Weihnachtsmärchen: Das Soziale Europa kommt ? Warum wir endlich mit liebgewonnenen Mythen brechen müssen

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Martin HöpnerHier setzt sich, im Journal der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Sozialdemokrat Martin Höpner mal fundiert und mit sozialem Bewusstsein mal mit der Europabeweihräucherung der Leim-Medien auseinander:
Auf leisen Sohlen kam hier die gesamteuropäische Entsolidarisierung des Neoliberalismus in unsere Regierungen.
Das Trauerspiel nach der letzten EU-Wahl war nur die Spitze des Eisbergs.
Sein Skeptizismus passt gut zu Sahra Wagenknechts EU-Skepsis mit ihrer These: Sozialstaat geht auf absehbare Zeit hin nur im nationalen Rahmen.
Solange sich die linken und sozialdemokratischen Kräfte im EU-Parlament und die Repräsentanten der Gewerkschaften allzusehr auf die Pflege ihrer Privilegien konzentrieren, ist da leider keine Veränderung zu erwarten.
Viele gute Ideen zu diesem Thema, leider nur auf Englisch, sind darüber hinaus diesem Newsletter zu entnehmen:

https://www.socialeurope.eu/focus/what-is-inequality

Und hier auszugsweise Martin Höpner im Oktober 2019:

Die progressiven Europadebatten sind voller Tabus und Mythen. Vorsicht ist geboten, wenn man sich in diese Debatten begibt. Es ist herausfordernd, die sozialen Wirkungen der europäischen Integration klar zu benennen und sich damit in Widerspruch zum Mythos vom Sozialen Europa zu begeben. Am Ende steht man schnell ungewollt als EU-Gegner da.
Ohne den Mythos vom Sozialen Europa kommt im sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Spektrum kaum eine Rede zum Thema daher.

Das Soziale Europa kann empirisch oder prognostisch gemeint sein. Wahrscheinlich stimmen Sie mir zu, dass der Begriff als Zustandsbeschreibung der Europäischen Union nicht wirklich passt.
Dafür ist in den vergangenen ein bis zwei Dekaden einfach zu viel passiert, von den Eingriffen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in das Streikrecht (die Fälle Viking und Laval) über die Unterwerfung der öffentlichen Infrastruktursektoren unter das europäische Wettbewerbsrecht bis hin zur sozialen Kahlschlagpolitik der Troika in Südeuropa.
Die europäische Gleichstellungspolitik, oft und nicht zu Unrecht als Beispiel für eine sozial wünschenswerte EU-Politik genannt, kann das alles kaum aufwiegen.

Ist das Soziale Europa im Entstehen begriffen? Nein, hierfür gibt es keine Anzeichen. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Die EU könnte sozialere Wirkungen entfalten, als sie es heute tut.
Das ist kein Mythos und ich werde noch darauf zurückkommen.
Ein Mythos ist hingegen, dass uns, so wie es die Feiertagsreden nahelegen, „mehr Europa“ dem Sozialen Europa näher bringt. Diese traditionelle Erzählung hat über die Jahre ihren Sinn verloren und bleibt dennoch ein hartnäckiger Bestandteil sozialdemokratischer und gewerkschaftlicher Selbstvergewisserung.

Bitte denken Sie mit mir an jene Integrationsschritte zurück, an die Sie sich selbst erinnern können.
Vielleicht haben Sie die Diskussionen um das Binnenmarktprogramm in den achtziger Jahren selbst miterlebt, vielleicht sind sie jünger und ihre Erinnerung setzt bei der Währungsunion und ihren Reformen an. All das waren genuin wirtschaftliche Integrationsschritte.
Warum waren Sozialdemokratie und Gewerkschaften stets treue Begleiter? Weil die Schritte durch ein mal implizites, mal aber auch explizites soziales Versprechen begleitet wurden.
Die Wirtschaftsintegration werde, so dachte man, mehr und mehr auf angrenzende Politikfelder „überschwappen“ und so schließlich das Soziale Europa hervorbringen.

In der Theorie klang das alles recht plausibel. Auch die Politikwissenschaft, die das erhoffte „Überschwappen“ als „spillover“ theoretisierte, schien die Plausibilität der Erzählung zu bestätigen.
Aber die Integrationsgeschichte ist anders verlaufen. Von Erweiterungsrunde zu Erweiterungsrunde wurde die EU heterogener.
Die Chancen auf Verwirklichung ambitionierter sozialer Harmonisierungsprojekte sind damit immer weiter gesunken, statt mit zunehmender Tiefe der Wirtschaftsintegration zu steigen.
Den europäischen Sozialstaat, der auf Bulgarien ebenso passen würde wie auf Dänemark, können wir uns nicht einmal mehr in der Theorie vorstellen. Von der praktischen Durchsetzbarkeit ganz zu schweigen.
Ähnlich verhält es sich etwa mit der Hoffnung auf europaweit einheitliche – und möglichst anspruchsvolle – Regeln zur Arbeitnehmermitbestimmung. Viele weitere Beispiele ließen sich anführen.

