Der Terrorismus der westlichen Welt – Teil 3: Hybride Kriegsführung, verdeckte Operationen und geheime Kriege

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Passend zu dem, was in Syrien und in der Ukraine läuft, hier eine ausführliche Analyse von Sascha Pommrenke, mit beachtlichem Literaturteil. Ein Vorläufer der hier beschriebenen Spezialkräfte waren übrigens die „Einsatzgruppen“ von SS, Polizei und Wehrmacht, die hinter der osteuropäischen deutschen Kampffront Massenmorde an Juden, Sinti, Roma und Russen begingen und von ukrainischen Faschisten noch heute als Vorbild angesehen werden. Was hier beschrieben wird, ist entsetzlich, aber es ist wichtig, dass es nicht vergessen wird:

http://www.heise.de/tp/artikel/45/45422/

Auszüge:

Die NATO ist verunsichert angesichts einer neuartigen Bedrohung aus Russland. Diese neue Art des Krieges wird „hybride Kriegsführung„[1] genannt. „Propaganda, verdeckte Aktionen, schließlich bewaffnete Auseinandersetzungen, in denen so genannte Separatisten oder Soldaten ohne Hoheitsabzeichen angreifen – auf der Krim hat Russland damit erstmals zugeschlagen“, weiß der SWR[2] im Februar 2015 zu berichten.
Die Welt[3] kann davon erzählen, dass die NATO sogar „unzureichend auf solche Konflikte vorbereitet“ ist. Und Matthias Nass von der Zeit kann als mental vollständig embedded aus den „Gegenstrategien“ der NATO berichten[4]: „Fassungslos verfolgt die Nato das Geschehen“.
Fassungslos macht jedoch lediglich die Berichterstattung darüber.

Zwar erkennt Nass immerhin, dass „der Westen die einzelnen Elemente des ‚hybrid warfare‘ in seinem Repertoire“ hat, aber es wäre nicht die Zeit, wenn nicht sofort relativiert würde: „Was heute anders ist, was die hybride Kriegsführung so gefährlich macht, ist die Schnelligkeit, mit der ein Konflikt in der digitalisierten Welt eskalieren kann.“

Das Offensichtliche aber ist von Nass nicht zu vernehmen. Denn das, was den Unterschied „heute“ ausmacht, ist, dass nicht die NATO, eine Koalition von Willigen, oder nur die USA die Eskalationsdynamik bestimmen, sondern dass dieses Mal Russland interveniert.
Neu ist daran allerdings gar nichts, lediglich der Protagonist hat sich geändert. Und während es dem Westen vollkommen egal ist, wenn die eigenen oder zumindest „befreundete“ Truppen irgendwo einfallen, fallen Qualitätsjournalisten aus allen Wolken, wenn Russland das Vorgehen kopiert.
Ebenso wie es absurd ist anzunehmen, die USA bzw. die NATO würden nicht in der Ukraine agieren, ist es abwegig zu glauben, Russland würde dort nicht intervenieren.

Der Sinn verdeckter Operationen beruht schließlich auf der in den 1950er Jahren in den USA entwickelten politischen Doktrin der „Plausible Deniability“ (plausiblen Abstreitbarkeit). „Im Kern zielte diese darauf ab, Führungsstrukturen und Befehlsketten auf einer informellen Basis so zu strukturieren, dass diese für Außenstehende weder nachvollziehbar noch zu rekonstruieren waren und im Fall politischer Verwerfungen glaubhaft bestritten werden konnte, eine gegebene verdeckte Operation sei im Auftrag von bestimmten politisch verantwortlichen Führungspersonen durchgeführt worden.“1

Selbstverständlich wird Russland alle seine Machtchancen nutzen, um seine nationalen Interessen zu sichern. Das machen alle Nationen, die sich einen entsprechenden Militärapparat auf Kosten des Lebensstandards der Bevölkerung leisten. Und so wie die USA alle Länder der Welt als Gegenstand ihres nationalen Interesses ausgemacht hat, ist es unzweifelhaft, dass Russland in seinem Nahbereich agiert.
Das ist Teil der grundlegenden Dynamik konkurrierender Militärmächte. Das ist Teil der Dynamik eines internationalen Staatengefüges, das sich über Nationen oder „Kulturkreise“ identifiziert und damit eben auch gegenseitig ausgrenzt und befeindet.

Die Bevölkerungen glauben zu machen, dass nur der gerade als „Feind“ auserkorene, sich solcher Methoden bedient, ist Propaganda. Aktuell ist es Putin als personifiziertes Böses, dem sich die EU und die NATO nur entgegenstemmen können, indem aufgerüstet wird. Oder wie es die Stiftung Wissenschaft und Politik, der Regierungs-Think Tank für Sicherheitspolitik, nennt: Es muss die Widerstandsfähigkeit Deutschlands erhöht werden.[5]
Und zwar möglichst schnell und möglichst viel. Waren die Bedrohungsszenarien der letzten 15 Jahre irgendwelche Wüstenszenarien, sind es plötzlich wieder Panzerschlachten in der Heide, von denen Welt-Redakteure tatsächlich glauben[6], ein Mehr an Panzern und eine „bessere“ Munition seien eine Abschreckung gegen Russland.

Dabei ist die hybride Kriegsführung weder neu, noch auch nur ansatzweise eine Strategie, die auf Russland zurückgeht. Harry Truman, der US-Präsident, der den Massenmord durch Atombomben zu verantworten hat, genehmigte am 18. Juni 1948 die Direktive NSC-10/2[7], in der er Geheimdiensten und Militärs so ziemlich alles erlaubte:

Propaganda, Wirtschaftskrieg; vorbeugende direkte Aktion, einschließlich Sabotage, Anti-Sabotage, Zerstörungs- und Evakuierungsmaßnahmen; Subversion gegen feindliche Staaten, einschließlich Unterstützung von Widerstandsbewegungen im Untergrund, Guerilla- und Fluchthilfegruppen und Unterstützung einheimischer antikommunistischer Elemente in bedrohten Ländern der freien Welt.

Armin Wertz2

Operation PBSUCCESS

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war es vor allem der Antikommunismus, der das Handeln der USA bestimmte. Was auf politisch-ideologischer Seite die Angst vor dem Kommunismus ist, ist auf der verschwägerten Seite der Wirtschaftsideologie, die Furcht vor Verstaatlichung und vor der Minderung der Profitrate. Um dies zu verhindern, waren die Entscheider in den USA bereit, über Leichen zu gehen und das Selbstbestimmungsrecht anderer Nationen zu ignorieren. Und so nannten die USA alles „kommunistisch, jeden Ausdruck von Nationalismus oder wirtschaftlicher Unabhängigkeit, jeden Wunsch nach sozialem Fortschritt, jede intellektuelle Neugier und jedes Interesse für fortschrittliche liberale Reformen“, beklagte sich Guatemalas Außenminister 1954.3

In den frühen 50er Jahren des 20. Jahrhunderts führte Guatemala eine umfangreiche Landreform durch. Betroffen war neben Großgrundbesitzern vor allem die United Fruit Company, die über 40 Prozent der Agrarflächen des Landes besaß. Die erste demokratische Regierung Guatemalas war dementsprechend auch „eine zunehmende Bedrohung für die Stabilität von Honduras und El Salvador“, ließ das US-Außenministerium verlauten.

Die Stabilität à la Washington war bedroht, weil Guatemalas Agrarreform eine machtvolle Propagandawaffe ist; das umfassende Sozialprogramm, das die Arbeiter und Bauern in einem siegreichen Kampf gegen die Oberschichten und großen ausländischen Unternehmen unterstützen soll, übt auf die Bevölkerung der mittelamerikanischen Nachbarstaaten, in denen ähnliche Bedingungen herrschen, starke Anziehungskraft aus.

Noam Chomsky4

Demokratie und Menschenrechte waren noch nie die primären Beweggründe für militärisches Eingreifen, sondern manchmal lediglich ein Kollateralnutzen.
Sie sind der Anschein, den Interventionisten benötigen, um die eigene Bevölkerung über die wahren Beweggründe zu täuschen. Woodrow Wilson forderte bereits 1907 die Macht des Staates einzusetzen, um „die Welt zu einem Markt“ für Händler und Hersteller zu machen.
„Tore zu Ländern, die verschlossen sind“, so Noam Chomsky5, „müssen eingeschlagen werden …, selbst wenn die Souveränität unwilliger Nationen dabei mit Füßen getreten wird.

1952 autorisierte Truman den ersten Plan der CIA PBFORTUNE, um den rechtmäßig gewählten Präsidenten Guatemalas Jacobo Arbenz Guzmán zu stürzen. Der Geheimdienst erstellte umgehend eine Liste mit 58 vermeintlichen Kommunisten, die es zu exekutieren, zu vertreiben oder zu inhaftieren galt.
In den USA gibt es offensichtlich eine lange Tradition in der Erstellung von Todeslisten. PBFORTUNE wurde jedoch in letzter Sekunde durch ein Missgeschick in der Geheimhaltung gestoppt. Ein Jahr später unter Präsident Dwight D. Eisenhower wurde der nächste Versuch mit PBSUCCESS unternommen. Eleganterweise war nun der CIA-Direktor Allen Welsh Dulles als Rechtsanwalt und Lobbyist für die United Fruit Company tätig. Eine fruchtbare Verquickung.
Der neuen Operation standen 2,7 Millionen Dollar für einen „kleinen paramilitärischen Krieg“ zur Verfügung. Dazu sollten unter anderem „psychologische Kriegsführung“, „Subversion“ und „politische Aktionen“ gehören. Darüber hinaus wurde die Option erwogen, Arbenz einfach zu ermorden.

Im National Security Archive der George Washington Universität kann man zahlreiche Dokumente[8] zu den Attentatsvorhaben sowie der hybriden Kriegsführung der CIA in Guatemala finden. Darunter sind auch die bemerkenswerten Dokumente „A Study of Assassination“, quasi eine kurze Einführung für CIA-Attentäter, sowie die Todesliste mit mittlerweile 78 (gelöschten) Namen derjenigen „Kommunisten“, die während einer Militäroperation „entsorgt“ werden sollten. Des Weiteren existiert noch ein Geheimdokument, das die Eliminierung von 15-20 Personen der politischen wie wirtschaftlichen Führungskräfte Guatemalas vorsah.

Im Mittelpunkt der hybriden Kriegsführung der CIA stand jedoch die psychologische Kriegsführung. Ziel war es, einen Putsch des guatemaltekischen Militärs herbeizuführen. Für diesen Zweck organisierte die CIA eineBefreiungsarmee“ von lediglich ein paar hundert Mann von Exilanten, „nicaraguanischen Nationalgardisten und amerikanischen Söldnern“.6
Die anstehende Invasion der kleinen Armee wurde von einer massiven Propagandaoperation begleitet, so dass die wesentlich größere guatemaltekische Armee glaubte, keine Chance gegen die von den USA unterstützten Invasoren zu haben. Zumal beständig von einem Volksaufstand berichtet wurde, der sich den Invasoren anschließen würde. Nebeneffekt der psychologischen Kriegsführung war, dass Medien weltweit genau diese Propaganda als Tatsachen verbreitet hatten. Guatemala wurde als kommunistischer Aggressor dargestellt, vor dem sich die freie Welt verteidigen müsse.

Mitte Juni 1954 griff die Söldnertruppe der CIA Guatemala an. Zusätzlich zu der paramilitärischen Invasion ließ die CIA Häfen, Öltanks und andere Infrastrukturen, aber auch eine Schule und kleinere Ortschaften bombardieren.7
Obwohl das guatemaltekische Militär keine Schwierigkeiten hatte, die Invasion zu stoppen, und es zu keinen größeren Auseinandersetzungen kam, zeigte die massive Propaganda Wirkung und die Armeeführung fürchtete ein direktes Eingreifen des US-amerikanischen Militärs. Fünf Wochen später zwang die Armee Arbenz zum Rücktritt.

Der anschließend eingesetzte Diktator Carlos Castillo Armas machte zahlreiche Sozialreformen rückgängig, verhaftete 72.000 Menschen unter dem Vorwand des Kommunismus und stürzte das Land letztlich in einen fast 40 Jahre andauernden Bürgerkrieg, der etwa 200.000 Menschen das Leben kostete und über eine Millionen Menschen zu Flüchtlingen machte. In den Folgejahren unterstützten die verschiedenen US-Regierungen die jeweiligen Diktatoren mit „Waffenlieferungen, Napalm, Ausbildungsprogrammen, Bombardements von Maya-Dörfern“ und militärischen Spezialeinheiten zur Aufstandsbekämpfung.
Über das von den USA unterstütze Anti-Guerillaprogramm urteilte das State Departement später: „Um ein paar Guerilleros zu eliminieren, hat die Regierung ungefähr 10.000 guatemaltekische Bauern getötet.“8

Die Operation PBSUCCESS kann als erste militärische Operation nach 1945 gegen einen souveränen Staat gelten, die von einem Geheimdienst organisiert und durchgeführt wurde. Durch die Rekrutierung von Söldnern und die Abwesenheit regulärer militärischer Einheiten verwischte bereits 1954 die Grenze zwischen militärischen und geheimdienstlichen Operationen. Zusammen mit psychologischer Kriegsführung, Wirtschaftssanktionen und diplomatischem Druck ergibt sich ein Bild, das Journalisten als aktuelles Phänomen in Russland ausgemacht haben wollen. Denn erst wenn die nationalen Interessen westlicher Staaten gefährdet sind, interessieren uns plötzlich Demokratie und Menschenrechte. Ist kein Profit zu erwarten, interessieren uns auch keine Unpersonen. Was sind schon ein paar hunderttausend tote Guatemalteken?

Indochina – Der Krieg, den man nicht sieht

Die USA haben aus der Operation PBSUCCESS ihre Lektionen gelernt. Obwohl der paramilitärische Teil eher ein Desaster, denn ein Erfolg war, war das Zusammenspiel der verschiedenen Elemente des hybrid warfare ein voller Erfolg und sollte bis heute die Blaupause für verdeckte Operationen und geheime Kriege in souveränen Staaten sein.

Verdeckte Operationen gehörten jedoch prinzipiell schon immer zum Repertoire militärischer Aktionen. Die USA waren bereits seit 1953[9] mit geheimen Operationen in den Indochinakrieg in Vietnam verwickelt. Und sie ließen von Beginn an die Grenzen zwischen zivil und militärisch verschwimmen.
Ein zentrales Element der „modernen“ hybriden Kriegsführung. Mit der CIA-Tarnfirma Civil Air Transport „CAT“ (später Air America), einer ansonsten normalen zivilen Fluggesellschaft, flogen die USA Material und Waffen in klandestinen Operationen in französische Stellungen vor allem zu den eingeschlossenen Fremdenlegionären in Dien Bien Phu.

Die CIA unterstütze Frankreich bei der „Aufstandsbekämpfung“ im ersten Indochinakrieg mit der Tarnfirma „CAT“. Zwei CAT-Piloten starben im Mai 1954 in Dien Bien Phu. Es waren die ersten US-amerikanischen Kriegsopfer des „Vietnam-Krieges“ der USA. Bild: Warner Pathé News. Public Domain

Es gehört zu den Legenden um den Vietnamkrieg, dass die USA in einen Stellvertreterkrieg hineingezogen wurden. Ganz im Gegenteil haben die USA den Krieg über ein Jahrzehnt überhaupt erst zu einem solchen eskalieren lassen. Bereits 1955 entsandten die USA erste „Militärberater“. Diese Berater waren damals und sind auch heute nichts anderes als Geheimdienstagenten, die den aktuellen Freund mit Geheimdienstinformationen versorgen, Spezialeinheiten, die die befreundeten Kampftruppen trainieren und bei Einsätzen begleiten, sowie Killerkommandos, die die High Value Targets lieber gleich selbst exekutieren.
Im Laufe der Jahre verschärften die USA die Situation, indem sie bis 1962 12.000 „Militärberater“ nach Vietnam schickten. Zwei Jahre später, zum Zeitpunkt der Tonkin Resolution, befanden sich bereits 22.000 Special Forces, Marines-, Navy- und Air-Force-Einheiten sowie CIA-Agenten im Land.
Besonders hervorgetan hat sich dabei der beliebte „Friedenspräsident“ John F. Kennedy. Unter seiner Anweisung gründeten[10] die USA Guerilla- und Partisanenkriegsführungseinheiten. Ziel war die Vernichtung der „kommunistischen Bedrohung“ in einem unkonventionellen, geheimen Krieg.9

Die USA waren überzeugt, dass der Vietnamkrieg aufgrund ihrer technischen Überlegenheit und der damit einhergehenden „überwältigenden Feuerkraft“ ein kurzer Krieg sein würde. Und während es einen von Medien begleiteten öffentlichen Krieg in Vietnam gab, gab es auch verdeckte Operationen. Denn als bis 1967 die Erfolge ausbleiben sollten, schritten die USA weiter voran auf dem Weg in den totalen Krieg. Im April gründeten sie die Task Force Oregon, ein Kampfverband mit „maximaler operativer Unabhängigkeit„.10
Die Hauptaufgabe der Task Force bestand, laut dem Historiker Bernd Greiner, zunächst darin Angst und Schrecken zu verbreiten: „Wenn es schon nicht gelang, die Bauern von der amerikanischen Sache zu überzeugen, so sollten sie doch zu der Überzeugung kommen, dass sich die Solidarität mit dem Vietcong noch weniger auszahlte.“11
Und Greiner wird noch deutlicher: „William Westmoreland [Oberbefehlshaber der US-Truppen in Vietnam] hätte auch sagen können: Wir bomben die Bauern aus der Solidarität mit dem Vietcong heraus, suchen den ‚breaking point‘ der Bevölkerung und brechen ihren Eigensinn durch Terror.“12
Und genau das tat die Task Force dann auch. Nach der Vorgabe shock and awe ging es vor allem darum, die Bevölkerung aus den strategisch wichtigen Gebieten zu vertreiben. Neben dem willkürlichen Töten von Zivilisten waren Vergewaltigungen Hauptmethode des Terrors.

Die Zeremonie der Abschreckung wurde in Vietnam auf unterschiedliche Weise ins Werk gesetzt. Als wollten sie ihre Opfer für alle sichtbar zu Gefallenen deklarieren und Unbeteiligte an die Stelle des unsichtbaren Vietcong treten lassen, ritzten Soldaten mit dem Bajonett ein großes „C“ in die Haut ermordeter Frauen – ein Kürzel für den im soldatischen Slang „Charlie“ genannten männlichen Feind. Sie hinterließen die Abzeichen ihrer Kompanie auf den entstellten Leibern, verstümmelten die Geschlechtsorgane ihrer Opfer auf jede erdenkliche Weise – mit Tritten, Leuchtspurmunition und Gewehrkolben. „Frauen, die man für Unterstützer der Vietcong hielt, wurde die Vagina zugenäht oder die Brüste mit erhitzten Bajonetten gebrandmarkt.“ Und schließlich gehörte eine Vergewaltigung in aller Öffentlichkeit, oft in Anwesenheit von Verwandten – so ein Dschungelkämpfer -, zum Ritual, „weil sie einen bleibenden Eindruck bei dem Kerl hinterlässt, […] der beobachten muss, wie seine Tochter rangenommen wird. […] Was wir mit Frauen gemacht haben, war im Vergleich zu Männern noch einmal verdoppelt.“

Bernd Greiner13

Im Schatten der Task Force Oregon wurde die Tiger Force gegründet. Die „Elite der Elite“. 120 Freiwillige der Fallschirmjäger der 101. Airborne Division. Die Spezialeinheit war nirgends eingetragen und die Soldaten galten als Ghost Warriors[11].
Die Mitglieder trugen keine regulären Kampfanzüge, keine Hoheitsabzeichen und keinen Helm. Ihr Auftrag war „to outguerilla the guerillas“.14
Anfang der 60er Jahre vermeldete[12] die New York Times über die Special Forces noch: „Jeder Guerillasoldat“ besitze „mehr Bildung und Intelligenz, auch mehr charakterliche Reife als der normale Soldat.“ Die Tiger Force, die an die Task Force Oregon „ausgeliehen“ wurde, sollte hingegen ein Mahnmal gegen Geheimkommandos werden.

Special Forces der USA. Statt der grünen Standarduniform, wurde ein „Tigergestreifter“ Kampfanzug mit Dschungelhut getragen. Bild: U.S. Army

Sieben Monate lang zog die „Tiger Force« eine Blutspur durch Qang Tin und das Song Ve-Tal. Sie erschossen ohne jeden Anlass Bauern im Feld und mordeten Menschen, die ihnen zufällig über den Weg liefen, folterten Gefangene und führten sie einzeln oder in Gruppen zur Exekution, fielen spätabends oder am frühen Morgen in Dörfer ein und streckten mit Maschinengewehren alle nieder, deren sie habhaft werden konnten – Bauern, die sich zum Essen versammelt hatten oder schliefen, Kinder, die im Freien spielten, Alte beim Spaziergang. […]

Sie stahlen und brandschatzten, prügelten ihre Opfer zu Tode oder vergewaltigten sie bis zur Bewusstlosigkeit, sie erschossen Bewohner, die kurz zuvor abgeworfene Flugblätter in Händen hielten und der Aufforderung zur Evakuierung nachkommen wollten, sie veranstalteten „Zielschießen“ auf Personen, die sich zur falschen Zeit am falschen Ort aufhielten. Sie verschonten weder Verwundete noch Kranke, schossen aus der Distanz mit der M-16 wie aus nächster Nähe mit Handfeuerwaffen.

Bernd Greiner15

Die Tiger Force war eine geheime Todesschwadron[13]. Unterschiedslos wurde im Namen der „freien Welt“ dem Kommunismus Einhalt geboten.
Dazu wurde auch ein Baby enthauptet, Leichen wurden verstümmelt und einige der Soldaten schmückten sich mit Skalps oder Ketten aus Ohren.
Unwillkürlich fragt man sich, was für Menschen zu solchen Taten fähig sind? Und die Antwort ist erschreckend. Denn die Soldaten der Tiger Force waren wie die anderen Soldaten in Vietnam sehr jung. Insgesamt lag das Durchschnittsalter der US-Soldaten in Vietnam bei 20 Jahren.16
Es lohnt sich die Fotos auf den Webseiten[14] der Veteranen[15] der Tiger Force[16]anzuschauen. Der Spruch von Hannah Arendt, der auf Adolf Eichmann nicht wirklich zutraf, bekommt hier seine wahre Bedeutung: Die Banalität des Bösen. Teenager und Heranwachsende, „gute Jungs“, werden zu Menschenschlachtern.

