Was wir von der Biden-Präsidentschaft im Nahen Osten erwarten können

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

https://www.nachdenkseiten.de/?p=67111

Vergleiche dazu auch https://josopon.wordpress.com/2018/06/18/so-macht-exzeptionalismus-spass-die-juedische-rasse-ist-das-auserwaehlte-das-kluegste-und-herausragendste-volk/
https://josopon.wordpress.com/2018/04/14/der-krieg-gegen-russland-hat-auf-syrischem-boden-begonnen-karin-leukefeld-berichet/
und https://josopon.wordpress.com/2020/11/09/nach-biden-wahl-sprachregelung-fur-deutschland-und-europa-militarische-konfrontation-statt-friedlichen-zusammen-lebens-abschreckung-statt-abrustung-online-friedensratschlag-am-6-dezember-ab-11-uh/

Aktuell dazu weiter unten ein aktueller Kommentar von Oskar Lafontaine.

Zurück in die Zukunft

Ein Artikel von Jakob Reimann

Joe Biden ist ein Empire-Politiker, ein US-Exzeptionalist, der überzeugt ist, dass die Welt in alle Ewigkeit von der Großmacht USA dominiert werden muss.
Im Pulverfass Nahost wird er zum Status quo der Obama-Ära zurückkehren: Die eskalative Iran-Politik seines Vorgängers wird er hoffentlich umkehren und den so wichtigen Iran-Deal wiederbeleben.
Seine Israel-Palästina-Politik wird im Ton gewiss moderater, doch als selbsternannter „Zionist“ wird er der israelischen Regierung nur minimale Grenzen setzen:
Statt wie auf Steroiden *), muss Netanyahu die Palästinenser nun wieder ganz normal unterdrücken.
Biden wird in Nahost keinen neuen Krieg beginnen, doch auch keinen beenden. Als ausgewiesener liberaler Interventionist wird er den „forever war“ in alle Ewigkeit festschreiben.

Als erster US-Präsident seit Bush sen. wurde Donald Trump nicht wiedergewählt. Am 20. Januar 2021 wird damit – aller Voraussicht nach – Joe Biden ins Weiße Haus einziehen. Wie schon 2016 hat sich das Demokraten-Establishment gegen die linke Option entschieden und sich hinter dem Empire-Kandidaten versammelt. Biden ist ein Politurgestein und prägt seit Jahrzehnten vor allem die US-Außenpolitik entscheidend mit. Im Folgenden soll es um das Pulverfass Nahost unter einer Biden-Präsidentschaft gehen; konkret um Israel-Palästina, den Iran und die Frage nach Krieg und Frieden im Allgemeinen.

Israel-Palästina – zurück zur ganz normalen Unterdrückung

Ich bin ein Zionist“, erklärte Biden wiederholt. Seine Verbindungen zu Israel gehen Jahrzehnte zurück, mehrere israelische Ministerpräsidenten, Minister und Präsidenten zählt er zu seinen persönlichen Freunden.
Laut der Biden/Harris-Kampagnenwebsite sei Bidens Unterstützung für Israel „unerschütterlich“, „unermüdlich“, „felsenfest“ und „unzerstörbar“.
Als Vize schnürte er in Obamas letztem Jahr ein militärisches Hilfspaket in Rekordhöhe von über 38 Milliarden US-Dollar über zehn Jahre.

paul findleydie israel lobby

Biden könnte in seiner Präsidentschaft die überparteiliche Unterstützung für das israelische Regime wiederherstellen und wird die unter Trump tief gespaltene pro-israelische Lobby in den USA wieder vereinen.
Auf den Jahresevents all dieser Lobbyorganisationen ist er stets ein gern gesehener Gast.
Verbrechen der israelischen Regierung wird er im Gegensatz zu Trump vermutlich dann und wann zaghaft rhetorisch entgegentreten, jedoch in keinem Falle substanziell.
Kurz nach dem Gaza-Massaker 2014 sagte Biden über Israels rechtsextremen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu:Ich liebe ihn.

US-Gruppen wie Black Lives Matter und palästinensische Menschenrechtsgruppen sprechen sich stets gegenseitige Solidarität aus und begreifen sich explizit als verschiedene Fronten desselben globalen Kampfes gegen Rassismus und ethnische Unterdrückung. Dieser holistische Geist ist identitätsstiftend für die seit einigen Jahren aufstrebende Bewegung junger linker Abgeordneter, die die verkrustete Demokratische Partei von innen heraus revolutionieren wollen.
Diese diverse Gruppe um die auch The Squad genannten charismatischen Frontfrauen Alexandria Ocasio-Cortez, Rashida Tlaib und Ilhan Omar vertritt nicht nur innen-, sondern auch außenpolitisch linke Positionen und spricht sich klar für die Rechte der Palästinenser aus. Einige von ihnen sind offene BDS-Anhängerinnen.
Die über Jahrzehnte bei den Demokraten als Heilige Kuh geltende Unterstützung israelischer Verbrechen bricht mit dieser Gruppe junger Sozialistinnen weg.
Die Art und Weise, wie Biden diesen innerparteilichen Generationenkonflikt kämpfen wird, ist ungewiss, doch befindet sich die Partei an einem Scheideweg und werden unter ihm unweigerlich die Weichen für die Demokratische Israel-Palästina-Politik der nächsten Jahre und Jahrzehnte gestellt.

Biden zeigte sich zwar durchaus kritisch gegenüber völkerrechtswidrigen Maßnahmen von Trumps Israel-Politik, doch ist es wenig wahrscheinlich bis ausgeschlossen, dass er diese Schritte rückgängig machen und etwa die US-Botschaft von Jerusalem zurück nach Tel Aviv verlegen wird. Einige klar anti-palästinensische Maßnahmen Trumps wird Biden hingegen gewiss umkehren und etwa die palästinensische Botschaft in Washington und die US-Botschaft in Ostjerusalem wieder öffnen und Hilfszahlungen an die Abbas-Führung wieder aufnehmen. Zumindest einen Aspekt von Trumps Israel-Politik begrüßte Biden mit großem Wohlwollen: Die von Washington mediierten Normalisierungsabkommen zwischen Israel einerseits und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Bahrain und dem Sudan andererseits. Im politischen Vakuum betrachtet sind diese Deals positiv zu bewerten – aus realpolitischer Sicht sind sie hingegen problematisch und aus der israelisch-palästinensischen Friedensperspektive eine Katastrophe. Bei einer Townhall Mitte Oktober sprach Biden Trump gar Komplimente für den Israel-VAE-Deal aus. Es ist also wahrscheinlich, dass Biden die Politik der israelisch-arabischen Normalisierung weiter vorantreiben wird.

Am Donnerstag verkündete Trumps Außenminister Mike Pompeo auf einer Pressekonferenz mit Netanyahu in Jerusalem, die Trump-Regierung werde die pro-palästinensische BDS-Bewegung offiziell alsantisemitischklassifizieren.
Die 2005 in Palästina gegründete Menschenrechtsbewegung versucht, mittels Boykotten, Divestments**) und Sanktionen auf internationaler Ebene ökonomischen, politischen und diplomatischen Druck auf die israelische Regierung aufzubauen.
In ihren Mitteln inspiriert von der Anti-Apartheid-Bewegung in Südafrika in den 1990ern setzt sich BDS kompromisslos gewaltfrei gegen die israelische Apartheid, gegen ein Ende der Besatzung und für palästinensische Selbstbestimmung ein. Auf der Pressekonferenz bezeichnete Pompeo die BDS-Bewegung als „Krebsgeschwür“. Der Staatsmann Joe Biden ist in seiner Wortwahl weniger konfrontativ, doch teilt er hier im Kern die Position der Trump-Regierung.
Im Mai erklärte Biden gegenüber Demokratischen Großspendern, „allzu oft verwandelt sich linke Kritik [an israelischer Politik] in Antisemitismus“.
In einem Strategiepapier seiner Kampagne ist zu lesen, Biden „lehnt die BDS-Bewegung entschieden ab“, denn er „kämpft dagegen an […] Israel auf der globalen Bühne zu delegitimieren“.
Damit widerhallt er denselben Unsinn, den wir stets von der Rechten in Israel und im Westen hören. BDS geht es überhaupt nicht um Israel, sondern tritt die Bewegung ein für die Durchsetzung international verbriefter Menschenrechte und ein Leben in Würde für die Palästinenserinnen und Palästinenser.
Auf dem offiziellen Twitter-Kanal der BDS-Bewegung heißt es daher treffend: „Durch die Ablehnung von BDS unterstützt Joe Biden die Komplizenschaft der USA an Israels jahrzehntelangem Regime der Besatzung, des Kolonialismus und der Apartheid und unterstützt die Vorenthaltung grundlegender Menschenrechte von uns Palästinensern.“

Unter Biden wird es in der Israel-Palästina-Politik eine Änderung im Ton geben, keine in der grundlegenden Substanz.
War die Politik von Netanyahu und seinen Falken unter Donald Trump, ihrem „privaten Santa Claus“, wie auf rechtsextremen Steroiden, wird die Netanyahu-Regierung mit Bidens Rückendeckung wieder zum Prä-Trump-Status-quo zurückkehren müssen – wird also Besatzung, Apartheid und Entmenschlichung der Palästinenser wieder ganz normal betreiben müssen.

Ein Terrain in Nahost, auf dem ich persönlich tatsächlich (große) Hoffnungen in eine Biden-Präsidentschaft lege, ist der von Trump angeheizte Konflikt mit Israels Erzfeind.

Biden muss schnell zurück in den Iran-Deal

Seit dem Wahlkampf 2016 hetzte Trump unaufhörlich gegen den Iran und stieg im Mai 2018 aus dem so wichtigen Iran-Nukleardeal (offiziell JCPOA) aus, der als Lehrbuchbeispiel lösungsorientierter, friedlicher Diplomatie gilt.
Es folgten das Wiedereinsetzen sämtlicher US-Sanktionen gegen Teheran, die im Zuge des Deals aufgehoben werden sollten.
Unter Trumps „maximum pressure“-Politik startete Trump auch auf vielen weiteren Gebieten neue Attacken gegen Teheran mit katastrophalen Folgen für Wirtschaft und Gesundheitssystem des Iran.
Die JCPOA-Parteien Großbritannien, Frankreich, Deutschland und EU waren zwar durchaus willens, jedoch de facto außerstande, den Deal gegen Trump zu verteidigen.
In abgeschwächter Form gilt dies auch für die zwei weiteren Vertragsparteien Russland und China. Joe Biden hat im Wahlkampf wiederholt geäußert, er wolle dem Deal wieder beitreten.
In einer Gastkolumne auf CNN im September streckt Biden die Hand aus und versichert, er werde dem Iran „einen glaubhaften Pfad zurück zur Diplomatie anbieten“.

Doch ein Zurück zum Iran-Deal wird aus vielerlei Gründen alles andere als ein Selbstläufer. So muss Biden gegen Widerstände bei Republikanern genau wie im iranophoben Neocon-Flügel der Demokraten ankämpfen.
Auch die israelische Regierung sowie die emiratische und die saudische bringen sich bereits in Stellung, um in Washington gegen den Wiedereintritt ins JCPOA zu lobbyieren.
Zusätzlich verhängt die Trump-Administration in ihren verbleibenden Wochen gänzlich neue Iran-Sanktionen, die es der Biden-Regierung erschweren werden, in den Deal zurückzugehen.
Da diese neuen Sanktionen keinen Nuklearbezug haben werden, sondern an von Demokraten wie Republikanern gleichermaßen kritisierten Feldern der Menschenrechtslage im Iran, Teherans Ballistikprogramm und dessen regionale Aktivitäten gebunden sind, würde Biden zu viel seines politischen Kapitals verspielen, wenn er diese neuen Sanktionen ohne Gegenleistung aufhebt.
Sollte er sie jedoch nicht zurücknehmen, verspielt er seine Glaubwürdigkeit gegenüber Teheran – ein geschickt hinterhältiger Schachzug der Trump-Strategen.
Diese „Flut“ an Sanktionen wird zusammen mit der israelischen Regierung ausgearbeitet und soll bis zu Bidens Inauguration wöchentlich in neuen Wellen implementiert werden.
„Das Ziel ist es, dem Iran bis zum 20. Januar so viele Sanktionen wie möglich reinzudrücken“, zitiert Axios eine israelische Quelle. Bloomberg schreibt unter Berufung auf ein Interview mit Trumps Sondergesandten für den Iran, Elliot Abrams: „Die [Trump-]Regierung hat daran gearbeitet, ein Geflecht schwer umkehrbarer Sanktionen zu schaffen, das Bidens Bemühungen zunächst behindern könnte.“ Die Iran-Falken um Trump wollen Bidens Iran-Politik präventiv sabotieren.