Das ist noch nicht alles. Die gestiegene Heterogenität der Mitgliedsstaaten hinderte die Wirtschaftsintegration nämlich nicht daran, sich mehr und mehr zu radikalisieren und auf alle nur erdenklichen Politikfelder auszustrahlen.
In dieser Hinsicht fanden die „spillovers“ tatsächlich statt – aber nicht als Dynamiken der Supranationalisierung des Sozialen, sondern als destruktive Liberalisierungsimpulse dort, wo sich das Soziale bis auf weiteres manifestiert: auf Ebene der Mitgliedsstaaten.

Folgende Quellen der Liberalisierungsimpulse lassen sich unterscheiden: Das europäische Wettbewerbsrecht, das unter anderem ein Beihilfenverbot enthält. Mit diesem Verbot kollidieren regelmäßig staatliche Betätigungen in Sektoren, in denen es sowohl öffentliche als auch private Anbieter gibt. So wird debattiert, ob die öffentliche Finanzierung der niedersächsischen Wohlfahrtsverbände als Verstoß gegen das europäische Wettbewerbsrecht zu qualifizieren ist, weil sie einen Wettbewerbsnachteil für private Anbieter von Pflegedienstanbietern darstellt.
Dieses Konfliktmuster treffen wir in den so genannten „gemischten Sektoren“ immer wieder an, etwa bei öffentlich-rechtlichen Banken, beim Rundfunk oder in allen Infrastruktursektoren: Private Anbieter erkennen im europäischen Wettbewerbsrecht ein Instrument zur Durchsetzung ihrer auf Liberalisierung gerichteten Interessen.

Die Binnenmarktfreiheiten, also die Rechte der Marktteilnehmer, sich auf dem Binnenmarkt ungehindert bewegen zu dürfen

Diese Rechte interpretiert der Europäische Gerichtshof derart extensiv, dass sie individuellen Ansprüchen auf Liberalisierung nahekommen. Insbesondere die Dienstleistungsfreiheit hat erhebliche Liberalisierungswirkungen entfaltet, ähnliches lässt sich etwa von der Niederlassungsfreiheit sagen. Auch dies lässt sich am besten anhand eines aktuellen Beispiels verdeutlichen. Im Fall Polbud urteilte der EuGH, dass die – so der Fachbegriff – isolierte Satzungssitzverlegung in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit fällt. Unternehmen können daher zukünftig noch leichter als ohnehin schon ihre Rechtsform abstreifen und gegen eine andere in der EU vertretene Unternehmensrechtsform eintauschen. Ihren Verwaltungssitz oder die Orte ihrer sonstigen Betätigungen müssen sie dafür nicht verlegen.
Die soziale Brisanz: Damit wird es auch leichter, bei Bedarf die Arbeitnehmermitbestimmung auf Ebene der Leitungsorgane zu umgehen.
Die Drohung mit solchen Umgehungen wird in Auseinandersetzungen mit der Arbeitnehmerseite glaubwürdiger. Die Unternehmensmitbestimmung wird durch diese Art der Rechtsprechung immer mehr von einer verpflichtenden Institution zu einem freiwilligen Arrangement.

All das wird von den im Zuge der Eurokrise errichteten makroökonomischen Überwachungs- und Korrekturverfahren und von den sozial höchst destruktiven Eingriffen der Troika in die Wirtschafts-, Sozial- und Haushaltspolitiken der Länder unter den europäischen Rettungsschirmen noch weit in den Schatten gestellt.
Neben den weithin bekannten Spardiktaten und Sozialkürzungen beinhalteten diese Vorgaben auch gezielte Schwächungen der Gewerkschaften, etwa mittels gezielter Eingriffe in die Bindungskraft von Flächentarifverträgen.