Doch nicht alle Soldaten der Tiger Force waren mit dem Niedermetzeln Unschuldiger einverstanden. Einige Wenige meldeten die Kriegsverbrechen ihren Vorgesetzten, woraufhin ein Offizier antwortete: „Wir sind mitten in einem Krieg. Und Sie verlangen von mir, dass ich unsere beste Einheit deaktiviere, nur weil ein paar Jungs Gooks umbringen?“ 17
Bernd Greiner schließt mit der Feststellung:

Truppen wie die „Tiger Force“ wurden gebraucht, ihre Gräueltaten waren die Späne, die beim Hobeln anfielen. Ohne Einheiten, die zum Terror willens und fähig waren, wäre der Vorsatz, die Bauern von Quang Ngai bis Quang Tri in Angst und Schrecken zu versetzen, eine unglaubwürdige Drohung geblieben. Dass „Special Forces“ zur exzessiven Gewalt neigten und mitunter den Krieg selbst in die Hand nahmen, hatten einige Offiziere bei MACV [Military Assistance Command, Vietnam]18 bereits Mitte der 1960er Jahre zu bedenken gegeben. Doch die Kritiker wurden damals, nicht zuletzt von William Westmoreland, mit dem Hinweis auf die Besonderheiten eines Guerillakrieges in die Schranken gewiesen.

Bernd Greiner19

Und obwohl es aufgrund der Anzeigen beteiligter Soldaten zu einem fast fünfjährigen Ermittlungsverfahren kam, wurde kein einziger Soldat angeklagt, geschweige denn verurteilt. Es mangelte nicht im Geringsten an Beweisen, es mangelte an politischem Interesse. Und wer wollte schon die „beste Einheit“ anklagen?

Laos, der geheime Krieg

Im selben Zeitraum wurde ein noch geheimerer Krieg in Laos geführt. Nachdem die Franzosen im Indochinakrieg in Vietnam unterlagen, gaben sie bei der Genfer Konferenz 1954 offiziell alle Ansprüche in Indochina auf und anerkannten die Unabhängigkeit Laos. In Laos rangen anschließend die kommunistischen Pathet Lao mit den königlichen Truppen um die Vorherrschaft. Jede Einigung wurde jedoch von den USA sabotiert.

Nach zweimaligen Übereinkommen zwischen Regierung und Pathet Lao unterstützten die USA rechtsradikale Militärs, die im Süden Laos eine Gegenregierung etablierten. Was folgte, war die größte Militäroperation in der Geschichte der CIA.
Da Laos offiziell neutral war, konnten die USA dort keine direkten Militäraktionen durchführen. Die Angst vor der Ausweitung des Einflusses der Pathet Lao und die Verlegung des Ho-Tschi-Minh-Pfades, der zentralen Versorgungsroute der Nordvietnamesen von Nord- nach Südvietnam durch Teile Laos, gab der CIA den nötigen Vorwand, eine Geheimarmee anzuheuern.

Einheiten von CIA und Special Forces Operational Detachment -Alpha (ODA oder auch A-Team) bilden die Hmong zu Guerilla-Einheiten aus. Bild: U.S. Air Force

Die CIA konnte dabei auf eine bereits bestehende Guerilla-Truppe zurückgreifen, die die Franzosen im Kampf gegen Befreiungsbewegungen aufgebaut hatten. Diese irregulären Kämpfer umfassten einige tausend Stammesmitglieder des Bergvolkes der Hmong (auch Meo genannt). Von 1960 bis Mitte der 60er Jahre bestand die Hauptaufgabe der CIA darin, aus den Hmong eine Armee zu machen, die verhindern sollte, dass die Kommunisten Laos übernehmen könnten.20

Gleichzeitig wurden zwei große Militärbasen errichtet. Die Hauptbasis Long Tieng wurde zur zweitgrößten „Stadt“ des Landes mit bis zu 40.000 Einwohnern und 400 Starts der CIA eigenen Fluglinie Air America, sowie später auch Kampfbombern. Damit war Long Tieng zeitweise der meistbeflogenste Flugplatz der Welt. Und das, obwohl der Ort auf keiner Karte verzeichnet war und die Weltöffentlichkeit nichts von den Kriegsvorbereitungen in einem neutralen, souveränen Land erfuhr.

Long Tien: Der „meistbeflogene Flugplatz der Welt“ konnte jahrelang vor der Weltöffentlichkeit geheim gehalten werden. Bild: Garry Jenkin. Lizenz: CC-BY-2.0[1]

Offiziell waren die Amerikaner unter dem Label der Entwicklungshilfe USAID in Laos. Für das Hilfsprogramm wurden Hunderte von Landebahnen in Laos gebaut. „Bis 1965 hatten die USA unter dem Vorwand der humanitären Hilfe eine perfekte Infrastruktur für den Krieg geschaffen“, wie es in der unbedingt sehenswerten Dokumentation „Amerikas geheimer Krieg in Laos“[17] von Marc Eberle heißt.
Die zweite Basis befand sich in Sam Thong. Hier betrieb USAID ein Flüchtlingslager.21 Wenn hybride Kriegsführung die Verwischung der Grenzen zwischen militärischen und zivilen Mitteln ist, dann haben die USA mit dem Verzahnen von Hilfsorganisationen mit Geheimdienst- und Militäroperationen die Messlatte für die Perversion der Kriegsführung recht hoch gelegt. Man sollte Meldungen über entführte Entwicklungshelfer auch immer in diesem Zusammenhang bedenken.

Die Geheimarmee der Hmong wuchs währenddessen an und bildete eigene Terrorspezialisten aus. Die Special Guerilla Unit (ASGU) verübte im Verbund mit den amerikanischen „Militärberatern“ „Anschläge und Hinterhalte“. Die Air America flog die SGU in Gebiete der Pathet Lao, was zu genau dem gewollten Ziel führte, dass diese ihr Einflussgebiet nicht ausweiten konnten.

Mit der Eskalation des Vietnamkrieges veränderte sich allerdings auch die Kriegsführung in Laos. Der Bombenterror, mit dem man schon den Zweiten Weltkrieg und den Koreakrieg gewonnen hatte, sollte nicht nur im Vietnamkrieg zum Sieg verhelfen, sondern auch den geheimen Krieg in Laos entscheiden. Die Ebene der Tonkrüge[18] eine bis zu 2000 Jahre alte Kulturstätte wurde dabei zum Schandmahl amerikanischer Kriegspolitik. Zwischen 1965 und 1973 warfen die US-Amerikaner über zwei Millionen Tonnen Bomben auf Laos. Das sind mehr Bomben als auf Deutschland und Japan während des Zweiten Weltkrieges zusammen abgeworfen wurde. Die Ebene der Tonkrüge gilt als der meistbombardierte Ort der Welt. Was man sich dabei immer wieder ins Bewusstsein rufen muss: Dies war ein geheimer Krieg. Der massivste Bombenterror in der Menschheitsgeschichte konnte fernab medialer Aufmerksamkeit geschehen.

B-52 Bomber, Symbol für unterschiedsloses Flächenbombardement und damit Bombenterror. Bild: U.S. Air Force

Es ging bei der Bombardierung Laos nie um die Nachschubwege des Ho-Tschi-Minh-Pfades. Dazu muss man nur einen Blick auf die Karten werfen, die die Bombardierungen der USA[19] markieren und sie mit Karten vergleichen, auf denen der etwaige Verlauf des Pfades ausgewiesen[20] wird.
Die Ausweitung des Krieges auf Laos und auch auf Kambodscha war nichts anderes als Terror, um die Bevölkerungen zu demoralisieren und die prokommunistischen nationalen Befreiungsbewegungen zu bekämpfen. Dazu warfen die USA 270 Millionen Streubomben über Laos ab. 80 Millionen sind nicht detoniert. Bis heute sind davon lediglich 1 Prozent geräumt worden. Mehr als die Hälfte aller Streubombenopfer[21] weltweit kommen aus Laos. Jedes Jahr gibt es etwa 100 neue Opfer dieser Anti-Personen-Minen. 40 Prozent der Opfer sind Kinder.

Aus Streubomben lösen sich hunderte kleinere Bomben, die auf einem großflächigen Gebiet gegen „weiche Ziele“ eingesetzt werden. Bild: U.S. Army

Der Historiker Alfred McCoy bilanziert in der oben erwähnten Dokumentation: „Wir zerstörten eine ganze Zivilisation. Wir zerstörten eine regionale mittelalterliche Kultur, die Lao-Phong-Kultur auf der Ebene der Tonkrüge. Wir wischten sie vom Antlitz des Planeten. Wir machten Zehntausende zu Flüchtlingen. Wir verschuldeten, ich weiß nicht wie viele Tote. Es gibt keine Zahlen. Wir verbrannten, wir atomisierten menschliche Überreste in diesem Luftkrieg.“

Während in Vietnam das Leichenzählen (Bodycount) zum Siegesmaßstab erhoben wurde, interessierten sich die USA nicht im Geringsten für die Toten in Laos. In den Augen der Verantwortlichen handelte es sich sowieso immer nur um feindliche Militärs. Tatsächlich wurden zehntausende Zivilisten getötet und hunderttausende vertrieben. Der Journalist Fred Branfman, der die Bombardierung der Zivilisten in Laos aufdeckte, kommt ebenfalls in der Dokumentation zu Wort:

Die US-Regierung war bereit, Hunderte von Millionen US Dollar auszugeben, um unschuldige Menschen zu bombardieren und hat fast nichts wieder gut gemacht. Schadensersatz für die Überlebenden, Reparationen wie nach dem Zweiten Weltkrieg, Mittel um die Blindgänger zu räumen, die sie zurückließen. All die tausenden von Bomben, die heute noch Leute töten und verletzen. Die USA scheren sich nicht darum, aber die Leute, die das erleiden mussten, zahlen dafür ihr Leben lang. … Die Ebene der Tonkrüge ist ein Symbol dafür, wie Menschen in der Dritten Welt, die wir nie sehen, nicht kennen und von denen wir nie hören, ausgelöscht und vom Antlitz der Erde weggefegt werden können, ohne dass wir hier je davon erfahren.

Fred Branfman

Was interessieren uns Unpersonen?

Der geheime Krieg in Laos war die Fortführung und Exzessivierung verdeckter Operationen, die mit PBSUCCESS begonnen hatten. Die Menschen im Westen wissen nichts über die Kriege, die in ihrem Namen geführt werden.
Ein Großteil dieser Kriege besteht aus verdeckten Operationen oder gleich ganzen geheimen Kriegen. Politiker und Militärs geben sich dabei die größte Mühe, die Öffentlichkeit zu belügen, zu hintergehen und zu desinformieren. Und der weitaus größte Teil der Medien macht dabei immer mit. Ob aus vorauseilendem Gehorsam und Untertanentum, ob aus Ungebildetheit und Naivität, ob aus ideologischer Überzeugung oder persönlichem Vorteil mag dahingestellt bleiben.
Fakt ist, die Propaganda funktioniert. Was man nicht sieht, existiert auch nicht. Nur muss man sich fragen, was hat das dann noch mit Demokratie zu tun, wenn sich die vier Gewalten des Staates alle Mühe geben, ihr tatsächliches Vorgehen vor dem Souverän zu verbergen?

Keine fünf Jahre nach Beendigung des Vietnamkrieges resümiert Nixon:

Seit unserem Scheitern in Vietnam sind die Amerikaner bei der Anwendung von Gewalt übertrieben ängstlich gewesen, eine Hemmung, welche die Sowjets und ihre Stellvertreter nicht geteilt haben. […] Wenn die Vereinigten Staaten die falschen Lehren von Vietnam nicht abschütteln und das Vietnam-Syndrom nicht hinter sich lassen, werden wir die Sicherheit unserer Verbündeten und schließlich unsere eigene Sicherheit verspielen. Das ist die wahre Lehre von Vietnam – nicht daß wir auf die Macht verzichten sollten, sondern daß, wenn wir nicht lernen, sie erfolgreich zur Verteidigung unserer Interessen einzusetzen, das Blatt der Geschichte sich gegen uns wenden wird und gegen alles, woran wir glauben.

Richard Nixon22

Und mit Vietnam-Syndrom ist die krankhafte Ablehnung militärischer Gewalt gemeint.

JSOC und Operation Cyclone

Bereits 1999 verkündet George W. Bush in einer Wahlkampfrede die neue Kriegsdoktrin.

Im kommenden Jahrhundert müssen unsere Streitkräfte wendig, todbringend und jederzeit einsatzbereit sein und mit einem Minimum an logistischer Unterstützung auszukommen verstehen. Wir müssen in der Lage sein, unsere Macht über weite Entfernung hinweg auszuüben, und eher innerhalb von Tagen und Wochen als von Monaten. An Land müssen unsere schweren Truppen leichter werden. Unsere leichten Truppen müssen schlagkräftiger werden. Alles muss einfacher zum Einsatz zu bringen sein.

George W. Bush23

Zwei Jahre vor dem 11. September 2001, der angeblich die Welt verändert hat, ist die alte Doktrin, die neue Doktrin: Spezialeinsatzkräfte des US-Militärs müssen jederzeit, weltweit „todbringend“ zuschlagen können. Was nicht gerade nach einem Projekt zur Stärkung von Demokratie und Menschenrechten klingt, ist tatsächlich auch nur das Vorhaben, „die amerikanische Dominanz über die natürlichen Ressourcen weltweit noch stärker auszubauen und dabei auch in direkte Konfrontation mit jenen Staaten zu gehen, die sich dem in den Weg stellen würden“, so Jeremy Scahill über die Ziele der Neokonservativen.24

Für den neuen weltweiten Dominanzkrieg, der unter dem gesellschaftlich wesentlich akzeptableren Label „War on Terror“ daher kommt, sind spezielle Kampftruppen vonnöten. Das Problem ist allerdings die Möglichkeit diese Kommandos auch einsetzen zu dürfen. enn ein Präsident eine verdeckte Operation am Kongress vorbei durchführen will, benötigt er besonders geheime Einheiten. Und seit den 1980er Jahren stehen ihm diese auch zur Verfügung.

Das Joint Special Operations Command (JSOC) wurde 1980 gegründet, nachdem die Operation Eagle Claw desaströs gescheitert war. Bei dieser Operation sollten Delta Force Truppen 1979 die amerikanischen Staatsbürger bei der Geiselnahme von Teheran in der US-Botschaft befreien. Nicht nur, dass zwei Helikopter auf dem Flug zum Einsatz im Sandsturm im Iran abstürzten, bei der Evakuierungsmission kollidierte auch noch ein weiterer Hubschrauber mit einem Transportflugzeug. Acht Soldaten starben und keine Geisel wurde befreit. ls Reaktion gründeten die USA JSOC. Es sollte die geheimste Zusammenführung von Spezialeinsatzkräften werden. Da das JSOC nirgends offiziell erwähnt wurde, sollte es direkt dem Präsidenten unterstehen und somit als seine „Privatarmee“ fungieren.25

Für besondere Aufgaben, braucht es besondere Kräfte. Und so setzt sich JSOC aus verschiedenen Einheiten zusammen: Delta Force, Navy SEALs, 75. Army Rangers. Ergänzt wird JSOC bei Bedarf durch die Paramilitärs der Special Activities Division der CIA.
JSOC, das „sind Kommandotruppen, sie töten Einheimische. Diese Leute haben wenig Ahnung vom Gesamtbild, von den Auswirkungen [ihrer Operationen] auf das Ansehen der USA in der Welt“, so Oberst Walter Patrick Lang, Spezialist für Geheimoperationen.26
Und weil diese Einheiten die Zusammenhänge nicht verstehen und auch nicht hinterfragen, weil Patriotismus und Korpsgeist das Gewissen ausschalten, sind diese Truppen auch überall und für alles einsetzbar. In den schmutzigen Kriegen in Lateinamerika spielten sie immer eine zentrale Rolle.
Ob bei der Operation „Urgent Fury“ in Grenada, ob in Honduras bei der Unterstützung für die Contras in Nicaragua, ob bei der Operation „Just Cause“ in Panama oder später in Afghanistan, Somalia, Mogadischu, Irak, Jemen und Pakistan. JSOC-Einheiten sind laut Scahill vor allem eines, Kampftruppen mit der besonderen Fertigkeit zur „Niederschlagung von Aufständen.“27

Eine bedeutende Rolle spielte JSOC bei der „Operation Cyclone“. Von Beginn an war eines der zentralen Einsatzgebiete Afrika und der so genannte Nahe Osten. Zusammen mit der CIA bestand der Auftrag in Aufbau und Unterstützung antikommunistischer Guerillas in Afghanistan. Von 1979 an bewaffneten US-Einheiten die Mujaheddin und bildeten sie an schweren Waffen und in Partisanentechniken aus. Von 1979 bis 1989 verausgabten die USA zwischen 328 und 6[22] Milliarden US-Dollar Militärhilfe für die Mudschaheddin. Saudi Arabien sicherte Militärhilfe in der gleichen Höhe zu. Es sollte jedoch nicht nur bei der Militärhilfe bleiben.

Moderne Stingerraketen brachten die Wende im antikommunistischem Kampf gegen die Sowjetunion. Lieferung und Ausbildung übernahmen u.a. JSOC Einheiten. Bild: Department of Defense

1980 übernahm Gustav Avrakotos den Posten des Task Force Chiefs. Spitzname Dr. Dirty. Dieser ließ Schubkarren und Fahrräder so präparieren, dass darin Bomben versteckt werden konnten. Anschließend wurden diese vor die Quartiere der Sowjets in Kabul abgestellt. Lange bevor ISAF-Soldaten von IEDs (improvised explosive device – unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtungen) der „Taliban“ zerrissen wurden, brachten US-Spezialeinheiten den Terror nach Afghanistan. Avrakatos wurde später zitiert: „Do I want to order bicycle bombs to park in front of an officer’s headquarter? – Yes. That’s what spread fear.“29

IEDs sind die größte Bedrohung für Soldaten der westlichen Wertegemeinschaft in Afghanistan. „That’s what spread fear.“ Bild: United States Marine Corps

War on Terror

Nach dem 11. September 2001 setzten die USA zunächst auf eine altbewährte Strategie. Während medienwirksam Cruise Missiles in die Wüste geschossen wurden und irgendwelche Kampfflugzeuge beim Starten und Landen auf Flugzeugträgern gefilmt wurden, rekrutierten CIA-Paramilitärs die gut bekannten ehemaligen Mudschaheddin der Nordallianz. Es ist das gleiche Vorgehen wie in Laos oder in Nicaragua und Kolumbien. Die ersten Special Forces, die unter dem Codenamen Jawbreaker Afghanistan infiltrierten, bildeten zusammen mit ODA-Teams die Milizen der ortsansässigen Warlords für den Kampf mit den Taliban aus.30
Dabei sind die Kommandosoldaten nicht als reguläre Soldaten gekennzeichnet. Nach US-Definition[23] wären es illegale Kombattanten, die nicht dem Kriegsrecht unterstehen.

US Special Forces Operational Detachment Alpha 574 zusammen mit Hamid Karzai im Oktober 2001. Bild: U.S. Army

Kaum acht Wochen nach den Anschlägen hatte die Nordallianz bereits die wichtigsten Städte unter ihre Kontrolle gebracht. Und während die Medien über Bombardierungen von Bergen und unglaublichen Bunkeranlagen berichteten[24], verübte die Nordallianz unter den Augen der Special Forces zahlreiche Kriegsverbrechen. Am 25. November 2001 kam es zu einem Aufstand in der zu einem Gefängnis umgebauten Festung Qala-i-Jangi. Etwa 500 vermeintliche Taliban konnten einige Bewacher töten und erhielten so Zugang zu einigen Schnellfeuerwaffen und Mörsern und Granaten.

Die Nordallianz begann daraufhin die Festung mit Panzern zu beschießen. Später kamen US-amerikanische Special Forces und britische Einheiten der Special Boat Service zur Unterstützung hinzu. Zur Vorbereitung eines Angriffes beschossenen zwei AC-130 die Festung. Ein Kampfflugzeug, das darauf ausgelegt ist, lange Zeit über dem Zielgebiet zu kreisen und das gesamte Gebiet mit den an Bord befindlichen zahlreichen Maschinenkanonen unter Dauerfeuer zu legen. Dabei geht es nicht im Geringsten um Präzision, sondern um flächendeckende Vernichtung.

Drei Tage lang wurden die Aufständischen von Panzern, Kampfflugzeugen und Bodentruppen beschossen. 100 Gefangene verschanzten sich daraufhin in den Kellergewölben der Anlage. Nachdem es trotz Einsatzes von Granaten und brennendem Öl nicht gelang, die Aufständischen zum Aufgeben zu bewegen, setzte die Nordallianz unter General Dostum das Gewölbe unter Wasser. Mehr als 60 Menschen ertranken. Lediglich 86 der 500 Gefangenen überlebten, viele erlagen später ihren schweren Verletzungen. Zahlreiche Tote hatten auf dem Rücken verbundene Hände, weshalb Amnesty International und die UNO eine Untersuchung forderten, die von den USA und Großbritannien abgelehnt wurde.

AC-130H Spectre: Fliegende Massenvernichtungswaffen. Bild: U.S. Air Force

Im Dezember 2001 verbrachte die Nordallianz wieder unter Aufsicht amerikanischer Spezialeinheiten tausende Gefangene in Frachtcontainern in ein neues Gefängnis. Zwischen 150 und 300 Gefangene wurden in einen Container gesperrt. Schon nach kurzer Zeit rangen die vermeintlichen Taliban nach Luft. Es wurde unerträglich heiß und die Gefangenen drohten während der langen Fahrt zu verdursten oder zu ersticken. Die „Taliban“ fingen an zu rufen und zu flehen, woraufhin die Sicherheitskräfte begannen, „Luftlöcher“ in die Container zu schießen. „Nach den Aussagen eines Taxifahrers rann aus dreien der Container Blut.“ In der Nähe des Ziel-Gefängnisses, in Dasht-i-Leili, hielten die LKW an. Hunderte Gefangene waren zu diesem Zeitpunkt entweder verblutet, verdurstet oder erstickt. Wer noch lebte, wurde nun „unter den Augen von 30 bis 40 US-Amerikanern“[25] zu einem Massengrab gebracht und dort hingerichtet.
Bis zu 3.000 Menschen sollen auf diese Weise exekutiert worden sein (Das Massaker, das nicht sein darf[26].

