NSU-Ausschussvorsitzender Clemens Binninger: „NSU bestand nicht nur aus drei Leuten“ – oder: „Wie viel Staat steckt im NSU?“

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Endlich wieder eine glaubwürdige Darstellung im Interview der FR:
http://www.fr-online.de/neonazi-terror/nsu-prozess–nsu-bestand-nicht-nur-aus-drei-leuten-,1477338,34710676.html
Passend dazu weiter unten ein Kommentar aus dem „Blättchen“.
Auszüge:

Binninger2Der NSU-Ausschussvorsitzende Clemens Binninger spricht über Ungereimtheiten und offene Fragen bei der Aufklärung der Morde, über unnütze V-Leute und Indizien, die auf Mittäter hindeuten.

Für Clemens Binninger, den Vorsitzenden des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages, sind viele Fragen um die Morde und Anschläge des rechtsterroristischen „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) noch unbeantwortet. Am Donnerstag setzt der CDU-Politiker Binninger mit seinen Kollegen die Aufklärungsarbeit in Berlin fort.

Herr Binninger, Bundeskanzlerin Angela Merkel hat 2012 versprochen, sie werde alles tun, um die NSU-Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken. Wie viele davon gab es nach Ihren Kenntnissen?
Wenn ich die Fakten und Indizien aus Akten und Vernehmungen betrachte, bin ich zutiefst davon überzeugt, dass der NSU nicht nur aus drei Leuten bestand und dass es neben den Helfern und Unterstützern, die angeklagt sind, weil sie Wohnungen, Handys, Waffen beschafft haben, auch Mittäter gab.
Ich weiß auch nicht, wie es war, aber ich teile die Auffassung des Generalbundesanwalts nicht, dass alle 27 Straftaten – zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge, 15 Banküberfälle – nur von den beiden Männern begangen wurden. Es gibt eine Reihe von Indizien, die darauf deuten, dass es Mittäter vor Ort gegeben hat, die geholfen oder ausgespäht haben.

Warum hat sich der Generalbundesanwalt dann so schnell festgelegt und diese Indizien ignoriert?
Die Erwartungshaltung war enorm nach dem Auffliegen dieser Zelle. Man wollte den Fall schnell geklärt haben, auch wegen des Unverständnisses, wie so etwas unentdeckt bleiben konnte über all die Jahre.
Meine Sorge ist, dass man sich sehr früh auf eine Hypothese festgelegt hat – nämlich dass das drei Leute waren. Wenn man sich davon nicht mehr abbringen lässt, ist man nicht mehr offen für andere Spuren.
Das war der Fehler, der schon gemacht worden war, bevor der NSU aufflog, als man bei dessen Mordserie von Organisierter Kriminalität ausging. Ich habe Sorge, dass sich das jetzt mit der Trio-These wiederholt.

Haben Sie die Hoffnung, dass wenn im NSU-Prozess das Urteil gesprochen ist, noch weitere Beteiligte angeklagt werden?
Das wird schwierig werden. Die Akten, die ich kenne, stimmen mich nicht zuversichtlich. Es sei denn, dass bei den Ermittlungen noch neue Erkenntnisse hinzukommen. Geständnisse halte ich für unwahrscheinlich.

Das heißt, wir müssen akzeptieren, dass Neonazis, die als Zeugen im Gericht sitzen, sich demonstrativ maulfaul geben und damit die Aufklärung verhindern können?
Es ist eine Prüfung für den Rechtsstaat. Auch Leute, die diesen Staat und seine Bürger bekämpft haben, müssen von Justitia fair und objektiv behandelt werden. Sie untermauern zwar so nochmals ihre menschenverachtende Gesinnung, sie müssen aber nicht an ihrer eigenen Überführung mitwirken. Wir müssen andere Wege finden: Gute polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Ermittlungen, vielleicht auch gute parlamentarische Ausschüsse, um zu mehr Aufklärung zu kommen.