Diese Aufzählung beschränkt sich auf jene Liberalisierungsimpulse, die auf direkte Anordnung durch supranationale Organisationen – Kommission, EuGH, EZB, IWF – zurückgehen. Die europäische Integration erzeugt weitere Impulse zur Liberalisierung, indem sie den wirtschaftlichen Wettbewerb zwischen den EU-Ländern verschärft, etwa den Steuerwettbewerb.
Freilich ist es gerade der Zweck des Binnenmarkts, den innereuropäischen Wettbewerb zu verschärfen – das lässt sich kaum bestreiten.
Aber bitte glauben Sie daher jenen nicht, die Ihnen weismachen wollen, die europäische Integration diene dem Schutz vor der Globalisierung, mit anderen Worten: dem Schutz vor dem transnationalen Wettbewerb. Auch das ist ein Mythos.
In Wahrheit wirkt die europäische Wirtschaftsintegration als Verstärker der Globalisierung
, ist gewissermaßen eine innereuropäische Globalisierung zum Quadrat.

Was bedeutet das alles nun für unsere Hoffnungen auf eine EU, die zumindest sozialere Wirkungen entfaltet als in der Vergangenheit? Ich möchte keiner Absage an visionäre Projekte auf europäischer Ebene das Wort reden.
Ein gutes Projekt wäre etwa die Bereitstellung von aus Strukturmitteln finanzierten Hilfen zum Aufbau von sozialen Mindestsicherungen in jenen ärmeren EU-Ländern, in denen es bis heute keinen sozialen Mindestschutz gibt.
Es sollte lohnen, für solche und ähnliche Ideen zu streiten – die mit gutem Recht in die Kategorie „mehr Europa“ passen.

Das ändert allerdings nichts daran, dass es verantwortungslos wäre, falsche Hoffnungen auf eine in absehbarer Zukunft bevorstehende Harmonisierung, also europäische Vereinheitlichung des Sozialen zu wecken.
Gewiss, vielleicht ändert sich das in nicht absehbarer Zukunft einmal. Bis auf weiteres aber werden wir uns auf ein eigentümliches Mehrebenensystem einstellen müssen. Der Wettbewerb, die Binnenmarktfreiheiten und die Einhaltung einiger basaler Konvergenzerfordernisse des Euro werden auf europäische Ebene geschützt.
Die zur Verwirklichung sozialer Rechte notwendigen Regularien und Umverteilungsmechanismen verharren gleichzeitig auf dezentraler, mitgliedstaatlicher Ebene.

Für die Formulierung stimmiger Strategien ist diese Einsicht von großer Relevanz. Es genügt dann nämlich nicht, visionäre Konzepte für eine zukünftige europäische Sozialpolitik zu formulieren.
Diesen Konzepten ist eine komplementäre, zweite Teilstrategie an die Seite zu stellen, die das Soziale auf mitgliedsstaatlicher Ebene besser vor den auf Liberalisierung zielenden europäischen Impulsen schützt.
Ein zentraler Baustein ist das Konzept der Bereichsausnahmen, das von einigen gewerkschaftsnahen Juristen ausgearbeitet wurde. Es zielt darauf, die mitgliedsstaatlichen Arbeits- und Sozialordnungen aus den Anwendungsbereichen der Binnenmarktfreiheiten, des europäischen Wettbewerbsrechts und der sanktionsbewehrten Korrekturverfahren zu entfernen.

Und hier nun schließt sich der Kreis zum Mythos des durch immer „mehr Europa“ erreichbaren Sozialen Europa. Der dringend notwendige bessere Schutz der Arbeits- und Sozialordnungen vor destruktiven europäischen Liberalisierungsimpulsen lässt sich nicht in die traditionelle Erzählung integrieren.
Dass eine sozialere EU mal „mehr Europa“, mal aber eben auch „Abwehr von zu viel Europa“ braucht, ist in den sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Debatten bis heute weitgehend tabuisiert. *)
Damit entsteht eine gefährliche Leerstelle. Die Forderungskataloge drohen hinter dem zurückzubleiben, was sie eigentlich leisten könnten.
Gangbare Lösungswege haben es schwer, auf die progressiven Agenden zu gelangen, weil sie mit sachlich nutzlos gewordenen, gleichwohl aber immer weiter perpetuierten Mythen in Konflikt geraten.

Mythen mögen ein notwendiger Teil politischer Selbstvergewisserung sein. Ein Zuviel an Mythen kann aber, wie wir am Beispiel des Mythos vom im Entstehen begriffenen Sozialen Europa sahen, destruktiv wirken.
Wollen wir herausfinden, wie die EU sozialer werden kann, dann setzt das eine Bereitschaft zur Entmystifizierung und Enttabuisierung voraus
. Diese Bereitschaft ist bisher allenfalls in Ansätzen erkennbar.

Wachsamkeit ist geboten, wo  empirische Einsichten in den progressiven Europadebatten von hartnäckigen Mythen verdrängt zu werden drohen.
Der beste Weg ist meiner Erfahrung nach, die Mythen explizit als solche zu kennzeichnen und sie offensiv zu hinterfragen.