Die Kriegsverbrechen, die begangen wurden, wurden dennoch nicht in Zusammenhang mit den USA gebracht. Die verdeckten Kriege in Laos, Kambodscha aber auch Kolumbien und Nicaragua hatten gezeigt, dass die Delegation der Gewaltausübung an lokale Akteure, lediglich unterstützt von eigenen Special Forces und CIA-Paramilitärs, die eigene Beteiligung auf ein Minimum reduziert und die Öffentlichkeit, auch durch die Kumpanei von Medien, in die Irre führt.31

Menschenjagd – die weltweite Tötungsmaschine

In den Folgejahren wurde JSOC immer weiter ausgebaut. „Von 2003 bis 2007 war das US-Budget für Spezialeinsätze um 60 Prozent auf über 8 Milliarden Dollar jährlich gewachsen.“32 Das ist über ein Viertel des Wehretats Deutschlands. Und zwar ausschließlich für geheime Operationen!
Noch frappanter werden die Größenordnungen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass darüber hinaus 85 Prozent des US-Gesamtbudgets für Geheimdienste dem Pentagon unterliegt. Die CIA hat lediglich 12 Prozent zur Verfügung.33 In einer Militärdiktatur würden die Zahlen wohl kaum anders aussehen.

Ausgestattet mit solchen Finanzmitteln „konnten nicht nur die Kampfeinheiten erheblich vergrößert werden, sondern es wurde auch massiv in Nachschub und Logistik investiert, was den Navy Seals und der Delta Force künftig erlauben würde, verdeckte Operationen über Tage oder Wochen hinweg durchzuführen. […] Jetzt konnte [JSOC] seine eigenen Kriege führen“.34

Doch die Kriege von JSOC sind keine konventionellen Kriege. Es sind Guerilla- und Partisanenkriege. Es sind Mordkommandos und Terroranschläge.
Der Hauptauftrag von JSOC besteht allerdings in der Menschenjagd. Jeremy Scahill hat zu seinem Standardwerk „Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen“ auch eine äußerst empfehlenswerte Fernsehreportage gedreht. In dieser kommt Captain Andrew Exum von den Army Rangers zu Wort. Exum war im Irak unter dem Kommando von JSOC im Einsatz. „Du beginnst mit einer Liste von Zielen. Vielleicht sind da 50 Leute drauf oder 200. Jetzt arbeitest du dich durch diese Liste und plötzlich hast du eine neue Liste mit 3.000 Namen drauf. Wieso ist die so lang geworden?“

Die Einsätze der Sonderkommandos beruhen ausschließlich auf nachrichtendienstlichen Erkenntnissen und niemand außerhalb von JSOC überprüft diese. Auftrag ist Auftrag. Colonel Lawrence Wilkerson, der ehemalige Stabschef von Colin Powells warnte vor dem möglichen Machtmissbauch:

Man macht sich an die Arbeit und erhält Informationen, und in der Regel kommen auch deine Informationen über diesen Apparat, und also sagt man: „Ja, das sind wirklich brauchbare Erkenntnisse. Also los mit Operation Blue Thunder. Packen wir’s an.“ Und du packst es an und tötest 27, 30 oder 40 Leute, wie viele auch immer, und nimmst sieben oder acht gefangen. Dann aber stellst du fest, dass die Informationen falsch waren und du einen Haufen unschuldiger Menschen gefangen hast. Also schickst du sie nach Guantánamo, denn dann erfährt niemand etwas davon. Du musst niemandem beweisen, dass du richtig gehandelt hast. Du hast alles im Geheimen getan, also kannst du einfach die nächste Operation in Angriff nehmen.

Colin Powell35

US Army Rangers. „Durch die Liste arbeiten“. Bild: U.S. Army

Die Soldaten wissen nicht, wen sie dort jagen und töten. Ihnen wird lediglich ein Geheimdienstmemo vorgelegt, dass es sich um ein hochwertiges Ziel handelt, dass es auszuschalten gilt. Woher die Informationen kommen, ob es sich um Beweise oder Gerüchte handelt, wissen die Tötungsspezialisten nicht. Und sie können und wollen es auch gar nicht überprüfen. Zusammen mit der bis heute geheim gehaltenen National Security Presidential Directive-38 von 2004 ergibt sich ein erschütterndes Bild über den Zustand der westlichen Wertegemeinschaft. In dieser Direktive wird, laut Scahill, dem Special Operations Command der USA genehmigt, die weltweite Menschenjagd zu betreiben.
Der Anwalt Scott Horton warnte, dass in diesem Tötungsprogramm erwogen werde, „Leute in Hamburg, Deutschland, Norwegen oder Italien ebenso zu ermorden wie in Marokko, Jordanien, dem Senegal, der Türkei, dem Jemen, den Philippinen und Staaten am Horn von Afrika.“36

Der Historiker Gareth Porter konstatierte: „Phoenix war praktisch der Vorläufer dieser [JSOC-] Methode der Kriegsführung.“37
Was Porter noch nicht wissen konnte, hat die New York Times aktuell bestätigt[27]. Das Tötungsprogramm von JSOC heißt „Omega“ und ist tatsächlich dem Phoenix-Programm nachmodelliert. Und das Phoenix-Programm in Vietnam wird von Beteiligten mit den „Gräueltaten der Nazis“ verglichen (Staatsterrorismus, Tyrannei und Folter[28]).
Ein Programm bei dem zwischen 20.000 und 80.000 vornehmlich Zivilisten gefoltert und ermordet wurden, dient der „Führungsnation der freien Welt“ als Modell für neue Tötungsaufträge. Und was in Vietnam im Kampf gegen den Kommunismus „funktioniert“ hat, wird auch heute im Kampf gegen den Terror wieder angewendet: Terror.

„Wenn sie [JSOC-Einheiten] hinter einer Person her sind, und es befinden sich weitere 34 Personen in dem Gebäude, dann werden 35 Personen sterben.“38
Das Vorgehen der Einsatzgruppen von JSOC erinnert durchaus an das Vorgehen der Wehrmacht bei der Partisanenbekämpfung. Wenn die Wehrmacht mit ihren Massenexekutionen „völkerrechtlichem Gewohnheitsrecht“ unterlagen und Massaker an der Zivilbevölkerung später als rechtmäßige „Sühneaktionen und Vergeltungsmaßnahmen“ akzeptiert wurden, können aktuelle „Repressaltötungen“ kaum noch verwundern.

Auch in diesem Zusammenhang sind die immerwährenden Klagen zu verstehen, man könne ja so schwer zwischen „Taliban“ und Zivilisten unterscheiden. JSOCs Massenexekutionen sind lediglich in der Form verändert und den technischen Möglichkeiten angepasst, inhaltlich sind sie hingegen sehr ähnlich. Auch wenn sich die USA selbstverständlich mehrheitlich nicht in einem Weltanschauungs- und Rassenkrieg befinden.

Im Mittelpunkt steht immer JSOC. Das berüchtigte Team 6 der Navy SEALs, das zwischenzeitlich umbenannt wurde in DEVGRU (United States Naval Special Warfare Development Group) und mittlerweile unter einem geheimen Einsatznamen operiert, entwickelt sich dabei zu einem Nachfolger der Tiger Force.
So berichtet[29] ein Ex-Mitglied, dass die Soldaten „wild geworden“ und „Tötungsorgien“ Routine seien. „Die Zielpersonen seien immer weniger bedeutend geworden.“ Das Einsatzzeichen des Red Squadron von Team Six zeigt einen „Indianer“ mit gekreuzten Tomahawks. Und ganz getreu dem Motto der SEALs „Gott wird unsere Feinde richten. Wir arrangieren das Treffen“, schlachtete in mindestens einem Fall ein Soldat einen „Feind“ mit einem extra angefertigten Tomahawk ab. „Diese Gemetzel wurden irgendwann zur Routine. Es gab so viele Ziele, jedes Opfer war nur noch ein weiterer Name“, zitiert[30] die New York Times einen ehemaligen Offizier.

Navy SEALs, früher legendenumwobene Spezialeinheit, heute Todesschwadron. Bild: Department of Defense

Und genau wie bei der Tiger Force werden Verbrechen nicht verfolgt und geahndet, Bei der „Operation Pandera“ soll[31] das Blue Squadron von Team Six in einem Dorf zahlreiche Zivilisten getötet haben. Nach Angabe einiger Beteiligter soll es sogar den Befehl gegeben haben, „alle Männer“ zu exekutieren. Ein Vorgehen, das aus Vietnam vielfach dokumentiert ist.
Spezialeinheiten mit dem besonderen Charisma des Ausgewähltseins, mit der Gewissheit im höheren Auftrag unterwegs zu sein und nicht zur Verantwortung gezogen zu werden, führen regelmäßig Gewaltexzesse aus. Das ist bekannt und wird nicht verhindert.
Im Gegenteil, genau diese Dynamik wird von den Verantwortlichen gefördert. Trotz der Zeugenaussagen zu dem Gemetzel wurden die Ermittlungen bezüglich Operation Pandera eingestellt und das Blue Squadron von „jedem Fehlverhalten“ frei gesprochen.

Dabei sind sich die Soldaten von JSOC der Illegalität ihrer Einsätze voll bewusst, aber das stört sie nicht weiter, da sie sich von höchster Stelle gedeckt fühlen. Sie sind „wie ein Wolfsrudel an vorderster Front, und sie tun, was sie für das Werk Gottes, manche auch für die Aufgabe Amerikas halten“.39
Angesichts des JSOC Chefs (2003-2008) Stanley A. McChrystal mag das kaum verwundern. War dieser doch der Überzeugung die USA befänden sich im Krieg mit dem Islam. Und um diesen Krieg zu gewinnen, müsste man einen Kreuzzug gegen das Kalifat führen, weshalb man den Begriff Terrorist „sehr, sehr weit gefasst“ hat.40

Die amerikanischen Taliban

Am 12. Februar 2010 feierte Mohammed Daoud Sharabuddin den Namenstag seines vor sechs Tagen geborenen Sohnes. Daoud ist ein Paradebeispiel für die amerikanische Strategie, „Herz und Verstand“ der Menschen gewinnen zu wollen. Er ist ein weithin respektierter Polizeibeamter und vor kurzem sogar zum Geheimdienstchef der Provinz Paktia befördert worden. Jahrelang hatte er gegen die Taliban gekämpft, auf einigen Fotos kann man ihn zusammen mit US-amerikanischen Soldaten posieren sehen, denn Daoud hatte zahlreiche Ausbildungsprogramme der USA durchlaufen.

Knapp 30 Menschen feierten und tanzten, als plötzlich das Licht auf dem Anwesen abgeschaltet wurde. Ein Musiker im Hof bemerkte, wie Laserstrahlen das Gelände abtasteten. Aus Angst vor einem Angriff der Taliban informierte er die anderen Anwesenden. Daoud und sein 15-jähriger Sohn Sediqullah wollten nachsehen, was an der Geschichte dran sei. Kaum hatten sie den Hof betreten, durchschlugen mehrere Kugeln ihre Körper und die beiden sackten blutüberströmt zu Boden. Und während sich die Angreifer zum Sturm auf das Haus formierten, brach drinnen Panik aus.

Plötzlich bemerkte jemand, dass die Angreifer nicht nur Paschtu, sondern auch Englisch sprachen. Die Angreifer waren Amerikaner. Während Daoud auf dem Boden zu verbluten drohte, ergriff sein Bruder Zahir die Initiative. Als Staatsanwalt der von den USA unterstützen Regionalregierung sprach er ein wenig Englisch. „Wir arbeiten für die Regierung!“, schrie er den Angreifern entgegen. „Schauen Sie sich doch unsere Polizeiwagen an. Sie haben einen Polizeikommandanten verwundet!“41
Zaid wollte den Angreifern entgegen gehen, um sie auf ihren Fehler aufmerksam zu machen. Drei Frauen der Familie versuchten ihn davon abzuhalten und hielten ihn an der Kleidung fest. Doch in diesem Moment schlugen bereits die nächsten Kugeln der Scharfschützen ein. Zahir, Bibi Saleha, 37, und Bibi Shirin, 22, starben schnell. Daoud und die erst 18-jährige Gulalai verbluteten über Stunden.

Ein Spezialeinsatzkommando der USA hatte aus der Familienfeier in Sekunden ein Massaker veranstaltet. Insgesamt wurden sieben Personen hingerichtet, zwei der Frauen waren schwanger. Die vermummten Kommandosoldaten stürmten das Gebäude, fesselten alle Männer und durchsuchten die Räume. Der Vater von Gulalai bat um ärztliche Hilfe für seine verblutende Tochter, doch die Soldaten antworteten nur, dass bald ein Hubschrauber die Verletzten in ein Krankenhaus fliegen würde.
Aber es kam kein Hubschrauber. Ganz im Gegenteil begannen die Soldaten plötzlich mit Messern in den Wunden der Frauen herumzustochern. „Sie holten die Kugeln aus den Leichen, um den Beweis für ihr Verbrechen zu beseitigen“, sagte Mohammed Sabir, ein Bruder von Daoud.42

Alle Überlebenden wurden in den Hof gebracht. Frauen und Männer wurden getrennt. Den Männern wurden Kapuzen über den Kopf gezogen. Mindestens zehn Männer, darunter der 65-jährige Familienvorstand Hadschi Sharabuddin, wurden massiv geschlagen und getreten. Es scheint, dass Kommandosoldaten die westlichen Werte in die Köpfe der Feinde hineinschlagen wollen. Ein Untersuchungsbericht der UN bestätigte später, dass die Überlebenden eine „brutale, unmenschliche und entwürdigende Behandlung [erfahren hätten], indem sie von amerikanischen und afghanischen Einsatzkräften körperlich attackiert, festgehalten und gezwungen wurden, mit bloßen Füßen mehrere Stunden draußen in der Kälte zu stehen.“43

Sieben Männer wurden anschließend in ein Geheimgefängnis verbracht und tagelang verhört. „Die amerikanischen Vernehmer hatten Bärte und trugen keine amerikanische Uniform. Sie waren sehr muskulös“, berichtete Sabir von den Verhören. Später wird das Familienoberhaupt Hadschi gegenüber dem Investigativjournalisten Jeremy Scahill sagen:

Am Anfang dachten wir, die Amerikaner seien die Freunde der Afghanen, aber jetzt halten wir die Amerikaner selbst für Terroristen. Die Amerikaner sind unsere Feinde. Sie bringen Terror und Zerstörung. Die Amerikaner haben nicht nur mein Haus, sie haben meine Familie zerstört. Die Amerikaner haben uns die Spezialkräfte auf den Hals gehetzt. Diese Spezialkräfte mit ihren langen Bärten haben entsetzliche, kriminelle Sachen gemacht. Wir nennen sie die amerikanischen Taliban.

Hadschi44

Kommandosoldaten der Delta Force ohne Uniform und Hoheitsabzeichen. Hybride Kriegsführung und verdeckte Operationen haben in den USA eine lange Tradition. Bild: United States Government

Der entgrenzte Krieg

Die US-Regierung eskaliert den Staatsterror immer weiter. Zwischen 2006 und 2008, so die New York Times[32], sind pro Nacht bis zu 25 Menschen allein von Team 6 der Navy SEALs ermordet worden. „Gegen Ende 2009 führten JSOC-Kommandos monatlich nicht weniger als achtzig, neunzig solcher Mordaufträge aus“, erklärt Armin Wertz in seiner Zusammenschau „Die Weltbeherrscher. Militärische und geheimdienstliche Operationen der USA“.

Im September 2009 reichte der US-Diplomat Matthew Hoh, mehrfach ausgezeichneter US-Marine mit Einsätzen im Irak und anschließend höchster US-Vertreter in der afghanischen Provinz Zabul, sein Rücktrittsgesuch ein. Im Zentrum steht seine Anklage, dass die „Präsenz und die Operationen der USA und der NATO in den paschtunischen Tälern und Dörfern“ faktisch auf „eine Besatzungsmacht“ hinauslaufen, „gegen die ein Aufstand gerechtfertigt ist“.45
Die meisten Taliban würden die USA überhaupt nicht bedrohen, „sondern eigentlich nur gegen uns kämpfen, weil wir uns in ihren Tälern herumtreiben“. Nach Einschätzung Hohs gab es damals „fünfzig bis hundert al-Qaida-Kämpfer in Afghanistan“.46

Ein Krieg kann total sein in der Anwendung der Waffen. Er kann total sein in der Brutalisierung der Kriegsführung. Er kann total sein in der Gleichschaltung der Bevölkerung durch Desinformation und Propaganda. Und er kann total sein in der Ausweitung der Zielgebiete und Zielpersonen.
Zwischen 2011 und 2014 waren US-Special Forces in 150 von 196 Ländern der Erde aktiv[33].
Neben „Militärberatung“ und Ausbildung von Spezialeinheiten „befreundeter“ Länder gehören „capture or kill“-Aufträge zum Aufgabenspektrum.
Die USA führen einen geheimen, weltweiten Krieg und westliche Politiker wie Medien verschließen die Augen davor. Das Special Operations Command der US-Streitkräfte hat, ganz nach der oben erwähnten Bush-Doktrin, sein Personal von 2001 bis heute auf mehr als 70.000 Einsatzkräfte verdoppelt. Und immer wieder sind die Spezialkommandos bei Umstürzen oder Aufstandsbekämpfungen dabei. Je nachdem, wie es den USA nützt.

In Afghanistan werden die Truppenstärken reduziert und es sollen angeblich nur noch Objektsicherer, Unterstützer und Ausbilder im Land bleiben. Doch die Realität sieht anders aus. „Es liegt jetzt alles im Schatten“, erklärte[34] ein ehemaliger afghanischer Sicherheitsbeamter. „Der offizielle Krieg der Amerikaner – der Teil des Krieges den man sehen kann – ist beendet. Der geheime Krieg aber geht weiter. Und er geht hart weiter.“

Deutschlands neue Macht – das Kommando Spezialkräfte?

Auch die Bundeswehr verfügt seit 1996 über Kommandosoldaten, die schnell weltweit zum Einsatz kommen können. Offiziell sollen es etwa 1.100 Soldaten inklusive Unterstützungskräften und Stab sein. Genaues weiß man jedoch nicht, da alles, was mit dem Kommando Spezialkräfte (KSK) zu tun hat, der militärischen Geheimhaltung unterliegt[35]. Alle „Missionen sind geheim, nur ein sehr kleiner Kreis von Bundestagsabgeordneten wird im Nachhinein informiert“. Die westlichen Werte Demokratie und Rechtsstaat enden da, wo militärische Werte beginnen.
Und das ist der Kern des westlichen Wertebündnisses, welches vielmehr ein westliches Militär- und Ressourcensicherungsbündnis ist.

„Kurz nach den Terroranschlägen vom 11.9.2001 in den USA, die Trümmer rauchten noch, haben sich die Special Forces der Amis, also Navy Seals, Ranger und Delta Force, bei uns gemeldet und darum gebeten, dass wir ihnen bei der Fahndung nach den verantwortlichen Tätern in Afghanistan helfen.
Kanzler Gerhard Schröder und Verteidigungsminister Rudolf Scharping haben gleich grünes Licht gegeben. Wir sind also ohne Mandat des Parlaments in den Krieg gezogen. Und das unter einer rot-grünen Regierung …“, erinnert[36] sich ein Kommandosoldat.

Im März 2002 nimmt das KSK an der multinationalen „Operation Anaconda“ teil, bei der angeblich bis zu 1.000 Al Qaida- und Talibankämpfer aufgespürt und vernichtet werden sollen. „Und dann liegst du in getarnter Stellung. Warten, gucken, warten, gucken. Kommt so eine blöde Ziege näher. Wir werfen Steine – nutzt nix. Wenig später ist der Hirte da, ein Alter. Du zielst auf ihn. Deine Dipolantenne ragt aus der Stellung. Der bückt sich runter zu dir, sagt ,Salem Aleikum“ und geht ganz cool weiter. Du bist enttarnt, meldest das, verlegst die Stellung, und irgendwann holt dich der Helikopter da raus“, beschrieb[37] ein Kommandohauptfeldwebel die Situation.
Später werden die US-Amerikaner „hart nachfragen, weshalb der Oberfeldwebel den Ziegenhirten nicht ‚eliminiert‘ habe. Schallgedämpft abknallen, dann hätte er den Auftrag fortsetzen können.“

Ziegenhirten „abknallen“, denn die Freiheit der westlichen Welt wird am Hindukusch verteidigt. Bild: U.S. Navy

Ein ehemaliger KSK-Offizier weiß zu berichten, dass die „Amis“ tatsächlich solche „Bedrohungen“ einfach eliminieren. „Wir haben in Afghanistan gesehen, wie ekelhaft US-Soldaten mit Afghanen umgesprungen sind, Fußtritte und Kolbenstöße waren noch harmlos. Sie haben sie behandelt wie Untermenschen.“
Bei der „Operation Anaconda“ hätten die Spezialeinheiten der Amerikaner auch ganze Dörfer „platt gemacht“ und Häuser geplündert. Diese Zurückhaltung sollte das KSK jedoch später ablegen.

So erklärte[38] NATO General a.D. Egon Ramms gegenüber Deutschlandradio: „Deutsche Soldaten, Spezialkräfte, sind auch schon im Jahr 2002, Ende 2001, Anfang 2002 unter dem Mandat für Operation Enduring Freedom nach Afghanistan gegangen – ich wiederhole: deutsche Spezialkräfte -, und die sind dort nicht gewesen, um Blümchen zu pflücken.“
Auch Hans-Otto Budde, Generalleutnant a.D. und von 2004 bis 2010 Inspekteur der Heeres, verweist[39] auf die neuen Soldaten für die neuen Aufgaben:

Der „Staatsbürger in Uniform“, der mit seiner Familie in unserer Nachbarschaft wohnte und um siebzehn Uhr dreißig nach Hause kam, hat ausgedient. „Wir brauchen den archaischen Kämpfer und den, der den High-Tech-Krieg führen kann.“

Hans-Otto Budde

Archaische Kämpfer und der Mann an sich. Über die Einsätze deutscher Kommandosoldaten ist so gut wie nichts bekannt. Bild: U.S. Army

Und als archaische Kämpfer nehmen sich die Kommandosoldaten auch wahr. „Da geht es auch um den Mann an sich, den Krieger“, sagt[40] ein 32-jähriger Hauptmann. Und was die Aufgabe eines solchen Kriegers ist, erläutert[41] Brigadegeneral Hans-Christoph Ammon, Kommandeur des KSK von 2007-2010: „Die Einsätze haben sich verändert: Unsere Soldaten müssen regelmäßig töten.“
Da kommt ein Kommandosoldat schon mal auf „ein gutes Dutzend“ getöteter „Feinde“. Aber unzweifelhaft ist der Gegner selber schuld. „Der Feind war und ist grausam. Natürlich haben wir Namen von Zielpersonen und Handy-Nummern, die wir beschaffen konnten, an die Nato-Kommandozentrale weitergegeben. Wir haben die Taliban gejagt, ausgespäht, umzingelt, in blutigen Gefechten getötet.“
Wie die Zielpersonen auf die Listen kommen, das weiß ein Elitesoldat nicht, aber es kümmert ihn auch nicht weiter, schließlich sind das alles Terroristen.

