Das Virus war nicht Ursache, sondern Auslöser und Verschärfer des Crashs – Der Exportüberschussweltmeister

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Eine sehr gute Analyse des Instituts für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung https://www.isw-muenchen.de/2020/04/das-virus-war-nicht-ursache-sondern-ausloeser-und-verschaerfer-des-crashs/

und ein dazu passender Artikel von Heiner Flassbeck aus dem Makroskop auszugsweise:

A. Das Virus war nicht Ursache, sondern Auslöser und Verschärfer des Crashs

  1. April 2020 Conrad Schuhler

Bei dem Text handelt es sich um eine Vorabveröffentlichung aus dem isw-report 121: Finanzcrash, Rezession, Pandemie – Der Finanzkapitalismus befeuert die Triple-Krise.

Diese Wirtschaftsentwicklung belegte, dass wir es nach dem Absturz 2009 zunächst mit einem kräftigen Aufschwung zu tun hatten, aber danach mit einer anhaltenden Stagnation, die schließlich in ein Null-Wachstum führte. (Schuhler, 2020) Die 2019-Quartale definierten den Zustand einer anhaltenden Stagnationskrise:

1. Quartal; + 0,5%;
2. Quartal: – 0,2%;
3. Quartal: + 0,2 %;
4. Quartal: 0,0%.

In derselben Zeit schmierte die Industrieproduktion ab von 12% plus 2010 auf 5% minus 2019, weltweit sank die Industrieproduktion von 14% plus auf 2% minus.

Wir haben es also mit einer ein Jahrzehnt anhaltenden Überakkumulationskrise zu tun – das Wertschöpfungspotential übersteigt die effektive Nachfrage, worauf die Industrie, das Herzstück der Wertschöpfung, mit einem Rückgang ihrer Produktion reagiert; und die Finanzstrategen, die Vermehrer der Geldvermögen, reagierten mit weiteren Einstiegen in die Finanztitel, bliesen den Ballon des fiktiven Vermögens weiter auf.
Es ist dies die klassische Struktur des Finanzkapitalismus, der entsprechend dem klassischen Muster Kurs genommen hatte auf den Tiefpunkt der Krise, den ultimativen Crash des Finanzsystems.

Den Zündfunken spendierte das Coronavirus, so wie es in früheren Zeiten das Öl tat, der Rubel oder gar der Tequila. Die Bezeichnungen verdeckten den Umstand, dass diese Krisen – in Wahrheit ging es um die Erhöhung des Ölpreises und um die Verschuldungen in Russland und Mexico – den globalen Kapitalismus stets zu einem Zeitpunkt trafen, da seine periodische Überakkumulation an einem Höhepunkt angelangt war.
Das Statistische Bundesamt sagte schon Ende 2019 voraus, dass eine Wachstumsnull ins Haus stünde, die WTO rechnete damals schon vor, dass der Welthandel zurückgehen würde. (Schuhler, a.a.O.) Die ersten Nachrichten über das Treiben des Coronavirus in China erschienen am 7.1.2020 (wir bestätigen hierzu den 31.12.2019, Anmerkung Redaktion).
Die Krise ebenso wie Informationen darüber waren also schon Wochen und Monate vor dem Auftauchen des Virus zu erkennen.
Es handelt sich um keine Coronakrise, sondern um eine Krise des Kapitalismus.

Corona ist nicht nur Auslöser der Krise, es verstärkt diese auch – und vor allem ist es die Legitimation der „Notstandsmaßnahmen“

Dennoch ist es falsch, Corona bloß als „schwarzen Schwan“, als Alibi-Mythos zu verharmlosen. Die Pandemie ist ein zusätzlicher Krisenfaktor von erheblicher Dimension, sowohl was seine realen Effekte angeht als auch und vor allem seine Eignung als Vorwand für antidemokratische Notstandsmaßnahmen schlimmster Qualität.
Die Stilllegungen und Ausgangssperren liquidieren das öffentliche Leben und halten die wirtschaftliche Produktion über längere Fristen an und legen den internationalen Kultur- und Wissenschaftsaustausch ebenso lahm wie den Handel.

Teil II des isw-Konjunkturberichts (erscheint in Kürze, Anmerkung Redaktion) hatten wir überschrieben: „Das Coronavirus – der Sturz in die globale Rezession. Der Exportüberschussweltmeister ist einer der Hauptgeschädigten.
Wir haben im vorigen Abschnitt festgestellt, dass die Triple-Krise – Finanzcrash, reale Rezession, Pandemie – in Deutschland einen Schaden von bis zu 729 Milliarden Euro verursachen wird.

Wieviel dieses Schadens auch ohne die Corona-Pandemie entstanden wäre, ist natürlich nicht mehr exakt zu quantifizieren. Dass die hochspekulierten Kurswerte ein Vielfaches des realen Werts der Unternehmen ausmachten, ist indes unbestreitbar.
Ein Rückgang dieser Aktien um 50% ihrer Kurswerte ist nötig, um den Profit- und damit den Spekulationstrieb der Vermögensverwalter und der Vermögensbesitzer aller Art wieder in Gang zu setzen.
Ein Rückgang der realen Produktion um zehn Prozent und mehr ist nötig, um Investitionen zu den verlangten Profitaussichten wieder in produktive Bereiche zu lenken.
Die realen wie die Finanzmärkte verlangen die Korrektur der vorhandenen Werte, sonst würde es beim Stillstand bleiben.

Da kam Corona gerade recht, um diese Korrektur mit den schärfsten Waffen von Notstand und Demokratie-Shutdown durchzusetzen.
Die Corona-Pandemie ist kein „schwarzer Schwan“, keine Erfindung oder Verschwörung profitgieriger Kapitalisten, sie ist eine kostspielige Realität, aber die Kapital-Eliten in Politik, Wirtschaft und Medien nutzen sie einerseits, um die Kosten der „Krisenbewältigung“ abzuwälzen auf die Massen der Bevölkerung und dabei deren heftige Zustimmung zu finden.
Und zweitens, um die Bevölkerung an den Abbau von Demokratie, von Privatheit, Freizügigkeit, Versammlungs- und Demonstrationsrechten aller Art bei dieser und dann den kommenden Krisen zu gewöhnen und auch dafür noch den Beifall der Massen zu finden.
75% der Deutschen finden die „Maßnahmen gegen die Corona-Ausbreitung“ gerade richtig, 20% meinen sogar, sie „müssten härter ausfallen“, nur 3% sagen, sie „sind übertrieben“
. *)

Diese Erkenntnis, dass die Kapitalelite solche Maßnahmen jetzt dringend braucht, beantwortet auch die Frage, warum die Maßnahmen jetzt so rigoros ausfallen, wo sie doch bei der Umweltkrise, deren Folgen weit gravierender sind, so überaus bescheiden sind.