Martin Höpner ist Politikwissenschaftler und leitet am Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung eine Forschungsgruppe zur Politischen Ökonomie der europäischen Integration.
An der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln ist Höpner außerplanmäßiger Professor.

*: Das wirkt sich in den Leim-Medien seit Jahren so aus, dass der, der soziale Forderungen konsequent erhebt wie z.B. Sahra Wagenknecht, Albrecht Müller oder Werner Rügemer, immer mehr in die rechte Ecke gestellt wird, siehe z.B. hier: https://josopon.wordpress.com/2015/01/27/antisemitismus-vorwurf-gegen-werner-rugemer-als-lugengespinst-entlarvt/.
Wer das US-amerikanische Bankensystem kritisiert, muss sich dann plötzlich Antisemitismus vorwerfen lassen.

Prof. Birgit Mahnkopf von der HWR Berlin spricht hier https://josopon.wordpress.com/2015/07/15/gezielte-zerlegung-und-desintegration-haus-europa-vor-dem-einsturz/ von einem Brandbeschleuniger für eine Feuerbrunst, die das lange schon einsturzgefährdete »gemeinsame Haus« Europa in Schutt und Asche legen könnte.

In den nächsten Tagen werde ich mich ein wenig mit Beiträgen zurückhalten, aber:
Über Kommentare hier würde ich mich freuen.

Jochen

Die 10 schlimmsten Länder der Welt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

logo: Deutscher GewerkschaftsbundDer Internationale Gewerkschaftsbund IGB veröffentlicht jedes Jahr einen Report zur Verletzung von Gewerkschafts- und Arbeitnehmerrechten weltweit. Seit einigen Jahren enthält dieser „Global Rights Index“ auch eine Liste der zehn „schlimmsten Länder für erwerbstätige Menschen“. Er stellt fest:

 In immer mehr Ländern droht Beschäftigten Gewalt

http://www.dgb.de/themen/++co++fd6a406e-6d55-11e8-ad8a-52540088cada
Dort auch eine schöne grafische Übersicht.
Auszüge:

Die Zahl der Länder, in denen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Drohungen und Gewalt ausgesetzt sind, hat sich erneut innerhalb eines Jahres deutlich erhöht. Das geht aus dem „Global Rights Index 2018“ des IGB hervor.
Bereits von 2016 auf 2017 war die Zahl dieser Länder um zehn Prozent gestiegen. Von 2017 auf 2018 stieg sie erneut von 59 Ländern auf 65 Länder an, also innerhalb eines Jahres erneut um mehr als 10 Prozent.

Die 10 schlimmsten Länder

Der IGB hat außerdem wieder eine Liste mit den „Ten worst countries in the world for working people“ (also den „10 schlimmsten Ländern der Welt für arbeitende Menschen“) veröffentlicht:

Algerien

• Staatliche Repression
• Massenverhaftungen und -entlassungen
• Proteste unterdrückt

Guatemala

• Gewalt und Morde
• Diskriminierung
• Kein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren

Kasachstan

• Verhaftung führender Gewerkschaftsvertreter/innen
• Staatliche Repression
• Diskriminierung

Kambodscha

• Einschüchterungen
und Repressalien
• Repressive Gesetze
• Polizeigewalt

Ägypten

• Staatliche Repression
• Diskriminierung
• Massenverhaftungen

Philippinen

• Einschüchterungen und Entlassungen
• Gewalt
• Repressive Gesetze

Saudi-Arabien

• Missbrauch von Wanderarbeitskräften
• Staatliche Repression
• Zwangsarbeit

Bangladesch

• Gewalt
• Massenverhaftungen
• Diskriminierung

Türkei

• Verhaftung führender Gewerkschaftsvertreter/innen
• Diskriminierung und Entlassungen

Kolumbien

• Morde
• Tarifverhandlungen untergraben
• Diskriminierung

In fast zwei Drittel aller Länder können Beschäftigte keine Gewerkschaft gründen

Auch die weiteren Ergebnisse aus den insgesamt 139 untersuchten Ländern sind teilweise erschreckend:

  • In mindestens 9 Ländern wurden Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter ermordet: Brasilien, China, Kolumbien, Guatemala, Guinea, Mexiko, Niger, Nigeria und Tansania (allein in Kolumbien wurden im Laufe des Jahres 19 Gewerkschaftsmitglieder ermordet).
  • In 65% aller untersuchten Länder können einige oder alle Beschäftigten keine Gewerkschaften gründen oder in Gewerkschaften eintreten.
  • In fast neun von zehn der Länder (87%) wird einigen oder allen Beschäftigten das Streikrecht verweigert.
  • In 81% der Länder werden einigen oder allen Beschäftigten Tarifverhandlungen verweigert.
  • Insgesamt 54 Länder beschränken die Rede- und Versammlungsfreiheit (das sind 4 mehr als im Vorjahr und damit ein Anstieg um 8%).

