Verteufelter Feind: Die klassischen Prinzipien der Kriegspropaganda in den westlichen Narrativen gegen Russland und China. Von Anne Morelli

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Dieser Artikel aus der jungen Welt passt so gut zu meinem Hauptthema, dass ich ihn hier in ganzer Länge wiedergebe – mit einer Auswahl an Leserbriefen.
Dazu kommt aktuell am 12. 1.2022 ein Interview in der jungen Welt, weiter unten.
Die 10 Prizipien der Kriegspropaganda habe ich auch schon hier beschrieben: https://josopon.wordpress.com/2022/07/08/von-syrien-bis-zur-ukraine-dieselben-10-regeln-der-kriegspropaganda-von-lord-posonby/
und deren aktuelle Auswirkungen hier: https://josopon.wordpress.com/2016/09/27/salven-aus-den-verlagshausern-der-anteil-der-medien-an-den-kriegen-des-westens/
und vor dem Beginn der „Sonderoperation“ hier: https://josopon.wordpress.com/2022/02/17/die-vor-kriegspropaganda-und-die-strategische-kommunikation-der-nato/

Verteufelter Feind

Die klassischen Prinzipien der Kriegspropaganda finden sich auch im westlichen Vorgehen gegen Russland und China

Von Anne Morelli

https://www.jungewelt.de/artikel/441874.kriegspropaganda-verteufelter-feind.html

Alle militärischen Konflikte werden von Propaganda begleitet. Die erste durch schriftliche und visuelle Quellen überlieferte Schlacht der Antike bildete da keine Ausnahme. Nachdem 1274 v. u. Z. die Ägypter gegen die Hethiter bei Kadesch im heutigen Syrien gestritten hatten, ließ Ramses II. einen »Sieg« für die Nachwelt festhalten – obwohl er ein großes Gebiet verloren hatte. Es war schon damals wichtig, die Untertanen glauben zu lassen, dass für das eigene Lager alles gut und für die Gegner alles schlecht laufe.
Der römische Prokonsul Julius Cäsar stellte seine siegreichen Feldzüge gegen die Gallier 58 bis 51 v. u. Z. als »Defensivkrieg« dar. Angeblich waren es die Gallier, die angriffen, und er habe diese Offensive vorausgesehen und müsse ihr zuvorkommen. In dem Bericht, den er dem römischen Senat vorlegte, beschrieb er die Täuschungsmanöver seiner Feinde, übertrieb deren Stärke und versicherte, dass ihre Verluste extrem hoch seien. Und warum hatte er diesen Krieg geführt? Wenn man ihm glauben will, dann natürlich, um Gallien zu »befrieden«.
Zweifellos haben die englischen Karikaturen, die Napoleon als Unhold zeigten, die öffentliche Meinung zur Allianz der konservativen Mächte gegen Frankreich beeinflusst. Die Grundsätze der Kriegspropaganda wurden also zu allen Zeiten angewandt, aber nicht von Agenturen, die in großem Maßstab mit spezialisiertem Personal arbeiten. Erst im Ersten Weltkrieg wurden sie zum Gegenstand systematischer und »professioneller« Kampagnen.

In diesem Konflikt standen sich hauptsächlich Frankreich, Großbritannien und Russland, die Triple Entente, auf der einen Seite und Deutschland und Öster­reich-Ungarn auf der anderen Seite gegenüber. Auf beiden Seiten wurde das ganze Potential an Vorstellungskraft ausgeschöpft, um die Kriegspropaganda zu nähren. Dank des 1928 erschienenen Buchs »Falsehood in Wartime« von Lord Arthur Ponsonby (1871–1946), der daran beteiligt und – als Pazifist – ange­widert war von dem, was er gesehen hatte, sind wir heute besonders gut über die Organisation der offiziellen britischen Propaganda informiert.
Ponsonby hat eine Reihe der von ihr erfundenen Kriegslügen entlarvt. Die britische Propaganda­abteilung wurde von Alfred Harmsworth (1865–1922) geleitet, einem bekannten Journalisten und Verleger, der 1918 wegen seiner Verdienste als Propagandadirektor zum Viscount geadelt worden war. Lord Northcliffe, so sein neuer Name, kannte keine Skrupel, wenn es darum ging, den Hass des Volkes zu schüren und dafür zu sorgen, dass genügend Freiwillige rekrutiert wurden, um den Krieg der Triple Entente fortzusetzen. Arthur Ponsonby beschrieb die wesentlichen Mechanismen der Kriegspropaganda. Ich habe sie in zehn »Geboten« beziehungsweise elementaren Grundsätzen systematisiert. Wir werden anhand der westlichen Narrative über Russland und China prüfen, ob sie ein Jahrhundert später immer noch wirksam sind.

Wir wollen keinen Krieg

Um einen Krieg populär zu machen, muss die Öffentlichkeit davon überzeugt werden, dass wir uns in Notwehr befinden und der »andere« angefangen hat. Der »andere« ist von expansionistischen Visionen getrieben. Es ist also Russland, das als alleiniger Verantwortlicher für den Krieg in der Ukraine betrachtet wird.
Doch schon Machiavelli warnte davor, immer nur denjenigen, der als erster sein Schwert zieht, als Verantwortlichen für einen Konflikt anzusehen. Denn der Angreifer kann in eine Situation geraten sein, in der es für ihn keine andere Möglichkeit mehr gab, als in einen offenen Krieg einzutreten.

Heute spricht der Westen von einem »russischen Angriff« auf die Ukraine im Februar 2022, ohne zu berücksichtigen, dass das Vordringen der NATO nach Osten aus der Sicht Moskaus eine konkrete Bedrohung des eigenen Territoriums darstellt, auf die man – in die Enge getrieben – irgendwann »reagieren« muss.

In den vergangenen acht Jahren musste Russland verschiedene westliche »Offensiven« über sich ergehen lassen: die (organisierte) Dürre auf der Krim, seitdem Kiew die Halbinsel von der Wasserversorgung aus dem Dnepr abgeschnitten hat, das Massaker in Odessa vom 2. Mai 2014, den regelmäßigen Beschuss des mehrheitlich von russischsprachigen Menschen bewohnten Donbass durch die vom Westen aufgerüstete ukrainische Armee.
Während NATO und EU seit 2014 behaupten, »auf die russische Herausforderung zu reagieren«, spricht der Kreml von »präventiver Verteidigung«, um seinen Kriegseintritt zu rechtfertigen. Der Westen seinerseits versichert, dass seine Vorstöße in den Osten dazu dienen, sich selbst zu »schützen«.

Die westliche Propaganda unterstellt Russland und China imperialistische Interessen. Dabei haben diese viel weniger Militärstützpunkte im Ausland als die USA, die mehr als 725 Basen außerhalb ihres Staatsgebiets unterhalten und deren Budget für Militärausgaben mit 2.187 Dollar pro Kopf viel höher liegt als bei ihren Gegnern. Aber es ist wichtig, die Öffentlichkeit glauben zu machen, dass wir von einem bedrohlichen Feind in die Enge getrieben werden.

Dämonisierung des Gegners

Wenn die öffentliche Meinung nicht für den Kriegseintritt ist, dann muss man den Anführer des Gegners als teuflischen Verrückten darstellen, den zu beseitigen unsere Pflicht ist.
Im Ersten Weltkrieg wurde Kaiser Wilhelm II. von der Propaganda der Triple Entente als blutrünstiger Wahnsinniger beschrieben, der persönlich den Befehl gegeben habe, die Kathedrale von Reims und die Bibliothek der Universität Leuven in Belgien niederzubrennen. In späteren Konflikten kam derselbe Mechanismus zur Anwendung.
Die NATO-Offensive gegen Jugoslawien war demnach notwendig, um den Staatspräsidenten Slobodan Milosevic gefangenzunehmen, der Krieg gegen den Irak wurde angeblich gegen Saddam Hussein geführt, der Angriff Frankreichs auf Libyen, der von den USA unterstützt wurde, erfolgte, so die westliche Propaganda, um das Land von Muammar Al-Ghaddafi zu befreien – obwohl der libysche Staatschef noch kurz zuvor im Élysée-Palast als wertvoller Verbündeter begrüßt worden war.

Auch in den gegenwärtigen westlichen Erzählungen findet sich dieses einfache Prinzip: Wir führen keinen Krieg gegen Russland, sondern gegen Putin, der an Paranoia leidet.
Die Tageszeitung La Libre Belgique beschreibt den russischen Präsidenten als sowjetischen Zaren. Der Publizist Bernard-Henri Lévy bescheinigt ihm »mörderische Unzurechnungsfähigkeit«, nennt ihn »Iwan den Schrecklichen« und »Eierabreißer«.
In dem in Brüssel erscheinenden Nachrichtenmagazin Le Vif fand sich bereits 2014 ein Artikel mit der Überschrift »Wie man Putin stoppen kann«, in dem dessen »Bösartigkeit« angeprangert wurde. Der Sender TV5 Monde titelte »Wladimir Putin: Russland als Eroberer« – obwohl das Land seit 1990 einen Großteil seiner Einflussgebiete verloren hat. Wladimir Putin sei ein »Killer«, sagte der US-amerikanische Präsident Joseph Biden im März 2021. Diese Bezeichnung wurde von der europäischen Presse einfach übernommen, obwohl sich die beiden Männer drei Monate später in Genf treffen sollten.

Da Xi Jinping der Führer des anderen großen Feindes der westlichen Welt ist, gibt es auch für ihn wenig lobende Worte: Der »neue Mao« soll seine Rivalen vertrieben haben, um dem Personenkult um sich selbst mehr Raum zu geben. Er wird als »Kaiser« tituliert, der auf dem Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas seine »Krönung« gefeiert habe.

Natürlich sind es immer die Regimes der anderen Seite, die aus gefährlichen Verrückten bestehen. »Unsere« Führer sind alle gesund und menschlich.

Als Sigmund Freud 1930 den Wahnsinn des 28. US-amerikanischen Präsidenten Thomas Woodrow Wilson beschrieb, der eine entscheidende Rolle im Ersten Weltkrieg gespielt hatte, wurde dessen Psychoanalyse zurückgehalten und durfte erst 1967 veröffentlicht werden.

Es war wohl zu beunruhigend für die Amerikaner zu erfahren, dass es auf »unserer« Seite einen Führer gab (Wilson war unter anderem davon überzeugt, eine besondere persönliche Beziehung zu Gott zu haben), der in Wirklichkeit unfähig war, sein Land zu regieren und die Zukunft Europas zu gestalten.

Edle Motive des eigenen Lagers

Um die öffentliche Meinung für den Krieg zu mobilisieren, muss man die Bevölkerung überzeugen, dass »wir« ihn nur für gute Zwecke führen. Wir sprechen also nicht über unsere Expansionspläne oder die wirtschaftlichen Gründe für unsere kriegerischen Unternehmungen. Die kriegstreiberische Einigkeit lässt kein Wort über das US-amerikanische Schiefergas zu, das zu hohen Preisen das russische Gas ersetzen soll.
Natürlich auch nicht über das europäische Projekt, das eine in die NATO und EU integrierte Ukraine von morgen als gute Gelegenheit für »Standortverlagerungen in der Nähe« sieht: Weniger weit entfernt als Asien und Afrika, könnten dort mit geringeren Transportkosten vom Westen benötigte Produkte hergestellt werden. Da die einheimischen Arbeitskräfte in der Ukraine immer noch zu teuer und vor allem durch ein aus der Sowjetzeit stammendes Arbeitsgesetz geschützt sind, müssen diese Barrieren beseitigt und die Arbeitsbedingungen beispielsweise durch eine Erhöhung der täglichen Arbeitszeit auf zwölf Stunden und leichter mögliche Entlassungen »liberalisiert« werden.
Es müssen also Maßnahmen ergriffen werden, wie sie der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij mit der Bekämpfung der Gewerkschaften des Landes bereits eingeleitet hat.

Die westlichen Medien dagegen berichten nur von »unseren« edlen Neigungen, dem Feind unserer Feinde zur Hilfe zu eilen. Und so ist auch »unsere« Unterstützung für Taiwan und Tibet nur als ein Eintreten für das Selbstbestimmungsrecht der Völker zur verstehen (nicht etwa aus der Hoffnung geboren, China zu schwächen). Wir verteidigen das Recht des Kosovos, sich von Jugoslawien abzuspalten, aber nicht der Krim und der Oblast Donezk, sich von der Ukraine zu lösen. Putin versichert, dass Russland Krieg gegen den wiederauflebenden Faschismus führt. Die NATO behauptet, für die Demokratie zu kämpfen.
Viele Länder, die von der NATO gestützt werden, sind keine Vorbilder für Demokratie. Bereits im Ersten Weltkrieg trat die Triple Entente angeblich für die Demokratie ein – gemeinsam mit dem russischen Zaren!

Der Kampf gegen die russischen »Oligarchen« ist scheinbar auch ein edles Motiv. Die Definition des Wortes »Oligarch« ist klar: Es handelt sich um einflussreiche Personen, die die Wirtschafts- und ebenso weitgehend die Medienmacht an sich gerissen haben. Das trifft zweifellos auch auf einige Personen in Frankreich zu, etwa Arnaud Lagardère, Bernard Arnoult, François Pinault, die Dassault-Familie etc. Aber diese Kaste – die insbesondere das Medienmonopol in ihren Händen hat – anzugreifen würde eine Revolution bedeuten.

Die Frage der Menschenrechte, insbesondere der Religionsfreiheit, ist ein häufig angeführter Grund für Konflikte mit China, nicht von Interesse sind aber die Rechte der Palästinenser oder der Frauen in den muslimischen Ländern, die mit den USA verbündet sind. Beispielsweise betreibt die französische Regierung im eigenen Land eine rigide Antisektenpolitik, in China hingegen fördert sie mit Falun Gong eine neugegründete taoistische Bewegung.
Am 24. April 1999 waren 10.000 Falun-Gong-Anhänger in das Gebäude der chinesischen Regierung eingedrungen. Es ist unwahrscheinlich, dass die französische Regierung es hinnähme, wenn eine vom Ausland unterstützte Sekte versuchte, den Élysée-Palast zu besetzen.

Die Greueltaten der Feinde

Leider gibt es keinen Krieg ohne Gewalt. Aber die Propaganda will uns das Gegenteil glauben machen. Im Krieg zwischen der NATO und Russland um die Ukraine wird nur über die Verbrechen der Truppen des Kremls berichtet.

Wenn Human Rights Watch und Amnesty International sich über Folterungen und Hinrichtungen, die von Ukrainern an Russen, insbesondere an Gefangenen, begangen werden, besorgt äußern, dann ist das Echo bei uns gering, und Meldungen darüber schaffen es nicht auf die Titelseiten der Zeitungen.
Empathie soll nur für die Opfer des Feindes und nicht für die Opfer des NATO-Aspiranten aufgebracht werden. Die Tragödie von Flüchtlingen ist nur dann rührend, und diese sind nur dann der Solidarität würdig, wenn sie als Zeugen der feindlichen Barbarei auftreten.
Der Krieg in der Ukraine hat auch Teile der im Osten des Landes lebenden russischen Bevölkerung gezwungen, ihre Dörfer zu verlassen – aber wen interessiert das schon?

Ähnlich die antichinesische Propaganda. Die westlichen Medien sind voll von Berichten über die Schrecken, die Uiguren erlitten: Zwangsassimilation, Unterricht auf chinesisch, Bekämpfung des Separatismus etc.
Die beschriebenen Maßnahmen spiegeln die Unterdrückungsmethoden, die die europäischen Kolonialherren gegen die indigenen Völker angewandt haben.
Bis vor kurzem wurden in Kanada noch die Kinder der Ureinwohner in einer Fremdsprache, Englisch, unterrichtet und gezwungen, mit dem Christentum eine Religion auszuüben, die nichts mit ihrem angestammten Glauben zu tun hat. Da sie zudem Experimenten und vielen Entbehrungen ausgesetzt waren, starben Tausende von ihnen.
Hört man häufiger vom tödlichen Schicksal der Ureinwohner Kanadas oder von den Uiguren, über die die meisten Nachrichten von dem alles andere als objektiven Radio Free Asia stammen?

Die illegalen Waffen des Feindes

Laut der binären Sichtweise, die die Kriegspropaganda vermittelt, muss der Feind hinterlistig sein und unerlaubte Strategien und Waffen einsetzen. So beschuldigt Moskau die Ukraine, ein geheimes biologisches Waffenprogramm zu entwickeln, das von den USA gefördert werde. Dazu muss man allerdings sagen, dass die WHO im März 2022 der Ukraine nachdrücklich empfohlen hat, »die in ihren Labors aufbewahrten hochgefährlichen Krankheitserreger zu vernichten«.
Beide Seiten werfen sich gegenseitig vor, dass nur der andere Clustermunition verwende. Tatsächlich wurde sie erst von Kiew im Donbass und später von Moskau eingesetzt. Phosphorbomben werden von westlichen Medien als besonders »unmenschlich« bezeichnet; nicht erwähnt wird, dass sie von Briten und US-Amerikanern bereits im Zweiten Weltkrieg über Deutschland abgeworfen worden waren.

Terrorismus scheint die perfideste Waffe zu sein, und jeder wirft dem anderen vor, sich seiner Methoden zu bedienen, selbst wenn es sich um Cyberangriffe des Gegners handelt. Aber wenn unser Verbündeter ein Flugzeug zur Landung zwingt, um eines politischen Feindes habhaft zu werden – wie es 2016 mit dem Anti-Maidan-Reporter Armen Martirosjan in Kiew geschehen ist –, dann ist das natürlich absolut kein Akt der Piraterie.
Dem Gegner wird vorgeworfen, keine regulären Truppen, sondern geldgierige Söldner und sogar Killerroboter einzusetzen. »Wir« hingegen schicken nur »Freiwillige« an die Front, die von der Richtigkeit »unserer« Sache verzaubert sind und uneigennützig handeln.
Auch im Propagandakrieg gegen China ließ der Westen es sich nicht nehmen, Beijing des Einsatzes »illegaler Waffen« zu bezichtigen. US-Präsident Donald Trump war nicht der einzige, der Covid zur B-Waffe erklärte. Bereits im Mai 2020 überschwemmte die Falun-Gong-Sekte Belgien mit der Nachricht, dass die Kommunistische Partei Chinas für Corona verantwortlich sei.
Außerdem wird China beschuldigt, seine Konfuzius-Institute im Ausland hinterlistig für die Verbreitung seiner Propaganda zu nutzen – obwohl alle vergleichbaren Institute europäischer Länder, Goethe, Cervantes, Institut français usw., sowie der USA ebenfalls als kulturelle Schaufenster für politische Zwecke dienen.

Zu den elementaren Grundsätzen der Kriegspropaganda gehört es, gleich zu Beginn des Konflikts zu verkünden, dass »wir« bereits die Sieger sind und die Niederlage unseres Feindes besiegelt ist. Nur bei ihm häufen sich Fälle von Fahnenflucht. Es wird unentwegt betont, dass »wir« viele Gefangene machen und beim Gegner die Deserteure Legion sind. Im November 2022 widmete die Illustrierte Paris Match einem russischen Deserteur ein Titelbild.

Dagegen werden die Desertionen im eigenen Lager konsequent verschwiegen. Die Caritas berichtete von ukrainischen Deserteuren, die Grenzbeamte bestechen und sich nachts durch die Wälder nach Ungarn oder Rumänien absetzen. Wer aber auf westlichen Webseiten nach Artikeln über ukrainische Deserteure sucht, erhält Informationen über russische.

Unterstützende Meinungsmacher

Um den Eindruck von Einstimmigkeit für »unsere« Sache zu erwecken, werden in großem Umfang Meinungsmacher herangezogen. Die Intellektuellen, die sich gegen Russland und China engagieren, bekommen Zugang zu den Mainstreammedien. Diejenigen, die sich kritisch oder zögerlich äußern, werden systematisch ausgegrenzt.
Auch die »Stars« des Showbusiness müssen Partei ergreifen. Die Sängerin Britney Spears reiste nach Afghanistan und der Schauspieler Bruce Willis 2003 in den Irak, um die Moral der US-Truppen zu stärken. Gegenwärtig unterstützen Sean Penn, Madonna und Angelina Jolie die Ukraine und rufen zum Boykott der Zögerer auf.
So wurde der Filmemacher Sergej Losniza aus dem Verband der ukrainischen Filmemacher ausgeschlossen, weil er als zu kosmopolitisch und zuwenig patriotisch gilt.
Die Dirigenten Tugan Sochijew und Waleri Gergijew, die in Toulouse und in Mailand tätig sind, wurden aufgefordert, ihre politischen Positionen öffentlich klarzustellen.
Es ist undenkbar, ein Konzert von einem Orchester unter der Leitung von Künstlern zu genießen, die nicht eindeutig für »uns« sind.

In jedem Konflikt berufen sich die Kriegsparteien auf Gott: »Allahu akbar« antwortet auf »Gott mit uns«. Die russisch-orthodoxe Kirche predigt den Krieg gegen die NATO, die nach ihrer Erzählung die Kräfte des Bösen, der Unmoral und des Verfalls der christlichen Zivilisation repräsentiert.
Auf der anderen Seite lässt die Kiewer Regierung das russische Patriarchat in der Ukraine als Agenten des Feindes verfolgen, um es zu beseitigen und sein Eigentum zu konfiszieren. Natürlich unterstützt die ukrainische Kirche ohne zu zögern Präsident Selenskij.

Die »Verräter«

Das zehnte Prinzip der Kriegspropaganda besagt: Diejenigen, die die Politik der eigenen Seite nicht vollständig gutheißen, oder diejenigen, die Behauptungen des eigenen Lagers anzweifeln, sind als Agenten des Feindes zu behandeln.

Weil Papst Franziskus sich vorsichtig zwischen den beiden Kriegsparteien Russland und Ukraine bewegt, stempelt man ihn als »Putin-Versteher« ab.
Universitätsseminare werden abgesagt, weil die Dozenten sich nicht eindeutig für »unsere« Seite ausgesprochen haben, Pazifisten aus den Mediendiskursen herausgedrängt.
Der Corriere della Sera veröffentlichte eine Liste mit den Namen und Fotos von Wirtschaftswissenschaftlern, Parlamentariern und Journalisten und behauptete einfach, dass diese Personen Putins Netzwerk in Italien angehören würden – nur weil sie der Beteiligung ihres Landes am NATO-Krieg gegen Russland nicht zustimmen.
In Belgien erinnerte ein junger Parlamentsabgeordneter der Partei der Arbeit daran, dass Russland seit acht Jahren von der NATO bedrängt wird und die Ukraine eine Mitverantwortung für den Krieg trägt. Daraufhin bezeichnete der Premierminister Alexander De Croo ihn als »Verbündeten« Putins.
Als Alice Schwarzer in der Zeitschrift Emma einen offenen Brief von 28 Intellektuellen veröffentlichte, die sich gegen die Lieferung schwerer Waffen an Kiew aussprachen, behauptete der ukrainische Botschafter in Deutschland, die feministische Publizistin würde Massenvergewaltigungen durch russische Soldaten in Kauf nehmen.

Tucker Carlson, Kolumnist des konservativen Senders Fox News, zog einen Vergleich, um seinem Publikum die Situation Russlands zu erklären: »Was würden die USA sagen, wenn sie jetzt an ihrer Südgrenze ein von den Chinesen kontrolliertes Mexiko hätten?« Daraufhin wurde er als Verräter im Dienste des Feindes angeprangert und seine Verhaftung gefordert.

Zum Schluss

Die Grundprinzipien der Kriegspropaganda, die Lord Ponsonby nach dem Ersten Weltkrieg ausgemacht und herausgearbeitet hatte, bilden auch heute das Fundament der westlichen Narrative gegen Russland und China. Die Verbreitung von Desinformation ist nicht nur eine Methode, die »unsere« Feinde verwenden.
Der US-amerikanische PR-Konzern Hill and Knowlton ersann die »Brutkastenlüge«, mit der 1990 der Krieg gegen den Irak gerechtfertigt wurde.
Die in New York und Beijing ansässige Agentur Ruder Finn war für die NATO in den Balkankriegen tätig.
Und es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass dem ukrai­nischen Präsidenten und seiner Ehefrau Olena mit Kwartal 95 ein Kulturindustrieunternehmen gehört, das unter anderem Werbekampagnen produziert.

Bevor man einen Krieg führt, muss man ihn der öffentlichen Meinung verkaufen und den Feind durch eine binäre Sicht des »anderen« konstruieren.

Anne Morrelli ist Historikerin und Honorarprofessorin an der Universität Brüssel. 2001 veröffentlichte sie das Buch »Principes élémentaires de propagande de guerre«, das in sieben Sprachen erschienen ist und mittlerweile als Klassiker gilt. Anne Morelli wird auf der XXVIII. Rosa-Luxemburg-Konferenz über die Kriegspropaganda der NATO referieren.

Übersetzung: Susann Witt-Stahl

Leserbriefe

  1. Den Beitrag finde ich außerordentlich gut. Ergänzen möchte ich, dass ich einmal gelernt habe: es gibt gerechte und ungerechte Kriege. Gerechte sind die zur Verteidigung des eigenen Landes und Befreiungskriege. Russland hat m. E. im Februar einen »präventiven Verteidigungskrieg« eingeleitet, da die Ukraine, unterstützt von der NATO, die sich wortbrüchig nach Osteuropa ausgedehnt hatte und weitere Länder u. a. Georgien und die Ukraine aufnehmen wollte; einen Krieg gegen ihren Erzfeind Russland geplant hatte. Nicht nur die Exkanzlerin gab ja unlängst zu, dass die Minsker Abkommen nur abgeschlossen wurden, um Zeit für die Aufrüstung der Ukraine zu gewinnen, aber nie eingehalten werden sollten. Der kollektive Westen ist dafür verantwortlich, dass in den acht Jahren nach dem Maidan circa 12.000 Menschen in den abtrünnigen Gebieten getötet wurden. Waren das noch nicht genug?
    Und zu den Uiguren: Wie ein 2021 veröffentlichtes Weißbuch beschreibt, lebten in Xinjiang im Jahr 2020 circa 11,62 Millionen Menschen mit uigurischer Nationalität. Im Jahr 1953 waren es hingegen nur 3,61 Millionen. Die Gruppen der Han-Nationalität, der uigurischen Nationalität und weitere kleinere Ethnien nahmen in Xinjiang in den letzten Jahren kontinuierlich zu – weil hier die Ein-Kind-Politik Chinas nicht galt – und weisen eine immer höhere Lebenserwartung auf. Die Zahl der Uiguren wuchs in den vergangenen 20 Jahren um 1,67 Prozent jährlich. Diese Rate ist deutlich höher als bei anderen ethnischen Gruppen.

  2. Zwischen Propaganda und »verteufeln« besteht ein Unterschied. Der russische Präsident wird seit Jahren, lange vor dem Ukrainekrieg, in den westlichen Hauptmedien oder deren Leserforen bzw. von westlichen Politikern tatsächlich verteufelt. Den Beleidigungen und Dreckschleudern sind keine Grenzen gesetzt. Nie wird ein derartiger Post gelöscht.
    Putin ist im Westen seit langem verbal für vogelfrei erklärt. Jeder darf sich hier alles erlauben, bis hin zum Mordaufruf. Etwas Vergleichbares habe ich in Russland nie erlebt, auch jetzt nicht, obwohl die Wortwahl aggressiver wird. Hier verteufelt eben nicht jeder jeden.
    Betreffs der Bezeichnung für das ukra­inische Militär kenne ich in den russischen Medien nur drei Varianten. Entweder die ukrainischen Streitkräfte werden neutral so benannt.
    Oder man nennt sie »Nazisten« oder »Banderovzy« (die Banderaleute). Dies ist insofern Propaganda, als natürlich nicht alle zum Dienst einberufenen ukrainischen Soldaten deshalb automatisch Neonazis sind, daher wohl der ständige Wechsel in der Bezeichnung, wie man sie nennen soll. Aber es kommt der Wahrheit dennoch sehr nahe, da Staat und Armee in der Ukraine tatsächlich stark nazistisch beeinflusst sind.
    Dies lässt sich u. a. auch dadurch beweisen, wie man seitens hochrangiger Politiker, Armeeführung und Medien umgekehrt die Russen nennt: »Die Orks«. Das sind Monster, die keine Menschen sind. Sie sind sogar noch weniger menschlich als die von Goebbels und Himmler erdachten »Untermenschen«, die immerhin noch Menschen waren, wenn auch keine vollwertigen, erhaltenswerten Menschen.
    Was wir gerade in der Ukraine erleben, ist also in der Ideologie noch schlimmer als im Dritten Reich. Umgekehrt würde es in Russland trotz des Krieges niemandem einfallen, einem Ukrainer das Menschsein abzusprechen. Ein Schriftsteller, welcher die Russen als »Abschaum« und »Tiere« bezeichnet, hat den »Friedenspreis« des deutschen Buchhandels erhalten. Man ist traditionsbewusst.