  1. Fabian Scheidler bezeichnet die Maßnahmen zur Corona-Pandemie als beispiellos „in der jüngeren Geschichte“. Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit und die Freiheit der Person seien suspendiert worden, ebenso das Grundrecht auf Asyl. Große Teile der Wirtschaft wurden lahmgelegt, „fast die gesamte Kulturbranche, die Gastronomie, der Sport, der Tourismus und sogar – bisher unvorstellbar – die Autoindustrie und der Flugverkehr“.Würde man diese Maßnahmen mit der Reaktion auf die weitaus schwerwiegendere Krise des Klimawandels und des Artensterbens vergleichen, dann schreit der Kontrast zum Himmel. Beim Virus wird die Gesellschaft lahmgelegt, während „in der Klimafrage seit 40 Jahren so gut wie nichts passiert“.
    Zu dieser Diskrepanz fallen ihm zwei Gründe ein. Erstens: Die Klimakatastrophe kommt schleichend, es handelt sich um ein langfristiges Problem, unsere politischen und medialen Systeme seien aber „kurzfristig ausgerichtet“. Zweitens seien von der Umweltkatastrophe eher die Armen im „Süden“ als die Reichen im „Norden/Westen“ betroffen; das Virus aber mache vor Schranken von Klasse und Nationalität nicht Halt. „Auch reiche weiße Männer in den Industriestaaten sind gefährdet.
    Beides trifft sicher zu, aber der letzte Grund liegt tiefer: Die Profitinteressen der Schmutzindustrien von der Autoproduktion bis zur Landwirtschaft sind politisch stark genug, um die Geschwindigkeit der Transformation zu ökologischen Wirtschafts- und Verkehrsverfahren enorm, vielleicht gar entscheidend zu verringern. Dass sogar die Autoindustrie in den Lockdown der Wirtschaft einbezogen ist, muss man aus ihrer Interessenlage heraus verstehen. Sie braucht die Stilllegung ihrer Produktion angesichts des Nachfragerückgangs und der Typenumstellungen und nun übernimmt der Staat auch noch per Kurzarbeitergeld – das aus der Solidarkasse der Arbeitnehmer stammt – den Großteil der Personalkosten.
  2. Wir stehen in der Einschätzung Hararis in der heutigen Krisenzeit vor zwei grundsätzlichen Entscheidungen. Wir haben zu wählen zwischen totalitärer Überwachung oder weitergehender Ermächtigung der Bürger, zwischen Abschaffung der Demokratie oder ihrer Ausweitung. Zweitens zwischen nationalistischer Isolierung oder globaler Solidarität.
    Mit der Corona-Pandemie ist der tipping point, der Kipppunkt, erreicht.Vor die Alternative „Gesundheit oder Privatheit“ gestellt, wählt eine Mehrheit den Überwachungsstaat, der diesmal „under the skin“ geht – buchstäblich unter die Haut, die Regierung will jetzt ein Überwachungssystem durchsetzen, das Körpertemperatur, Blutdruck, Herzschlag erfasst.
    Wie Fieber und Husten sind Ärger, Freude, Langeweile, Liebe biologische Phänomene, die erkannt, bewertet und sanktioniert werden.
    Corona macht die Tür auf für „Big Brother“. Nicht nur der Virenträger, auch der unliebsame Ideenträger, alle mit „falschem Temperament“ oder „falscher“ DNA könnten stigmatisiert werden, ihre Kontakte überwacht, ihre Aktionen Schritt für Schritt kontrolliert werden. Die Alternative kann für Demokraten natürlich nicht lauten „Krankheit oder Überwachung“, sondern es muss heißen: Wir brauchen ein funktionales Gesundheitssystem und ebenso Freiheits- und Persönlichkeitsrechte.Die Würde des Menschen ist unantastbar – das muss unsere Maxime für alle Bereiche des sozialen Lebens sein. Und nicht: Hier müssen wir die Würde leider antasten, die Demokratie leider aussetzen, damit nicht alles zusammenbricht.
  3. Dass die Menschen jetzt „reif“ für faschistische Demagogen sind, ist das Werk der Kapital-Eliten. Diese haben in der Globalisierung die rigorose Ausdehnung des global value, des Höchstprofits in den letzten Winkel der Erde durchgesetzt. Die einheimischen ArbeiterInnen wurden verarmt auf Globalniveau, die Finanzmittel dorthin abgezogen, wo der der Profit am Höchsten war.
    Woher soll das Vertrauen dieser Globalisierungsverlierer in diese Eliten kommen? Fremdenhass und Führertum fallen auf günstigen Boden. Das gilt geradeso für die Innenpolitik.
    Die Privatisierung der Sektoren der unmittelbaren Lebensversorgung hat u.a. zur Dequalifizierung des Gesundheitswesens geführt. Wer arm ist, muss früher sterben. Er/sie hat auch schlechtere Bildungschancen, es sei denn, er kann dafür bezahlen, sich schon zu Beginn des Arbeitslebens mächtig verschulden.
    Sozialer Aufstieg? Der Eintrittspreis wird immer höher. Alt werden ist ganz schlecht. Nur wer Geld hat, kann sich wirklich gute und würdevolle Pflege und Betreuung leisten.
    Unter- und Mittelschicht unserer Gesellschaft erleben eine bedrohliche Gegenwart und haben eine prekäre Zukunft vor sich.
    Unser Land ist, wie der ganze Westen, eine Zwei- oder Drei-Klassengesellschaft, wo den unteren Klassen – und es werden immer mehr – langsam, aber immer schneller die Geduld reißt. Die Kasernen-Gesellschaft der optimalen Gesundheit – „sonst droht der Massentod“ – soll sie gefügsam machen. Ein Virus kommt alle zwei, Jahre. Das Virus wird zum Dauerzustand und mit ihm die Kasernen- und Klinikdisziplin.
  4. Wie lange dauert der Notstand und die von ihm abgeleiteten diktatorischen Regeln? In Deutschland haben wir immer noch die 1968 so erbittert umkämpften Notstandsregeln, die jetzt wieder zur Blüte kommen. Israel hat noch seine Notstandsregeln des Krieges 1946, die jetzt ergänzt werden. Trump hat das Kriegsrecht ausgerufen. Die Krise, heißt es allenthalben, ist die Stunde der Exekutive.
    Diese erstarkte Exekutive wird ihre neu gewonnenen Spielräume nicht von selbst wieder aufgeben. Dazu braucht man eine Öffentlichkeit, die aus ihrer Schockstarre herausmuss.
  5. Der Staat muss sich fragen lassen, warum er seine Wirkungsmacht immer dann massiv einsetzt, wenn das Kapital darniederzuliegen droht, es aber des äußersten Einsatzes der demokratischen Kräfte bedarf, um Interessen der Menschen an einem fairen, demokratischen, solidarischen, für alle vorteilhaften Funktionieren von Wirtschaft und Gesellschaft durchzusetzen.
    Dann heißt es, die Widerstände seien zu stark, die Rechte anderer würden negativ berührt, alle möglichen Nebenwirkungen negativ, die Expertenmeinungen kontrovers, und morgen auch noch ein Tag. Diese politischen Eliten brauchen keine neuen Vorgaben. Ihre „Aufzucht“, ihre Karrierebedingungen, ihre positiven Sanktionen – sie sind strukturell an die Kommandos des Kapitals gewöhnt, mal „sozialer“, mal marktliberaler, doch stets sind Kommandos für sie „Moses und die Propheten“, wie Marx formulierte.
    Diese Eliten müssen ausgewechselt werden. Wir brauchen neue Formen der Demokratie. Wir brauchen Räte in Nachbarschaften, Gemeinden und Ländern, aus Betrieben und aus den Organisationen der Zivilgesellschaft – von den Umweltgruppen über Berufsgenossenschaften und karitativen Vereinigungen bis zu Sport- und Kulturverbänden. Das System der Berufspolitik alten Schlags – ob korrupt, opportunistisch oder sträflich naiv – muss durch die direkte Bindung der Gewählten an Nachbarn und Kollegen ersetzt werden. **)
  6. Die internationalen Organisationen machen zum Teil hervorragende Arbeit, wie etwa die Weltgesundheitsorganisation WHO.
    Ihre Arbeit ist umso besser, je mehr sie aus Expertengruppen im Dienst des globalen Kapitals zu solidarischen Vereinigungen für die Interessen aller ohne Ansehen von Rasse, Geschlecht, Nationalität umgewandelt werden. Dies ist ein langwieriger Prozess, der sich stützen muss auf die Organisationen der internationalen Zivilgesellschaft, die bisher an den Katzentischen der internationalen Politik ihren Platz finden müssen. Beginnen muss es damit, dass das Prinzip der Solidarität jetzt schon durchgesetzt wird gegen egoistische Politik der Nationalstaaten.
    Die deutsche Weigerung, Euro-Bonds – die Übernahme der Schulden der einzelnen europäischen Staaten durch gemeinsame europäische Anleihen, um die Insolvenz der Schuldner zu verhindern – zu verabschieden, ist ein weiterer Skandal in der ruchlosen Ausplünderung europäischer Länder durch die überlegene deutsche Wirtschaftsmacht.