Welche Fragen sind für Sie noch offen, zu deren Aufklärung Sie mit dem Untersuchungsausschuss beitragen könnten?
Wer in der Öffentlichkeit den Fall betrachtet, denkt vielleicht: NSU – alles klar. Man hat das Paulchen-Panther-Video gefunden, man hat die Tatwaffen gefunden. Wenn Sie sich im Detail damit befassen, stellen Sie fest, dass die Beweisführung gar nicht so einfach ist. Es gibt keine Fingerabdrücke eines der Toten oder Beschuldigten an einer Tatwaffe. Es gibt kein Geständnis.
Es gibt 27 Tatorte, und an keinem einzigen Tatort haben wir DNA oder Fingerabdrücke von einem der Beschuldigten gefunden.
Es gibt aber einen großen potenziellen Unterstützerkreis von rund 100 Personen. Ich habe mal nachgefragt: Von diesem NSU-Unterstützerkreis hat man nur von 19 Personen die DNA, um sie mit Tatortspuren abzugleichen.

Das ist wenig.
Das ist sehr wenig. Von 81 Personen wurden keine DNA-Proben genommen. Es ist klar: Nur Beschuldigte können gezwungen werden, eine DNA-Probe abzugeben.
Aber man muss die restlichen Personen doch wenigstens fragen, ob sie es freiwillig tun. Aus gutem Grund werden bei schweren Straftaten, wenn erforderlich, auf freiwilliger Basis Speichelproben entnommen.

Die Geheimdienste waren mit einer Vielzahl von V-Leuten sehr nah dran am NSU. Warum wurde so wenig daraus gemacht, warum wurde nicht intensiver gefahndet?
Es ist ein Mysterium bis heute, warum kein V-Mann seinem V-Mann-Führer etwas mitgeteilt haben will. In keiner Akte, außer in einigen Aussagen von „Corelli“ Mitte der 90er Jahre, findet sich irgendein Hinweis.
Ab 2001 sind die drei Untergetauchten wie weg vom Schirm.

Glauben Sie, da hat tatsächlich keiner etwas mitbekommen?
Nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass es keinen einzigen V-Mann geben soll, der nicht zumindest gewusst hat, wo das Trio sich aufhält.

Was haben Sie bei Ihrer Nachforschung über V-Leute gelernt?
Sie sind mit größter Vorsicht zu genießen. Im ersten Untersuchungsausschuss haben wir die so genannten Heise-Bänder gefunden, auf denen der Neonazi Thorsten Heise ein Gespräch mit dem enttarnten V-Mann Tino Brandt mitgeschnitten hat. Das ist ein Blick in den Abgrund des damaligen V-Mann-Wesens.
Brandt sagt, er sei überrascht gewesen, mit wie wenigen Informationen sich seine V-Mann-Führer zufrieden gegeben hätten und er sei meistens gewarnt worden vor Durchsuchungen.

Sind V-Leute also unnütz und gefährlich?
Der Verfassungsschutz muss besser mit diesem Instrument umgehen. Ein Beispiel: V-Mann-Führer, die zu lange eine Quelle führen, verlieren die Distanz.
Dennoch glaube ich, dass wir nicht ganz darauf verzichten können. In kleinen Kreisen, die sich lange kennen, wie es der Thüringer Heimatschutz war, kriegen Sie niemand Neues von außen angedockt. Aber wenn man merkt, eine Quelle bringt nichts, muss man sich auch von ihr trennen.

Im Geheimdienst selbst sieht man die Gefahr wohl andernorts: Verfassungsschutzpräsident Maaßen hat den Abgeordneten vorgeworfen, die Nachforschungen der Untersuchungsausschüsse hielten sein Amt von der Terrorabwehr ab. Herr Binninger, sind Sie schuld, wenn es in Deutschland einen Anschlag gibt?
Sicher nicht. Ich akzeptiere es, dass mir eine Behörde sagt: Wir haben sehr viel zu tun, die Anforderungen des Parlaments sind hoch, wir liefern die Akten, aber es kann dauern. Aber weil eine Abteilung Akten zusammenstellen muss, zu sagen, in einer anderen Abteilung klappt die Arbeit nicht mehr – das ist kein Argument. Das ist eine Organisationsfrage. Parlamentarische Kontrolle hat ihre Berechtigung. Ich glaube, er hat die Aussage dann auch nicht mehr wiederholt.