  3. Ergänzend zu dem guten Artikel sei angemerkt, dass die Sonderoperation russischerseits nur sekundär mit nötiger »präventiver« Selbstverteidigung Russlands gerechtfertigt wird.
    An erster Stelle der Rechtfertigung – und juristisch viel haltbarer – steht vielmehr das Selbstverteidigungsrecht der Donbassrepubliken gegen den (seit Mitte Februar massiv intensivierten!) Beschuss durch Kiew. Ziel der Sonderoperation sei es, »die Menschen zu schützen, die seit acht Jahren von dem Kiewer Regime misshandelt und ermordet werden« (Putin, 24.2.2022). Putin beruft sich in seiner Rede ausdrücklich auf den Hilferuf der Donbassrepubliken und auf Artikel 51 der UN-Charta, der bekanntlich das individuelle und kollektive Selbstverteidigungsrecht als »naturgegeben« bezeichnet. Damit ist das Selbstverteidigungsrecht da, egal, ob es dem Westen und den Baerbocks und den Habecks gefällt oder nicht.
    Auch Russen dürfen nun mal nicht gnadenlos niedergemetzelt werden, selbst dann nicht, wenn sie in der Ostukraine leben.

»Propaganda wirkt nur als binäres System«

David gegen Goliath: In bürgerlicher Berichterstattung über Ukraine-Krieg zeigen sich jahrhundertealte Prinzipien. Ein Gespräch mit Anne Morelli
Interview: Susann Witt-Stahl

Die zentralen Prinzipien der Kriegspropaganda beschreiben Sie als transhistorische Phänomene, die schon in der Antike galten. Dabei nehmen Sie Bezug auf Arthur Ponsonbys Klassiker »Falsehood in Wartime« von 1928. Gibt es auch etwas, das sich grundlegend verändert hat?

Die Professionalisierung ist die wichtigste Neuerung. Heute werden systematisch die Dienste von PR- und Werbeagenturen in Anspruch genommen. Diese arbeiten nicht ideologisch motiviert, sondern führen einfach Aufträge aus. Heute Pepsi-Cola, morgen kann es schon die Vermarktung des Irak-Kriegs sein. Dafür werden Akteure rekrutiert, die darauf trainiert sind, stets das Richtige zu sagen und vor Publikum zu sprechen.

Im Ukraine-Krieg speist sich die Propaganda vorwiegend aus affektiven Bildern, die offenbar intensive emotionale Regungen hervorrufen sollen. Kritiker sprechen bereits von einem »Tik-Tok-Krieg«. Gab es früher ein vergleichbares Ausmaß an Gefühlsmanipulation?

Propaganda muss immer mit Emotionen spielen: Im Ersten Weltkrieg war es beispielsweise die Rührung angesichts der belgischen Flüchtlinge, die Opfer der »deutschen Barbarei« waren. Es wird Bewunderung für den Mut von David erzeugt, der gegen Goliath kämpft – die kleine Ukraine gegen den großen russischen Wolf –, und Abscheu vor dem verrückten und blutrünstigen Anführer der Gegenseite. Und es gibt die Freude darüber, bald den Sieg der »Unseren« zu erleben.

Die Pressefotos von den Kämpfen um »Asowstal« in Mariupol strotzten vor Feuer-und-Blut-Kult, die ukrainischen Kämpfer wurden mit Leonidas’ Spartiaten verglichen. Erleben wir gerade ein Revival des faschistischen Heldenkults?

Die Verehrung des heroischen Elitekriegers des Westens war auch in den Kolonialkriegen nach 1945 sehr präsent. Zum Beispiel während des französischen Indochina-Kriegs: Der Zeichner Étienne Le Rallic verherrlichte in seinen Comics große blonde Legionsoffiziere, die gegen die »Viets« kämpfen. Heute ist dagegen der Soldat im »humanitären« Einsatz das am meisten gepriesene Idol.

Seit wann ist das zu beobachten?

Bereits im Ersten Weltkriegs begannen sich die Bilder der beiden Identifikationsfiguren zu überlagern: Im Kino wurde der heroische Kämpfer inszeniert, in anderen Mainstreammedien hatte sich schon eindeutig der »humanitäre Soldat« durchgesetzt. Wir alle haben gerne Wohltäter auf unserer Seite, die lieber Frauen, Kinder und Alte beschützen und mit Nahrung versorgen, als Gewalt anzuwenden.

Dazu gehört das Narrativ von »unserer Führung« als selbstlose Retter. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij verkörpert es mit Unterstützung der Boulevardmedien idealtypisch – obwohl er bekanntermaßen ein Steuerhinterzieher ist, die Opposition brutal unterdrückt und seine Soldaten gnadenlos in den »Fleischwolf« Donbass jagt.

Im Ersten Weltkrieg spielten die belgischen Monarchen diese Beschützerrolle: König Albert trat als tapferer Ritter eines sehr kleinen bedrohten Landes auf, Königin Elisabeth als Krankenschwester, die ihn an die Front begleitet – ein mythisches Paar. Beim ideologischen Aufbau der Helden ist stets auf die Yellow Press Verlass; ein Teil davon ist ja auch in der Hand von mächtigen Waffenhändlern.

Ein wiederkehrendes Motiv ist die Dämonisierung des Feindes. Im gegenwärtigen Krieg werden die russischen Soldaten vorwiegend als triebgesteuerte Vergewaltiger darstellt – mit Klischees behaftet, die aus dem Zeitalter des Kolonialismus stammen. ­Warum funktioniert das heutzutage immer noch?

Propaganda wirkt nur als binäres System. Daher muss der feindliche Soldat als das radikale Gegenteil zu unserem freundlichen Soldaten inszeniert und moralisch belastet werden: Er ist sadistisch, greift unschuldige Menschen an und vergeht sich an jungen Mädchen. Und unsere Truppen kämpfen nur gegen das Monster – Saddam, Milosevic, Putin –, nie gegen die Bevölkerung. Mit dieser Erzählung soll ethisch motiviertem Widerstand gegen den Krieg vorgebeugt werden.

Über Diskussionsbeiträge hier in meinem Blog würde ich mich freuen.

Jochen

Von Syrien bis zur Ukraine: Dieselben 10 Regeln der Kriegspropaganda von Lord Posonby

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Karin LeukefeldWichtige Beobachtung von Karin Leukefeld in den NachDenkSeiten:
https://www.nachdenkseiten.de/?p=85647
Bei der Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine werden in deutschen Medien altbekannte Regeln der Kriegspropaganda aus dem Syrienkrieg angewendet.
Die gegnerische Seite (Russland) sei verantwortlich, der russische Präsident wird dämonisiert. Man sei „nicht Kriegspartei“, die gelieferten Waffen dienten nur der Selbstverteidigung der Angegriffenen. Diese kämpften heldenhaft während die gegnerische Armee verbotene Waffen einsetze und Grausamkeiten verübe.
Unbelegte Behauptungen reichen, um den Gegner (Russland, Putin) als Schuldigen anzuprangern.

Wie die syrische Stadt Aleppo und ihre Bewohner für Propaganda gegen Russland missbraucht werden

  • Im Donbas entfesselt der „Schlächter von Aleppo“ seine brutale Strategie“. Die Welt, 09.05.2022.
  • „Ukraine-Krieg: Grosny, Aleppo, Butscha: Immer die gleichen Vorwürfe an die russische Kriegsführung“. Stern, 05.04.2022.
  • „Von Aleppo nach Kiew: Das ist der Putin den wir kennen“. Tagesspiegel, 09.03.2022.
  • „Von Aleppo nach Mariupol“. Die Zeit, 04.03.2022. Und weiter: „Wir werden wohl bald Aleppo-ähnliche Bilder aus Mariupol sehen.“

Medien im Krieg

Die Botschaft lautet, dass die russische Armee blutrünstig, brutal und menschenverachtend vorgehe und mit ihrer „barbarischen Kriegsführung“ – wie in Aleppo – keinen Stein auf dem anderen lasse.
Frauen würden in Massen vergewaltigt, Delphine im Schwarzen Meer siechten dahin, Kunst- und Kulturgüter würden zerstört.
Als „Schlächter von Aleppo“ bezeichnen deutsche Medien heute den russischen Präsidenten Wladimir Putin, wie sie zuvor den syrischen Präsidenten Bashar al Assad den „Schlächter von Syrien“ nannten, Muammar al Ghadafi den „Schlächter von Libyen“ und Saddam Hussein den „Schlächter von Bagdad“.

Die Regeln der Propaganda

Die Regeln der Propaganda wurden 1928, vor knapp 100 Jahren, von dem britischen Baron und Politiker Arthur Ponsonby (1871-1946) in dem Buch „Lüge in Kriegszeiten“ analysiert.

Ponsonby, der seine Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg verarbeitete, wird das Zitat zugeschrieben: „Das erste Opfer im Krieg ist die Wahrheit“. Heute ist bekannt, dass die Wahrheit schon vor dem Beginn eines Krieges erlegt wird. Politische Unwahrheiten, Lügen und Täuschungen bilden den Hintergrund, vor dem Kriege entstehen.
Transportiert werden sie von Denkfabriken, Politik und Medien mit Hilfe einer globalisierten westlich dominierten Kommunikationsstruktur.

Meist sind die Lügen bekannt, weil es vor einem Krieg immer mindestens zwei Perspektiven gibt, die eine angespannte politische Situation beschreiben.
Bis zum Irak-Krieg 2003 wurden die verschiedenen Perspektiven zumeist von Journalisten und Korrespondenten noch berichtet, wobei schon damals eine deutliche Differenz zwischen Berichten der westlichen Medien (EU, GB, USA) und arabischen, lateinamerikanischen oder asiatischen Medien (Asia Times, Al Jazeera, Prensa Latina) zu beobachten war.

Lüge in Kriegszeiten

Der Krieg von USA, Großbritannien und einer Koalition der Willigen (auch 4000 Soldaten aus der Ukraine waren dabei) gegen Irak 2003 wurde u.a. mit der vom britischen Geheimdienst MI6 verbreiteten Lüge vorbereitet, Irak verfüge über Massenvernichtungswaffen, die innerhalb von 45 Minuten einsatzbereit seien.

Der damalige US-Außenminister Colin Powell präsentierte im UN-Sicherheitsrat am 5. Februar 2003 angebliche Beweise dafür, dass der Irak fahrbare Chemiewaffenlabore im Einsatz habe.

Nichts wurde gefunden. Der Irak, geschwächt durch mehr als 10 Jahren UN-Sanktionen, wurde politisch, wirtschaftlich und sozial zerstört.
2016 wurde in London der Bericht der Chilcot Untersuchungskommission veröffentlicht, in dem die meisten Lügen der britischen Politik aufgedeckt wurden.

Dem Irak half das nicht. Niemand wurde rehabilitiert, niemand entschädigt. Weder die USA noch Großbritannien entschuldigten sich bei dem Land, das sie völlig destabilisiert hatten.
Stattdessen wurden und werden weitere Kriege und Krisen mit Unwahrheiten, Lügen und Täuschungen vorbereitet und begründet.
Perspektiven, Informationen und Berichte von Medien, die nicht das weltumspannende westliche „Narrativ“ bedienen, sondern es hinterfragen, Hintergründe recherchieren und debattieren und andere Perspektiven einbringen, werden diffamiert, verfolgt und verboten. Die Regeln der Kriegspropaganda funktionieren immer wieder aufs Neue.

Warum Aleppo?

Zur Vorgeschichte gehört, dass in Deutschland über den Krieg in Syrien, Ursachen und Hintergründe, über das Geschehen in Aleppo und über die Akteure einseitig berichtet wurde.
Die Darstellung unterlag übergeordneten Vereinbarungen, die von den USA, Großbritannien, Frankreich, einigen ausgewählten arabischen Golfstaaten, Türkei, Jordanien und Israel – das nie genannt wird – und den so genannten „Freunden Syriens“ bestimmt wurden. Denkfabriken, Medien und Hilfsorganisationen wurden in dieses „Narrativ“ eingebunden. Die UNO und ihre Organisationen agierten unter enormem Druck der westlich geführten „Freunde Syriens“. Friedens- und fortschrittliche Organisationen in Deutschland, Parteien, Gewerkschaften und Kirchen und auch die meisten Journalisten hinterfragten die Darstellung kaum.

Das führte dazu, dass die Interessen der Bundesregierung gegenüber der breiten Öffentlichkeit in Deutschland nicht offengelegt wurden. Die Bundesregierung war – und ist – eingebunden in die Interessen von EU und NATO, die wiederum von den USA bestimmt wurden und werden. Die damals wichtigsten Verbündeten in der Region waren die arabischen Golfstaaten, Israel und die Türkei.

„Der Westen, Golfstaaten und die Türkei“ wollten in Syrien einen gewaltsamen „Regierungswechsel“ (Stichwort: Regime Change) durchsetzen, stellte der US-Militärgeheimdienst DIA im August 2012 in einem internen Bericht fest. Zu dem Zeitpunkt wurden bereits Waffen und Kämpfer aus Libyen über das Mittelmeer in die Türkei transportiert und dort – unter Aufsicht der CIA – an bewaffnete aufständische Gruppen im Norden Syriens verteilt. Je mehr und je besser Waffen, desto mehr Kämpfer meldeten sich .
DIA stellte dazu fest: „A. Im Land nehmen die Ereignisse eine deutliche konfessionelle Richtung. B. Die Salafisten, die Muslim Bruderschaft und Al Qaida im Irak (AQI) sind die führenden Kräfte die den Aufstand in Syrien vorantreiben. C. Der Westen, die Golfstaaten und die Türkei unterstützen die Opposition, während Russland, China und der Iran das Regime unterstützen.“

judicialwatch.org/wp-content/uploads/2015/05/Pg.-291-Pgs.-287-293-JW-v-DOD-and-State-14-812-DOD-Release-2015-04-10-final-version11.pdf

Aleppo – Die Wirtschaftsmetropole

Aleppo kam aufgrund seiner strategischen Lage – der Nähe zur türkischen Grenze bei Azaz – in den Umsturzplänen eine besondere Rolle zu.

Die Stadt galt als Wirtschaftshauptstadt Syriens, hier wurde der Reichtum des Landes erwirtschaftet, die Basis seiner Unabhängigkeit. Gelegen im ehemaligen „Fruchtbaren Halbmond“ und an wichtigen Handelsrouten, die Ost mit West (Seidenstraße) und Nord mit Süd (Gewürzstraße) verbanden, ist Aleppo seit dem 3. Jahrtausend vorchristlicher Zeitrechnung einer der berühmtesten Handelsplätze in der Region.

Im 12. Jahrhundert wurde Aleppo von den Kreuzrittern belagert, im 13. Jahrhundert wurde die Stadt von den Mongolen zerstört und im 15. Jahrhundert von den Osmanen erobert.
Mit dem Fall des Osmanischen Reiches im Ersten Weltkrieg (1914-1918) wurden die ehemaligen arabischen Provinzen des gefallenen Reiches mit dem britisch-französischen Sykes-Picot-Plan gevierteilt. Syrien und die Stadt Aleppo fielen unter französisches Mandat. Aleppo wurde von seinem arabischen und asiatischen Hinterland abgeschnitten, es mussten neue Handelswege gefunden werden.
Erst 1946 zogen sich die Franzosen zurück, Syrien erlangte die Unabhängigkeit und wurde Mitglied der UNO.

Nach der gewaltsamen Gründung des Staates Israel und der Vertreibung der Palästinenser (1948) folgten Kriege, die Besetzung der Golanhöhen (1967), die traditionellen Handelswege Syriens zum Mittelmeer (Haifa, Beirut und Tripoli) waren ganz oder teilweise versperrt. Doch trotz der schwierigen politischen Entwicklung Syriens und der Region war Aleppo vor dem Krieg 2011 wieder die wichtigste Wirtschaftsmetropole in der Region. Die Weltbank bezeichnete Syrien als die am schnellsten wachsende Wirtschaftsmacht unter den arabischen Staaten und prognostizierte, dass das Land bald auf Rang 5 der arabischen Ökonomien (…) geklettert sein werde.

Gelungen war das durch den Plan, aus Syrien, Türkei, Libanon, Jordanien und Irak eine gemeinsame Wirtschaftszone zu machen. ***) Gemeinsame Infrastrukturprojekte waren geplant, der regionale Handel boomte. Zwischen Syrien und der Türkei wurden neue Grenzübergänge geöffnet, die Visumspflicht wurde aufgehoben. Die Händler von Aleppo hatten Beziehungen in alle Welt, neue Industriebezirke waren in und um die Stadt entstanden. In der Industriestadt Scheich Najjar – etwa zehn Kilometer vom Zentrum der Stadt entfernt – hatten sich mehr als 1900 Firmen angesiedelt, die Tausenden Menschen Arbeit gaben. Aleppo war die wirtschaftliche Hauptstadt Syriens.

Aleppo bleibt ruhig

Während in anderen Landesteilen die Konflikte 2011/ 2012 eskalierten, blieb es in Aleppo ruhig. Die religiöse und ethnische Vielfalt der Stadt, der ausgeprägte Geschäftssinn, die Ablehnung einer „Revolution“ spiegelten sich in der politischen Zurückhaltung der Aleppiner.

Doch in den nordöstlichen Randgebieten der Stadt, die durch Landflucht und Bevölkerungswachstum unübersichtlich geworden waren, fassten bewaffnete Kämpfer – die aus der Türkei gekommen waren – Fuß und sagten der säkularen Gesellschaft im Zentrum von Aleppo den Kampf an. Im August 2012 erreichten sie den Ostteil der Altstadt im Herzen von Aleppo. Die Bewohner der alten Viertel flohen.
Ein Augenzeuge ist der Fotograf und Filmemacher Issa Toumeh, der im Viertel Al Jdeideh lebt. Er beobachtete und filmte den Beginn des Krieges von seinem Fenster neun Tage lang.
In seinem Kurzfilm „Neun Tage – Von meinem Fenster in Aleppo“ (9 Days – From My Window in Aleppo) zeigt er, wie Bewaffnete in der Straße vor seinem Haus Position beziehen.

Aleppo – Die Zerstörung

Geschäftsleute, die sich den Kämpfern entgegenstellten, um ihre Geschäfte in der Altstadt zu schützen, wurden bedroht und zogen sich vor der Waffengewalt zurück. Andere versuchten die Kämpfer mit Geld zu besänftigen und dazu zu bringen, ihre Fabriken, Lager oder Häuser nicht anzugreifen.
Die Kämpfer nahmen das Geld und griffen weiter an. Sie plünderten Fabriken und die Fuhrparks von Industrieunternehmen, dem syrischen Roten Halbmond und von ICARDA (International Center for Agricultural Research in the Dry Areas), dem Internationalen Zentrum für Agrarforschung in Trockengebieten.

Die Industriestadt Sheikh Najjar und nahezu alle Industriezentren in den Randbezirken von Aleppo wurden im September, Oktober 2012 gestürmt, geplündert und besetzt oder zerstört.
Aus den Fabriken in Sheikh Najjar wurden Maschinen, Computer, Fuhrparks gestohlen und vor aller Augen über die nahegelegene Grenze in die Türkei abtransportiert.

Im Dezember 2012 folgte die Belagerung des Al Kindi Hospitals, der größten und modernsten Klinik für Krebserkrankungen in der Region mit 700 Betten. Auf einem Hügel gelegen, war es für den militärischen Sturm auf Aleppo ein wichtiger Stützpunkt, den die Kämpfer einnehmen wollten.
Patienten und Personal konnten evakuiert werden, die syrische Armee versuchte die Klinik zu verteidigen. Im Dezember 2013 lenkten zwei Selbstmordattentäter je einen Lastwagen, beladen mit jeweils 40 Tonnen Sprengstoff, in den Eingangsbereich der Klinik und sprengten sich in die Luft. Das Gebäude brach in einer riesigen Staubwolke zusammen.

Aleppo – Das syrische Benghasi

Unterstützt wurden die Kämpfer bei ihrem Sturm auf Aleppo von den „Freunden Syriens“. Der Plan war, aus Aleppo ein „syrisches Benghasi“ zu machen.
Das Vorbild war Libyen, wo die Hafenstadt Benghasi die Basis für die bewaffnete Opposition geworden war. Eine Flugverbotszone sollte angeblich Luftangriffe der libyschen Armee verhindern.
Tatsächlich schützte sie die Anlieferung von Waffen, die mit Schiffen zu den Kämpfern in Benghasi gebracht wurden.

In Syrien sollte Aleppo die Basis für die syrische bewaffnete Opposition werden. Eine Exilregierung sollte etabliert werden. Im Umland von Aleppo sollten „Schutzzonen“ errichtet werden, in denen die Kämpfer sich sammeln und zu einer „Freien / Neuen Syrischen Armee“ ausgebildet werden sollten.
Dann sollten sie in Richtung Damaskus marschieren, das vom Süden (Deraa, Yarmouk), vom Westen (Zabadani, Maraya) und vom Osten (Deir Ez-Zor, Palmyra, Ghouta, Douma) umzingelt werden sollte.
Ziel war der Sturz der Regierung, „Regime Change“.

Aleppo eignete sich als Basis für den Plan, weil aus der nahegelegenen Türkei Kämpfer und Waffen leicht über die Grenze gebracht werden konnten. Die Waffen waren seit 2011 aus Katar und Saudi-Arabien auf dem Luftweg nach Amman und Ankara und von dort jeweils zur syrischen Grenze transportiert worden, wie der damalige Ministerpräsident Katars, Scheich Hamad bin Jassim bin Jabar al Thani in einem Interview mit dem Katarischen Fernsehen 2017 erklärte.
Das Vorgehen sei mit den USA und der Türkei abgesprochen gewesen. Für die militärische Koordination der Angriffe in Syrien habe es zwei international besetzte „Operationsräume“ gegeben, einen in Jordanien und einen in der Türkei.

Aleppo – Die Belagerung

Es folgten vier schreckliche Jahre (2012 -2016) für die Bewohner von Aleppo. Die Front verlief durch die Altstadt und um die Stadt herum. West-Aleppo – wohin viele Menschen aus dem Osten der Stadt und dem Umland geflohen waren – war teilweise komplett von den bewaffneten Gruppen eingeschlossen. An deren Spitze stand die Nusra Front (Al Qaida).
Allein im Sommer 2015 blockierten bewaffnete Gruppen nach Angaben von UNICEF mehr als 40 Mal die Wasserversorgung für Aleppo Stadt, wo damals rund 1,5 Millionen Menschen lebten.
Die Wasseraufbereitungsanlage Al Khafseh am Euphrat, wurde von Kämpfern des Islamischen Staates besetzt und geschlossen, wodurch 2 Millionen Menschen in Aleppo und Umland ohne Wasserversorgung waren. Ein Luftangriff auf Al Khafseh – für den Syrien die US-Streitkräfte und die Opposition russische Kampfjets verantwortlich machten – richtete ebenfalls Zerstörung an.*)

Die Belagerung endete erst im Juli 2016, als die syrische Armee mit Unterstützung des Irans, der Hisbollah und der russischen Luftwaffe, die letzte Versorgungslinie für die Kampfgruppen in Aleppo unterbrach.
Es folgte eine massive Angriffswelle der „Armee der Eroberung“, die von der Nusra Front geführt von Idlib herkommend einen Sturm auf Ramousseh, im Süden von Aleppo startete und dabei Selbstmordkommandos mit Sprengstoffbeladenen Panzerwagen gegen Stellungen der syrischen Armee einsetzte. Doch der Angriff scheiterte, die Zahl der Opfer auf beiden Seiten war hoch.

Im Dezember 2016 war Aleppo wieder unter syrischer Kontrolle. Die bewaffneten Kämpfer und „Oppositionellen“ wurden unter internationaler Kontrolle nach Idlib evakuiert. Unter ihnen waren mindestens 14 ausländische Militärs und Geheimdienstoffiziere, wie ein syrischer Parlamentsabgeordneter mitteilte. Sie kamen aus der Türkei (1), USA (1), Israel (1), Katar (1), Saudi-Arabien (8), Jordanien (1) und Marokko (1).

Andere Geheimdienstquellen sprechen von weit mehr ausländischen Offizieren, die von syrischen Spezialkräften identifiziert worden seien: 22 Amerikaner, 16 Briten, 21 Franzosen, 7 Israelis, 62 Türken.

Im UN-Sicherheitsrat wurde hinter verschlossenen Türen heftig darüber verhandelt, wie mit diesen ausländischen Militärs – darunter Bürger der drei westlichen Veto-Mächte USA, Großbritannien und Frankreich – umgegangen werden sollte. Sie wurden schließlich im Rahmen der großen Evakuierung von 25.000 bewaffneten Kämpfern und deren Angehörigen unbehelligt in Bussen abtransportiert.

Nach Einschätzung von US-Geheimdienstveteranen (Veterans Today) sei der Abzug der mehr als 100 ausländischen Militärs und Geheimdienstoffiziere Teil des Waffenstillstands- und Evakuierungsplans gewesen. Russland und Syrien hätten weitere Kämpfe, Tote und Zerstörungen verhindern wollen und waren vor allem daran interessiert, die Kämpfer aus Aleppo zu entfernen.
Russland habe auf einen sofortigen umfassenden Waffenstillstand gedrängt und wollte – in Absprache mit der Türkei und Iran – die politischen Gespräche aller Parteien in Astana beginnen.
Die westlichen Veto-Mächte wiederum wollten „ihre Leute“ sichern und stimmten dem Abzug der Kampfverbände nur zu, wenn auch „ihre Leute“ abziehen könnten. Alle Seiten schwiegen über den Deal.

Was hat Aleppo mit dem Krieg in der Ukraine zu tun?

Warum also ziehen Politik und Medien im Westen eine Parallele zwischen dem Syrienkrieg und der Ukraine? Was hat Aleppo mit Kiew oder Mariupol zu tun?

Das Sprichwort „Haltet den Dieb“ eignet sich vielleicht am ehesten als Erklärung. Wie ein ertappter Dieb versucht der Westen mit großem Geschrei auf allen Kanälen und rund um die Uhr, Russland zu beschuldigen, um von der eigenen Verantwortung für die Zerstörung von Aleppo abzulenken.

Die Botschaft lautet, dass die russische Armee blutrünstig, brutal und menschenverachtend vorgehe und mit ihrer „barbarischen Kriegsführung“ – wie in Aleppo – keinen Stein auf dem anderen lasse.
Doch wie beschrieben war das Geschehen in Aleppo anders. Die lauten Anschuldigungen sollen davon ablenken.

Die große Zerstörung von Aleppo fand zwischen 2012 und 2016 statt. Es war ein erbitterter Straßenkampf. Die Akteure waren auf der einen Seite die von den „Freunden Syriens“ ausgerüsteten Kampfverbände, die das syrische „Regime stürzen“ sollten und in westlichen Meiden als „Opposition“ dargestellt wurden. Sie hatten den Krieg nach Aleppo gebracht.
Die Akteure auf der anderen Seite waren die syrische Armee, die versuchte mehr als 1,5 Millionen Menschen zu schützen und die Stadt zu verteidigen. Unterstützt wurde die syrische Armee in dieser Zeit von der libanesischen Hisbollah und von iranischen Milizen und Beratern.