B. Corona und der Exportüberschussweltmeister

flasbeck2013k

Von Heiner Flassbeck

Deutschland ist mit seiner extrem einseitigen, auf Exportüberschüsse ausgerichteten Wirtschaftsstruktur in und nach der Krise in höchstem Maße gefährdet.
Jetzt gilt es, Schaden dadurch abzuwenden, dass alte Dogmen schnell ad acta gelegt werden.

Wer glaubt, die Industrieländer würden etwa gleichartig von den wirtschaftlichen Folgen des Corona-Schocks betroffen sein, liegt falsch. Weil die Bekämpfung der Krise eine nur dramatisch zu nennende Rückkehr des Nationalstaates und abgeschotteter Grenzen mit sich gebracht hat, werden diejenigen wirtschaftlich am meisten leiden, die auf offene Grenzen und den freien Austausch von Waren und Gütern angewiesen sind.
Das Land, das ganz oben auf der Liste derer steht, denen die Unterbrechung des globalen Handels massiv schaden wird, heißt Deutschland.

Gerade hat der Internationale Währungsfonds (IWF) eine erste Prognose für die Weltwirtschaft in diesem Jahr vorgelegt. Für die gesamte Welt steht dort eine Zahl von minus 3 Prozent, was nicht gewaltig aussieht, es in Wirklichkeit aber ist.
Deutschland muss entsprechend den Erwartungen der Ökonomen aus Washington mit einem Rückgang des BIP von sieben Prozent rechnen, die USA mit sechs Prozent, Frankreich mit über sieben Prozent, Spanien mit acht, und Italien sieht sich sogar mit einem neunprozentigen Rückgang der gesamten Wirtschaftsleistung konfrontiert.

Für Deutschland geht der IWF also von einem deutlich größeren Rückgang aus, als ihn die Sachverständigen (mit minus 2,8) und die Institute (mit minus 4,2) vorhergesagt haben.
Aktuelle Zahlen über Arbeitslose, Produktion und Umsätze in den USA lassen allerdings darauf schließen, dass auch diese Schätzung noch auf der optimistischen Seite liegt.
Europa und Deutschland glänzen durch die Abwesenheit jeder ernsthaft zu verwendenden Zahl; die Statistischen Ämter sind offensichtlich nicht in der Lage, ihren gewohnten Trott zu durchbrechen, der darauf hinausläuft, dass es erst Anfang Mai Zahlen für den März gibt.

So hat das Statistische Bundesamt zwar eine Internetseite für „Statistiken mit Bezug zu COVID-19 erstellt. Aber außer einem Lkw-Maut-Fahrleistungsindex steht dort nichts Neues, was der schnelleren Beurteilung der Lage dienen könnte. Und die Zeitreihe des besagten Index ist viel zu kurz, um daraus Schlussfolgerungen für die Produktion ziehen zu können.
Eurostat hat seinen Internet-Auftritt ebenfalls etwas angepasst, dreht den Spieß allerdings um. Dort erklärt man: „Eurostat and the National Statistical Institutes (NSIs) are doing their best to continue publishing relevant statistics of the highest quality, as planned in the national and Eurostat release calendars.“
Das kann man auch so lesen, dass wir schon froh sein können, überhaupt Daten im normalen Rhythmus zu erhalten.