Andererseits brilliert auch Teheran im Diplomatiespiel und hat im letzten Jahr geschickt Verhandlungsmasse aufgebaut, indem in fünf wohlkalibrierten Stufen mit jeweils zweimonatigem Abstand die wichtigsten operativen Statuten des Iran-Deals ausgesetzt und über die Bestimmungen hinaus Uran angereichert wurde.
Diese Schritte – es kann nicht oft genug wiederholt werden – waren entgegen der Medienberichterstattung im Westen und der Äußerungen hiesiger Politikerinnen und Politiker kein Vertragsbruch seitens des Iran.
Denn: Artikel 36 des JCPOA räumt jeder Vertragspartei das Recht ein, „ihre Verpflichtungen ganz oder teilweise auszusetzen“, sollten sich die anderen Parteien einer „signifikanten Nichterfüllung“ ihrer Verpflichtungen schuldig machen.
Teheran machte bei seinen „Vertragsbrüchen“ also mit Blick auf neue Verhandlungen strategischen Gebrauch dieser Bestimmung.
Zwar ist auch das zu verurteilen, doch kann jeder dieser Schritte in kürzester Zeit umgekehrt werden, etwa indem angereichertes Uran exportiert oder mit nicht angereichertem verdünnt wird.
Es ging Teheran nicht darum, den Weg zur Bombe zu bereiten, sondern darum, die eigene Verhandlungsposition zu stärken.

In seiner CNN-Kolumne forderte Joe Biden vom Iran die „strikte Einhaltung des Nukleardeals“ als Vorbedingung für den Wiedereinstieg der USA, während Teheran der Ansicht ist, Biden sei überhaupt nicht in der Position, irgendwelche Bedingungen zu stellen.
Teheran fordert seinerseits, die USA müssten ohne jegliche Vorbedingungen zurück in den Deal kommen. Auch fordert Teheran eine Entschuldigung seitens der US-Regierung sowie Kompensationen für die negativen Auswirkungen der Trump-Sanktionen – beides wird Biden auf keinen Fall liefern.
Um dennoch seinen guten Willen zu zeigen, müsste er sich in kreativer Diplomatie üben und Teheran subtiler und indirekter entgegenkommen.
Biden könnte rasch für einige Länder die Sonderfreigaben zum Erwerb iranischen Öls wieder in Kraft setzen, Lieferungen humanitärer Güter in den Iran zulassen, Reisebeschränkungen für iranische Bürgerinnen und Bürger lockern und Sanktionen gegen Regierungsbeamte zurücknehmen.
Doch allen voran könnte Biden einen IWF-Kreditantrag in Höhe von fünf Milliarden US-Dollar, den Teheran bereits im März zur Bekämpfung der Coronapandemie beantragt hatte und der von Washington bis heute blockiert wird, endlich freigeben.

Es gäbe also viele Möglichkeiten, wie Biden an den Verhandlungstisch zurückkehrt und beide Seiten dabei ihr Gesicht wahren. All das sollte schnell passieren, mit raschen spürbaren positiven Auswirkungen für die Menschen im Iran.
Denn im Juni sind Präsidentschaftswahlen, bei denen den Hardlinern um Revolutionsführer Ali Khamenei gute Chancen eingeräumt werden.
Ob ein antisemitischer Hetzer vom Schlage eines Ahmadinedschad – der wahrscheinlich erneut antritt – gewinnt oder ein Moderater aus dem Rouhani-Lager, hängt auch davon ab, ob Präsident Rouhani beweisen kann, dass sein Reformkurs Früchte trägt.
Auch wenn viele Hürden genommen werden müssen, um den Iran-Deal wiederaufleben zu lassen, kann gehofft werden, dass Biden das einzige große positive außenpolitische Vermächtnis Obamas wiederherstellt und alles daransetzt, den Deal zu retten.

Was US-Präsidenten in Nahost eben machen

Joe Biden repräsentiert das verkrustete US-Politestablishment wie nur wenige neben ihm – die überparteilichen Seilschaften zwischen Großkonzernen, Wall Street und Politik, die Korruption, die globale Kreise zieht.
Insbesondere die US-Außenpolitik wurde von Biden über Jahrzehnte entscheidend mitgeprägt; zunächst 36 Jahre lang als Senator für Delaware, davon zwölf Jahre im mächtigen Senatsausschuss für Außenpolitik, dem er mehrere Jahre auch vorsaß, und ab 2009 acht Jahre als Obamas Vizepräsident kümmerte er sich stets „proaktiv“ um weltpolitische Belange.
Biden gilt hierbei gewissermaßen als archetypischer Vertreter des liberalen Interventionismus – jener politischen Denkschule, die, salopp formuliert, die Rolle der USA als „Weltpolizisten“ propagiert und diese Rolle darin sieht, dass Washington vorgeblich zur Verbreitung von Freiheit und Demokratie überall auf der Welt Krieg führen müsse.
Politikwissenschaftler Edward Knudsen beschreibt treffend gegenüber monitor: „Joe Biden glaubt ganz gewiss an das, was er Amerikas Führungsrolle nennt. Das bedeutet Vorherrschaft der USA und militärische Intervention.
Er glaubt, Amerika habe das Recht, überall und jederzeit zu intervenieren.”
Im sehenswerten monitor-Bericht wird ebenso wie in einem Gastbeitrag auf Telepolis die große inhaltliche und personelle Nähe von Bidens engstem Beraterkreis zur Rüstungsindustrie und zur militaristischen Washingtoner Thinktank-Blase dokumentiert.

Im Frühjahr legte Biden im Fachblatt Foreign Affairs seine außenpolitische Agenda dar – der treffende Titel des ausführlichen Essays: „Why America Must Lead Again“.
Die Essenz des 12-seitigen Aufsatzes könnte folgendermaßen eingedampft werden: Die Supermacht USA soll bis in alle Ewigkeit die Geschicke dieser Welt lenken.
Andere Demokratien dürfen dies zwar „flankieren“, doch muss jeder Aspekt auf dem Globus von Washington dominiert werden. Sich widersetzende Akteure müssen um jeden Preis unterworfen oder „als letzten Ausweg“ mit Krieg in die Knie gezwungen werden.
Seine Pläne, übrigens auch China zu unterwerfen, klingen derart altbacken, als wären die letzten 30 Jahre Oligopolisierung der Welt einfach an Biden vorbeigezogen.
Seine „außenpolitische Agenda wird die USA wieder an Kopf des Tisches setzen“ – denn runde Tische existieren im Biden-Kosmos nicht.
Diese Arroganz ist – wie es sich für einen Demoraten gehört – stets in die blumig wohligen belanglosen Phrasen des Liberalismus gehüllt: Freiheit, Sicherheit, Transparenz, Menschenrechte. „Demokratie“ und Derivate kommen ganze 42 Mal im Text vor.

Zum guten Ton gehört auch: „Es ist an der Zeit, die endlosen Kriege zu beenden, die die Vereinigten Staaten unermessliches Blut und Reichtümer gekostet haben.“
Dass Biden selbst einer der Architekten des „forever war“ ist, bleibt im Aufsatz geflissentlich unerwähnt.
Bei der völkerrechtswidrigen Invasion des Irak 2003 hatte Kriegsverbrecher George W. Bush Demokraten-seits einen mächtigen Verbündeten in Person von Joe Biden, der schon mindestens fünf Jahre zuvor offen für den Einmarsch warb;
Biden im Außenausschuss des Senats im September 1998 mit einem Lächeln auf den Lippen: „Wir müssen am Ende alleine losschlagen – alleine losschlagen – und es wird Männer in Uniform brauchen wie Sie, die zu Fuß in die Wüste gehen und Saddam ausschalten. Über Jahre hinweg blieb Biden ein Anhänger der Irak-Invasion und stimmte erst unter Obama Töne der Kritik an.

Unter der Obama-Biden-Präsidentschaft sollte sich vom imperialen Großkriegsgehabe der Bush-Administration, unter dem Hunderttausende Truppen fremde Länder überfallen und die US-Flagge in den Boden rammen, verabschiedet werden.
Unter der Obama-Doktrin wurden Kriege dann diskreter geführt, was unter dem Label „light footprint“ bekannt wurde: keine einfallenden Armeen, sondern nächtliche Überfälle von Special Forces; keine Fliegerstaffeln, die Bombenteppiche abwerfen, sondern per Joystick gesteuerte Drohnen, deren permanentes Surren in den Bevölkerungen eben jenen Terror auslösen und verbreiteten, den sie vorgeben zu bekämpfen.
Aus einem dichten Netzwerk aus Spezialeinheiten, kleineren militärischen Kontingenten, privaten Söldnern und Drohnen kann das US-Imperium zu jeder Zeit und an jedem Ort im erweiterten Großraum Naher und Mittlerer Osten zuschlagen – der „forever war“, der endlose Krieg, US-Exzeptionalismus, der Anspruch, jedes Land auf dem riesigen Landstrich vom Senegal in Westafrika bis an die Grenzen des Himalaya bombardieren zu können, die Arroganz, sich anzumaßen, dies auch zu dürfen. Genau diese Arroganz ist nach bald 50 Jahren im US-Politikbusiness fest in Joe Bidens außenpolitischer DNA kodiert.

Während Trump die Doktrin des „light footprint“ von Obama übernahm und an vielen Kriegsschauplätzen eskalierte, wird Biden diese ebenfalls adaptieren.
„Wir können gleichzeitig stark und klug sein“, umschreibt Biden in seinem Essay in Foreign Affairs die anvisierte Strategie, zwar auf großflächige Invasionen zu verzichten, dafür jedoch überall auf ein Netz aus Special Forces zurückzugreifen. „Diese kleineren Missionen sind militärisch, wirtschaftlich und politisch nachhaltig“, plädiert Biden unverhohlen für die Fortführung des „forever war“ in alle Ewigkeit, auch wenn er das toxische Attribut „endlos“ hier ganz im Stile liberal-interventionistischer Wortblumen mit den Euphemismus der „Nachhaltigkeit“ ersetzt.
„Nachhaltig“ – da hallen im Krieg sogar noch grün und Öko mit. Wie er zur Beschreibung von Kriegsmissionen dieses Wort überhaupt aufs Papier bekommt, spricht Bände über die tief verankerte Misanthropie im Bidenschen Weltbild.

Nein, ein Zurück zu neuen großen Kriegen samt Staatstreich und Auslöschen ganzer Länder, ein Zurück zu Afghanistan 2001, Irak 2003 und Libyen 2011 also, halte ich unter Biden für wenig wahrscheinlich bis ausgeschlossen.
Wie seine zwei Vorgänger wird er natürlich Syrien bombardieren, sich jedoch irgendwie mit Assad und Putin arrangieren.
Wie Trump, Obama, Bush jun., Clinton und Bush sen. wird Biden natürlich Bomben auf den Irak abwerfen, doch wird er keine großen Truppenkontingente ins Land verschieben.
Gänzlich neue Konflikte im Großraum Nahost sehe ich ebenso wenig. Viele Länder bleiben auch kaum mehr übrig.
Wen sollten die USA denn schon Neues bombardieren? Turkmenistan? Mauretanien? Und das wahrlich apokalyptische Damokles-Schwert namens Iran-Krieg, das unter Trump permanent über der Region hing, wird unter Biden – wenn alles gut geht – eingeschmolzen.