Doch wird der Begriff Terrorismus meist nur propagandistisch benutzt. Und zwar, so Noam Chomsky47, „um terroristische Handlungen zu bezeichnen, die von Feinden gegen uns oder unsere Verbündeten begangen werden. Diese propagandistische Bedeutung ist nahezu universell. Dieser ‚Terrorismus‘ wird von allen verurteilt. Auch die Nationalsozialisten wandten sich gegen ihn und lancierten ‚gegen-terroristische‘ Angriffe, um die Partisanen abzuwehren.“

Das alles klingt nicht nach den offiziellen Verlautbarungen, dass es um die westlichen Werte von Demokratie und Menschenrechten gehen würde. Andererseits hatte der der Sprecher des deutschen Isaf-Kontingents, Fregattenkapitän Alexander von Heimann, bereits 2008 konstatiert[42]: „Menschenrechte sind nicht unser Mandat.“

Westliche Werte, geheime Kriege und parapolitische Strukturen

Der sicherheitspolitische Analyst Daniel Robert Kramer hat aufgezeigt, wie die Verantwortlichen für verdeckte Operationen und geheime Kriege parallele Strukturen zu den offiziellen Staatsstrukturen aufbauen. „Die Praxis verdeckter paramilitärischer Operationen wurde durch informelle Netzwerke bestimmt. In der Umsetzung der Kriege entwickelten sich Prozesse, die zur Verfestigung parapolitischer Strukturen führten.“48 So kann der Präsident der USA mittlerweile Kriege führen „ohne auf die Bestätigung durch demokratische Kontrollorgane angewiesen zu sein und Einschränkungen durch den Kongress Beachtung schenken zu müssen“49

Diese informellen und geheimen Strukturen werden durch einen engen Personenkreis gestützt. „Bei parapolitischen und paramilitärischen Netzwerken handelt es sich entsprechend um Akteursgruppen, die mit offiziellen politischen und militärischen Institutionen verbunden sind und zusammenarbeiten, um eigene, verdeckte, illegale Ziele zu verfolgen, die im Resultat dem Funktionieren offizieller staatlicher Institutionen entgegenstehen.“50

Ein Netzwerk aus Politikern, Militärs, Rüstungsindustriellen, Unternehmern, Geheimdienstlern, Wissenschaftlern und Medienvertretern ist prinzipiell nichts anderes als das, was unter anderem unter dem Begriff „Tiefer Staat“ firmiert. Zusammen mit Notstandsgesetzen und Ausnahmezustandsregelungen verfestigen sich antidemokratische, klandestine Strukturen, deren Machtpotenzial von keiner demokratisch legitimierten Institution kontrolliert oder gar wieder abgeschafft werden kann.

Dementsprechend ist es möglich, dass ein Großteil der politischen wie militärischen Entscheider nicht einmal weiß, welche Rolle ihnen im Gesamtgeschehen zukommt. Während große Kampfverbände im Irak und in Afghanistan zumindest in der Selbstwahrnehmung tatsächlich versuchen, defensiv und schützend zu agieren, hintergehen Spezialeinsatzkommandos diese Bemühungen in verdeckten Operationen. Aufgrund der Geheimhaltung wird dies auch nie jemand überprüfen können. Und wie es Oberst Lang zusammenfasste: „Diese Leute [Kommandosoldaten] haben wenig Ahnung vom Gesamtbild.“

Ähnliche Strukturen sind von Bereichen der organisierten Kriminalität oder von Terrororganisationen bekannt. Der Kern krimineller bzw. terroristischer Aktionen wird verdeckt durch einen dicken Mantel an zivilen, sozialen Bemühungen. Die Hamas betreibt Krankenhäuser, Kindergärten, eine Universität und unterstützt Opfer israelischer Militäreinsätze, mafiöse Organisationen finanzieren Schulen oder bauen Fußballstadien.
Ähnlich werden die illegalen Mordkommandos des Westens mit normalen Einheiten umgeben, die in Kriegsgebieten „Wiederaufbau“ betreiben und ebenfalls Schulen aufbauen und Frauenrechte schützen sollen. Der Kampf um Herz und Verstand ist nichts anderes als die propagandistische Desinformation der Bevölkerungen sowohl im Heimatland als auch im Kriegsgebiet, um geheime Ziele in verdeckten Operationen zu verfolgen.

„Wenn es aus den Militäroperationen der vergangenen zehn Jahre eine Lehre zu ziehen gibt, dann die, dass die USA hervorragend Aufstände anzetteln können. Sie verstehen sich darauf, eine Regierung zu stürzen“, so Daveed Gartenstein-Ross, Anti-Terror-Berater für verschiedene US-Regierungsbehörden und Senior Fellow des konservativen Think Tanks Foundation for Defense of Democracies.51
Die westliche Wertegemeinschaft besteht im Kern aus nur einem Wert. Bedauernswerterweise sind dies nicht die Menschenrechte, sondern der gemeinsame Wille, die Welt zu beherrschen und zu unterwerfen. Weltherrschaft um jeden Preis.

Anhang – Fußnoten

1) Daniel Robert Kramer. Verdeckte militärische Operationen der USA. Informelle Netzwerke, Paramilitärs und delegierte Kriegsführung in den Drogenökonomien Laos, Nicaragua, Kolumbien und Afghanistan. Berlin 2011. S. 11

2) Armin Wertz. Die Weltbeherrscher. Militärische und geheimdienstliche Operationen der USA. Frankfurt/Main 2015. S. 90

3) Armin Wertz. Die Weltbeherrscher. S. 92

4) Noam Chomsky: People without Rights. Kosovo, Ost-Timor und der Westen. Hamburg 2002. S. 38

5) Noam Chomsky. Die göttliche Lizenz zum Töten (1987). In: Noam Chomsky. Die Herren der Welt. Essays und Reden aus fünf Jahrzehnten. Wien 2014. S. 97

6) Armin Wertz. Die Weltbeherrscher. S. 132

7) Armin Wertz. Die Weltbeherrscher. S. 145

8) Armin Wertz. Die Weltbeherrscher. S. 151

9) Armin Wertz. Die Weltbeherrscher. S. 129ff

10) Bernd Greiner. Krieg ohne Fronten. Die USA in Vietnam. Hamburg 2009. S. 212

11) Bernd Greiner. Krieg ohne Fronten. S. 215

12) Bernd Greiner. Krieg ohne Fronten. S. 216

13) Krieg ohne Fronten. S. 225

14) Bernd Greiner. Krieg ohne Fronten. S. 231

15) Krieg ohne Fronten. S. 238

16) Erik Fischer. Die USA im Vietnamkrieg. Kriegsverbrechen amerikanischer Soldaten. Hamburg 2009. S. 101.

17) Bernd Greiner. Krieg ohne Fronten. S. 253f.

18) Eigentlich MACV-SOG: Military Assistance Command, Vietnam – Studies and Observation Group. Ein Spezialeinsatzkommando für „unkonventionelle Kriegführung“. Es war während des Vietnamkrieges bei streng geheimen Operationen in ganz Südostasien im Einsatz.

19) Krieg ohne Fronten. S. 254

20) Vgl. Daniel Robert Kramer. Verdeckte militärische Operationen der USA. S. 33ff

21) Vgl. Daniel Robert Kramer. Verdeckte militärische Operationen der USA. S. 34

22) Richard Nixon: So verlieren wir den Frieden. Der III. Weltkrieg hat schon begonnen. Hamburg 1980 S. 130

23) Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen. München 2013. S. 25

24) Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen. München 2013. S. 25

25) Vgl. Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege. S. 75

26) Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege. S. 76

27) Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege. S. 78

28) Daniel Robert Kramer: Verdeckte militärische Operationen der USA. S. 182

29) Daniel Robert Kramer: Verdeckte militärische Operationen der USA. S. 186

30) Daniel Robert Kramer: Verdeckte militärische Operationen der USA. S. 202

31) Vgl. Daniel Robert Kramer: Verdeckte militärische Operationen der USA. S. 229

32) Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege. S. 272

33) Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege. S. 135

34) Mark Mazzetti. Killing Business. Der geheime Krieg der CIA. Berlin 2013. S 151

35) Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege. S. 177

36) Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege. S. 218

37) Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege. S. 155

38) Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege. S. 316

39) Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege. S. 231

40) Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege. S. 149

41) Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege. S. 414

42) Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege. S. 415

43) Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege. S. 416

44) Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege. S. 428

45) Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege. S. 410

46) Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege. S. 411

47) Noam Chomsky: The Attack. Hintergründe und Folgen. Hamburg 2001. S. 64

48) Daniel Robert Kramer: Verdeckte militärische Operationen der USA. S. S. 233

49) Daniel Robert Kramer: Verdeckte militärische Operationen der USA. S. S. 234

50) Daniel Robert Kramer: Verdeckte militärische Operationen der USA. S. S. 236

51) Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege. S. 263

Links

[1] http://www.heise.de/tp/artikel/42/42753/

[1] http:/ /creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.de

[1] http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.de

[2] http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/kontext/swr2-kontext-weder-krieg-noch-frieden-russlands-hybride-kriegsfuehrung/-/id=4352076/did=14792746/nid=4352076/3pykcc/index.html

[3] http://www.welt.de/politik/ausland/article137341869/Experten-warnen-vor-hybrider-Kriegsfuehrung.html

[4] http://www.zeit.de/2015/11/nato-ukraine-krieg-russland

[5] http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A27_tga.pdf

[6] https://twitter.com/spomke/status/592580747816542208

[7] https://history.state.gov/historicaldocuments/frus1945-50Intel/d292

[8] http://nsarchive.gwu.edu/NSAEBB/NSAEBB4/

[9] https://www.cia.gov/news-information/featured-story-archive/earthquake-mcgoons-final-flight.html

[10] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45139982.html

[11] http://www.war-stories.com/pointman-a-shau-valley-mcginley-1968.htm

[12] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45139982.html

[13] http://www.spiegel.de/panorama/kriegsverbrechen-in-vietnam-apocalypse-now-a-295224.html

[14] http://www.327infantry.org/photos/p_vietnam?q=photos/p_vietnam-8&phpMyAdmin=2a8cbab6008b35bc262dc17200499568

[15] http://www.327infantry.org/first/tiger_force_photos.htm

[16] http://www.tigerforcerecon.com/

[17] http://www.arte.tv/guide/de/030738-000/amerikas-geheimer-krieg-in-laos

[18] http://de.wikipedia.org/wiki/Ebene_der_Tonkr%C3%BCge

[19] http://legaciesofwar.org/about-laos/secret-war-laos/

[20] http://en.wikipedia.org/wiki/File:HoCMT.png

[21] http://legaciesofwar.org/about-laos/secret-war-laos/

[22] http://www.spiegel.de/einestages/30-jahre-afghanistan-invasion-a-948665.html

[23] http://de.wikipedia.org/wiki/Ungesetzlicher_Kombattant

[24] http://www.faz.net/aktuell/politik/terror-und-die-folgen-1-000-al-qaida-kaempfer-bei-tora-bora-eingekesselt-129238.html

[25] http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Afghanistan/massaker.html

[26] http://www.heise.de/tp/artikel/12/12758/

[27] http://www.nytimes.com/2015/06/07/world/asia/the-secret-history-of-seal-team-6.html

[28] http://www.heise.de/tp/artikel/44/44047/

[29] http://www.spiegel.de/politik/ausland/navy-seals-weiten-einsaetze-aus-und-toeten-oft-gezielt-a-1037638.html

[30] http://www.nytimes.com/2015/06/07/world/asia/the-secret-history-of-seal-team-6.html

[31] http://www.focus.de/politik/ausland/exzessives-toeten-eliteeinheit-auf-menschenjagd-die-geheimen-operationen-des-navy-seal-team-6_id_4733463.html

[32] http://www.nytimes.com/2015/06/07/world/asia/the-secret-history-of-seal-team-6.html

[33] http://www.tomdispatch.com/blog/175945/tomgram%253A_nick_turse%252C_a_shadow_war_in_150_countries/

[34] http://www.nytimes.com/2015/02/13/world/asia/data-from-seized-computer-fuels-a-surge-in-us-raids-on-al-qaeda.html

[35] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/ehemaliger-ksk-soldat-in-geheimer-mission-verschlissen-12911510-p2.html

[36] http://www.focus.de/politik/ausland/afghanistan/reportage-enttarnt-vom-ziegenhirten_id_4473332.html

[37] http://www.stern.de/politik/deutschland/3-kommando-spezialkraefte-die-profis-531806.html

[38] http://www.deutschlandradiokultur.de/bundeswehr-in-afghanistan-die-sind-nicht-dort-gewesen-um.1008.de.html?dram:article_id=307423

[39] http://www.welt.de/print-wams/article107173/Bundeswehr-braucht-archaische-Kaempfer.html

[40] http://www.zeit.de/2010/31/KSK-Kommando-Spezialkraefte/seite-2

[41] http://www.focus.de/politik/ausland/afghanistan/reportage-enttarnt-vom-ziegenhirten_id_4473332.html

[42] http://www.taz.de/!5179711/

[43]  http://www.heise.de/tp/artikel/44/44047/

Jochen

Terrorismus der westlichen Welt Teil 1: Kriege, Kriegsverbrechen und Propaganda

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Dieser erste Teil eines dreitiligen Artikels von Sascha Pommrenke ist so gut, dass ich ihn hier unbedingt fast komplett wiedergeben muss.
Er fasst alles, was zu sagen wäre, schön zusammen und ist trotzdem recht lang. Eine ausführliche Diskussion dazu findet sich hier:
http://www.heise.de/tp/artikel/43/43771/1.html

Der Terrorismus der westlichen Welt – Teil 1

„Unsere Kultur, unsere Demokratie steht gegen Unfrieden, Hass und todbringende Gewalt“, frömmelte[1] der Bundespräsident in seiner Weihnachtsansprache.
Währenddessen beglückwünschte[2] sich die NATO für die besonders erfolgreiche ISAF-Mission in Afghanistan selbst.
Todbringende Gewalt, auch das weiß[3] Gauck, muss man bekämpfen: „Und in diesem Kampf für Menschenrechte oder für das Überleben unschuldiger Menschen ist es manchmal erforderlich, auch zu den Waffen zu greifen.“ Und zu den Waffen greift die westliche Wertgemeinschaft schnell und gerne. Millionen Tote und unzählige Verstümmelte hinterlässt der „Kampf für Menschenrechte“.

Die Artikelserie zum Terrorismus der westlichen Welt wirft einen Blick auf die Realitäten der Kriege und „Interventionen“, die meist hinter einem medialen Schleier des Anscheins des sauberen und gerechten Krieges verschwinden.

Amerikaner und Europäer einen[4] die „gemeinsamen humanistisch-universalistischen, normativen Orientierungen und Ziele“. Die transatlantische Wertegemeinschaft steht für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und vor allem für die Einhaltung der Menschenrechte.
Diese höheren Werte werden bei jedem neuen Konflikt, als das zu verteidigende Banner vor sich her getragen. Und während Politik und Medien genau dieses Bild aufrechterhalten, vernichtete und vernichtet die westliche Wertegemeinschaft, jenseits der medialen Aufmerksamkeit, Millionen Menschenleben. „Freiheit“ und Wohlstand der westlichen Welt werden mit dem Tod von „Unpersonen“ erkauft.

MQ-1 Predator. Bild: U.S. Airforce

Noam Chomskys und Andre Vltchecks Gespräch „Der Terrorismus der westlichen Welt. Von Hiroshima zu den Drohnenkriegen“[5] aus dem Jahr 2012 steht Namenspate für die neue Artikelserie bei Telepolis.
Die Weltgeschehnisse, vor allem seit dem Zweiten Weltkrieg, werden dabei aus einer anderen Perspektive als der gewohnten erzählt. Einer Perspektive, die nicht der offiziellen westlichen Geschichtsschreibung folgt, in der der Westen für Humanismus, Demokratie und Wohlstand steht.
Der emeritierte Linguistikprofessor Chomsky und der Publizist und Filmemacher Vltcheck beschreiben eine Welt, in der „hunderte Millionen Menschen direkt oder indirekt infolge westlicher Kriege und Interventionen ermordet wurden“.
Eine Welt, in der sich hinter den meisten Kriegen und Konflikten, „wirtschaftliche und geopolitische Interessen des Westens“ verbergen. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die Politik des Westens „jeden Terrorismus weit in den Schatten“ stellt.
Möglich wird dies unter anderem auch, weil die westlichen Medien Zensur üben, „indem sie Informationen unterschlagen oder falsche und abwegige Darstellungen liefern – oft genug, ohne sich dessen bewusst zu sein“.1

Die aktuellen Forderungen nach einer Debatte über „Deutschlands neue Macht“ und damit „Deutschlands neuer Verantwortung“, bedürfen eines realistischen Kontextes. Es ist wichtig sich zu vergegenwärtigen, was „neue Verantwortung“ bedeuten kann. Es ist ein Einfaches, in Redaktionsstuben zu sitzen und einer interventionistischen Bundeswehr publizistisch den Weg zu bereiten. Die Forderung, es müsse eine Debatte geführt werden, ist solange propagandistisch, wie die wirklichen Folgen von Kriegen aus den Medien und somit aus den Debatten fern gehalten werden.

Vom massenhaften Töten und Unpersonen

Die Geschichte des Westens ist eine Geschichte des massenhaften Tötens. Vltcheck geht von etwa 50 bis 55 Millionen getöteten Menschen als direkter Folge des Kolonialismus aus; nach dem Zweiten Weltkrieg. Hinzu kämen mehrere hundert Millionen „indirekt durch prowestliche Militärputsche und anderweitige Auseinandersetzungen“ vernichtete Menschenleben.2
Bedrückend daran sei zudem, dass die westlichen Medien nicht darüber berichten würden.

Chomsky verweist in diesem Zusammenhang auf George Orwell, der den Begriff „Unperson“ verwendete. „Die Welt teilt sich in Leute wie wir, und in Unpersonen – die bedeutungslosen anderen. […] Das Schicksal von Unpersonen kümmert uns nicht.“3
Hier wirkt der gleiche sozialpsychologische Mechanismus, der auch bei den direkten Tätern des massenhaften Tötens greift.

Entscheidend für die Herabsetzung der dem Menschen eingebauten Tötungshemmung ist die Aberkennung des Menschseins der zu Tötenden.

Elçin Kürşat-Ahlers4

Oder wie es Dave Grossmann[6] formuliert, sei ein entscheidender Mechanismus die Herstellung von kultureller Distanz, um Menschen zum Töten zu bewegen.
Kulturelle Distanz zielt darauf ab, den „Feind“ als minderwertiges Leben zu betrachten. Seine Lebensgewohnheiten, seine Kultur, seine Religion und seine „gesellschaftlichen Autoritäten“ werden dabei als „albern“ vorgeführt.5
Dem Töten geht immer die Abwertung bis hin zur Entmenschlichung des Opfers bzw. der Opfergruppe voraus. Dies ist kein individuelles Vorgehen seitens der Täter, sondern ein gesellschaftlicher Prozess. So, wie die Täter die Knöpfe bedienen, die Abzüge drücken, mit Messern, Beilen und Macheten Menschen abschlachten, so wird die „Heimatfront“ propagandistisch darauf eingestellt, dass das so auch in Ordnung, gar notwendig, sei.
Zu den „physischen Tätern“ gesellen sich „psychische Täter“. Politiker und Medien knüpfen an den Ängsten und Ressentiments der Bevölkerung an, sie erschaffen, schüren und befeuern die emotionalen Reaktionen auf den „Feind“.
Ohne eine mediale Hetze der symbiotischen Beziehung von Politik, Wirtschaft und Medien wären Kriege kaum möglich.
Das ist allerdings eine menschliche Universalie und keine Besonderheit des Westens.

So, wie die Täter zum Vollführen ihres massenhaften Tötens vom Menschsein der Opfer absehen, so sehen große Teile der Medien die Opfer ebenfalls nicht als gleichwertige Menschen. Das ist der Grund, warum in den meisten Nachrichten nichts über die zerstörerische Rolle des Westens in den vergangenen wie gegenwärtigen Krisen und Konflikten zu lesen ist.
Die Medienberichterstattung wird also nicht zentral gesteuert oder gar zensiert, auch wenn das selbstverständlich vorkommt. Der Mechanismus ist jedoch wesentlich fundamentaler. Ohne einige erkenntnistheoretische wie soziologische Überlegungen wird man das Grundproblem nicht ergründen können.

Alle Menschen einer Gruppe teilen bestimmte psychische Merkmale. Sie teilen gemeinsame Erfahrungen, Traditionen, Werte, Sitten und Normen.
In der Soziologie spricht man in diesen Zusammenhang auch von der sogenannten zweiten Natur. Denn die im Sozialisationsprozess verinnerlichten Empfindens- und Verhaltensweisen werden zum Teil der Persönlichkeitsstruktur, die genauso zwingend ist wie die erste Natur.
Der biologische Zwang zum Essen, Trinken, Schlafen usw. ist demnach genauso zwingend wie die psychosozialen Zwänge, die sich in Gruppen bzw. Gesellschaften herausbilden, z.B. die Bewertung, wer Freund ist und wer Feind.
Bei Norbert Elias und Pierre Bourdieu wird in diesem Zusammenhang auch vom (sozialen) Habitus gesprochen.

Der Habitus als verstetigte Empfindens- und Verhaltensweise gruppenspezifischer Prozesse setzt den Gruppenmitgliedern Grenzen der Erfahrung. Dieser Bezugsrahmen der Erfahrung kann nicht ohne weiteres überschritten werden. Johann Wolfgang von Goethe hat dieses Phänomen treffend beschrieben:

„Man erblickt nur, was man schon weiß und versteht.“

Erkenntnistheoretisch formulieren es Lothar Schäfer und Thomas Schnelle in der Einleitung zu Ludwik Flecks Erfahrung und Tatsache6:

„Soziale Faktoren dreierlei Art wirken auf jede Erkenntnistätigkeit ein:

  1. „das Gewicht der Erziehung“: Kenntnisse bestehen zum überwiegenden Teil aus Erlerntem, nicht aus neu Erkanntem. Mit jeder Erkenntniswiedergabe im Lernprozeß aber verschiebt sich der Kenntnisgehalt gleichzeitig unmerklich.
  2. „die Last der Tradition“: Neues Erkennen ist immer schon durch das bisher Erkannte vorgeprägt.
  3. „die Wirkung der Reihenfolge des Erkennens“: Was einmal konzeptionell formuliert wurde, schränkt den Spielraum darauf aufbauender Konzeptionen immer schon ein.“

Unabhängig von bewusster Propaganda greifen gesamtgesellschaftliche wie gruppenspezifische, tradierte Bewertungsmuster.
Ein Großteil der Bevölkerung interessiert sich schlichtweg nicht für die Lebensbedingungen von Indern oder Indonesiern. Welches Schicksal erleiden die Menschen in Usbekistan oder Weißrussland? Wie viele Millionen Menschenleben wurden im Kongo vernichtet? Warum heißt Liberia Liberia?
Wo in Vietnam fanden die Bombardierungen der Amerikaner statt? Was ist in Falludscha geschehen?