Der komplette IGB-Report:„Global Rights Index 2018“ auf Deutsch als PDF

 

Jochen

Totengräber des DGB – Bündnis konservativer Gewerkschaften – mit einem Kommentar von Elmar Wigand

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Fracking, Kohleverstromung, TTIP, Anbiedern, Gabriels Schoßhündchen spielen – Wer hier mitgliederfreundliche Politik erwartet hat, sieht alt aus:
http://www.jungewelt.de/2015/04-17/013.php

Es hat sich angedeutet. Doch dass es die Chefs der Industriegewerkschaften IG Metall, IG BCE und IG BAU gemeinsam mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) auf eine offene Spaltung des DGB ankommen lassen würden, ist doch überraschend.
Vordergründig handelt es sich bei dem am Mittwoch gegenüber handverlesenen Medienvertretern präsentierten Papier um eine Kooperationsvereinbarung, die Abgrenzungsprobleme der beteiligten Organisationen vermeiden helfen soll.
Tatsächlich aber ist es eine Kampfansage an die Gewerkschaften im Dienstleistungsbereich, allen voran ver.di.
Noch mehr: Die Zukunft des DGB als handlungsfähiger Gewerkschaftsverbund steht auf dem Spiel.

»Diese Kooperation ist gegen niemanden gerichtet, sondern nur für uns«, zitiert die Süddeutsche Zeitung vom Donnerstag den Vorsitzenden der Chemiegewerkschaft (IG BCE), Michael Vassiliadis.
Doch diese Aussage darf bezweifelt werden. Wenn sich vier Einzelgewerkschaften zusammentun – und die anderen vier DGB-Organisationen bewusst außen vor lassen – ist das eine klare Botschaft. Sie richtet sich vor allem gegen ver.di. Die 1.000-Berufe-Gewerkschaft steht naturgemäß im Zentrum der Abgrenzungsprobleme. Mit der IG BAU hat sie sich in der Vergangenheit heftig um die Vertretung der Reinigungskräfte in Krankenhäusern gestritten. Während dieser Konflikt weitgehend beigelegt ist, eskaliert die Auseinandersetzung mit der IG Metall zusehends.

Deren Vorsitzender Detlef Wetzel erklärte schon vor seiner Wahl Ende 2013 kategorisch: »Alles, was zur Wertschöpfungskette eines Endprodukts gehört, muss in unserem politischen Fokus sein.« Soll heißen: Die gesamte Lieferkette, sämtliche Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Herstellung von Autos, Maschinen etc. werden von der IG Metall erfasst.
Sicherlich macht es Sinn, zum Beispiel bei der Ausgliederung von Unternehmensteilen dafür Sorge zu tragen, dass die direkt Betroffenen in ihrer angestammten Gewerkschaft bleiben können, die ihnen Unterstützung im alten Stammbetrieb verschafft.
Doch zu klären sind derlei Fragen nur in solidarisch geführten Verhandlungen.

Offensichtlich ist: Es geht vor allem um das Anliegen der Apparate, die Mitgliedszahlen und damit ihre Finanzkraft zu stabilisieren. Mit dem Interesse der abhängig Beschäftigten als Klasse hat das nichts zu tun.
Doch der Konflikt hat auch einen politischen Kern. Die beteiligten Organisationen sind allesamt streng sozialdemokratisch ausgerichtet. Regierungskritische und gesellschaftspolitische Kampagnen lehnen sie anders als ver.di, GEW und NGG kategorisch ab.
Auch beim Gesetz zur »Tarifeinheit« wird die politische Spaltung deutlich. Empörend ist, dass sich DGB-Chef Reiner Hoffmann öffentlich auf die Seite einer Fraktion stellt. Er könnte damit zum Totengräber des Gewerkschaftsbundes werden, dem er selbst vorsitzt.

Dazu noch auszugsweise ein Kommentar von Elmar Wigand im ND:
http://www.neues-deutschland.de/artikel/969093.fragwuerdiges-buendnis-der-dgb-bolschewiki.html

Besondere Aufmerksamkeit ist generell immer dann gefragt, wenn Dinge hervorgehoben werden, die eigentlich für alle Beteiligten klar sein sollten.