Die Präsidentschaft Joe Biden wird genau so fad und grau wie die Person Joe Biden. Er ist eben der mitte-rechts Empire-Politiker, der verblendete US-Exzeptionalist, der er seit Jahrzehnten nun einmal ist.
Wie könnte er auch aus seiner Haut? Bei der Frage nach Krieg und Frieden im Großraum Nahost werden wir keine fundamental einschneidenden Entwicklungen in die eine oder andere Richtung sehen.

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Präsident Biden wird in Nahost einfach das machen, was US-Präsidenten in Nahost eben machen: Bomben abwerfen.

*: Mit "Steroiden" ist die offensichtliche Unterstützung durch die Trump-Administration gemeint.
**:  "Dinvestments" Entzug und Abzug von ausländischen Investitionen und Firmenbeteiligungen

Aktueller Kommentar von Oskar Lafontaine

Oskar_LafontaineBereit, die Welt anzuführen – wie bisher mit Mord, Raub und Plünderungen?

Der zukünftige US-Präsident Joe Biden hat angekündigt, dass die USA wieder bereit seien, die Welt anzuführen.
Zudem sei es seine Aufgabe, die Spaltung der USA zu überwinden, die auf die Trump-Regierung zurückzuführen sei.
Wer wünscht sich eigentlich, dass die USA die Welt anführen? Die USA führen Bombenkriege, Drohnenkriege, verdeckte Kriege, Handelskriege und stehen für millionenfachen Tod, Raub und Plünderungen.
Würden die USA ihren Rüstungshaushalt von 732 Milliarden Dollar halbieren und der Welt ein Beispiel geben, wie man Hunger und Krankheit bekämpft, dann hätten sie mit 366 Milliarden immer noch mehr Geld für Waffen und Kriege als China (261 Milliarden) und Russland (65,1 Milliarden) zusammen und könnten das Leben von Milliarden Menschen verbessern.
Auch die Spaltung wird Biden nicht überwinden, weil die auf Raub und Plünderung gründende Wirtschaftsordnung der USA auch zu Zeiten von Obama und Biden zu extremer Ungleichheit führte, die sich in der Corona-Krise weiter verschärft und ihre ganze Brutalität offenbart. Es sterben die Armen – überdurchschnittlich viele Afroamerikaner und Latinos -, Leute, die keine Krankenversicherung haben und einen Arztbesuch nicht bezahlen können. Diese Politik, die mit hoher Wahrscheinlichkeit aufgrund der Machtstrukturen in den USA jetzt weitergeführt wird, hat Trump erst den Boden bereitet.
Es wird zivilisierter in der internationalen Diplomatie zugehen und einige Fehlentscheidungen Trumps werden zurückgenommen.
Aber zur Euphorie besteht nicht der geringste Anlass.

Quelle: Oskar Lafontaine via Facebook

Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.

Jochen

Die gekaufte Grenze – Tunesien mit deutscher Überwachungstechnik

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Deutschland rüstet afrikanische Staaten wie Tunesien mit Überwachungstechnik auf, um Flüchtlinge zu stoppen. Für europäische Konzerne ist das ein Milliardengeschäft.

Von Hauke Friederichs und Caterina Lobenstein

http://www.zeit.de/2016/45/fluechtlinge-grenze-schutz-tunesien-ueberwachungstechnik

Auszüge:

Die wichtigste Grenze der Bundesrepublik Deutschland liegt nicht vor Passau oder Deggendorf. Sie liegt nicht am Rhein, nicht an der Oder, den Alpen oder am Wattenmeer.
Sie liegt weit von Deutschland entfernt, sie führt durch sandige Wüsten, entlang von Küsten mit weißem Strand und türkisblauem Meer.
Deutschlands wichtigste Grenze liegt in Afrika. Frank Vornholt soll dafür sorgen, dass sie gesichert wird.

An einem warmen Oktobertag fährt Vornholt in einem Kleinbus von der tunesischen Hauptstadt Tunis Richtung Südwesten, um nach den Männern zu schauen, die die Grenze bewachen. Er trägt Jeans und Sakko, auf seinem Schoß liegt eine Mappe mit Reiseunterlagen.

Vornholt ist Beamter im deutschen Innenministerium, Referat B4: Internationale grenzpolizeiliche Angelegenheiten.
Jenes Referat, das zurzeit vor allem ein Ziel verfolgt: Es soll der Bundesregierung dabei helfen, Flüchtlinge aus Afrika auf ihrem Weg nach Deutschland zu stoppen.

Tunesien – Deutsche Polizisten bilden tunesische Grenzschützer aus
Video:  //players.brightcove.net/18140073001/c09a3b98-8829-47a5-b93b-c3cca8a4b5e9_default/index.html?videoId=5187246764001hoffe das funktioniert
Allein 2016 hat die Bundespolizei in 66 Missionen Trainer und Ausrüstung nach Tunesien geschickt. Die Grenzschützer sollen Terroristen abwehren, Schmuggler – und Flüchtlinge.

„Die Flüchtlingskrise“, sagt Vornholt, „wird man allein auf dem europäischen Kontinent nicht lösen können.“ Tunesien aber könnte der Schlüssel zu einer Lösung sein.

Nach zwei Stunden Fahrt biegt der Kleinbus in einen Feldweg ein und hält vor einem Tor. Uniformierte Männer salutieren, sie tragen Maschinengewehre. Vornholt ist am Ziel: die Kommandoschule der tunesischen Nationalgarde im Dorf Oued Zarga. Vor dem Schulgebäude weht die tunesische Flagge, daneben Schwarz-Rot-Gold. Hier, mitten in Nordafrika, bildet Deutschland tunesische Grenzpolizisten aus.

Die Grenzer rennen mit vorgereckten Sturmgewehren über das holprige Übungsgelände, geduckt und fast lautlos, nur der Schotter knirscht unter ihren Stiefeln. Sie tragen dunkelgrüne Uniformen, Funkgeräte baumeln an ihren Gürteln, Ferngläser um ihren Hals. Geschmeidig schwenken sie die Gewehre nach rechts, nach links, nach vorn.

„Los, los, los!“, ruft ein Mann mit Safarihut und aufgenähtem Bundesadler an der Schulter. Er ist der Ausbilder hier, ein Polizeioberkommissar aus Sachsen. Mit verschränkten Armen steht er auf dem Platz.
Er pustet in seine Trillerpfeife. Die Tunesier gehen in Deckung. Sie ducken sich hinter rostigen Ölfässern und alten Autoreifen, werfen sich auf den Boden, robben über den Schotter, keuchen, schwitzen und schnaufen. Die Mittagssonne brennt.

Der deutsche Kommissar bringt den tunesischen Grenzschützern bei, wie sie sich und ihre Kameraden vor bewaffneten Feinden schützen. Am Ende der Übung ruft er die Rekruten zusammen. „Ein Superergebnis war das heute“, sagt er. „Weiter so!“

Der große Plan aus dem Innenministerium

Drinnen im Hauptgebäude der Polizeischule sitzt Frank Vornholt in einem Büro mit gepolsterten Türen und schweren Sesseln, neben ihm ein Übersetzer und zwei Bundespolizisten, die seit einem Jahr in Tunesien stationiert sind. Es ist das Büro des Brigadegenerals, der die Schule leitet, ein kleiner Tunesier mit breiten Schultern, in Flecktarnuniform. Über dem Schreibtisch hängen goldgerahmte Urkunden, in einer Vitrine liegen Orden und Ehrennadeln.
Der General schüttelt Vornholt und den anderen die Hände. „Mes amis allemands!“, ruft er: „Meine deutschen Freunde!“ Er reicht Pistazien und geröstete Mandeln, bedankt sich für die Unterstützung aus Deutschland und verspricht: „Bis spätestens 2020 wird an allen Grenzen Tunesiens nach deutschem Standard patrouilliert.“

Frank Vornholt nickt zufrieden.

Mehr als 60 Ausbildungsmissionen hat die deutsche Bundespolizei in diesem Jahr für Tunesien organisiert. Sie hat Trainer und Ausrüstung nach Tunesien geschickt und tunesische Grenzer zur Ausbildung nach Deutschland geholt. Die Tunesier haben gelernt, wie man patrouilliert, wie man gefälschte Pässe erkennt und verdächtige Personen befragt, wie man Nachtsichtgeräte und Wärmebildkameras bedient, wie man die Seegrenzen kontrolliert, wie man Bootsflüchtlinge rettet und Schleuser auf See verhaftet.

Die Ausrüstung liefert Deutschland gleich mit: Lastwagen, Pick-ups und Schnellboote für Patrouillen, Anhänger mit Lichtmasten zum Überwachen der Grenze bei Nacht, Tausende Gefechtshelme und Splitterschutzwesten, Hunderte Schutzbarrieren und Fernrohre, Dutzende Wärmebildkameras und Nachtsichtgeräte.
Bald sollen für die tunesisch-libysche Grenze auch Dingos geliefert werden, gepanzerte Fahrzeuge der Bundeswehr. Außerdem haben die Deutschen den Tunesiern ein Dokumentenprüflabor geschenkt, mit dem sie gefälschte Pässe erkennen können, für rund 250.000 Euro. Die Schnellboote, die Deutschland der tunesischen Küstenwache gratis überlässt, kosten jeweils 300.000 Euro.

Allein in diesem Jahr hat Deutschland einen zweistelligen Millionenbetrag in Tunesiens Grenzschutz investiert. Und das ist erst der Anfang: Die Hilfe soll bis mindestens 2020 weiterlaufen.
Auch Frankreich, Großbritannien und Italien unterstützen Tunesiens Grenzbehörden mit Millionen, ebenso die EU. In den kommenden Jahren will sie unter anderem drei große Kasernen für die Grenzer bauen.

Die tunesische Regierung muss für all das keinen einzigen Cent ausgeben. Die Ausrüstung ist ein Geschenk. Und das Geschenk ist Teil eines großen Plans. Der Plan kommt aus Berlin.

Einen Monat vor seiner Reise nach Tunesien sitzt Frank Vornholt im Büro seines Chefs im Bundesinnenministerium in Berlin-Moabit. Vornholts Chef heißt Helmut Teichmann, er ist Leiter der Abteilung Bundespolizei – die rechte Hand des Innenministers beim Thema Grenzschutz.

Teichmann, ein Mann mit Bürstenschnitt und fester Stimme, legt eine laminierte Landkarte von Nordafrika auf den Tisch. „Die Verhinderung der illegalen Migration beginnt nicht erst an unseren Binnengrenzen“, sagt er, „wir müssen uns auf die Transitstaaten zubewegen.“
Während er das sagt, fährt Teichmann mit dem Zeigefinger die Länder am südlichen Rand des Mittelmeers ab. Einige sind blau eingefärbt: Ägypten, Tunesien, Marokko. Dorthin hat Deutschland Polizeibeamte entsandt, die bei der Bewachung der Grenzen helfen sollen. In Tunis hat die Bundesregierung vor einem Jahr sogar ein Verbindungsbüro für ihre Polizisten eröffnet. Ginge es nach Teichmann, wäre auf dieser Karte bald ganz Nordafrika blau.

Die Bundesregierung will Flüchtlinge stoppen, bevor sie Europa erreichen. „Vorverlagerungsstrategie“ nennt Teichmann das. Die Strategie ist längst zur Staatsräson geworden, europaweit: Spanien und Italien schicken seit Jahren Technik, Trainer und Milliarden von Euro nach Nordafrika, um Migration zu verhindern.

Die EU unterstützt selbst Diktaturen wie den Sudan mit Geld, um Flüchtlingen den Weg zu versperren. Mit etlichen afrikanischen Staaten verhandelt sie Rückübernahmeabkommen, um Flüchtlinge, die es doch aufs Meer geschafft haben, zurück nach Afrika zu bringen.
Eine Schlüsselrolle könnte dabei Tunesien spielen: Die Bundeskanzlerin Angela Merkel regte kürzlich an, mit dem Land einen ähnlichen Deal zu schließen wie mit der Türkei. Die war lange auch ein Transitland für Flüchtlinge. Jetzt hat sie sich verpflichtet, ihre Küsten streng zu bewachen. Und vor allem: Flüchtlinge, die es nach Europa schaffen, wieder zurückzunehmen.