Man macht es sich zu einfach, lediglich Journalisten vorzuwerfen, sie würden über die Verbrechen des Westens nicht berichten. Das ist zwar weitestgehend richtig. Aber Medienschaffende wie Rezipienten teilen in weiten Bereichen die Vorstellungen und Werturteile über Unpersonen.

Das mörderische Vermächtnis des Kolonialismus

Das ist der Grund, warum wir so wenig darüber wissen, was der Kolonialismus vor und nach dem Zweiten Weltkrieg angerichtet hat. Nachdem die Europäer die amerikanischen Kontinente eroberten, wurden zwischen 75 und 95 Millionen Menschenleben vernichtet.
Das antiamerikanische Ressentiment, dass doch die Amerikaner die „Indianer“ ausgerottet hätten, ist insofern absurd, da es sich um europäische Exilanten handelte, die die Massaker auf dem amerikanischen Kontinent verübten.
Von den 10 Millionen Native Americans, die zu Zeiten von Kolumbus auf dem heutigen Staatsgebiet der USA lebten, waren bei einer Volkszählung 1900 noch 200.000 übrig.7

Überall auf der Welt, in allen europäischen Kolonien, wurden die indigenen Bevölkerungen unterdrückt, ausgebeutet, gefoltert und massakriert.

Die ersten Konzentrationslager wurden nicht von den Nazis in Deutschland errichtet, sondern vom britischen Imperium in Kenia und in Südafrika. Und gewiss war der von den Deutschen an europäischen Juden und Roma verübte Holocaust nicht der erste deutsche Holocaust; die Deutschen waren bereits an schrecklichen Massakern an der Südspitze Südamerikas und in der Tat auf der ganzen Welt beteiligt gewesen. Die hatten schon den Großteil des Herero-Stammes in Namibia ausgelöscht, doch all das wird in Deutschland und im übrigen Europa kaum diskutiert.

Chomsky und Vltcheck8

1904 erließ General Lothar von Trotha einen sogenannten Vernichtungsbefehl9:

Die Herero sind nicht mehr Deutsche Untertanen. […] Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auch auf sie schießen.

Deutlicher kann man Menschen kaum zu Unpersonen deklarieren. Und noch 1907 rühmte man sich des Massenmordes an den Herero: „[…] wie ein halb zu Tode gehetztes Wild war er von Wasserstelle zu Wasserstelle gescheucht, bis er schließlich willenlos ein Opfer der Natur des eigenen Landes wurde. Die wasserlose Omaheke sollte vollenden, was die deutschen Waffen begonnen hatten: Die Vernichtung des Hererovolkes.“
Die vollständige Vernichtung von Unpersonen war schon immer Doktrin des militärischen Totalitarismus. So wurde von Trotha auch vom Chef des Generalstabs Alfred Graf von Schlieffen unterstützt: „Der entbrannte Rassenkampf ist nur durch die Vernichtung einer Partei abzuschließen.“

Überlebende Herero nach der Flucht. Bild: Public Domain

Der Genozid an den Herero gilt als der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts und wurde als solcher auch von der Generalversammlung der Vereinten Nationen anerkannt. Nur Deutschland weigert[7] sich, den Völkermord anzuerkennen.
„Bundesregierung: Deutschland hat keinen Völkermord an Herero und Nama begangen“:

„Bewertungen historischer Ereignisse unter Anwendung völkerrechtlicher Bestimmungen, die im Zeitpunkt der Ereignisse weder für die Bundesrepublik Deutschland noch für irgendeinen anderen Staat in Kraft waren, werden von der Bundesregierung nicht vorgenommen.“
Was die historischen Fakten betreffe, so seien diese Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung.

Was kümmern uns Unpersonen? Mit der gleichen Logik gelänge es der Bundesregierung auch, die Nürnberger Prozesse als Siegerjustiz nicht anzuerkennen.
Bei der Beschreibung Chomskys zum Völkermord an den Herero kommt es nicht darauf an, ob man den Begriff Holocaust in diesem Zusammenhang für richtig hält. Oder ob man den Begriff Konzentrationslager exklusiv für die nationalsozialistischen Lager benutzen möchte. Entscheidend ist zu erkennen, dass Geschichte ein sozialer Prozess ist. Die Vernichtungslager sind nicht plötzlich da gewesen.
Das Land der Dichter und Denker ist nicht über Nacht brutalisiert worden. Die menschenfeindliche Logik der Ausbeutung, Unterwerfung und wenn kein Nutzen zu erwarten ist, dann Vernichtung, ist eine mächtige Traditionslinie in den westlichen Gesellschaften.
Sie hat weder mit Auschwitz begonnen, noch wurde sie mit Nagasaki beendet.

In der Demokratischen Republik Kongo wurden sechs bis zehn Millionen Menschen getötet, ungefähr genauso viele wie Anfang des 20. Jahrhunderts durch den belgischen König Leopold II. […] Obwohl in den meisten Fällen Ruanda, Uganda und deren Stellvertreter Millionen unschuldiger Menschen umbringen, verbergen sich stets die geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen des Westens dahinter.

Chomsky und Vltcheck10

Es ist nicht relevant, ob es vier, fünf oder sechs Millionen getötete Menschen sind. Entscheidend ist, dass wir über das Ausmaß und die Hintergründe nicht angemessen informiert werden.
Wer sucht, der findet[8] zwar auch, doch wäre es Aufgabe von Journalisten, zumal der öffentlich-rechtlichen Medien, über Krisen, Kriege und Völkermorde angemessen zu berichten.
So könnte man erfahren, dass der Ostkongo reich ist an Zinn, Wolfram, Tantal und Gold. Wichtige Rohstoffe für die Automobilindustrie und die Elektronik- und Computerindustrie. Millionen Tote sichern hohe Profite für neue Handys und Computer. Wir konsumieren Menschenleben.

Wenn sie tot sind, waren es Vietcong

Neben solch indirekter Kriege, bei denen sich die einheimische Bevölkerung gegenseitig abschlachtet, gibt es auch zahlreiche direkte Kriege mit Beteiligung des Westens. Der Vietnamkrieg ist ein Beispiel für die besondere Skrupellosigkeit des Westens bei der Vernichtung von Unpersonen.
Die Vereinigten Staaten setzten Napalm und chemische Kampfstoffe ein, trieben Menschen in „strategische Dörfer, … bei denen es sich in Wirklichkeit um Konzentrationslager oder städtische Slums handelte“.11

Der Einsatz von Agent Orange, den die USA nicht als chemische Kriegsführung anerkannt haben und deshalb den Opfern jedwede Entschädigung verweigern, führt noch heute zu starken Missbildungen bei Neugeborenen.
Etwa 100.000 Kinder mit Missbildungen sind auf die Vergiftung der Eltern mit Agent Orange zurückzuführen[9]: „Nach neuesten Forschungen versprühte die US-Armee während des Vietnamkrieges 80 Millionen Liter toxischer Chemikalien. Weil der vietnamesischen Regierung das Geld für großflächige Bodenversiegelungen fehlt, ist das Gift auch 30 Jahre nach Kriegsende noch im Nahrungskreislauf. Schätzungsweise zwei bis vier Millionen Menschen sind von den Spätfolgen betroffen.“

Die völlige Entgrenzung der Kriegsführung durch die USA hat etwa 4 Millionen Menschenleben in Vietnam, Kambodscha und Laos gekostet.
Der Spiegel weiß[10] bereits 1966 von etwa 35.000 Bombardierungen, erwähnt aber mit keinem einzigen Wort die Opfer. In den USA war es nicht anders.

In Media Control hat Chomsky auf eine Umfrage verwiesen12, die im Zuge des Golfkrieges durchgeführt wurde. Es wurde unter anderem nach der Anzahl der getöteten Vietnamesen gefragt. Im Durchschnitt gaben die Befragten 100.000 an. Was kümmern uns Unpersonen? Zehn Millionen Tonnen Bomben – mehr als alle Bomben im gesamten Zweiten Weltkrieg von allen Parteien abgeworfen – haben vier Millionen Menschen zerrissen. Napalm hat sich auf brutalste Weise durch die Körper gefressen, die chemische Kriegsführung, Landminen und nicht explodierte Splitter- und Brandbomben töten noch heute hunderte Menschen.
Und wir? Wir halten den Vietnamkrieg für eine Intervention gegen die Kommunisten. Denn die Kommunisten müssen mit allen Mitteln aufgehalten werden, weil die so grausam sind. Geradezu unmenschlich.

„…Bevor ich nach Saigon kam, hatte ich gehört und gelesen, daß Napalm das Fleisch schmilzt, und ich dachte, das ist Quatsch, weil ich einen Braten in den Ofen schieben kann und das Fett schmilzt, aber das Fleisch bleibt dran. Ich kam und sah diese von Napalm verbrannten Kinder, und es ist einfach wahr. Die chemische Reaktion des Napalms schmilzt ihr Fleisch einfach, das Gewebe läuft ihnen das Gesicht herunter und auf ihre Brust, und da bleibt es und wächst dort weiter. Diese Kinder konnten ihren Kopf kaum bewegen … Und wenn die Entzündung einsetzt, schneiden sie ihnen die Hände, Finger oder Füße ab. Das einzige, was sie nicht abschneiden können ist der Kopf.::Martha Gellhorn13

Es kümmert uns nicht, wenn unsere Verbündeten Verbrechen gegen die Menschlichkeit, korrekt sollte es heißen: Verbrechen gegen die Menschheit, begehen. Verstöße gegen oder Bruch des Völkerrechts oder der Menschenrechte begehen nur Verbrecherregime.
Wir jedoch haben die Errungenschaften des Rechtsstaates. Bei uns werden Verbrechen geahndet und deswegen kommen sie auch nicht vor bzw. sind Einzelfälle denen mit der Härte des Gesetzes begegnet wird.
Das ist der Anschein, der Phantasiepanzer, den sich das Bürgertum zugelegt hat, um sich nicht mit der schrecklichen Wahrheit auseinandersetzen zu müssen.

Die Logik des Krieges

Im Falle des Massenmords von My Lai, der am 16. März 1968 stattfand, ging die Tötungsbereitschaft der amerikanischen Soldaten so weit, dass nicht nur Menschen ermordet, sondern auch noch ihr Vieh abgeschlachtet und ihre Häuser niedergebrannt wurden – so, als sollte buchstäblich nichts, keine Spur von den Opfern und ihrem Leben, übrig bleiben. Viele der Frauen des Ortes wurden vergewaltigt, bevor sie ermordet wurden. Es handelte sich um einen Massenmord, der […] niemanden ausließ, also im Ergebnis einen Vernichtungswillen erkennen ließ, der keine Ausnahmen vorsah. Insgesamt fielen diesem Massenmord 504 Vietnamesinnen und Vietnamesen zum Opfer; ganze drei von ihnen erfüllten als junge Männer das Kriterium, möglicherweise gegnerische Kämpfer zu sein, ein Einziger war nachweislich bewaffnet.

Quelle14

My Lai war das Ergebnis des militärischen Totalitarismus. Diese Logik kennt nur die Vernichtung des Feindes. Und Feind ist, wer zum Feind deklariert wird. Ist er tot, war er ein Feind.
Diese perverse, menschenverachtende Logik ist selten deutlicher dokumentiert als im Bodycount, dem Leichenzählen. Dahinter steckt die einfache Wahrheit, dass, wenn genügend Feinde getötet werden, niemand mehr übrig bleibt, der sich widersetzen könnte.
Um dieses Ziel zu erreichen, wurden Free-Fire-Zones eingerichtet. Der Auftrag war so einfach, wie illegal: „Tötet alles, was sich bewegt“.

Beim Massaker von My Lai ermordete vietnamesische Zivilisten. Bild: U.S. Army

Der Journalist Seymour Hersh, der das Massaker von My Lai recherchierte, benötigte ein Jahr bis er einen Verlag gefunden hatte, der die Geschichte veröffentlichen wollte. Erst eineinhalb Jahre nach dem Massaker wurde die Geschichte publiziert, nachdem bei 50 Herausgebern und Verlegern persönlich vorgesprochen wurde.

In Zeiten des vaterländischen Krieges gegen die grausamen Kommunisten möchte niemand als Vaterlandsverräter dastehen und so zensieren sich die Medien lieber selbst.
Wenn Politik und Medien versagen, dann bleibt immer noch der Rechtsstaat auf den die westliche Wertegemeinschaft stolz ist.
Für das Massaker von My Lai wurden vier Soldaten angeklagt. Lediglich Leutnant William Calley wurde zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.

Einige Bundesstaaten setzten die Flaggen aus Solidarität mit dem Angeklagten auf Halbmast und die Gouverneure riefen zu Sympathiekundgebungen für Calley auf. Einer dieser Gouverneure war der spätere US-Präsident Jimmy Carter. Am 29. März 1971 wurde Calley, der auf Befehlsnotstand beharrte, der vorsätzlichen Tötung von 22 Zivilisten schuldig gesprochen und am 31. März 1971 zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.
Schon am darauffolgenden Tag, dem 1. April 1971, verfügte Präsident Nixon seine Haftentlassung. Calley bekam lediglich Hausarrest.
Am 20. August 1971 wurde seine nominelle Strafe durch die Army jedoch auf 20 Jahre verkürzt, danach von Heeresminister Callaway nochmals halbiert.
1974 wurde Calley durch Richard Nixon endgültig begnadigt.

Wikipedia[1]

Um es mit den Worten Calleys15 zu sagen:

What the hell else is war than killing people?

My Lai wäre nicht aufgeklärt worden, wäre es nach den US-amerikanischen Militärs gegangen. Denen galt das Massaker lange als militärischer Erfolg.
Es waren einfache Soldaten, Fotografen und ein investigativer Journalist, die das Verbrechen aufdeckten. Der Soldat, der die Aufklärung des Verbrechens überhaupt erst ermöglicht hatte, wurde von einem Teil der Medien als „Verräter, Dreckskerl, Agent von Hanoi, Kommunist, Jude und eine Schande für unsere Gesellschaft“ beschimpft[11].
Das Mitgefühl gilt den eigenen tapferen Soldaten. Was interessieren uns Unpersonen?

Beim Massaker von My Lai getötete Frau. Bild: U.S. federal government

My Lai war keine Ausnahme auch wenn der Versuch recht erfolgreich war, dies so im kollektiven Gedächtnis zu verankern.
Kriegsverbrechen des Westens finden entweder offiziell gar nicht statt oder werden als Einzelfall und absolute Ausnahme kommuniziert.
Doch die Wahrheit ist eine gänzlich andere. Der Krieg, den wir nicht sehen sollen, ist eine Aneinanderreihung von Verbrechen. Das wissen Militärs und Politiker, weshalb ein Großteil des Krieges im Geheimen stattfindet.
Der saubere Krieg rechtsstaatlich verpflichteter Soldaten, die für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte kämpfen, ist eine Lüge.

„Krieg ist Krieg“, begründete[12] der zuständige Richter die Freilassung Calleys, „und es ist keineswegs ungewöhnlich, daß unschuldige Zivilisten wie die Opfer von My Lai getötet werden. In der gesamten überlieferten Geschichte war es so. Es war so, als Josua Jericho einnahm.
Josua wurde allerdings nicht wegen Mordes an der Zivilbevölkerung Jerichos angeklagt. Aber schließlich, so sagt man uns, stand ja Gott auf Seiten Josuas.“ Und so ist es nur folgerichtig, Massenmörder straffrei zu belassen.
Krieg ist Krieg, ist die Logik der Menschenfeinde. Eine Logik, die bis heute wirkmächtig ist und als ultimatives (Schein-)Argument angeführt wird. Krieg ist Krieg, bedeutet nichts anderes als: Schweigt ihr Gutmenschen. Wer nur in Kategorien des Krieges denkt, der kennt keine Mörder in den eigenen Reihen. Der kennt nur pflichtbewusste Soldaten, die über die Stränge schlagen. Und das passiert nun mal leider ab und an.

Von US-Soldaten getötete Vietnamesen. Bild: U.S. federal government

Tatsächlich[13] aber werden ein „ums andere Mal, abertausendfach, […] Alte, Frauen, Kinder in einem entlegenen Dorf wahllos erschossen, in Bunkern mit Handgranaten getötet, erst vergewaltigt, dann ermordet […], in ihren Hütten verbrannt, verstümmelt, um aus ihren Ohren und Fingern Trophäen-Ketten zu fertigen“.
In der Logik des Totalitären existieren nur noch Feinde. Zivilisten gibt es nicht mehr. Insofern ist My Lai nicht ein Kriegsverbrechen des Vietnamkrieges, sondern der Vietnamkrieg ist das Kriegsverbrechen mit unzähligen My Lais.

Ich habe dieselben Grausamkeiten begangen wie Tausende andere Soldaten: Ich habe an Operationen in „Feuer-Frei-Zonen“ teilgenommen … Maschinengewehre auf Befehl in „Search and Destroy“-Aktionen gegen Menschen eingesetzt … Dörfer niedergebrannt … All das wider die Gesetze der Kriegsführung, wider die Genfer Konvention…als Teil der offiziellen Regierungspolitik.

John Kerry 1971

Kriegsverbrechen sind im Krieg die Regel und nicht die Ausnahme. Eine Erkenntnis, die der Westen immerfort zu verdecken versucht.

„Aus diesen Hinterhalten heraus haben wir wahllos getötet, und eine Menge Opfer waren keine Vietcong. Wir benutzten Claymores (Anti-Personenminen – B.G.) gegen jede Person und jedes Boot, das vorbeikam, und manchmal war es ein Kahn mit […] ein paar Frauen oder manchmal ein Bauer mit einer Hacke. Nix besonderes, sobald wir sie getötet hatten. Waren sie eben Vietcong.::Quelle16

„Nur ein toter Talib ist ein guter Talib“

An der Logik des Krieges und der Logik der Militärs hat sich bis heute nichts geändert.
Mit Drohnenanschlägen in Pakistan werden nie „Menschen“ getötet. Es sind immer „Militante“[14]. In Afghanistan ist es nicht anders.
Das NATO-Wording für jedweden Widerständigen ist Taliban. Auch wenn die Getöteten nichts mit den Taliban zu tun hatten.
Ein ehemaliger US-Offizier stellte 2009 resigniert fest, dass es in Afghanistan gar nicht gegen einen einheitlichen Feind ging, wie es immer kolportiert wird, sondern: „I thought it was more nationalistic. But it’s localism. I would call it valley-ism.“

Manche Gruppen würden nicht einmal Verbindungen zu Gruppierungen unterhalten, die nur wenige Kilometer entfernt seien. Von den „hunderten, vielleicht tausenden“ dieser Gruppen in ganz Afghanistan, gibt es seiner Anschauung nach nur wenige, die „ideologische Verbindungen“ zu den Taliban hätten.

„..aber warum und wozu?“[1]

Vltcheck schließt aus der krassen Diskrepanz zwischen tatsächlichem Geschehen, der Deutung der Geschehen aus westlicher Perspektive und der medialen (Nicht-)Berichterstattung:

Im Allgemeinen halte ich die Menschen im Westen, besonders Europäer, für extrem indoktriniert und von einem Gefühl ihrer Einzigartigkeit besessen.
Sie durchlaufen eine einseitige Erziehung und verlassen sich auf ihre Medien, und infolgedessen sehen sich viele als Auserwählte und suchen nicht nach alternativen Informationsquellen.

Chomsky und Vltcheck17

Ausgehend von dem Diktum Niklas Luhmanns – „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“18 – lässt sich konstatieren, dass wir über die Kriege des Westens so gut wie nichts wissen. Oder besser: über aktuelle Kriege.
Die USA werden einen „Fehler“ wie in Vietnam nicht wiederholen. Die Kriegsberichterstattung findet nur noch „embedded“ statt. Bei der amerikanischen Armee ebenso wie bei der deutschen.
Am Beispiel Jonathan Schnitts „Foxtrott 4. Sechs Monate mit deutschen Soldaten in Afghanistan“[15] wird überdeutlich, dass es künftig gar keiner Journalisten mehr bedarf. Was Schnitt, sowohl physisch wie psychisch vollkommen „eingebettet“, als Journalist abliefert, unterscheidet sich nicht im Geringsten von den Beschreibungen der Pressestellen der Bundeswehr. Dazu ist Journalismus unnötig.
Was für ein Berufsverständnis muss ein Journalist haben, der Folgendes schreibt:

Die Strategie der ISAF in Afghanistan beruht letztlich auf einem ziemlich klugen Buch von General David H. Petraeus und Lt. General James F. Amos. 2006 gaben die beiden amerikanischen Generäle ein Handbuch für Aufstandsbekämpfung mit dem Titel „Counterinsurgency Field Manual“ heraus, das Anfang 2007 bei der Besetzung Iraks erfolgreich angewandt wurde.

Jonathan Schnitt

Besonders erfolgreich war vermutlich Phase 2 „Clear“ (Säuberung). Bei der die feindlichen Kräfte aus dem Zielgebiet „vertrieben“ werden.
Wer das Wording militärischer Propagandaabteilungen übernimmt, hat sich als Teil der sogenannten vierten Gewalt verabschiedet. Mit Kontrolle und Überwachung der Exekutive hat das nichts zu tun. Zu den Tätern der physischen Tat, gesellen sich Täter der psychischen Tat.
Selbst der Spiegel musste konstatieren[16], dass das „Field Manual 3-24“ problematisch sei.

Hinter verschlossenen Türen machten Petraeus und seine Leute deutlich, was mit „Säuberung“ gemeint war. Deutsche Politiker erinnern sich an einen Satz von Michael T. Flynn, damals Isaf-Geheimdienstchef in Afghanistan. „Nur ein toter Talib ist ein guter Talib“, erklärte der Offizier den Besuchern bei einem Briefing.

