Von Syrien bis zur Ukraine: Dieselben 10 Regeln der Kriegspropaganda von Lord Posonby

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Karin LeukefeldWichtige Beobachtung von Karin Leukefeld in den NachDenkSeiten:
https://www.nachdenkseiten.de/?p=85647
Bei der Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine werden in deutschen Medien altbekannte Regeln der Kriegspropaganda aus dem Syrienkrieg angewendet.
Die gegnerische Seite (Russland) sei verantwortlich, der russische Präsident wird dämonisiert. Man sei „nicht Kriegspartei“, die gelieferten Waffen dienten nur der Selbstverteidigung der Angegriffenen. Diese kämpften heldenhaft während die gegnerische Armee verbotene Waffen einsetze und Grausamkeiten verübe.
Unbelegte Behauptungen reichen, um den Gegner (Russland, Putin) als Schuldigen anzuprangern.

Wie die syrische Stadt Aleppo und ihre Bewohner für Propaganda gegen Russland missbraucht werden

  • Im Donbas entfesselt der „Schlächter von Aleppo“ seine brutale Strategie“. Die Welt, 09.05.2022.
  • „Ukraine-Krieg: Grosny, Aleppo, Butscha: Immer die gleichen Vorwürfe an die russische Kriegsführung“. Stern, 05.04.2022.
  • „Von Aleppo nach Kiew: Das ist der Putin den wir kennen“. Tagesspiegel, 09.03.2022.
  • „Von Aleppo nach Mariupol“. Die Zeit, 04.03.2022. Und weiter: „Wir werden wohl bald Aleppo-ähnliche Bilder aus Mariupol sehen.“

Medien im Krieg

Die Botschaft lautet, dass die russische Armee blutrünstig, brutal und menschenverachtend vorgehe und mit ihrer „barbarischen Kriegsführung“ – wie in Aleppo – keinen Stein auf dem anderen lasse.
Frauen würden in Massen vergewaltigt, Delphine im Schwarzen Meer siechten dahin, Kunst- und Kulturgüter würden zerstört.
Als „Schlächter von Aleppo“ bezeichnen deutsche Medien heute den russischen Präsidenten Wladimir Putin, wie sie zuvor den syrischen Präsidenten Bashar al Assad den „Schlächter von Syrien“ nannten, Muammar al Ghadafi den „Schlächter von Libyen“ und Saddam Hussein den „Schlächter von Bagdad“.

Die Regeln der Propaganda

Die Regeln der Propaganda wurden 1928, vor knapp 100 Jahren, von dem britischen Baron und Politiker Arthur Ponsonby (1871-1946) in dem Buch „Lüge in Kriegszeiten“ analysiert.

Ponsonby, der seine Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg verarbeitete, wird das Zitat zugeschrieben: „Das erste Opfer im Krieg ist die Wahrheit“. Heute ist bekannt, dass die Wahrheit schon vor dem Beginn eines Krieges erlegt wird. Politische Unwahrheiten, Lügen und Täuschungen bilden den Hintergrund, vor dem Kriege entstehen.
Transportiert werden sie von Denkfabriken, Politik und Medien mit Hilfe einer globalisierten westlich dominierten Kommunikationsstruktur.

Meist sind die Lügen bekannt, weil es vor einem Krieg immer mindestens zwei Perspektiven gibt, die eine angespannte politische Situation beschreiben.
Bis zum Irak-Krieg 2003 wurden die verschiedenen Perspektiven zumeist von Journalisten und Korrespondenten noch berichtet, wobei schon damals eine deutliche Differenz zwischen Berichten der westlichen Medien (EU, GB, USA) und arabischen, lateinamerikanischen oder asiatischen Medien (Asia Times, Al Jazeera, Prensa Latina) zu beobachten war.

Lüge in Kriegszeiten

Der Krieg von USA, Großbritannien und einer Koalition der Willigen (auch 4000 Soldaten aus der Ukraine waren dabei) gegen Irak 2003 wurde u.a. mit der vom britischen Geheimdienst MI6 verbreiteten Lüge vorbereitet, Irak verfüge über Massenvernichtungswaffen, die innerhalb von 45 Minuten einsatzbereit seien.

Der damalige US-Außenminister Colin Powell präsentierte im UN-Sicherheitsrat am 5. Februar 2003 angebliche Beweise dafür, dass der Irak fahrbare Chemiewaffenlabore im Einsatz habe.

Nichts wurde gefunden. Der Irak, geschwächt durch mehr als 10 Jahren UN-Sanktionen, wurde politisch, wirtschaftlich und sozial zerstört.
2016 wurde in London der Bericht der Chilcot Untersuchungskommission veröffentlicht, in dem die meisten Lügen der britischen Politik aufgedeckt wurden.

Dem Irak half das nicht. Niemand wurde rehabilitiert, niemand entschädigt. Weder die USA noch Großbritannien entschuldigten sich bei dem Land, das sie völlig destabilisiert hatten.
Stattdessen wurden und werden weitere Kriege und Krisen mit Unwahrheiten, Lügen und Täuschungen vorbereitet und begründet.
Perspektiven, Informationen und Berichte von Medien, die nicht das weltumspannende westliche „Narrativ“ bedienen, sondern es hinterfragen, Hintergründe recherchieren und debattieren und andere Perspektiven einbringen, werden diffamiert, verfolgt und verboten. Die Regeln der Kriegspropaganda funktionieren immer wieder aufs Neue.

Warum Aleppo?

Zur Vorgeschichte gehört, dass in Deutschland über den Krieg in Syrien, Ursachen und Hintergründe, über das Geschehen in Aleppo und über die Akteure einseitig berichtet wurde.
Die Darstellung unterlag übergeordneten Vereinbarungen, die von den USA, Großbritannien, Frankreich, einigen ausgewählten arabischen Golfstaaten, Türkei, Jordanien und Israel – das nie genannt wird – und den so genannten „Freunden Syriens“ bestimmt wurden. Denkfabriken, Medien und Hilfsorganisationen wurden in dieses „Narrativ“ eingebunden. Die UNO und ihre Organisationen agierten unter enormem Druck der westlich geführten „Freunde Syriens“. Friedens- und fortschrittliche Organisationen in Deutschland, Parteien, Gewerkschaften und Kirchen und auch die meisten Journalisten hinterfragten die Darstellung kaum.

Das führte dazu, dass die Interessen der Bundesregierung gegenüber der breiten Öffentlichkeit in Deutschland nicht offengelegt wurden. Die Bundesregierung war – und ist – eingebunden in die Interessen von EU und NATO, die wiederum von den USA bestimmt wurden und werden. Die damals wichtigsten Verbündeten in der Region waren die arabischen Golfstaaten, Israel und die Türkei.

„Der Westen, Golfstaaten und die Türkei“ wollten in Syrien einen gewaltsamen „Regierungswechsel“ (Stichwort: Regime Change) durchsetzen, stellte der US-Militärgeheimdienst DIA im August 2012 in einem internen Bericht fest. Zu dem Zeitpunkt wurden bereits Waffen und Kämpfer aus Libyen über das Mittelmeer in die Türkei transportiert und dort – unter Aufsicht der CIA – an bewaffnete aufständische Gruppen im Norden Syriens verteilt. Je mehr und je besser Waffen, desto mehr Kämpfer meldeten sich .
DIA stellte dazu fest: „A. Im Land nehmen die Ereignisse eine deutliche konfessionelle Richtung. B. Die Salafisten, die Muslim Bruderschaft und Al Qaida im Irak (AQI) sind die führenden Kräfte die den Aufstand in Syrien vorantreiben. C. Der Westen, die Golfstaaten und die Türkei unterstützen die Opposition, während Russland, China und der Iran das Regime unterstützen.“

judicialwatch.org/wp-content/uploads/2015/05/Pg.-291-Pgs.-287-293-JW-v-DOD-and-State-14-812-DOD-Release-2015-04-10-final-version11.pdf

Aleppo – Die Wirtschaftsmetropole

Aleppo kam aufgrund seiner strategischen Lage – der Nähe zur türkischen Grenze bei Azaz – in den Umsturzplänen eine besondere Rolle zu.

Die Stadt galt als Wirtschaftshauptstadt Syriens, hier wurde der Reichtum des Landes erwirtschaftet, die Basis seiner Unabhängigkeit. Gelegen im ehemaligen „Fruchtbaren Halbmond“ und an wichtigen Handelsrouten, die Ost mit West (Seidenstraße) und Nord mit Süd (Gewürzstraße) verbanden, ist Aleppo seit dem 3. Jahrtausend vorchristlicher Zeitrechnung einer der berühmtesten Handelsplätze in der Region.

Im 12. Jahrhundert wurde Aleppo von den Kreuzrittern belagert, im 13. Jahrhundert wurde die Stadt von den Mongolen zerstört und im 15. Jahrhundert von den Osmanen erobert.
Mit dem Fall des Osmanischen Reiches im Ersten Weltkrieg (1914-1918) wurden die ehemaligen arabischen Provinzen des gefallenen Reiches mit dem britisch-französischen Sykes-Picot-Plan gevierteilt. Syrien und die Stadt Aleppo fielen unter französisches Mandat. Aleppo wurde von seinem arabischen und asiatischen Hinterland abgeschnitten, es mussten neue Handelswege gefunden werden.
Erst 1946 zogen sich die Franzosen zurück, Syrien erlangte die Unabhängigkeit und wurde Mitglied der UNO.

Nach der gewaltsamen Gründung des Staates Israel und der Vertreibung der Palästinenser (1948) folgten Kriege, die Besetzung der Golanhöhen (1967), die traditionellen Handelswege Syriens zum Mittelmeer (Haifa, Beirut und Tripoli) waren ganz oder teilweise versperrt. Doch trotz der schwierigen politischen Entwicklung Syriens und der Region war Aleppo vor dem Krieg 2011 wieder die wichtigste Wirtschaftsmetropole in der Region. Die Weltbank bezeichnete Syrien als die am schnellsten wachsende Wirtschaftsmacht unter den arabischen Staaten und prognostizierte, dass das Land bald auf Rang 5 der arabischen Ökonomien (…) geklettert sein werde.

Gelungen war das durch den Plan, aus Syrien, Türkei, Libanon, Jordanien und Irak eine gemeinsame Wirtschaftszone zu machen. ***) Gemeinsame Infrastrukturprojekte waren geplant, der regionale Handel boomte. Zwischen Syrien und der Türkei wurden neue Grenzübergänge geöffnet, die Visumspflicht wurde aufgehoben. Die Händler von Aleppo hatten Beziehungen in alle Welt, neue Industriebezirke waren in und um die Stadt entstanden. In der Industriestadt Scheich Najjar – etwa zehn Kilometer vom Zentrum der Stadt entfernt – hatten sich mehr als 1900 Firmen angesiedelt, die Tausenden Menschen Arbeit gaben. Aleppo war die wirtschaftliche Hauptstadt Syriens.

Aleppo bleibt ruhig

Während in anderen Landesteilen die Konflikte 2011/ 2012 eskalierten, blieb es in Aleppo ruhig. Die religiöse und ethnische Vielfalt der Stadt, der ausgeprägte Geschäftssinn, die Ablehnung einer „Revolution“ spiegelten sich in der politischen Zurückhaltung der Aleppiner.

Doch in den nordöstlichen Randgebieten der Stadt, die durch Landflucht und Bevölkerungswachstum unübersichtlich geworden waren, fassten bewaffnete Kämpfer – die aus der Türkei gekommen waren – Fuß und sagten der säkularen Gesellschaft im Zentrum von Aleppo den Kampf an. Im August 2012 erreichten sie den Ostteil der Altstadt im Herzen von Aleppo. Die Bewohner der alten Viertel flohen.
Ein Augenzeuge ist der Fotograf und Filmemacher Issa Toumeh, der im Viertel Al Jdeideh lebt. Er beobachtete und filmte den Beginn des Krieges von seinem Fenster neun Tage lang.
In seinem Kurzfilm „Neun Tage – Von meinem Fenster in Aleppo“ (9 Days – From My Window in Aleppo) zeigt er, wie Bewaffnete in der Straße vor seinem Haus Position beziehen.

Aleppo – Die Zerstörung

Geschäftsleute, die sich den Kämpfern entgegenstellten, um ihre Geschäfte in der Altstadt zu schützen, wurden bedroht und zogen sich vor der Waffengewalt zurück. Andere versuchten die Kämpfer mit Geld zu besänftigen und dazu zu bringen, ihre Fabriken, Lager oder Häuser nicht anzugreifen.
Die Kämpfer nahmen das Geld und griffen weiter an. Sie plünderten Fabriken und die Fuhrparks von Industrieunternehmen, dem syrischen Roten Halbmond und von ICARDA (International Center for Agricultural Research in the Dry Areas), dem Internationalen Zentrum für Agrarforschung in Trockengebieten.