Mit der Kontrolle der Geheimdienste sind Sie auch als Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) im Bundestag betraut. Welche zusätzlichen Kompetenzen bräuchten Sie, um wirksam zu kontrollieren, dass die Geheimdienste auch so handeln, wie der Gesetzgeber das vorsieht?
Keine. Wir haben uns bei der letzten Reform Kompetenzen gegeben: Wir dürfen die Behörden aufsuchen, die Herausgabe von Akten verlangen, Mitarbeiter befragen, können einen Ermittlungsbeauftragten einsetzen, die Bundesregierung muss uns unterrichten.

Haben Sie davon auch Gebrauch gemacht?
In den vergangenen Legislaturperioden wurden diese Befugnisse so gut wie nie genutzt. Akten eingesehen, Fragen gestellt, das schon. Aber Kontrollbesuche? Nein.
Als ich Vorsitzender wurde, habe ich gesagt, wir müssen das machen. Deswegen haben wir uns sieben Kontrollaufträge gegeben, die eben mal nicht der Presseberichterstattung hinterherhecheln, sondern die von uns ausgehen.

Warum nutzen Sie diese Instrumente erst jetzt?
Damit sind wir beim Hauptproblem, weswegen ich auch Reformbedarf sehe: Die Instrumente haben wir. Was wir nicht haben, ist Personal und Zeit. Alle Kollegen, die im Gremium sitzen, haben noch andere Aufgaben.
Und es gibt auch keine Chance, das zu ändern, es geht einfach nicht. Deshalb brauchen wir im PKGr einen Arbeitsstab, der dauerhaft in unserem Auftrag diese Dinge abarbeitet. Wir sind dabei, das und einige andere Punkte mit einer Gesetzesreform auf den Weg zu bringen.

Noch einmal zurück zum Thema NSU: Welche Zweifel haben Sie beim Mordfall in Kassel 2006?
Ich habe mir den Tatort angeschaut. Diese Tat begeht man eigentlich nicht allein, man kann sie kaum begehen, ohne dass jemand sagt: Jetzt kannst du rein. Man sieht zu wenig von draußen.
Dann hat man in der letzten NSU-Wohnung eine Skizze gefunden, die diesen Tatort zeigt. Die Skizze muss jemand für die Täter gemacht haben. Das deutet für mich auf mehr als zwei Täter hin.

Wie sehen Sie die Rolle des damaligen Verfassungsschützers Andreas Temme, der am Tatort war, aber nichts gesehen haben will?
Das Oberlandesgericht München hat ja seine Aussage für glaubwürdig erklärt.

Was mich bei Temme nicht überzeugt, ist, dass er sagt, er habe das Opfer nicht gesehen, obwohl er so groß ist, nichts gerochen, obwohl er Sportschütze ist, nichts gehört und auch auf der Straße nichts gesehen.
Dass er sich nicht gemeldet hat mit der Behauptung, er habe den Tag verwechselt. Dass er behauptet hat, er sei mit dem Fall nie dienstlich betraut gewesen – obwohl es in der Woche davor diese Mail seiner Vorgesetzten gab, die sagt, man solle sich wegen der Mordserie umhören.

Viele offene Fragen.
Ja. Auch die Tatbegehung: durch eine Plastiktüte schießen und die anwesenden Kunden einfach ausblenden. Ein Täter, der das kann, muss eine hohe Professionalität im Umgang mit Waffen und Eiseskälte besitzen.
Das passt nicht zu den Bankräubern Mundlos und Böhnhardt, die fast bei jedem Banküberfall durchdrehen, die Angestellte schlagen, in die Decke schießen.