Ein neuer Eiserner Vorhang entsteht

Wegen dieses Deals kommen zurzeit kaum Menschen aus dem Nahen Osten in die EU. Aus Afrika aber fliehen sie weiter. Die meisten von ihnen legen in Libyen ab, Tunesiens östlichem Nachbarstaat. Das Land ist vom Bürgerkrieg zerstört. Es gibt dort keine verlässliche Grenzpolizei, die man ausrüsten, keine stabile Regierung, mit der man Abkommen schließen könnte.

Was aber wäre, wenn die Menschen, die vor der libyschen Küste von europäischen Rettungsschiffen geborgen werden, künftig nicht mehr nach Italien gebracht würden, sondern nach Tunesien?

Eigentlich hat Tunesien kein Interesse daran, Fremde ins Land zu lassen. Das Land wird von Terroristen des „Islamischen Staates“ (IS) bedroht, die Arbeitslosigkeit ist hoch.
Doch auch die Türkei hatte sich anfangs gegen ein Flüchtlingsabkommen gesperrt. Dann versprach die EU Geld und politische Zugeständnisse. Schließlich willigte die türkische Regierung ein.
© ZEIT-Grafik

Teichmann tippt auf die Nordafrikakarte. „Die EU müsste bereit sein, auch Länder wie etwa Tunesien für die Aufnahme von Flüchtlingen finanziell großzügig zu unterstützen“, sagt er.

Mitte Oktober trafen sich die Staats- und Regierungschefs der EU, um zu beraten, wie sie Menschen, die aus Afrika nach Europa fliehen, aufhalten könnten.
Sie legten fest, dass Länder, die Flüchtlinge zurücknehmen und ihre Grenzen gut bewachen, mehr Entwicklungshilfe bekommen sollten. Jenen Staaten, die das nicht tun, soll Geld gestrichen werden.

Ein neuer Eiserner Vorhang entsteht vor den südlichen Toren Europas. Beschlossen haben ihn die Staats- und Regierungschefs der EU. Errichtet wird er unter anderem von europäischen Rüstungskonzernen, nicht nur in Tunesien. Das französische Unternehmen Thales etwa hat an 25 afrikanische Staaten ein elektronisches System für Passkontrollen geliefert, zum Teil subventioniert von der EU.
Der italienische Konzern Leonardo-Finmeccanica produziert Aufklärungsflugzeuge für die Seeüberwachung in Nordafrika, Rheinmetall baut in Afrika eine Fabrik für Panzerwagen auf, mit denen man an der Grenze patrouillieren kann.
Auch die Rüstungssparte des Airbus-Konzerns, der zu gut elf Prozent dem deutschen Staat gehört, verdient an den neuen Grenzen. Im vergan-genen Jahr hat die deutsche Regierung etliche Airbus-Produkte an die tunesische Grenzpolizei verschenkt: Nachtsichtgeräte vom Typ Night Owl M, Wärmebildkameras, Hightechfernrohre und Radarsysteme.
Früher verdienten die Rüstungskonzerne an der Grenze zwischen Ost und West. Heute verdienen sie an der Grenze zwischen Nord und Süd.

Ob sich Tunesien darauf einlässt, die Flüchtlinge, die in Libyen starten, für Geld und Geschenke an seine Küste zu holen, ist noch nicht klar. Die Grenzschutzausrüstung der Deutschen nimmt die tunesische Regierung aber schon einmal dankend an – vor allem um sich vor Terroranschlägen zu schützen. Kämpfer des IS hatten im vergangenen Jahr an einem Badestrand in Sousse und in einem Museum in Tunis um sich geschossen, seitdem fürchtet das Land weitere Angriffe. Bei den Anschlägen kamen vor allem Urlauber ums Leben.
Nun liegt der Tourismus brach, einer der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes, die Strände sind fast leer. Im März dieses Jahres fielen dann auch noch mehr als 60 IS-Kämpfer in die tunesische Grenzstadt Ben Gardane ein. Sie kamen aus Libyen. Deshalb errichten die USA an der tunesisch-libyschen Grenze nun eine moderne Grenzanlage. Deutschland steuert die Technik für ein mobiles Überwachungssystem bei.

Tunesien hat in Deutschland einen wichtigen Partner im Kampf gegen den Terror gewonnen – und Deutschland hofft auf einen verlässlichen Helfer bei der Abwehr von Flüchtlingen. Während vor einigen Jahren noch Tausende Menschen von der tunesischen Küste ablegten und in kleinen Holzbooten nach Europa fuhren, wagt heute kaum mehr jemand die Überfahrt. Grenzschützer patrouillieren vor der tunesischen Küste. Darauf hatten anfangs vor allem die Italiener gedrängt und Geld dafür gegeben.
Nun aber unterstützt auch Deutschland die Offiziere der tunesischen Küstenwache.

In der Neustädter Bucht an der deutschen Ostseeküste kann man ihnen beim Training zuschauen. An einem kalten Oktobermorgen preschen dort zwei rote Schnellboote über die Wellen. Der Himmel ist dunkelgrau, der Nieselregen kommt von der Seite. Auf den Schnellbooten stehen tunesische Grenzschützer, sie tragen die dunkelblauen Regenanzüge der deutschen Bundespolizei, die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen. Sie halten auf ein Schiff zu, das wenige Meter vor ihnen fährt. Der Außenborder röhrt, es riecht nach Benzin, dann prallt die Gummischnauze des Schnellboots gegen die Bordwand. Der Tunesier am Steuer hebt die Hand, die anderen schwingen sich über die Reling, stürmen das Schiff. Dort kriegen sie einen Mann zu fassen, drücken ihn an die Wand, fesseln seine Hände mit Handschellen. Dann tragen sie den Gefangenen vom Schiff, hieven ihn auf das Schnellboot und drehen wieder ab.

Tunesien wird zur Türkei Nordafrikas

Hier, im Maritimen Trainingszentrum der Bundespolizei in Neustadt in Holstein, üben die Tunesier, wie man feindliche Boote entert, Boote von Menschenschmugglern zum Beispiel. Zwei Wochen werden sie kostenfrei unterrichtet, dann fliegen sie zurück nach Tunesien.

Mithilfe der Bundespolizei soll Tunesien zur Türkei Nordafrikas werden, zum vorgelagerten Grenzposten der Bundesrepublik. Bis vor Kurzem hatten sich die Polizeiausbilder vor allem um die Unterstützung der Sicherheitsbeamten in Afghanistan gekümmert, auch Frank Vornholt war mehrmals in Kabul, er hat dort Generäle beraten.
Damals hieß es, Deutschlands Sicherheit werde auch am Hindukusch verteidigt. Heute müsste der Spruch anders lauten: Deutschlands Grenze wird auch am Mittelmeer geschützt.

Noch immer wagen jeden Monat Tausende Menschen die gefährliche Fahrt übers Mittelmeer, sie fliehen vor Kriegen, Gewalt und Armut. Vor wenigen Wochen wurden auf der Route von Libyen nach Italien an einem einzigen Tag mehr als 6.000 Flüchtlinge aus dem Wasser geborgen und nach Italien gebracht, so viele wie nie zuvor.
Mehr als 3.000 Menschen sind allein in diesem Jahr auf der Route gestorben – ebenfalls so viele wie noch nie.

Helmut Teichmann, der Abteilungsleiter aus dem Innenministerium, glaubt, dass noch viel mehr Menschen fliehen werden. Er blickt auf die Landkarte von Nordafrika und setzt den Zeigefinger auf einen Staat südlich von Tunesien: Niger. „In Niger hat im Schnitt jede Frau über sieben Kinder“, sagt er. „Der Kontinent explodiert bevölkerungsmäßig.“
Auch deshalb, sagt Teichmann, würden künftig mehr Afrikaner nach Europa aufbrechen, mag die Überfahrt noch so gefährlich sein. „Solange die Tür auch nur ein Stück breit aufsteht, werden sie es versuchen.“

Teichmann soll diese Tür schließen. Deshalb schickt er den Beamten Frank Vornholt nach Tunesien.

Während seiner Reise dort spricht Vornholt mit Offizieren der Grenzpolizei und mit Beamten des tunesischen Innenministeriums. Er schüttelt Hände, klopft auf Schultern, trinkt höflich den bitteren Kaffee, den ihm die Tunesier in verzierten Tässchen servieren. Er besucht das Verbindungsbüro der Bundespolizei in Tunis, einen Wachposten an der tunesisch-algerischen Grenze und eine Polizeidienststelle in der Provinz Jendouba.
Die Dienststelle ist ein zerfallener Kolonialbau mit bröckelndem Putz und zersplitterten Fliesen. Drinnen steht ein Sofa, aus dem der Schaumstoff quillt, draußen picken Hühner im Staub. Im kommenden Jahr soll das Gebäude renoviert und vergrößert werden. Die Kosten von rund 900.000 Euro trägt der deutsche Staat.

Jochen

Das Ende der Arroganz: Die „Realpolitik“ des Westens ist gescheitert

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Es folgen nun in den nächsten Tagen einige längere Beiträge zur aktuellen Vorbereitung eines völkerrechtswidrigen*) Angriffskrieges durch die Bundesregierung gegen das Land Syrien.
Ich möchte die Sachkundigen unter Euch auch dazu auffordern, darüber nachzudenken, ob das eine Strafanzeige gegen die Verantwortlichen Merkel, v.d.Leyen und Steinmeier sowie eine Anzeige beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag nach sich ziehen sollte.
Hier zunächst ein nachdenklicher, grundsätzlicher Artikel aus der „Zeit„, der für den Autor eine bisher ungewohnte Nachdenklichkeit ankündigt – bis auf den obligatorischen Tritt nach Putin am Ende des Artikels. So ein Kotau wirkt wie in der DDR das Marx-Zitat zur Überwindung der Zensur.
Dort auch lesenswerte Kommentare:
http://www.zeit.de/2015/47/muslime-islam-westen-umgang/komplettansicht
Auszüge:

Kolonialismus, Interventionen, Krieg gegen den Terror: Die „Realpolitik“ des Westens ist gescheitert. Wir müssen unser Verhältnis zu den Muslimen grundlegend ändern.

Von Bernd Ulrich
Der Westen ist traurig und verzweifelt über die Toten von Paris und zeigt es auch. Das ehrt ihn, das ehrt uns.
Der Westen ist auch traurig und verzweifelt darüber, dass er nicht weiß, was er nun tun soll. Das zeigt er nicht, sondern versteckt sich hinter martialischen Gesten.
Das ehrt ihn nicht, und es ist gefährlich.

Aus Angst Krieg?

Die Rede ist von Krieg. Aber führen Europäer und Amerikaner nicht schon seit vierzehn Jahren ununterbrochen Krieg im Mittleren Osten?
Hat die französische Luftwaffe nicht auch vor dem 13. November schon Bomben geworfen?

Nun soll es ein neues Bündnis mit Russland gegen den IS geben. Aber kämpfen die Russen nicht bereits in Syrien? Und wenn sie bisher nicht gegen den IS, sondern ausschließlich für Assad kämpfen, warum sollten sie das nun ändern?

Der französische Präsident will fortan „gnadenlos“ die Terroristen jagen, man kann das verstehen, er ist wütend, und er meint jetzt, Härte zeigen zu müssen. Aber hat Frankreich, hat der Westen irgendwann zu viel Gnade walten lassen in Nordafrika? Sind die Invasionen in Afghanistan und im Irak oder die Intervention in Libyen im Chaos geendet, weil der Westen zu rücksichtsvoll war?