Die Industriestadt Sheikh Najjar und nahezu alle Industriezentren in den Randbezirken von Aleppo wurden im September, Oktober 2012 gestürmt, geplündert und besetzt oder zerstört.
Aus den Fabriken in Sheikh Najjar wurden Maschinen, Computer, Fuhrparks gestohlen und vor aller Augen über die nahegelegene Grenze in die Türkei abtransportiert.

Im Dezember 2012 folgte die Belagerung des Al Kindi Hospitals, der größten und modernsten Klinik für Krebserkrankungen in der Region mit 700 Betten. Auf einem Hügel gelegen, war es für den militärischen Sturm auf Aleppo ein wichtiger Stützpunkt, den die Kämpfer einnehmen wollten.
Patienten und Personal konnten evakuiert werden, die syrische Armee versuchte die Klinik zu verteidigen. Im Dezember 2013 lenkten zwei Selbstmordattentäter je einen Lastwagen, beladen mit jeweils 40 Tonnen Sprengstoff, in den Eingangsbereich der Klinik und sprengten sich in die Luft. Das Gebäude brach in einer riesigen Staubwolke zusammen.

Aleppo – Das syrische Benghasi

Unterstützt wurden die Kämpfer bei ihrem Sturm auf Aleppo von den „Freunden Syriens“. Der Plan war, aus Aleppo ein „syrisches Benghasi“ zu machen.
Das Vorbild war Libyen, wo die Hafenstadt Benghasi die Basis für die bewaffnete Opposition geworden war. Eine Flugverbotszone sollte angeblich Luftangriffe der libyschen Armee verhindern.
Tatsächlich schützte sie die Anlieferung von Waffen, die mit Schiffen zu den Kämpfern in Benghasi gebracht wurden.

In Syrien sollte Aleppo die Basis für die syrische bewaffnete Opposition werden. Eine Exilregierung sollte etabliert werden. Im Umland von Aleppo sollten „Schutzzonen“ errichtet werden, in denen die Kämpfer sich sammeln und zu einer „Freien / Neuen Syrischen Armee“ ausgebildet werden sollten.
Dann sollten sie in Richtung Damaskus marschieren, das vom Süden (Deraa, Yarmouk), vom Westen (Zabadani, Maraya) und vom Osten (Deir Ez-Zor, Palmyra, Ghouta, Douma) umzingelt werden sollte.
Ziel war der Sturz der Regierung, „Regime Change“.

Aleppo eignete sich als Basis für den Plan, weil aus der nahegelegenen Türkei Kämpfer und Waffen leicht über die Grenze gebracht werden konnten. Die Waffen waren seit 2011 aus Katar und Saudi-Arabien auf dem Luftweg nach Amman und Ankara und von dort jeweils zur syrischen Grenze transportiert worden, wie der damalige Ministerpräsident Katars, Scheich Hamad bin Jassim bin Jabar al Thani in einem Interview mit dem Katarischen Fernsehen 2017 erklärte.
Das Vorgehen sei mit den USA und der Türkei abgesprochen gewesen. Für die militärische Koordination der Angriffe in Syrien habe es zwei international besetzte „Operationsräume“ gegeben, einen in Jordanien und einen in der Türkei.

Aleppo – Die Belagerung

Es folgten vier schreckliche Jahre (2012 -2016) für die Bewohner von Aleppo. Die Front verlief durch die Altstadt und um die Stadt herum. West-Aleppo – wohin viele Menschen aus dem Osten der Stadt und dem Umland geflohen waren – war teilweise komplett von den bewaffneten Gruppen eingeschlossen. An deren Spitze stand die Nusra Front (Al Qaida).
Allein im Sommer 2015 blockierten bewaffnete Gruppen nach Angaben von UNICEF mehr als 40 Mal die Wasserversorgung für Aleppo Stadt, wo damals rund 1,5 Millionen Menschen lebten.
Die Wasseraufbereitungsanlage Al Khafseh am Euphrat, wurde von Kämpfern des Islamischen Staates besetzt und geschlossen, wodurch 2 Millionen Menschen in Aleppo und Umland ohne Wasserversorgung waren. Ein Luftangriff auf Al Khafseh – für den Syrien die US-Streitkräfte und die Opposition russische Kampfjets verantwortlich machten – richtete ebenfalls Zerstörung an.*)

Die Belagerung endete erst im Juli 2016, als die syrische Armee mit Unterstützung des Irans, der Hisbollah und der russischen Luftwaffe, die letzte Versorgungslinie für die Kampfgruppen in Aleppo unterbrach.
Es folgte eine massive Angriffswelle der „Armee der Eroberung“, die von der Nusra Front geführt von Idlib herkommend einen Sturm auf Ramousseh, im Süden von Aleppo startete und dabei Selbstmordkommandos mit Sprengstoffbeladenen Panzerwagen gegen Stellungen der syrischen Armee einsetzte. Doch der Angriff scheiterte, die Zahl der Opfer auf beiden Seiten war hoch.

Im Dezember 2016 war Aleppo wieder unter syrischer Kontrolle. Die bewaffneten Kämpfer und „Oppositionellen“ wurden unter internationaler Kontrolle nach Idlib evakuiert. Unter ihnen waren mindestens 14 ausländische Militärs und Geheimdienstoffiziere, wie ein syrischer Parlamentsabgeordneter mitteilte. Sie kamen aus der Türkei (1), USA (1), Israel (1), Katar (1), Saudi-Arabien (8), Jordanien (1) und Marokko (1).

Andere Geheimdienstquellen sprechen von weit mehr ausländischen Offizieren, die von syrischen Spezialkräften identifiziert worden seien: 22 Amerikaner, 16 Briten, 21 Franzosen, 7 Israelis, 62 Türken.

Im UN-Sicherheitsrat wurde hinter verschlossenen Türen heftig darüber verhandelt, wie mit diesen ausländischen Militärs – darunter Bürger der drei westlichen Veto-Mächte USA, Großbritannien und Frankreich – umgegangen werden sollte. Sie wurden schließlich im Rahmen der großen Evakuierung von 25.000 bewaffneten Kämpfern und deren Angehörigen unbehelligt in Bussen abtransportiert.

Nach Einschätzung von US-Geheimdienstveteranen (Veterans Today) sei der Abzug der mehr als 100 ausländischen Militärs und Geheimdienstoffiziere Teil des Waffenstillstands- und Evakuierungsplans gewesen. Russland und Syrien hätten weitere Kämpfe, Tote und Zerstörungen verhindern wollen und waren vor allem daran interessiert, die Kämpfer aus Aleppo zu entfernen.
Russland habe auf einen sofortigen umfassenden Waffenstillstand gedrängt und wollte – in Absprache mit der Türkei und Iran – die politischen Gespräche aller Parteien in Astana beginnen.
Die westlichen Veto-Mächte wiederum wollten „ihre Leute“ sichern und stimmten dem Abzug der Kampfverbände nur zu, wenn auch „ihre Leute“ abziehen könnten. Alle Seiten schwiegen über den Deal.

Was hat Aleppo mit dem Krieg in der Ukraine zu tun?

Warum also ziehen Politik und Medien im Westen eine Parallele zwischen dem Syrienkrieg und der Ukraine? Was hat Aleppo mit Kiew oder Mariupol zu tun?

Das Sprichwort „Haltet den Dieb“ eignet sich vielleicht am ehesten als Erklärung. Wie ein ertappter Dieb versucht der Westen mit großem Geschrei auf allen Kanälen und rund um die Uhr, Russland zu beschuldigen, um von der eigenen Verantwortung für die Zerstörung von Aleppo abzulenken.

Die Botschaft lautet, dass die russische Armee blutrünstig, brutal und menschenverachtend vorgehe und mit ihrer „barbarischen Kriegsführung“ – wie in Aleppo – keinen Stein auf dem anderen lasse.
Doch wie beschrieben war das Geschehen in Aleppo anders. Die lauten Anschuldigungen sollen davon ablenken.

Die große Zerstörung von Aleppo fand zwischen 2012 und 2016 statt. Es war ein erbitterter Straßenkampf. Die Akteure waren auf der einen Seite die von den „Freunden Syriens“ ausgerüsteten Kampfverbände, die das syrische „Regime stürzen“ sollten und in westlichen Meiden als „Opposition“ dargestellt wurden. Sie hatten den Krieg nach Aleppo gebracht.
Die Akteure auf der anderen Seite waren die syrische Armee, die versuchte mehr als 1,5 Millionen Menschen zu schützen und die Stadt zu verteidigen. Unterstützt wurde die syrische Armee in dieser Zeit von der libanesischen Hisbollah und von iranischen Milizen und Beratern.

Russland war militärisch in der Zeit gar nicht in Aleppo aktiv. Die einzige militärische Aktivität Russlands geschah sehr effizient, professionell und abseits von Schlagzeilen in den Jahren 2013 und 2014, als die russische Militärpolizei die Chemiewaffenbestände Syriens mitten im Krieg sicherte und nach Latakia transportierte. Dort wurden sie von westlichen Spezialschiffen, auch aus den USA, an Bord genommen und vernichtet.

Erst Ende September 2015 griff Russland auf Bitten Syriens und auf Bitten des iranischen Generals Qasim Sulimani ein. Ziel war, die bewaffneten Kampfverbände von Dschihadisten und Al Qaida, die von der Türkei zu Tausenden nach Syrien strömten und sich auf den Sturm auf Aleppo vorbereiteten, zurückschlagen zu können.
Russland bildete eine militärische Koordinationsstelle mit Syrien, Hisbollah, Iran und Irak. Den USA bot Russland an, zur Vermeidung direkter Konfrontation eine „militärische Hotline“ einzurichten, um sich jeweils bei Luftangriffen zu informieren. Die USA stimmten zu.

Russlands Luftwaffe und Langstreckenraketen zerstörten in wenigen Wochen die Versorgungswege der Dschihadisten, Waffenlager, Routen und Konvois, über die das geplünderte syrische Öl von den Ölfeldern im Osten des Landes (Hasakeh und Deir Ez-Zor) nach Idlib und in die Türkei abtransportiert wurde.

Der ehemalige US-Marine (Vietnamkrieg) und spätere Senator Colonel Richard Black (78) war in Aleppo und hat die Folgen des Straßenkampfes dort und die enorme Zerstörung gesehen.
Der Straßenkampf in Aleppo sei von 2012 – 2016 „eine ziemlich syrische Angelegenheit“ gewesen, so Black. Sehr brutal, mit großen Verlusten.
„Sie kämpften vier Jahre lang, bevor Russland überhaupt in den Kampf eingriff.“ Dabei sei Russland „extrem zurückhaltend“ gewesen, „sich in den Kampf in Syrien einzumischen“, so Black in einem Interview im April 2022.

Russland habe nur sehr kleine Einheiten von Soldaten entsandt, wenig Artillerie, einige Sondereinsatzkräfte und Berater. „Andererseits waren sie eine bedeutende und sehr effektive Luftwaffe, die die syrische Luftwaffe ergänzt“ habe. Das sei jedoch nur im letzten Jahr des Krieges gewesen, als „die Syrer die terroristischen Kräfte schon ziemlich geschwächt“ hätten.
Die russische Unterstützung habe geholfen „das Gleichgewicht zu wahren“, so Black. Aleppo sei der „große Sieg“ im Syrienkrieg gewesen. „Die Russen für die massive Zerstörung in Aleppo verantwortlich zu machen ist unsinnig: weil sie gar nicht da waren“, so Black. „Sie waren nicht da, als es passierte.“

Fazit

Wer Aleppo kontrolliert, kontrolliert Syrien, heißt es. Der Krieg wurde nach Aleppo gebracht, weil man wollte Syrien kontrollieren wollte. Syrien hatte keine Wahl, als sich zu verteidigen.
Vier Jahre lang wurde in und um Aleppo gekämpft, dann hatten die „Freunde Syriens“ und ihre Kämpfer verloren. Der komplette Plan von Infiltration und Täuschung lag im Dezember 2016 offen auf dem Tisch.

Die russische Diplomatin Maria Khodynskaya-Golenishheva beschreibt in ihrem BuchAleppo – Krieg und Diplomatieden diplomatischen Kampf, der auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Formaten um die Stadt geführt wurde.