AUTOR:
Martín Steinhagen
Redaktion Frankfurt/Rhein-Main

Aus dem „Blättchen“ von Gabriele Muthesius:

Am 25. Juni dieses Jahres fand im Grünen Salon der Berliner Volksbühne eine Podiumsveranstaltung der LINKEN statt.[2] Unter der Moderation von Dieter Dehm ging es um den NSU-Komplex und speziell die Arbeit der beiden diesem gewidmeten Untersuchungsausschüsse des Thüringer Landtages. Dabei lieferten sich Katharina König, Abgeordnete der Linken im Thüringer Landtag und Mitglied beider Ausschüsse, und der Schriftsteller Wolfgang Schorlau sowie der Wissenschafts-journalist Ekkehard Sieker einen zum Teil sehr heftigen Schlagabtausch.
(dort auch eine ausführliche Quellenliste)

Am 4. November 2011, um 12:05 Uhr, entdeckten zwei Streifenpolizisten in Eisenach-Stregda ein Wohnmobil. Die offizielle Darstellung dessen, was anschließend passierte, lautet – kurzgefasst – so: Aus dem Camper wurde das Feuer auf die beiden Polizisten eröffnet (ein Schuss), die daraufhin in Deckung gingen. Sie hörten anschließend weitere Schussgeräusche aus dem Camper, in dem unmittelbar darauf ein Brand ausbrach. Nachdem die herbeigerufene Feuerwehr den verschlossenen Camper gelöscht und aufgebrochen hatte, entdeckte man zwei Leichen, von denen sich später herausstellte, dass es sich um die Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt handelte.
Nach dem Schuss auf die beiden Polizisten soll Mundlos erst Böhnhardt und dann sich selbst erschossen haben, nachdem er zwischenzeitlich noch das Wohnmobil in Brand gesteckt hatte.
Diese Lesart kehrt allerdings zahlreiche Widersprüche, Ungereimtheiten und offene Fragen unter den Tisch, deren Aufdeckung nicht zuletzt dem Team Schorlau / Sieker zu verdanken ist und die auch Gegenstand der bereits erwähnten Besprechung im Blättchen waren.
Am 28. April 2016 wurde im zweiten Thüringer NSU-Ausschuss erneut Michael Menzel einvernommen. (Er war am 31. März 2014 bereits vor den ersten Ausschuss – amtlich: „Untersuchungsausschuss 5/1‚ Rechtsterrorismus und Behördenhandeln‘“ – geladen worden.)
Menzel war als Leitender Polizeidirektor in Gotha am 4. November 2011 in Stregda vor Ort jener verantwortliche Ermittlungsleiter,