Die Bundesagentur für Arbeit gibt zwar laufend neue Rekorde bekannt bei der Zahl der Betriebe, die Kurzarbeit anmelden (zuletzt 725 000), war bisher aber offenbar nicht bereit oder fähig, für mehr als die ersten 55 000 geprüften Anträge anzugeben, für wie viele Menschen dabei Kurzarbeit angemeldet worden ist.

Was passiert mit dem Exportüberschuss?

Erstaunlich an allen vorliegenden Prognosen ist, dass sie damit rechnen, der deutsche Überschuss im Außenhandel werde nahezu unverändert hoch bleiben, obwohl der internationale Handel nach einer Vorhersage der Welthandelsorganisation um 13 bis 32 Prozent einbrechen wird (der IWF rechnet mit minus 11 Prozent).
Die Institute setzen zwar einen Rückgang der deutschen Exporte von mehr als zehn Prozent an, vermindern aber auch die Importe um fast zehn Prozent, so dass der deutsche Überschuss sich nur wenig verringert. Auch der IWF rechnet mit einem Überschuss von 6,6 Prozent des BIP, nach 7,1 Prozent im vergangenen Jahr.

Diese Vorhersagen werden sich als falsch erweisen. Zunächst muss man zur Kenntnis nehmen, dass die Währungen vieler Schwellen- und Entwicklungsländer, mit denen Deutschland insgesamt einen Überschuss von mehr als vierzig Milliarden Euro aufweist (plus OPEC-Staaten gar fast 60 Milliarden), stark abgewertet haben, was deren Einkauf ausländischer Güter generell verteuert und in vielen Fällen nahezu unmöglich macht.

Auch die Regierungen dieser Länder werden darauf achten müssen, dass viel weniger importiert wird. Auslandsverschuldung wird in der Krise wieder als ein gewaltiges Problem betrachtet, weil davon das Rating der Kapitalmärkte sehr stark mit abhängt, dem sich die Entwicklungsländer leider nicht entziehen können (vgl. dazu auch diesen Artikel).
Hinzu kommt, dass die Rohstoffpreise enorm gesunken sind, was die Verfügbarkeit ausländischer Währung in diesen Ländern weiter einschränkt.

Gegenüber den anderen Industrieländern gibt es zwar keine deutlichen Aufwertungen des Euro, aber sowohl gegenüber dem Rest der Welt als auch gegenüber den EWU-Partnerländern wird das deutsche Außenhandelsgeschäft in den kommenden Monaten mit Sicherheit deutlich schwieriger.
Deutschlands Kerngeschäft ist nämlich der Verkauf von Gütern, die man genau jetzt nicht unbedingt braucht. Bricht die Wirtschaft weltweit nur in dem Ausmaß ein, das der IWF jetzt erwartet, sind die weltweiten Kapazitäten in einem Maße unterausgelastet, wie es das seit der Großen Depression der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts nicht gegeben hat.

Bei unausgelasteten Kapazitäten wird die Investitionstätigkeit zunächst einmal für ein bis zwei Jahre extrem schwach sein und folglich die Nachfrage nach deutschen Maschinen.
Auch für große Infrastrukturprojekte, für die man deutsches Knowhow und deutsche Schwermaschinen braucht, wird es in den nächsten Jahren überall an Geld fehlen, weil die öffentlichen Haushalte zwar nicht in einer objektiven Zwangslage sind, die Politik aber fast überall die Lage in dieser Weise interpretieren wird und sich damit selbst knebelt.

Schließlich geht es um die Automobilindustrie, die immer noch das große Standbein der deutschen verarbeitenden Industrie ist. Wenn man einmal unterstellt, dass in allen wichtigen Abnehmerländern der deutschen Automobilunternehmen mindestens ein Viertel aller Arbeitnehmer in diesem Jahr einen völlig unerwarteten finanziellen Rückschlag erleiden, weil sie für mindestens zwei Monate Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld beziehen, kann man sich ohne weiteres vorstellen, dass der Kauf eines neuen Autos erst einmal weit in die Zukunft geschoben wird.
Auch ein Großteil der Unternehmen, die erhebliche Gewinneinbußen erlebt haben, hat sicher anderes zu tun, als über den Kauf neuer Automobile nachzudenken.

Die deutsche Automobilindustrie, die sich schon vor Corona in einer ausgeprägten Rezession befand und mit Modellumstellungen zu kämpfen hat, dürfte vor ihrer größten Bewährungsprobe in den letzten siebzig Jahren stehen. Es ist nicht damit zu rechnen, dass sich das Wunder von 2010 wiederholt, als die chinesische Nachfrage nach deutschen Autos regelrecht explodierte und der Branche wie der gesamten deutschen Wirtschaft entscheidend half, die globale Rezession rasch zu überwinden.

Exportüberschüsse wollen alle

Der entscheidende Zusammenhang, der dem Exportüberschussweltmeister das Leben schwer machen wird, ist mit dem bisher gesagten jedoch noch nicht einmal angesprochen.
Praktisch alle Länder der Welt werden in der Krise ihre öffentlichen Defizite massiv erhöhen und nach der Krise unter politischem Druck sein, die Defizite und Schuldenstände wieder zu begrenzen. Ganz besonders gilt das für Europa, wo noch niemand mit politischer Verantwortung gesagt hat, dass die Maastricht-Kriterien – einschließlich der 60 Prozent-Grenze für den öffentlichen Schuldenstand – nun für alle Zeit obsolet sind.

Unter dem Druck, die öffentlichen Defizite gering zu halten, werden nach der Krise alle Länder versuchen, ihre Leistungsbilanzdefizite abzubauen bzw. selbst Überschüsse zu erzielen.
Weil die Unternehmen schon lange nicht mehr die traditionelle Rolle des Schuldenmachers und Investors übernehmen, gibt es – wie wir oft gezeigt haben – keine andere Möglichkeit, die Wirtschaft zu beleben, wenn der Staat als Schuldner ausfällt, außer der, dass man das Ausland zum Schuldenmachen zwingt.

Daraus folgt, dass der deutsche Weg der vergangenen 15 Jahre, nämlich über Leistungsbilanzüberschüsse das Schuldenmachen auf das Ausland zu verlagern, hundertprozentig versperrt ist.
Weder die übrigen Europäer noch die USA werden es hinnehmen, dass Deutschland noch einmal voll auf Außenhandelsüberschüsse setzt.
Von den Schwellen- und Entwicklungsländern werden bei sehr niedrigen Bewertungen ihrer Währungen alle Anstrengungen unternommen werden, um die Leistungs- und Handelsbilanzsalden auf die Überschussseite zu bringen.