Als Vertreterin Russlands und Co-Vorsitzende nahm sie an der Seite des damaligen UN-Sonderbeauftragten Staffan de Mistura an allen Treffen teil. Sie berichtet über die Gespräche, die zu der Vereinbarung zwischen Russland und der Türkei führten. Sie beschreibt, warum die russisch-US-amerikanischen Beratungen immer wieder scheiterten. Sie hebt die Interessen der so genannten „kleinen Gruppe“ interessierter Staaten hervor – Russland, USA, Iran, Katar, Saudi Arabien und Türkei – über die die Öffentlichkeit in Deutschland kaum etwas erfuhr. **)
Und sie schreibt darüber, wie seitens der UNO in den letzten Wochen und Monaten des Jahres 2016 immer wieder Raum für die bewaffneten Gruppen in Ost-Aleppo und ihre Interessen geschaffen wurde, während die syrische Armee, Russland und ihre Verbündeten blockiert wurden im Kampf gegen die – nicht nur aus syrischer Sicht – terroristischen Gruppen.
Der immer wiederkehrende Vorwand war die Wahrung von Menschenrechten und die humanitäre Versorgung.

Die Befreiung von Aleppo, so ihr Fazit, sei ein Beispiel dafür, wie sich internationale und regionale Diplomatie und Außenpolitik im Zuge der Entstehung einer neuen, multipolaren Weltordnung verändere.
Neue Bündnisse und Interaktionen könnten entstehen.

Russland brachte Iran und die Türkei mit Syrien und den bewaffneten Gruppen im „Astana-Format“ an einen Tisch. Es wurden Waffenstillstandszonen vereinbart, die Kämpfer mussten die Waffen niederlegen.
Syrien erklärte im Gegenzug eine Amnestie, die Voraussetzungen für einen innersyrischen Versöhnungsprozess wurden geschaffen.

Aleppo konnte gerettet werden, im größten Teil Syriens schweigen heute die Waffen. Den etwa 2 Millionen Menschen in der Stadt und im Umland blieb die Zerstörung. Kein Strom, wenig Wasser, die Jugend ist geflohen, Fachkräfte sind abgewandert.
Der Wirtschaftskrieg von EU und USA gegen Syrien und seine Verbündeten, die Sanktionen und das US-Caesar-Gesetz, verhindern bis heute den Wiederaufbau im ganzen Land und kurbeln Inflation und Wirtschaftskrise an.

Der westliche Propagandakrieg, der den Konflikt um Aleppo und den Syrienkrieg von Anfang an begleitete, geht weiter. In Syrien konzentriert er sich auf die Provinz Idlib und humanitäre Hilfslieferungen, die politisch der Nusra Front – heute Hayat Tahrir al Scham – nutzen, die das Gebiet kontrolliert.
Heute ist die Propaganda eingebettet in hybride Kriegsführung und zielt auf die gegnerischen Staaten ebenso, wie auf die Köpfe der eigenen Bevölkerung.
Im Rahmen des Ukrainekonflikts ist Russland das aktuelle Ziel des US-geführten Blocks von NATO und EU.
Das nächste Ziel wurde schon ins Visier genommen: China.

*: In deutschen Leim-Medien wurde darüber fast nichts berichtet. dazu z.B.https://josopon.wordpress.com/2018/03/11/usa-planen-teilung-syriens-und-beeinflussung-des-russischen-wahlkampfs-interwiew-mit-karin-leukefeld/.
**:Siehe https://josopon.wordpress.com/2018/03/11/usa-planen-teilung-syriens-und-beeinflussung-des-russischen-wahlkampfs-interwiew-mit-karin-leukefeld/

Und:
https://josopon.wordpress.com/2022/04/25/wenn-aus-journalismus-propaganda-wird-von-karin-leukefeld-akkreditierte-korrespondentin-fur-syrien/
https://josopon.wordpress.com/2018/04/26/kleine-syriengruppe-russland-soll-assad-regime-so-ausliefern-wie-wir-es-erwarten-der-terror-des-us-imperiums-soll-durchgesetzt-werden/
https://josopon.wordpress.com/2017/01/18/waffen-fur-dschihadisten-aus-den-usa-in-aleppo-gefunden/

***: Dies zu verhinern war ein wesentlicher Grund für die NATO-Bestrebungen eines regime change.

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.

Jochen

Daher also die Kükenpiepser – wie die Regierung heimlich Medien finanziert

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

kuekenpiepsenAusgerechnet der Konservative Boris Reitschuster hat es vor einem Jahr schon beschrieben:
https://reitschuster.de/post/exklusiv-wie-die-regierung-heimlich-medien-finanziert
Und die Hand, die einen füttert, will man nicht mit Kritik beschmutzen.

Interessant, dass ausgerechnet RT deutsch und Reitschuster die meisten unangenehmen Fragen in der Bundespressekonferenz stellen, siehe hier: https://josopon.wordpress.com/2021/05/05/zum-tag-der-pressefreiheit-russia-today-enthullt-liste-der-kukenpiepser-achtung-dateianhang-55kb/
Nebenbei bemerkt: YouTube-Videos von RT Deutsch tragen den Text: „Diese Seite wird von der russischen Regierung finanziert“. Eine solche Bemerkung sucht man auf Seiten, die direkt oder über Umwege von der deutschen Regierung finanziert werden, vergebens.
Aber hier auszugsweise Kollege Reitschuster, der das ganze eine offene Verhöhnung der Demokratie nennt:
Der Tipp kam direkt aus einer Redaktion. Ein kritischer Kollege (m/w/d) machte mich darauf aufmerksam, dass offenbar auf besonders raffinierte Weise Geld vom Staat an private Medien fliet zumindest in seinem Haus. ber Werbung bzw. Anzeigen, die von der Bundesregierung bezahlt werden. Und zwar massiv.

Dass es solche Anzeigen auf Kosten der Steuerzahler gibt, ist kein Geheimnis. Aber, so sagte ich mir, die Summen sind sicher unerheblich.
Als ich mich etwas umhorchte, bemerkte ich, dass bei dem Thema schnell gemauert wird.
Ich erzhlte dem parteilosen Bundestagsabgeordneten Mario Mieruch von meinen Recherchen.

Der stellte daraufhin eine parlamentarische Anfrage aus dem Bundestag an die Regierung:
Welche Beträge setzt die Bundesregierung seit 2015 jährlich ein, um Anzeigen in den Bereichen Print, Online und TV schalten zu lassen?

Als mir Mieruch die Antwort schickte, traute ich meinen Augen kaum:
Allein 2019 zahlte die Bundesregierung für Anzeigen in den Bereichen Print, Online und TV sage und schreibe 43,59 Millionen Euro.
2018 waren es noch 26,58 Millionen Euro, in den Jahren zuvor 39,47 Millionen Euro (2015), 38,56 Millionen Euro (2016) und 36,23 Millionen Euro (2017) Euro.
So lethargisch die Auskunft von Tilman Seeger, dem stellvertretenden Chef des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung ist, so viel Sprengkraft hat sie.

Dass die Bundesregierung mit Steuergeldern Werbung für ihre Arbeit macht, ist ohnehin umstritten.
Kritiker sehen darin einen versteckten Wahlkampf für die Parteien, die die Regierung stellen.
Der Sinn der Anzeigen, der vor allem für das Arbeits-, das Finanz- und das Wirtschaftsministerium geschaltet werden, erschliet sich vielen Beobachtern nicht.

Angesichts der Hhe der Millionen-Summen, die auf diesem Wege an die privaten Medien fließen, ist allerdings der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, den der Kollege aus der Redaktion, der mich auf das Thema brachte, hat:
Dass es sich hier um eine Art verdeckte Subvention und eine Art Tauschgeschäft handelt für die einst stolze und heute massiv angeschlagene Branche, der die Kunden davon schwimmen.
Die Regierung gibt den Medien, die nicht in den Genuss von Gebhren kommen wie ARD, ZDF und Co., über den Umweg Reklame eine kräftige Millionen-Finanzspritze.
Und ein Schelm, wer Bses dabei denkt, dass die so beglckten Zeitungen und Sender oft so eine enorme Beißhemmung gegenber der Regierung haben, die für sie ins Füllhorn greift.

Zumal es sich bei den Anzeigen nicht um den einzigen Griff in die Steuerkasse zu Gunsten von Medien handelt:
So ist ein Millionen-Budget der Regierung für die Förderung der Zeitungszustellung geplant. Wenn es gut läuft, könnte das ein dreistelliger Millionenbetrag sein, sagte der kultur- und medienpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Martin Rabanus, dem NDR. Für 2020 war erst einmal von 40 Millionen die Rede.
Zudem gibt es Spekulationen über Pläne, wie für das Fernsehen auch für die Zeitungen eine Art Zeitungs-GEZ zu erheben, also Gebühren.

Wie passt das zusammen? Medien, die eigentlich die Regierung kontrollieren sollen, als deren Kostgänger? Die Unvereinbarkeit liegt auf der Hand.
Die Absatzschwierigkeiten der Printmedien im Internet-Zeitalter sind ja überall sichtbar, meint der Abgeordnete Mieruch:
Wie praktisch ist es dann doch, wenn die wegfallenden privaten Werbeeinnahmen durch die öffentliche Hand ersetzt werden. Da geht einem dann auch der unkritische Text zur Regierung leichter aus der Feder.

Der Volksmund bezeichne die Medien als vierte Macht im Staate, so Mieruch: Wenn Politik und Medien aber zum gegenseitigen Selbsterhalt eine Symbiose eingehen, wird Journalismus zu Propaganda. Damit haben wir in Deutschland nun wirklich genug schlechte Erfahrungen gemacht.

Da die Regierung in der Antwort auf die Bundestags-Anfrage so wortkarg blieb, habe ich bei 13 Sendern und Verlagen nachgefragt, wie hoch ihre Einnahmen durch Reklame der Bundesregierung sind bzw. waren.
Und ob sie im laufenden Jahr Anzeigen im Zusammenhang mit Corona von staatlichen Stellen (Wir bleiben Zuhause) verffentlicht haben und wie hoch Ihre Einknfte aus diesen waren?

Ende Mai schickte ich die Anfrage an ARD, ZDF, RTL, ProSiebenSAT1, Axel Springer, Spiegel, Stern, Tagesspiegel, Frankfurter Allgemeine, Madsack (Redaktionsnetzwerk Deutschland), die Funke Mediengruppe, die Augsburger Allgemeine und den Focus.

Auf eine Antwort von der Frankfurter Allgemeinen, vom Focus, von Funke, von Madsack und vom Stern warte ich bis heute. RTL verwies auf seine Medienagentur, und ließ die dann das Nicht-Antworten übernehmen. Journalisten fragen zwar gerne, ihre Verlage mögen aber offenbar oft keine Fragen.

Der Tagesspiegel fragte nach, für wen ich die Antwort benötige, was eigentlich nichts zur Sache tut. Auf meine korrekte Antwort hin: „für mich und meine Seite kam2 nie mehr eine Rückmeldung. Eine merkwürdige Auffassung von Journalismus bei einem Haus, das sich für ein Flaggschiff desselben hält.

Wirklich auskunftsfreudig zeigten sich nur ARD und ZDF. Die sind auch fein raus, wie ihre Antworten zeigen:
Dazu lsst sich sagen, dass es in dem betr. Zeitraum bis auf eine Stellenanzeige/-spot der Bundeswehr im Hörfunk (das war klassische Wirtschaftswerbung) bei uns in TV und Radio keine Schaltungen staatlicher Institutionen gab. Wir sind ja vom Gesetzgeber gehalten, im Werberahmenprogramm nur klassische Wirtschaftswerbung auszustrahlen, da diese Teil der Mischfinanzierung von ARD und ZDF ist.

Ähnlich die Antwort des ZDF: Laut Rundfunktstaatsvertrag darf in den Werbeblöcken des ZDF ausschließlich Wirtschaftswerbung ausgestrahlt werden. Gem 7 Absatz 9 Satz 1 RStV „Werbung politischer, weltanschaulicher oder religiser Art ist unzulässig“. Wir können Ihnen somit besttigen, dass wir in den Werbeblöcken des ZDF in den Jahren 2015 bis 2020 keine Werbung politischer Art von staatlichen Stellen ausgestrahlt und somit auch keine Einnahmen daraus generiert haben.

ARD und ZDF haben dank pepigem Gebühren-Fluss solche Werbeblöcke auch kaum nötig.

Von den anderen, privaten Medienhäusern zeigte sich ProSiebenSat.1 noch am auskunftsfreudigsten:
„In den vergangenen Jahren haben insbesondere die Bundesagentur für Arbeit, das Bundesbildungs– sowie das Innenministerium Kampagnen auf unseren TV-Sendern und Digital-Plattformen Kampagnen gebucht. Darüber hinaus liefen zuletzt TV-Spots des Bundesministeriums für Gesundheit (Aufklärungskampagne zum Thema Corona) auf unseren Sendern.“

Die wirklich spannende Antwort aber bleibt auch ProSiebenSat1 schuldig: „Zu einzelnen Buchungsvolumina äußern wir uns grundsätzlich nicht, bei keinem Kunden. Hier müssten Sie also ggfs. direkt bei den entsprechenden Ministerien anfragen.“ Dabei wäre es überaus spannend, zu erfahren, wie viel Geld etwa für die Corona-Spots geflossen ist, die allgegenwärtig scheinen.