Russland war militärisch in der Zeit gar nicht in Aleppo aktiv. Die einzige militärische Aktivität Russlands geschah sehr effizient, professionell und abseits von Schlagzeilen in den Jahren 2013 und 2014, als die russische Militärpolizei die Chemiewaffenbestände Syriens mitten im Krieg sicherte und nach Latakia transportierte. Dort wurden sie von westlichen Spezialschiffen, auch aus den USA, an Bord genommen und vernichtet.

Erst Ende September 2015 griff Russland auf Bitten Syriens und auf Bitten des iranischen Generals Qasim Sulimani ein. Ziel war, die bewaffneten Kampfverbände von Dschihadisten und Al Qaida, die von der Türkei zu Tausenden nach Syrien strömten und sich auf den Sturm auf Aleppo vorbereiteten, zurückschlagen zu können.
Russland bildete eine militärische Koordinationsstelle mit Syrien, Hisbollah, Iran und Irak. Den USA bot Russland an, zur Vermeidung direkter Konfrontation eine „militärische Hotline“ einzurichten, um sich jeweils bei Luftangriffen zu informieren. Die USA stimmten zu.

Russlands Luftwaffe und Langstreckenraketen zerstörten in wenigen Wochen die Versorgungswege der Dschihadisten, Waffenlager, Routen und Konvois, über die das geplünderte syrische Öl von den Ölfeldern im Osten des Landes (Hasakeh und Deir Ez-Zor) nach Idlib und in die Türkei abtransportiert wurde.

Der ehemalige US-Marine (Vietnamkrieg) und spätere Senator Colonel Richard Black (78) war in Aleppo und hat die Folgen des Straßenkampfes dort und die enorme Zerstörung gesehen.
Der Straßenkampf in Aleppo sei von 2012 – 2016 „eine ziemlich syrische Angelegenheit“ gewesen, so Black. Sehr brutal, mit großen Verlusten.
„Sie kämpften vier Jahre lang, bevor Russland überhaupt in den Kampf eingriff.“ Dabei sei Russland „extrem zurückhaltend“ gewesen, „sich in den Kampf in Syrien einzumischen“, so Black in einem Interview im April 2022.

Russland habe nur sehr kleine Einheiten von Soldaten entsandt, wenig Artillerie, einige Sondereinsatzkräfte und Berater. „Andererseits waren sie eine bedeutende und sehr effektive Luftwaffe, die die syrische Luftwaffe ergänzt“ habe. Das sei jedoch nur im letzten Jahr des Krieges gewesen, als „die Syrer die terroristischen Kräfte schon ziemlich geschwächt“ hätten.
Die russische Unterstützung habe geholfen „das Gleichgewicht zu wahren“, so Black. Aleppo sei der „große Sieg“ im Syrienkrieg gewesen. „Die Russen für die massive Zerstörung in Aleppo verantwortlich zu machen ist unsinnig: weil sie gar nicht da waren“, so Black. „Sie waren nicht da, als es passierte.“

Fazit

Wer Aleppo kontrolliert, kontrolliert Syrien, heißt es. Der Krieg wurde nach Aleppo gebracht, weil man wollte Syrien kontrollieren wollte. Syrien hatte keine Wahl, als sich zu verteidigen.
Vier Jahre lang wurde in und um Aleppo gekämpft, dann hatten die „Freunde Syriens“ und ihre Kämpfer verloren. Der komplette Plan von Infiltration und Täuschung lag im Dezember 2016 offen auf dem Tisch.

Die russische Diplomatin Maria Khodynskaya-Golenishheva beschreibt in ihrem BuchAleppo – Krieg und Diplomatieden diplomatischen Kampf, der auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Formaten um die Stadt geführt wurde.

Als Vertreterin Russlands und Co-Vorsitzende nahm sie an der Seite des damaligen UN-Sonderbeauftragten Staffan de Mistura an allen Treffen teil. Sie berichtet über die Gespräche, die zu der Vereinbarung zwischen Russland und der Türkei führten. Sie beschreibt, warum die russisch-US-amerikanischen Beratungen immer wieder scheiterten. Sie hebt die Interessen der so genannten „kleinen Gruppe“ interessierter Staaten hervor – Russland, USA, Iran, Katar, Saudi Arabien und Türkei – über die die Öffentlichkeit in Deutschland kaum etwas erfuhr. **)
Und sie schreibt darüber, wie seitens der UNO in den letzten Wochen und Monaten des Jahres 2016 immer wieder Raum für die bewaffneten Gruppen in Ost-Aleppo und ihre Interessen geschaffen wurde, während die syrische Armee, Russland und ihre Verbündeten blockiert wurden im Kampf gegen die – nicht nur aus syrischer Sicht – terroristischen Gruppen.
Der immer wiederkehrende Vorwand war die Wahrung von Menschenrechten und die humanitäre Versorgung.

Die Befreiung von Aleppo, so ihr Fazit, sei ein Beispiel dafür, wie sich internationale und regionale Diplomatie und Außenpolitik im Zuge der Entstehung einer neuen, multipolaren Weltordnung verändere.
Neue Bündnisse und Interaktionen könnten entstehen.

Russland brachte Iran und die Türkei mit Syrien und den bewaffneten Gruppen im „Astana-Format“ an einen Tisch. Es wurden Waffenstillstandszonen vereinbart, die Kämpfer mussten die Waffen niederlegen.
Syrien erklärte im Gegenzug eine Amnestie, die Voraussetzungen für einen innersyrischen Versöhnungsprozess wurden geschaffen.

Aleppo konnte gerettet werden, im größten Teil Syriens schweigen heute die Waffen. Den etwa 2 Millionen Menschen in der Stadt und im Umland blieb die Zerstörung. Kein Strom, wenig Wasser, die Jugend ist geflohen, Fachkräfte sind abgewandert.
Der Wirtschaftskrieg von EU und USA gegen Syrien und seine Verbündeten, die Sanktionen und das US-Caesar-Gesetz, verhindern bis heute den Wiederaufbau im ganzen Land und kurbeln Inflation und Wirtschaftskrise an.

Der westliche Propagandakrieg, der den Konflikt um Aleppo und den Syrienkrieg von Anfang an begleitete, geht weiter. In Syrien konzentriert er sich auf die Provinz Idlib und humanitäre Hilfslieferungen, die politisch der Nusra Front – heute Hayat Tahrir al Scham – nutzen, die das Gebiet kontrolliert.
Heute ist die Propaganda eingebettet in hybride Kriegsführung und zielt auf die gegnerischen Staaten ebenso, wie auf die Köpfe der eigenen Bevölkerung.
Im Rahmen des Ukrainekonflikts ist Russland das aktuelle Ziel des US-geführten Blocks von NATO und EU.
Das nächste Ziel wurde schon ins Visier genommen: China.

*: In deutschen Leim-Medien wurde darüber fast nichts berichtet. dazu z.B.https://josopon.wordpress.com/2018/03/11/usa-planen-teilung-syriens-und-beeinflussung-des-russischen-wahlkampfs-interwiew-mit-karin-leukefeld/.
**:Siehe https://josopon.wordpress.com/2018/03/11/usa-planen-teilung-syriens-und-beeinflussung-des-russischen-wahlkampfs-interwiew-mit-karin-leukefeld/

Und:
https://josopon.wordpress.com/2022/04/25/wenn-aus-journalismus-propaganda-wird-von-karin-leukefeld-akkreditierte-korrespondentin-fur-syrien/
https://josopon.wordpress.com/2018/04/26/kleine-syriengruppe-russland-soll-assad-regime-so-ausliefern-wie-wir-es-erwarten-der-terror-des-us-imperiums-soll-durchgesetzt-werden/
https://josopon.wordpress.com/2017/01/18/waffen-fur-dschihadisten-aus-den-usa-in-aleppo-gefunden/

***: Dies zu verhinern war ein wesentlicher Grund für die NATO-Bestrebungen eines regime change.

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.

Jochen

Illegale Kriege der NATO und Deutschlands – Daniele Ganser

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Das Buch ist übigens nicht im Kopp Verlag erschienen, sondern bei orell füssli.

Ganser hat sich schon früher eindeutig zur NATO-Poltik geäußerthttps://josopon.wordpress.com/2015/03/23/us-strategien-die-deutschland-in-eine-gefahrliche-konfrontation-zu-russland-treiben-ein-diabolischer-plan/  und wird seitdem als Verschwörungstheoretiker diffamiert.

Ein Interview dazu hier auf den NachDenkSeiten:

Illegale Kriege

Dass viele westliche Politiker längst vor Kriegsverbrechertribunale hätten gestellt werden müssen, dass letztlich noch jeder der uns in den letzten Jahren präsentierten „Kriegsgründe“ sich schließlich als Propagandamärchen herausstellte und dass die NATO inzwischen kein Verteidigungsbündnis mehr ist – all das taucht in Medien und Politik selten auf.
Der Schweizer Friedensforscher Daniele Ganser deckt in seinem neuen BuchIllegale Kriegenun schonungslos diese „andere Seite“ der Wahrheit auf und gelangt zu dem Schluss, dass der Westen seit 1945 immer wieder und konsequent schwerste Verbrechen gegen das Völkerrecht und die Menschheit verübt. Jens Wernicke sprach mit ihm.

Herr Ganser, in Ihrem heute erschienenen neuen Buch widmen Sie sich den „illegalen Kriegen“, wie Sie es nennen. Warum?

Das Thema ist derzeit sehr wichtig. Wir befinden uns in einer Gewaltspirale, das ist offensichtlich.
Die Gewaltspirale hat viele Ursachen, aber die weitaus wichtigste Ursache sind die illegalen Kriege, sie treiben die Gewaltspirale an.

Als Beispiel: Der Angriff der NATO-Länder USA und Großbritannien auf den Irak 2003 war ein illegaler Krieg ohne UNO-Mandat, der die Gewaltspirale extrem angetrieben hat. Wir haben seither im Irak mehr als 1 Million Tote.
Die ehemaligen Offiziere und Geheimdienstmitarbeiter des gestürzten Präsidenten Saddam Hussein bilden heute den Kern der sunnitischen Terrormiliz IS, welche Syrien destabilisiert und auch in Europa Terroranschläge ausübt.

Die Gewaltphänomene sind vernetzt. Wir befinden uns in einem Teufelskreis aus Gewalt und Gegengewalt.

Ist denn auch der Syrienkrieg ein illegaler Krieg?

Ja, auch der Angriff auf Syrien 2011 war illegal. Die Angreifer USA, Großbritannien, Frankreich, Türkei, Katar und Saudi-Arabien haben brutale Banden trainiert und mit Waffen ausgerüstet und versuchen seit 2011 Präsident Assad zu stürzen, was ihnen aber bisher nicht gelungen ist.

Diese brutalen Banden müssen als Terroristen bezeichnet werden, aber die Angreifer benutzen das Wort „moderate Rebellen“ und verwirren dadurch die Öffentlichkeit.

Deutschland hat sich erst spät in den Krieg eingebracht, dann aber auf der Seite der Angreifer. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel will nun Assad stürzen, genau wie US-Präsident Obama, der französische Präsident Hollande und der türkische Präsident Erdogan. Das ist aber alles illegal. Es wäre genauso illegal, wenn Assad Frau Merkel stürzen wollte.

Inwiefern betrifft uns europäische Bürger das?

Der Krieg in Syrien hat mehr als 400.000 Tote gefordert und eine riesige Flüchtlingswelle ausgelöst. Viele Menschen in Deutschland, der Schweiz und Österreich haben Angst und sind verunsichert. Nicht nur jene, die Kinder haben, fragen sich, wo wir wohl in 20 oder 30 Jahren sind, ob wir dann noch mehr Gewalt und Flüchtlinge haben werden oder ob wir es irgendwie schaffen, aus der Gewaltspirale auszusteigen.

Die Medienberichte über Krieg und Terror jagen sich und es ist schwer, den Überblick zu behalten. Kurzum: Das Chaos ist perfekt. In meinem Buch erkläre ich dreizehn illegale Kriege von 1945 bis heute, Irak 2003 und Syrien 2011 sind nur zwei Beispiele von vielen. Das Buch hilft dem Leser, in chaotischen Zeiten den Überblick zu behalten.

Und was unterscheidet einen legalen von einem illegalen Krieg?

Nach dem Angriff von Hitler auf Polen 1939 kam bekanntlich der Zweite Weltkrieg mit 60 Millionen Toten.
Nach dem Krieg haben sich die traumatisierten Überlebenden 1945 gesagt: Nie wieder Krieg! Das war eine gute, eine richtige Haltung.
Sie gründeten die Weltfriedensorganisation UNO mit Hauptsitz in New York und Zweitsitz in Genf. In der UN-Charta steht klar und deutlich geschrieben: Kein Land darf ein anderes Land angreifen. Kriege sind illegal. Das ist das so genannte Gewaltverbot.

Konkret heißt es im Artikel 2 der Charta:

„Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.«

Der Text ist deutlich. Seit 1945 sind daher alle Kriege illegal. Es gibt nur zwei Ausnahmesituationen, in denen Krieg auch heute noch erlaubt ist: Das Recht auf Selbstverteidigung oder einen Krieg, der mit explizitem Mandat des UNO-Sicherheitsrates geführt wird.

Mir scheint, dass immer wieder das Argument der Selbstverteidigung vorgebracht wird. So haben etwa die USA nach 9/11 aus der Notwendigkeit zur Selbstverteidigung heraus den internationalenKrieg gegen den Terrorerklärt. Zwei Jahre vorher musste Deutschland, um einenneuen Hitlerim Kosovo zu verhindern, der eine Bedrohung für den Weltfrieden war, dort „intervenieren“, wie es neuerdings heißt.

Ja, das stimmt. Die Regierung von Präsident Bush hat nach 9/11 gesagt, sie würde jetzt ihr Recht auf Selbstverteidigung wahrnehmen. Sie sind in die UNO gegangen und dort wurde ihnen bestätigt, dass jedes Land das Recht auf Selbstverteidigung hat. Das war keine Überraschung, denn das steht ja auch in der UNO-Charta.
Der wesentliche Punkt ist aber: Die UNO hat in ihrer Resolution den USA nicht das Recht gegeben, Afghanistan anzugreifen, was die USA am 7. Oktober 2001 jedoch taten.

Wer die UNO-Resolution durchliest, erkennt, dass Afghanistan gar nicht erwähnt wird. Der Angriff auf Afghanistan war daher illegal. Er basierte auf der von Präsident Bush vorgetragenen Geschichte, dass Osama bin Laden für die Anschläge vom 11. September verantwortlich war, doch genau dieser Punkt konnte vor der UNO nicht bewiesen werden und ist bis heute umstritten, sodass der Sicherheitsrat, in dem auch China und Russland sitzen, kein Mandat für einen Angriff auf Afghanistan gab.

Beim Angriff von Deutschland auf Serbien 1999, den ich im Buch genau darlege, war es etwas anders. Damals gab es ja vorgängig keinen Terroranschlag in Deutschland, der dann als Vorwand für einen Angriff auf Serbien hätte dienen können.
Den ganzen sogenannten Krieg gegen den Terror gab es damals noch nicht. Zudem war die NATO damals auf der Seite der albanischen Muslime und bombardierte die christlichen Serben.

Deutschland hat damals zusammen mit US-Präsident Bill Clinton ohne UNO-Mandat Serbien angegriffen, um zu demonstrieren, dass die NATO nach der Auflösung des Warschauer Paktes überhaupt noch eine Rolle hat, eine unschöne Rolle, wie man anfügen muss.
Dazu wurde durch die PR-Firma Ruder Finn das Feindbild Milosevic in den Medien verbreitet. »Ich muss sagen, als die NATO 1999 angriff, haben wir eine Flasche Champagner aufgemacht«, erinnerte sich später James Harff von der einflussreichen amerikanischen PR-Firma Ruder Finn. Seine Kommunikationsfirma mit Sitz in Washington hatte den Zerfall von Jugoslawien mit Kriegspropaganda begleitet.

Im August 1991 hatte sie von der kroatischen Regierung einen Propaganda-Auftrag erhalten, im Mai 1992 von der bosnischen Regierung und im Herbst 1992 von der Führung der Kosovo-Albaner. In allen Fällen lautete der Auftrag, die Serben als Unterdrücker und Aggressoren darzustellen, die Kroaten, bosnischen Muslime und Kosovo-Albaner als Opfer. Genau diese Darstellung diente der NATO auch 1999. Die Serben waren immer die Bösen, die Kroaten, die Albaner und die bosnischen Muslime waren immer die Guten. Nur mit diesem Trick konnte man die Deutschen wieder in den Krieg führen.

Sie sagen also, Staaten ignorieren das Gewaltverbot der UNO-Charta und belügen die Bevölkerung?
Aber … muss die Völkergemeinschaft dann nicht einschreiten und derlei einen Riegel vorschieben?

Ja, das müsste man. Aber wenn es sich um einen NATO-Staat handelt, geht niemand dagegen vor, weil alle Angst haben, wie man beim Angriff der USA und Briten auf den Irak 2003 sehen kann: Der frühere US-Präsident Bush und der frühere britische Premier Blair müssten längst als Kriegsverbrecher verhaftet sein, aber es passiert nicht. Die meisten Zeitungen getrauen sich nicht einmal diese Forderung abzudrucken.

NATO-Staaten haben wiederholt völlig straflos das in der UNO-Charta verankerte Gewaltverbot missachtet und wie bereits erwähnt, zum Beispiel 1999 Serbien bombardiert.
Der damalige Präsident Clinton hatte hierfür kein Mandat des UNO-Sicherheitsrates, der Krieg war illegal. Und auch der damalige Bundeskanzler Schröder hat das Völkerrecht gebrochen und das später sogar noch zugegeben.

Nein_zur_Nato_DDR1957Mein Buch zeigt an konkreten Beispielen, dass die NATO kein Verteidigungsbündnis, sondern ein Angriffsbündnis ist, dass die Verantwortlichen dabei stets völlig straflos bleiben und die NATO-freundlichen Medien die illegalen Kriege sogar noch befeuern und unterstützen, indem sie die NATO-Propaganda kritiklos in die gute Stube der Leser hineintragen.

Und was passiert, wenn ein Nicht-NATO-Land einen illegalen Krieg führt?

Das ist etwas völlig anderes. Wenn ein schwächeres Land das Gewaltverbot missachtet, reagieren die NATO-Länder sofort und erinnern alle Staaten der Welt an das Völkerrecht, die UNO-Charta und das Gewaltverbot.

Ein Beispiel: Als der irakische Diktator Saddam Hussein 1990 in Kuwait einmarschierte, war das ein illegaler Krieg, der umgehend und zu recht vom UNO-Sicherheitsrat verurteilt wurde. Saddam Hussein ist ein Kriegsverbrecher, er wurde durch eine internationale Streitmacht unter Führung der USA mit Mandat der UNO 1991 wieder aus Kuwait vertrieben. Das war ein legaler Krieg, weil er ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates hatte.

Für eine solch klare Verurteilung eines Angriffskrieges braucht es aber die Unterstützung der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates, also die drei NATO-Länder USA, Frankreich, Großbritannien sowie die beiden BRICS-Staaten Russland und China. Doch die NATO-Länder und die BRICS-Staaten haben bekanntlich oft nicht dieselben Interessen. Nur nach Saddams Invasion von Kuwait waren sich die Mitglieder im Sicherheitsrat auf einmal einig. Intensive Kriegspropaganda der USA trug dabei einiges zu dieser Einigkeit bei.

YouTube-Video: „Wie funktioniert Kriegspropaganda?“

Damit ich das richtig verstehe: Eigentlich waren alle Kriege der letzten Jahre und Jahrzehnte gemäß Völkerrecht illegal?

Ja, fast alle. Beim Angriff der USA auf Libyen 1986 gab es kein Mandat des UNO-Sicherheitsrates. Auch US-Präsident Reagan müsste sich vor einem Gericht verantworten, wenn er noch leben würde.
2011 haben die USA zusammen mit Frankreich und Großbritannien Libyen erneut angegriffen. Diesmal gab es zwar ein Mandat der UNO. Aber nur für eine Flugverbotszone.

Die NATO-Länder kümmerte das aber nicht, sie führten einen Regime Change durch, Gaddafi wurde in der Wüste begraben, auch das war völlig illegal und durch die UNO-Resolution nicht abgedeckt. Libyen versinkt seither im Chaos. Aber der französische Präsident Sarkozy, der britische Premier Cameron und US-Präsident Obama kamen mal wieder völlig straflos davon.
Am 1. August 2016 hat Obama Libyen nochmals bombardiert, das wurde in den meisten Zeitungen nur noch auf den hinteren Seiten vermeldet. Das Völkerrecht wird systematisch zerschlagen und ignoriert, das ist nicht klug.

Wenn wir eine ehrliche und gerechte Welt hätten, müssten Obama, Sarkozy und Cameron sich wegen dem Libyenkrieg vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen ihrer Verbrechen gegen die Menschheit verantworten. Es wäre auch völlig illegal gewesen, wenn Gaddafi 2011 Frankreich angegriffen hätte. Dann müsste Gaddafi vor den Strafgerichtshof der UNO. Ich bin sicher, das wäre auch passiert. Aber wenn eben die NATO-Länder das Kriegsbeil ausgraben und ein Land überfallen, geschieht nichts, überhaupt nichts.

Die NATO-Länder sind also die schlimmsten Aggressoren, wenn es um Elend und illegale Kriege geht?
Sind das nicht weitestgehend sogar die ehemaligen Kolonialisten, die die reichen Länder schon seit jeher unterdrückt und ausgebeutet haben?

Ja, leider sind die NATO-Länder die schlimmsten Aggressoren, wenn man die letzten 70 Jahre anschaut. Natürlich hat es auch Kriege ohne Beteiligung der NATO gegeben, zum Beispiel den Angriff der Sowjetunion auf Afghanistan 1979 oder den Angriff von Israel auf Libanon 2006.

Aber insgesamt fällt auf, dass es vor allem die NATO-Länder waren, angeführt von den USA, die nach 1945 die meisten Kriege vom Zaun gebrochen haben. Hierbei haben die USA stets versucht, ihre Vorherrschaft als Imperium abzusichern und auszubauen.

Wie kommt es, dass die NATO-Staaten das Völkerrecht verletzen und damit durchkommen können?

Viele wissen zwar, dass der Angriff der NATO-Länder USA und Großbritannien auf den Irak 2003 illegal war. UNO-Generalsekretär Kofi Annan hat das damals auch deutlich gesagt. Nicht alle wissen aber, dass auch der Angriff auf Vietnam 1964 illegal war, weil er schon länger zurückliegt. Einige werden auch durch Kriegslügen verwirrt, also etwa die Tonkin-Lüge im Falle von Vietnam oder die ABC-Lüge im Falle des Irak.

Vor allem aber wirken die Medien oft kriegstreibend und nicht kriegshemmend. So fordern die Medien etwa aktuell in einem fort den Sturz von Assad in Syrien. Dabei wird selten erklärt, dass es völlig illegal ist und dem UNO-Gewaltverbot widerspricht, eine Regierung in einem fremden Land zu stürzen. Regime Changes sind verboten.

In Syrien betreiben die NATO-Länder derzeit zusammen mit den Golfmonarchien Katar und Saudi-Arabien einen illegalen Putsch, das kann jeder beobachten. Der deutsche Nahost-Experte, Professor Günter Meyer, hat richtig darauf hingewiesen, dass die USA primär sogenannte moderate Gruppen unterstützen, dass diese aber mit der Nusra-Front zusammenarbeiten. Das heißt, auch die Waffen, die an die Moderaten geliefert werden, landen im Endeffekt bei der Nusra-Front.
Das ist doch ein Skandal, denn das bedeutet nichts Anderes als dass die NATO mit den Terroristen gemeinsame Sache macht. Denn die Nusra-Front ist eindeutig ein Ableger von Al-Qaida.

Diese Unterstützung der Nusra-Front geschieht indirekt auch mit deutscher Beteiligung, denn die Tornados, die dort im Einsatz sind, um Luftaufklärung zu betreiben, liefern ihre Daten an das militärische Operations- und Kontrollzentrum der Gegner von Assad, wo dann die USA, die Türkei und Geheimdienstoffiziere aus Katar und Saudi-Arabien die Informationen sammeln und an die Rebellen weitergeben.

Wir befinden uns hier in einem echten Teufelskreis, wo Gewalt zu noch mehr Gewalt führt und das Gewaltverbot der UNO immer mehr in den Hintergrund gerückt ist.

Sprechen wir also davon, dass das „Recht des Stärkeren“ auf die Weltbühne zurückkehrt und dass die großen Industrienationen angreifen und überfallen können, wen und wie sie wollen? Das Völkerrecht erodiert und … nichts und niemand steht dieser Entwicklung im Weg?

Genauso ist es, leider. Das Ganze läuft schon seit 1945, wird aber seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 unter dem neuen Vorwand „Krieg gegen den Terror“ betrieben.

Die historischen Fakten der letzten 70 Jahre zeigen deutlich, dass NATO-Länder wiederholt andere Länder angegriffen und hierdurch das in der UNO-Charta verankerte Gewaltverbot verletzt haben.

Die NATO ist keine Kraft für Sicherheit und Stabilität, sondern eine Gefahr für den Weltfrieden.

Auch der laufende sogenannte »Krieg gegen den Terror« ist durchsetzt mit Lügen. Dieser von den USA und den NATO-Ländern 2001 ausgerufene Krieg bietet keinen glaubwürdigen Ausstieg aus der Gewaltspirale an und geht die realen Ursachen für den Terror überhaupt nicht an, weil er im Kern gar nicht auf diesen oder dessen Beseitigung, sondern auf die Eroberung und Sicherung von Erdöl, Erdgas, Geld und Macht abzielt.
Der sogenannte »Krieg gegen den Terror« ist und bleibt ein Kampf um Rohstoffe und die globale Vorherrschaft, also alter Wein in neuen Schläuchen.

Die Bilanz nach 15 Jahren ist verheerend: Mehrere Staaten, darunter Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien, sind völlig destabilisiert, Misstrauen und Angst breiten sich aus, es gibt nicht weniger, sondern mehr Terroranschläge, während die Bürgerrechte abgebaut und der Überwachungsstaat ausgebaut werden.

Der sogenannte »Krieg gegen den Terror« stärkt den Militärisch-industriellen Komplex und schwächt die Menschenrechte und die UNO-Charta; er muss von der Friedensbewegung beendet werden, weil er gescheitert ist.

Gibt es denn überhaupt eine Friedensbewegung, die den Krieg gegen den Terror kritisch hinterfragt?

Natürlich gibt es eine Friedensbewegung und natürlich ist diese gegenüber dem sogenannten „Krieg gegen den Terror“ sehr kritisch eingestellt.

Die Friedensbewegung ist aber noch relativ klein, daher wird sie von der NATO und den Politikern ignoriert.

Ich halte ja viele Vorträge in der Schweiz, in Deutschland und in Österreich, und da sehe ich, dass tausende von Menschen diese illegalen Kriege und auch die Kriegslügen ablehnen. Das macht doch Mut.

Was könnte jeder einzelne von uns für eine friedlichere Welt ohne illegale Kriege tun?

Es gibt Lösungen, es gibt Hoffnung. Ich bin für eine Wende hin zu 100 Prozent erneuerbaren Energien, also weg vom Krieg um Erdöl und Erdgas, hin zur dezentralen, erneuerbaren Energieproduktion. Ich habe selber ein Elektroauto und Solarzellen auf meinem Haus.