Am 15. April luden vier Gewerkschaftsbosse in Berlin zu einem Pressegespräch. Die Spitzen der DGB-Gewerkschaften IG Metall, IG BCE, EVG und IG BAU gaben eine erweiterte Kooperation bekannt (»nd« berichtete). Dieser nach gesundem Menschenverstand eigentlich selbstverständliche Vorgang – dass Gewerkschafter, die zudem noch im selben Dachverband sind, eng kooperieren wollen – lässt Raum für Interpretationen und gibt Auskunft über die Verfassung der DGB-Gewerkschaften in Zeiten der Großen Koalition.
Dreh- und Angelpunkt dieser DGB-internen Viererbande ist bei näherer Betrachtung ihr Verhältnis zu zentralen Politik-Projekten der SPD in dieser Legislaturperiode.

Das erstaunliche Binnenbündnis innerhalb des DGB bahnte sich bereits durch ähnliche PR-Termine an. Am 16. November 2014 traten die Vier als »Allianz für Vernunft in der Energiepolitik« vor die Presse und leisteten Lobbyarbeit für Fracking in Deutschland. Das wegen möglicher Umweltgefahren höchst umstrittene Verfahren »dürfe nicht von vornherein ausgeschlossen werden«, sagte IG BCE-Chef Vassiliadis damals. Er war mit dem Vorstandsvorsitzenden von ExxonMobil Deutschland, Gernot Kalkoffen, in die USA gereist, »um sich über die US-Energiepolitik und die Erfahrungen mit Fracking zu informieren«. Offensichtlich konnte er überzeugende Erkenntnisse gewinnen, an denen er andere Gewerkschaftsgranden teilhaben ließ.
Auch IG-Metall-Chef Detlef Wetzel forderte also im Sinne von ExxonMobil: »Wir brauchen eine verlässliche und bezahlbare Energieversorgung. Sie bildet die Basis für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie.«

Im Januar 2015 wiederholte sich das Spiel. Es ging um eine Beschränkung des Streikrechts in der Daseinsvorsorge – bekannt als Gesetzesinitiative zur »Tarifeinheit«. In einer Presseerklärung der IG BCE hieß es: »Der DGB und die Mehrheit seiner Mitgliedsgewerkschaften unterstützen den Gesetzentwurf der Bundesregierung.« Unterschlagen wurde, dass diese Mehrheit keineswegs überwältigend war, da ver.di (ca. 2 Mio. Mitglieder), NGG und GEW die geplanten Angriffe auf das Streikrecht grundsätzlich ablehnten.
Beim transatlantischen  Investitionsschutz-Abkommen TTIP zeigt sich die neu geschmiedete Allianz der DGB-Viererbande dagegen brüchig.
So wagte es die IG BAU, sich gegen das TTIP zu positionieren. Sie steht damit auf der ablehnenden Seite von ver.di und der NGG.

Die Entscheidungsfindung innerhalb der neuen DGB-Fraktion verlief keineswegs demokratisch, sondern genügte bestenfalls den Prinzipien des »demokratischen Zentralismus«. Die einfachen Gewerkschaftssekretäre waren von den Vorstößen ihrer Führungsebenen überrascht, von einer demokratischen Meinungsbildung keine Spur.
Dissidenten müssen mit dem Gang der Dinge leben und können nur die Faust in der Tasche ballen. Möglicherweise sind sie sogar in der Mehrheit.

Bezeichnend war auch die elitäre Art der Präsentation. Exklusiv geladen waren nur vier Pressevertreter: Alfons Frese (Tagesspiegel), Stefan Sauer (DuMont Schauberg), Detlef Esslinger (SZ) und Stefan Kreutzberger (FAZ). Hierbei scheint es sich um verdiente Alpha-Journalisten zu handeln, denen die DGB-Mehrheitsfraktion vertraut, welche intern von der IG Metall angeführt wird.
Auch hier bleiben Fragen: Warum wurden selbst bewährte, staatstragende Medien wie »Spiegel«, »Zeit« und »stern« nicht bedacht? Von systemkritischen Geistern oder exotischen Wesen wie Bloggern ganz zu schweigen…

Als Gesamteindruck bleibt: Das Auftreten der besagten DGB-Gewerkschaften ist in sich verworren und widersprüchlich.
Darin spiegelt sich vor allem eine tiefe Ratlosigkeit: Wie soll sich die Gewerkschaftsbewegung aus ihrer babylonischen Gefangenschaft in der Sozialdemokratie und aus ihrer Nähe zu Großkonzernen und deren Projekten befreien?
Oder ist es nicht angenehmer, weiterhin die wärmende Nähe der Macht zu spüren, anstatt den mühseligen Weg der Konfrontation, Abgrenzung und Neuformierung zu gehen? Zumal dieser gegen eine beängstigende Medienmacht erfolgen müsste.