Um diesem Dilemma zu entkommen, müsste Deutschland rasend schnell lernen, dass es in seinem eigenen Interesse nicht darauf beharren sollte, dass nach der Krise die Maastricht-Kriterien wieder in Kraft gesetzt und die Staaten zu einer Austeritätspolitik gezwungen werden.
Nur wer den Zusammenhang von Sparen, Verschulden und Investieren begreift, hat eine Chance, die ökonomischen Schäden der Coronakrise einigermaßen zu begrenzen.
Ob sie will oder nicht, die deutsche Politik wird sich neue ökonomische Ratgeber suchen müssen, um im Inland und in Europa über die Runden zu kommen.

Meine Anmerkungen

Schock-Strategie_Naomi_Klein*: Genau diese Strategie beschrieb Naomi Klein in ihrem Buch: Die Schock-Strategie; in der EU wird hier die Anwendung schon 2017 beschrieben: https://josopon.wordpress.com/2017/08/01/griechenland-verordnete-verarmung/

**: Dazu wieder die Fragen des lesenden (und leidenden) Intellektuellen – wenn die Meinungsmache wieder so perfekt inszeniert wird wie oben beschrieben, woher soll dann der Widerspruchsgeist erwachsen ? Es bleibt nach der guten Analyse wieder beim moralischen Appell des Müssens. Davon abgesehen finde ich als Arzt die jetzigen Kontaktsperremaßnahmen leider bis auf weiteres unumgänglich, um Hunderttausenden das Leben zu retten. Siehe https://josopon.wordpress.com/2020/04/07/corona-geht-gerade-erst-los-warum-es-schlimmer-kommt-als-die-regierung-sich-zu-sagen-traut-und-was-sie-trotzdem-richtig-macht/
und 200414-Analyse-Dr.-Vogt
Jochen

Aktuelles zum Corona-Virus: Europa planlos

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

SARS-CoV-2Ein guter Rundfunkbeitrag im NDR von Christian Drosten ist hier zu finden:
https://www.ndr.de/nachrichten/info/audio650168-player_image-9a837682-3730-49ed-b1a8-f620c7a7bfcd_theme-ndrde.html

Es rächt sich nun, dass im Zuge der neoliberalen Entsolidarisierung in den letzten 20 Jahren die Krankenhäuser systematisch an den Rand der Funktionsfähigkeit gedrängt wurden.
Dazu hat auch Sahra Wagenknecht hier gut verständlich Stellung bezogen:
https://www.youtube.com/watch?v=dUoskQc0Pto

Die chinesische Regierung hat es wohl richtig gemacht, da ist die Infektion am Abklingen. In Europa wird es, wie Dr.Drosten erläutert, wohl eine durchgeende Infektionswelle geben, die eine tödliche Gefahr v.a. für Ältere und Leute mit Vorerkrankungen ist. Impfungen wird es erst Anfang 2021 geben.

Lernen können wir z.B. von Südkorea, worüber das IPG-Journal der Friedrich-Ebert-Stiftung berichtet:
https://www.ipg-journal.de/interviews/artikel/anzeichen-einer-trendumkehr-4134/
Auszüge:

„Anzeichen einer Trendumkehr“

Corona-Tests im Auto, Ergebnisse per SMS – was sich aus dem Umgang mit dem Virus in Südkorea lernen lässt, erklärt Henning Effner in Seoul.

Das Interview führte Claudia Detsch.

Südkorea ist von der Ausbreitung des Coronavirus besonders stark betroffen. In keinem Land Asiens mit Ausnahme Chinas wurden bisher mehr Infektionsfälle gemeldet. Wie sieht die aktuelle Lage aus?

Die Anzahl der nachgewiesenen Infektionen ist in Südkorea mittlerweile auf mehr als 7 300 gestiegen. 50 Menschen sind an den Folgen der Infektion gestorben. Fast 20 000 Menschen befinden sich derzeit in Quarantäne.
90 Prozent der Infektionen sind in der 2,5 Millionen-Einwohner-Stadt Daegu und der umliegenden Region im Südosten des Landes aufgetreten. Dort gibt es die meisten Fälle unter Anhängern der christlichen Sekte Shincheonji, die auch Verbindungen nach China hat. In anderen Teilen des Landes ist die Anzahl der Fälle nur langsam gestiegen. In der Hauptstadt Seoul, in der etwa 10 Millionen Menschen leben, haben sich bisher 120 Menschen infiziert.

Die hohe Anzahl an nachgewiesenen Infektionen ist auch darauf zurückzuführen, dass in keinem Land so viele Tests durchgeführt werden wie in Südkorea. Das Land verfügt über die weltweit höchsten Diagnosekapazitäten. Jeden Tag werden etwa 10 000 Personen auf das Virus getestet, insgesamt bisher mehr als 190 000. In sogenannten „drive-thru“-Teststationen kann man sich testen lassen, ohne aus dem Auto auszusteigen, wodurch das Ansteckungsrisiko reduziert wird. Die Testergebnisse erhält man per SMS.
Im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus spielen die umfangreichen Tests eine Schlüsselrolle: Erst dadurch ist es gelungen, die Infektionsherde genau zu identifizieren und eine noch stärkere Ausbreitung des Erregers zu verhindern.

Wie gehen die Menschen mit der Ausbreitung des Virus um? Wie hat sich ihr Alltag und das öffentliche Leben verändert?

Die Auswirkungen auf das öffentliche Leben sind enorm. Schulen und Kindergärten sind landesweit geschlossen, der Semesterbeginn an den Universitäten wurde verschoben.
Größere Veranstaltungen und Demonstrationen sind verboten oder wurden abgesagt. Immer mehr Unternehmen lassen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von zu Hause arbeiten, ersetzen persönliche Treffen durch Videokonferenzen und schränken Dienstreisen ein.
Die Menschen nehmen die Situation sehr ernst. Sehr viele tragen Atemmasken, auch in Städten, in denen es bisher nur wenige Infektionsfälle gegeben hat. Restaurants und Cafés sind deutlich leerer als sonst, und auch in den Supermärkten gibt es deutlich weniger Kunden. Der Online-Handel hingegen boomt, da viele Menschen nun von zu Hause aus shoppen.

Wie sind die Auswirkungen auf die Wirtschaft des Landes? Welche Bereiche sind am stärksten betroffen?