Ich beobachte, dass immer mehr Menschen gegenüber der NATO kritisch eingestellt sind, sich aber machtlos fühlen, solange sie täglich NATO-Propaganda lesen und im TV sehen. Daher sollte man in die eigene Medienkompetenz investieren und weniger TV schauen und Zeitungen, die NATO-Propaganda verbreiten, schlicht abbestellen.

Ich suche mir meine Informationen selber, das kann ich jedem nur empfehlen. Wenn man nur wartet, was einem vorgesetzt wird, erhält man ungefragt Kriegspropaganda.
Viele Medien sind nicht dazu da, die Menschen zu informieren, sondern um sie zu steuern und zu lenken.

Zudem sollte man viel in die Natur gehen und auch auf eine gesunde Ernährung achten, denn ein gesunder Körper und ein gesunder Geist sind deutlich resistenter, was Hetze und Propaganda angeht.

Die Schweiz und Österreich sollten zur strikten Neutralität zurückkehren, keine Truppen ins Ausland schicken und die sogenannte »Partnership for Peace« der NATO verlassen, weil es sich angesichts der NATO-Angriffskriege hierbei um eine »Partnership for War« handelt.

Und last but not least sollte Deutschland aus der NATO austreten und in Erinnerung der eigenen Geschichte keine Truppen mehr ins Ausland schicken, sondern sich als neutrales Land für das Völkerrecht und friedliche Konfliktlösungen einsetzen.

Ich bedanke mich für das Gespräch.

Daniele Ganser
(Dr. phil.) ist Schweizer Historiker, spezialisiert auf Zeitgeschichte seit 1945 und Internationale Politik. Seine Forschungsschwerpunkte sind Friedensforschung, Geostrategie, verdeckte Kriegsführung, Ressourcenkämpfe und Wirtschaftspolitik. Er unterrichtet an der Universität St. Gallen (HSG) zur Geschichte und Zukunft von Energiesystemen und an der Universität Basel im Nachdiplomstudium Konfliktanalysen zum globalen Kampf ums Erdöl. Er leitet das Swiss Institute for Peace and Energy Research (SIPER) in Basel.

Weiterlesen:

Jochen

Der Terror und die Religion – Interview mit Werner Ruf

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Wieder etwas ganz wichtiges auf den NachDenkSeiten:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=34791#more-34791
160829-Werner-RufWerner Ruf ist emeritierter Professor mit den Arbeitsschwerpunkten Internationale und intergesellschaftliche Beziehungen und Außenpolitik.
Auszüge:

Der Terror und die Religion

Veröffentlicht in: Audio-Podcast, Interviews, Länderberichte, Terrorismus

Geostrategische Erwägungen und die  bestimmen seit dem 19. Jahrhundert die Interessen der großen Mächte im Nahen Osten. Mit dem »arabischen Frühling« schienen sich die Hoffnungen der Menschen auf ein Leben in Würde zu erfüllen. Doch der Sturz säkularer Diktatoren mündete in Staatszerfall, Aufstieg des politischen Islam und unverhohlene Hegemonialpolitik der Despotien am Golf, allen voran Saudi-Arabien. Ausgetragen werden die Konflikte mit Hilfe privater Gewaltakteure, unter denen der »Islamische Staat« sich dadurch auszeichnet, dass er sich von seinen Sponsoren weitgehend unabhängig gemacht hat. Religion wird instrumentalisiert zur Errichtung neuer Ordnungen und Machtstrukturen, die ethno-religiöse Säuberungen gigantischen Ausmaßes zur Folge haben. Über die politische Ökonomie von Terror und pervertierter Religion sprach Jens Wernicke mit dem Autor und Friedensforscher Werner Ruf.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Herr Ruf, in Ihrem aktuellen Buch untersuchen Sie die politische Ökonomie von unter anderem dem sogenannten „Islamischen Staat“. Was ist der „Islamische Staat“ überhaupt?

Der „Islamische Staat“ ist nur einer von gut einem Dutzend von Gewaltakteuren, die in Syrien ihr Unwesen treiben und sich dabei auf eine sektiererische Auslegung des Islam berufen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Gewaltakteuren hat der IS es vermocht, im Irak und in Syrien staatliche Strukturen aufzubauen, ein Mindestmaß an Sicherheit für die Menschen herzustellen, Grundbedürfnisse wie die Wasser- und Energieverorgung einigermaßen zu sichern und so eine gewisse Akzeptanz zu erreichen. Religion – oder besser: Konfession – ist dafür das Vehikel. Gnadenlos verfolgt werden „Ungläubige“, als da sind: Christen, Zoroastrier, Jeziden, aber auch säkulare Muslime jedweder Richtung und vor allem Schiiten.

Letzteres hat seinen Ursprung in der Konfessionalisierung der Politik, die die USA nach dem Krieg von 2003 im Irak betrieben haben, wo nicht nur die Armee, sondern der gesamte öffentliche Dienst einschließlich Erziehungs- und Gesundheitswesen von „Sunniten“ gesäubert und durch „Schiiten“ ersetzt wurden. Saddam Hussein stammte zwar aus eine sunnitischen Region, aber er war säkular, beispielswiese war der Dauer-Außenminister des Irak, Tarek Azizi, Christ.

Die In-Besitznahme des Staates durch die Schiiten führte zu einer abgrundtief korrupten Pfründewirtschaft, zu systematischer Verfolgung und Diskriminierung der Sunniten. So ist es nicht verwunderlich, dass die Führungskader des IS vor allem hohe Offiziere aus Armee und Geheimdienst Saddam Husseins sind, Zyniker der Macht, die die Religion für ihre Zwecke des Einschlusses von „Sunniten“ und des Ausschlusses von „Schiiten“ benutzen und die Konfessionalisierung der Auseinandersetzungen instrumentalisieren.

Ähnlich, doch mit größerer Effizienz, hat der „Islamische Staat“ eine kriminelle Ökonomie aufgebaut. Er generiert seine Einnahmen durch das Abpressen von „Steuern“, die Nicht-Sunniten an Straßensperren, für Häuser, Geschäfte etc. bezahlen müssen. Eine wichtige Einnahmequelle sind Geiselnahmen, auch von Kindern, die bei Nichtbezahlung des geforderten Lösegeldes ermordet werden – schließlich müssen die Forderungen glaubhaft sein.

Erhebliche Summen werden erreicht durch die Geiselnahme – und nötigenfalls Ermordung – von Ausländern: Journalisten, Entwicklungshelfer etc., wie beispielweise des amerikanischen Journalisten James Fooley. Solche „wertvollen“ Geiseln werden unter den Gewaltakteuren auch gehandelt oder sich wechselseitig abgejagt. Die Verbreitung von Angst und Schrecken durch bestialische Strafen und Hinrichtungen ist Grundlage der Herrschaft und der Finanzierung zugleich.

Eine weitere wichtige Einnahmequelle ist der Handel mit Antiquitäten, für die es im Westen offensichtlich einen riesigen Markt gibt. Hinzu kommt der Export von Öl aus irakischen und syrischen Ölfeldern, unter den Kunden an diesem Markt, den man offensichtlich nicht stilllegen will, sollen auch EU-Staaten sein. Die Einnahmen des IS wurden auf bis zu 4 Millionen Dollar pro Tag geschätzt. Der IS ist also eine Terror-Organisation und zugleich ein globaler ökonomischer Akteur.

Was treibt die Menschen zum „Islamischen Staat“?

Es gibt sicherlich fanatisierte Menschen, die sich diesem Gewaltakteur anschließen. Das allerdings gilt genauso für die vielen anderen Gewaltakteure wie – um nur wenige zu nennen – die Nusra-Front, einen Ableger von Al Qa’eda, Jaisch al Islam oder Ahrar esh-Sham etc.

Tatsache ist aber auch, dass der IS wohl seinen Kämpfern lange Zeit den besten Sold, nach Schätzungen 400 bis 600 Dollar im Monat zahlen konnte. Die Attraktivität besteht also nicht nur in fanatisiertem Glauben oder der Möglichkeit, Gewaltfantasien ausleben zu können, sondern auch in handfesten materiellen Interessen. Aus Tunesien und Libanon ist bekannt, dass den Freiwilligen, die sich einer dieser Banden anschließen, Handgelder bis zu 6.000 oder 8.000 Dollar bezahlt werden.

Es ist also nicht so, dass der „Islamische Staat“ aus einer Ansammlung überzeugter Massenmörder und Terroristen besteht?

Keineswegs. Diese Terror-Organisation bietet – wie die anderen auch – materielles Auskommen, eine Lebensperspektive, Kameradschaft – und Macht. Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang Untersuchungen des Verfassungsschutzes, denen zufolge 378 Personen aus Deutschland zu den djihadistischen Gewaltakteuren ausgereist sind. 54 davon sind deutschstämmige Konvertiten. Nur 26 Prozent hatten eine Schulausbildung abgeschlossen, nur 12 Prozent hatten einen Job, meist im Billiglohnsektor, ein Drittel war bereits im Bereich der Kleinkriminalität – da geht es um Eigentumsdelikte, Drogenhandel, Körperverletzung etc. – straffällig geworden.

Das heißt: Die Rekrutierung erfolgt am unteren Rand unserer Gesellschaft, unter den perspektivlosen Verlierern der neoliberalen Globalisierung.
Und die gilt in Europa wie im Nahen Osten gleichermaßen wie in den insgesamt über 80 Ländern, aus denen Kämpfer der Djihadisten stammen sollen.

Es geht also…

In Wahrheit um Armut, nicht um Religion. Die Religion wird offensichtlich vor allem dazu benutzt, dem terroristischen Unternehmen etwas Missionarisches, ein Sendungsbewusstsein zu verleihen und die Gruppen zusammenzuschweißen.

Dahinter steht eine Ökonomie der Gewalt, des Terrors, die es den Führern erlaubt, beträchtliche Summen Geldes anzusammeln.
Dies gilt vor allem durch die monetäre Unterstützung, die die Banden in erster Linie aus den Golfstaaten erhalten. Deren Motive sind in erster Linie sehr irdischer Natur.

Und was hat der sogenannte „Sexuelle Djihad“ mit all dem zu tun?

Dies ist ein besonders abartiger Aspekt dieses insgesamt abscheulichen Themas. Junge Frauen gehen freiwillig nach Syrien, um dort mit sexuellen Dienstleistungen die Moral der Kämpfer zu stärken. Dass es sich bei diesem »sexuellen Djihad« nicht um ein Einzelphänomen handelt, zeigen die Zahlen, die der Verfassungsschutz für 2015 erhoben hat.

Danach waren 21 Prozent der aus Deutschland in den Djihad Ausgereisten Frauen, meist junge Mädchen. Dass den jungen Frauen romantische Eheschließungen vorgegaukelt werden, ist oft Teil dieses Geschäfts. Frauen, die nach der selektiven Auslegung der Schriften durch die Djihadisten verheiratet werden, haben keinerlei sozialen und materiellen Schutz, der ihnen in den meisten islamischen Ländern, in denen eine Zivilehe existiert, zusteht.
Mit einem dreimaligen »ich verstoße Dich« ist der Ehemann seine Frau los. Diese kann dann unter extrem schlechten und erniedrigenden Bedingungen versuchen, sich wieder zu verheiraten, da sie anders ihren Lebensunterhalt nicht sichern kann. Danach bleibt nur noch die Prostitution.

Für die Frauen, die freiwillig in den »Djihad« ziehen, gelten auch nicht mehr die Mindestsicherungen, die es im traditionellen islamischen Milieu und Gewohnheitsrecht gab: Die Einwilligung der Eltern und die vorherige öffentliche Bekanntgabe der beabsichtigten Eheschließung. Diese Frauen verlieren genau den relativen Schutz, den sie in traditionellen Gesellschaften genießen wie beispielsweise, dass eine »verstoßene« Frau wieder in ihre Herkunftsfamilie zurückkehren kann, dass ihre Mitgift wie etwa Schmuck als eine Art Lebensversicherung ihr Privateigentum bleibt.

Um welche Interessen geht es im Hintergrund?

Das ist wie immer des Pudels Kern – und die Interessen sind sehr vielfältig, zum Teil widersprüchlich. Da sind natürlich die USA, die letztendlich die Kontrolle über die strategisch und energiepolitisch so wichtige Region behalten wollen.
Da ist Russland, dessen letzter und einziger Verbündeter im Nahen Osten das Assad-Regime in Syrien ist, vor allem aber: In Tartous unterhält die russische Marine ihren einzigen Stützpunkt außerhalb des eigenen Territoriums.
Da ist die Türkei, die auf jeden Fall die Entstehung einer Form von kurdischer Staatlichkeit in Syrien verhindern will und wohl auch Gebietsansprüche in einem zerstörten Syrien verfolgt.

Und da sind die Golfstaaten, die – allen voran Saudi-Arabien – eines der letzten säkularen Regime in der Region beseitigen und sich als einzige Vormacht in der Region aufbauen wollen. Sie heizen die konfessionelle Dimension des Konflikts an, da sie den Iran als einzigen ernsthaften Gegner in der Region schwächen wollen. Der Sturz Assads würde die sogenannte „schiitische Achse“ zerbrechen, die vom Iran über Syrien bis in den Libanon reicht.

Doch sind sich die Golfstaaten nicht einig, da die Saudis die salafistischen Gruppen unterstützen, Qatar dagegen die Muslimbrüder, zu denen auch das Erdogan-Regime zu zählen ist. Beide finanzieren sich in Syrien bekämpfende unterschiedliche Gewaltakteure.

Zudem versucht Qatar seit rund zehn Jahren, eine Gaspipeline zu bauen, die über Syrien Anschluss an die großen Ost-West-Pipelines in Richtung Europa bekommen soll, die durch die Türkei verlaufen.
Israel sieht die Auseinandersetzungen wohl mit Wohlgefallen, zumindest insofern sie die Schwächung des Iran zum Ziele haben. Folgerichtig gibt es wohl israelische Unterstützung für die al-Qa’eda nahestehende Terrororganisation Nusra-Front.
Weiter verkompliziert wird die Situation durch die Entdeckung riesiger Erdgas-Felder, die sich im Küstenbereich vom Gaza-Streifen entlang der israelischen, libanesischen und syrischen Küsten bis vor die Türkei ziehen.

Jeder dieser Akteure verfolgt eigene Interessen, die denen der anderen widersprechen.

Die Finanzierung und Unterstützung der Gewaltakteure in Syrien ist Kern des Problems.

Dies erklärt, weshalb die Friedensbemühungen der UN, die sogenannten Genfer Initiativen, insgesamt erfolglos geblieben sind: Gerade scheitert der dritte Versuch, alle Akteure zu einem Kompromiss zu bringen.

Welche Verantwortung trägt der Westen für all das?

Der Westen – allen voran die USA – hat in Syrien die fatale Politik des regime-changes fortgesetzt, mit der er schon das Chaos im Irak und in Libyen, das übrigens zur neuen Bastion des IS zu werden scheint, verursacht hat. Die simple Forderung „Assad muss weg“ enthält keinerlei politische Perspektive für das, was danach kommen soll. Es gibt eine Reihe von teils gerade erst bekannt gewordenen Planungsüberlegungen aus dem Pentagon und Empfehlungen des Council on Foreign Relations, wonach al Qa’eda und ihr nahestehende Milizen als wichtige und nützliche Partner im Konflikt angesehen werden.

Angedacht wird in diesen Überlegungen auch die Errichtung eines salafistischen Fürstentums – also eines möglichen Kalifats -, das die sunnitischen Teile des Irak und Syriens umfassen soll, weil dies den Vorstellungen der Verbündeten vom Golf entspreche.
Eine solche „Lösung“ auf konfessioneller Basis hätte die Vertreibung von Millionen Menschen christlicher und anderer Konfessionen zur Folge, da sie von ethno-religiösen Säuberungen unermesslichen Ausmaßes begleitet würden: Die bisherigen Fluchtbewegungen wären nur ein Vorbote dessen, was durch ein solches Vorhaben ausgelöst würde.

Zusammenfassend: Ohne westliche Unterstützung also kein „Islamischer Staat“?

Die Anfänge dieses terroristischen Gewaltakteurs reichen zurück in den Irak, wo nach der US-Invasion und dem Sturz Saddam Husseins ehemalige Führungskader und djihadistische Afghanistan-Kämpfer im US-Folterlager Camp Bucca zusammentrafen.
Glaubt man den oben erwähnten US-Dokumenten, erschien der IS der Obama-Administration als nützliches Werkzeug zum Sturz Assads. Nachdem der IS als Feind erkannt oder definiert wurde, scheinen jetzt ernsthafte Überlegungen im Gange, die mit der Nusra-Front verbündete Terror-Miliz Ahrar esh-Sham als verbündete US-Truppe aufzubauen.

Hinter vielen djihadistischen Gruppen steht nach wie vor Saudi-Arabien, dessen wahhabitischer Staats-Islam Grundlage der religiösen Interpretation der Djihadisten ist. Die von Saudi-Arabien patronierte „Rebellen-Koalition“ von dreißig Gewaltakteuren, die an den Genfer Verhandlungen teilnehmen sollen, sind hauptverantwortlich für den Stillstand der Verhandlungen in Genf.
Aber der Westen lässt Saudi-Arabien gewähren.

Die USA haben auch in der Türkei, in Jordanien und in Saudi-Arabien „gemäßigte“ islamistische Gruppen ausgebildet, die die Freie Syrische Armee, einen Zusammenschluss aus Deserteuren der Armee Assads und djihadistischer Gruppen, unterstützen sollten. Nachdem mehrere ausgebildete Gruppen samt ihren Waffen zu IS & Co. übergelaufen sind, wurde das Programm im letzten Jahr wohl weitgehend eingestellt. Waffenlieferungen, vor allem über die Türkei, liefen aber seit 2011. Ohne diese Unterstützung wäre der IS wohl nicht geworden, was er ist. Auch die Vermarktung von Öl und Antiquitäten lief wohl lange Zeit reibungslos.

Wenn Sie das Wechselspiel zwischen globalisiertem Terror, Religion und Profit in einem Satz zusammenfassen, dann lautet der?

Religion ist das Vehikel, Terror die Praxis, Profit ist das Ziel.

Wie begegnen wir diesem Phänomen am besten? Immer mehr Bomben und Krieg oder…?

Sicherlich nicht!

Wenn ernsthaft Frieden gewollt wäre, müssten die Waffenexporte in die Region sofort und vollkommen eingestellt werden, denn die Waffen sind auch wichtige Handelsgüter – wie sonst konnten die an kurdische Peschmerga im Nordirak gelieferten deutschen Milan-Raketen in die Hände des IS gelangen?

Es müsste endlich Artikel 2.7 der UN-Charta respektiert werden, der jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Landes verbietet.

Es müssten private militärische Unternehmen, die vor allem im Irak für Kriegsverbrechen verantwortlich sind, weltweit verboten werden und die Welt müsste Abschied nehmen von der neoliberalen Ordnung, die weltweit Elend und Perspektivlosigkeit produziert und Gewaltakteuren wie dem IS die soziale Basis für ihre Rekrutierung liefert.

Ich bedanke mich für das Gespräch.

Jochen

Das Ende der Arroganz: Die „Realpolitik“ des Westens ist gescheitert

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Es folgen nun in den nächsten Tagen einige längere Beiträge zur aktuellen Vorbereitung eines völkerrechtswidrigen*) Angriffskrieges durch die Bundesregierung gegen das Land Syrien.
Ich möchte die Sachkundigen unter Euch auch dazu auffordern, darüber nachzudenken, ob das eine Strafanzeige gegen die Verantwortlichen Merkel, v.d.Leyen und Steinmeier sowie eine Anzeige beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag nach sich ziehen sollte.
Hier zunächst ein nachdenklicher, grundsätzlicher Artikel aus der „Zeit„, der für den Autor eine bisher ungewohnte Nachdenklichkeit ankündigt – bis auf den obligatorischen Tritt nach Putin am Ende des Artikels. So ein Kotau wirkt wie in der DDR das Marx-Zitat zur Überwindung der Zensur.
Dort auch lesenswerte Kommentare:
http://www.zeit.de/2015/47/muslime-islam-westen-umgang/komplettansicht
Auszüge:

Kolonialismus, Interventionen, Krieg gegen den Terror: Die „Realpolitik“ des Westens ist gescheitert. Wir müssen unser Verhältnis zu den Muslimen grundlegend ändern.

Von Bernd Ulrich
Der Westen ist traurig und verzweifelt über die Toten von Paris und zeigt es auch. Das ehrt ihn, das ehrt uns.
Der Westen ist auch traurig und verzweifelt darüber, dass er nicht weiß, was er nun tun soll. Das zeigt er nicht, sondern versteckt sich hinter martialischen Gesten.
Das ehrt ihn nicht, und es ist gefährlich.

Aus Angst Krieg?

Die Rede ist von Krieg. Aber führen Europäer und Amerikaner nicht schon seit vierzehn Jahren ununterbrochen Krieg im Mittleren Osten?
Hat die französische Luftwaffe nicht auch vor dem 13. November schon Bomben geworfen?

Nun soll es ein neues Bündnis mit Russland gegen den IS geben. Aber kämpfen die Russen nicht bereits in Syrien? Und wenn sie bisher nicht gegen den IS, sondern ausschließlich für Assad kämpfen, warum sollten sie das nun ändern?

Der französische Präsident will fortan „gnadenlos“ die Terroristen jagen, man kann das verstehen, er ist wütend, und er meint jetzt, Härte zeigen zu müssen. Aber hat Frankreich, hat der Westen irgendwann zu viel Gnade walten lassen in Nordafrika? Sind die Invasionen in Afghanistan und im Irak oder die Intervention in Libyen im Chaos geendet, weil der Westen zu rücksichtsvoll war?

Anders als der Westen hat der IS einen Plan: Er will Europäer, Amerikaner und neuerdings auch Russen zu möglichst massiven Gegenschlägen provozieren, sie alle so tief wie es irgend geht hineinziehen ins Chaos; der IS giert danach, aus der Luft attackiert zu werden, weil er um die Kollateralschäden weiß, die dann entstehen. Und er weiß, dass jeder Kollateralschaden sein Kollateralnutzen ist. Bomben töten Terroristen – und schaffen neue.
In dieser Woche berichtete der Guardian, dass amerikanische Drohnen in Pakistan oft mehr als zwanzig Mal so viele Menschen töten wie beabsichtigt.

Wenn aber der IS Luftschläge will, wieso sollen dann Luftschläge gegen den IS helfen?

Kurz nach den Attentaten von Paris saß der Westen beim G-20-Gipfel in Antalya zusammen mit dem islamistischen Regime aus Saudi-Arabien, um gemeinsam mit ihm den islamistischen Terror zu bekämpfen. Man kann so etwas Verqueres natürlich versuchen, Islamisten mit Islamisten zu bekämpfen. Allerdings, man probiert es jetzt schon seit Jahrzehnten. Herausgekommen ist erst Al-Kaida, mit dem Saudi Osama bin Laden an der Spitze. Und dann der aus saudischen Quellen mitgenährte „Islamische Staat“.
Die Brookings Institution hat in diesem Jahr die Zahl der twitternden Unterstützer des IS gezählt. Ergebnis: Die mit sehr weitem Abstand meisten Anhänger des IS kommen aus: Saudi-Arabien.

Wie oft will man noch probieren, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben?

Vierzehn Jahre Krieg gegen den Terror – und was ist herausgekommen? Mehr Krieg, mehr Chaos, mehr Terror.
Wo vorher Al-Kaida war, ist nun der noch mächtigere und brutalere IS. Wo vorher Staaten Terroristen beherbergten, zerstören Terroristen nun Staaten.
Außerdem gibt es jetzt etwas, das es vor Beginn dieses gloriosen Kampfes gegen den Terror so nicht gegeben hat: Abermillionen Flüchtlinge, die nach Europa wollen.

Und nun alles noch einmal? Wie von Sinnen versucht der Westen erneut, mit dem Vorschlaghammer ein Ei zu pellen.

Wäre es nicht vielmehr an der Zeit, die westliche Strategie im Mittleren Osten, ja unser ganzes Verhalten gegenüber der islamischen Welt einmal gründlich auf den Prüfstand zu stellen?
Und sich die tief beunruhigende Frage zu stellen, warum so viele Muslime sich vom Westen verletzt und gedemütigt fühlen und warum es für den Terrorismus infolgedessen ein offenbar unerschöpfliches Reservoir an Menschen gibt?

Ist eine westliche Realpolitik auch nur Ideologie?

Man sollte sich nämlich keinen Illusionen hingeben. Selbst wenn es gelingen sollte, die Lage in Syrien etwas zu beruhigen und den IS ein wenig zurückzudrängen – noch hat die arabisch-islamische Welt den Höhepunkt ihrer destruktiven Entwicklung nicht erreicht.
Algerien beispielsweise, das heute vom greisen Abdelaziz Bouteflika regiert wird, könnte jederzeit ins Chaos stürzen, wenn der Diktator stirbt.
Auch Saudi-Arabien ist alles andere als stabil, nicht nur, weil der Ölpreis im Keller ist. Der kostspielige Krieg, den die islamistische Diktatur im Jemen führt, hat in Riad schon jetzt schwere Machtkämpfe zur Folge. Wie lange hält dieses Regime noch? Zwei Jahre? Fünf?

Es kann also noch viel schlimmer kommen.

Ob es so kommt oder ob eine Wende in dieser Region möglich ist, hängt gewiss nicht allein von Amerikanern und Europäern ab. Jedoch tragen sie viel dazu bei, so oder so. Darum lohnt es sich, eine ehrliche Bilanz der westlichen Politik im Mittleren Osten zu ziehen. Und zu überlegen, wie ein ganz neuer Ansatz im Verhältnis zu den Muslimen aussehen könnte. Beginnen wir mit der Kritik.

„Too big to learn“ – Realpolitik als Ideologie

So fest stecken Amerikaner und Europäer in der Ideologie einer vermeintlichen „Realpolitik“, dass sie die Realität oft nicht mehr sehen. Generationen von Politikern und Journalisten wurden durch diese Denkschule geprägt; wird sie nun nicht überwunden, droht der Kampf gegen den Terror ebenso zu misslingen wie die viel beschworene Bekämpfung der Fluchtursachen.

Ist Realpolitik eine Ideologie? Es gibt natürlich echte, gute Realpolitik, die vom Ende her denkt, die zwar an den eigenen Werten orientiert ist, sich davon aber nicht wegtragen lässt, die genau hinschaut, die sorgsam ihre Mittel wägt, die das Gutgemeinte nicht schon für das Gutgemachte hält. Eine solche Realpolitik kam jedoch im Mittleren Osten so gut wie nie zur Anwendung. Stattdessen mutierte die „Realpolitik“ des Westens dort zu einer gefährlichen Ideologie.

Wichtigstes Kennzeichen einer Ideologie ist nach der Definition von Karl Popper, dass sie nicht falsifizierbar, also nicht widerlegbar ist.
Tatsächlich arbeitet die westliche „Realpolitik“ im Mittleren Osten mit Hypothesen und Methoden, die bei ihrer Anwendung auf die Araber und Perser niemals widerlegt werden konnten. Dafür waren die Kräfteverhältnisse immer zu ungleich. Fehler von Briten, Franzosen oder Amerikanern wurden nie wirklich bestraft, vielmehr konnten sie stets durch neue, noch größere Fehler, durch Ins-gegenteilige-Extrem-Umschlagen, durch noch imposantere Interventionen zum Verschwinden gebracht werden.

Beispiel Afghanistan: Mitte der achtziger Jahre haben die Amerikaner dort die sogenannten Mudschahedin aufgerüstet, auf dass sie gegen die sowjetische Besatzung kämpften. Dann, nach dem Untergang des Sowjetreiches, überließ man sie ihrem Schicksal. Die schwer bewaffneten Mudschahedin errichteten daraufhin eine Gangster-Herrschaft ohne jede politische oder religiöse Legitimation.
So lange, bis die Taliban große Teile Afghanistans eroberten und schließlich Al-Kaida die Chance gaben, von dort aus die Angriffe auf das World Trade Center vorzubereiten, weswegen der Westen mit einem gigantischen Militärbündnis einmarschierte.
Westliche Soldaten stehen heute noch da – aber die Taliban sind wieder auf dem Vormarsch. Lerneffekt: null.