Für alle, die auf eine Erneuerung der Gewerkschaftsbewegung als gesellschaftliche Gegenmacht setzen, ist das neue Bündnis der regierungskonformen DGB-Bolschewiki äußerst ernüchternd. Und genau in diesem Sinne sollte die Botschaft vermutlich auch wirken: Haltet die Klappe und setzt euch!
Dass der gesamte Laden bald auseinanderbricht, ist dabei eher unwahrscheinlich. Dass er nach der Lateinlehrer-Methode dauerhaft zusammengezwungen werden kann, ebenfalls.

Elmar Wigand forscht zum »union busting« – der Bekämpfung von Betriebsräten und Gewerkschaften. Er ist ist Gründungsmitglied der aktion./ .arbeitsunrecht.

Jochen

Bahn erneut im Arbeitskampf: Kalkül zur Bekämpfung der GdL funktioniert

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Leider funktioniert es. Der Gewerkschaftsvorsitzende hat allen Grund zur Wut, wenn er merkt, wie er und seine Gewerkschaft mit der Unetrstützung der GroKo und des DGB verarscht wird:
https://www.jungewelt.de/2015/04-22/024.php
Ich als ehemals begeisterter Bahnfahrer muss feststellen, es wird immer schlimmer mit der DB, die von ihren Vorständen ausgeplündert wird zum Schaden aller, die ein preisgünstiges, zuverlässiges und umweltbewusstes verkehrsmittel brauchen.
Auszüge:

Nun stehen die Züge wieder still. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hat die Zugbegleiter der Bahn erneut zum Ausstand aufgerufen. Die öffentlich inszenierte Empörung schlägt wieder einmal hohe Wellen.
Doch Fahrgäste, die sich an Bahnhöfen die Beine in den Bauch oder auf der Straße im Stau stehen, sollten sich vergegenwärtigen, wer die Verantwortung dafür trägt:

Der Bahn-Vorstand hat es in dem Dreivierteljahr seit Auslaufen der Tarifverträge nicht geschafft, ein einziges verbindliches Angebot vorzulegen. Anderthalb Schritte vorwärts, anderthalb zurück – so lässt sich das allseits ermüdende Vorgehen des Konzerns zusammenfassen.
Die GDL-Spitze hat vor diesem Hintergrund gar keine andere Wahl, als den Bahnverkehr erneut lahmzulegen. Wenn man ihr einen Vorwurf machen will, dann den, dass sie die Spielchen der Bahn AG zu lange geduldet hat.

Das Herumlarvieren hat verschiedene Ziele. Zum einen soll die GDL-Basis zermürbt, ihr Image als durchsetzungsfähige und entschlossene Gewerkschaft zerstört werden.
Zum anderen zielt die Provokation eines erneuten Streiks auf die Öffentlichkeit: Er soll auf den letzten Metern des Gesetzes zur »Tarifeinheit« noch einmal Stimmung für die damit verbundene Einschränkung des Streikrechts machen.
Betriebswirtschaftlich macht das keinen Sinn, das Management des ehemaligen Staatskonzerns agiert in diesem Fall ausschließlich politisch.

Auch inhaltlich verfolgt der Bahn-Vorstand das Gegenteil dessen, was er behauptet. Angeblich geht es ihm um einheitliche Tarifverträge im Konzern. Tatsächlich aber will das Unternehmen die Belegschaft weiter spalten: Die sogenannten Lokrangierführer sollen gegenüber ihren Kollegen auf der Strecke schlechter gestellt sein, obwohl sie die gleiche Qualifikation haben und weitgehend dieselben Tätigkeiten ausüben.
Das ist für die GDL nicht verhandelbar – zu Recht. Die Bahn-Spitze weiß das und hat diese Bedingung wohl genau deshalb formuliert.

 Das Kalkül funktioniert. Noch vor Streikbeginn traten die Gewerkschaftsgegner auf den Plan und forderten weitere Schritte zur Beschränkung von Arbeitskämpfen. So sagte CDU-Fraktionsvize Michael Fuchs am Dienstag in der Süddeutschen Zeitung, der GDL-Streikaufruf »unterstreicht den Handlungsbedarf«. Es bedürfe »besonderer Spielregeln für Arbeitskämpfe, in denen Dritte stark betroffen sind«.
Explizit nannte er den Bahn- und Luftverkehr, die Energie- und Wasserversorgung, das Gesundheitswesen, die Telekommunikation und – Achtung ver.di – die Kinderbetreuung, wo Arbeitsniederlegungen vier Tage im Voraus angekündigt werden müssten.