Die Auswirkungen auf die Wirtschaft sind gravierend, zumal sowohl die Angebots- als auch die Nachfrageseite betroffen sind.
Unternehmen wie Samsung, LG und Hyundai mussten einige Fabriken vorübergehend schließen, nachdem Mitarbeiter positiv auf das Virus getestet worden waren.
Darüber hinaus wurden Lieferketten unterbrochen, da es bei chinesischen Zulieferern zu Produktionsausfällen gekommen ist und Bauteile nicht rechtzeitig geliefert werden konnten.

Am schlimmsten könnte sich allerdings der Rückgang des Konsums erweisen, der die Konjunktur abzuwürgen droht. Die Tourismusbranche, das Hotelgewerbe und die Gastronomie leiden bereits unter Umsatzeinbußen.
Besonders stark betroffen sind Einzelhändler und die Besitzer der vielen kleinen Restaurants und Cafés, die keine finanziellen Polster haben. Viele von ihnen können das Ausbleiben der Kundschaft finanziell nicht verkraften.

Besonders kritisch wirkt sich in dieser Situation die Struktur des südkoreanischen Arbeitsmarktes aus, der einen sehr hohen Anteil an irregulären Arbeitsverhältnissen aufweist.
Viele Leiharbeiter, Scheinselbständige, Tagelöhner und Beschäftigte mit Zeitverträgen haben keine Arbeit mehr. Sie sind als erste betroffen, wenn in den Restaurants die Kunden ausbleiben oder wegen der Schließung der Schulen weniger Reinigungskräfte und Kantinenmitarbeiter benötigt werden.

Welche Maßnahmen ergreift die Regierung, um die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen abzumildern?

Südkorea befindet sich derzeit ohnehin in einer wirtschaftlich schwierigen Phase. Durch die Auswirkungen des Coronavirus droht sich die Abwärtsspirale nun zu verstärken.
Um die Wirtschaft zu stützen, hat die Regierung von Präsident Moon Jae-In einen Nachtragshaushalt in Höhe von fast 9 Milliarden Euro aufgelegt, der in Kürze vom Parlament verabschiedet werden soll.
Der Nachtragshaushalt beinhaltet ein ganzes Bündel von Maßnahmen: Diese umfassen zum einen Investitionen in das Gesundheitssystem, durch die die Behandlungsmöglichkeiten von infizierten Personen verbessert werden sollen, die Stärkung von Präventionsmaßnahmen, den Ausbau von Diagnosekapazitäten sowie medizinische Forschungsförderung.

Vorgesehen sind darüber hinaus finanzielle Unterstützung für Personen in Quarantäne, günstige Kredite für Einzelhändler und kleine und mittlere Unternehmen, eine Erhöhung der Unterstützung für Arbeitslose und Haushalte mit niedrigen Einkommen sowie eine Förderung der beruflichen Weiterbildung.
Diese Maßnahmen sind sicherlich sinnvoll und wurden allgemein begrüßt. Kritiker bemängeln jedoch, dass das Hilfspaket sozial unausgewogen sei, da Erwerbstätige in irregulären Arbeitsverhältnissen, die besonders betroffen sind, kaum Unterstützung bekämen.

Wie wirkt sich der Ausbruch des Coronavirus auf die politische Lage im Land aus?

Das Coronavirus trifft Südkorea in einer innenpolitisch aufgeheizten Lage, da am 15. April Parlamentswahlen stattfinden. Das Krisenmanagement von Präsident Moon Jae-In ist daher ins Zentrum politischer Auseinandersetzungen gerückt. Die konservative Opposition wirft ihm vor, nicht entschlossen genug auf den Ausbruch des Virus reagiert zu haben.
Die Kritik zielt vor allem auf den Umgang mit Besuchern aus China. Die Regierung hatte zwar ein Einreiseverbot für Reisende aus der Provinz Hubei verhängt, nicht jedoch aus anderen Landesteilen Chinas.
Die Opposition wirft Präsident Moon daher vor, aus Rücksichtnahme gegenüber China den Schutz der eigenen Bevölkerung vernachlässigt zu haben.

Die Regierung weist dies zurück und betont, dass die Ausbreitung des Virus vor allem durch die christlichen Sekte Shincheonji erfolgt sei und dies durch ein generelles Einreiseverbot nicht hätte verhindert werden können.
Dennoch hat die Regierung reagiert: Besucher aus China sind nun dazu verpflichtet, bei Einreise nach Südkorea eine Selbst-Diagnose-App auf ihrem Telefon zu installieren und ihren Gesundheitszustand fortlaufend an die Gesundheitsbehörden zu übermitteln.

Eine weitere Kontroverse hat sich um die Versorgung der Bevölkerung mit Atemschutzmasken entwickelt. Obwohl in Südkorea täglich mehr als 10 Millionen Atemschutzmasken produziert werden, kann die Nachfrage nicht vollständig gedeckt werden. Dies ist insbesondere für ältere Menschen ein Problem, die nicht damit vertraut sind, diese über den Online-Handel zu bestellen.
Angesichts der zunehmenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung sah sich Präsident Moon sogar dazu gezwungen, sich öffentlich für die Versorgungsengpässe zu entschuldigen.
Um die Versorgungslage zu verbessern, kauft die Regierung nun einen Großteil der Produktion selbst auf und verkauft die Atemschutzmasken in Postämtern und speziellen staatlichen Ausgabestellen nach einem Quotensystem.

Was bedeuten diese Entwicklungen im Hinblick auf die Parlamentswahlen?

Die konservative Opposition versucht weiter, Stimmung gegen die Regierung zu machen.
Kreise, die der Opposition nahestehen, haben eine Online-Petition zur Amtsenthebung von Präsident Moon gestartet, die von mehr als 1,5 Millionen Menschen unterzeichnet wurde.
Sie werfen ihm vor, im Krisenmanagement versagt zu haben. Dass diese Kampagne nachhaltige Wirkung zeigt, ist jedoch zu bezweifeln.
Vielen Menschen erscheint die Kritik überzogen, zumal die Regierung entschlossen und mit effektiven Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus vorgeht.