Beispiel Irak: Anfang der achtziger Jahre rüsteten die Amerikaner Saddam Hussein auf, damit er gegen den Iran Krieg führen konnte, wo die bärtigen Ajatollahs die Macht übernommen hatten. Den Krieg hat er dann weder gewonnen noch verloren, aber er kostete ungeheuer viel Geld, weswegen er sich das kleine, ölreiche Kuwait einverleibte, woraufhin die USA in ihren ersten Irakkrieg zogen, Saddam aus Kuwait hinauswarfen, ihn aber an der Macht ließen. Später, im Jahre 2003, marschierten sie – aus Gründen, über die noch zu sprechen sein wird – erneut und mit noch größerer Militärmacht ein, um ihren in Ungnade gefallenen Verbündeten zu stürzen.

Fehler werden also nicht korrigiert, sie werden ins Quadrat gesetzt. Westliche „Realpolitik“ im Mittleren Osten funktioniert nach dem Motto: Warum falsifizieren, wo man auch eskalieren kann.

Nur die Geste zählt – Realitätsverlust der „Realpolitik“

Weil die „Realpolitik“ des Westens über so immense Mittel verfügt, muss sie sich um die Realität nicht wirklich kümmern, sie kann sie ja jederzeit auch zusammenschießen, wegputschen, aufkaufen oder ihr einfach den Rücken kehren. Das ist aber nur ein Grund für den häufigen Realitätsverlust der „Realpolitik“.
Der andere liegt in der wirkungsvollsten Pose. Denn in Wahrheit fühlt sie sich nicht da besonders stark, wo sie akribisch und geduldig die Gegebenheiten eines Landes und ihrer Menschen studiert hat, um hernach etwas zu tun, was zwar den westlichen Werten und Prinzipien ein klein wenig widerspricht, aber der Sache und den eigenen Interessen dient.

Ein mörderisches Pilotspiel des Westens

Oft ist es umgekehrt: Nicht die Nähe zur Realität gibt der „Realpolitik“ ihre Gewissheit, sondern die Entfernung von den eigenen Werten und Regeln. Je weiter weg von den Idealen, so der Fehlschluss, desto näher am Realen. Das wiederum liegt am männlichen Gestus der „Realpolitik“, die, wenn es ernst wird, immer signalisiert: Pfaffen und Weiber bitte mal weggucken, jetzt kommen die wirklich harten Jungs und regeln die Sache.
Das ist magisches Denken. Natürlich regeln sie meistens nichts.

Hier liegt eine wichtige Weisheit: Wer sich von den eigenen Werten allzu weit entfernt – und zugleich an den Belangen der betroffenen Araber und Perser chronisch desinteressiert ist –, der verliert den Sinn für Wirklichkeit und Verhältnismäßigkeit.
Was eigentlich nicht verwundern sollte, weil unsere Werte und Ideale schließlich nicht auf einem Kindergeburtstag ersonnen wurden, sondern das Produkt jahrhundertelangen Kämpfens, Nachdenkens, Probierens und Verwerfens sind, sie stellen die Lehre dar, die wir aus Millionen Litern sinnlos vergossenen Blutes destilliert haben.

Wie viele Tote für wie viel Öl? – Die „Realpolitik“ als Pilotspiel**)

Fehlende Verhältnismäßigkeit sowie die Gewohnheit, Fehler unter noch größeren Fehlern zu begraben, haben aus der „Realpolitik“ im Mittleren Osten ein Pilotspiel gemacht. Nehmen wir hier nur einige Stränge heraus, die verdeutlichen, wie dieses Spiel funktioniert und wieso es in seine Schlussphase eingetreten ist.

Von Afghanistan war schon die Rede, wo in einer für das Agieren des Westens typischen Mischung aus Interventionismus und Gleichgültigkeit ein immer größerer Mitteleinsatz nötig wurde, um die Fehler aus der je letzten Runde zu beseitigen. Auch der Irak stellt, wie gesehen, ein solches Beispiel dar.

Besonders eklatant ist jedoch, was der Westen im Iran angerichtet hat. Im August 1953 wurde die demokratisch gesonnene Regierung unter dem Premier Mossadegh vom amerikanischen und britischen Geheimdienst gestürzt. Der Grund: Er wollte für die Iraner einen höheren Anteil am Gewinn aus den Ölfeldern erzielen.
Im Interesse westlicher Ölkonzerne wurde daraufhin Mohammed Reza Pahlevi an die Macht geputscht. Der wurde Schah genannt, war aber einfach ein säkularer Diktator, der die religiösen Gefühle seiner Landsleute buchstäblich mit Füßen trat und eine Verwestlichung des Irans durchsetzte – minus Demokratie und Menschenrechte, plus Folter und allmächtigem Geheimdienst.

1979 endete seine aggressiv-säkularistische Herrschaft folgerichtig mit einer islamistischen Revolution, angeführt von Ajatollah Chomeini.
Um dessen Einfluss wiederum einzudämmen, unterstützten die USA den Krieg von Saddam Hussein gegen den Iran. In diesem grauenvollen Stellungskrieg fielen auf seiten des Irans bis zu 800.000 Männer und Jungen. Ein ungeheurer Blutzoll, der die Mullahs stabilisierte und den Iran zu einem Todfeind der USA machte.
Als dann die USA zweimal in den Irak einmarschierten, um ihren ehemaligen Kameraden Saddam erst unter Kontrolle zu bringen und später zu stürzen, stärkte das wiederum den Iran, diesen Feind des Westens.
Infolgedessen fühlte sich das ebenfalls islamistische, aber sunnitische Saudi-Arabien herausgefordert dagegenzuhalten. Die Kooperation der Islamisten von Riad mit dem Westen wurde und wird vom dortigen Regime in einer Art Ablasshandel durch den massiven Export islamistischer Ideologie in die ganze Region kompensiert.
So wurde der religiöse Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten durch den Westen scharfgemacht, mit Waffen und Geld aufgeladen, um sich dann in die ganze Region auszubreiten. Der IS ist dabei nur eine von vielen indirekten Nebenwirkungen dieses westlichen Gebarens.

Das Grundmuster des mörderischen Pilotspiels wird am Beispiel Iran besonders deutlich: Was mit dem banalen Profitinteresse westlicher Ölkonzerne und einer Geheimdienstaktion begann, eskalierte zu einem verheerenden Krieg mit fast einer Million Toten, gebar sodann zwei weitere Kriege mit direkter Beteiligung des Westens und ist mit der beginnenden Destabilisierung Saudi-Arabiens und der Ausbreitung des IS womöglich noch nicht einmal an seiner Klimax angekommen.

Wenn man die anderen Stränge des Pilotspiels „Realpolitik“ dazunimmt, also die afghanische Eskalation, die syrische, die libysche und so weiter, wenn man sich vorstellt, wie all diese Konflikte sich gegenseitig durchdringen und befeuern, dann wird schließlich klar, an welcher Stelle wir uns befinden: da, wo auch der mächtige, reiche Westen den Mitteleinsatz nicht weiter erhöhen kann. Das Pilotspiel ist in seine letzte Phase eingetreten.

Die Schuld der USA und das Versagen der „checks and balances“

Viele fragen sich im Angesicht der Millionen Flüchtlinge aus Arabien und des dort um sich greifenden Chaos, warum sich die Amerikaner, die ja die westliche Politik im Mittleren Osten zuletzt dominiert haben, für ihr Versagen nicht schämen, warum sie nicht darum bitten, durch die Aufnahme der ein oder anderen Flüchtlingsmillion ein wenig Wiedergutmachung zu üben.

Wenn aus der „Realpolitik“ Kolonialismus wird

Der Grund ist verblüffend einfach: Es gibt in dieser Frage keine Amerikaner, sondern nur Republikaner und Demokraten. Und dann machen halt die Demokraten die Regierung von George W. Bush mit ihren Invasionskriegen für all das verantwortlich, während die Republikaner Präsident Obama wegen seiner Rückzüge und der verwischten roten Linien attackieren.
Nur dass irgendetwas grundlegend falsch sein könnte an der gesamten US-Politik im Mittleren Osten, dieser Gedanke kommt ernstlich nicht auf.

Besonders sinnfällig wird das an jenem Familienstreit, der zurzeit die Präsidentschaftskandidatur von Jeb Bush begleitet. War die zweite Invasion des Iraks durch George W. Bush gar keine Realpolitik, sondern nur wild gewordene Gesinnung? Das behauptet nun dessen Vater George Bush senior, der zwölf Jahre zuvor in seinem wegen Kuwait geführten Irak-Krieg auf den Sturz des Diktators verzichtet hatte.

Diese Kritik des Vaters am Sohn, der sonst wirklich alle Kritik verdient hat, ist ungerecht. Ein Ideologe und heißblütiger Idealist war George W. Bush von seiner Natur her sicher nicht. Dass er dennoch auf Ideologen wie Dick Cheney gehört hat, lag an der logischen Stelle, an der er sich im Pilotspiel Mittelost befand. Wenn eine Politik wie die seines Vaters – auf halbem Wege stehen bleiben – zu 9/11 führt, dann muss man danach eben etwas anderes machen: den ganzen Weg gehen. Wenn eine von der Geheimdienstaktion über den Stellvertreterkrieg bis zur Bodenoffensive sich steigernde, also immer höher gepokerte Stabilitätspolitik keine Sicherheit für das amerikanische Territorium bringt, dann vielleicht der totale Umsturz, so wird der Junior gedacht haben.
Den Zugzwang, unter dem er sich wähnte, hat er aber von seinem Vater nur geerbt. Folglich hat sich der Sohn keineswegs an den realpolitischen Vorgaben seines Vaters vergangen, er hat sie vielmehr ausgebadet.

Bush junior wollte das Pilotspiel beenden, indem er es gewinnt, doch hat er es nur auf eine noch gefährlichere Stufe gehoben.

Die USA sind zu einer grundlegenden Kritik ihrer eigenen Mittelostpolitik unfähig, während ihre europäischen Partner entweder zu ähnlich denken wie sie (Großbritannien) oder zu friedfertig sind (Deutschland), um eine echte Debatte anzuzetteln. Und so ging dem Westen der Zugang zu einer seiner wichtigsten Kulturtechniken verloren – zu den checks and balances.

Der Kolonialismus kehrt heim – Untergang der „Realpolitik“

Lassen wir alle moralischen Fragen einmal beiseite, so muss man gleichwohl konstatieren: Die westliche „Realpolitik“ ist am Ende ihrer Möglichkeiten angekommen.
In ihrem Werkzeugkasten wurden alle Instrumente in jeder beliebigen Kombination auf so gut wie jedes Land im Mittleren Osten angewendet: Geheimdienstaktionen, Drohnen, Invasionen, Stellvertreterkriege, Korruption, Waffenlieferungen, Bombardements, Sanktionen, Stabilisieren oder Stürzen von Diktatoren.

Skrupel spielten kaum je eine Rolle, doch stellt sich neuerdings heraus: Reine Interessenpolitik dient nicht mal mehr unseren Interessen.

Auch darum ist die „Realpolitik“ am Ende, denn sie braucht Entfernung, sie muss ihre Objekte in einem weitgehend abgeschlossenen Bestiarium halten.
Nähe verstört „Realpolitik“, weil sie dann mit den Konsequenzen am eigenen Leib konfrontiert wird. Auch darum war 9/11 so ein Schock und wurde mit einer weiteren, vielleicht letzten Explosion der herkömmlichen Politik beantwortet – allerdings mit dem Effekt, dass in der zweiten Runde die Flüchtlinge kamen. Der Kolonialismus kehrt nun heim, die Flüchtlinge bringen ihn dahin, wo er herkam.

Was machen wir jetzt? Aufgeben? Das läge uns nahe. Die Geschichte des Mittleren Ostens wird bei uns gern so erzählt, dass diesen verfluchten Arabern mit ihrer unseligen Religion einfach nicht zu helfen ist. Zentrales Argument für diese These ist heutzutage die Arabellion, die ja „auch nichts gebracht hat“. Ist das nicht etwas vorschnell und anmaßend? Schließlich handelte es sich bei den Aufständen lediglich um verzweifelte, erstmals auf breiter Fläche entflammende Befreiungsversuche in einer durch schlechtes Regieren völlig heruntergewirtschafteten, an Demokratie nicht gewöhnten Region. Besser hätten womöglich nicht mal wir Helden der Demokratie es so einfach hingekriegt.

Unsere Kriege überschatten die guten Taten

Man kann das Scheitern westlicher Politik aber auch als Chance betrachten. Denn ob den Muslimen tatsächlich nicht zu helfen ist, wie man jetzt gern stöhnt, das können wir nicht wissen, denn wir haben es noch nie ernstlich probiert.

Zweifellos braucht der Westen einen neuen, einen zweiten Werkzeugkasten. Und eine neue Hypothese: Muslime sind Menschen wie du und ich, Realpolitik muss sich damit anfreunden.

Die Schuld der Araber und der Beitrag des Westens

Ja, es stimmt, der Islam ist, wie jede andere Religion, mit Hass aufladbar, vielleicht sogar mehr als andere Religionen. Aber ob er sich so auflädt, dass er zu Islamismus wird und gar zu islamistischem Terror, das hängt doch sehr von den Umständen ab. Und damit auch von uns.

Ja, es stimmt, die Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten birgt seit jeher kriegerisches Potenzial, aber es gab immer wieder auch Phasen, in denen die beiden großen islamischen Religionsgemeinschaften recht friedlich miteinander lebten.

Ja, es hat schon Stammeskriege in Arabien gegeben, bevor der Westen seine willkürlichen Linien in den Sand gezogen hat. Es ist daher keineswegs sicher, dass im leicht entzündlichen Mittleren Osten alles besser wird, sobald der Westen es besser macht.
Man kann auch lange darüber streiten, wie hoch der muslimische und wie hoch der westliche Anteil an der Misere ist, 60/40 oder 40/60? Aber was soll das bringen?

Fest steht zweierlei: Zum einen können wir eher unser Verhalten ändern als das der anderen.
Zum Zweiten: Wenn ohnehin schon so viel Gift in Arabien und Persien steckt, kann niemals etwas daraus werden, wenn wir unser Gift auch noch weiter mit hineinspritzen. Und das haben wir in den letzten 100, 50, 20 und zwei Jahren getan.

Keine Frage, es hat auch positive Ansätze gegeben. Da war die Entwicklungshilfe, da waren die Versuche, in Afghanistan Brunnen und Schulen zu bauen, da gab es eine humanitär gemeinte Intervention in Libyen sowie den Versuch, den Sudan durch Teilung zu heilen, und vieles mehr. Aber all das war zumeist halbherzig, ungenau, ungeduldig; insgeheim diente die gute Tat weniger den Arabern als uns und unserem flüchtigen Gewissen.

Nichts davon konnte das Bild, das die Menschen da unten vom Westen haben, wirklich aufhellen. Dafür sprachen die anderen, die massiveren Interventionen eine zu klare Sprache: dass uns das Leben eines Muslims nicht viel wert ist, dass ein Wort kein Wort ist und ein Vertrag kein Vertrag, eine Freundschaft keine Freundschaft.
Millionen Tote können nicht durch Brunnenbauen vergessen gemacht werden. Ganz offenbar trauen die Menschen in Arabien und im Iran dem Westen nicht, auch seine guten Worte und besten Taten subsumieren sie nur unter eine Geschichte von Rassismus und Imperialismus. Und was das Schlimmste ist: Sie haben nicht ganz Unrecht. Selbst der gelegentliche Export von Freiheit (wenn es grad passte) musste auf die Araber wirken wie ein Geschoss, nicht wie eine Einladung. Der Westen, der daheim die Demokratie lebt, tritt global zumeist als übler Autokrat auf.

Die große Frage ist darum kaum noch, ob der Westen eine grundlegend neue Politik gegenüber den Muslimen finden muss, sondern vielmehr: Wieso sollten sie uns glauben?

Die Willkommenskultur ist der effektivste Feind des Terrors

Bisher haben die Würde, Sicherheit und Menschlichkeit der Muslime den Westen kaum interessiert, bestenfalls waren sie eine Dreingabe, meistens nicht einmal das. Dies hat sich mit dem historischen Jahr 2015 geändert. Denn die Millionen von Flüchtlingen stellen uns vor die Alternative: Entweder wir helfen ihnen in bisher nie gekannter Weise bei der Verbesserung ihrer Lebensumstände in ihrer Heimat – oder sie kommen und bleiben. Das große Teilen hat begonnen, die Fließrichtung der Geschichte zwischen Europäern und Arabern hat sich umgekehrt.

Vielen in Europa macht das verständlicherweise Angst, sie träumen sich zurück in die Abschottung früherer Tage, wir hier oben, die da unten. Doch das wird es nicht wieder geben, weil das Pilotspiel zu Ende und die Geduld zu vieler Araber aufgebraucht ist.

Willkommenskultur ist eine Chance zur Versöhnung

Also muss man diese ungeheure Chance nutzen, um die Muslime und den Westen zu versöhnen.
Endlich werden Araber in großer Zahl von Europäern, von Christen besser behandelt als von ihresgleichen.
Darin liegt der politische Kern der Willkommenskultur: Was wir hier mit den Arabern machen, wird das Bild, das sie in der Region von uns haben, prägen. Das ist eine heikle Aufgabe und eine riesige Chance. Die braucht übrigens Zeit.
Dass drei Länder in Europa seit drei Monaten Flüchtlingen mit einem freundlichen Gesicht und warmen Kleidern begegnen, verändert noch nicht die Welt. Es ist ein Anfang, ein fragiler dazu.

Wegen dieser historischen Aussichten wäre es äußerst kurzsichtig, nun zu versuchen, das leidlich freundliche Willkommen wieder in eine Abschreckungskultur zu verwandeln. Sollte diese Chance zur Versöhnung verspielt werden, entsteht so viel neue Wut, dass wir sie militärisch und geheimdienstlich nicht wieder einfangen können.

Unsere Muslime und der Untergang der DDR

Eines der größten Dilemmata des Westens bestand zuletzt darin, dass sich die Diktatoren oft nicht mehr stabilisieren ließen, dass ihr Sturz jedoch auch nur Chaos erzeugt hat, die Lage sich also nicht wirklich verbesserte. Daraus kann man nur eine Lehre ziehen: Wir sollten von beidem die Finger lassen, vom Stürzen und vom Stabilisieren.

Wie man trotzdem Einfluss nehmen kann, das zeigt die deutsch-deutsche Geschichte. In den achtziger Jahren stieg die Zahl der Besuche von DDR-Bürgern in Westdeutschland auf bis zu sechs Millionen jährlich. Deren positive Erfahrungen im Westen trugen mehr und mehr zur Erosion des SED-Regimes bei, bis es dann 1989 in sich zusammenbrach.

Eine ähnliche Funktion dürften die Millionen Araber haben, die jetzt hierher kommen. Sie erzählen ihren Freunden und Verwandten daheim, wie das Leben auch sein kann, wie man ohne Bestechung eine Urkunde bekommt, was eine freie Presse ausmacht, wie gut die ärztliche Versorgung ist und wie wenig der Ungläubige dem Bild entspricht, das man sich gern von ihm macht. Auch wie ein toleranter Islam aussieht oder eine entgiftete Männlichkeit wird sich rumsprechen, auch wenn das zunächst nicht allen von ihnen gefallen wird. Zugleich werden die Daheimgebliebenen mit politischen Informationen versorgt, auch mit Geld, ganz dezentral und organisch.

Letztlich ist die Befürchtung fast obskur, dass die Flüchtlinge unsere Kultur islamisieren. Viel wahrscheinlicher ist doch, dass auf diese graswurzelhafte Art der arabische Raum humanisiert, entgiftet und auf lange Sicht politisch verändert wird.

Entschuldigung des Westens, Selbstermächtigung des Mittleren Ostens

Haben sich Franzosen, Deutsche, Briten, Italiener und Amerikaner eigentlich jemals offiziell entschuldigt bei den Menschen in Nordafrika? Für den Kolonialismus? Für den Rassismus? Nein? Und warum nicht?

Damit würde man einiges von dem Groll wegräumen, der jetzt unter Arabern gegen uns gehegt (und gepflegt) wird. Diese Wut machen sich die Herrschenden dort zunutze, die, nebenbei gesagt, oft selbst ein rassistisches Verhältnis zu ihrem eigenen Volk haben. Die westliche Arroganz aber schweißt Herrscher und Beherrschte zusammen. Auch dass der Westen immer wieder so massiv und zugleich ungenau interveniert, hält die arabische Ausredenkultur stabil. Entzieht der Westen sein Gift, dann kollabieren früher oder später jene Systeme, die immer wieder Terror und Flucht entstehen lassen. Um den islamistischen Terror zu bekämpfen, müssen wir uns mit den Muslimen versöhnen. Es wäre also Zeit für eine neue, eine echte Realpolitik.

Realpolitik, jetzt aber richtig – ein New Deal mit den Muslimen

Sobald die Wende in der westlichen Mittelostpolitik verstanden, verkündet und vollzogen sein wird, kann auch wieder über die unschönen Dinge geredet werden.
Wenn Abstriche an unseren Prinzipien, Dialoge mit regierenden Mördern, Geschäfte mit kriminellen Stammesfürsten nicht mehr als der wahre Kern westlicher Politik wahrgenommen werden müssen, sondern nur als gelegentliche und vorübergehende Abweichung von einem Kurs, der offenkundig den Menschen dienen soll, der von Respekt und Interesse getragen ist, dann geht das auch.

Zwar wird man mit dem uniformierten Diktator von Ägypten weiter reden müssen, ebenso wie mit den Islamisten in Riad und Teheran. Nur sollte das künftig mit einer egalitären Kühle geschehen. Man kann nicht die einen Islamisten wie den Teufel persönlich behandeln (Iraner) und die anderen (Saudis) als Brüder in die Arme nehmen. Auch Waffenlieferungen müssen drastisch zurückgefahren werden. Es gibt dort fast keine befreundeten und gutartigen Regime.

Gleichwohl darf der Westen auch bei einer neuen Strategie nicht gutgläubig erscheinen. Angesichts des Terrors brauchen die Europäer einen stärkeren Staat, auch das Militär muss effektiver werden, wahrscheinlich auch teurer.

Wenn allerdings eine neue Realpolitik näher an den eigenen Werten angesiedelt sein soll, dann muss man sich vor Wladimir Putin hüten, denn der versucht nun wieder, den Westen in eine klassische brutalisierte Machtpolitik einzuspinnen.

Vor allem aber braucht es eine positive Agenda: Entwicklungshilfe in einer neuen Dimension, konditioniert und möglichst unterhalb der Herrschercliquen verteilt. Vielleicht einen Marshallplan für die Region und die Öffnung des europäischen Marktes.

Das Ende der alten Realpolitik wird die Fantasie für neue Ideen wecken, dann wird ein neues Kapitel in der Geschichte zwischen Abendland und Morgenland aufgeschlagen. Und wir können alle sagen, wir sind dabei gewesen.

*Ein Angriff auf ein Territorium eines souveränen Landes, UN-Mitgliedes, das weder Deutschland noch Frankreich noch die NATO bedroht, ist eindeutig völkerrechtswidrig. Hierzu Wolfgang Gehrcke, MdB der Linken: 

„Das offensichtliche Angebot der Bundeskanzlerin, deutsche RECCE-Tornados über Syrien einzusetzen, erfolgt ohne Beschluss der Vereinten Nationen und ohne jede Rücksprache mit der syrischen Regierung. Der Bundestag soll im Nachhinein informiert werden. DIE LINKE lehnt ein solches Vorgehen strikt ab.“

** das Pilotspiel ist wohl eher als Schneeballsystem zu versehen, in dem die letzten, d.h. die ärmsten Länder, automatisch als Verlierer dastehen.

Jochen

Anlässlich eines Hetzartikels in der „Welt“- C. Ronnefeldt erinnert: Zur Geschichte zwischen westlicher Politik und muslimischer Welt

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Versoehnungsbund1Liebe Friedensinteressierte,

in seinem Kommentar auf Seite 1 der heutigen Ausgabe „Die Welt“ (20.11.2015) schreibt Chefkommentator Torsten Krauel:

„(…) Das Weltbild der Terroristen und ihrer vielen Sympathisanten in der islamischen Welt ist ein Sud aus Selbstmitleid, Verdrängung,
Größenwahn und bis zur Unkenntlichkeit verdrehter historischer Zusammenhänge – so, wie er in den 20er-Jahren Deutschland vergiftet
hat. (…)“

http://www.welt.de/debatte/kommentare/article149057804/Wer-sagt-der-Westen-sei-schuld-hat-verloren.html

Nachfolgend sende ich einige sehr gut belegte historische Zusammenhänge zum Verhältnis zwischen westlicher Politik und der muslimischen Welt,

deren Kenntnis m.E. für eine Neuausrichtung westlicher Politik gegenüber dem Nahen und Mittleren Osten zu berücksichtigen ist.

Mit freundlichen Grüßen

Clemens Ronnefeldt, Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes


US-Präsident George W. Bush bezeichnete die Kriege in Afghanistan und Irak als „Kreuzzug“ gegen den Terror – vor folgendem historischen

Hintergrund:

Kreuzzug 1099: Massaker in der Al-Aksa-Moschee, Bericht des Augenzeugen Wilhem von Typus

„Sofort gingen die übrigen Fürsten, nachdem sie, was ihnen in den übrigen Stadtteilen in die Hände gekommen war, niedergemacht hatten, nach dem Tempel (…).
Sie drangen mit einer Menge von Reitern und Fußvolk herein und stießen, ohne jemand zu schonen, was sie fanden mit den Schwertern nieder und erfüllten alles mit Blut. Es war dies ein gerechtes Urteil Gottes (…).“

Zit. nach: Eduard und Rudolf Kausler, Geschichte der Kreuzzüge, Stuttgart 1840.

—————-

Das britische Versprechen während des 1. Weltkrieges auf eine arabische Unabhängigkeit, wenn sich die Araber gemeinsam mit den Briten an der Niederwerfung des osmanischen Reiches beteiligen, wurde nicht eingelöst, statt dessen zogen 1916 die beiden Diplomaten Sykes und Picot willkürliche Grenzen zur Aufteilung des Nahen und Mittleren Ostens zwischen Frankreich und Großbritannien:

24.10.1915: Brief des britischen Hochkommissars in Ägypten, Sir Henry McMahon, an den Scherifen von Mekka:

Großbritannien ist bereit, „die Unabhängigkeit der Araber anzuerkennen und zu unterstützen innerhalb der Länder, die in den vom Sherifen von Mekka vorgeschlagenen Grenzen liegen. Dies werde zu einer festen und dauerhaften Allianz führen, deren unmittelbare Ergebnisse die Vertreibung der Türken aus den arabischen Ländern und die Befreiung der arabischen Völker vom türkischen Joch sein werden (…)“.

Aus: Studiengesellschaft für Friedensforschung e.V. München, Denkanstöße Nr. 62/63, 2015.

——–

Thomas Edward Lawrence („Lawrence von Arabien“), der im britischen Auftrag die Araber zum Krieg gegen die Osmanen überredete, schrieb:

„Wir schickten sie zu Tausenden ins Feuer, in den schlimmsten aller Tode, nicht um den Krieg zu gewinnen, sondern damit das Korn und der Reis und das Öl Mesopotamiens unser werden“. (…)

„Araber vertrauen Personen, nicht Institutionen. Sie erblickten in mir einen unabhängigen Vertreter der britischen Regierung und verlangten von mir eine Bestätigung der britischen Versprechen. Daher musste ich mich der Verschwörung anschließen und versicherte den Männern – sofern mein Wort Gültigkeit hatte – ihrer Belohnung. (…)
Von Anfang an war klar, dass diese Versprechen im Falle unseres Sieges nur noch ein Fetzen Papier sein würden;“

Aus: Thomas Edward Lawrence, Die Sieben Säulen der Weisheit, Berlin 2009, S. 845f.