Aber der Spiegel wäre nicht der Spiegel, würde er jeglichen Ansatz von Kritik nicht sogleich relativieren: „Im Krieg gelten andere Regeln als bei der Verbrechensbekämpfung in Friedenszeiten.“ Krieg ist Krieg.
Und so zwängt der Spiegel das kritische Denken sofort in das Korsett militärischer Logik. Warum ein demokratischer Rechtsstaat, der für Menschenrechte einsteht, sich diesem Totalitarismus unterwerfen sollte, weiß man beim Spiegel sicherlich auch nicht.
Natürlich wollen Militärs ihrer eigenen Logik folgen: Sieg um jeden Preis. Koste es, was es wolle. Aber es gehört zur Demokratie, diesen Willen zur Macht gesellschaftlich zu diskutieren und gegebenenfalls zu begrenzen oder gar ganz zu verhindern.

Propaganda und Medien

Journalisten, die die Angaben von Militär und Geheimdiensten ungeprüft übernehmen, sind nichts anderes als PR-Agenten. Ramsey Clark, ehemaliger Justizminister der USA, hat in seinem überaus wichtigen Buch „Wüstensturm. US-Kriegsverbrechen am Golf.“ zahlreiche Medienmanipulationen, Selbstzensur, Desinformationen und Fälle von Propaganda beschrieben.

Von den 88.500 Tonnen Sprengmaterial, die auf den Irak herabregneten, waren nur 6.250 Tonnen von genauen Zielvorrichtungen gesteuert. Fast 93 Prozent der Bomben waren ungesteuert – sie fielen aus großer Höhe herab und waren nicht zielgenauer als die Bomben des Zweiten Weltkriegs. […] Eine der großen Mythen, die das Pentagon und die gesteuerten Medien verbreiten, war der von der chirurgischen Präzision der US-Waffen, die angeblich zum Schutz von Menschenleben beitrug. Mit diesem Argument hatten die USA schon früher Gewaltakte gegen ihre Feinde gerechtfertigt.

Ramsey Clark19

Es ist die identische Argumentation, mit der der Drohnenterror[17] gerechtfertigt wird. Entweder übernehmen Medien schlichtweg die Pressemeldungen des Militärs und verschleiern damit die Realität oder sie verschweigen die Wahrheit gleich ganz.

Die US-Divisionen, die Saddam Husseins Abwehrlinie durchbrach, setzte auf Panzern montierte Pflüge und für den Kampfeinsatz konstruierte Erdbewegungsfahrzeuge ein, um Tausende irakische Soldaten – manche noch lebend und aus ihren Waffen feuernd – in ihren mehr als 70 Meilen langen Gräben zu verschütten, so die US-Militärs. […] Dieses beispiellose Vorgehen wurde vor der Öffentlichkeit verborgen…

Ramsey Clark20

Einigen Journalisten wurde vom Pentagon ein Video von tatsächlichen Kampfeinsätzen gezeigt. Man wollte ermitteln, wie die Medienvertreter reagieren würden. AP-Reuters schrieb später über das Video, in dem unter anderem gezeigt wurde, wie Menschen durch eine 30mm Schnellfeuerkanone eines Hubschraubers in Stücke zerrissen werden:

Die Kriegsberichterstatter, die das Video sehen durften, erwähnten nicht, wo und wann das Gefecht stattgefunden hatte, und es wurden keine Gefallenenzahlen genannt … die Fernsehzuschauer bekamen die Aufnahmen nicht zu sehen: Nach Ansicht der Zensoren waren sie für das allgemeine Publikum zu brutal.

Ramsey Clark21

Politik, Militär, Rüstungsindustrie und Medienvertreter wissen ganz genau: würden die Kriege realistisch gezeigt werden, würde es nirgends Mehrheiten der Bevölkerung für Kampfeinsätze geben.
Wenn die Menschen sehen würden, was es bedeutet, wenn ein Körper durch eine Granate zerrissen wird, wenn die Eingeweide aus Schusswunden heraushängen, wenn Phosphor die Haut bis auf die Knochen verbrennt, würde sofort eine Beendigung jeglicher militärischer Gewalt gefordert werden.

Was sind das für Menschen, die Brandbomben zum Einsatz gegen Menschen erfinden? Wie entfremdet und menschenverachtend muss man sein, um das Phosphor mit Kautschuk zu vermischen, damit es zähflüssiger wird und sich besser auf dem gesamten Körper verteilt?

Da Phosphor in Brandbomben jedoch mit einer Kautschukgelatine versetzt wird, bleibt die zähflüssige Masse an der bis dahin noch nicht brennenden Hand haften und wird so weiter verteilt. Weißer Phosphor erzeugt in der Regel drittgradige Verbrennungen, zum Teil bis auf den Knochen. Da diese bei einem Angriff meist großflächig sind, sterben Betroffene langsam an ihren Verbrennungen, sofern sie nicht durch Inhalation der giftigen Dämpfe, Verbrennung der Atemwege oder Intoxikation zu Tode gekommen sind.

Wikipedia[1]

Die großen Medien packen die Bevölkerung des Westens in einen riesigen Wattebausch, der die Wirklichkeit verdrängt und ein wohliges Gefühl von Demokratie und Rechtstaatlichkeit erschafft. Solange alle Bürger weiter konsumieren, bleibt der Anschein der den Menschenrechten verpflichteten Demokratie aufrechterhalten.
Und während der Westen sich in seiner Parallelwelt über den Export seiner besten Ware „Demokratie“ selbst feiert, vernichtet der Militärapparat des Westens Unmengen an Menschenleben.

Aber wen kümmern schon Unpersonen?

Eine wahrhaftige, unzensierte, realitätsnahe Schilderung des Krieges zerstört unweigerlich die Moral der Heimatfront, dann jedenfalls, wenn der Krieg sich länger hinzieht.
Um erfolgreich Krieg zu führen, so hat schon Clausewitz erkannt, bedarf es einer engen Allianz von Armee und Volk. Diese Allianz zerbricht, wenn die Gesellschaft über einen längeren Zeitraum hinweg die grausame Wirklichkeit des Krieges täglich miterlebt und miterleidet.
Die Vereinigten Staaten haben den Vietnamkrieg ohne Sieg beenden müssen, nachdem ein wesentlicher Teil der Bevölkerung ihrer Armee die Unterstützung entzogen hatte. Mit einer freien und unzensierten Presse ist kein Krieg von Dauer zu gewinnen.

WinFried Scharlau22

Was sagt das über die deutschen Medien angesichts von 13 Jahren Afghanistankrieg aus? Während wir nicht annähernd realistisch über die Kriege der Gegenwart informiert werden, fordert[18] der Bundespräsident eine selbstbewusste Debatte über Deutschlands neue Rolle in der Welt. Manchmal müsse man eben auch zu den Waffen greifen. Schließlich stehe Deutschland nun für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit: „Es steht an der Seite der Unterdrückten. Es kämpft für Menschenrechte.“

Angesichts der Millionen Toten, die der Kampf für Menschenrechte und die Verbreitung der Demokratie, die doch nur die Verbreitung von Absatzmärkten und Sicherung von Ressourcen meint, fordert, fällt es schwer, auch nur ansatzweise echte Empathie mit den Opfern von Kriegen beim Bundespräsidenten herauszuhören. Die Freiheit, die Gauck permanent verteidigt und verbreitet sehen will, ist die Freiheit zu konsumieren. Es ist die Freiheit, auf der Autobahn schnell zu fahren, und es ist die Freiheit, bei Menschheitsverbrechen so lange wegzuschauen, bis irgendwann einmal „deutsche Interessen“, also wieder Profitinteressen, berührt werden.

Doppelstandards und der Wert menschlichen Lebens

Für die Menschenrechte bombardierte eine „Internationale Koalition“ 2011 Libyen. Obwohl es sich um einen Bürgerkriegskonflikt handelte, positionierten sich Frankreich, die USA, Großbritannien und Kanada auf Seiten der „Rebellen“.
Offizielles Ziel war der Schutz von Zivilisten. Dazu sollte eine Flugverbotszone militärisch durchgesetzt werden.

Faktisch griffen die Menschenrechtsverteidiger aber in den Bürgerkrieg ein, zerstörten weite Teile der Infrastruktur Libyens, bewaffneten die Opposition, die mehrheitlich aus Islamisten bestand und hinterließen einen vollkommen zusammengebrochenen Staat.
Im Februar 2012, über ein halbes Jahr nach dem „Sieg der Rebellen“, freute sich die ARD über den Sieg der Menschenrechte und dass nun eine Demokratie aufgebaut werden könne ohne den Diktator Gaddafi.
Aktuell wird konstatiert[19], dass es keinen libyschen Staat mehr gibt, der diesen Namen verdient hätte. Der Bürgerkrieg wütet wie zuvor und es interessiert den Westen nicht im Geringsten.
Deutlicher kann man die Menschenrechtsmythen nicht desavouieren. Es ging nie um den Schutz von Zivilisten. Das ist lediglich der Anschein, den es bedarf, um die Allianz von Bevölkerung und Militär aufrecht zu erhalten. Es ging ausschließlich darum, Gaddafi abzusetzen. Was danach kommt, ist vollkommen irrelevant für die intervenierenden Staaten gewesen. Was kümmern uns schon Unpersonen?

Jochen Bittner, der sich seit der legendären „Neues aus der Anstalt“-Sendung lauthals empört[20], man verorte ihn zu Unrecht in habitueller und tatsächlicher Nähe zu transatlantischen Netzwerken, beweist nicht erst seit der Ukraine-Krise, dass Doppeldenk und Doppelstandards sein Metier sind:

Was eigentlich muss noch geschehen, damit ein Krieg als gerechtfertigt gelten kann? Welche Kriterien müssen noch erfüllt sein. Sicher, die Rebellen waren und bleiben unberechenbar. Ich halte unberechenbare Rebellen, wenn sie gegen eine Diktatur kämpfen, aber bei Weitem für besser als tote Rebellen.

Jochen Bittner

Bittner schreibt wohlfeil vom Kampf gegen eine Diktatur, ohne sich selbst und dem Leser jedoch bewusst zu machen, dass eben diese „Rebellen“ genauso töten und massakrieren wie die Truppen Gaddafis.
Gibt es gute und weniger gute Tote? Diese unberechenbaren Rebellen waren entgegen Bittners Prämisse jedoch durchaus berechenbar und machen da weiter, wo sie aufgehört haben. Sie gründen als ISIS ein neues Kalifat.
Nun könnte sich Bittner natürlich darauf zurückziehen, dass das nicht absehbar war, dankenswerterweise hat er aber im gleichen Artikel[21] seine Einschätzung der Weltgeschichte dargetan. Wer die Guten und wer die Bösen sind, das definiert nämlich immer noch der Mächtigere.

Es scheint leider noch immer ein sehr deutscher Reflex zu sein, jede Einmischung in einen militärischen Konflikt als ‚Aggressionspolitik‘ zu verdammen. Merken solche Kommentatoren eigentlich nicht, wie moral- und geschichtsblind sie argumentieren? Das vergangene halbe Jahrhundert war voll von völkerrechtswidrigen Interventionen. Bloß: den allermeisten davon lagen keine westlichen Aggressionen zugrunde. Der sowjetische Einmarsch in Afghanistan. Der Chinas in Vietnam. Der Ägyptens in den Jemen. Der des Irak nach Kuwait. Der Einmarsch Ugandas in Ruanda. Der Ruandas in den Kongo. Russlands Krieg in Tschetschenien. Alles vergessen?

Jochen Bittner

Bei dieser Geschichtsklitterung bleiben nur zwei Möglichkeiten. Entweder ist Bittner ein Überzeugungstäter und Ideologe, der seine Leser absichtlich desinformieren will. Oder aber, er ist schlichtweg uninformiert und zwar so, wie es Vltcheck meinte, als er sagte23:

Nachdem ich auf allen Kontinenten der Erde gelebt habe, bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass die Menschen im Westen die indoktriniertesten, am schlechtesten informierten und am wenigsten kritischen auf der ganzen Welt sind, wobei es natürlich manche Ausnahmen, wie Saudi Arabien, gibt. Doch die Menschen im Westen sind vom Gegenteil überzeugt und bilden sich ein, das bestinformierte und „freieste“ Volk der Erde zu sein.

Die Auswahl von Interventionen, die Bittner vorlegt, ist zynisch. Es ist die schlichte Weltsicht, die den Totalitarismus des Freund-Feind-Denkens ausmacht. Es gibt gute Tote und es gibt schlechte Tote. Man muss Menschenleben qualitativ bewerten lernen, um sich solch einem Denkkollektiv zu nähern. So schreibt Bittner weiter:

In Ruanda sind schätzungsweise 800.000 Menschen ermordet worden. So, das sollte sich jeder vor Augen führen, der die vermeintliche Gewaltlust des Westens anprangert, kann eine Bilanz ohne Intervention aussehen.

Bittner geht es nicht um den tatsächlichen Konflikt, ihm geht es um die Propaganda zum militärischen Eingreifen. Es ist schon eine besondere Erwartungshaltung, dass ausgerechnet Militaristen von sich glauben machen wollen, es gehe ihnen um Menschenleben. Es ist die gleiche Logik, in der Soldaten zu Idealisten stilisiert werden, die zur Bundeswehr gehen, weil Ihnen der Frieden so am Herzen liegt.

Ist Bittners Beispiel Ruanda tatsächlich ein Argument für militärische Interventionen? Denn Völkermord zu verhindern, ist schließlich eine Option für militärische Einsätze, der sich jeder empathiefähige Mensch anschließen können wird. Am 7. April 1994 werden zehn belgische Soldaten getötet.

Die Extremisten nahmen sich bewusst die belgischen Soldaten vor, um Angst zu verbreiten. Sie wussten, dass westliche Nationen nicht den Mut und nicht den Willen aufbringen, bei Friedenseinsätzen Verluste hinzunehmen. Sobald Tote zu beklagen sind, wie bei den Amerikanern in Somalia oder den Belgiern in Ruanda, rennen sie davon, ganz gleich, welche Folgen das für die im Stich gelassene Bevölkerung hat.

SZ[1]

Am 3. Mai schlagen die USA im UN-Sicherheitsrat vor:

Der Rat solle eine Delegation nach Ruanda schicken. Mit einer solchen Aktion, die einen gewissen „Symbolcharakter“ habe, würde man Schlagzeilen wie „Die UN sollten sich schämen‘“verhindern.

SZ

Bittner nutzt das absichtliche Wegsehen des Westens also auch noch als argumentative Hilfe, um „humanitäre“ Interventionen zu rechtfertigen. Erst lässt es der Westen zu, dass etwa 800.000 Menschen mit Macheten in Stücke geschlachtet werden und dann soll das absichtliche Nichteingreifen als Rechtfertigung für künftiges Eingreifen dienen. Die Instrumentalisierung eines Völkermords ist an Perfidie kaum zu überbieten.

Die Nachrichtenagentur Reuters schickt den Reporter Aidan Hartley nach Ruanda. Hartley erinnert sich, dass man ihm sagte, dies sei eine „klassische Bongo-Story“. Niemand würde Interesse haben an dem, was in Ruanda geschehe, „solange sie nicht anfangen, weiße Nonnen zu vergewaltigen“. Seine Aufgabe sei es, „über die Weißen zu berichten, davon, dass die Nonnen evakuiert werden“.

SZ

„Jeder wusste“, so erinnert sich die britische Journalistin Linda Melvern, „dass die Presse nach dem, was in Somalia passiert war, kleinen Kriegen in Afrika noch weniger Aufmerksamkeit schenken würde als zuvor.“

Was kümmern uns Unpersonen? Bittner, stellvertretend für die publizistischen Wegbereiter „deutscher Großmannssucht“, jedenfalls recht wenig. Ansonsten hätte er zumindest im Ansatz die Rolle der USA und Frankreichs beim Völkermord in Ruanda[22] in Betracht gezogen.

„Wir wollen versuchen, die Leute zu treffen“

Der Glaube an die eigene Höherwertigkeit ist Kern des Problems. Wenn der Westen immer wieder behauptet, das überlegenere System zu haben, und dabei mit einer pars-pro-toto-Verzerrung ausschließlich auf die exklusivsten Vorteile abzielt, gleichzeitig aber die Verbrechen, die Ausbeutung, Unterdrückung, Demütigung bis hin zur physischen Vernichtung ausblendet, wird das massenhafte Töten weitergehen.

Eine Debatte über interventionistische Einsätze der Bundeswehr muss geführt werden. Das ist richtig. Doch erfordert eine Debatte, so sie denn ehrlich und ergebnisoffen geführt werden soll, dass sie auf Tatsachen und nicht auf Propaganda beruht.
Dazu wäre es auch notwendig zu erfahren, was das KSK (Kommando Spezialkräfte[23]) in den letzten Jahren gemacht hat?
Egon Ramms, Nato-General a.D., etwa vier Jahre lang Kommandeur des Allied Joint Force Command in Brunssum, zuständig für die Afghanistaneinsätze, erklärte[24] im Deutschlandradio:

Deutsche Soldaten, Spezialkräfte, sind auch schon im Jahr 2002, Ende 2001, Anfang 2002 unter dem Mandat für Operation Enduring Freedom nach Afghanistan gegangen – ich wiederhole: deutsche Spezialkräfte -, und die sind dort nicht gewesen, um Blümchen zu pflücken.

Ein Tötungskommando[25], das weitestgehend außerhalb demokratischer Kontrolle existiert, delegitimiert eine demokratische Armee.
Mehr noch. Während ein Großteil der Soldaten tatsächlich defensive Aufgaben wahrnimmt und damit durchaus auch schützende Funktionen erfüllen kann, existiert parallel eine Geheimarmee, die mit ihren Aufträgen den gesamten Verband zu gefährden vermag.
Deutsche Soldaten, die in Afghanistan waren, wissen, wie die Stimmung der Bevölkerung umschlagen kann, wenn plötzlich amerikanische Killerkommandos in der „deutschen Zone“ umherwüten, so dass die einheimische Bevölkerung davon ausgeht, es wären deutsche Soldaten gewesen.

In Deutschland weiß man hingegen nicht einmal, wie alle deutschen Soldaten im Einsatz umgekommen sind. Und wir wissen fast nichts über die Opfer der Bundeswehr.
Wie viele Menschen wurden von der Bundeswehr getötet? Wie soll eine kritische Debatte geführt werden, wenn über den Gegenstand der Debatte kaum etwas bekannt ist?

Aus der sozialpsychologischen Täterforschung ist bekannt, dass prinzipiell alle Menschen zu Mördern, gar Massenmördern, werden können.
Situative Zwänge können „ganz normale Menschen“ dazu bringen, grausamste Verbrechen zu begehen. Ganz normal meint hier, dass es sich nicht um psychopathologische Täter handelt. Und in der Selbstwahrnehmung jedes einzelnen, in seiner moralischen Integrität, hätte jeder von sich vorher behauptet, er wäre nie zu solchen Taten fähig. Gesellschaftliche Aufgabe muss es demnach sein, die Herstellung entsprechender Situationen zu verhindern.

Das Bedürfnis nach kollektivem Aufgehobensein und nach Verantwortungslosigkeit enthält, so scheint mir, das größte Potential zur Unmenschlichkeit; aus ihm resultiert die gefühlte Attraktivität einer klaren Aufteilung der Welt in Gut und Böse, Freund und Feind, zugehörig und nicht-zugehörig. Hier hat auf Seiten der Individuen die Eskalation der Vernichtungsgewalt ihren Anfang.

Harald Welzer24

Es ist fahrlässig zu glauben, Deutschland oder „dem Westen“ könne so etwas nicht mehr passieren. Die Geschichte bis heute beweist das Gegenteil. Beim Luftangriff bei Kunduz[26] hatten die deutschen Verantwortlichen die Möglichkeit, die Menschen bei den feststeckenden Tanklastwagen zu warnen bzw. zu verjagen. Dazu wollten die amerikanischen Piloten tief über die Personen hinwegfliegen, um zu zeigen, dass sie da seien (show of force). Die Deutschen lehnten dies ab und forderten die umgehende Bombardierung. Auf Nachfrage ob man denn die Tanklastwagen oder die Personen treffen wolle, gaben die deutschen Militärs an: „Wir wollen versuchen, die Leute zu treffen“. Das Vernichten von Menschenleben ist die grundlegende Logik des Militärs. Töten ist der Beruf. Der Versuch politisch wie publizistisch Deutschland eine neue Verantwortung herbeizuschreiben, die mit Waffengewalt zu vertreten sei, muss genau dies diskutieren. Wie viel Menschenleben ist Deutschland bereit zu vernichten?

Eugen Kogon hat 1948 rückblickend auf den Zweiten Weltkrieg in einem Vortrag zum „Terror als Herrschaftssystem“ gewarnt:

Man muß den Terror in seinen Anfängen, in seinen Erscheinungsformen, in seinen Praktiken und in seinen Folgen entlarven. Denn wir wurden Zeugen davon, und werden es noch immer, wie er sich inmitten heutiger Demokratien entwickelt, wie er zur Macht kommt und sich als Demokratie selbst ausgibt, geradezu als eine Regierungsform von Freiheiten.

Eugen Kogon25

Anhang

Fußnoten

1)Alle Zitate sind dem Klappentext entnommen.
2)Noam Chomsky und Andre Vltcheck. Der Terrorismus der westlichen Welt. Von Hiroshima zu den Drohnenkriegen. Münster 2014. S. 15
3)Ebda. S. 17
4)Elçin Kürşat-Ahlers. Über das Töten in Genoziden. Eine Bilanz historisch-soziologischer Deutungen. In: Peter Gleichmann und Thomas Kühne (Hg.): Massenhaftes Töten. Kriege und Genozide im 20. Jahrhundert. Essen 2004. S. 180-206.
5)Vgl. Dave Grossmann. Eine Anatomie des Tötens. In: Peter Gleichmann und Thomas Kühne (Hg.): Massenhaftes Töten. Kriege und Genozide im 20. Jahrhundert. Essen 2004. S. 55-104, hier S. 72.
6)Lothar Schäfer und Thomas Schnelle. Einleitung: Die Aktualität Ludwik Flecks in Wissenschaftssoziologie und Erkenntnistheorie. In: Ludwik Fleck. Erfahrung und Tatsache. Frankfurt/Main 1983. S. 9-34, hier S. 16.
7)Vgl. Chomsky und Vltcheck, S. 16.
8)Ebda., S. 18.
9)http://de.wikipedia.org/wiki/Aufstand_der_Herero_und_Nama
10)Ebda, S. 20.
11)Chomsky und Vltcheck, ebda, S. 20.
12)Vgl. Noam Chomsky: Media Control. Hamburg 2003. S. 39
13)Martha Gellhorn, Suffer the little children …, Ladies Home Journal, Januar 1967. Zitiert nach Annette Jander. Kriegsberichterstattende und die „Kultur des Todes“. In: Peter Gleichmann und Thomas Kühne (Hg.): Massenhaftes Töten. Kriege und Genozide im 20. Jahrhundert. Essen 2004. S. 394-410, hier S. 400.
14)Harald Welzer. Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden. Frankfurt am Main 2007. S. 220f.
15)Zitiert nach Harald Welzer. Täter. A.a.O. S. 245.
16)Bernd Greiner. Spurensuche – Akten über amerikanische Kriegsverbrechen in Vietnam. In Wolfram Wette und Gerd R. Ueberschär (Hg.). Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert. Darmstadt 2001. S. 461-473, hier S. 463f.
17)S. 30.
18)Niklas Luhmann. Die Realität der Massenmedien. Opladen 1996. S. 9
19)Ramsey Clark. Wüstensturm. US-Kriegsverbrechen am Golf. Göttingen 1995. S. 248.
20)Ebda. S. 88f.
21)Ebda. S. 194.
22)Winfried Scharlau. Wie realistisch schildern Medien den Krieg, die Täter und die Opfer? In: Peter Gleichmann und Thomas Kühne (Hg.): Massenhaftes Töten. Kriege und Genozide im 20. Jahrhundert. Essen 2004. S. 383-393, hier S. 391f.
23)Chomsky und Vltcheck S. 51f.
24)S. 268
25)Eugen Kogon. Gesammelte Schriften. Band 1. Ideologie und Praxis der Unmenschlichkeit. Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus. Berlin 1995. S. 86.