Anders als der Westen hat der IS einen Plan: Er will Europäer, Amerikaner und neuerdings auch Russen zu möglichst massiven Gegenschlägen provozieren, sie alle so tief wie es irgend geht hineinziehen ins Chaos; der IS giert danach, aus der Luft attackiert zu werden, weil er um die Kollateralschäden weiß, die dann entstehen. Und er weiß, dass jeder Kollateralschaden sein Kollateralnutzen ist. Bomben töten Terroristen – und schaffen neue.
In dieser Woche berichtete der Guardian, dass amerikanische Drohnen in Pakistan oft mehr als zwanzig Mal so viele Menschen töten wie beabsichtigt.

Wenn aber der IS Luftschläge will, wieso sollen dann Luftschläge gegen den IS helfen?

Kurz nach den Attentaten von Paris saß der Westen beim G-20-Gipfel in Antalya zusammen mit dem islamistischen Regime aus Saudi-Arabien, um gemeinsam mit ihm den islamistischen Terror zu bekämpfen. Man kann so etwas Verqueres natürlich versuchen, Islamisten mit Islamisten zu bekämpfen. Allerdings, man probiert es jetzt schon seit Jahrzehnten. Herausgekommen ist erst Al-Kaida, mit dem Saudi Osama bin Laden an der Spitze. Und dann der aus saudischen Quellen mitgenährte „Islamische Staat“.
Die Brookings Institution hat in diesem Jahr die Zahl der twitternden Unterstützer des IS gezählt. Ergebnis: Die mit sehr weitem Abstand meisten Anhänger des IS kommen aus: Saudi-Arabien.

Wie oft will man noch probieren, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben?

Vierzehn Jahre Krieg gegen den Terror – und was ist herausgekommen? Mehr Krieg, mehr Chaos, mehr Terror.
Wo vorher Al-Kaida war, ist nun der noch mächtigere und brutalere IS. Wo vorher Staaten Terroristen beherbergten, zerstören Terroristen nun Staaten.
Außerdem gibt es jetzt etwas, das es vor Beginn dieses gloriosen Kampfes gegen den Terror so nicht gegeben hat: Abermillionen Flüchtlinge, die nach Europa wollen.

Und nun alles noch einmal? Wie von Sinnen versucht der Westen erneut, mit dem Vorschlaghammer ein Ei zu pellen.

Wäre es nicht vielmehr an der Zeit, die westliche Strategie im Mittleren Osten, ja unser ganzes Verhalten gegenüber der islamischen Welt einmal gründlich auf den Prüfstand zu stellen?
Und sich die tief beunruhigende Frage zu stellen, warum so viele Muslime sich vom Westen verletzt und gedemütigt fühlen und warum es für den Terrorismus infolgedessen ein offenbar unerschöpfliches Reservoir an Menschen gibt?

Ist eine westliche Realpolitik auch nur Ideologie?

Man sollte sich nämlich keinen Illusionen hingeben. Selbst wenn es gelingen sollte, die Lage in Syrien etwas zu beruhigen und den IS ein wenig zurückzudrängen – noch hat die arabisch-islamische Welt den Höhepunkt ihrer destruktiven Entwicklung nicht erreicht.
Algerien beispielsweise, das heute vom greisen Abdelaziz Bouteflika regiert wird, könnte jederzeit ins Chaos stürzen, wenn der Diktator stirbt.
Auch Saudi-Arabien ist alles andere als stabil, nicht nur, weil der Ölpreis im Keller ist. Der kostspielige Krieg, den die islamistische Diktatur im Jemen führt, hat in Riad schon jetzt schwere Machtkämpfe zur Folge. Wie lange hält dieses Regime noch? Zwei Jahre? Fünf?

Es kann also noch viel schlimmer kommen.

Ob es so kommt oder ob eine Wende in dieser Region möglich ist, hängt gewiss nicht allein von Amerikanern und Europäern ab. Jedoch tragen sie viel dazu bei, so oder so. Darum lohnt es sich, eine ehrliche Bilanz der westlichen Politik im Mittleren Osten zu ziehen. Und zu überlegen, wie ein ganz neuer Ansatz im Verhältnis zu den Muslimen aussehen könnte. Beginnen wir mit der Kritik.

„Too big to learn“ – Realpolitik als Ideologie

So fest stecken Amerikaner und Europäer in der Ideologie einer vermeintlichen „Realpolitik“, dass sie die Realität oft nicht mehr sehen. Generationen von Politikern und Journalisten wurden durch diese Denkschule geprägt; wird sie nun nicht überwunden, droht der Kampf gegen den Terror ebenso zu misslingen wie die viel beschworene Bekämpfung der Fluchtursachen.

Ist Realpolitik eine Ideologie? Es gibt natürlich echte, gute Realpolitik, die vom Ende her denkt, die zwar an den eigenen Werten orientiert ist, sich davon aber nicht wegtragen lässt, die genau hinschaut, die sorgsam ihre Mittel wägt, die das Gutgemeinte nicht schon für das Gutgemachte hält. Eine solche Realpolitik kam jedoch im Mittleren Osten so gut wie nie zur Anwendung. Stattdessen mutierte die „Realpolitik“ des Westens dort zu einer gefährlichen Ideologie.

Wichtigstes Kennzeichen einer Ideologie ist nach der Definition von Karl Popper, dass sie nicht falsifizierbar, also nicht widerlegbar ist.
Tatsächlich arbeitet die westliche „Realpolitik“ im Mittleren Osten mit Hypothesen und Methoden, die bei ihrer Anwendung auf die Araber und Perser niemals widerlegt werden konnten. Dafür waren die Kräfteverhältnisse immer zu ungleich. Fehler von Briten, Franzosen oder Amerikanern wurden nie wirklich bestraft, vielmehr konnten sie stets durch neue, noch größere Fehler, durch Ins-gegenteilige-Extrem-Umschlagen, durch noch imposantere Interventionen zum Verschwinden gebracht werden.

Beispiel Afghanistan: Mitte der achtziger Jahre haben die Amerikaner dort die sogenannten Mudschahedin aufgerüstet, auf dass sie gegen die sowjetische Besatzung kämpften. Dann, nach dem Untergang des Sowjetreiches, überließ man sie ihrem Schicksal. Die schwer bewaffneten Mudschahedin errichteten daraufhin eine Gangster-Herrschaft ohne jede politische oder religiöse Legitimation.
So lange, bis die Taliban große Teile Afghanistans eroberten und schließlich Al-Kaida die Chance gaben, von dort aus die Angriffe auf das World Trade Center vorzubereiten, weswegen der Westen mit einem gigantischen Militärbündnis einmarschierte.
Westliche Soldaten stehen heute noch da – aber die Taliban sind wieder auf dem Vormarsch. Lerneffekt: null.

Beispiel Irak: Anfang der achtziger Jahre rüsteten die Amerikaner Saddam Hussein auf, damit er gegen den Iran Krieg führen konnte, wo die bärtigen Ajatollahs die Macht übernommen hatten. Den Krieg hat er dann weder gewonnen noch verloren, aber er kostete ungeheuer viel Geld, weswegen er sich das kleine, ölreiche Kuwait einverleibte, woraufhin die USA in ihren ersten Irakkrieg zogen, Saddam aus Kuwait hinauswarfen, ihn aber an der Macht ließen. Später, im Jahre 2003, marschierten sie – aus Gründen, über die noch zu sprechen sein wird – erneut und mit noch größerer Militärmacht ein, um ihren in Ungnade gefallenen Verbündeten zu stürzen.

Fehler werden also nicht korrigiert, sie werden ins Quadrat gesetzt. Westliche „Realpolitik“ im Mittleren Osten funktioniert nach dem Motto: Warum falsifizieren, wo man auch eskalieren kann.

Nur die Geste zählt – Realitätsverlust der „Realpolitik“

Weil die „Realpolitik“ des Westens über so immense Mittel verfügt, muss sie sich um die Realität nicht wirklich kümmern, sie kann sie ja jederzeit auch zusammenschießen, wegputschen, aufkaufen oder ihr einfach den Rücken kehren. Das ist aber nur ein Grund für den häufigen Realitätsverlust der „Realpolitik“.
Der andere liegt in der wirkungsvollsten Pose. Denn in Wahrheit fühlt sie sich nicht da besonders stark, wo sie akribisch und geduldig die Gegebenheiten eines Landes und ihrer Menschen studiert hat, um hernach etwas zu tun, was zwar den westlichen Werten und Prinzipien ein klein wenig widerspricht, aber der Sache und den eigenen Interessen dient.

Ein mörderisches Pilotspiel des Westens

Oft ist es umgekehrt: Nicht die Nähe zur Realität gibt der „Realpolitik“ ihre Gewissheit, sondern die Entfernung von den eigenen Werten und Regeln. Je weiter weg von den Idealen, so der Fehlschluss, desto näher am Realen. Das wiederum liegt am männlichen Gestus der „Realpolitik“, die, wenn es ernst wird, immer signalisiert: Pfaffen und Weiber bitte mal weggucken, jetzt kommen die wirklich harten Jungs und regeln die Sache.
Das ist magisches Denken. Natürlich regeln sie meistens nichts.

Hier liegt eine wichtige Weisheit: Wer sich von den eigenen Werten allzu weit entfernt – und zugleich an den Belangen der betroffenen Araber und Perser chronisch desinteressiert ist –, der verliert den Sinn für Wirklichkeit und Verhältnismäßigkeit.
Was eigentlich nicht verwundern sollte, weil unsere Werte und Ideale schließlich nicht auf einem Kindergeburtstag ersonnen wurden, sondern das Produkt jahrhundertelangen Kämpfens, Nachdenkens, Probierens und Verwerfens sind, sie stellen die Lehre dar, die wir aus Millionen Litern sinnlos vergossenen Blutes destilliert haben.

Wie viele Tote für wie viel Öl? – Die „Realpolitik“ als Pilotspiel**)

Fehlende Verhältnismäßigkeit sowie die Gewohnheit, Fehler unter noch größeren Fehlern zu begraben, haben aus der „Realpolitik“ im Mittleren Osten ein Pilotspiel gemacht. Nehmen wir hier nur einige Stränge heraus, die verdeutlichen, wie dieses Spiel funktioniert und wieso es in seine Schlussphase eingetreten ist.

Von Afghanistan war schon die Rede, wo in einer für das Agieren des Westens typischen Mischung aus Interventionismus und Gleichgültigkeit ein immer größerer Mitteleinsatz nötig wurde, um die Fehler aus der je letzten Runde zu beseitigen. Auch der Irak stellt, wie gesehen, ein solches Beispiel dar.

Besonders eklatant ist jedoch, was der Westen im Iran angerichtet hat. Im August 1953 wurde die demokratisch gesonnene Regierung unter dem Premier Mossadegh vom amerikanischen und britischen Geheimdienst gestürzt. Der Grund: Er wollte für die Iraner einen höheren Anteil am Gewinn aus den Ölfeldern erzielen.
Im Interesse westlicher Ölkonzerne wurde daraufhin Mohammed Reza Pahlevi an die Macht geputscht. Der wurde Schah genannt, war aber einfach ein säkularer Diktator, der die religiösen Gefühle seiner Landsleute buchstäblich mit Füßen trat und eine Verwestlichung des Irans durchsetzte – minus Demokratie und Menschenrechte, plus Folter und allmächtigem Geheimdienst.

1979 endete seine aggressiv-säkularistische Herrschaft folgerichtig mit einer islamistischen Revolution, angeführt von Ajatollah Chomeini.
Um dessen Einfluss wiederum einzudämmen, unterstützten die USA den Krieg von Saddam Hussein gegen den Iran. In diesem grauenvollen Stellungskrieg fielen auf seiten des Irans bis zu 800.000 Männer und Jungen. Ein ungeheurer Blutzoll, der die Mullahs stabilisierte und den Iran zu einem Todfeind der USA machte.
Als dann die USA zweimal in den Irak einmarschierten, um ihren ehemaligen Kameraden Saddam erst unter Kontrolle zu bringen und später zu stürzen, stärkte das wiederum den Iran, diesen Feind des Westens.
Infolgedessen fühlte sich das ebenfalls islamistische, aber sunnitische Saudi-Arabien herausgefordert dagegenzuhalten. Die Kooperation der Islamisten von Riad mit dem Westen wurde und wird vom dortigen Regime in einer Art Ablasshandel durch den massiven Export islamistischer Ideologie in die ganze Region kompensiert.
So wurde der religiöse Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten durch den Westen scharfgemacht, mit Waffen und Geld aufgeladen, um sich dann in die ganze Region auszubreiten. Der IS ist dabei nur eine von vielen indirekten Nebenwirkungen dieses westlichen Gebarens.