——

1953: Sturz der iranischen Regierung durch Großbritannien und die USA wegen der Pläne des demokratisch gewählten iranischen Ministerpräsidenten Mossadegh zur Verstaatlichung der Erdöl-Industrie:

Aus dem „Archiv der George-Washington-Universität“, „Operation TPAJAX“, freigegeben am 19.8.2013: 

„ZIEL: Premierminister Mossadegh und seine Regierung. METHODEN UND DURCHFÜHRUNG Legale und quasilegale Methoden zum Sturz der Mossadegh-Regierung und ihre Ersetzung durch eine pro-westliche Regierung. (…)
Die Entfernung Mossadeghs von der Macht wurde am 16.August 1953 erfolgreich vollzogen“.

Quelle: Michael Lüders, Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet, München, 5. Auflage 2015, S. 13f.

—–

Interview in „Le Nouvel Observateur“ im Januar1998 mit Zbigniew Brezinski, ehemaliger nationaler Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter:

Frage: Und Sie bereuen nicht, den islamischen Fundamentalismus unterstützt zu haben, in dem Sie künftige Terroristen mit Waffen und Knowhow versorgten?

Antwort: Was ist für die Weltgeschichte von größerer Bedeutung? Die Taliban oder der Zusammenbruch des Sowjetreiches?
Einige fanatisierte Muslime oder die Befreiung Zentraleuropas und das Ende des Kalten Krieges?“

Quelle: Michael Lüders, Wer den Wind sät. Was westliche Politik im

Orient anrichtet, München, 5. Auflage 2015, S. 24.

——

20.12.1983: Saddam Hussein begrüßt Donald Rumsfeld, der als Gesandter der US-Regierung den irakischen Diktator Saddam Hussein im Krieg gegen Iran (1980-1988) unterstützte:

http://nsarchive.gwu.edu/NSAEBB/NSAEBB82/


25. Juli 1990, eine Woche vor der irakischen Invasion in Kuwait am 2.8.1990:

US-Botschafterin April Glaspie an Saddam Hussein: „Ich weiß, dass Sie Gelder benötigen. Wir verstehen das, und wir glauben, dass sie die Gelegenheit erhalten sollten, ihr Land wieder aufzubauen (…).
Wirhaben keine Meinung zu innerarabischen Konflikten, auch nicht zu ihren Grenzstreitigkeiten mit Kuweit“.

Quelle: Michael Lüders, Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet, München, 5. Auflage 2015, S. 41.

——

„PR-Agentur Hill & Knowlton – Schmutzige Sprechblasen

Nayirah erzählte am 10. Oktober 1990 im amerikanischen Kongress eine traurige Geschichte. Die 15-jährige Hilfskranken-schwester aus Kuwait wollte beobachtet haben, wie irakische Soldaten ihr Krankenhaus überfielen.
‚Sie nahmen die Babys aus den Brutkästen und legten sie zum Sterben auf den Boden‘, erzählte Nayirah unter Tränen.

Die westliche Welt war schockiert. Die irakische Armee galt als brutal und barbarisch. Und Präsident George Bush senior ließ aufrüsten.
Wenig später begann die Operation Desert Storm – und damit der erste Krieg der USA gegen den Irak.

Nayirah war aber gar nicht Nayirah. In Wirklichkeit heißt sie Nijirah al-Sabah und ist die Tochter des damaligen kuwaitischen Botschafters in den USA“.

http://www.sueddeutsche.de/politik/pr-agentur-hill-amp-knowlton-schmutzige-sprechblasen-1.179920


12. Mai 1996: US-Außenministerin Madeleine Albright im Interview der US-Sendung „60 Minutes“:

Frage: „Eine halbe Million Kinder sollen im Irak mittlerweile gestorben sein. Das sind mehr Kinder, als in Hiroshima gestorben sind.

Ist das den Preis wert?“ Madeleine Albrights Antwort: „Ich denke, dass ist eine sehr harte Wahl, aber der Preis – wir glauben, dass es den

Preis wert ist“.

Quelle: Michael Lüders, Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet, München, 5. Auflage 2015, S. 46.

——-

2003: Colin Powell über seine Irak-Rede vor UN-Sicherheitsrat: „Schandfleck meiner Karriere“:

„Der ehemalige US-Außenminister Colin Powell hatte im Februar 2003 den Einmarsch im Irak mit Saddams angeblichen Massenvernichtungswaffen gerechtfertigt.
Das stellte sich später als unhaltbar heraus. Er fühle sich deswegen ‚furchtbar‘ sagte Powell jetzt in einem Interview“.

http://www.sueddeutsche.de/politik/powell-ueber-irak-rede-vor-un-sicherheitsrat-schandfleck-meiner-karriere-1.928315


ARD, Weltspiegel, 3.2.2014: „ Irak: Uranmunition – das strahlende Vermächtnis“

„Visite in den Kinderkrankenhäusern von Basra – die Betten auf allen Stationen sind belegt, die Zahl der Krebsfälle ist in den vergangenen zehn Jahren drastisch angestiegen. Gehirntumore, Knochenkrebs,körperliche Missbildungen und immer wieder: Blutkrebs.
1200 junge Patienten in der staatlichen Kinderklinik leiden unter Leukämie, die Überlebenschance beträgt 50 Prozent“.

http://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/sendung/swr/2013/irak-uranmunition-100.html


19.4.2011: Mohamed ElBaradei, ehemaliger Direktor der Internationalen Atomenergieagentur in Wien  im „Spiegel-Interview“ zu den iranischen Atomverhandlungen:

„ElBaradei: Wir standen tatsächlich mehrfach kurz vor einer Lösung. 2003 waren die Iraner bereit, aber die Regierung von US-Präsident George W. Bush wollte nicht. Als dann 2010 Präsident Barack Obama seine Hand ausstreckte, konnten die Iraner sie aufgrund innenpolitischer Machtkämpfe nicht ergreifen. (…)

ElBaradei: Ich halte mich streng an die Fakten, und dazu gehört eben auch, dass Amerikaner und Europäer uns wichtige Papiere und Informationen vorenthielten.
Denen ging es nicht um einen Kompromiss mit der Regierung in Teheran, sondern um einen Regimewechsel. Dafür war ihnen so ziemlich jedes Mittel recht.“

SPIEGEL: Und die armen Iraner waren völlig unschuldig?

ElBaradei: Nein, auch die haben getrickst. Aber der Westen hat nie versucht zu verstehen, dass es Iran vor allem um Anerkennung, um eine Behandlung auf Augenhöhe ging“.

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-78076179.html


Süddeutsche Zeitung, 15. Juli 2011, zur Kooperation Deutschlands mit Saudi-Arabien:

„Eigenwilliges Kooperationsmodell: Die Bundespolizei bildet saudi-arabische Grenzschützer aus, die Bezahlung der Beamten läuft über den privaten Rüstungskonzern  EADS.
Dass privatwirtschaftliche Interessen und hoheitliche Aufgaben derart vermengt werden, scheint selbst dem Bundesinnenministerium nicht mehr ganz geheuer zu sein“.

http://www.sueddeutsche.de/politik/bundespolizei-in-saudi-arabien-hart-an-der-grenze-1.1120387


„Vergessener Krieg: Saudi-Arabien bombt den Jemen ins Elend 

Spiegel online, 29.7.2015 von Christoph Sydow:

„Saudi-Arabien führt Krieg im Jemen, seit vier Monaten schon – angeblich, um das Land zu stabilisieren.
Doch die Militäroperation erreicht das Gegenteil: Tausende Zivilisten wurden getötet, 13 Millionen Menschen hungern“.

http://www.spiegel.de/politik/ausland/jemen-saudi-arabiens-krieg-gegen-die-huthis-hat-schlimme-folgen-a-1045758.html


US-Präsident B. Obama in Kairo,  Juni 2009

As-salaam alaikum. Wir kommen zusammen in einer Zeit großer Spannung zwischen den Vereinigten Staaten und Muslimen auf der ganzen Welt – einer Spannung mit Wurzeln in historischen Kräften (…).
In jüngererZeit wurde die Spannung von einem Kolonialismus genährt, der vielen Muslimen Rechte und Chancen verwehrte, und von einem Kalten Krieg, in dem zu oft überwiegend muslimische Staaten ohne Rücksicht auf ihre eigenen Ziele wie Stellvertreter behandelt wurden.

Der Heilige Koran lehrt, dass wer einen Unschuldigen tötet, die ganze Menschheit tötet, und dass wer einen Menschen rettet, die ganze Menschheit rettet.
Der anhaltende Glaube von mehr als einer Milliarde  Menschen ist so viel größer als der engstirnige Hass einer kleinen Gruppe.
Der Islam ist nicht Teil des Problems bei der Bekämpfung des gewaltsamen Extremismus, sondern ein wichtiger Teil zur Förderung des Friedens…

Ich habe unmissverständlich jede Anwendung von Folter durch die Vereinigten Staaten verboten und ich habe angeordnet, das Gefängnis in Guantánamo Bay bis zum nächsten Frühjahr zu schließen. (…)

Es gibt keinen Zweifel: Die Lage des palästinensischen Volks ist untragbar. Amerika wird dem legitimen Streben der Palästinenser nach Würde, Chancen und einem eigenen Staat nicht den Rücken kehren…

http://www.faz.net/aktuell/politik/obama-rede-im-wortlaut-der-islam-ist-ein-teil-amerikas-1810953-p4.html


F.A.Z., 26.9.2014

Muslimische Gelehrte protestieren gegen IS

Gegen das Vorgehen des IS protestierten 120 muslimische Gelehrte, darunter hochrangige sunnitische Geistliche.
In einem offenen Brief warfen sie dem IS vor, dessen Glaubensinterpretation sei ein großer Fehler und ein Angriff auf Muslime in der ganzen Welt.
„Ihr habt den Islam fehlinterpretiert in eine Religion der maßlosen Härte, der Brutalität, der Folter und des Mordes.“

http://www.faz.net/aktuell/politik/is-terror-dschihadisten-ermorden-menschenrechtlerin-im-irak-13175383.html


Clemens Ronnefeldt

Referent für Friedensfragen beim deutschen

Zweig des internationalen Versöhnungsbundes

Versoehnungsbund2

A.-v.-Humboldt-Weg 8a

85354 Freising

Tel.: 08161-547015

Fax:  08161-547016

C.Ronnefeldt@t-online.de

www.versoehnungsbund.de

Spendenkonto für die Arbeit des Versöhnungsbund-Friedensreferates:

Kontoinhaber: Versöhnungsbund e.V.

Konto 400 90 672

Sparkasse Minden-Lübbecke

BLZ 490 501 01

Stichwort: Friedensreferat/C. Ronnefeldt#

Pentagon-Bericht enthüllt: USA ließen den IS gewähren

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Spannend, wie der Beitrag vom 27. Mai 2015 zu meinem letzten Beitrag von Willy Wimmer passt:
http://www.n-tv.de/politik/USA-liessen-den-IS-gewaehren-article15177536.html
Auszüge:

Von Nora Schareika

Eine der gängigsten Verschwörungstheorien zum Islamischen Staat ist, er sei ein Produkt der USA.
Die Enthüllung geheimer Dokumente zeigt, dass die Amerikaner der Entstehung des IS zumindest nichts entgegensetzt haben – weil sie darin ein Chance sahen.

Die Regierung der USA ahnte schon vor drei Jahren, dass eine islamistische Terrororganisation im Osten Syriens einen eigenen Staat ausrufen könnte.
Das belegen Dokumente der amerikanischen Defense Intelligence Agency (DIA), die der britische Enthüllungsjournalist Nafeez Ahmed ausgewertet hat.
Der Artikel ist auf der durch freiwillige Spenden („Crowdfunding“) finanzierten Plattform „Insurge Intelligence“ erschienen.

Ahmed schreibt unter Berufung auf die Dokumente, dass die USA und westliche Staaten gemeinsam mit der Türkei und sunnitischen Golfstaaten wissentlich radikal-islamische Gruppen in Syrien unterstützt hätten. Dabei hätten sie in Kauf genommen, dass sich diese im weiteren Verlauf des Krieges zu einer großen neuen islamistischen Terrorgruppe zusammenschließen könnten.

Genau das ist mit dem „Islamischen Staat“ vor etwa zwei Jahren auch geschehen. Es wurde vom Pentagon jedoch – trotz aller ebenfalls erkannten Gefahren – als hilfreich bei der Destabilisierung des syrischen Regimes gesehen.
Die offizielle Version, wonach die USA nur „moderate“ Rebellengruppen im Syrienkrieg unterstützt haben, sei damit falsch. Womöglich ist das eine Erklärung dafür, dass der IS sich lange Zeit ungehindert formieren und ausbreiten konnte.

Westen wusste über Gelder an Dschihadisten Bescheid

Bereits 2012, als das nun in Auszügen öffentlich gewordene DIA-Dokument verfasst wurde, war den US-Behörden klar, dass Al-Kaida im Irak eine maßgebliche Rolle bei der Unterstützung der syrischen Opposition spielte. Die Terrorfiliale gilt als Vorläuferorganisation des IS, bei dem frühere Geheimdienstler des irakischen Baath-Regimes unter Saddam Hussein die Hauptstrategen sind.
Bereits damals war den USA klar, dass der Konflikt in einen Stellvertreterkrieg von Sunniten und Schiiten münden würde.

Wörtlich heißt es in dem zitierten Dokument, es bestünde die Möglichkeit, dass sich im Osten Syriens ein neues salafistisches Staatswesen etablieren könnte. „Und das ist genau was die die Opposition unterstützenden Mächte wollen, um das syrische Regime zu isolieren“, heißt es. Das Regime wiederum wird hier als Teil einer vom Iran unterwanderten schiitischen Achse gesehen.

Journalist Ahmed schreibt, dass die US-Regierung durchaus schon durchblicken ließ, welch ungeheure Summen an die extremistischen Gruppen in Syrien und im Irak geflossen sind.
Allerdings habe Vizepräsident Joe Biden dabei nur die direkten Geldgeber Saudi-Arabien, Katar, Vereinigte Arabische Emirate und die Türkei erwähnt – nicht aber, dass die gesamte Strategie der Regionalmächte durch die USA, Großbritannien, Frankreich, Israel und andere westliche Regierungen gebilligt und überwacht worden sei.

Anti-schiitische Politik mit strategischer Irak-Partnerschaft

Paradoxerweise machen die Pentagon-Strategen beim inzwischen schiitisch regierten Irak eine Ausnahme bei der sonst strikt antischiitisch ausgerichteten Politik im Nahen und Mittleren Osten.
Einerseits soll zwar die iranische Macht am arabischen Golf im Zaum gehalten werden, indem traditionelle sunnitische Mächte wie Saudi-Arabien, Ägypten und Pakistan gestützt werden.
Andererseits wollen die USA dem Papier zufolge die strategische Partnerschaft mit der schiitischen irakischen Regierung erhalten – trotz deren enger Bande mit der Führung in Teheran.

Auch die letzten Coups des IS wurden bereits 2012 vorhergesehen: Neben der Eroberung von Mossul, das seit dem vergangenen Sommer die irakische Hauptstadt des IS ist, holten sich die Dschihadisten vor eineinhalb Wochen die Provinzhauptstadt Ramadi zurück.

Quelle: n-tv.de

Jochen

Geleaktes CIA-Dokument belegt Kriegspropaganda im Feminismus

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

CIAlogoEs könnte einem ganz unbeachtet vom eignen Geschlecht kotzübel werden, wenn man sieht, wie sich prominente Grüne und Feministinnen haben einlullen lassen.
Als wenn es beim Überfall auf Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien auch nur einen Hauch um die dort entrechteten Frauen gegangen wäre…
die derzeit laufende Propagandakampagne gegen den vom CIA hochgepäppelten Islamischen Staat mit öffentlichen Hinrichtugen, Scharia, Frauenvergewaltigung könnte sachlich genau so berechtigt auch gegen Saudi-Arabien, die Emirate oder Qatar laufen. Dorthin verkauft man aber lieber Waffen.
Hier näheres darüber, wie es der CIA gemacht hat und noch macht. Mitglieder der von der CIA gesteuerten Atlantik-Brücke sitzen als Experten“ noch in jedem Sonntagspresseclub.
http://www.heise.de/tp/artikel/45/45221/1.html

„Krieg und Frauen haben sich medial endlich versöhnt!“

Der Politikwissenschaftler Jörg Becker über Feminismus und junge Mädchen in der politischen Propaganda zur Erhöhung der Kriegsbereitschaft

Jörg Becker[1] ist seit 1987 Honorarprofessor für Politikwissenschaft an der Universität Marburg. Er war von 1987 bis 2010 Geschäftsführer des KomTech-Instituts für Kommunikations- und Technologieforschung in Solingen und von 1999 bis 2011 Gastprofessor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck. Von ihm stammen zahlreiche deutsche und internationale Veröffentlichungen zu den Bereichen Internationale Beziehungen, Friedensforschung und Medienpolitik. Telepolis sprach mit ihm.

Prof. Becker, Sie beschäftigen sich seit langem mit der Erforschung von Kriegspropaganda, mit „Spins“ und Manipulationen. Inzwischen scheint es evident[2]zu sein, dass viele Kriege der letzten Jahre und Jahrzehnte auch und vor allem deswegen als Kampf gegen einen jeweils „neuen Hitler“ oder wahlweise „das Entstehen einer faschistischen Diktatur“ inszeniert wurden, um damit Pazifisten[3]und Linke[4]dazu zu bringen, diesen Kriegen zuzustimmen.

Jörg Becker: Zu Ihren Eingangsüberlegungen möchte ich zwei Subthemen aufgreifen und dazu einige Hinweise geben. Zunächst zur Rolle der Linken.

In der Tat wissen wir seit Langem, dass linke und linksliberale Kräfte in Europa schon immer im Visier des US-amerikanischen Geheimdienstes CIA standen. Und zwar nicht nur als Verfolgte und Opfer – wie beispielsweise die linken Schriftsteller Bertolt Brecht und  Graham Greene -, sondern außerdem auch als unfreiwillig-freiwillige Partner. Die Details dieser stets antikommunistischen Kooperation zwischen CIA und schmuddeligen Edellinken kann man gut in dem ausgezeichneten Buch „Wer die Zeche zahlt. CIA und die Kultur im Kalten Krieg“[5] von Frances Stonor Saunders nachlesen. Und es gibt viele Beispiele für eine Kooperation gerade von Trotzkisten mit der CIA.

Wiedergänger Hitler und das „neue Auschwitz“

Das nächste Subthema Ihrer Frage betrifft die Chiffren „Hitler“ und „Auschwitz“ und ihre propagandistische Verwendung in westlichen Massenmedien, um Kriege gegen unbotmäßige Länder zu legitimieren. Nach 1945 waren diese Chiffren noch bis in die sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts tabu.
Das Thema „Auschwitz“ tauchte dann zum ersten Mal im Biafrakrieg von 1967/1970 auf, und zwar – nicht zufällig – im Pressematerial der antikommunistischen und konservativen NGO „Gesellschaft für bedrohte Völker“.

Und „Hitler“ als Wiedergänger schlimmer Diktatoren tauchte in der Presse dann sowohl im Irakkrieg von 1991 als auch im NATO-Krieg gegen Serbien von 1998 auf; Saddam Hussein und Slobodan Milošević wurden dabei jeweils als neuer „Adolf Hitler“ inszeniert. „Auschwitz“ schließlich wurde erneut im Bosnienkrieg von 1992 bis 1995 äußerst medienwirksam eingesetzt, um die Serben zu verteufeln. In meinem Buch Operation Balkan[6] lässt sich übrigens gut nachlesen, dass der Medieneinsatz der Auschwitzmetapher im Bosnienkrieg im Sommer 1992 auf einen dementsprechenden Auftrag der bosnischen Regierung an eine US-amerikanische PR-Agentur zurückging. Sie wurde überhaupt nur aus Propagandazwecken und zur Kriegslegitimation in den weltweiten Diskurs eingestreut.
Ein „neues Auschwitz“ gab es nie; gleichwohl brauchte man diese Lüge, um die internationale Linke – zumindest in Teilen – moralisch zu überwältigen. Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte ist es besonders furchtbar, dass solche Ultima-Ratio-Argumente massenpsychologisch „wunderbar“ wirken…

Frauen als ideale Botschafter, um für den Kampf zu mobilisieren

Nun belegt ein vor einiger Zeit von Wikileaks veröffentlichtes CIA-Dokument[7], dass offenbar auch bei der Geschlechterfrage massenpsychologisch für Krieg agitiert[8]wurde und wohl nach wie vor wird. Wie beurteilen Sie das Dokument und die Inhalte?

Jörg Becker: Auch bei diesem Papier möchte ich auf verschiedene Aspekte eingehen. Nochmals und zuerst zur Rolle der CIA, denn wir lernen ja aus diesem Paper, dass sich die CIA aktiv an Kriegspropaganda beteiligt. Das wirft zum Beispiel die Frage auf, ob die CIA das nach ihren eigenen Statuten eigentlich darf und sich stattdessen Aufgaben des Pentagon anmaßt. Da wir aber nun aus der internationalen Drohnendebatte außerdem wissen, dass Drohnen gegen Afghanistan ebenfalls von der CIA und nicht von US-Militärs abgeschossen werden, stellen sich nicht nur nationale, sondern auch internationale Rechtsfragen.

Ist es völkerrechtlich zulässig, wenn sich ein Auslandsgeheimdienst in einen internationalen Kriegsakteur verwandelt? Und was sagen zu dieser aktiven Kriegsrolle der CIA eigentlich US-Kongress und US-Senat, die eigentlich eine Kriegsführung der USA parlamentarisch absegnen müssen?

Inhaltlich, da haben Sie vollkommen recht, steht in diesem CIA-Papier vom 26. März 2010 die Frauenfrage und die Instrumentalisierung derselben zur Erhöhung der Kriegsbereitschaft der Bevölkerung im Vordergrund. Der entscheidende Paragraf heißt dabei in deutscher Übersetzung:

Die afghanischen Frauen sind der ideale Botschafter, um den Kampf der ISAF-Truppen gegen die Taliban human erscheinen zu lassen. Denn gerade Frauen können glaubwürdig über ihre Erfahrungen unter den Taliban, ihre Zukunftsträume und ihre Ängste bei einem Sieg der Taliban sprechen.

Wir brauchen reichweitenstarke Medien, in denen afghanische Frauen ihre Erfahrungen mit französischen, deutschen und anderen europäischen Frauen teilen können, damit gerade die bei europäischen Frauen stark vorhandene Skepsis gegen die ISAF-Mission abgebaut werden kann. Nach Umfrageergebnissen des Bureau of Intelligence and Research (INR) der CIA vom Herbst 2009 unterstützten 8 Prozent der befragten französischen und 22 Prozent der befragten deutschen Frauen den Afghanistankrieg weniger als ihre jeweils befragten männlichen Landsleute.

Am effektivsten sind wahrscheinlich solche Medienevents, in denen afghanische Frauen von ihrer Situation Zeugnis ablegen. Am besten in den Rundfunkmedien, die einen besonders hohen Frauenanteil bei ihrer Zuhörerschaft haben.

Es wird also mittels der geschickten Adressierung weiblicher Solidarität dafür geworben, ganze Länder mit Kriegen zu überziehen; dass das dann Männern und Frauen schadet und nicht nützt – darüber verlieren die Massenpsychologen selbstredend kein Wort. Sie dürfen jedoch davon ausgehen, dass es etwa im Irak keiner Frau heute besser als vor dem Krieg dort geht. Wohl eher im Gegenteil.

Wird „die Frauenfrage“ denn häufiger propagandistisch missbraucht?

Jörg Becker: Aber sicher. Denken Sie nur einmal an die Nazi-Propaganda. Wie man recht gut an den abertausend Propagandafotos von Hitlers Leibfotograf Heinrich Hoffmann sehen kann, gibt es eine Unmasse Fotos, die Hitler im Kreis ihn bejubelnder junger Mädchen zeigt. Ganz zu schweigen davon, dass Hitler sich auch in seinem Privatleben sehr gerne mit jungen Frauen umgab, wie Eva Braun, die er als 17-jährige Angestellte von Hoffmann 1929 in dessen Laden kennen gelernt hatte oder seine Nichte Geli Raubal, deren Vormund er 1923 geworden war, als diese 15 Jahre alt war und mit der er ab 1929 in einem gemeinsamen Haus in München wohnte.

Mädchen und Politiker – das war stets einer der wichtigsten Propagandabausteine der Nazis. Und diese Nazi-Mädchen waren stets jung, hübsch, freudestrahlend, selbstbewusst und modern. Sie standen für Fortschritt und Zukunft.

„Mörderische Allianz von NATO und westlichem Feminismus“

Doch warum spielt die Frauenfrage nun gerade in der Berichterstattung über den Afghanistankrieg eine so herausragende wie spezifische Rolle?

Jörg Becker: Nun, ich unterscheide dabei drei Ebenen: Da gibt es zunächst einmal eine anti-muslimisch-feministische Ebene, dann die der Verquickung der Frauenfrage mit der Kriegsberichterstattung und schließlich jene der generellen Veränderung des feministischen Diskurses in den letzten Dekaden. Ich will diese drei Ebenen nur kurz referieren – ausführlich habe ich sie in meinem Buch Medien im Krieg – Krieg in den Medien[9] thematisiert, das jetzt im September erscheinen wird. Also, der Reihe nach.

Sehr deutlich lässt sich Samuel Huntingtons intellektuell erbärmlich schlechte Schrift „Der Kampf der Kulturen“ von 1996 als wichtige US-Kampfansage an den gesamten Islam begreifen. Da der Islam nicht reformfähig und insofern ein Modernisierungshindernis darstelle, gelte es, alle islamischen Länder radikal zu destabilisieren, siehe Afghanistan, Irak, Syrien oder Libyen. In diesem aggressiven Kampf der USA um eine globale Modernisierung nach westlichem Vorbild spielt die Frauenfrage eine herausragende Rolle. Es entwickelt sich eine mörderische Allianz von NATO und westlichem Feminismus. In Deutschland verkörpert diese Allianz am meisten die Vorzeigefeministin und Islamhasserin Alice Schwarzer, etwa mit ihrem dümmlichen Buch „Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz“.

Vorausgegangen war dieser islamophoben Hasstirade von Alice Schwarzer und ihrer Schwester im Geiste, der italienischen Feministin Oriana Fallaci und deren anti-islamischer Streitschrift „Die Wut und der Stolz“ ein anti-islamisches Buch mit den Namen „Nicht ohne meine Tochter“ von Betty Mahmoody, das in Deutschland zu dem Taschenbuch wurde, das eine der höchsten Auflagen überhaupt nach 1945 erreichte, gepaart mit vielen ähnlichen Buchtiteln im Weltbild-Verlag, der der Deutschen Bischofskonferenz gehört.

Nein_zur_Nato_DDR1957Der westliche Feminismus war hierdurch mehr und mehr zu einem verlässlichen Verbündeten der NATO geworden. Alle weltweit lebenden 800 Millionen muslimischen Frauen werden in diesen Büchern viktimisiert. Und zur Befreiung von Opfern, die nicht selbständig denken und handeln können und dürfen und die von ihren Männern wie Sklaven gehalten werden, ist ein Befreiungskrieg nun einmal gerechtfertigt. Weitere Feministinnen wie die Niederländerin Ayaan Hirsi Ali und die Deutsch-Türkin Necla Kelek wurden zu nützlichen Idiotinnen dieses imperialistisch-feministischen Diskurses.