Der Spiegel antwortete: „Bitte haben Sie Verständnis dafr, dass wir grundsätzlich keine Angaben über die Buchungen unserer Anzeigenkunden an Dritte weitergeben.“

Ähnlich auch die Auskunft von Springer: „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir Anzeigenerlöse einzelner Kunden oder Branchen grundsätzlich nicht verffentlichen. Bitte wenden Sie sich dazu direkt an die entsprechenden Institutionen des öffentlichen Sektors.“

Am 1.Juli 2020 hat der Kollege nachgelegt:
https://reitschuster.de/post/183-millionen-staatsgeheimnis-medienfinanzierung/
Auszüge:

Rund 184,8 Millionen Euro direkt von der Regierung für privaten Medien in nur fünf Jahren, ganz still und leise, über Anzeigen, die vom Steuerzahler finanziert werden die Exklusivmeldung von reitschuster.de sorgte für Schlagzeilen. Wenn auch nicht in den traditionellen Medien, aber von denen sind ja viele Nutznießer des staatlichen Millionen-Regens. Doch jetzt kommt es noch dicker.

Nach einem diskreten Hinweis von einem Kollegen (m/w/d) aus einer Redaktion hatte ich den parteilosen Bundestagsabgeordneten Mario Mieruch auf die verdeckte Finanzierung hingewiesen, und dieser stellte eine entsprechende parlamentarische Anfrage an die Bundesregierung, durch die die Beträge ans Licht kamen. Allerdings mauerte die Regierung, so gut es ging. So blieb sie etwa eine Aufteilung schuldig, wie viel Geld in die Bereiche Print, Funk und Online flo.

Der Parlamentarier Mieruch gab sich damit nicht zufrieden und stellte vier Nachfragen:

  • Wie teilen sich die in der Antwort auf Frage 05/191 genannten Beträge konkret auf die Bereiche Print, Online und TV auf?
  • Welchen Wert hatten die 14 teuersten Werbekampagnen im Zeitraum 2015 bis 2019 und welchen Inhalt hatten diese, vgl. Frage 05/191?
  • Wo wurden diese Werbekampagnen geschaltet?
  • Welche Werbekampagnen und -Budgets plant die Bundesregierung für den Rest der laufenden Legislatur?

Die Antworten aus der Zentrale der Macht haben es in sich. Zum einn musste Regierungssprecher Steffen Seibert erst einmal die wenige Wochen zuvor gegebenen Zahlen zur Werbefinanzierung korrigieren:

Nachtrag zur Schriftlichen Frage 5/191:Abweichend zur Beantwortung der Schriftlichen Frage 5/191 werden durch Nachlieferung der Schaltkosten für Stellenanzeigen durch ein Haus die Kosten wie folgt korrigiert:Die Bundesregierung hat seit 2015 Schaltkosten in Hhe von 184.757.526,90 eingesetzt.
Dabei wurden die folgenden Betrge jährlich aufgewendet, um Anzeigen in den Bereichen Print, Online und TV zu schalten:

  1. 2015 39.467.138,19
  2. 2016 38.579.357,31
  3. 2017 36.248.699,09
  4. 2018 26.871.929,73
  5. 2019 43.590.402,58 .

Faszinierend, dass sich binnen weniger Wochen die Summen änderten. Für 2018 etwa um immerhin fast 300.000 Euro.
Das sind zwar im Vergleich zu den Gesamtsummen verhältnismig geringe Beträge, aber es stellt sich die Frage, wie hier buchgeführt wird.

Die Frage nach der Aufteilung nach Sparten beantwortete Merkel-Sprecher Seibert korrekt (siehe Bild mit Auszug des Antwortschreibens).
Auf die nchsten zwei Fragen verweigerte er dann aber einfach die Antwort an den Abgeordneten, dem gegenüber die Regierung rechenschaftspflichtig ist:
W
elchen Wert die 14 teuersten Werbekampagnen im Zeitraum 2015 bis 2019 und welchen Inhalt sie hatten und wo diese Werbekampagnen geschaltet wurden, will Seibert nicht verraten:

„Die Bundesregierung führt keine Übersicht der teuersten Kampagnen“, schreibt der Regierungssprecher.

Dabei führt der frühere ZDF-Mann diese Antwort-Verweigerung mit seiner Antwort auf die nächste Frage (Welche Werbekampagnen und -budgets plant die Bundesregierung fr den Rest der laufenden Legislatur?) selbst ad absurdum, denn sie zeigt, dass sehr wohl eine konkrete Übersicht über die jeweiligen Reklame-Themen vorhanden ist:

Der Abgeordnete Mieruch hlt die Antwort für dreist. Offensichtlich habe ich mit meinen Anfragen zu Werbeschaltungen ein sensibles Thema aufgegriffen.
Stellen sich doch nicht geringere Fragen, wie die nach der Unabhängigkeit. Die Antwort auf Anfrage 2 und 3 scheint eine Mischung aus Faulheit, Arroganz und Unfähigkeit zu ein.
In jedem Fall ist sie aber eine Missachtung des Parlamentes, denn mit der Übersicht zu Frage liefert man quasi das, was man angeblich für die letzten Jahre nicht vorliegen hat.
Noch dreister für dumm verkaufen, geht wohl kaum.

Der Volksvertreter will nicht lockerlassen: Jeder Steuerzahler, jeder Selbstndige wird bis auf den letzten Cent herangezogen, aber hier wei man angeblich nicht, wo fast 200 Millionen Euro hin sind? Das akzeptiere ich auf keinen Fall. Ich erwarte, dass die Regierung eine entsprechende Übersicht erstellt, wie viel welche Anzeige kostete und bei wem sie platziert wurde.

Tatschlich beißt sich bei der höchst problematischen Medien-Finanzierung durch die Hintertür die Katze in den Schwanz.
Auf meine Anfrage, wie viel Geld sie auf diese Weise von der Regierung erhalten haben, reagierten sieben von elf angefragten privaten Medien überhaupt nicht; die vier restlichen teilten höflich mit, dass sie nichts mitteilen wollen.
Regierung und Medien sind in funktionierenden Demokratien Gegenspieler, die Medien kontrollieren die Mächtigen.
Wie soll das funktionieren, wenn sie von diesen finanziert werden (und zwar nicht nur durch Anzeigen, sondern auch noch durch direkte Subventionen in geplanter dreistelliger Millionenhöhe)? Und wie soll sich der Brger ein Bild machen knnen, wie stark der Einfluss des Staates auf einzelne Medien ist, wenn sowohl Geldgeber als auch Empfänger schweigen?
Es handelt sich um eine offene Verhöhnung der Demokratie. Und besonders bitter ist, das diejenigen, die diese hüten sollten, also die Medien, dieses Spiel mitspielen.

Da kann ich dem Kollegen nur beipflichten.

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.
Jochen

Wendler, Hildmann, Naidoo und Co. – Nebelkerzen zur Einengung des Coronavirus- Debattenraums

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

SARS-CoV-2Das beobachte ich schon von Anfang an, seit es öffentlichen Widerspruch zu den sprunghaften Regierungsmaßnahmen gibt:
man packt sich wirklich für die Leim-Medien die skurrilsten und dümmsten Typen heraus, um sie vorzuführen, oder fokussiert gezielt auf vereinzelte Symbole von Nazispinnern.
Leider machen auch Teile der Linkspartei bei diesem Spielchen mit und veranstalten brave Gegendemos, für die sie sogar von unserem Außenministerchen Lob einheimsen.
Albrecht Müller hat hier schon Stellung dazu genommen: https://www.nachdenkseiten.de/?p=65717
Hier nun ein Artikel von Jens Berger, der die von Polit-Profis schon lange eingestielte Meinungsmache zusammenfasst: https://www.nachdenkseiten.de/?p=65756C
Den gibt es auch zum Anhören: https://www.nachdenkseiten.de/upload/podcast/201012_Wendler_Hildmann_Naidoo_und_Co_Nebelkerzen_zur_Einengung_des_Debattenraums_NDS.mp3
Aber hier auszugsweise der Volltext:

201012 bild

Wer ist eigentlich Michael Wendler? Wer den Schlagersänger und RTL-Dschungelcamp-Promi bislang nicht kannte, ist heute „schlauer“. Von BILD bis zum Neuen Deutschland war man sich am Freitag redaktionell einig, dass ein schräges Video dieses „Prominenten“ so relevant sei, dass es zur Top-Meldung hochgejazzt wurde. Klar, es ging um „Coronaleugner“, „Schwurbler“, „Aluhüte“ und den ebenfalls jeglicher Relevanz unverdächtigen, mit Wendler befreundeten Koch Atilla Hildmann, den der SPIEGEL jüngst auf einem Waldspaziergang begleitete und daraus eine zweiseitige Story machte – frei von jedem Anflug von Erkenntnisgewinn für den Leser. Früher wurden derart skurrile Existenzen belächelt, heute stehen sie im medialen Rampenlicht. Und das sicher nicht ohne Grund, kann man an ihnen doch ganz hervorragend ein Exempel statuieren und differenziertere Prominente abschrecken, sich öffentlich kritisch zu äußern. Von Jens Berger.

„Es ist und bleibt die Aufgabe von Reportern, Stoff für die Debatten der Zeit zu liefern.”

So beschrieb einst Christian Krug, seines Zeichens Chefredakteur des Sterns, sein Idealbild des Journalismus.
Vielleicht sollte man Herrn Krug und seine Kollegen einmal fragen, welche herausragende Relevanz ein Video eines Schlagersängers für die gesellschaftliche Debatte hat, dass der Stern binnen drei Tagen ganze siebzehn Artikel zum „Wendler-Eklat“ veröffentlicht hat.
Im Video erklärt der Sänger seinen Abschied aus einer RTL-Show, weil er die Maßnahmen der Bundesregierung auf die „angebliche Corona-Pandemie“ kritisiert. Nun ja, viele Menschen kritisieren die Maßnahmen und haben dafür auch gute Gründe, die sie häufig differenziert und gut formuliert äußern.
Warum ausgerechnet so ein Bohei um das intellektuell ungelenke Statement eines Schlagersängers gemacht wird, der ohnehin nicht eben in Verdacht steht, etwas Substantielles zu gesellschaftspolitischen Fragen beitragen zu können, ist eigentlich unerklärlich.

Wahrscheinlich war Wendlers Verbindung zum ebenfalls nicht gerade als großen Intellektuellen bekannten Koch Atilla Hildmann hier ausschlaggebend. Der bekam schließlich nicht nur eine Doppelseite im SPIEGEL, sondern kommt im Onlinearchiv des SPIEGEL immerhin auf stolze 175 Treffer. Ihr gemeinsamer Bekannter, der Musiker Xavier Naidoo, kommt sogar auf 538 Treffer und gilt dem SPIEGEL in den letzten Monaten zusammen mit dem Koch Hildmann immer wieder als zitierfähiger „Corona-Kritiker“. Das ist erstaunlich, haben deren Statements, vornehm ausgedrückt, doch eher eine überschaubare inhaltliche Qualität.

Geht es hier nur um eine bedauerliche Verschiebung der Relevanzkriterien? Keinesfalls.
Die Medien geben den Takt an und die willfährige Leserschaft tanzt dazu. An diesem Wochenende war der „Wendler-Eklat“ – wie leider nicht anders zu erwarten – dann auch das bestimmende Thema in den sogenannten Sozialen Netzwerken und die Schlagrichtung war deutlich.
So haben die Medien es geschafft, dass ausgerechnet Personen wie Hildmann, Naidoo und nun Wendler zu den „Gesichtern“ der Kritik an den Corona-Maßnahmen wurden und vor allem sich selbst als linksliberal begreifende Bürger reflexhaft mit der „Schwurbler-Keule“ schwingen, wenn sie auf kritische – auch differenzierte – Positionen stoßen.

Andere Themen sind zur Zeit passé. Der Koch Hildmann mit seinen wirren Äußerungen wird von ansonsten des Denkens fähigen Menschen doch tatsächlich als relevante Bedrohung für unsere Gesellschaft wahrgenommen.
Doch welche Bedrohung geht von ihm, Naidoo oder Wendler denn konkret aus? Hat Hildmann die Hartz-Gesetze verabschiedet? Hat Naidoo Julian Assange eingesperrt? Beteiligt sich Wendler an militärischen Drohkulissen? Nein?
Und was haben die drei „Promis“ dann verbrochen, um derart prominent als „Gefahr“ dargestellt zu werden? Sie erzählen Unsinn. Nun gut. So was soll es geben.
Doch dieser Unsinn ist – so seltsam es klingen mag – systemstabilisierend, marktkonform und ganz im Sinne derjenigen, die keine grundlegende Kritik an unserem System hören wollen.
Denn wer sich via Twitter oder Facebook über „den Wendler“ lustig macht und Hildmann für die Inkarnation des Bösen hält, beschäftigt sich „glücklicherweise“ ja nicht mehr mit anderen Themen.