Das Grundmuster des mörderischen Pilotspiels wird am Beispiel Iran besonders deutlich: Was mit dem banalen Profitinteresse westlicher Ölkonzerne und einer Geheimdienstaktion begann, eskalierte zu einem verheerenden Krieg mit fast einer Million Toten, gebar sodann zwei weitere Kriege mit direkter Beteiligung des Westens und ist mit der beginnenden Destabilisierung Saudi-Arabiens und der Ausbreitung des IS womöglich noch nicht einmal an seiner Klimax angekommen.

Wenn man die anderen Stränge des Pilotspiels „Realpolitik“ dazunimmt, also die afghanische Eskalation, die syrische, die libysche und so weiter, wenn man sich vorstellt, wie all diese Konflikte sich gegenseitig durchdringen und befeuern, dann wird schließlich klar, an welcher Stelle wir uns befinden: da, wo auch der mächtige, reiche Westen den Mitteleinsatz nicht weiter erhöhen kann. Das Pilotspiel ist in seine letzte Phase eingetreten.

Die Schuld der USA und das Versagen der „checks and balances“

Viele fragen sich im Angesicht der Millionen Flüchtlinge aus Arabien und des dort um sich greifenden Chaos, warum sich die Amerikaner, die ja die westliche Politik im Mittleren Osten zuletzt dominiert haben, für ihr Versagen nicht schämen, warum sie nicht darum bitten, durch die Aufnahme der ein oder anderen Flüchtlingsmillion ein wenig Wiedergutmachung zu üben.

Wenn aus der „Realpolitik“ Kolonialismus wird

Der Grund ist verblüffend einfach: Es gibt in dieser Frage keine Amerikaner, sondern nur Republikaner und Demokraten. Und dann machen halt die Demokraten die Regierung von George W. Bush mit ihren Invasionskriegen für all das verantwortlich, während die Republikaner Präsident Obama wegen seiner Rückzüge und der verwischten roten Linien attackieren.
Nur dass irgendetwas grundlegend falsch sein könnte an der gesamten US-Politik im Mittleren Osten, dieser Gedanke kommt ernstlich nicht auf.

Besonders sinnfällig wird das an jenem Familienstreit, der zurzeit die Präsidentschaftskandidatur von Jeb Bush begleitet. War die zweite Invasion des Iraks durch George W. Bush gar keine Realpolitik, sondern nur wild gewordene Gesinnung? Das behauptet nun dessen Vater George Bush senior, der zwölf Jahre zuvor in seinem wegen Kuwait geführten Irak-Krieg auf den Sturz des Diktators verzichtet hatte.

Diese Kritik des Vaters am Sohn, der sonst wirklich alle Kritik verdient hat, ist ungerecht. Ein Ideologe und heißblütiger Idealist war George W. Bush von seiner Natur her sicher nicht. Dass er dennoch auf Ideologen wie Dick Cheney gehört hat, lag an der logischen Stelle, an der er sich im Pilotspiel Mittelost befand. Wenn eine Politik wie die seines Vaters – auf halbem Wege stehen bleiben – zu 9/11 führt, dann muss man danach eben etwas anderes machen: den ganzen Weg gehen. Wenn eine von der Geheimdienstaktion über den Stellvertreterkrieg bis zur Bodenoffensive sich steigernde, also immer höher gepokerte Stabilitätspolitik keine Sicherheit für das amerikanische Territorium bringt, dann vielleicht der totale Umsturz, so wird der Junior gedacht haben.
Den Zugzwang, unter dem er sich wähnte, hat er aber von seinem Vater nur geerbt. Folglich hat sich der Sohn keineswegs an den realpolitischen Vorgaben seines Vaters vergangen, er hat sie vielmehr ausgebadet.

Bush junior wollte das Pilotspiel beenden, indem er es gewinnt, doch hat er es nur auf eine noch gefährlichere Stufe gehoben.

Die USA sind zu einer grundlegenden Kritik ihrer eigenen Mittelostpolitik unfähig, während ihre europäischen Partner entweder zu ähnlich denken wie sie (Großbritannien) oder zu friedfertig sind (Deutschland), um eine echte Debatte anzuzetteln. Und so ging dem Westen der Zugang zu einer seiner wichtigsten Kulturtechniken verloren – zu den checks and balances.

Der Kolonialismus kehrt heim – Untergang der „Realpolitik“

Lassen wir alle moralischen Fragen einmal beiseite, so muss man gleichwohl konstatieren: Die westliche „Realpolitik“ ist am Ende ihrer Möglichkeiten angekommen.
In ihrem Werkzeugkasten wurden alle Instrumente in jeder beliebigen Kombination auf so gut wie jedes Land im Mittleren Osten angewendet: Geheimdienstaktionen, Drohnen, Invasionen, Stellvertreterkriege, Korruption, Waffenlieferungen, Bombardements, Sanktionen, Stabilisieren oder Stürzen von Diktatoren.

Skrupel spielten kaum je eine Rolle, doch stellt sich neuerdings heraus: Reine Interessenpolitik dient nicht mal mehr unseren Interessen.

Auch darum ist die „Realpolitik“ am Ende, denn sie braucht Entfernung, sie muss ihre Objekte in einem weitgehend abgeschlossenen Bestiarium halten.
Nähe verstört „Realpolitik“, weil sie dann mit den Konsequenzen am eigenen Leib konfrontiert wird. Auch darum war 9/11 so ein Schock und wurde mit einer weiteren, vielleicht letzten Explosion der herkömmlichen Politik beantwortet – allerdings mit dem Effekt, dass in der zweiten Runde die Flüchtlinge kamen. Der Kolonialismus kehrt nun heim, die Flüchtlinge bringen ihn dahin, wo er herkam.

Was machen wir jetzt? Aufgeben? Das läge uns nahe. Die Geschichte des Mittleren Ostens wird bei uns gern so erzählt, dass diesen verfluchten Arabern mit ihrer unseligen Religion einfach nicht zu helfen ist. Zentrales Argument für diese These ist heutzutage die Arabellion, die ja „auch nichts gebracht hat“. Ist das nicht etwas vorschnell und anmaßend? Schließlich handelte es sich bei den Aufständen lediglich um verzweifelte, erstmals auf breiter Fläche entflammende Befreiungsversuche in einer durch schlechtes Regieren völlig heruntergewirtschafteten, an Demokratie nicht gewöhnten Region. Besser hätten womöglich nicht mal wir Helden der Demokratie es so einfach hingekriegt.

Unsere Kriege überschatten die guten Taten

Man kann das Scheitern westlicher Politik aber auch als Chance betrachten. Denn ob den Muslimen tatsächlich nicht zu helfen ist, wie man jetzt gern stöhnt, das können wir nicht wissen, denn wir haben es noch nie ernstlich probiert.

Zweifellos braucht der Westen einen neuen, einen zweiten Werkzeugkasten. Und eine neue Hypothese: Muslime sind Menschen wie du und ich, Realpolitik muss sich damit anfreunden.

Die Schuld der Araber und der Beitrag des Westens

Ja, es stimmt, der Islam ist, wie jede andere Religion, mit Hass aufladbar, vielleicht sogar mehr als andere Religionen. Aber ob er sich so auflädt, dass er zu Islamismus wird und gar zu islamistischem Terror, das hängt doch sehr von den Umständen ab. Und damit auch von uns.

Ja, es stimmt, die Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten birgt seit jeher kriegerisches Potenzial, aber es gab immer wieder auch Phasen, in denen die beiden großen islamischen Religionsgemeinschaften recht friedlich miteinander lebten.

Ja, es hat schon Stammeskriege in Arabien gegeben, bevor der Westen seine willkürlichen Linien in den Sand gezogen hat. Es ist daher keineswegs sicher, dass im leicht entzündlichen Mittleren Osten alles besser wird, sobald der Westen es besser macht.
Man kann auch lange darüber streiten, wie hoch der muslimische und wie hoch der westliche Anteil an der Misere ist, 60/40 oder 40/60? Aber was soll das bringen?

Fest steht zweierlei: Zum einen können wir eher unser Verhalten ändern als das der anderen.
Zum Zweiten: Wenn ohnehin schon so viel Gift in Arabien und Persien steckt, kann niemals etwas daraus werden, wenn wir unser Gift auch noch weiter mit hineinspritzen. Und das haben wir in den letzten 100, 50, 20 und zwei Jahren getan.

Keine Frage, es hat auch positive Ansätze gegeben. Da war die Entwicklungshilfe, da waren die Versuche, in Afghanistan Brunnen und Schulen zu bauen, da gab es eine humanitär gemeinte Intervention in Libyen sowie den Versuch, den Sudan durch Teilung zu heilen, und vieles mehr. Aber all das war zumeist halbherzig, ungenau, ungeduldig; insgeheim diente die gute Tat weniger den Arabern als uns und unserem flüchtigen Gewissen.

Nichts davon konnte das Bild, das die Menschen da unten vom Westen haben, wirklich aufhellen. Dafür sprachen die anderen, die massiveren Interventionen eine zu klare Sprache: dass uns das Leben eines Muslims nicht viel wert ist, dass ein Wort kein Wort ist und ein Vertrag kein Vertrag, eine Freundschaft keine Freundschaft.
Millionen Tote können nicht durch Brunnenbauen vergessen gemacht werden. Ganz offenbar trauen die Menschen in Arabien und im Iran dem Westen nicht, auch seine guten Worte und besten Taten subsumieren sie nur unter eine Geschichte von Rassismus und Imperialismus. Und was das Schlimmste ist: Sie haben nicht ganz Unrecht. Selbst der gelegentliche Export von Freiheit (wenn es grad passte) musste auf die Araber wirken wie ein Geschoss, nicht wie eine Einladung. Der Westen, der daheim die Demokratie lebt, tritt global zumeist als übler Autokrat auf.

Die große Frage ist darum kaum noch, ob der Westen eine grundlegend neue Politik gegenüber den Muslimen finden muss, sondern vielmehr: Wieso sollten sie uns glauben?

Die Willkommenskultur ist der effektivste Feind des Terrors

Bisher haben die Würde, Sicherheit und Menschlichkeit der Muslime den Westen kaum interessiert, bestenfalls waren sie eine Dreingabe, meistens nicht einmal das. Dies hat sich mit dem historischen Jahr 2015 geändert. Denn die Millionen von Flüchtlingen stellen uns vor die Alternative: Entweder wir helfen ihnen in bisher nie gekannter Weise bei der Verbesserung ihrer Lebensumstände in ihrer Heimat – oder sie kommen und bleiben. Das große Teilen hat begonnen, die Fließrichtung der Geschichte zwischen Europäern und Arabern hat sich umgekehrt.

Vielen in Europa macht das verständlicherweise Angst, sie träumen sich zurück in die Abschottung früherer Tage, wir hier oben, die da unten. Doch das wird es nicht wieder geben, weil das Pilotspiel zu Ende und die Geduld zu vieler Araber aufgebraucht ist.

Willkommenskultur ist eine Chance zur Versöhnung

Also muss man diese ungeheure Chance nutzen, um die Muslime und den Westen zu versöhnen.
Endlich werden Araber in großer Zahl von Europäern, von Christen besser behandelt als von ihresgleichen.
Darin liegt der politische Kern der Willkommenskultur: Was wir hier mit den Arabern machen, wird das Bild, das sie in der Region von uns haben, prägen. Das ist eine heikle Aufgabe und eine riesige Chance. Die braucht übrigens Zeit.
Dass drei Länder in Europa seit drei Monaten Flüchtlingen mit einem freundlichen Gesicht und warmen Kleidern begegnen, verändert noch nicht die Welt. Es ist ein Anfang, ein fragiler dazu.