Inwieweit der Ausbruch des Coronavirus die Parlamentswahlen beeinflussen wird, ist noch nicht abzusehen. Generell haben sich die politischen Lager verfestigt, Gegner und Unterstützer der Regierung stehen sich unversöhnlich gegenüber. Die aktuellen Umfragen lassen keine klaren Trends erkennen. Die Zustimmungswerte für Präsident Moon sind nach Ausbruch der Krise zwar leicht gesunken, haben sich aber mittlerweile wieder stabilisiert.
Die Umfragewerte der Demokratischen Partei, der er angehört, liegen weitgehend unverändert bei etwa 40 Prozent, die der konservativen Opposition schwanken um die 30-Prozent-Marke.

Viel wird davon abhängen, wie sich die Lage in den kommenden Wochen entwickelt und wie die Wählerinnen und Wähler das Krisenmanagement der Regierung bewerten.
Falls sich die Lage zuspitzt und neben der Stadt Daegu weitere große Infektionsherde entstehen, wird die Regierung unter Druck geraten.
Es gibt jedoch erste Anzeichen für eine mögliche Trendumkehr. So ist die Anzahl der Neuinfektionen in den vergangenen Tagen zurückgegangen.
Sollte dieser Trend anhalten und es Präsident Moon gelingen, den Ausbruch des Virus unter Kontrolle zu bekommen, könnte seine Partei bei den Wahlen davon profitieren.

Ein Artikel, der sich kritisch mit der Situatiion in Deutschland beschäftigt, findet sich hier:
https://www.heise.de/tp/features/Coronavirus-Europa-planlos-4678285.html
Auszüge:

Coronavirus: Europa planlos

  1. März 2020 Alexander Unzicker

Konventionelles Risikomanagement versagt bei einem Schwarzen Schwan

Leider kann das menschliche Gehirn exponentielles Wachstum nicht intuitiv erfassen. In Ausnahmesituationen wie der Covid19-Pandemie führt dies zu katastrophalen Fehleinschätzungen von Entscheidungsträgern.
Herkömmlichen Kosten-Nutzen-Abwägungen sind ungeeignet, um mit der Krise umzugehen. Sie kommen systematisch zu spät.

Gefühlte Sicherheit, errechnete Bedrohung

Betrachten wir zunächst nüchtern die Zahlen. Charakteristisch für eine Ausbreitung ist der Faktor, mit dem sich die Zahl der Betroffenen (Infizierte, Schwerkranke, Tote) jeden Tag erhöht.
Mit 674 Infizierten (Stand 6.3.20 abends) ist Deutschlands Situation am ehesten vergleichbar mit Italien am 27.2.20 (650 Infizierte), wir haben etwa 8 Tage Vorsprung.

Seither stieg die Anzahl Infizierten in Italien auf 4636 (Faktor 1,28 pro Tag), die Anzahl der Intensivpatienten von 56 auf 463 (Faktor 1,30 pro Tag).
Rein rechnerisch wären damit die angeblich in Deutschland vorhandenen 30.000 Beatmungsgeräte in 24 Tagen besetzt (Log1,3 463/56 =15,9 Tage + 8Tage), wahrscheinlich das Gesundheitssystem aber schon vorher am Zusammenbruch, denn für ganz schwere Fälle gibt es um Größenordnungen weniger Plätze.

Deutschlands Infizierte steigen im Moment mit dem Faktor 1,37 (5-Tages-Mittel), die Anzahl der Intensivpatienten ist nicht bekannt. Zwar gibt es weniger Tote zu beklagen (laut Statistik bisher keiner). Es ist aber wahrscheinlicher, dass dies mit Testdefiziten und fehlender Obduktion zu tun hat als die naive Annahme, das Virus werde beim Weg über die Alpen ungefährlicher (obwohl anscheinend der Frühausbruch in Wuhan eine höhere Letalität hatte). Beunruhigende 10 Prozent der (gemessenen) Infizierten benötigen wohl Intensivtherapie, die tödlichen Fälle ereignen sich im Mittel 14 Tage nach den ersten Symptomen.

China wird die Flüge nach Europa streichen, nicht umgekehrt

Europaweit gibt es ca. 7000 Infizierte (Stand 6.3.20 abends), zahlenmäßig vergleichbar mit China am 30.01.20. Allerdings waren in China schon am 24.1. drastische Maßnahmen zur Eindämmung verhängt worden, die den täglichen Faktor schon Anfang Februar auf 1,20 drückten.

Diese Daten machen es wahrscheinlich, dass Europa von der Pandemie wesentlich stärker betroffen sein wird als China.
Es könnte aber auch um Größenordnungen schlimmer werden, wenn nicht entschiedene Maßnahmen ergriffen werden.
Dass es möglich ist, den Ausbruch zu stoppen, hat China (aber auch andere Länder wie z.B. Singapur) bewiesen. Jeder einzelne versäumte Tag wird jedoch die Anzahl der Toten, aber auch den volkswirtschaftlichen Schaden um etwa 30 Prozent erhöhen.

Es ist daher völlig verantwortungslos, schon jetzt von einem unvermeidlichen oder unbegrenzten Ausbruch auszugehen, wie es der Virologe Christian Drosten in letzter Zeit mit seinem öffentlichen Kopfrechnen tat.
Denn den in wenigen Wochen drohenden Totalausbruch auf die Zeitskala von 1-2 Jahren zu verlängern (wovon Drosten offenbar träumt, allerdings dann lieber ohne zu rechnen), müsste man den Verbreitungsfaktor praktisch feinjustierendass auf diesem Kontinent niemand die Verantwortung übernimmt, die Bevölkerung mit unangenehmen Zahlen zu konfrontieren., aber jedenfalls ohnehin durch einschneidende Maßnahmen senken – dann kann man es aber auch gleich richtig machen und die Epidemie stoppen.

Es macht fassungslos, mit welcher Nonchalance über die Infektion von 50 Millionen Deutschen bzw. 500 Millionen Europäern nachgedacht wird, wenn China unter Aufbietung aller seiner Möglichkeiten, und sicherlich nicht aus Spaß, den Ausbruch bei 80.000 Infizierten begrenzt hat – dazu später noch mehr.

Komfortzone verlassen heißt nicht Panik

Das zentrale Problem ist, dass auf diesem Kontinent niemand die Verantwortung übernimmt, die Bevölkerung mit unangenehmen Zahlen zu konfrontieren.

Die Gefahr muss aber – in sachlicher Weise – in die Köpfe. Ein verbreitetes Framing, aber völlig daneben ist es, entsprechende Warnungen als „Panikmache“ zu diffamieren.