Diesen Leuten sei gesagt: Wenn in zwanzig Jahren die Chancengerechtigkeit noch schlechter, die Altersarmut noch größer, die Zahl der prekären Jobs noch höher sind und noch mehr Flüchtlinge in Lagern vor sich hin vegetieren, Kinder in fernen Ländern von Drohnen zerfetzt werden oder an Hunger sterben und Deine Kinder Dich dann fragen, was Du damals gemacht hast und Deine Antwort lautet, Du hättest damals sehr viel Energie für die Kritik geistig verwirrter, veganer Köche und Schlagerheinis aufgebracht, werden sie Dir sicher dankbar sein.

Hildmann und Co. sindMichael Wendler jedoch nicht nur Nebelkerzen, mit denen sich die Debatte lenken lässt. Sie geben auch eine hervorragende Steilvorlage, um jegliche Kritik an den Corona-Maßnahmen ins Absurde zu ziehen und Kritiker zum Schweigen zu bringen.
Wer innerlich die Kritik an den Maßnahmen mit der Person Hildmann verbindet, wird zum Kritiker der Kritik und wer befürchten muss, mit Hildmann und Co. in einen Topf geworfen zu werden, wenn er sich kritisch äußert, schweigt.

Ist das übertrieben? Keinesfalls. Als sich der Schauspieler Jan-Josef Liefers beispielsweise sehr differenziert kritisch zu Maßnahmen geäußert hat, bebilderte T-Online den Bericht gleich mit einer Fotogalerie mit „den Verschwörungstheorien der Stars“ – darunter natürlich auch Naidoo und Hildmann. Und auch die einschlägigen Twitter-Sprüche blieben nicht aus.

Resi@Resistance2020

Es wäre naiv, anzunehmen, dass dies keine erzieherische und disziplinierende Wirkung hat. Welcher Prominente traut sich heute noch, sich kritisch zu äußern? *) Bloß nicht gegen den Strom schwimmen und schon gar nicht beim Thema „Corona“. Der Shitstorm wird schließlich nicht lange auf sich warten lassen und wer erstmal in eine Schublade mit Atilla Hildmann gesteckt wird, kann seine Karriere vergessen.
Dem Schlagersänger Wendler wurden wenige Minuten nach seinem Video sämtliche Werbeverträge gekündigt. So statuiert man ein Exempel.

Nur wer brav die Klappe hält, darf mitmachen in unserem ach so freien System. Meinungsfreiheit ist aber nur dann ein Grundrecht, wenn nicht nur die „richtige“ Meinung frei ist.
Das scheinen einige leider vergessen zu haben.

*: Ich traue mich, bin aber leider nicht prominent !
Über Kommentare hier auf meinem Blog würde ich mich freuen.
Jochen

Abschaffung der ärztlichen Schweigepflicht – Wer braucht die zentrale Patientendatei?

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

eCard-neindankeWie viele andere Kollegen werde auch ich diese Telematik nicht mitmachen. Ich bestreike auch schon die Gesundheitsüberwachungskarte.

Alle Ärztetage der letzten Jahrzehnte haben diese Überwachungsmaßnahme abgelehnt.

GlaesernerPatient4

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Was hier das Ministerium mit den Einflüsterern der CompuMed-Gruppe, der Gesundheitskonzerne und der Softwareindustrie den Ärzten und Patienten abverlangt, ist ungeheuerlich. Die Kosten von über 10Mrd. Euro sollen die gesetzlich Krankenversicherten tragen, die Krankenkassen wolle sich immer mehr in die Therapie einmischen und die Pharmakonzerne stehen bei Fuß.
Die Bertelsmann-Tochter Arvato wird einige Milliarden abgreifen. Kein Wunder, dass in den Leim-Medien wie SPIEGEL, Zeit, Stern u.s.w. kein kritisches Wort darüber zu lesen ist.
Aber hier bei Telepolis, dort auch wichtige Diskussionsbeiträge:
https://www.heise.de/tp/features/Wer-braucht-die-zentrale-Patientendatei-4223472.html
Auszüge:

Wer braucht die zentrale Patientendatei?

  1. November 2018 Annette Hauschild und Helmut Lorscheid

Bundesgesundheitsministerium verschiebt die Anschlussverpflichtung für die Ärzte auf 2019, 80 Prozent der Ärzte haben sich noch nicht angeschlossen

Die Gesundheitskarte wird seit Jahren angepriesen als Beitrag zu mehr Service, mehr Transparenz, zu Kostensenkung und Verbesserung der Gesundheitsversorgung.
Kurzum: Die Karte für alles Gute im Gesundheitssystem. So die Verheißung.
Doch bis heute sind lediglich einige Grunddaten auf der Karte gespeichert. Bisher ist nicht einmal die Blutgruppe darauf zu finden. Zumindest das soll sich ändern, aber sonst nicht viel.
In Arbeit sind stattdessen die elektronische Patientenakte und letztlich die zentrale Speicherung aller Patientendaten.

90 Prozent Verweigerung bei Psychotherapeuten

Im Gespräch mit Telepolis erklärt Dieter Adler, Initiator des Kollegennetzwerk Psychotherapie, (9.500 Mitglieder), den Paradigmenwechsel im Umgang mit Patientendaten:

„Bisher konnte jeder, der zum Arzt oder Psychotherapeuten ging, darauf vertrauen, dass seine medizinischen Daten in den Praxen der Ärzte und Psychotherapeuten sicher vor dem Zugriff anderer sind.
Zwar benutzen nahezu alle Behandler Computer, um Befunde, Berichte und Patientendaten zu speichern. Diese Rechner waren jedoch nie an irgendein externes Netz angeschlossen.
Ärztekammern und Kassenärztliche Vereinigungen warnten bisher vor den Risiken und rieten Ärzte und Psychotherapeuten davon ab, ihre Praxisrechner ans Internet anzuschließen.

Jetzt sollen sich alle Behandler, Apotheken und Krankenhäuser an das Internet anschließen lassen. Zwangsweise, denn nach dem sogenannten eHealth-Gesetz müssen alle ab dem 01.01.2019 an ein eigenes Netz, das von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den gesetzlichen Krankenkassen betrieben wird, angeschlossen sein.
Zunächst nur eine Zwangsvernetzung, die aber nach Willen des Bundesgesundheitsministers zu einer zentralen Speicherung alle Patientendaten führen soll.

Telematik-Infrastruktur nennt sich das Zauberwort – was zunächst so kryptisch, wie ungefährlich klingt. Knotenpunkt der Vernetzung ist die Gesellschaft für Telematik, kurz Gematik, in Berlin.
Hier werden die Daten aller Praxen gebündelt und sollen in einem zweiten Schritt auf zentralen Servern, betrieben von der Bertelsmann Tochterfirma Arvato, gespeichert werden.
Ziel des Gesundheitsministeriums ist es, in einer einzigen elektronischen Gesundheitsakte, alle Daten eines Patienten zusammenzuführen.“

Alles total sicher

In der Selbstdarstellung des Betreibers, der „Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH“ (Gematik) heißt es:

Die Telematikinfrastruktur tritt an, das sicherste elektronische Kommunikationsnetzwerk zu werden, das es im deutschen Gesundheitswesen jemals gab. Als einheitliche sektoren-übergreifende Plattform für die elektronische Kommunikation im Gesundheitswesen erleichtert die Telematikinfrastruktur den Informationsaustausch zwischen den Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten und Angehörigen anderer Heilberufe. Davon profitieren alle an der Patientenversorgung Beteiligten gleichermaßen. Dabei werden der Datenschutz und die Datensicherheit im Gesundheitswesen gestärkt.

Gematik

Big Data für die Pharma-Industrie

Kritiker dieser Monsterdatei gehen davon aus, dass die Daten über den Zugang zur „Forschung“ sehr schnell ihren Weg zur Pharma-Industrie finden werden. Denn bekanntlich finanzieren Firmen einen Großteil der medizinischen Forschung. Eine alle Patienten umfassende bundesweite zentrale Datensammlung würde sicherlich auch ein begehrtes Ziel von allerlei kriminellen Begierden.

Dieter Adler fürchtet, dass „die Speicherung aller Gesundheitsdaten auf einem zentralen Server geradezu eine Einladung für Hacker sein kann“. An Beispielen mangelt es nicht.
In Norwegen gab es erfolgreichen Hackerangriffe auf die norwegische Gesundheitsbehörde „Helse sørøst“, in Großbritannien auf eine Vielzahl von Krankenhäusern des britischen National Health Service NHS und in den USA wurden ein Drittel der Gesundheitsdaten – das heißt Daten von über 120 Millionen Patienten – gehackt.

Das wissen die kritischen Geister in der Medizin. So verwundert es nicht, dass die Zahl der Telematik-Anschlüsse trotz drohender Honorarkürzung in den letzten Monaten rapide abnahm. Gab es im Mai 2018 noch 4000 Telematik-Anschlüsse, die wöchentlich verlegt wurden, sind es jetzt gerade mal etwas mehr als 400 pro Woche.

Der Widerstand gegen die Telematik wurde vom Netzwerk und den anderen Telematik-Gegner-Gruppen flächendeckend mobilisiert. In Zahlen: 82% sind noch nicht angeschlossen, von unserer Berufsgruppe Psychotherapeuten weigern sich „immer noch“ 92,7%. Und das konstant!

Dieter Adler

Die Frage stellt sich, wer diese Datei eigentlich braucht. Für die Ärzte bedeutet sie unbezahlte Mehrbelastung und erhebliche Kosten für die notwendigen Geräte und Anschlüsse.
Für den Patienten bedeutet sie einen Angriff auf die Selbstbestimmung.
Denn was bringt es, wenn künftig auch der Zahnarzt aus der neuen online verfügbaren Patienten-Akte erfahren kann, dass sich sein Patient wegen Depressionen in Psychotherapie oder beim Hautarzt wegen eines unerfreulichen Mitbringsels aus seinem letzten Urlaub in Behandlung befindet?

Während die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien sowie Krankenkassen und die Ärztekammern das Vorhaben in höchsten Tönen loben und als Segen für die Versicherten darstellen, hält sich die Zustimmung beim medizinischen Fachpersonal deutlich in Grenzen.
Der Großteil der Bevölkerung ist über das Vorhaben kaum informiert. Dabei tragen die Versicherten einen Großteil der entstehenden Kosten.
Schon jetzt soll die Telematik-Infrastruktur – monieren Kritiker des Projekts – bereits 2 Milliarden Euro verschlungen haben. Vom Bundesgesundheitsministerium und auch von Gematik waren keine genauen Zahlen zu erfahren.

Auch im Ländle kaum Zustimmung

Obwohl zum 1. Januar 2019 allen, die sich dem Datennetz nicht anschließen mochten, eine Honorarkürzung von einem Prozent drohte, haben sich selbst bei den sparsamen Schwaben bis August 2018 gut 90 Prozent der Praxen nicht an die Telematik-Infrastruktur angeschlossen.

Die baden-württembergischen Mediziner führen technische Probleme und ihre Sorge vor nicht absehbaren Kosten als Argument an.
Einem Bericht der Stuttgarter Zeitung vom 17. August 2018 zufolge hatten 25 Prozent der Praxen, die bereits am Netz sind, laut einer Umfrage des Ärzteverbands „Medi“ schon bei der Installation des Konnektors Probleme. 33 Prozent klagten nach Inbetriebnahme über wiederholte Systemabstürze. Ferner sei die Anbieterhotline schlecht erreichbar gewesen und Techniker hätten sich mit dem Gerät kaum ausgekannt, sagt der Medi-Vorsitzende Baumgärtner.

Werner Baumgärtner rät seinen Mitgliedern abzuwarten, „bis die größten Probleme dieser instabilen Technik gelöst sind“, so der Medi-Vorstandschef im August 2018 gegenüber der Stuttgarter Zeitung.
Zu kämpfen hätten die Praxen auch damit, dass noch viele alte Gesundheitskarten (eGK1) in Umlauf seien, die von den meisten neuen Lesegeräten nicht akzeptiert würden.
Es sei „eigentlich ein Skandal“, dass manche Krankenkassen noch nicht auf die eGK2 umgestellt hätten.