Der Bildtopos, dass „Mädchen ihren Befreiern und Führern dankbar zu sein haben“ lässt sich sowohl in der Nazi-Zeit als auch jetzt in Afghanistan finden. Aus der Nazi-Zeit passt dazu gut ein Foto aus dem in Millionenauflage erschienenen Reemtsma-Zigaretten-Sammelbilderalbum „Adolf Hitler“, dessen Fotos nur von Heinrich Hoffmann sein durften. Wie dankbar, ein wenig scheu lächelnd, wie gut gekämmt, guckt das junge Mädchen direkt in die Kamera, mehr als glücklich, ein Autogramm mit Führerfoto vom „Führer“ und ein gemeinsames Foto von sich und ihm ergattert zu haben.

Quelle: Sammelbilderalbum „Adolf Hitler“

Zu diesem Nazi-Foto passt ein Foto mit drei jungen afghanischen Mädchen von 2008: Finanziert mit Mitteln von Rotary-Clubs aus den USA wurde in Afghanistan eine Privatschule für Mädchen in der Nähe von Kabul gegründet. Zusammen mit ihrer Schuldirektorin strahlen diese drei Mädchen einer freudigen, glücklichen westlichen Zukunft entgegen – die bösen, bärtigen Taliban hingegen hat man vom Bild verbannt. Dieses US-amerikanische Foto setzt die Mediendirektive der CIA exzellent um!

Quelle: rotary.org

Ganz sicherlich kann auch die Situation muslimischer Frauen verbessert werden – wie die jeder anderen Klasse, Schicht und Gruppe auch -, doch entscheidend ist dabei die Frage, welche Rolle muslimische Frauen selbst hierbei einnehmen. Ich möchte an dieser Stelle nur kurz daran erinnern, dass sich bereits auf der Zweiten UN-Weltfrauenkonferenz von 1980 in Kopenhagen Frauen aus der Dritten Welt jegliche Belehrungen durch westliche Feministinnen heftig verbaten!
Derlei Einmischungen in de facto fremde Welten – das wollen westliche Feministinnen zwar nicht hören, es ist aber so: Sie sind übergriffig, kolonialistisch und zudem für die Ideologie fast eines jeden „Befreiungskrieges“ anschlussfähig, weshalb ja auch geschieht, was aktuell zu beobachten ist.

Die andere Seite desselben Problems wird beleuchtet, wenn man einmal folgenden Fragen nachgeht: Warum berichten unsere Medien eigentlich nie über die sehr geistreichen und eigenständigen Gruppierungen eines islamischen Feminismus wie etwa den Blog Nafisa – Frauen, Gesellschaft, Islam[10], das Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen in Köln, Studentinnen der türban-Bewegung in der Türkei oder die deutsch-türkische Bloggerin Kübra Gümüsay[11]?

Warum nehmen deutsche Medien keine Kenntnis von den Arbeiten der türkischen Soziologin Nilüfer Göle, die weitgehend auch ins Deutsche übersetzt wurden, die luzide zeigen kann, dass das Tragen eines Kopftuches in der Türkei nicht automatisch als ein Signal für das Vordringen der Islam in den öffentlichen Raum verstanden werden muss, sondern gleichzeitig auch für eine Emanzipation der Frau stehen kann?

Im Übrigen spielt die Islamfrage inzwischen auch beim Medienbild der Soldatin selbst eine nicht unbedeutende Rolle: Da gibt es Bilder von iranischen Soldatinnen, die – von unten fotografiert – angsterregend und entweiblicht aussehen; und da wird al-Gaddafi im Libyenkrieg der Vorwurf angehängt, er habe an seine Soldaten Viagra verteilt. Man kennt dieses Bild bereits seit der schwülen Orientalismusmode Ende des 19. Jahrhunderts: der Araber als notgeiler Dauervergewaltiger!
Die US-amerikanische UN-Botschafterin Susan Rice wiederholte diesen Vorwurf bei ihrer Rede im UN-Sicherheitsrat im März 2011, und im Juni 2011 war sich dann Luis Moreno Ocampo, Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, nicht zu blöde, diesen Medienvorwurf sogar in den Haftbefehl gegen al-Gaddafi zu übernehmen.

Es macht solche Medienlügen dabei leider nicht besser, dass sie mit zeitlicher Verzögerung oftmals als solche entlarvt werden, wie dies in diesem Fall etwa durch einen Report von Amnesty International geschah. Fakt ist und bleibt jedenfalls: Vieles von dem, was uns hier als Mediennutzer angeboten wird, ist verlogen, verdreht – oder bedient primär Vorurteile, Stereotype, Klischees. Und das in aller Regel interessengeleitet; vom Himmel fällt so etwas nicht.

Junge Mädchen in der politischen Propaganda

Nun haben Sie aber einen großen Bogen gespannt und ich möchte doch gerne auf die der Rolle von Frauen in der gegenwärtigen Kriegsberichterstattung zurückkommen…

Jörg Becker: Okay, ich verstehe Ihre Ungeduld, die Viktimisierung von 800 Millionen muslimischer Frauen ist allerdings ein essentieller Bestandteil der gegenwärtigen Kriegs- und Propagandaschlacht der westlichen Medien. Und die geheime CIA-Mitteilung vom März 2010 zeigt ja genau das mehr als deutlich auf.

Zur Ihrem Punkt zurück: Ja, der Missbrauch von jungen Mädchen in der politischen Propaganda ist nicht nur bei den Nazis zu finden, sondern zieht sich vielmehr als eine Art basso continuo durch alle Kriege der letzten Jahre hindurch. Lassen Sie mich das anhand einiger Beispiele belegen. Zu erinnern ist hier erstens an den durch die PR-Firma Hill & Knowlton arrangierten Auftritt[12] des 15-jährigen Mädchens Nayirah 1990 vor dem US-Kongress, die weinend von der Brutalität irakischer Soldaten in einer Säuglingsstation in einer kuwaitischen Klinik berichtete, sich später jedoch als Tochter des kuwaitischen Botschafters entpuppte, die derlei Geschehnisse niemals zu sehen bekam.

Zweitens an das antiserbische Tagebuch des kroatischen Mädchens Zlata Filipović im Bosnienkrieg von 1991 bis 1993, dessen Publikation von der UNICEF gesponsert wurde, und drittens an die im Irakkrieg entführte US-amerikanische Soldatin Jessica Lynch[13].

Zu denken ist viertens auch an die im Gefängnis von Abu Ghraib in Bagdad stationierte US-Militärpolizistin Lynndie England[14] und fünftens auch an die am 20. Juni 2009 bei Unruhen in Teheran ermordete Neda Soltan, von der das falsche Foto[15] einer anderen Iranerin um die Welt ging, nämlich das einer Neda Soltani.

Sechstens schließlich scheint auch die jugendliche Friedensnobelpreisträgerin von 2014, nämlich das im pakistanischen Bürgerkrieg von Taliban-Terroristen angeschossene fünfzehnjährige Mädchen Malala Yousafzai[16], in ein nur schwer durchschaubares Gespinst westlicher Medienaktivitäten eingebunden gewesen zu sein. Es bleibt unklar, ob ihr Internetblog, der sich für das Recht muslimischer Mädchen einsetzte, Schulen zu besuchen, ihre eigene Idee oder nicht vielmehr eine Auftragsarbeit von BBC-Urdu war. Trotz dieser Unklarheit zu Anfang ihres öffentlichen Auftretens steht fest, dass Malala in ihrem späteren Leben von dem Londoner PR-Konzern Edelman „an die Hand genommen“ wurde und dass der mächtige Council on Foreign Relations ihre Karriere als junge Vorzeige-Muslima publizistisch stark begleitete.

Die Berichterstattung zur Rolle der Frau im Krieg: „sehr kleine und begrenzte Zahl von Motiven“

Ist es denn aber nicht positiv einzustufen, dass nun auch in Kriegszeiten endlich Frauen gleichberechtigt in den Medien auftauchen? Sei es als Soldatinnen, sei es als engagierte Friedenskämpferinnen oder sei es auch als Opfer von Kriegshandlungen? Wird es nicht höchste Zeit, den Krieg als chauvinistische Männerdomäne endlich zu überwinden?

Jörg Becker: Leider liegt die Sache doch ein wenig komplizierter. Wie viele andere öffentliche Bereiche, so wurde auch der radikale Feminismus aus den siebziger Jahren im Lauf der Zeit pazifiziert. Wir kennen dieses Phänomen der Mit-Mach-Falle, der Einhegung des einst Dissidenten in den konformen Mainstream oder die Übernahme von Innovation eines kleinen Akteurs durch einen großen Akteur seit vielen Jahrzehnten. Durch Zugeständnisse an kleine Dinge wurden aus einem system- und herrschaftskritischen Feminismus schließlich Frauenforschung und Gender-Mainstreaming, es fand sozusagen eine schleichende Sozialdemokratisierung radikaler Patriarchatskritik in Richtung auf ein institutionalisiertes Amt für die Gleichstellung von Frauen und Männern statt.

Eine ähnliche Entwicklung wie der Feminismus selbst nahm die Berichterstattung zur Rolle der Frau im Krieg. Ihr Bild reduziert sich nur auf eine sehr kleine und begrenzte Zahl von Motiven; von Kritik an diesen Darstellungen und erst recht nicht an „weiblichem Morden“ hört man allerdings kaum irgendwas. Da gibt es die martialische Soldatin, die tougher ist als ihr männliches Pendant, da gibt es viele Soldatinnen mit einem penetranten Dauergrinsen, das verdeutlichen soll, wie schön doch die Arbeit beim Militär sei, und da gibt es ungeheuerlich viele sexuelle Anspielungen.

Nun kommt seit kurzem noch Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen dazu mit ihren höchst gekonnten, gut gestylten und fast künstlerisch designten Fotostrecken. Ursulas blonde Lockenmähne im Wind der Hubschrauberrotoren, umringt von mehreren gut aussehenden, muskulösen jungen Männern in Uniform vor der untergehenden Sonne in den wilden Bergen Afghanistans: Das ist PR-Arbeit vom Feinsten! Und es sind solche Werbe-Stereotype, die mit Frausein ebenso wenig zu tun haben, wie das mediale Bild des Soldaten mit Männlichkeit. Es passt zur PR-Strategie einer Ursula von der Leyen wie die berühmte Faust aufs Auge, wenn sich Feministinnen beim im neutralen Österreich staatlich finanzierten Dritte-Welt-Journal Südwind-Magazin im Sommer 2012 über die Nichtbeachtung von kämpferischen Frauen in den Medien beschweren und für die Zukunft positive Beiträge über kriegführende Frauen einklagen.

Also: Krieg und Frauen haben sich medial endlich versöhnt! Und damit erfüllt sich das, was ein wichtiges Policy-Paper aus Washington schon bald nach dem 11. September 2001 formuliert hatte. Der Council on Foreign Relations hatte eine Denkschrift über die neuen Aufgaben der cultural diplomacy angesichts des Krieges gegen den Terror[17] vorgelegt. Auf den Punkt gebracht formulierte dieser Bericht die folgenden Erkenntnisse: Es gibt kein Land, in dem die USA beliebt sind. Um das zu ändern, müssten die USA mit den Mitteln der cultural diplomacy – Konferenzen, Kulturaustausch, Zeitungen, Radio, Fernsehen, Familien-, Städte-, Regional- und Länderpartnerschaften usw. – in anderen Ländern bevorzugt folgende Zielgruppen ansprechen: Frauen und Jugendliche.

Rechtliche Konsequenzen aus dem CIA-Dokument?

Noch ein letztes Wort Ihrerseits zu diesem CIA-Dokument?

Jörg Becker: Ja, gerne. Soweit ich das überblicke, ist dieses Dokument ein Einzel- und ein Zufallsfund. Trifft diese Vermutung zu, dann muss es vor- und nachher weitere Direktiven und Beobachtungen des CIA zur weltweiten Medienmanipulation in der Kriegsberichterstattung geben oder gegeben haben, möglicherweise sogar ein umfassendes Medienmanipulationssystem. Auf die völkerrechtlichen Probleme solcher Aktionen seitens der CIA habe ich ja bereits hingewiesen. Es gilt aber auch mögliche Rechtskonsequenzen innerhalb Deutschlands zu bedenken. Zu prüfen sind hier etwa Verstöße gegen die Presse- und Meinungsfreiheit nach Artikel 5 des Grundgesetzes, das strafrechtliche Verbot eines öffentlichen Aufstachelns zur Führung eines Angriffskrieges nach § 80a StGB sowie die Trennung von Werbung und redaktionellem Text nach Artikel 7 des Pressekodex’ des Deutschen Presserates.

Anhang – Links

[1] http://profjoergbecker.de/leben/

[2] http://www.nachdenkseiten.de/?p=26380

[3] http://www.imi-online.de/2015/05/29/die-gruenen-moralbemaentelte-geopolitik/

[4] http://www.heise.de/tp/ebook/ebook_21.html

[5] http://www.deutschlandfunk.de/frances-stonor-saunders-wer-die-zeche-zahlt-der-cia-und-die.730.de.html?dram:article_id=101548

[6] http://www.nomos-shop.de/Becker-Beham-Operation-Balkan-Werbung-Krieg-Tod/productview.aspx?product=493

[7] https://file.wikileaks.org/file/cia-afghanistan.pdf

[8]  http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=15223

[9] http://www.springer.com/us/book/9783658074760

[10] http://www.nafisa.de

[11] http://ein-fremdwoerterbuch.com

[12] http://www.heise.de/tp/artikel/14/14271/

[13] http://www.theguardian.com/world/2003/may/15/iraq.usa2

[14] http://www.spiegel.de/politik/ausland/us-folterskandal-drei-jahre-haft-fuer-lynndie-england-a-376999.html

[15] http://www.theguardian.com/world/2012/oct/14/iran-neda-soltani-id-mix-up

[16] http://www.independent.co.uk/news/world/politics/the-making-of-malala-yousafzai-shot-by-the-taliban-for-going-to-school-and-now-in-the-frame-for-nobel-peace-prize-8862588.html

[17] http://www.nachdenkseiten.de/?p=25535

Jochen

Mit Dollars und Allah – Dschihadismus: Religiöser Fanatismus oder Business?

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Lesenswerter Artikel von Werner Ruf zu den Djihadisten — vor allem für diejenigen, die nicht ganz im Bilde sind.
http://www.jungewelt.de/2015/06-02/003.php

W_Ruf_image-06-175Mit Dollars und Allah – Dschihadismus: Religiöser Fanatismus oder Business?

Auszüge:

Als der Sozialismus sowjetischer Prägung real zusammenbrach und die Warschauer Vertragsorganisation sich auflöste, stand die NATO vor dem Problem der weiteren Legitimation ihrer Existenz.
Beschworen wurden als mögliche Bedrohungen sogenannte neue Risiken wie ökologische Veränderungen, transnationale organisierte Kriminalität, Migration und Terrorismus. Nimmt man diese Bedrohungen ernst, so ist ihnen eher mit dem Spektrum polizeilicher Maßnahmen zu begegnen als mittels der von Hightechwaffen starrenden NATO.
Bei der Suche nach einem neuen Feindbild kam der 1993 erschienene Aufsatz von Samuel P. Huntington »The Clash of Civilizations« (Der Kampf der Kulturen, 1996) gerade recht. In dem behauptete er, das Zeitalter der territorial fixierten Mächte und der zwischenstaatlichen Konflikte ginge zu Ende, die Kriege des 21. Jahrhunderts wären der Kampf oder die Kriege der Kulturen. Eine dieser Kulturen, der Islam, sei besonders gefährlich und aggressiv, denn: »Islam has bloody borders« (Der Islam hat blutige Grenzen).

Dieses neue Paradigma wurde geradezu gierig rezipiert. Der Aufsatz wurde zur Pflichtlektüre in den Außenämtern, in den militärischen Stäben, aber auch in der akademischen Debatte.
Und er zeigte Wirkung: Schon knapp ein Jahr später war im französischen Verteidigungsweißbuch zu lesen:
»Der islamistische Extremismus stellt ohne Frage die beunruhigendste Bedrohung dar. (…) Er nimmt oft den Platz ein, den der Kommunismus innehatte als Widerstandsform gegen die westliche Welt«, und der damalige NATO-Generalsekretär (Manfred Wörner; jW) erklärte, dass der Islam möglicherweise eine größere Bedrohung sei, als dies der Kommunismus je war.
In der Tat passt die von Huntington entworfene neue Weltsicht (oberflächlich gesehen, jW) hervorragend in die globalisierten Gesellschaften des 21. Jahrhunderts:
»Kulturen«, wenn man das so nennen will, haben sich transnational ausgebreitet, staatliche Grenzen werden zunehmend relativ – oder anders ausgedrückt: Dank der Migration steht der Feind jetzt hier, in unseren »multikulturell durchmischten« Städten. Die »Gastarbeiter«, die einst als Türken kamen, heißen jetzt »Muslime«.
Gleiches gilt für die Menschen nordafrikanischen oder pakistanischen Ursprungs in Frankreich und England. Die Internationalisierung des Dschihad in Syrien und Irak kann durchaus als eine Facette der Globalisierung verstanden werden.

Doch bliebe sie unverständlich, würde nicht mitbedacht, wie Huntingtons Paradigma zur Grundlage politischen Handelns und der Kriegsführung der USA im Nahen Osten wurde:
Nicht nur der Krieg gegen die Taliban im Gefolge von 9/11, sondern vor allem die »Neuordnung« des Irak nach dem Krieg von 2003 erfolgte nach rein konfessionellen Mustern.
Indem sich politisches Handeln an den Kategorien Huntingtons orientierte, wurde es zur Self fulfilling prophecy: Der säkulare Diktator Saddam Hussein wurde mitsamt der kompletten irakischen Armee und der in weiten Teilen hochprofessionellen Verwaltung als sunnitisch identifiziert, die neue Herrschaft den Schiiten unter dem von den USA ausgesuchten Nuri Al-Maliki übertragen.
Die Konfessionszugehörigkeit, nicht die Kompetenz, wurde zum Kriterium der Übertragung von Ämtern und damit Vetternwirtschaft und Korruption.
Dies galt vor allem auch für die offiziell 350.000 Mann starke Armee, wo ganze »Geisterbataillone« existierten, deren Sold in den Taschen der Generäle landete.
So ist es kein Wunder, dass während der ersten Angriffe des »Islamischen Staats« (IS) auf Mosul die beiden kommandierenden Generäle sich als erste absetzten, während die vorhandenen Einheiten ohne ausreichende Munition an die Front geschickt wurden.

Privates militärisches Unternehmen

Gleichfalls nach dem Ende der Bipolarität schossen vor allem in den USA private militärische Unternehmen aus dem Boden, die spätestens in den Kriegen in Afghanistan und Irak, aber auch in den Balkankriegen oft die schmutzige Arbeit verrichteten und durchaus als eine moderne Form des Söldnertums angesehen werden können.
Als eine Frühform solcher Gewaltakteure können jene (muslimischen) Banden gesehen werden, die als »Freiheitskämpfer«, ausgebildet von der CIA und königlich finanziert von Saudi-Arabien, in den 1980er Jahren in Afghanistan gegen die (gottlose) Sowjetunion kämpften. Die Krieger rekrutierten sich aus nahezu allen arabischen Ländern und stellen dort heute – vom Sahel bis in den Nahen Osten – als sogenannte »Afghanen« die Anführer der schon nicht mehr zählbaren, sich auf den Islam berufenden Banden.
Der einzige Unterschied zu den privaten westlichen Gewaltakteuren besteht darin, dass sie sich auf eine einigende Ideologie berufen, eine Variante des saudisch-wahabitischen Islams.

Zu zentralen Akteuren wurden solche Banden während des nun schon vier Jahre dauernden Krieges in Syrien. Bereits 2012 zählte die International Crisis Group mindestens zehn verschiedene islamistische Gruppen, die, von unterschiedlichen ausländischen Akteuren unterstützt, je nach momentaner Konjunktur teilweise im Verbund, teilweise gegeneinander kämpften.
Auch der Kriegstourismus nach Syrien wird überwiegend von den Golfstaaten finanziert, allen voran Saudi-Arabien und Qatar. Dabei spielen nicht nur die dortigen Regierungen eine wichtige Rolle; viel Geld fließt auch von reichen Familien in diesen reaktionären Staaten und zahlreichen in Saudi-Arabien angesiedelten religiösen Stiftungen zur Verbreitung des Wahabismus.
Außerdem gibt es Hinweise, dass die USA über ihre Geheimdienste schon seit 2011 Al-Qaida nahestehende Gruppen finanzieren.

Die meist jungen Männer, oft auch Kinder im Alter zwischen 14 und 18 Jahren, die beispielsweise aus Tunesien nach Syrien in den Krieg ziehen, erhalten ein Handgeld von bis zu 6.000 oder 8.000 US-Dollar, so die tunesische Tageszeitung Achourouk vom 28. Mai 2013. Manche Quellen sprechen von Summen bis zu 20.000 Dollar, was aber übertrieben sein dürfte.
Der tägliche Sold soll bei etwa 300 Dollar liegen, stellt Jürgen Todenhöfer in der FAZ vom 3. Mai 2013 fest. Für die perspektivlosen Jugendlichen der Elendsviertel sind dies gewaltige Summen. Erstmalig können sie zum Familienunterhalt beitragen, ihrem Vater ein Auto kaufen usw.
Die Zahl allein der tunesischen Kämpfer in Syrien wird inzwischen auf mindestens 5.000 geschätzt. Versprochen wird auch finanzielle Hilfe für die Bestattung, sollte ein Kämpfer den »Märtyrertod« erleiden.

Ein besonders widerlicher Aspekt des Dschihad-Tourismus nach Syrien ist der »sexuelle Dschihad«: Junge Frauen und Mädchen (in der österreichischen Presse auch »Dschihad-Bräute« genannt) gehen freiwillig nach Syrien, um dort mit sexuellen Dienstleistungen die Moral der Kämpfer zu stärken.
Dabei berufen sich die Dschihadisten auf eine ominöse Fatwa eines bis dahin unbekannten Scheichs. Dass es sich bei diesem »sexuellen Dschihad« nicht um ein Einzelphänomen handelt, bestätigt der ehemalige Mufti der (theologischen) Zituna-Universität in Tunis, der von der islamistischen Ennahda-Partei abgesetzt worden war.

Die Rollen Saudi-Arabiens, Qatars …

Die Finanzierung dieser Gruppen entspringt nicht religiösen Motiven, sondern machtpolitischen Interessen. Saudi-Arabien betreibt mit der Unterstützung salafistischer Gruppen im ganzen Nahen Osten wie auch im Sahel eine Ausbreitung seiner reaktionären Staatsideologie des Wahabismus. Diese soll schon im geographischen Vorfeld dafür sorgen, dass »Instabilitäten« wie etwa der »Arabische Frühling« sich nicht mehr ereignen.
Anschaulich wird diese Politik in der Unterstützung salafistischer Gruppen in Tunesien und Libyen wie auch der ägyptischen salafistischen An-Nour-Partei, aber auch in der brutalen Niederschlagung der als schiitisch gebrandmarkten Rebellion im Nachbarstaat Bahrain.
Qatar seinerseits unterstützt die Muslimbruderschaft, eine im ganzen arabischen Raum mächtige Massenbewegung, die sich mit den Saudis schon im zweiten Golfkrieg (1990/91) durch ihre Parteinahme für Saddam Hussein überworfen hatte und von den Saudis wohl wegen ihrer zentralen Forderung nach sozialer Gerechtigkeit gefürchtet wird.

Nicht zu vergessen sind aber die katarischen geostrategischen Interessen: Seit Jahren versucht Qatar eine Pipeline zwecks Exports seiner gigantischen Erdgasvorräte zu bauen, die in der Türkei an die großen nach Europa führenden Pipelines angeschlossen werden soll. Ihr Weg kann nur durch Syrien führen.
Schließlich gehört in den Kontext der regionalen hegemonialen Auseinandersetzungen die AKP-Regierung der Türkei, die primär den wichtigsten Partner des Assad-Regimes, den Iran, zu schwächen versucht und mit der Errichtung eines den Muslimbrüdern nahestehenden Systems in Syrien eine territoriale Neuordnung verfolgt, die sich an den Grenzen des Osmanischen Reiches orientiert. Vor diesem Hintergrund ist es kein Zufall, dass die syrisch-türkische Grenzregion zur Durchzugsgebiet von Dschihadisten jeglicher Couleur geworden ist.

… sowie Russlands und der USA

Nicht zuletzt aber sind auch die Großmächte selbst involviert: Russland besitzt in der syrischen Mittelmeerstadt Tartus seinen einzigen Kriegshafen außerhalb des russischen Territoriums, zu dem inzwischen auch die Krim gehört.
Die USA (und Israel) arbeiten gemeinsam am Sturz oder zumindest an der entscheidenden Schwächung des Regimes in Teheran, das gewissermaßen als schiitische Achse in dieser Sicht der Dinge von der Hisbollah in Libanon über die alawitische (also schiitische) Assad-Familie bis Teheran reicht.
Indem die salafistischen (sunnitischen) Gruppen die Schiiten zu Ungläubigen erklären, wird der »Kampf der Kulturen« auch zu einer innerislamischen Frontlinie.

Indem sie sich voll die konfessionelle Lektüre der Konflikte zu eigen machen, fordern einflussreiche Kreise in den USA um der Durchsetzung tagespolitischer Interessen willen abermals die Unterstützung von Al-Qaida. So schrieb beispielsweise der wichtige US-Thinktank Council on Foreign Relations schon am 6. August 2012:
»Die syrischen Rebellen wären heute ohne Al-Qaida in ihren Reihen unermesslich schwächer. Die Einheiten der Freien Syrischen Armee sind weitgehend erschöpft, zerstritten, chaotisch und ineffektiv. (…) Al-Qaidas Kämpfer können jedoch helfen, die Moral zu steigern. Der Zustrom der Dschihadisten bringt Disziplin, religiöse Leidenschaft, Kampferfahrung aus dem Irak, Finanzmittel von sunnitischen Sympathisanten aus den Golfstaaten, und, am wichtigsten, tödliche Resultate mit sich. Kurz gesagt, die ›Freie Syrische Armee‹ braucht Al-Qaida – jetzt.«¹

Offenkundig ist, dass die USA, wenn sie schon nicht selbst Waffen liefern, die Unterstützung der Banden durch Saudi-Arabien und Qatar zumindest tolerieren. Nicht enden wollen die Meldungen, wonach die USA neben ihrer Unterstützung für die »Freie Syrische Armee«, die inzwischen militärisch kaum mehr eine Rolle zu spielen scheint, immer wieder, vor allem in Jordanien und in der Türkei, aber wohl auch in Syrien selbst, die militärische Ausbildung »gemäßigter« islamistischer Gruppen vorantreiben.
Was dann »gemäßigt« ist, wird wohl nach Gutdünken und tagespolitischer Lage entschieden. Wenn es nützlich zu sein scheint, finanziert die CIA wohl auch mit Al-Qaida verbündete Gruppen.

Finanzquellen des IS

So verdichtet sich die Annahme, dass es beim Krieg der Milizen und Banden in Syrien wenig um Religion, dafür umso mehr um Geld geht. ISIS oder ISIL (Islamischer Staat in Irak und Syrien oder Islamischer Staat in Irak und der Levante), der sich heute kurz IS nennt, kämpfte – neben vielen anderen – unter wechselnden Namen zuvor in Syrien. In die Schlagzeilen unserer Medien geriet er aber erst, als er im Norden des Irak die Armee überrannte und mittlerweile bis vor die Tore von Bagdad vorstieß. Die Bande zeichnet sich (wie drei Jahre lang zuvor scheinbar unbemerkt in Syrien) durch ungeheure Grausamkeit und Brutalität gegen nichtsunnitische Minderheiten, aber ebenso gegen säkulare Sunniten aus.
Der Terror verfolgt das Ziel, durch die Verbreitung von Angst und Schrecken die Herrschaft ihres »islamischen« Systems zu sichern.
Zugleich aber nimmt der IS staatliche Funktionen wahr: Erstmals seit Jahren funktioniert die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, Strom und Wasser wieder einigermaßen.
Der IS kann dies, weil er über gigantische Finanzmittel verfügt. Auch zahlt er offensichtlich mehr Sold als die anderen Terrorgruppen, was viele Kämpfer motiviert, zu ihm überzulaufen.
Auch hier also: Es geht nicht um Religion, sondern um Geld. Meldungen mit Schätzungen über die Truppenstärke des IS überschlagen sich während der Fertigstellung dieses Manuskripts fast täglich, letzte von der CIA gelieferte Zahlen belaufen sich auf »bis zu 31.500 Kämpfer«² Andere Schätzungen sprechen inzwischen von 50.000 Söldnern.