Links

[1] http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2014/12/141225-Weihnachtsansprache-2014.html;jsessionid=E4E626E3554460161BB3F9CA1F43D528.2_cid285
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/William_Calley#Gerichtsverhandlung
[1] http://www.heise.de/tp/news/aber-warum-und-wozu-2017256.html
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Phosphorbombe
[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/voelkermord-in-ruanda-chronik-des-versagens-1.1929862
[2] http://www.heise.de/tp/artikel/43/43734/1.html
[3] http://www.deutschlandradiokultur.de/norwegen-reise-deutschland-steht-an-der-seite-der.1008.de.html?dram:article_id=289135
[4] http://www.bpb.de/apuz/31425/die-transatlantische-wertegemeinschaft-im-21-jahrhundert?p=all
[5] http://www.unrast-verlag.de/neuerscheinungen/der-terrorismus-der-westlichen-welt-detail
[6] http://www.killology.com/bio.htm
[7] http://webarchiv.bundestag.de/archive/2013/1212/presse/hib/2012_08/2012_367/05.html
[8] http://www.bsr.org/reports/BSR_Conflict_Minerals_and_the_DRC.pdf
[9] http://de.wikipedia.org/wiki/Agent_Orange
[10] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46413942.html
[11] http://www.vietnam-kompakt.de/das-massaker-von-my-lai.html
[12] http://www.zeit.de/1974/41/richterspruch-gegen-das-gewissen
[13] http://www.welt.de/politik/ausland/article114155231/Als-US-Soldaten-auf-fliehende-Kinder-schossen.html
[14] http://www.theatlantic.com/politics/archive/2014/11/how-newspapers-should-report-on-lethal-drone-strikes/382927/
[15] http://www.amazon.de/Foxtrott-Monate-deutschen-Soldaten-Afghanistan/dp/3570101304
[16] http://www.spiegel.de/politik/ausland/afghanistan-usa-geben-taliban-zum-abschuss-frei-a-1010629.html
[17] http://www.arte.tv/guide/de/048365-000/krieg-der-drohnen
[18] http://www.deutschlandfunk.de/aussenpolitik-gauck-auch-zu-waffen-greifen.694.de.html?dram:article_id=289120
[19] http://www.dw.de/andreas-dittmann-libyen-zerst%C3%B6rt-sich-selbst/a-18078929
[20] http://www.heise.de/tp/artikel/43/43771/http://www.heise.de/tp/news/Josef-Joffe-Jochen-Bittner-ZDF-Die-Anstalt-2404378.html
[21] http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-11/libyen-krieg-gerechtigkeit-replik/seite-2
[22] http://www.fr-online.de/politik/voelkermord-afrikas-weltkrieg,1472596,4616164.html
[23] http://www.spezialeinheiten.net/index.php?action=ksk
[24] http://www.deutschlandradiokultur.de/bundeswehr-in-afghanistan-die-sind-nicht-dort-gewesen-um.1008.de.html?dram:article_id=307423
[25] http://www.heise.de/tp/artikel/43/43737/
[26] http://de.wikipedia.org/wiki/Luftangriff_bei_Kunduz#Verlauf

Man wende das hier Gehörte auf die Berichterstattung über die Ukraine und Syrien an.

Jochen

Schockstrategie: Unabhängiges Forschungsinstitut sieht die Hauptschuld an Ukraine-Krise bei m Westen. Ein russischer Abgeordneter bekommt Paranoia ?

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Schock-Strategie_Naomi_KleinJa, wenn man sich Teil A anschaut, kommen einem die Bedenken eines russischen Duma-Abgeordneten in Teil B gar nicht mehr so wie eine Verschwörungstheorie vor.
Es sind stufenweise Fortsetzungen der von Naomi Klein als erste beschriebenen Schockstrategie.
Die Ukraine wird wie damals Jugoslawien zivil zerschlagen, um einen Staat des „freien Unternehmertums“ daraus zu machen. Und das ist nur die Vorwärmung für den neuen Feldzug gegen Russland, nach Napoleon, Hitler und Reagan, alles im Namen der Freiheit des Eigentums.

A. Council on Foreign Relations sieht Hauptschuld an Ukraine-Krise beim Westen

http://www.heise.de/tp/artikel/42/42618/

Roman Baudzus 26.08.2014

So unglaublich diese Überschrift auch klingen mag, sie ist doch wahr

Als ich einen in der vergangenen Woche publizierten Bericht in Foreign Affairs, dem medialen Sprachrohr des Council on Foreign Relations (CFR) überflog, musste ich mir erst einmal kräftig die Augen reiben, um mir bewusst zu werden, ob ich auch wirklich richtig gelesen hatte.
Der CFR ist einer der weltweit vier wichtigsten privaten Think Tanks und unter anderem eng mit Chatham House verwoben.

Immerhin steht Chatham House unter der Schirmherrschaft der britischen Queen Elizabeth II. Einzelne Schlüsselprojekte werden laut wikipedia.de[1] durch die Rockefeller-Stiftung, die Konrad-Adenauer-Stiftung, die NATO und die Europäische Union finanziert.
Dem Gros der westlichen Mainstreammedien war dieser Bericht bisher keine Silbe wert. Wie passt das im Angesicht der aktuellen Entwicklungen in der Ukraine alles noch zusammen?

Wer sich an den zu Beginn dieses Jahres erfolgten Putsch in der Ukraine erinnert, wird sich darüber gewahr sein, dass das amerikanische Außenministerium in den letzten Jahren nach eigener Aussage[2] mehr als $5 Milliarden in Maßnahmen investierte[3], die dazu beitragen sollten, die Ukraine politisch und wirtschaftlich in die Arme des Westens zu treiben.
In diesem Zuge bleibt das abgehörte und auf Youtube veröffentlichte Telefongespräch[4] zwischen Geoffrey Pyatt, dem US-Botschafter in Kiew, und der stellvertretenden US-Außenministerin Victoria Nuland unvergessen.

Darin fiel auch der inzwischen berühmt gewordene Satz „Fuck the EU“.

Wir wollen in diesem Kontext auch nicht vergessen, dass Victoria Nuland ehedem Beraterin von US-Vizepräsident Dick Cheney und zwischen 2005 und 2008 US-Botschafterin bei der NATO gewesen ist. Der Kreis schließt sich, wenn man bedenkt, dass Victoria Nuland mit Robert Kagan, Politikberater in Washington und einer der bekanntesten Neokonservativen (Neocons) in den Vereinigten Staaten, verheiratet ist.
Kommen wir nun zurück auf Foreign Affairs, den medialen Arm des Council on Foreign Relations – dem amerikanischen Gegenstück zu Chatham House -, eine Publikation, die in einem Turnus von allen zwei Monaten veröffentlicht wird.

Dort heißt es in der Ausgabe September/Oktober 2014 in einem Bericht[5] von John Mearsheimer in der Überschrift wie folgt:

Dieser Bericht liest sich – so unglaublich es auch anmuten mag – wie eine lange Litanei der kritischen Auseinandersetzung mit der Vorgehensweise des Westens, der die Schuld an der stetig eskalierenden Lage in der Ukraine allein Russland in die Schuhe zu schieben gedenkt.
Da werde in den offiziellen Regierungsstäben, dem Vorsitz der NATO und westlichen Medien der Eindruck einer Annexion der Halbinsel Krim durch Russland das Wort geredet. Diese Annexion sei laut offiziellen Verlautbarungen des Westens lediglich als Auftakt zur eigentlichen Zielerreichung des Moskauer Kremls zu interpretieren.

Und diese Ziele setzten sich allein aus weiteren Gebiets- und Territorialexpansionen in der Ukraine und anderen osteuropäischen Staaten zusammen, ganz im Sinne einer anvisierten Revitalisierung der einstigen Sowjetunion.

Foreign Affairs Autor John Maersheimer kommt in seiner Analyse hingegen zu ganz anderen Ergebnissen: nämlich, dass Washington und dessen europäische Verbündete die Hauptschuld an der Ukraine-Krise trügen. Wer es nicht glaubt, hier sei ein Zitat aus seinem Originalbericht eingestellt. Dort heißt es:

Was eindeutig hinter den Aktivitäten des Westens stecke, sei „das Ziel einer Erweiterung der NATO, die Ukraine vom Einfluss Russlands zu befreien und das Land in die westliche Sphäre zu integrieren“.

Dass die Einkreisungspolitik der NATO gegenüber Russland dabei genauso aggressiv wirken muss, wie dies jeweils auch im Hinblick auf China und den Iran der Fall ist, will westlichen Regierungsoffiziellen vielleicht nicht einleuchten oder es kümmert sie ganz einfach nicht.

Im Herzen Europas wird auf diese Weise der Weg für einen neuen Krieg geebnet. Wir alle müssen uns hinterfragen, ob wir ein solches Resultat nach den historischen Ereignissen des Ersten und Zweiten Weltkriegs tatsächlich noch einmal auf europäischem Boden erleben wollen. Die Antwort auf diese Frage muss, kann und darf nur NEIN lauten!

Und dieses NEIN sollten wir Washington, das ganz offensichtlich seine eigenen und selbstsüchtigen Ziele im Vorhof des russischen Bären verfolgt (Stichwort: Gasexploration -> siehe Hunter Bidens Berufung[6] ins Board des größten ukrainischen Gasproduzenten Burisma Holdings, Ausverkauf[7] von ukrainischem Agrarland an ausländische Investoren, auf dessen Basis Lebensmittelprodukte für die ukrainische Bevölkerung demnächst unerschwinglich werden dürften, sowie Sicherung und angestrebte Kontrolle[8] der durch die Ukraine führenden Pipelinerouten nach Europa) entgegen rufen.

Der Krieg in der Ostukraine und der IWF

Einige Leser werden sich vielleicht die Frage stellen, warum es im Angesicht der humanitären Lage in der Ukraine nicht endlich zu Gesprächen um einen Waffenstillstand zwischen dem durch den Westen hofierten Putschregime in Kiew und den ostukrainischen Separatisten kommt?

Die Antwort auf diese Frage könnte sich aus einem jüngst publizierten Strategiepapier[9] des Internationalen Währungsfonds (IWF) ableiten, in dem es heißt, dass Kiew zur Sicherung und zum Erhalt seiner mit dem IWF vereinbarten Bailout-Tranchen in einer Gesamthöhe von $17 Milliarden unbedingt die gegen Kiew aufbegehrenden Regionen im Osten und Süden des Landes wieder unter seine politische und militärische Kontrolle bekommen müsse.

Andernfalls dürfte diese Bailout-Zusage im Angesicht einer immer stärker abstürzenden Hrywna sowie einer explodierenden Auslandsverschuldung, die zuletzt die Marke von $140 Milliarden erreichte, auf der Kippe stehen. Berechtigte Frage ist und bleibt, auf welche Weise diese immense Staatsverschuldung im Angesicht einer gegenüber dem US-Dollar seit 2007 um mehr als 65% abwertenden Hrywna jemals zurückgezahlt werden soll?

Die Provokation durch das Raketenabwehrsystem

Ich möchte an dieser Stelle noch auf einen anderen Faktor eingehen, den insbesondere Dr. Paul Craig Roberts, ehedem stellvertretender Finanzminister der Vereinigten Staaten in der Regierung von Ronald Reagan und einst Mitherausgeber des Wall Street Journal, in letzter Zeit immer wieder in den Vordergrund seiner Analysen rückte.
Unter dem Vorwand, Europa gegen nicht existente Atomraketen aus dem Iran zu schützen, werde sowohl in Washington als auch in der NATO der Plan verfolgt, einen Teil eines neuen Raketenabwehrsystems (anti-ballistic missile bases oder kurz ABMs) in der Ukraine zu installieren, das selbstverständlich nur gegen Russland gerichtet sein könne.

Die auch durch Foreign-Affairs-Autor Maersheimer angesprochene Einkreisungspolitik Russlands durch die NATO könne eigentlich nur dem strategischen Langfristziel dienen, um sich mit Hinblick auf einen potenziellen Atomkrieg einen Vorteil gegenüber Russland durch die Installation eines derartigen Raketenschirms zu verschaffen.

Dr. Paul Craig Roberts bezieht sich in seiner Analyse nicht nur auf seine eigenen Erfahrungen und Quellen, über die er im politischen Washington nach wie vor in Hülle und Fülle verfügt, sondern bezog sich in einem seinereigenen Berichte[10] vom 30. Mai 2014 ebenfalls auf einen Report in Foreign Affairs, der seiner Ansicht nach Grund zur Skepsis und vor allem Besorgnis sei.

Danach sei die Tatsache beängstigend, dass die Neocons, welche die US-Außenpolitik bestimmten, fest davon überzeugt seien, dass die Vereinigten Staaten das Recht auf einen „präventiven Nuklearschlag“ gegenüber Russland hätten.
Die diesem haarsträubenden Gedanken zugrundeliegende Theorie namens „The Rise of U.S. Nuclear Primacy“ wurde im Jahr 2006 formuliert, um – wie weiter oben angesprochen – ebenfalls in Foreign Affairs des Council on Foreign Relations veröffentlicht zu werden.
Dieser Theorie liegt der gefährliche Gedanke zugrunde, dass die USA einen erfolgreichen Atomarerstschlag gegenüber Russland (und vielleicht auch China) durchzuführen imstande seien, um in diesem Zuge die Atomarsenale beider Staaten zu zerstören. Wie gefährlich allein nur der feste Glaube an ein solches Szenario unter führenden Köpfen in Washington ist, zeigt auf, wie groß die Risiken sind, die sich aus einer nahezu unfassbaren Selbstüberschätzung dieser Neocon-Strategen ableiten.

Man stelle sich vor, was im Westen los wäre, wenn Russland – wie seinerzeit die Regierung der Sowjetunion – den Versuch unternehmen würde, ein ähnliches Raketenabwehrsystem oder gar eigene Atomraketen in Venezuela, auf Kuba oder in Nicaragua zu installieren. Eine Reihe von Lesern wird sich an die damalige Kuba-Krise gewiss noch gut erinnern können, welche die Welt an den Rand des Ausbruchs eines Dritten Weltkriegs brachte.

Gerade mit Blick auf die aktuellen Ereignisse ist es mehr als nur verwunderlich, wenn mit Foreign Affairs ein führendes mediales Sprachrohr der amerikanischen Neocons nun plötzlich dem Westen – und somit in erster Linie Washington – die Hauptschuld am Entstehen der Ukraine-Krise anlastet.
Autor Maersheimer erteilt Russlands Staatspräsident Putin fast schon Absolution, wenn es in seinem Bericht heißt, dass eine demokratisch legitimierte Regierung in Kiew aus dem Amt geputscht wurde, worauf Putin die Halbinsel Krim besetzt habe, in der Furcht, dass die NATO dort ansonsten eine eigene Marinebasis eingerichtet hätte.

Russlands Staatspräsident Wladimir Putin sei kaum etwas anderes übrig geblieben, als sich den andauernden Destabilisierungsbemühungen des Westens im russischen Vorhof mit Verve entgegen zu stellen. Mit Blick auf China kommt Foreign Affairs Autor Maersheimer ebenfalls zu einem von dieser Seite gänzlich unerwarteten Analyseergebnis. Es heißt in seinem Bericht wörtlich:

Nun, was lässt sich dazu noch sagen? Leser, die des Englischen mächtig sind, sollten den Bericht[11] von John Maersheimer definitiv in Gänze durchlesen. Es lohnt sich!
Welche Beweggründe dahinterstecken mögen, dass sich die aktuelle Ausgabe von Foreign Affairs des Council on Foreign Relations derart kritisch mit den geopolitischen Strategien Washingtons und des Westens auseinandersetzt, vermag ich nicht zu sagen.
Ich halte diese Entwicklung ehrlich gesagt für ein kleines Wunder. Und damit möchte ich abschließend auf die eingangs gestellte Frage zu diesem Bericht zurückkommen, die da lautete: Wie passt das im Angesicht der aktuellen Entwicklungen in der Ukraine alles noch zusammen?
Die Crux im Hinblick auf meine Frage ist, dass ich den Protagonisten, die seit dem Ende des Ersten Weltkriegs maßgeblich die Geschicke in der Welt und die Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten mit bestimmen, derart viel Selbstkritik einfach nicht zutraue.

Roman Baudzus ist Co-Gründer des Wirtschafts- und Finanzblogs wirtschaftsfacts[12], der sich stets auch mit geopolitischen Themen und Entwicklungen auseinandersetzte.

Anhang: Links

[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Chatham_House
[2] https://www.youtube.com/watch?v=U2fYcHLouXY
[3] http://www.globalresearch.ca/american-conquest-by-subversion-victoria-nulands-admits-washington-has-spent-5-billion-to-subvert-ukraine/5367782
[4] https://www.youtube.com/watch?v=MSxaa-67yGM#t=89
[5] http://www.foreignaffairs.com/articles/141769/john-j-mearsheimer/why-the-ukraine-crisis-is-the-wests-fault
[6] http://burisma.com/hunter-biden-joins-the-team-of-burisma-holdings/
[7] http://m.wnu-ukraine.com/news/economy-business/?id=3617
[8] http://bigstory.ap.org/article/ukraine-open-eu-us-firms-co-managing-pipeline
[9] http://www.globalresearch.ca/the-imfs-rescue-package-coercing-ukraine-into-a-civil-war/5380347
[10] http://www.paulcraigroberts.org/2014/05/30/lethality-nuclear-weapons/
[11] http://www.foreignaffairs.com/articles/141769/john-j-mearsheimer/why-the-ukraine-crisis-is-the-wests-fault
[12] http://www.cashkurs.com/kategorie/wirtschaftsfacts/

Anmerkung: Der Enthauptungsschlag gegen Russland ist seit 1947 fest und dauerhaft in der Planung der US-Militärstrategen.
Dem kan leider die auf den Knochen der Wismutkumpel schnell aufgebaute russische Atombombe zuvor.
Und diese Kumpel, denen wir es verdanken, von einer atomaren Zerstörung Europas verschont geblieben zu sein, müssen heute noch um ihre kargen Renten kämpfen.
Und nun zu einem Angstgebäude, das einem nach dem oben beschriebenen nicht mehr wie paranoia vorkommt:

B. Der nächste Maidan findet im September in St. Petersburg statt

Interview mit Evgenii Alexejewitsch Fedorow, Abgeordneter der Duma der Russischen Föderation

http://www.yy-welt.com/der-naechste-maidan-findet-im-september-in-st-petersburg-statt/

Veröffentlicht am 11. August 2014 von brokenarm
Transkript eines Gespräches mit Evgenii (Jewgenji) Alexejewitsch Fedorow, einem Abgeordneten der Staatsduma, des Parlamentes der Russischen Föderation (1993-1996; seit 2003 bis heute). Er ist Mitglied der Partei Einiges Russ­land, der auch Vladimir Putin angehört und deren Vorsitzender Dimitri Medwedew ist.

Er selbst ist Mitglied des zentralen Politrates der Partei. Unter anderem ist er auch Vorsitzender des Komitees für die Wirtschaftspolitik und das Unternehmertum der Staatsduma. Kernthese des Gespräches ist die Aussage Fedorows, dass die US-Regierung, ausgehend von Unruhen bei den Gouverneurswahlen in St. Petersburg im kommenden September, einen Umsturz in Russland plant.


Evgenii Alexejewitsch Fedorow: Aus der Sicht der Vereinigten Staaten hat in Russland eine orangene Revolution oder Intervention begonnen. Sie hat vor etwa einem Monat begonnen.

Interviewer: Seit wann?

Seit den Diskussionen über die Wahlen in St. Petersburg.
Ich erkläre das: Es ist schon klar, dass die Amerikaner einen Schlag gegen Russland mit einem Schlag gegen St. Petersburg beginnen.
Das heisst, sie werden ihren ersten Schlag dort während der Gouverneurswahlen im September1 landen.

Wollen Sie sagen, sie wollen dort ihren Gouverneur installieren?

Nein, sie brauchen nicht einfach ihren Gouverneur, sie brauchen ganz Russland und nicht nur St. Petersburg. Sie haben berechnet, dass St. Petersburg das schwache Glied ist.
Eine verwundbare Stelle. Eine Offensive fängt normalerweise mit einem Angriff auf die schwächste Stelle an. Warum ist es die schwächste Stelle?
Traditionell ist St. Petersburg die Stadt mit der stärksten Opposition. Der Anteil der Opposition in Moskau liegt bei etwa 30 %, in St. Petersburg bei etwa 40 %.
Es gibt dort das Poten­tial, das Gleichgewicht der Macht, liberale Ansichten und so weiter. Das hat Tradition.

Nun, es ist kein Zufall, dass Petersburg der Geburtsort von drei russischen Revolutionen war! Es ist westlicher, würde ich sagen. Dort ist eine bestimmte Mentalität entstanden.
Es gibt dort eine bessere und stärkere Stellung oder Basis. Und zweitens ist es eine Stadt von grossem symbolischem Wert. Das ist Putins Stadt!
Anders gesagt, ein Schlag gegen Putin durch Petersburg ist wie ein Schlag gegen Russ­land durch die Ukraine. Und die Amerikaner wissen das.
Vor zwei bis drei Wochen hielt der US-Botschafter in einem der Moskauer Theater ein geschlossenes Treffen ab, bei dem er offen sagte, dass der erste Schlag in St. Petersburg erfolgen wird, während der Wahlen im September.
Das ist schon in Vorbereitung. Ich weiss, dass die Amerikaner für Dmitrieva2 arbeiten, über die fünfte Kolonne.