Wegen dieser historischen Aussichten wäre es äußerst kurzsichtig, nun zu versuchen, das leidlich freundliche Willkommen wieder in eine Abschreckungskultur zu verwandeln. Sollte diese Chance zur Versöhnung verspielt werden, entsteht so viel neue Wut, dass wir sie militärisch und geheimdienstlich nicht wieder einfangen können.

Unsere Muslime und der Untergang der DDR

Eines der größten Dilemmata des Westens bestand zuletzt darin, dass sich die Diktatoren oft nicht mehr stabilisieren ließen, dass ihr Sturz jedoch auch nur Chaos erzeugt hat, die Lage sich also nicht wirklich verbesserte. Daraus kann man nur eine Lehre ziehen: Wir sollten von beidem die Finger lassen, vom Stürzen und vom Stabilisieren.

Wie man trotzdem Einfluss nehmen kann, das zeigt die deutsch-deutsche Geschichte. In den achtziger Jahren stieg die Zahl der Besuche von DDR-Bürgern in Westdeutschland auf bis zu sechs Millionen jährlich. Deren positive Erfahrungen im Westen trugen mehr und mehr zur Erosion des SED-Regimes bei, bis es dann 1989 in sich zusammenbrach.

Eine ähnliche Funktion dürften die Millionen Araber haben, die jetzt hierher kommen. Sie erzählen ihren Freunden und Verwandten daheim, wie das Leben auch sein kann, wie man ohne Bestechung eine Urkunde bekommt, was eine freie Presse ausmacht, wie gut die ärztliche Versorgung ist und wie wenig der Ungläubige dem Bild entspricht, das man sich gern von ihm macht. Auch wie ein toleranter Islam aussieht oder eine entgiftete Männlichkeit wird sich rumsprechen, auch wenn das zunächst nicht allen von ihnen gefallen wird. Zugleich werden die Daheimgebliebenen mit politischen Informationen versorgt, auch mit Geld, ganz dezentral und organisch.

Letztlich ist die Befürchtung fast obskur, dass die Flüchtlinge unsere Kultur islamisieren. Viel wahrscheinlicher ist doch, dass auf diese graswurzelhafte Art der arabische Raum humanisiert, entgiftet und auf lange Sicht politisch verändert wird.

Entschuldigung des Westens, Selbstermächtigung des Mittleren Ostens

Haben sich Franzosen, Deutsche, Briten, Italiener und Amerikaner eigentlich jemals offiziell entschuldigt bei den Menschen in Nordafrika? Für den Kolonialismus? Für den Rassismus? Nein? Und warum nicht?

Damit würde man einiges von dem Groll wegräumen, der jetzt unter Arabern gegen uns gehegt (und gepflegt) wird. Diese Wut machen sich die Herrschenden dort zunutze, die, nebenbei gesagt, oft selbst ein rassistisches Verhältnis zu ihrem eigenen Volk haben. Die westliche Arroganz aber schweißt Herrscher und Beherrschte zusammen. Auch dass der Westen immer wieder so massiv und zugleich ungenau interveniert, hält die arabische Ausredenkultur stabil. Entzieht der Westen sein Gift, dann kollabieren früher oder später jene Systeme, die immer wieder Terror und Flucht entstehen lassen. Um den islamistischen Terror zu bekämpfen, müssen wir uns mit den Muslimen versöhnen. Es wäre also Zeit für eine neue, eine echte Realpolitik.

Realpolitik, jetzt aber richtig – ein New Deal mit den Muslimen

Sobald die Wende in der westlichen Mittelostpolitik verstanden, verkündet und vollzogen sein wird, kann auch wieder über die unschönen Dinge geredet werden.
Wenn Abstriche an unseren Prinzipien, Dialoge mit regierenden Mördern, Geschäfte mit kriminellen Stammesfürsten nicht mehr als der wahre Kern westlicher Politik wahrgenommen werden müssen, sondern nur als gelegentliche und vorübergehende Abweichung von einem Kurs, der offenkundig den Menschen dienen soll, der von Respekt und Interesse getragen ist, dann geht das auch.

Zwar wird man mit dem uniformierten Diktator von Ägypten weiter reden müssen, ebenso wie mit den Islamisten in Riad und Teheran. Nur sollte das künftig mit einer egalitären Kühle geschehen. Man kann nicht die einen Islamisten wie den Teufel persönlich behandeln (Iraner) und die anderen (Saudis) als Brüder in die Arme nehmen. Auch Waffenlieferungen müssen drastisch zurückgefahren werden. Es gibt dort fast keine befreundeten und gutartigen Regime.

Gleichwohl darf der Westen auch bei einer neuen Strategie nicht gutgläubig erscheinen. Angesichts des Terrors brauchen die Europäer einen stärkeren Staat, auch das Militär muss effektiver werden, wahrscheinlich auch teurer.

Wenn allerdings eine neue Realpolitik näher an den eigenen Werten angesiedelt sein soll, dann muss man sich vor Wladimir Putin hüten, denn der versucht nun wieder, den Westen in eine klassische brutalisierte Machtpolitik einzuspinnen.

Vor allem aber braucht es eine positive Agenda: Entwicklungshilfe in einer neuen Dimension, konditioniert und möglichst unterhalb der Herrschercliquen verteilt. Vielleicht einen Marshallplan für die Region und die Öffnung des europäischen Marktes.

Das Ende der alten Realpolitik wird die Fantasie für neue Ideen wecken, dann wird ein neues Kapitel in der Geschichte zwischen Abendland und Morgenland aufgeschlagen. Und wir können alle sagen, wir sind dabei gewesen.

*Ein Angriff auf ein Territorium eines souveränen Landes, UN-Mitgliedes, das weder Deutschland noch Frankreich noch die NATO bedroht, ist eindeutig völkerrechtswidrig. Hierzu Wolfgang Gehrcke, MdB der Linken: 

„Das offensichtliche Angebot der Bundeskanzlerin, deutsche RECCE-Tornados über Syrien einzusetzen, erfolgt ohne Beschluss der Vereinten Nationen und ohne jede Rücksprache mit der syrischen Regierung. Der Bundestag soll im Nachhinein informiert werden. DIE LINKE lehnt ein solches Vorgehen strikt ab.“

** das Pilotspiel ist wohl eher als Schneeballsystem zu versehen, in dem die letzten, d.h. die ärmsten Länder, automatisch als Verlierer dastehen.

Jochen

Wer Waffen schickt, gießt Öl ins Feuer ! Will Gabriel beim Morden mitmachen ?

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Auf SPIEGEL Online:

Gabriel2017Gabriel will bei Völkermord im Irak nicht tatenlos zusehen

Im Ernst, möchte er gerne beim Morden mitmachen – indem er Waffen dahin liefern lässt ?
Was glaubt er wohl, wofür diese Waffen dann, wie alle anderen, verwendet werden sollen ?
Dazu Jürgen Grässlin:
http://www.neues-deutschland.de/artikel/942590.wer-waffen-schickt-giesst-oel-ins-feuer.html

Sollen Kämpfer der irakischen Armee und der kurdischen Peschmerga gegen mordende Terroreinheiten des Islamischen Staates (IS) auch mit deutschen Waffen hochgerüstet werden?
Kann man Rüstungsexporte verbieten, selbst wenn Völkermord droht? Oder andersherum gefragt:
Wird mit Waffenlieferungen an Schiiten und Kurden im Irak nicht ein todbringender Konflikt weiter angeheizt?

Der Wind hat sich gedreht, in einer einzigen Woche. Am vergangenen Sonntag verkündete der GRÜNEN-Vorsitzende Cem Özdemir seine Erkenntnis, wonach der drohende Genozid an Jesiden mit Yogamatten nicht zu stoppen sei.
Tags darauf weckte Regierungssprecher Steffen Seibert noch die Hoffnung, die Bundesregierung werde keine Rüstungsexporte in das Pulverfass Irak genehmigen.
Am Dienstag schon ruderten Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in die entgegengesetzte Richtung: Waffentransfers an die irakische Armee könnten nicht mehr kategorisch ausgeschlossen werden.
Gabriel schloss gar Kriegswaffentransfers an kurdische Peschmerga-Kämpfer nicht aus.

Jesidische Tragödie im Nordirak

Im Nordirak spielt sich ein schrechlicke Tragödie ab. Nach einem Überraschungsangriff der Kämpfer vom Islamischen Staat (IS) sind jesidische Kurden in die Bergregion von Sindschar nahe der syrischen Grenze geflohen. Ihr Schicksal ist offen, Deutschland könnte helfen.
Über die Frage, wie die Hilfe aussehen soll, ist eine Debatte ausgebrochen. Mehr

Die Tür zu diesem rechtlich mehr als gewagten Gedanken hatte ihm LINKE-Fraktionschef Gregor Gysi geöffnet, der in der tageszeitung (taz) auf die Frage nach den Mitteln zu einem Stopp der IS öffentlich verkündete: Er sei strikt gegen Waffenexporte.
»Da aber Deutschland ein wichtiges Waffenexportland ist, könnte in diesem Ausnahmefall ein Waffenexport dorthin dann statthaft sein.«

Die Forderung an die Politik nach forcierten deutschen Rüstungsexporten, nicht in Richtung Irak, wird seit Monaten lautstark erhoben.
Hinter diesem Disput steckt eine Industrie, der – angesichts gewaltiger Überkapazitäten – das Wasser bis zum Hals steht.
Dabei ist das Szenario von Massenexekutionen und drohendem Völkermord nicht neu. Schlimmer noch: Traurigerweise trifft es im Moment auf mehrere Regionen der Welt zu. Im Sudan und Südsudan, in Somalia, im Irak und in Syrien beispielsweise wird seit Jahren massenhaft gemordet, vielfach mit deutschen Kriegswaffen.
Dorthin allerdings ist es selbst hiesigen Regierungspolitikern nicht einsichtig, warum Deutschland weitere Waffen liefern soll.
Denn Kriegsgerät gibt es dort schon viel zu viel. Die führenden Rüstungsexportnationen beliefern weltweit »befreundete« Staaten mit Kriegswaffen.
Die Empfängerländer ihrerseits liefern das Kriegsgerät unbehindert und unkontrolliert weiter, auch an sogenannte »Terroreinheiten« – die IS ist ein Beispiel unter vielen. Von den Empfängerländern werden Endverbleibserklärungen unterzeichnet, der Verbleib der Waffen im jeweiligen Land wird jedoch nicht im mindesten kontrolliert.
Mit dem Rückzug der schiitischen Regierungseinheiten gelangten sunnitische IS-Kämpfer in den Besitz modernster US-amerikanischer Kriegswaffen.

Selbstverständlich müssen in diesen Wochen Zehntausende notleidender Jesiden und Christen Aufnahme finden in Nachbarländern, wie der Türkei.
Und selbstverständlich muss die internationale Staatengemeinschaft alles Menschenmögliche – und weitaus mehr als bisher – zugunsten der schutzbietenden Staaten und der schutzsuchenden Menschen unternehmen. Doch Flüchtlingshilfe in den Grenzregionen der Kriege und Konflikte ist ein milliardenteures Geschäft.
Die Vereinten Nationen und die humanitären Hilfsorganisationen erhalten zur Bewältigung dieser Mammutaufgabe lediglich Brosamen im Vergleich zu den Zuwendungen an eine weltweit noch immer profitierende Rüstungsindustrie.