Während die einen die Instabilität des Systems, hohen Zeitaufwand und weitere Kosten zum Abwarten bringen, sind andere Ärzte grundsätzlich gegen die geplante Datensammlung.
So die Tübinger Ärztin Susanne Blessing. Sie ist die baden-württembergische Landesvorsitzende des Verbands Freie Ärzteschaft. Für sie ist „das System nicht praktikabel und unsicher. Alles, was über das Internet geht, ist in meinen Augen nicht kontrollierbar.“

Dieter Adler und seine Psychotherapeuten-Kollegen stehen also nicht alleine, auch bei den Allgemeinmedizinern formiert sich Widerstand gegen die zentrale Patientendatei, so wie sie der Pharmalobbyist Jens Spahn in seiner augenblicklichen Funktion als Bundesminister für Gesundheit gerne hätte.
Die Art und Weise, wie Spahn Politik betreibt, hat sicher mit dazu beigetragen, die Medizinmänner und -frauen aufzuschrecken und einiges gegen „Big Data in spe“ im Medizinbereich zu bewegen.

Freie Ärzteschaft gegen Totalvernetzung

Auch die Hamburger Fachärztin für Allgemeinmedizin, Dr. Silke Lüder wehrt sich gegen den Anschluss ihrer Patientendatei an den Bertelsmann-Server. Sie ist Stellvertretende Bundesvorsitzende der Freie Ärzteschaft e. V. und macht sich so ihre eigenen Gedanken. In ihrer Antwort an Telepolis heißt es:

Nach dem E-Health-Gesetz müssen sich alle Arzt- und Zahnarztpraxen, Kliniken und später auch Apotheken online an die Telematik-Infrastruktur (TI) mit Servern bei der Bertelsmann-Tochter Arvato anschließen. Zugangsschlüssel ist die elektronische Gesundheitskarte (eGK).
Die Interessen dahinter liegen auf der Hand: Politik, Krankenkassen und IT- und Gesundheitsindustrie wollen die medizinischen Daten aller Bürger zentral speichern, um das Gesundheitswesen zu steuern und Rendite zu erwirtschaften.

Silke Lüder

Auch Silke Lüder verweist auf die „bedrohlichen Hackerangriffe in den vergangenen Jahren in verschiedenen Ländern auf Gesundheitsdaten (z. B. in Großbritannien, Norwegen)“ und bezeichnet das Vorhaben der Zentraldatei deshalb als „verantwortungslos.“

Aus Sicht der Ärzte gefährdet eine Totalvernetzung im Gesundheitswesen die Sicherheit der Patienten und ihrer Daten. Die Ärzte werden die ärztliche Schweigepflicht weiter verteidigen und die Daten ihrer Patienten zu schützen. Viele Praxisinhaber haben bereits erklärt, sich nicht an die TI anzuschließen und den angedrohten Honorarabzug von 1 Prozent in Kauf zu nehmen, damit ihre Patientendaten nicht in diese Überwachungsstruktur einfließen. Auch die jüngsten Entwicklungen und Ideen von Krankenkassen, IT- und Versicherungskonzernen, den Versicherten Apps für ihre Gesundheitsdaten zur Verfügung zu stellen (z. B. Vivy), lassen vermuten, dass die Versicherten künftig noch stärker gesteuert werden sollen. Nach Aussagen von Spezialisten der IT-Sicherheit können App-Daten nicht sicher geschützt werden.

Silke Lüder

Die Freie Ärzteschaft prüfe deshalb juristische Schritte gegen das eGK-Projekt.

SPD-MdB lässt bei Spahn denken

Im Bundestag hält sich das Interesse für die konkrete Auslegung der schon vor einigen Jahren beschlossenen zentralen Datensammlung in Grenzen. Der für den Bereich Telematik in seiner Fraktion zuständige SPD-Abgeordnete, Dirk Heidenblut, verzichtet auf eine inhaltliche Beantwortung der ihm von Telepolis übersandten Fragen und verweist auf das Ministerium:

Leider sind wir nicht die passenden Ansprechpartner für Ihre Fragen. Ich rate Ihnen das Bundesministerium für Gesundheit dazu anzuschreiben, da das BMG die aufsichtsführende Behörde über die Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH (Gematik) ist, die wiederum die Elektronische Gesundheitskarte entwickelt und gemeinsam mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) die technischen Sicherheitsstandards entwickelt und festlegt.

Dirk Heidenblut

Heidenblut sieht es möglicherweise nicht als seine Aufgabe an, das Ministerium zu kontrollieren. Da aber genau das seine Aufgabe als Bundestagsabgeordneter wäre, stellt sich die Frage: Was macht dieser Mann im Bundestag? *)
Und das waren die Fragen an die SPD-Fraktion, die ihr zuständiger Fachpolitiker Heidenblut lieber unbeantwortet ließ: „Mir wurde erklärt, dass ein Großteil der Ärzte und insbesondere die Psychotherapeuten die zentrale Speicherung von Patientendaten ablehnen und sich folgerichtig bisher nur wenige an dem System angeschlossen haben. In einer Petition – gerichtet an die Datenschutzbeauftragte – heißt es: ‚Conclusio: Die Zwangsanbindung psychotherapeutischer Praxen bringt für die Arbeit der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten keinen Gewinn, birgt aber diverse und in der Zukunft nicht kalkulierbare Risiken. Die besondere und bisher ausreichend gewährleistete Sorgfalt im Datenschutz unserer Patientinnen und Patienten, wird durch die Anbindung unserer Praxen an die Telematikstruktur verletzt. Wir plädieren daher an Sie als Bundesbeauftragte für den Datenschutz, dafür zu sorgen, dass psychotherapeutische Praxen von der Anbindungspflicht an die Telematikstruktur ausgenommen werden.‘

  • Welche Konsequenz ziehen Sie als Gesundheitspolitiker daraus?
  • Welche Daten sollen wo genau gespeichert werden?
  • Was können Sie mir über die Sicherheit der entsprechenden Datenwege und Verarbeiter sagen?
  • Wer hat die beteiligten Firmen – wie geprüft?“

Sein Kollege Tino Sorge von der CDU/CSU verteidigt aus eigener Sicht das Vorhaben und erklärt den schleppend verlaufenden Anschluss der Praxen an die Telematik-Infrastruktur mit eher technischen Gründen.

So könne „derzeit nur ein einziger Anbieter die notwendigen Geräte (Konnektoren) liefern. Auch seien „Finanzierungsfragen ungeklärt“.
Immerhin aber werde der Gesetzgeber die entsprechende Frist nun verlängern, sodass den Ärzten keine ungerechtfertigten Sanktionen drohen. Das wird auch der Industrie mehr Zeit geben, um die nötigen Konnektoren auszuliefern.

Für Tino Sorge besteht hinsichtlich der Datensicherheit kein Anlass zur Sorge: „Die Telematikinfrastruktur (TI) als künftige ‚Datenautobahn‘ des Gesundheitswesens unterliegt strengsten Sicherheitsvorkehrungen. Ein Beispiel: Die Ausgabe von Konnektoren unterliegt Vorgaben, die militärischen Sicherheitsstandards entsprechen.“

Wie Gematik betone, werde, so Sorge weiter „um allen Datenschutzanforderungen gerecht zu werden und insbesondere die medizinischen Daten von Patienten zu schützen, in der Telematikinfrastruktur auf starke Informationssicherheitsmechanismen gesetzt. Die sichere, verschlüsselte Kommunikation zwischen Kommunikationspartnern sowie der Schutz vor dem Zugriff auf sensible Informationen sind das Fundament der TI. Damit die sichere Kommunikation und der Schutz von sensiblen Informationen in der TI langfristig gewährleistet sind, werden die verwendeten kryptographischen Verfahren durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) regelmäßig überprüft und an die neuesten Entwicklungen angepasst.“

Auf Anfrage bestätigte das Bundesgesundheitsministerium, die Anschlussverpflichtung für die Ärzte vom 1.1. 2019 auf Mitte 2019 verschoben zu haben.
Allerdings, so heißt es gegenüber Telepolis, „Die Ärzte müssten noch vor dem 31. März 2019 ihren Anschluss bestellen und den Vertrag unterzeichnen. Grund: Die Industrie kommt mit der Lieferung der Konnektoren nicht nach, deshalb kann die Frist Ende 2018 nicht gehalten werden.“

Dass die Mehrheit der Ärzte sich weigert, wird in der Antwort nicht erwähnt. (Annette Hauschild und Helmut Lorscheid)

Kommentare lesen

*) Auf diesen Herrn wartet, wie auf viele andere Mitglieder von CDU und SPD, nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag ein schönes von den Versicherten mitbezahltes Pöstchen in einem  Vorstand der Krankenkasse oder in einer der vielen neu zu gründenden Verwaltungs- und Regelungskommissionen. Diesen Ast wird er wohl kaum absägen wollen. Übrigens, wenn man die vielen unterschiedlichen gesetzlichen Krankenkassen mit ihrem Pseudo-Wettbewerb nicht hätte, um sie zur Versorgung alter Funktionäre zu nützen, könnte man sie gleich abschaffen, denn die Gelder laufen sowieso alle durch ein und denselben Gesundheitsfond und werden dann an die Kassenärztlichen Vereinigungen der Bundesländer zur Weiterverteilung an die Ärzte ausgezahlt. Jeder vergleiche mal, wer in den Bundes- Landes- oder Regionalvorständen seiner gesetzlichen Krankenkasse sitzt und welche Parteibücher sich da als karrierefördernd erwiesen haben. Ulla Schmidt ist übrigens mittlerweile Vorsitzende der Lebenshilfe e.V. und nimmt insoweit am Gemeinnutz teil. Frage man sie doch mal, welches Fabrikat sie als Dienstwagen fährt. Klar, dass diese Bagage alle Verwaltungsvereinfachungen ausbremst.

Jochen

Gaby Weber: Die Bundesregierung unterstützt und beschützt Folterer und Mörder bis in alle Ewigkeit

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Entlarvendes Interview auf den NachDenkSeiten:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=34472

Gaby_WeberSPD-Mitglied Gerhard Löwenthal, konservativer ZDF-Magazin-Chef, hatte im Kinderbordell „Colonia Dignidad“ sich „wie im Paradies“ gefühlt.Dem gegenüber erscheinen die Verfehlungen heutiger SPD-Bundestagsmitglieder als Bagatellen. 

Und die Notvernichtungshandlung: Offensichtlich werden bei den Geheimdiensten gezielt Akten geschreddert, sobald Anfragen von Journalisten eingehen, wie in der NSU-Affäre.

Die Geheimdienste schützen die Bürger und „wir, „der Westen“, stehen für Demokratie und Menschenrechte in aller Welt? Mitnichten. Ja, ganz im Gegenteil! Die Aktivitäten der Geheimdienste bedrohen zunehmend die Demokratie und höhlen sie mehr und mehr aus. Westliche Kriege und Neokolonialismus haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten Millionen Tote produziert. Und das deutsche Agieren im Ausland ist oftmals am ehesten als Angriff auf die Menschenrechte zu verstehen.
Ein gutes Beispiel hierfür liefert das Gebaren der Regierung und ihrer Geheimdienste in Bezug auf die Machenschaften derColognia Dignidadin Chile. Denn, wie die Journalistin und Trägerin des Alternativen Medienpreises Gaby Weber im Interview mit Jens Wernicke betont: mit Merkels Segen werden die beteiligten deutschen Folterer und Mörder bis heute geschützt.

Auszüge:

Frau Weber, dieser Tage geisterte durch die Medien, dass der Bundesnachrichtendienst und damit die deutsche Bundesregierung bereits seit mindestens 1966 von den Machenschaften der Sekte Colonia Dignidad informiert war. Das „Neue Deutschland“ etwa titelte mitFolter mit Kenntnis des BNDund das Nachrichtenportal „amerika21“ mitBonner Regierung schützte Colonia Dignidad bis kurz vor Ende der Diktatur in Chile. Was ist von diesen offenbar neuen Erkenntnissen zu halten, was meinen Sie?

Hier geht einiges durcheinander. Man muss bei der Colonia Dignidad zwei Dinge unterscheiden: einmal war da der systematische sexuelle Missbrauch und die Gehirnwäsche der deutschen Insassen durch den Sektenchef Paul Schäfer und seine Führungsclique, darunter der Arzt Hartmut Hopp, der trotz eines chilenischen Haftbefehls heute ohne Probleme in Krefeld lebt. Und zum Zweiten die Folter und Morde in der Colonia an chilenischen Regimegegnern ab 1973, als das Militär geputscht hatte.