Die Einnahmen des IS werden auf weit über zwei Millionen Dollar pro Tag geschätzt. Wie bei jeder anderen dieser terroristischen Organisationen stammen die Gelder aus Erpressungen, die »Steuern« genannt werden: Insbesondere Kopfsteuern von nichtsunnitischen Personen, »Wegezölle« an Straßensperren, Schutzgelderpressungen.
Hinzu kommen die nach Entführungen, oft von Kindern, abgepressten Lösegelder. Allein diese Einnahmen werden auf jährlich zehn Millionen Dollar geschätzt.
Ferner verübt der IS Banküberfälle in großem Stil und die Plünderung der archäologischen Schätze einer eingenommenen Region (Museen, Ausgrabungsstätten, Kirchen).
Als weitere Finanzquelle kommt der Verkauf von Öl aus Syrien und dem Nordirak hinzu: Der IS kontrolliert sieben Ölfelder und zwei Raffinerien im Nordirak und sechs der zehn Ölfelder in Ostsyrien. Über »türkische Mittelsmänner« wird das Öl vermarktet, etwa zum halben Preis der Börsennotierungen.
Bereits hier zeigt sich, dass diese Praktiken offensichtlich international toleriert werden. Die im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise gegen Russland verhängten Sanktionen zeigen, wie präzise diese ausgesprochen und auch durchgesetzt werden können, wenn der politische Wille vorhanden ist.
Doch das Gegenteil ist der Fall: EU-Länder sind selbst am Handel mit vom IS vermarktetem Öl beteiligt. Allein der Ölexport soll Einnahmen von zwei Millionen Dollar pro Tag erbringen.³

Eine weitere Finanzierungsquelle soll der Organhandel sein. Dies zumindest behauptete der irakische UN-Botschafter vor dem UN-Sicherheitsrat.
Seine Aussagen wurden gestützt vom UN-Sondergesandten für den Irak. Demnach wurden in Massengräbern Leichen mit Spuren von chirurgischen Eingriffen gefunden, denen die Nieren fehlten.
Außerdem handelt der IS mit den Leichen gefallener (kurdischer) Kämpfer, die deren Angehörige für Beträge zwischen 10.000 und 20.000 US-Dollar zurückkaufen können, um sie in Würde zu bestatten.
In den Kontext der Finanzierung gehört eine weitere Praxis der Banden des IS: Quantitativ vielleicht weniger bedeutsam, in seiner Abartigkeit aber kaum zu überbieten ist der Verkauf von Frauen (bisher meist Jesidinnen) in die Sexsklaverei oder deren Missbrauch als Sexsklavinnen der Krieger.

Dank dieser Finanzierungsquellen konnte der IS sich von seinen ausländischen Geldgebern unabhängig machen: Er mordet, terrorisiert und erpresst inzwischen unabhängig von seinen einstigen Förderern auf eigene Rechnung und wendet sich teilweise gegen sie.
Der von den Banden des IS praktizierte Terror hat nichts mit Religion zu tun. Die brutale, oft öffentliche, teils durch Videos zur Schau gestellte Ermordung von Menschen, darunter sogar Kinder, hat System: Sie verbreitet wirksam Angst und Schrecken und demonstriert die Glaubwürdigkeit der von den Banditen angedrohten Maßnahmen, wodurch von jedem Widerstand abgeschreckt werden soll. Gleichzeitig spekuliert der IS auch gezielt auf den Hass auf die USA, der seit Guantánamo, Abu Ghraib im Irak, Bagram in Afghanistan tief in der arabischen und islamischen Öffentlichkeit verwurzelt ist.
Es kann kein Zufall sein, dass Gefangene von ihren Mördern in exakt jenen orangefarbenen Overalls zur Hinrichtung geführt werden, die die Insassen von Guantánamo tragen müssen.

Ein – weiterer – islamischer Staat?

Sicherlich gibt es bereits die (schiitische) Islamische Republik Iran. Auch Mauretanien nennt sich Islamische Republik.
Mit dem »Islamischen Staat« tritt jedoch ein neuer, Staatlichkeit beanspruchender Akteur auf den Plan. Hier kämpft eine ungeheuer brutale, zugleich aber disziplinierte und hierarchisch aufgebaute Truppe, die eigenständig und unabhängig von fernen Auftraggebern effizient agiert.
Mit der Proklamation eines Kalifats durch den selbsternannten Kalifen mit dem Kriegsnamen Abu Bakr Al-Baghdadi ist das Chaos im Mittleren Osten in eine qualitativ neue Phase getreten: Im Gegensatz zu Al-Qaida, die sich dem Kampf gegen »den Westen« verschworen hat, erhebt »Kalif Ibrahim« erstmals den Anspruch auf ein Staatsgebiet, das Syrien, den Libanon und wesentliche Gebiete des Irak umfassen soll. Mittlerweile sind seine Truppen aber auch in Libyen zu einer starken Macht geworden.
Der IS bemüht in besonderer Weise Symbolik: Mit seinem Kriegsnamen Abu Bakr knüpfe der »Kalif« – so heißt es – an den ersten rechtgeleiteten Kalifen und direkten Nachfolger des Propheten an und beschwört symbolisch den Beginn des »goldenen Zeitalters« arabischer Herrschaft. Mit »Al-Baghdadi« verweist der nicht in Bagdad, sondern in Samarra geborene Dschihadist auf das Abassidenreich, in dem 762 die Stadt Bagdad gegründet wurde.

In den von ihm kontrollierten Gebieten in Syrien und Irak hat sich der IS eine territoriale Basis geschaffen, die erstmals konkret die bestehende räumliche Ordnung des Nahen und Mittleren Ostens in Frage stellt. Dieses »Kalifat« könnte 100 Jahre nach Beginn des Ersten Weltkrieges der Ordnung von Sèvres, die auf dem britisch-französischen Sykes-Picot-Abkommen von 1916 basierte, endgültig den Todesstoß versetzen: Im Pariser Vorort Sèvres war 1920 das Osmanische Reich von den Siegermächten aufgeteilt worden. Die imperialistischen Großmächte hatten damals jene bis heute gültigen Grenzen gezogen und Regime installiert (oder gestürzt), wie dies ihren Interessen und damaligen politischen Zielsetzungen entsprach; keinesfalls aber bilden die Grenzen von Sèvres die ethnischen oder religiös-kulturellen Gegebenheiten der Region ab.
All dies und nicht nur die damals ungelöste Kurdenfrage und das Palästina-Problem kommen nun wieder auf die politische Tagesordnung. Der vollendete Regime change im Irak und der seit drei Jahren mittels bewaffneter Subunternehmer betriebene in Syrien erweisen sich als ein Sprengsatz, der nun unmittelbar die territoriale Ordnung der Region zu bedrohen scheint.

Es erscheint wie ein Fluch: Überall dort, wo der Westen intervenierte, gelang es zwar, Diktatoren von der Macht zu vertreiben, die bestehende Staatlichkeit aber wurde zerstört.
Die multikonfessionellen und multiethnischen Gesellschaften versinken in Chaos und Barbarei – in Somalia, Afghanistan, Irak, Libyen, wo inzwischen Banden und Milizen stellvertretend oder auf eigene Rechnung kämpfen und Religionszugehörigkeit zum neuen identitären Konzept erheben. Der »Islamische Staat« schreitet von Erfolg zu Erfolg. Trotz massiver Bombardements ist er weiter auf dem Vormarsch. Die Zahl seiner Kämpfer steigt weiter. In der arabischen Welt wächst die Unterstützung durch Terrorgruppen, die sich ihm in Algerien, Libyen, Jemen anschließen.

Der vom Westen initiierte Zerfall von Staaten impliziert nicht nur das Ende der »Ordnung« von Sèvres. Die Übertragung des fatalen Huntingtonschen Paradigmas vom »Kampf der Kulturen« auf die politische Landschaft des Nahen und Mittleren Ostens droht die gesamte Region in ein Chaos zu stürzen, in dem die Religion als neue staatsbildende Ideologie für Jahrzehnte zu blutigen Auseinandersetzungen, Vertreibungen, ja Völkermord führen kann.
Dringend notwendige politische Lösungen werden durch den Westen und deren sich fast täglich ändernde Unterstützung für wechselnde Milizen und Akteure verhindert.
Die Konfessionalisierung der Konflikte wird weiter angeheizt und dadurch noch unkontrollierbarer. Die weltlichen Konflikte um geostrategische Interessen und Ressourcensicherung werden in religiöse Gewänder gehüllt und entfalten so eine Eigendynamik (…).

Anmerkungen

1 www.cfr.org/syria/al-qaedas-specter-syria/p28782. (Neuerdings sind Geheimpapiere der US-Behörden veröffentlicht worden; siehe jW vom 26.5.2015, jW)

2 www.handelsblatt.com/politik/international/cia-bericht-terrormiliz-is-ha…

3 The Wall Street Journal vom 16.9.2014, zitiert nach Loretta Napoleon: Der islamische Phönix, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 3/2015, S. 48

Werner Ruf ist emeritierter Professor der Politikwissenschaften. Er schrieb zuletzt auf diesen Seiten am 28.5.2014 über den Bürgerkrieg in der Zentralafrikanischen Republik.

Jochen

8.Mai 2015 – 70 Jahre Frieden, Fragezeichen !?

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Hier dokumentieren wir eine sehr bewegende Rede des ehemaligen Ortsvorsitzenden der Nördlinger Linken, Heiner Holl, OStR.a.D.
Leider fand er heute keine Gelegenheit, sie öffentlich zu halten.

H_HollEin längerer – keineswegs vollständiger und subjektiver – Rückblick erscheint mir notwendig, vielleicht wissen vor allem die Jüngeren hier nicht viel davon, in unseren Schulen kommt sowas – warum wohl? – leider viel zu wenig vor. Es gab nämlich nicht nur Afghanistan, Iraq, Syrien, Libyen usw, sondern leider ununterbrochen Krieg seit dem Krieg, dessen Ende wir heute feiern.

 Schon ab August 1945 wurden knapp Überlebende wie Ralph Giordano geschockt mit der Forderung, die Verbrechen doch bitte zu vergessen, Schlußstrich sei nötig, eine Haltung, die sich bis heute hält, aber heute hat das Grauen ja schließlich Horror-Unterhaltungs-Wert, heute kann man die Gräuel auspacken, die Schuldigen sind schließlich so gut wie alle tot.
Von den knapp 7000 Tätern allein in Auschwitz sind noch nicht mal 100 vor Gericht gekommen, es waren angeblich ja selbst nur Opfer der Oberverbrecher, die die unmenschlichen Befehle gaben, die sie angeblich unter Lebensgefahr auszuführen hatten.
Die allermeisten Nazis konnten nach einer Schamfrist wieder ihre alten Stellungen einnehmen, als Lehrer, Richter, in der öffentlichen Verwaltung, als Wirtschaftsführer, später beim Militär usw, es ging ja schließlich darum, die Welt vor linken Ideen zu bewahren, da kommen natürlich alte Nazis grad recht.
Überlebende Roma und Sinti mußten nach dem Krieg bei den gleichen Leuten Anträge usw stellen, die sie in die KZs und die Vernichtung getrieben hatten.
Tja, wenn fast ein ganzes Volk bis zum bitteren Ende fest hinter dem Führer stand, dann hat man ein Problem. Danach wars keiner, keiner hat was gewußt, alle haben nur Befehle ausgeführt, so einfach ist das.
Als Widerstand werden auch heute noch vor allem die adeligen Militaristen wie Stauffenberg – durchaus berechtigt – gefeiert, aber die die schon lange vor 33 die Katastrophe des Nazismus heraufkommen sahen, nämlich Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Linke halt, kommen kaum vor, die haben ja keine Bomben gezündet, außer dem den Linken nahestehenden Georg Elser, dessen Attentat man noch jahrzehntelang nach dem Krieg als Terrorismus behandelte.

Heute zünden die Nazis wieder ihre Bomben, die auf dem rechten Auge sehbehinderten Behörden haben Schwierigkeiten, beim Oktoberfestattentat oder dem NSU einen rechtsrakikalen Zusammenhang zu erkennen, Hintermänner gibt es angeblich überhaupt nicht.
Das ist leider die Lage, heute. Und um heute geht es schließlich.

 Deshalb zur Situation in der Welt damals:

 Mit der A-Bombe auf Hiroshima begann der Kalte Krieg, die lückenlose Fortsetzung des heißen Kriegs. Gleich zwei mußte man einsetzen, um den Bolschewiken in ihrem von den deutschen Angreifern total zerstörten Land zu zeigen, wo der Hammer hängt. Als Bundesgenossen gegen Nazi-Deutschland waren sie noch recht.

In China gings auch lückenlos weiter, die faschistoiden Nationalchinesen heute auf Taiwan werden bis heute von den USA unterstützt, ab 1849 gibt es eine Volksrepublik China, die unter unvorstellbaren Opfern erkämpft wurde.

1950 bis 53 kam der Koreakrieg, weil der Norden die Wiedervereinigung des unschuldig geteilten Landes wollte. Dieser – vergessene – Krieg stellt alles vorher an Grausamkeit und Schrecken in den Schatten, sogar den Vietnamkrieg gegen ein Bauernvolk 65 bis 75. Es wurde mit Atombomben gedroht, nur die Tatsache, daß seit 1949 auch sie SU die Bombe hatte, hat dies verhindert.  *)

Ebenso gings in „Indochina“, wie die Franzosen ihre Kolonie dort nannten, weiter mit Vietnam, das nach der vernichtenden Niederlage der Kolonialmacht 54 in Dien-Bien-Phu völlig unschuldig am Weltkrieg in Nord- und Südvietnam geteilt wurde.

In Europa wurden mit USA-CIA-Unterstützung linke Regierungen z.B. in Italien und – sogar unter Bürgerkriegsbedingungen – in Griechenland verhindert, dort von 1967 bis 74 sogar eine faschistische Diktatur eingerichtet.

Der Horror-Krieg in Algerien 54 bis 62 durch die Kolonialmacht Frankreich darf auch nicht vergessen werden. Ebenso wie die vielen Unabhängigkeitskriege vor allem in Afrika.

In den USA setzte sich der Antikommunismus in besonders absurder Hexenjagdform durch: McCarthyismus, sogar Chaplin und Brecht mußten auswandern.
Vor dem Krieg gab es starke kommunstische und sozialistische Parteien in den USA.

In Europa ging es darum, Deutschland als Bollwerk gegen den Kommunismus auszubauen, Marshallplan und Londoner Schuldenabkommen schoben das „Wirtschaftswunder“ an, die gegen massive Widerstände im Volk durchgesetzte erneute Militarisierung Westdeutschlands war wohl der Preis.
Denn nachdem die EVG 1954 durch Frankreich zum Scheitern gebracht worden war, trat die BRD 1955 der 49 als Militärbündnis gegen den Feind im Osten gegründeten NATO bei. Und genau das wollte die UdSSR unbedingt verhindern. Stalin hat 1952 massiv darauf gedrungen, daß Deutschland wieder vereinigt wird, unter der einzigen Bedingung, daß es nicht der Nato beitritt, Demokratie, Kapitalismus, sogar Militär waren kein Hindernis.
Die angeblich so doofen Österreicher haben diese Chance ergriffen, wurden 1955 wiedervereinigt, die Sowjettruppen zogen sich aus der SBZ zurück, die mitten in der SBZ liegende Vier-Sektoren-Stadt Wien blieb Hauptstadt.
Genau das hätten wir auch haben können, Adenauer wollte nicht, die dann entlang der Grenze in Deutschland auf beiden Seiten stationierten Truppenmassen mit Atombomben haben mehrfach zu Kriegsanlässen geführt, aber „uns geht es ja gut“, wie unsere Kanzlerin, die Unübertreffliche, sagt.
Den Österreichern gehts aber irgendwie besser, möcht ich meinen, die konnten sich die Wiedervereinigungskosten und Kriegsgefahren sparen, so blöd sind die anscheindend doch nicht. Die Gründung des Warschauer Pakts kam übrigens unmittelbar nach dem NATO-Beitritt der BRD, so viel Angst hatten die Russen vor den Deutschen.

Alleine die Tatsache, daß der Krieg in Europa heute vor 70 Jahre sein Ende fand, hat Deutschland vor dem Einsatz der A-Bombe verschont, die erst im Juli 45 einsetzbereit war.

Castro 1959 kam in Kuba Fidel Castro an die Macht, der zunächst mit dem Kommunismus kaum was am Hut hatte. Als er aber erfahren mußte, wie die USA – auch mit massiven terroristischen Aktionen – auf die kubanische Revolution reagierten, wandte er sich an die UdSSR unter Chruschtschow um Unterstützung und steuerte eine Wende zum Sozialismus an. April 61 kam die von der CIA gesponserte Invasion an der „Schweinebucht“, ein Jahr später die sog. „Kuba-Raketen-Krise“ mit der leider nur zu glaubwürdigen Drohung des ach so beliebten Präsidenten Kennedy, A-Waffen einzusetzen. Russische U-Boote waren auch mit A-Waffen unterwegs.

Und das war nicht das einzige Mal, wo die Welt ganz knapp am A-Krieg vorbeischrammte. Als Reagan ab 1981 die UdSSR gezielt mit Aufrüstung und Wirtschaftsdruck niederzuringen begann, passierte 1983 „Able Archer“, das war vielleicht das Knappste, wo wirklich fast gar nichts gefehlt hätte. Im gleichen Jahr wurden in Deutschland die Pershings aufgestellt, die unser Super-Kanzler Schmidt unbedingt auch gegen den massiven Volkswillen (hunderttausende bei mehreren Demonstrationen ab 81) haben wollte, Nachrüstung nannte man das. Tja, wenn man idiotische Militärdokrinen aufstellt, die man dann auch noch „verrückt“ nennt, nämlich „MAD“, dann muß man sich halt auf sein „luck“, also Glück im Kriegsspiel, verlassen, wie dies McNamara, immerhin Kriegsminister der USA ausdrückte.

 August 1961 fand die DDR-Führung und die UdSSR, die Destabilisierung durch das offene Berlin, sei existenzgefährdend für den gesamten Ostblock, aus deren Sicht durchaus nachvollziehbar, so hart die Mauer die Berliner getroffen hat. Immerhin sagte damals der unbestreitbare Durchblicker Sebastian Haffner, daß mit der Mauer endlich in Mitteleuropa die Kriegsgefahr gebannt sei. Bemerkenswert, finde ich.

Dann kam der 11. September, aber nicht der 11. September 2001 sondern 1973 in Chile. Unterstützt und gesteuert von der CIA, also den USA, wurde der 1970 demokratisch gewählte Präsident Chiles. S.Allende, mit Flugzeugangriffen und Militäreinsatz gestürzt und verlor sein Leben. Eine faschistische Diktatur mit tausenden von Morden unter Pinochet wurde eingerichtet, ebenso wie vorher und nachher in vielen anderen lateinamerikanischen Ländern (auch Griechenland) nach der von Naomi Klein so brillant beschriebenen „Schock-Strategie“, die man auf USA-Linie brachte, so einen „Ausrutscher“ wie Kuba wollte man nicht noch mal hinnehmen müssen.

Die Ostpolitik Brandts 1966 -74, auf die der Ostblock sehr gern einging, brachte endlich eine Beruhigung, trotz des gleichzeitig laufenden mörderischen Vietnamkriegs.

 1979 wurde der Busenfreund der Amis, der Schah von Persien, ein anti-demokratischer Despot, den man schon 1953 mit CIA-Hilfe an die Macht geputscht hatte, zum Teufel gejagt, da mußte Ersatz her. Afghanistan war da gleich daneben und dort hatten sich Moskau-Freunde breit gemacht. Aber Chomeini, das ging schon gar nicht. So hat man den Busenfreund Saddam Hussein dazu gebracht, den Iran zu überfallen, war ja nur ein Krieg über 8 Jahre von 1980 bis 88, mit hunderttausenden an Toten, Giftgaseinsatz usw. Ohne Ergebnis übrigens. Aber beide Länder waren sehr geschwächt, was auch willkommen war.

 Zu Afghanistan: Also nichts wie hin und dieses Land destabilisieren, was die UdSSR wiederum als Bedrohung empfand und Ende 79 der angeknacksten Regierung militärisch zu Hilfe kam. Es hatte sich ein neuer US-Busenfreund gefunden, dem diese Linken – und die Russen schon gar nicht – auch nicht paßten, der Saudi-Araber Osama Bin Laden, der massivst von den USA unterstützt wurde. Über 100.000 junge Muslime aus meist arabischen Ländern wurden von den USA nach Pakistan geflogen, von Osama mit amerikanischen Waffen nach Afghanistan gebracht und dort zur Russenbekämpfung eingesetzt, viele tausend Tote natürlich, Aufbau der Taliban, Rückzug der Russen 89 und dann übelster Bürgerkrieg mit noch schlimmeren Opfern und Zerstörungen als vorher. Und heute: massenhafte Drohnenmorde durch den Friedensnobelpreisträger Obama, fast weltweit. Friede?

 Nach dem Ende der SU fanden bestimmte Kreise nicht nur in Yugoslawien, daß die Serben (die hatten im 2. WK unter Tito die Deutschen besiegt) die ganz Bösen seien, und Kroatien und Slowenien (die hatten unter Hitler ein faschistisches Satellitenregime, hunderttausende Serben waren abgeschlachtet worden) sagten sich von der Bundesrepublik Yugoslawien los. Was fiel darauf dem ach so beliebten Außenminister der BRD Genscher ein , –  die BRD inzwischen wiedervereinigt unter extrem hohen Kosten, zu Lasten der kleinen Leute, zum Nutzen der Reichen, was sonst? – na, bingo, die sofortige Anerkennung als unabhängige Staaten, der Balkan-Krieg war erfolgreich eröffnet. Srebrenica und später Kosovo 99, wo die neue Schröder-Fischer Regierung nach Ausschaltung von Oskar Lafontaine unbedingt mitmischen wollte und so geschah es. Die Nato, als Verteidigungsbündnis geschaffen, war reichlich überflüssig geworden, genau 50 Jahre alt, da brauchte man einen Sieg.
Seit dem ist die Nato überall auf der Welt zugange, denn die Sicherheit der BRD wird ja am Hindukusch verteidigt (Struck), wie schon der Ex-Nazi und CDU-Kanzler Kiesinger in den 60er Jahren so treffend bemerkte: „die Freiheit Berlins wird in Vietnam verteidigt“.

Und seit dem Ende der UdSSR schiebt man die Drohkulisse mit NATO und EU bis vor die Tore St. Petersburgs und wundert sich, daß sich die Russen mulmig fühlen.
Und nebenbei ruiniert unsere Regierung ganz Europa mit ihrer abwegigen Austeritätspolitik.

Mit dem 11. September 2001 waren alle Schleusen offen, es galt nur noch die unverbrüchliche Nibelungentreue eines Kanzlers Schröder, Osama fiel in Ungnade, Kriege in Afghanistan, Iraq, Libyen, Syrien, Terroristen allenthalben, die durch die angebliche Anti- Terror-Politik erst erzeugt worden waren. Das ist ja alles bestens bekannt.

Die heutigen Hauptkriege aber, die oft noch nicht mal als solche bemerkt werden, möchte ich doch herausstellen:

  1. Der Krieg Reich gegen Arm, der speziell seit der erfolgreichen Einführung des Neoliberalismus in den 80ern seinen Lauf nimmt, wie der Superreiche Warren Buffet sagt: Wir haben einen Klassenkampf, den Kampf der Reichen gegen die Armen, und die Reichen sind dabei ihn zu gewinnen. Sozialabbau, Lohndrückerei, Privatisierung, Deregulierung und Militarisierung heißen die Sturmgeschütze, die Real-Einkommen der abhängig Beschäftigten steigen seit ca. 30 Jahren nicht mehr, jeglicher Zuwachs in praktisch allen entwickelten Ländern landet bei den Reichen, die selbstredend die Macht innehaben, Demokratie ist bestenfalls ein Feigenblatt, leider, wir könnten Demokratie haben, aber genau die, die noch am meisten unter diesen Attacken zu leiden haben, gehen zu einem erheblichen Teil noch nicht mal mehr zum Wählen.
  2. Der zweite große Krieg, nämlich der Krieg gegen die Köpfe, den Durchblick, die Kritik ist mindestens so bedeutsam. Der läuft natürlich schon seit Jahrtausenden, so erfolgreich wie heute aber noch nie. Gesteuert von den Geld- und Macht-Eliten mit ihren Super-Waffen der Medien, die man heute nicht mehr zwangsweise gleichschalten muß, das machen die freiwillig. Fernsehen, Hörfunk, Zeitungen, auch leider Schulen usw haben es weitgehend geschafft, daß die übergroße Mehrheit glaubt, was ihr vorgesetzt wird. Und damit das auch durchgehend klappt, wird durch immer engermaschigere Überwachung sichergestellt, daß nur ja niemand auf so dumme Gedanken kommt, wie: das kann ja wohl alles nicht wahr sein, da müßte man was dagegen tun. Machterhalt ist dann am ehesten garantiert, wenn man die Lufthoheit über die Köpfe hat, und das haben die schon lange raus.
  3. Der dritte und vielleicht entscheidende Krieg, der vielleicht sogar schon entschieden ist und zwar gegen die Menschen: Der Weltkrieg, also der Krieg gegen die Welt. Der setzt Nummer eins und zwei voraus und läuft auch schon besonders heftig seit 70 Jahren. Er wird geführt gegen die Ressourcen, die Natur, gegen sauberes Wasser, gesunde Böden, saubere Luft, das Klima, die Meere. Dieser Krieg wird noch viele weitere mit viel zu vielen Opfern hervorbringen. Leider.

 In den Hitlerkriegen ging man über Leichenberge, heute geht man über Leichengebirge. Und so gut wie niemand merkts. Ca. alle 5 Sekunden stirbt ein Kind an Hunger.
Jean Ziegler sagt und er hat recht: Diese Kinder werden ermordet. Heute insgesamt jedes Jahr über 50 Mio Tote, die man nicht erschlagen, vergasen, erschießen muß, die verrecken ganz von alleine, und wenn die als Flüchtlinge es wagen über das Meer zu kommen, dann macht man dicht. Krokodilstränen gibts nur, wenn auf einmal gleich hunderte ersaufen.
Wir könnten was ändern, aber wir müssen dazu politisch seeehr aktiv werden besonders als Linke.

Das Allerletzte: die Nazis haben ihre Verbrechen noch mit der Absicht begangen, die Welt zu retten, sobald die Bolschewiken, die Juden, die Zigeuner, die Schwulen, die Behinderten ausgerottet sind ist alles in Butter. Und heute?

Heute geht es mehr denn je nur um Profit, Macht, Gier (= Kapitalismus) mit deutlich mehr Opfern als damals.

Kleine Anmerkung: Dass die USA von dem 1949 fertig ausgearbeiteten Plan abrückte, die Sowjetunion mit genau 60 Atombomben über den größten Städten des Landes zu „enthaupten“, war nicht den Friedensengeln oder der UNO zu verdanken, sondern den Wismut-Kumpeln der DDR, die unter Lebensgefahr das Uranerz für die sowjetsiche Bombenproduktion herausholten.
Da die UdSSR damals in der Raketentechnik noch führend war, wusste Eisenhower nach dem ersten oberirdischen Atomwaffentest dort, dass er sein Konzept einstampfen konnte.