Hierzulande, aber auch in anderen europäischen Militärmächten, schwelt angesichts schrumpfender Militäretats ein Kampf um Einfluss, Macht und richtig viel Geld.
Die Diskussion um deutsche Kriegswaffenlieferungen – diesmal an die Gegner von IS – offenbart einen seit Jahren schwelenden Richtungsstreit, ob die Bundesregierung weiterhin hemmungslosen Waffenhandel genehmigen oder die Konversion der Rüstungsindustrie fördern will. Die Rüstungsindustrie scharrt heftig mit den Hufen.
Ungeachtet der desaströsen Menschenrechts- und Sicherheitslage würden die Panzerbauer Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall Leopard-2-Kampfpanzer nur allzu gern an das wahhabitische Herrscherhaus in Riad liefern.
Airbus plant, Kampflugzeuge des Typs Eurofighter Typhoon mit Sidewinder-Raketen von Diehl an den Oman zu verkaufen.
Die Marineeinheiten Israels und anderer Länder wollen weitere Kriegsschiffe von ThyssenKrupp Marine Systems erhalten …

Rüstungsexporte an menschenrechtsverletzende Regimes zu unterbinden – der Diskurs darüber sollte endlich öffentlich geführt werden.
Das Thema zum Thema gemacht hat die Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!«, in der sich die Friedens-, Menschenrechts-, Flüchtlings- und Globalisierungsbewegung mit den beiden großen christlichen Kirchen und humanitären Hilfswerken zu einem bislang einmaligen Bündnis von weit mehr als 100 Organisationen zusammengeschlossen hat.
Nicht länger nimmt eine zunehmend kritische Öffentlichkeit Kriegswaffentransfers an Repressoren und Kriegstreiber, an Menschenrechtsbrecher und Massenmörder stillschweigend hin. Hinter der Aufschrei-Kampagne steht die überwiegende Mehrheit der Deutschen.
Denn beachtliche 78 Prozent aller Befragten votierten in einer repräsentativen Meinungsumfrage von Emnid für einen völligen Stopp von Rüstungsexporten.
Sie fordern eine Abkehr vom Waffenhandel und die Konversion der Todesindustrie.

Und das mit Fug und Recht. Denn kein anderer Bereich der deutschen Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik ist tödlicher als der der Kriegswaffenexporte.
Die Opfer deutschen Waffenhandels gehen in die Millionen. Tatsächlich Millionen? Zweifelsfrei!
Allein durch Kugeln aus dem Lauf von Heckler & Koch-Gewehren sind aufgrund jahrzehntelanger Direktexporte und Lizenzvergaben zum Nachbau in Staaten wie Iran, Pakistan, Saudi-Arabien, der Türkei und Mexiko bisher mehr als zwei Millionen Menschen ums Leben gekommen.
Weitaus mehr Menschen überlebten den Kugelhagel – zeitlebens verstümmelt und traumatisiert, wie ich durch meine Vor-Ort-Recherchen in Krisen- und Kriegsgebieten belegen kann.

Das Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) schreibt in Paragraf 6 vor, dass die Exportgenehmigung »zu versagen« ist, wenn »die Gefahr besteht, dass die Kriegswaffen bei einer friedensstörenden Handlung« verwendet werden.
Ergänzend verabschiedete Rot-Grün im Januar 2000 die bis zum heutigen Tag gültigen Politischen Grundsätze zum Rüstungsexport als Richtlinie der Bundesregierung. Darin wird unmissverständlich vorgegeben, dass der Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungs- und Endverbleibsland bei den Entscheidungen über Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern »besonderes Gewicht beigemessen« werden muss.

Bundeskanzlerin Angela Merkel avancierte zur Toptäterin deutschen Waffenhandels. Als Vorsitzende des geheim tagenden Bundessicherheitsrats (BSR) verantwortet sie die Ausfuhrgenehmigungen an besonders brisante Staaten in Krisen- und Kriegsgebieten.
Laut aktuellem Rüstungsexportbericht schreckte die CDU/CSU/FDP-geführte Bundesregierung 2013 nicht einmal vor Waffentransfers an astreine Diktaturen und Staaten im Krieg zurück.

Die schwarz-gelbe Bundesregierung steigerte den Waffenhandel im vergangenen Jahr in den entscheidenden Segmenten auf schier unglaubliche Rekorde.
Die Einzelausfuhrgenehmigungen erklommen das neue Allzeithoch von 5,8 Mrd. Euro.
Dass mit 62 Prozent fast zwei Drittel der Einzelausfuhrgenehmigungen für die besonders problematischen »Drittländer« außerhalb der NATO erteilt wurden, belegt die Tragweite des Desasters. Zu den führenden Empfängerländern deutscher Kriegswaffen zählen die menschenrechtsverletzenden Regimes in Algerien, Katar, Saudi-Arabien und Indonesien.

Schlichtweg skandalös sind auch die Ausfuhrgenehmigungen so genannter Kleinwaffen. Mit 82,63 Millionen Euro wurde – in der angesichts der Opferzahlen tödlichsten aller Waffengattungen – ein historischer Höchstwert erreicht.
Auch hier gilt: Mehr als die Hälfte der Pistolen und Maschinenpistolen, Sturm-, Maschinen- und Scharfschützengewehre wurden für Drittländer genehmigt.

Vor der Bundestagwahl 2013 versprachen führende Sozialdemokraten, dass im Fall ihrer Regierungsbeteiligung die unter Rot-Grün im Januar 2000 verabschiedeten und seither gültigen Politischen Grundsätze zum Rüstungsexport zum maßgeblichen Entscheidungskriterium für Waffenhandel erhoben würden.
Zukünftig soll die Menschenrechtslage im Bestimmungs- und Endverbleibsland für Exportgenehmigungen ausschlaggebend sein. Im Bundessicherheitsrat stellt die SPD immerhin den Bundesaußenminister, der zugleich Vizekanzler ist, den Bundesjustiz- und den Bundeswirtschaftsminister. Dessen Ressort verantwortet maßgeblich die Rüstungsexportkontrolle.

Die Empörung der Gegenseite ist gewaltig. Die Widerstandsfront der ewig Gestrigen reicht von der Rüstungskanzlerin mit ihren fünf CDU/CSU-Ministern im BSR und CSU-Ministerpräsident Horst Seehofer im Rüstungsland Bayern über den einflussreichen Bund der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) bis hin zu Gewerkschaftern der IG Metall in den Waffenschmieden. So haben 20 Betriebsräte rüstungsexportierender Unternehmen einen medial vielbeachteten Brief verfasst.
Die Arbeitnehmervertreter fordern Planungssicherheit, will heißen neue Rüstungsausfuhrgenehmigungen zur Arbeitsplatzsicherung.

Anmerkung: Die beste Planungssicherheit ist durch Konversion der Produktion zu Nicht-Rüstungsgütern gegeben, s.u. !

Auf die schwarz-rote Bundesregierung warten zwei zentrale Aufgaben. Zum einen müssen Kriegswaffenausfuhren und Lizenzvergaben an menschenrechtsverletzende Staaten verboten werden. Zum anderen – und hier geht es ans Eingemachte – müssen bereits bestehende Verträge und Vorverträge gekündigt werden.

Allein mit der menschenrechtsverletzenden Regierung des algerischen Staatschefs Bouteflika hatte die von Angela Merkel und Philipp Rösler geführte Bundesregierung von CDU/CSU und FDP in der letzten Legislaturperiode Waffenlieferungen im Wert von rund zehn Milliarden Euro vereinbart. Die allerersten dieser Ausfuhren katapultieren Algerien aktuell auf Platz eins deutscher Empfängerländer für Kriegswaffen.
Will Gabriel sein Wahlversprechen einlösen, muss er also auch veranlassen, dass bereits geschlossene Verträge der christlich-liberalen Vorgängerregierung mit Militärs in den Krisen- und Kriegsregionen der Welt gekündigt werden. Gemäß Paragraf 7 des KWKG kann eine bereits erteilte Genehmigung »jederzeit widerrufen werden«.
Der Inhaber der Genehmigung ist anschließend »vom Bund angemessen in Geld zu entschädigen«, so Paragraf 9. Das kostet Geld – sinnvoll angelegtes Geld.

Ein weiteres schlagkräftiges Argument hat Gabriel bereits selbst in die Diskussion eingebracht: Nach erfolgten Waffenlieferungen oder Lizenzvergaben folgen zuweilen Bundeswehrsoldaten, um mit militärischen Mitteln »alles wieder zu befrieden«. In der Folge stünden deutsche Soldaten feindlich gesinnten Kombattanten mit zuvor gelieferten »deutschen Waffen gegenüber«.
Vormals so geschehen in Somalia, aktuell in Afghanistan. Dort schießen Taliban mit soliden Schnellfeuergewehren des Typs G3 aus der pakistanischen Lizenzfertigung auf Soldaten der Bundeswehr. Diese kämpften ihrerseits mit neuen G36-Sturmgewehren, gleichfalls entwickelt im Hause Heckler & Koch.

Der Schlüssel einer zukunftsfähigen Bundesrepublik liegt in der Rüstungskonversion, der Umstellung auf eine verantwortbare Fertigung ziviler Produkte, beispielsweise in der Medizin- und Umwelttechnik. In diesen innovativen Bereichen können weitaus mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, als die vergleichsweise geringe Zahl von rund 100 000 in der Rüstungsindustrie.

GraesslinJürgen Grässlin ist Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD), Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.) und der Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!«.

Er ist Autor zahlreicher kritischer Sachbücher über Rüstungsexporte sowie Militär- und Wirtschaftspolitik. Zuletzt verfasste er das »Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deutschland am Krieg verdient«.
Grässlin wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem »Aachener Friedenspreis«.

Dazu ein KOMMENTAR VON ANDREAS ZUMACH ÜBER WAFFEN FÜR DIE KURDEN IM IRAK :

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=a1&dig=2014/08/14/a0065&cHash=d751728f08619dc44f275bd7a30a7ebf

Auszüge:

 Gute Gründe gegen einen Rüstungsexport

Es gehört zu den Grundsätzen dieser Bundesregierung und aller Vorgängerregierungen, keine Waffen in Krisengebiete zu liefern.“ Diese Behauptung von Kanzlerinsprecher Seibert und Militärministerin von der Leyen ist eine freche Lüge.
Das belegen die Statistiken der bundesrepublikanischen Rüstungsexporte – seit 1971, seit die Regierung Brandt erstmals Grundsätze zum Verbot solcher Exporte in Krisen- und Spannungsgebiete beschloss.

Solange die Regierung Merkel lediglich mit dieser scheinheiligen Lüge zu begründen versucht, warum sie bislang neben humanitären Hilfsgütern nur „nichttödliche“ militärische Ausrüstung an die kurdischen Truppen im Nordirak liefern will, wird die in- und ausländische Kritik an der „Halbherzigkeit“ oder „falschen Zurückhaltung“ Deutschlands weiter zunehmen. Zumal seit nach den USA gestern auch Frankreich die Lieferung von angriffsfähigen Waffen angekündigt hat.

Tatsächlich sprechen triftige Gründe gegen jegliche Rüstungsexporte in den Irak, insbesondere die Erfahrungen der letzten knapp 50 Jahre.
Ab 1978 rüsteten Deutschland, andere Nato-Staaten und die Sowjetunion gemeinsam den laizistischen Diktator Saddam Hussein für seinen 1. Golfkrieg gegen den islamischen Iran auf.
Nach dem 2. Golfkrieg 1991 wurden bis heute miteinander konkurrierende kurdische Gruppen im Nordirak aufgerüstet.
Und nach dem 3. Golfkrieg 2003 folgte zunächst die wechselseitige Aufrüstung sunnitischer und schiitischer Milizen durch die US-Besatzer zwecks gegenseitiger Vernichtung als „Terroristen“ und schließlich die Aufrüstung der irakischen Armee.
Aus deren Arsenalen mit US-Waffen bediente sich wiederum die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS), die zudem schon seit ihrem Auftreten im syrischen Bürgerkrieg Finanz- und Militärhilfe von den in Berlin und Washington als Bündnispartner betrachteten Staaten Saudi-Arabien und Katar erhält. Eine wahre Erfolgsgeschichte der Destabilisierung eines Landes und seiner Nachbarregion, der schon Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind.

Weder Rüstungsexporte noch US-Luftangriffe werden den IS aufhalten und die von ihm bedrohten Menschen wirksam schützen. Dazu wäre – wenn überhaupt – nur eine von der UNO mandatierte Bodentruppe unter Beteiligung von Soldaten möglichst aller fünf Vetomächte des Sicherheitsrates in der Lage.

Weder Waffenausfuhren noch US-Luftangriffe werden die Terrormiliz IS aufhalten !

Jochen