Was bedeutet dieser Schlag? Wie wird er aussehen? Wird der Maidan tatsächlich in St. Petersburg beginnen?

Nein, das ist nur eine Probe.
Sehen Sie, wenn wir von der orangenen Intervention oder Revolution reden, obwohl es passender wäre, «eine Intervention» dazu zu sagen, eine Revolution ist ein innerer Prozess, während eine Intervention von aussen kommt.
Es ist eine Art von Invasion, wie eine Landung oder wie eine Invasion fremder Truppen in einem Krieg. Das ist eine Art des Eindringens, die die schwächsten Stellungen angreift, wo der Boden am besten bereitet ist.
Die Amerikaner sammeln ihre Kräfte für die orangene Intervention in bestimmten Gebieten. Sie haben Orte festgelegt für eine Intervention.
Sie haben St. Petersburg als ersten Ort gewählt. Der Prozess hat begonnen.
Der Prozess wird unterstützt, die ganze Geschichte mit der frühen Wahl in St. Petersburg ist kein Zufall. Da ist auf der einen Seite die fünfte Kolonne in Russland, die mitspielt, und auf der anderen Seite der Druck von «jenseits der Strasse». Die gehören zusammen.
Sie haben dieses schwache Glied ausgesucht, eine relativ schwache Stelle. Was heisst das?

Zuerst werden sie so viel Geld in die Wahlen in St. Petersburg stecken, wie all die Kandidaten nur ausgeben können. Sie werden allen Kandidaten Geld geben, nur nicht Poltawtschenko3.
Anders gesagt, sie werden jeden beliebigen Betrag bieten. Wohlgemerkt, sie werden nicht verlangen, die Ideologie zu ändern. Sondern nach dem Motto: Hier sind die [Geld-]Säcke, macht damit, was ihr wollt. Das ist der erste Faktor.
Der zweite Faktor: Sie werden die gleichen ausgebildeten jungen Leute nach Petersburg schicken, die gleichen Kämpfer, die sie für die Ukraine vorbereitet haben. Wenn nötig, geben sie ihnen russische Pässe.

Die Gesamtzahl der Kämpfer in Russ­land, die von den Amerikanern vorbereitet wurden, reicht von 50 000–100 000. Auf Basis der Ukraine.
Natürlich, sie könnten sie nicht herauspicken, [denn] sie sind Russen in reinster Form. Diese Leute werden nach Petersburg kommen und dort in grosser Zahl Wohnungen mieten.
Ihr Auftrag wird sein, Provokationen durchzuführen, wenn nötig militärische Provokationen.

Was bedeutet das alles? Es bedeutet: Terroristische Aktivitäten! Der Rechte Sektor hat, wie Sie wissen, kein Problem mit terroristischen Aktivitäten.

Das stimmt!

Sie kennen keine moralischen Schranken. Wenn man ihnen in St. Peterburg Gewehre gibt, hätten sie kein Problem damit, aus einem Auto auf Menschen zu schiessen.
50 000–100 000, das ist wie ein friedlicher Anteil. Das heisst, sie können, wenn nötig, mit Knüppeln bewaffnet werden.
Und gleichzeitig spielt die fünfte Kolonne mit. Dmitrieva taucht in Petersburg auf und Navalny4 in Moskau, das war die Arbeit der fünften Kolonne.
Die Arbeit der fünften Kolonne wird von oben organisiert und vorangetrieben aus Moskau. Nicht von unten, dort kam sie nicht durch die Barriere.

Nur einige Beispiele: Das heisst, selbst wenn die fünfte Kolonne aus der Spur gerät, haben die Amerikaner etwas, um sie zu ersetzen. Sie haben den Angriff schon begonnen!
Das ist eine unmittelbare Antwort auf die BRICS-Staaten, die Bildung einer anti-amerikanischen Koalition und die Befreiungsbewegungen auf der Welt und die Offensive in der Ukraine, wo die Rebellen die Invasoren in Donezk und Lugansk zurückgeschlagen haben.
Das ist eine andere Art der Invasion in Russland. Die eine ist militärisch, die andere nicht.
Ein «orangenes» Interventions-Szenario ist überall gleich. Der jüngst ernannte US-Botschafter in Russland5 ist ein erfolgreicher Fachmann für solche Revolutionen.
Er hat persönlich schon zwei solcher Umstürze angeleitet: in Georgien und in der Ukraine. Beide waren erfolgreich, beide Präsidenten wurden ersetzt.

Für ihn ist das eine ziemlich erprobte Technik. Sogar für ihn persönlich. Insgesamt haben die Amerikaner zwanzig Interventionen dieses Typs durchgeführt, drei davon hat er persönlich angeleitet.
Jetzt haben sie Petersburg als Ausgangsbasis für die Invasion ausgewählt. Ihr nächstes Ziel ist es, Petersburg zu destabilisieren, die Lage »durchzurütteln» und wenn möglich zur zweiten Runde des Plans zu gelangen.
Die zweite Stufe ist ein bewaffneter Aufstand. Das steht schon fest.
Wenn die zweite Stufe scheitert, dann gibt es gewaltige Strassenkämpfe, Provokationen, Kämpfe, kurz Destabilisierung. Das ist schon ziemlich klar.

Sie können Ihrem Video einen neuen Titel geben: Die orangene Intervention gegen Russ­land hat bereits begonnen!

Evgenii Alexejewitsch, haben wir richtig verstanden, dass die USA auf innere Proteste in St. Petersburg setzen und nicht in Moskau?

Nein, sie zählen auf eine Reihe von Brennpunkten.

Nun, wenn sie 2012 versucht haben, in Moskau Massenproteste zu organisieren, werden sie dasselbe auch in St. Petersburg versuchen?

Im Prinzip ja. Dieselbe Sache, nur mit neuer Technik!
Zuerst ist das der ukrainische Faktor: Hunderttausend Leute, die eine Gehirnwäsche hinter sich haben. Die Propaganda dort verwandelt Menschen in Tiere.
Ihre Position ist stärker geworden, falls sie es nicht bemerkt haben.
Wissen Sie, die Leute sehen zu, und viele freuen sich über die Siege in der Ukraine. Das sind keine Siege! Da gibt es einige taktische Gewinne, aber keine Siege.
Noch vor sechs Monaten hatten wir ein neutrales Nachbarland.
Jetzt haben wir ein Land mit über 40 Millionen Einwohnern, das Russ­land mit militärischer Feindseligkeit gegenübersteht.
Was für ein Sieg ist das? Und mehr noch, sie haben eine russische Bevölkerung.
Das ist ein Land, das für eine Invasion Russ­lands durch die orangenen Eindringlinge modernen Typs eine gute Basis darstellt. Vor sechs Monaten war das noch anders.

Das heisst, das Machtgleichgewicht um Russ­land herum hat sich fundamental geändert. Geopolitisch haben wir eine schwere Niederlage erlitten.
Gestern hatten wir keine Feinde, und heute sieht unser Feind genauso aus wie wir selbst.
Tatsächlich ist das ein klarer Sieg für die fünfte Kolonne. Sie hat politisch und militärisch gewonnen, und von dort kann eine militärische Invasion Russ­lands starten.
Das ist eine sehr gewaltige Veränderung der Lage.

So war es nicht während der Moskauer Ereignisse. Da gäbe es einige Leute aus dem Baltikum, aus der Ukraine, aus der ganzen Welt. Aber sie hatten keine Basis für eine Invasion.
Jetzt haben sie eine riesige Basis. Das ist eine grundsätzliche Veränderung der Lage! Ja, wir sind jetzt besser vorbereitet … Das heisst, es wird grossflächige Strassenkämpfe geben in St. Petersburg. Ich würde es keinen Krieg nennen, aber grossflächige Strassenkämpfe.
Wir können schon vorhersagen, dass das im September passieren wird. Das heisst nicht, dass die Amerikaner ganz Russland gewinnen.
Sie werden ein Sprungbrett schaffen, für eine Invasion in Moskau nächstes Jahr.

Also selbst wenn sie verlieren, werden sie «Lärm schlagen»?

Nein, sie werden sicher verlieren. Es ist nötig, das politische System zu verstehen.
Formal betrachtet werden sie sicher keinen Amerikaner wählen. Das ist klar, und sie setzen sich das nicht zum Ziel. Ihr Ziel ist es, die Destabilisierung anzufangen. Da können wir eine ganze Liste vorlegen. Zum Beispiel werden sie die Wahlen in St. Petersburg zur Fälschung erklären. Ganz bestimmt!
Was auch geschieht, sie werden verkünden, die Wahlen seien gefälscht. Sie werden Unruhen organisieren, unter diesem oder einem anderen Vorwand. Das ist ihr Handlungsgerüst.

Wenn diese dritte Revolution für den US-Botschafter ein Erfolg sein soll, dann wird sie genauso wie die vorangehenden. Es wird das kraftvolle Werk der fünften Kolonne.
Poli­zisten werden sich in St. Petersburg eigenartig verhalten, städtische Vertreter, Bezirks­chefs beispielsweise, die auf einmal gegen den Gouverneur kämpfen werden, dem sie unterstellt sind. Das ist alles die Tarnung für dieses System der Invasion.
Es wird ein ganzes Bündel seltsamer Geschichten geben. Wie auch immer, sie sind nur dann eigenartig, wenn man den Kopf in den Sand steckt. Und das ist die Linie, die sie heute verfolgen, als würde nichts geschehen.

Kein Wettbewerb, nichts dergleichen. Aber wenn man das Ganze im Zusammenhang des globalen Wettbewerbs betrachtet, dann sind eine Invasion Russlands und eine Zerstörung der russischen Bevölkerung und des Staates absolut logische Dinge. Dann ist die Invasion unterteilt in Elemente und Stufen.
Die erste ist, ich wiederhole, St. Petersburg. Das ist bereits klar. Darum glaube ich, dass die NLM («Nationale Befreiungsbewegung») die Mobilisierung erklären wird, ein Unterstützungsprogramm für unsere Abteilung der NLM in St. Petersburg, die sich natürlich erheben wird, um ihre Stadt vor den fremden Invasoren zu schützen. Das ist klar.

Evgenii Alexejewitsch, Sie haben gesagt, die Polizei wird anfangen, sich eigenartig zu benehmen, aber es ist klar, dass sie unter Befehl steht.

Es gibt verschiedene Arten Polizei. Einige werden sich seltsam verhalten, andere nicht. Aber man wird eigenartige Dinge sehen.

So haben sie es in Kiew gemacht. Niemand hat Befehle erteilt beispielsweise. Das ist es, was ich meine.

Die Polizei in Kiew hat sehr seltsam reagiert. Am Schluss haben sie beschlossen, die Befehle zu ignorieren, aber es war zu spät.
Heisst das, wir können nichts aus dieser Geschichte lernen?

Versuchen wir, Mascha, Ihre Frage zu beantworten. Die Tragödie in Kiew ist einige Monate her und endete im März.
Hat irgendwer sie in Russland analysiert? Haben Sie das von irgend jemandem bemerkt? Irgendeine Talk-Show?
Ich mache das natürlich, aber ich rede von den offiziellen Medien, den Vertretern der Macht.

Nein!

Mit anderen Worten, da entfaltet sich eine riesige Katastrophe, die zum Tod von Zehntausenden führt.
Und niemand, nicht eine einzige Talk-Show, versucht das zu analysieren?
Ja, natürlich, Talk-Shows sind dumm. Es ist völlig offensichtlich, dass die Analyse der Situation in der Ukraine von Russland verhindert wird. Es ist nicht erlaubt.
Wer erlaubt es nicht? Dieselben Spieler, die dieses Drehbuch für Moskau vorbereiten, für den Rest von Russ­land und St. Petersburg. Das ist die fünfte Kolonne in der Regierung, die genug Macht hat, eine Analyse der Lage zu verhindern. Wir werden daran gehindert, Informationen zu vermitteln.
Die NLM führt offensichtlich eine Analyse durch, aber wir werden blockiert. Es wird nicht erlaubt, die Analyse an die Medien zu geben. #
Unsere Aktivisten werden in den Regionen behindert, wo sie versuchen, Losungen zu verbreiten. Es wird ihnen nicht einmal erlaubt, sie zu diskutieren!

Ich möchte jetzt sagen, was wichtig ist in einer orangenen Intervention.
Die Hauptsache in einer orangenen Intervention sind nicht die Militanten, sondern die Arbeitsweise der fünften Kolonne in den Strukturen der Macht.
Beispielsweise wenn Offizielle, Generäle, Geschäftsleute und Herausgeber von Medien plötzlich anfangen, ihre Positionen zu ändern. Wörtlich von einem Tag auf den anderen – sie drehen um 180 Grad und folgen einer anderen Linie – nicht der, der sie bis zu jenem Tag gefolgt sind und der zu folgen sie einem Regierungsvertreter oder sonst jemandem versprochen haben.
Das ist die Veränderung und die Technik, solche Veränderungen vorzubereiten.

Wie geht die Kommunikation, die die Behördenvertreter dazu bringt, ihr Heimatland zu verraten? An jedem bestimmten Punkt gibt es einen genauen Plan.
Und der zweite Punkt, dieser Plan, der in den Vereinigten Staaten erstellt wurde, sorgt für hunderte Sorten kleiner Verrats, die in der Summe ein bestimmtes Ergebnis erzielen.
Ein höherer Staatsbeamter geht nicht auf den zentralen Platz und ruft: Ich bin ein Verräter! Obwohl wir das in der Ukraine gesehen haben.
Erinnern Sie sich an die Geschichte mit dem Leiter der Grenzwachen, der sagte, er würde seinen Kommandeur niederschlagen, wenn dieser die Befehle der Vereinigten Staaten nicht ausführen würde. So, dort gäbe es offenen Verrat. Aber der überwiegende Anteil, 99 % des Verrats, war verborgen.

Beispielweise ein General, der eine bestimmte Einrichtung schützen sollte, tauchte nicht auf. Er sagte: Ich habe verschlafen. Als ob, nun ja, er verschlief … Schwer zu verstehen.
Vielleicht wird er dafür gerügt. Anscheinend hat er keinen Verrat begangen, aber es fügt sich in den Plan des Verrats, und sein «Verschlafen» ist ein Teil des Plans. Er verschlief zur richtigen Zeit am richtigen Ort, und Zeit und Ort wurden von der besonders ausgebildeten Truppe genutzt, die wusste, dass er verschlafen würde. Das ist ziemlich klar, oder?
Das ist die Technik, und sie wird nicht analysiert.

Es ist verboten, sie zu untersuchen. Das heisst, es ist hundertprozentig hier in Arbeit. Dieselben Leute!
Eine Methode, gegen eine orangene Intervention zu kämpfen, ist eine Untersuchung dieser Technik. Eine Analyse, die nicht gemacht wird!
Weder die Gesellschaft, noch die Staatsdiener, noch die Poli­zei sind darauf schon vorbereitet. Ganz und gar nicht!
Wenn keiner das analysiert, dann ist es natürlich auch keine Vorbereitung. Andernfalls gäbe es eine Bereitschaft und Verständnis, um sich gegen Verrat im Falle des «verschlafenen Generals» zu schützen, es ist besser, zwei Generäle vorzuwarnen, der eine wird Verrat begehen, und der zweite wird rechtzeitig auftauchen. Sie verstehen das, oder?
Es gibt verschiedene Methoden des Kampfes, auf Grund eines Übergewichts der Macht. Daher ist Geheimhaltung ein wichtiger Bestandteil dieses Verrats. Diese Technik ist nicht wirklich verborgen, es ist nur verboten, sie zu studieren und zu untersuchen.

Sie versuchen, es zu vertuschen.

Sie unterdrücken das absichtlich. In dem Moment, in dem sie anfangen, die Techniken der ausländischen Intervention in der Ukraine zu vertuschen, können wir sicher sein, dass dasselbe für Russland vorbereitet wird. Die Vertuschung selbst ist schon die erste Phase der Vorbereitung.

Welche anderen Städte ausser St. Petersburg sind beteiligt?

Der erste Schlag erfolgt in St. Petersburg, aber es wird mehrere Unterstützungsangriffe geben in Kaliningrad, im fernen Osten, im Kaukasus durch Terrorismus und auf der Krim. Das sind die Hauptpunkte, die die Amerikaner gewählt haben. Und natürlich werden sie versuchen, in Moskau einzugreifen. Sie versuchen es gerade im Ural, nebenbei. Die Amerikaner haben sich in Yekatarinenburg eine solche Basis geschaffen. Ich meine, eine Basis für eine Invasion.

Wird all das gleichzeitig im September passieren?

Darauf einigen sie sich natürlich!

Die Kräfte der nationalen Befreiung, die ihnen widerstehen werden, sollen sich nicht an der Stelle sammeln dürfen, oder?

Ihr Ziel ist es zu verhindern, dass die Kräfte der nationalen Befreiung sich durchsetzen können. Die nationalen Befreiungskräfte sind stark genug, aber sie haben keinen Zugang zu den entscheidenden Strukturen in der Regierung. Da gibt es Putin, aber er trifft nicht die Entscheidungen.
Die Entscheidungen der Regierung werden von den Offiziellen der zweiten Reihe getroffen, die von den USA kontrolliert werden. Sie sorgen dafür, dass Putins Befehle nicht durchdringen. Wir sehen es überall. Nehmen wir mal die Rückholung der Unternehmen. Sie arbeiten direkt für die Amerikaner. Das sind die höchsten Regierungsvertreter und die in der zweiten Reihe.

Warum arbeiten sie für die Amerikaner? Die Amerikaner haben sie ausgewählt und auf ihre Positionen befördert auf Grund ihrer Ansichten. Liberaler Ansichten beispielsweise.
Sie werden durch Drohungen und Korruption in das System integriert. Beispielsweise bieten die Amerikaner Schutz und Abdeckung bei irgendwelchem kompromittierenden Material. Wenn sie den Amerikanern nicht zu Diensten sind, gehen sie ins Gefängnis. Ins Gefängnis hier in Russ­land. Nicht nur Polizisten der fünften Kolonne, auch ehrliche Polizisten.

Nehmen wir mal an, ein ehrlicher Polizist hat Material über einen korrupten Beamten erhalten. Daher ist er verpflichtet, ihn zu verhaften. Man könnte ihm sogar Geld geben, es zu tun.
Also warum ihn nicht verhaften, oder? Was aber, wenn das Material über diese Korruption der Grund war, der Hauptgrund, warum dieser Beamte diese Stellung erhielt?
Das sind die Techniken. Manche haben Kinder im Ausland … man stelle sich vor, das Kind wird irgendwo in London festgenommen. Das ist härter als die Einziehung von Vermögen.
Sie können es überleben, wenn ihre Paläste eingezogen werden, aber die Verhaftung eines Kindes, das ist eine andere Sache.
Wenn dieses Kind in Amerika festgenommen wird, könnte ihm die Todesstrafe drohen und in London lebenslängliche Haft. So!
Dieser Beamte wurde gerade rekrutiert. So gibt es einen Satz von Methoden für diese Arbeit.

Das sind die Hauptelemente einer orangenen Revolution. Nicht einmal die 100 000 Kämpfer!
Das Hauptelement der orangenen Revolution ist die fünfte Kolonne in den Strukturen der Macht.
Sie werden ihr Land Stück für Stück verkaufen. Sie werden es schrittweise verkaufen, nach einem Plan, der in den Vereinigten Staaten entwickelt wurde.
Das Ziel, das die Amerikaner für die Gouverneurswahlen in St. Petersburg gesetzt haben, ist, einen Ideologen aufzubauen und an den Start zu bringen, der Putin stürzen kann.

Dieses entwickelte Schema lässt sich auf alle russischen Bürger anwenden: im Fernsehen, im öffentlichen Raum usw. Die nächste Stufe, nächstes Jahr oder vielleicht etwas später wird das ermöglichen, das ganze Land in Brand zu setzen.
Das ist wie mit Fallschirmjägern, die abspringen und einen Brückenkopf errichten. Militärisch gesprochen entscheidet ein Brückenkopf nicht das Ergebnis eines Krieges, aber bereitet die allgemeine Offensive vor.
Dafür steht St. Petersburg. Wir nehmen die Situation in Petersburg sehr ernst.
Das heisst nicht, dass sie gewinnen, weil der Sieg die Befreiung von St. Petersburg von Putin nicht das Ziel ist.
Das tatsächliche Ziel ist, die allgemeine Offensive von St. Petersburg aus zu starten.

Verstanden! •

Quelle: als Video ursprünglich auf Poznavatelnoe.­tv und eafederov.ru; als Text in deutscher Übersetzung auf: http://www.yy-welt.com/der-naechste-maidan-findet-im-september-in-st-petersburg-statt/ vom 11.8.2014

Erläuterungen der Redaktion Zeit-Fragen
1 Am 14. September 2014 wird der Gouverneur von St. Petersburg neu gewählt. Die Wahlen wurden notwendig, weil der bisherige Gouverneur, Georgi Sergejewitsch Poltawtschenko, vom Amt zurückgetreten war.
2 Oksana Dmitrieva lehrt Ökonomie an der St. Petersburger Staatsuniversität für Wirtschaft und Finanzen. Sie ist Abgeordnete in der Duma der Russischen Föderation. Sie gehört der Partei «Gerechtes Russland» an und kandidiert bei den Wahlen am 14. September für das Amt des Gouverneurs von St. Petersburg.
3 Georgi Sergejewitsch Poltawtschenko ist seit August 2011 Gouverneur von St. Petersburg. Er war für dieses Amt vom damaligen russischen Präsidenten Medwedew vorgeschlagen und daraufhin vom Parlament in St. Petersburg mit grosser Mehrheit gewählt worden. Im Juni 2014 ist er von seinem Amt zurückgetreten, führt die Amtsgeschäfte aber bis zu den Neuwahlen weiter.
4 Alexei Anatoljewitsch Nawalny gehört zur Opposition gegen die russische Regierung. 2013 kandidierte er für das Amt des Bürgermeisters von Moskau, unterlag bei den Wahlen aber mit 27 Prozent der Stimmen.
5 John Tefft ist seit 31. Juli 2014 Botschafter der USA in Russland. Zuvor war er Botschafter der USA in Litauen (2000–2003), in Georgien (2005–2009) und in der Ukraine (2009–2013).

2014 © Zeit-Fragen. Alle Rechte reserviert.
Quelle: http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=1879

Jochen