig geplante Manöver umfaßte wochenlange Bespitzelung durch eingeschleuste Detektive, Videoüberwachung und eine Überfallaktion, bei der in der Frankfurter Freßgaß fast die gesamte gewerkschaftlich gut organisierte Belegschaft einer Filiale festgehalten, verhört und gekündigt wurde.
Parallel war Buse-Anwalt Jürgen Masling mit der Zerschlagung eines Betriebsrats in Osnabrück beschäftigt.

Gegenwärtig hat die Kanzlei ein Mandat für die Bekämpfung der Beschäftigtenvertretung beim Outsourcing-Giganten SellbyTel (BBDO) in Berlin.
SellbyTel betreibt dort ein Callcenter mit 500 Beschäftigten. Der im August 2013 gegründete Betriebsrat war von Anfang an mit erheblichem Gegenwind und Schikanen konfrontiert. Im August 2014 leitete Buse-Anwalt Thomas Grambow gegen neun von elf Betriebsratsmitgliedern ein Kündigungsverfahren ein.
Der Anwalt der Betroffenen, Martin Bechert, fand zum Vorgehen durch SellbyTel und »Buse Heberer Fromm« deutliche Worte: Dagegen müßten Politik und Gerichte etwas unternehmen. »Betriebsratsbehinderung ist eine Straftat und muß auch als solche geahndet werden. Union Buster sind Kriminelle und gehören hinter Schloß und Riegel.«

Gegenüber der Großkanzlei Hogan Lovells mit Sitz in London und Washington D.C. ist »Buse Heberer Fromm« aber noch ein kleiner Fisch. Lovells beschäftigt weltweit an 40 Standorten 2500 Anwälte und machte 2013 in Deutschland 149,5 Millionen Euro Umsatz.
Union Busting ist dabei eine Einnahmequelle, auf die man offenbar nicht verzichten möchte. So ist die Kanzlei seit 2013 für den Windkraft-Marktführer Enercon in Aktivitäten gegen eine Organizing-Kampagne der IG Metall eingebunden.

Wer als engagierter Gewerkschafter oder als Betriebsratsmitglied eine gesicherte Zukunft in einem deutschen Betrieb haben will, sollte sich also dafür interessieren, auf welche Schulungen seine Personalleiter so fahren und welche »Coaches« für »Inhouse«-Seminare in die Firma kommen.
Es lohnt sich außerdem, die Vorgeschichte von Kanzleien und Unternehmensberatern zu recherchieren, die Augen offen zu halten und gelegentlich auch, unbekannte Auto­kennzeichen auf den Parkplätzen der Personalabteilung aufzuschreiben.

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Elmar Wigand hat soeben gemeinsam mit Werner Rügemer zum Thema das Buch »Die Fertigmacher. Arbeitsunrecht und professionelle Gewerkschaftsbekämpfung« veröffentlicht (Papyrossa Verlag, Köln 2014, 220 Seiten, 14,90 Euro).

https://www.youtube.com/watch?v=tkG33PFMkk4

Nachtrag: Eine Studie der beiden für die Otto-Brenner-Stiftung kann hier herunter geladen werden:

https://www.otto-brenner-shop.de/uploads/tx_mplightshop/AH77_UnionBusting_WEB.pdf

Anmerkung: Norman Rentrop praktiziert seit Jahrzehnten mit der Zeitschrift „Die Geschäftsidee“, wo Leute animiert werden, für teures Geld zweifelhafte Ratschläge zur Selbständigkeit zu beziehen. Er überzog Leute, die aus Verträgen aussteigen wollen, mit Prozessen.

Jochen