Die Sekte an sich stand schon vor ihrem Umzug nach Chile im Verdacht, Kinder zu misshandeln. Das Amtsgericht Siegburg hatte 1961 Haftbefehl gegen Schäfer wegen Unzucht mit Abhängigen erlassen und trotzdem zugesehen, wie er sich nach Chile absetzte, wo er dann bis Ende der Diktatur 1989 von der Deutschen Botschaft unterstützt wurde.
Sie verkaufte das Schwarzbrot und Sauerkraut aus der „Kolonie der Würde“ und unternahm nichts, um die gegen ihren Willen Festgehaltenen zu befreien.

Und bei all dem hatte auch der BND seine Hände Spiel?

Ganz sicher. Da ist zum Beispiel der deutsche Waffenhändler Gerhard Mertins, der den „Freundeskreis der Colonia Dignidad“ gegründet hatte. Mertins hatte für den BND illegal Waffen in Krisengebiete verschoben, wurde aber am Ende nicht verurteilt, weil der BND ja mit von der Partie war. Mertins ging in der Kolonie ein und aus, die nach dem Putsch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Südchile geworden war. Sie war in den Bergbau und in die Herstellung von chemischen Waffen eingestiegen.

Mertins ist inzwischen ja tot…

Ja, aber ich habe ihn 1980 noch auf seinem Gut Buschof besucht. Für ihn war die Colonia Dignidad ein „Paradies“, sagte er mir. Für seine Mitstreiter vermutlich auch: für den ZDF-Journalisten Gerhard Löwenthal, den Münchner CSU-Stadtrat Wolfgang Vogelsgesang und den damaligen deutschen Botschafter, Erich Strätling. Mertins: „Vorerwähnte Herren waren in Dignidad und haben die gleichen positiven Eindrücke gewonnen wie ich“.

Mertins hatte mir einen 20-minütigen Werbefilm vorgeführt: unschuldige Kindergesichter und Bienchen, und er schwärmte von seinem Busenfreund, dem chilenischen Geheimdienstchef Manuel Contreras: „Er hat ein rundes Gesicht mit weichen Zügen und macht den Eindruck, dass es ihm schwerfallen würde, eine Fliege zu töten“. Nach dem Ende der Diktatur wurde Contreras wegen mehrerer Morde verurteilt, um „Fliegen“ ging es dabei nicht.

Verstehe ich recht: Das alles war seit Jahren bekannt und die Medien hielten dennoch bis heute den Mund?

Ja. Bereits in den siebziger Jahren veröffentlichten Amnesty International und der Stern die Vorwürfe gegen das deutsche Foltercamp und die Kolonie klagte vor dem Bonner Landgericht.

Ich selbst habe damals bei der Ortsbesichtigung den Verlag Gruner und Jahr vertreten und war mit dem Arzt und Schäfer-Vertrauten Hopp aneinandergeraten, weil er mich nicht auf das Koloniegelände lassen wollte – obwohl die Prozessbeteiligten das eigentlich durften. Man fürchtete wohl, dass ich fotografieren würde.

Und warum dann hier und heute der um sich greifende „Medienhype“? Spätestens mit dem Ende der Diktatur hätten die Verbrechen ja aufgeklärt werden und die Aufarbeitung beginnen können.

In Deutschland ist durch den Spielfilm „Es gibt kein Zurück“ der Fall wieder hochgekommen, nur leider ist bis auf Lippenbekenntnisse aus dem Auswärtigen Amt und dem Präsidialamt nichts passiert. Von Aufarbeitung kann keine Rede sein.

Allerdings ist in Chile einiges passiert. Nach der Diktatur sind die Besitzverhältnisse untersucht worden, denn man hatte beizeiten das Vermögen auf Scheinfirmen übertragen.
Und gegen Schäfer und seine Clique wurde wegen Missbrauchs ermittelt, und die Führungsriege landete im Gefängnis. Schäfer ist dort verstorben.
Aber auch im Andenstaat ist einiges noch tabu, vor allem, inwieweit Schäfer an der Herstellung von Giftgas mitgewirkt hat. Wenn Sie sich erinnern: unter anderem wurde der frühere, christdemokratische Staatschef Frei durch Giftgas ermordet.

Ist denn die Rolle des Bundesnachrichtendienstes untersucht worden?

Nein. Die Bundesregierung hat hier systematisch vertuscht, und zwar böswillig.
Es steht außer Frage, dass der BND detaillierte Kenntnis von den Zuständen in der Kolonie hatte. Dies sprach mir eines der Colognia-Dignidad-Gründungsmitglieder, Heinz Kuhn, einmal ins Mikrophon.

Kuhn verhalf einigen Sektenmitgliedern zur Flucht ins Ausland und unterhielt Kontakte zur US-Botschaft und zum FBI. Mit Beamten des BND hat er sich „mehrfach getroffen. Da gings um bestimmte Fälle“, so Kuhn. „Globalmente war der BND über sämtliche Missstände in der Kolonie informiert, auch über den Fall Weisfeiler“.

Der US-Bürger Boris Weisfeiler war 1985 in der Nähe der Kolonie aufgegriffen worden und verschwand für immer. Er soll einen Geigerzähler mit sich geführt haben. Auch die CIA habe sich für den Fall interessiert. Kuhn hatte dem BND alle Informationen über den Fall übergeben: „Ich hab mit den Leuten zusammengearbeitet, in dem Sinne, dass ich ihnen immer wieder Material habe zukommen lassen”.

Ein Wolfgang Jensen habe ihn rekrutiert, der war an der Deutschen Botschaft in Buenos Aires und flog regelmäßig nach Santiago. Einmal sei er auch extra nach Argentinien geflogen, um sich mit dem BND-Residenten zu treffen. Was der ihm versprochen hat? „Unser Gespräch ging immer nur mit ganz kleinen Zettelchen und da wurden Notizen gemacht. Was die dann aus den Notizen, die ich ihnen übergeben habe, gemacht haben, das kann ich nicht wissen”.

Sie führen ja diverse Klagen gegen BND und Konsorten. Haben Sie auch in Sachen Colonia Dignidad versucht, Akten aus Pullach zu bekommen?

Sicher, ich bin seit Ende der siebziger Jahre an dem Thema dran und habe wiederholt auch versucht, dort hineinzukommen. Das gelang mir erst nach dem Ende der Diktatur.
Am 1. Februar 2009 hatte ich beim BND einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt. Der wurde abgelehnt mit der Begründung, dass „sämtliche Unterlagen des BND Verschlusssachen“ seien.

Auf meinen Widerspruch erhielt ich aus Pullach den Brief mit dem Vermerk „nur für den Dienstgebrauch“ mit der Bitte, dass man das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes abwarten möchte.

Wie, der BND schreibt Ihnen einen Brief und erklärt den für „nur für den Dienstgebrauch“?

Ja, aber ich habe schon lange aufgehört, mich über den BND zu wundern. Mit dem vorgeschlagenen Vorgehen war ich einverstanden. Ein Jahr zuvor hatte ich nämlich den BND auf Einsicht in seine Eichmann-Akten verklagt – es würde ein Grundsatzurteil werden. Und das wurde es auch. Die Leipziger Richter gaben mir weitgehend Recht.
Nur 100 Blatt bleiben weiter geheim, weil das Bundeskanzleramt meinte, dass der Mossad sich über eine Freigabe ärgern würde und dieses Risiko könne man in Zeiten des Terrorismus nicht eingehen.

Das heißt: Frau Merkel hält Akten zu einem Nazi-Kriegsverbrecher geheim, um einem ausländischen Geheimdienst gefällig zu sein.

Wie dem auch sei, nach dem Leipziger Urteil wollte ich endlich die Dignidad-Akten erhalten, fragte erneut in Pullach nach und erhielt die Auskunft, dass man „alle verfügbaren Archivunterlagen“ an das Koblenzer Bundesarchiv abgegeben habe.

Na bitte, ist doch ein Fortschritt!

Nein, ganz im Gegenteil, reine Verarschung. Bei meinem Besuch in Koblenz wurde mir nur ein Schnellhefter ausgehändigt mit insgesamt 22 Seiten. Blatt Nummer Eins war ein „VS Inhaltsverzeichnis zugleich Notvernichtungshandlung und Abgabequittung zu Abgabeverzeichnis 30/2004“, gefolgt von einem kurzen Brief des CDU-Politikers Heiner Geissler mit der Bitte um Aufklärung und einer nichtssagenden Antwort des BND-Präsidenten an Geissler.

Die Abgeordnete der Linken, Ulla Jelpke, fragte die Bundesregierung, was mit den Akten, die im Frühjahr 2009 noch nicht offenzulegende „Verschlusssachen“ waren, nunmehr passiert war und was diese „Notvernichtungshandlung“ sei? Befindet sich etwa der BND in solcher Not, weil er Mitarbeiter schützen oder die eigene Verwicklung in das Kinderbordell und die Machenschaften von Paul Schäfer verdecken will?

Bundesminister Ronald Pofalla antwortete auf die Kleine Anfrage. Ob Dokumente vernichtet oder ausgelagert wurden, könne „den recherchierbaren Unterlagen nicht entnommen werden. Aber: „Dem Antrag der Journalistin wurde entsprochen“.

Damit meinte er die 22 Blatt sowie die „Notvernichtungshandlung“ – ein Begriff der „standardmäßig verwendet (werde), um für den Fall einer schnell vorzunehmenden Vernichtung von Verschlusssachen, etwa bei der kurzfristigen Räumung einer Dienststelle im Ausland, einen Nachweis der vernichteten Dokumente zu erhalten“. Auch die Bundeswehr kennt solche „Notvernichtungshandlungen“, wenn zum Beispiel ein Schiff im Sinken begriffen ist und die an Bord befindlichen Geheimdokumente nicht dem Feind in die Hände fallen dürfen“.

Vielleicht ist der BND ja „im Sinken begriffen“ – und angesichts dieser Pofalla-Antwort nicht nur der BND. Aber meinen die das wirklich ernst, dass Ihr Antrag auf Freigabe der Unterlagen zur Colonia Dignidad eine kriegerische Handlung sei?

Für das Bundeskanzleramt offensichtlich. Ich hoffe aber, dass die Bundesverwaltungsrichter das anders sehen. Ich habe erneut Klage gegen den BND eingereicht. Diesmal geht es um alle Berichte seines Residenten an der Botschaft in Buenos Aires. Der war auch zuständig für Chile.

In welchem Stadium befindet sich dieser Prozess?

Der BND führt sich auf, als wäre er, um mal die Worte von Frank Rieger vom CCC zu gebrauchen, „eine Mafia mit Rechtsabteilung“. Er sperrt sich partout gegen eine generelle Offenlegung seiner Dokumente aus der Zeit der argentinischen Militärdiktatur.

Er hat damals eng mit dem argentinischen Geheimdienst SIDE zusammengearbeitet, der systematisch gefoltert und Regimegegner zu tausenden aus Flugzeugen ins Meer werfen ließ. Ein paar Berichte hat man mir gegeben, aber ich will die kompletten Akten – oder eben eine Sperrerklärung des Bundeskanzleramtes, der übergeordneten Behörde.

Wie argumentiert denn der BND?

Das muss man sich tatsächlich auf der Zunge zergehen lassen. O-Ton: „Der Umstand, dass dieses Regime Unrecht begangen hat, beeinflusst nicht den vom BND gewährten umfassenden Vertraulichkeitsgrundsatz hinsichtlich nachrichtendienstlicher Kooperationen gegenüber dem Staat Argentinien. Jedwede Offenlegung von Informationen könnte dazu führen, dass der Austausch mit anderen Nachrichtendiensten beeinträchtigt oder gefährdet wird“. Mit anderen Worten: Wir schützen auch Folterer und Mörder – und zwar bis in alle Ewigkeit.

Und wie verhalten sich andere Länder hierzu?

Barack Obama hat bei seinem letzten Besuch in Argentinien angekündigt, Akten zur argentinischen Diktatur zu desklassifizieren, auch die der CIA.
Papst Franziskus hat selbiges versprochen. Und die argentinische Regierung – die jetzige wie die vorige – hat ihre Archive zur Diktatur geöffnet und sogar entsprechende diplomatische Abkommen mit den Nachbarstaaten über die Offenlegung dieser Unterlagen zur Operation Cóndor unterzeichnet.

Das heißt: Alle Staaten geben ihre Unterlagen zum damaligen argentinischen Folterregime frei, und eine einzige Dienstanweisung des Kanzleramts nach Pullach würde ausreichen, um internationale Mindeststandards zu erfüllen.
Aber Angela Merkel zieht es vor, sich – in guter deutscher Tradition, wenn man so will – als das Schmuddelkind aufzuführen.

Das Schmuddelkind der Menschenrechte.

Ich bedanke mich für das Gespräch.