Es sind dieselben Politiker, die die öffentliche Daseinsvorsorge der marktwirtschaftlichen Konkurrenz unterworfen haben und nun nach staatlichem Zwang zur Garantie dieser Leistungen im Streikfall rufen. Diese Paradoxie fällt ihnen selbst wahrscheinlich nicht einmal auf.

Jochen

Streiken macht sich bezahlt – eine europäische Übersicht

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Ein schöner, ermutigender Artikel:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=24182
Man beachte insbesondere die folgende grafik !

Kaum nutzen die Lokführer und die Piloten mal ihr Streikrecht, schon ist Deutschland in heller Aufregung.
„Wird Deutschland zum Streikland?“ fragt die ARD und liefert die Antwort gleich tendenziös mit. Um das zaghafte Aufflammen des Kampfwillens der Arbeitnehmer im Keim zu ersticken, bastelt die Bundesregierung derweil bereits am „Tarifeinheitsgesetz“.
Wenn man sich jedoch einmal die Zahlen anschaut, stellt man schnell fest, dass in kaum einem anderen Industrieland so wenig gestreikt wird, wie in Deutschland. Und dies ist volkswirtschaftlich kein Segen, sondern ein Fluch. Von Jens Berger

Deutschland ist kein Streikland und war dies auch nie. Ein Blick auf die Zahlen zeigt jedoch auch, dass die Streiklust der deutschen Arbeitnehmer in den letzten Jahrzehnten stark rückläufig ist.
Die letzten wirklich großen Streiks fanden Mitte der 1980er statt, als die IG Metall für die 35-Stunden-Woche streikte.
Doch selbst in den streikfreudigeren 1970ern und 1980ern belegte Deutschland im internationalen Vergleich einen der letzten Plätze – nur die japanischen Arbeitnehmer waren in den 1980ern noch friedlicher als ihre deutschen Kollegen.

Die vergleichsweise geringer Streiklust der deutschen Arbeitnehmer in diesen Jahren lässt sich jedoch auch mit der damals durchaus funktionierenden Tarifpartnerschaft und dem, im Vergleich zu heute geradezu arbeitnehmerfreundlichen politischen Umfeld erklären. Wenn man seine Ziele auch ohne Streiks erreicht – umso besser.
Dieser ungeschriebene Pakt wurde jedoch in den 1990ern von Seiten der Arbeitgeber und der Politik aufgekündigt.
Nullrunden, Agenda 2010, Leiharbeit, Outsourcing, Arbeitsverdichtung … all dies wären eigentlich Gründe genug, um auf die Straße zu gehen.
Doch anstatt für die eigenen Rechte zu kämpfen, nahm die Streiklust der deutschen Arbeitnehmer in diesen Jahren sogar ab. Und dieser Trend setzt sich bis heute fort.

Damit steht Deutschland übrigens nicht alleine. In allen beobachteten Ländern – mit Ausnahme von Frankreich, wo politische Streiks den Trend in den letzten Jahren brechen – ging die Streiklust der Arbeitnehmer seit den 1970ern massiv zurück.
Der zeitliche Zusammenhang mit dem globalen Siegeszug des Neoliberalismus ist offensichtlich und weit mehr als eine Koinzidenz. Dazu lohnt ein Blick auf Großbritannien. Nachdem Margareth Thatcher ihren politischen Kampf gegen die streikenden Bergarbeiter 1985 gewinnen konnte, ging die Streiklust der Briten massiv zurück. Thatcher brach den Gewerkschaften das Rückgrat, der Neoliberalismus konnte seinen Siegeszug fortsetzen.
Seitdem haben die Gewerkschaften in allen Industrieländern offenbar ihre Kampfeslust verloren.

Es gibt jedoch nach wie vor sehr große Unterschiede bei der Streiklust der Arbeitnehmer. Nicht die in diesem Kontext immer gerne genannten Länder Italien, Spanien und Frankreich, sondern Länder wie Finnland, Dänemark und Kanada sind es, die sich auch im letzten Jahrzehnt durch vergleichsweise hohe Streikbereitschaft auszeichneten.
Und ist kein Zufall, dass gerade in diesen Ländern auch die höchsten Reallohnsteigerungen beobachtet werden konnten. Während die Reallöhne in streikfaulen Staaten wie Japan oder Deutschland kaum von der Stelle kommen, konnten streikfreudigere Volkswirtschaften auch hohe Reallohnsteigerungen verbuchen.
Streiken macht sich also nach wie vor bezahlt und ist volkswirtschaftlich sinnvoll.

„It’s the economy, stupid!“

P.S. Glückwunsch an Ministerpräsident Ramelow und ganz Thüringen!

Jochen