Schädliche Panikmache wäre, in einem überfüllten Raum „Feuer“ zu rufen, so dass sich die Menschen am engen Ausgang tottrampeln.
Hier geht es dagegen darum, die Leute herauszubitten, bevor es richtig brennt und für einen Notausgang zu werben. Aber die Aufforderung, sich aus der Komfortzone zu bewegen, löst bei vielen Menschen Unbehagen und berechtigte Besorgnis aus – und davor haben Politiker wirklich Angst.

Besonders kontraproduktiv waren dazu in den letzten Wochen die Risikoeinschätzungen des Robert-Koch-Instituts, die mit „gering“, „gering bis mäßig“, „mäßig“ der Realität nur hinterhertrotteten.
Dabei wäre eine angemessene Sensibilisierung der Bevölkerung das allerwichtigste Mittel, die Verbreitung zu bremsen – wie es Alexander Kekulé, übrigens ein wirklicher Epidemiologe, seit langem fordert.
Im Moment rollt ein Auto immer schneller einen Abhang hinab, aber der Fahrer bremst nicht, weil das die Insassen unbequem sein könnte, insbesondere, weil man vergessen hat, Sicherheitsgurte einzubauen.

Selbstverständlich ist es bei einer Tröpfcheninfektion hilfreich, Erreger mit einer Gesichtsmaske abzufangen – natürlich geht das nur teilweise, aber in Anbetracht des vernachlässigbaren Aufwands effektiv.
Seit Wochen breiten offizielle Stellen die Schwächen dieser Methode aus, um ihr Totalversagen bei der Bevorratung zu kaschieren (hier ein Life Hack dazu).
Händewaschen allein (so sinnvoll es ist) wird das Virus nicht stoppen, und ganz sicher nicht die Hoffnung auf den Frühling (es gibt keinerlei Evidenz dafür, dass sich der Virus in mildem Klima nicht ausbreitet).

Was zu tun ist

Folgende Maßnahmen wären notwendig: Generell müssen soziale Kontakte soweit reduziert werden, dass die mittlere Zeitspanne, während der man sich durchschnittlich im Umgang mit Infizierten ansteckt, länger wird als die Inkubationszeit.
Das bedeutet, in jedem geschlossenen Raum, in dem Menschen zusammen sind, die Infektionsgefahr auf ein Restrisiko zu senken – durch Masken, Belüftung, Abstand halten oder eben auch Einstellung des Betriebs, wo möglich, Umstellung auf Home-Office. Schulen, bei denen das Problem besonders offensichtlich ist, könnten beispielsweise einen Notbetrieb mit Prüfungen, Beaufsichtigung von Kindern im Freien und Videounterricht anbieten. Behörden müssten einen entsprechenden Notbetrieb einrichten.

Schmierinfektionen könnten durch Desinfektion, Handschuhe und Vermeiden von Druckknöpfen ausgeschlossen werden. Und natürlich muss bei Verdacht jedermann schnell getestet werden – für wenig Geld übrigens. *)
Auch Handytracking von Infizierten kann schon sinnvoll sein – zeitbegrenzt und anonymisiert, oder wenigstens auf freiwilliger Basis mit Belohnungssystem. Warum gibt es das noch nicht?
Alle diese Dinge wären machbar, durchsetzbar und könnten eine potenzielle Katastrophe verhindern.

Das Problem ist, dass sie vielen Menschen als übertrieben erscheinen, die eine vermeintlich rationale Kosten-Nutzen-Abwägung durchführen, die verheerende Folgen haben kann.
Niemand hat das klarer ausgedrückt als Nassim Taleb, der Autor des Weltbestsellers Der schwarze Schwan. In speziellen Situationen wie der vorliegenden, in der mit kleiner Wahrscheinlichkeit ein sehr großer Schaden droht, muss man anfangs „übertrieben“ reagieren.
Das Individuum erleidet dabei einen kleinen Nachteil, der kurzfristig außer Verhältnis steht, aber einen immensen Schaden von der Gemeinschaft abwendet (der am Ende natürlich wieder jedes Individuum trifft).

Dies haben die wenigsten Entscheidungsträger verstanden (obwohl Taleb dazu auch in Fachzeitscheitschriften publiziert hat, „general precautionary principle“), und daher laufen Regierungen und Behörden in solchen Fällen grundsätzlich den Ereignissen hinterher. Bei aller speziellen lokalen Inkompetenz, über die man sich aufregen kann, ist dies natürlich schon ein globales Problem.

Schwarzen Schwan vermeiden

Zu den unbekannten Unbekannten, von den Taleb spricht, gehören leider auch die Gefahren durch das Virus, das oft mit Grippe verglichen wird, was epidemiologisch und medizinisch völlig unsinnig ist.
Neben der höheren Ansteckungsrate und der höheren Letalität weiß man nichts über Langzeitauswirkungen. Durchaus beunruhigend ist der Bericht chinesischer ÄrzteE, die durch eine Tumoroperation zufällig an Lungengewebe im Frühstadium der Sars-CoV-2-Infektion gelangt sind. Es fanden sich erhebliche Gewebeschädigungen bei noch asymptomatischen (!) Patienten.
Es kann eine gute Nachricht sein, dass viele Infizierte kaum Symptome haben, aber zumindest ein Restrisiko für Folgeschäden besteht. Gerade deshalb ist alles andere als entschiedenes Handeln verantwortungslos.

Laut Nassim Taleb ist es auch klüger, sich auf den ungünstigen Fall vorzubereiten, anstatt Wahrscheinlichkeiten zu berechnen, die man typischerweise unterschätzt.
Lieber die Rettungsboote dabei haben, als zu behaupten, das Schiff sei unsinkbar. Seriöse Prognosen für den Ausgang der Corona-Krise lassen sich im Moment kaum erstellen.
Es kann allerdings sein, dass neben den sicher immensen wirtschaftlichen Folgen nicht nur auf nationaler Ebene Regierungen die Folgen spüren, sondern dass die Pandemie auch zu einem evolutionären Ereignis wird, das Gesellschaftssysteme selektiert. Auch deshalb sollte man sich anstrengen.

*: Siehe dazu https://josopon.wordpress.com/2020/02/18/smartphone-einschub-kann-coronaviren-nachweisen/

Dr. Alexander Unzicker ist Physiker, Jurist und Sachbuchautor.
Sein Buch „Wenn man weiß, wo der Verstand ist, hat der Tag Struktur – Anleitung zum Selberdenken in verrückten Zeiten“ erschien 2019 im Westend-Verlag.

Jochen