Vom Hakenkreuz zum Stern: Symbolwandel einer Familie

Auf die Langzeitentwicklung im Hause Albrecht/v.d.Leyen macht dieser schöne Artikel aufmerksam:
http://www.wsws.org/de/articles/2014/09/26/ster-s26.html
Auszüge:

„Die Kriegsministerin“ und der Stern

Von Denis Krassnin
26. September 2014

Am 1. September 2014 entschied die Bundesregierung, Waffen in das Kriegsgebiet Irak zu liefern.
Damit machte sie einen weiteren großen Schritt in Richtung deutscher Großmachtpolitik.
Die Medien waren darüber regelrecht entzückt.

stern

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Der Stern, das neben dem Spiegel auflagenstärkste wöchentliche Nachrichtenmagazin in Deutschland, ließ auf seinem Cover Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) als „Kriegsministerin“ posieren. Von der Leyen hatte zusammen mit Bundespräsident Joachim Gauck und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) Anfang des Jahres die Wiederbelebung des deutschen Militarismus angekündigt.

Im Artikel „Feuer frei“ freut sich der Stern, die Waffenlieferung in den Nordirak bedeute „das Ende der Zurückhaltung, so wie sie in diesem Land über sechs Jahrzehnte sorgsam gepflegt worden ist“. Ein Fenster sei geöffnet worden, „und es wird schwer sein, dieses Fenster je wieder zu schließen“.

Das Magazin weiß gut über die „aufgezwungene“ Zurückhaltung nach dem Zweiten Weltkrieg zu erzählen, haben sich doch an der Gründung und Entwicklung des Sterns ehemalige Nazigrößen aus dem Pressebereich beteiligt. Das Nachrichtenmagazin besinnt sich seiner braunen Wurzeln – und trifft sich dabei mit der „Kriegsministerin“.

Die Wurzeln Ursula von der Leyens

Von der Leyen stammt aus der CDU Niedersachsens. Sie ist die Tochter Ernst Albrechts, der von 1976 bis 1990 Ministerpräsident des Landes war und einen ausgeprägten Hang zu elitärem und braunem Gedankengut hatte.

1976 veröffentlichte Albrecht im nationalkonservativen Seewald-Verlag das Buch „Der Staat, Idee und Wirklichkeit. Grundzüge einer Staatsphilosophie“, das seine Verachtung für demokratische Regeln und die breite Masse der Bevölkerung, „die Straße“, sowie seine Vorliebe für alttestamentarische Herrschaftsformen zum Ausdruck bringt:
„Wenn es gelingt, überdurchschnittliche Menschen an die Herrschaft zu bringen“, heißt es darin, „so vermögen Alleinherrschaft und Wenigenherrschaft eine bessere Ordnung zu errichten als die Volksherrschaft.“
„Die Volksherrschaft“, poltert er, „vor allem die unmittelbare, ist wesensmäßig so geartet, dass die Entscheidung nicht durch die Einsicht der Einsichtigen, sondern durch das durchschnittliche Maß an Einsicht bestimmt wird, das der Mehrheit eignet.“ Sowieso sei „der Massenmensch ohne rechte Seinsmitte“.

Diese Herren-Mentalität paarte sich in der niedersächsischen CDU mit nationalsozialistischem Gedankengut. Die niedersächsische CDU hatte in den 1950er Jahren die Mitglieder der rechtextremen Deutschen Reichspartei und der Sozialistischen Reichspartei sowie der national-konservativen Deutschen Partei in ihre Reihen aufgenommen.

Anmerkung: Die Deutsche Reichspartei und die Sozialistische Reichspartei waren Nachfolgeorganisationen der NSDAP und wurden von den Alliierten kurz nach ihrer Gründung verboten. Die PGs mussten sich eine neue Heimat suchen.

1976 machte Albrecht Hans Puvogel zu seinem Justizminister. Puvogel trat in seiner Amtszeit vor allem gegen den Gedanken eines liberaleren Strafvollzugs und die Idee der Resozialisierung auf. In seiner Doktorarbeit von 1935/36 hatte er die Gründe für seine Haltung dargelegt. Er schrieb von der „Vererbung krimineller Neigungen“, von „anlagebedingten Verbrechern“ und von „minderwertigen Menschen“, die „aus der Gemeinschaft ausgeschieden“ werden müssten. „Nur ein rassisch wertvoller Mensch“ habe „innerhalb der Volksgemeinschaft eine Daseinsberechtigung“.

Wo immer sie konnte, hofierte die Landesregierung unter Ernst Albrecht Alt-Nazis. Wilfried Hasselmann (CDU), stellvertretender Ministerpräsident, bescheinigte 1978 der „Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger“, einer Vereinigung von alten Wehrmachtsoffizieren und SS-Männern, in einem Grußwort, dass sie „Mut gezeigt und anderen ein Vorbild gegeben“ hätten. Hasselmann erklärte, er sei „tief beeindruckt vom Zusammenhalt ihrer Ordensgemeinschaft. Sie haben in vorbildlicher Weise als Soldaten ihre Pflicht erfüllt. Das bleibt gültig für eine nachwachsende Generation.“

1979 stellte die niedersächsische CDU Hans Edgar Jahn als Kandidaten zur ersten Europawahl auf. Jahn hatte sich durch ein 1943 erschienenes europapolitisches Buch mit dem Titel „Der Steppensturm – Der jüdisch-bolschewistische Imperialismus“ für diesen Posten qualifiziert. Darin prophezeit er die endgültige Zerschlagung des Judentums und die Sammlung der „germanischen Völker“ um einen Herd.
„Noch nach Jahrtausenden aber wird die Menschheit und vor allem die Jugend mit Achtung und Ehrfurcht einen Namen nennen: Adolf Hitler.

Tochter Ursula hält viel von ihrem Vater, der inzwischen an Demenz erkrankt ist. 2003 erklärte sie in einem Interview, er sei ihr „ein wunderbarer Ratgeber“. Sie beide vereine eine gemeinsame „Grundüberzeugung“, die geprägt sei von einem „christlichen Menschen- und traditionellen Familienbild“.
Diese Überzeugung zeigte von der Leyen in ihrer gesamten politischen Laufbahn. Sie begann ihre politische Karriere dort, wo ihr Vater einst regierte. Als dieser 1990 durch Gerhard Schröder (SPD) als Ministerpräsident des Landes Niedersachsen abgelöst wurde, empfand sie dies als Affront der Wähler und trat im Alter von 31 Jahren der CDU bei.
In einem späteren Interview erklärte sie, sie habe damals gedacht: „Schweinerei, so nicht“.

Schon 2003 erhielt sie in der von der CDU geführten niedersächsischen Landesregierung den Posten der Ministerin für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit. Sie profilierte sich vor allem durch Sozialkürzungen. So schaffte sie z. B. das Blindengeld ab.

Die sozialen Angriffe, die die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder 1998 begann, führte die Koalition aus CDU und SPD unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ab 2005 weiter. Als Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend setzte von der Leyen das Elterngeld durch, mit dem gezielt Besserverdienende zum Kinderkriegen animiert werden sollten, während die finanzielle Unterstützung für arme Mütter und Väter eingeschränkt wurde.

Später, von 2009 bis 2013 sorgte sie als Bundesministerin für Arbeit und Soziales dafür, dass Gelder für Arbeitslose gekürzt und Geldstrafen gegen Bezieher von Arbeitslosengeld II effizienter umgesetzt wurden.
Zahlreiche „Reformen“ – sprich Sozialkürzungen – später vertritt sie als Verteidigungsministerin die wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen des deutschen Imperialismus in der Welt. Gegen die weit verbreitete Anti-Kriegs-Stimmung der Bevölkerung erweckt sie den deutschen Militarismus wieder zum Leben.

Die Wurzeln des Stern

In einer braunen Tradition steht auch das Magazin Stern, das sich angesichts der Ukraine-Krise in der Kriegshetze gegen Russland besonders engagiert. Anlässlich des 100. Geburtstages des Gründers und langjährigen Chefs des Magazins, Henri Nannen, im Oktober 2013 veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen aufschlussreichen Artikel „Die braunen Wurzeln des Stern“.
Autor Tim Tolsdorff hat ein Buch über die Seilschaften und Netzwerke aus der Nazizeit geschrieben, die zur Geburt des Sterns führten.
Wie in den meisten gesellschaftlichen Bereichen setzten auch im Medienbereich Leute, die unter den Nazis groß geworden und die Karriereleiter hochgeklettert waren, nach 1945 unbeirrt ihre Tätigkeit fort.

Das Vorbild für den heutigen Stern gab es schon 1938: eine Art illustrierte Boulevardzeitschrift mit demselben Namen. Kurt Zentner, der unter den Nazis im Ullstein-Verlag und später im Deutschen Verlag Karriere machte, leitete sie. Später arbeitete Zentner mit Henri Nannen zusammen.
Nannen war in den Propagandakompanien der Nazis in Italien tätig, wo er gegen die westlichen Alliierten schrieb. Dem „Entnazifierungsprozess“ der westlichen Besatzungsmächte nach der Niederlage konnte er sich entziehen und relativ unbeirrt publizistische Projekte starten, etwa die Hannoversche Abendpost. Verlegt wurde diese von Carl Jödicke.

Jödicke, ehemaliges Mitglied der NSDAP und SA, war nach der „Arisierung“ von Ullstein (dem Rauswurf der jüdischen Eigentümer durch die Nazis) zum Direktor aufgestiegen.
Er arbeitete in dieser Zeit auch mit dem Propagandaministerium Josef Goebbels’ zusammen.
Nach dem Krieg verhalf er Nannen zu einer Lizenz für den neuen Stern in der westlichen Besatzungszone, dessen Herausgabe schließlich 1948 startete.
Da Jödicke Kontakt zu vielen Medienleuten der Nazizeit hatte, konnte er sie auch an Nannen vermitteln, darunter den grafischen Gestalter Karl Beckmeier.
Beckmeier hatte schon für Kurt Zentner, den Chefredakteur des Nazi-Sterns gearbeitet. Nannen versammelte neben Beckmeier weitere Nazi-Medienleute in seiner neuen Zeitschrift. Die Journalisten Armin Schönberg und Hubs Flöter arbeiteten ab sofort für den Stern.
Als Illustrator wurde Günter Radtke gewonnen, der sein Talent schon in die Dienste der Nazis gestellt hatte: als Zeichner für die Olympischen Spiele 1936 und für diverse Nazi-Zeitschriften.

Nannen machte mit diesem braunen Trupp sein Magazin zeitweise zum auflagenstärksten in der Bundesrepublik. Zur frühen Geschichte des neuen Magazins schreibt der FAZ-Autor: „Konsequent trennte man zwischen ehrenhaftem Krieg und verbrecherischer NS-Führung, klammerte in den ersten Jahren den Holocaust weitgehend aus der Berichterstattung aus.“

Es dauerte nicht lange, bis der Stern seine politischen Überzeugungen selbstbewusster publizierte. 1951 sprach er sich gegen die Verurteilung der Ex-Generäle Erich von Manstein und Albert Kesselring als Kriegsverbrecher aus.
„Darüber hinaus“, schreibt die FAZ, „mischten Interessengruppen in den Vereinigten Staaten und Großbritannien bei dieser Kampagne mit, die den Weg zur Wiederbewaffnung [der BRD] ebnen sollte. Ein pikantes Detail: Henri Nannen hatte ab 1944 unter dem Oberbefehl Kesselrings in Italien gedient.“

Die Kampagne hatte Erfolg. Von Manstein war nach seiner Haftentlassung 1953 bis 1960 inoffizieller Berater der Bundeswehr, die Grabrede des 1960 gestorbenen Kesselring, der niemals seiner Loyalität zu Hitler abgeschworen hatte, hielt der damalige Inspekteur der Luftwaffe und ehemalige Wehrmachtsgeneral Josef Kammhuber.

Es dauerte bis zu den Studentenprotesten von 1968, die sich auch gegen Alt-Nazis in hohen Positionen des Staates und der Gesellschaft richteten, ehe sich Nannen öffentlich mit seiner Vergangenheit und dem Nationalsozialismus auseinandersetzen musste. Einen Bruch bedeutete das nicht.

Die Nachfolger Nannens im Stern sind heute Thomas Osterkorn und Andreas Petzold.
Ersterer war Polizeireporter beim Hamburger Abendblatt, bevor er zum Stern kam.
Der Letztere arbeitete zuerst für die Presseabteilung der Bundeswehr und für die Zeitschrift Heer. Anschließend wechselte Petzold zu diversen Boulevardblättern und hatte hohe Posten inne.
Diese beiden, die die Perspektive und Haltung der Polizei und der Bundeswehr bestens kennen, unterstützen auch die aggressive deutsche Außenpolitik, wie die Artikel und das Cover mit der Kriegsministerin zeigen.

Jochen