  • der im Einzelnen nicht mehr nachvollziehbare Veränderungen des Tatortes zumindest billigend in Kauf genommen hat, als er – vor irgendwelchen kriminaltechnischen Untersuchungen – das Abschleppen des Campers durch ein privates Unternehmen in eine Abstellhalle auf dessen Betriebsgelände in Eisenach anordnete. Dazu musste das Wohnmobil über eine etwa 30 bis 40 Grad schräge Rampe auf ein Abschleppfahrzeug gezogen werden. Zuvor hatte Menzel der angerückten sogenannten Tatortgruppe, der normalerweise die kriminaltechnische Tatortarbeit, Spurensuche und Sicherung des Tatortbefundes obliegt, keine Gelegenheit gegeben, sogenannte Spheron-Aufnahmen zu machen, die gegebenenfalls eine Tatortrekonstruktion nach der Abschleppaktion ermöglicht hätten.
  • unter dessen Verantwortung in Stregda die laut Thüringer Bestattungsgesetz zwingend vorgeschriebene ärztliche Leichenschau unterblieb, obwohl ein dazu befugter Notarzt und zwei ebenfalls befugte Gerichtsmediziner vor Ort waren.
  • der regel- und polizeipraxiswidrig den Camper samt Leichen abschleppen ließ.
  • der sich dem Verdacht aussetzte, bereits bei seinem Eintreffen am Tatort gegen 12:30 Uhr über detailliertes Vor-, um nicht zu sagen Täterwissen verfügt zu haben, denn er informierte bereits zwischen 16:30 und 17:00 Uhr[5] telefonisch einen Kollegen in Heilbronn, dass im Camper die Dienstwaffe der am 25. April 2007 in Heilbronn ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter gefunden worden sei. (Laut Einsatzverlaufsbericht der Kriminalpolizeistation Eisenach wurde diese Waffe aber überhaupt erst um 23:11 Uhr aufgefunden und identifiziert.)
  • der auch dafür verantwortlich war, dass das Wohnmobil verladen und abtransportiert wurde, obwohl der Sachverhalt, dass sich scharfe Waffen an Bord befanden, durch Bergung und Entladung einer Pistole Heckler & Koch, Modell P 2000 aus dem Camper, die um 14:45 Uhr erfolgten[7], bekannt war.
  • (Für den Abschleppunternehmer Matthias Tautz, der Verladung und Transport vornahm, barg dies ein hohes persönliches Risiko. Immerhin hatte es in dem Wohnmobil ja auch gebrannt. Laut Protokoll antwortete Tautz im zweiten Thüringer NSU-Ausschuss auf die Frage, ob er über die Existenz scharfer Waffen informiert worden sei: „ […] Wenn ich gewusst hätte, dass da Handgranaten[8] drin wären, hätte ich es nicht gefahren. Also das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen. […] Weil da ist nur eine Blechwand zwischen Wohnmobil und mir gewesen und das muss ich nicht haben.“)

*

„Wie viel Staat steckt im NSU?“ Zur Beantwortung dieser Frage haben die beiden Thüringer Untersuchungsausschüsse bisher allenfalls Bruchstückhaftes beigetragen, das kein einigermaßen klar konturiertes Bild ergibt. Im Falle der Katharina König kann sich die Autorin überdies des Eindrucks nicht erwehren, dass unter dem Motto „Verschwörungstheorien abwehren“ eine recht selektive Wahrnehmung und Interpretation von Fakten, Erklärungen, Zusammenhängen und Indizien stattfindet. Der Auftritt im Grünen Salon der Volksbühne in Berlin hat diesen Eindruck nicht gemindert.

*

5268281700001nBei Wolfgang Schorlau antwortet der frühere Chef des fiktiven Privatermittlers Dengler beim BKA auf die Frage „Welche Geschichte wird uns mit dem Ableben der beiden Neonazis erzählt?“: „Schwer zu sagen. Vermutlich wurde ein Schlussstrich gezogen. Plötzlich wird eine der größten Mordserien in der Geschichte der Bundesrepublik zu Ende ermittelt, die Morde an den türkischen Geschäftsleuten werden aufgeklärt, der mysteriöse Mord an der Polizistin Kiesewetter, der Nagelbombenanschlag in Köln, ein weiterer Anschlag, einige Banküberfälle und vielleicht noch ei­niges anderes. Ein Sammelsurium, könnte man sagen.
Es ist eine Schlussstrichgeschichte. Wir haben die Täter, ein Terror-Trio, die das allein zu verantworten haben. Zwei sind tot, der dritten Per­son wird der Prozess gemacht. Danach, nach dem Urteil in Mün­chen, können wir alle wieder zur Tagesordnung übergehen, und niemand soll mehr fragen, was die Dienste damit eigentlich zu tun haben.“[80]
(Die schützende Hand, S. 189) Und: „Schauen Sie mal nach Thüringen, Dengler. Dort wurde die Suppe angerührt.“[81]

Wo stände die Bundesrepublik, wenn Schorlau in die richtige Richtung wiese?

Entsprechende Befürchtungen kann man zumindest mit einer Herangehensweise, wie sie in den Thüringer NSU-Ausschüssen bisher an den Tag gelegt worden sind, nicht widerlegen und schon gar nicht aus der Welt schaffen.

Jochen

Thomas Moser | Wie finanzierte sich die Terrorgruppe des NSU?

Siehe auch meinen Kommentar zum Staatsterrorismus: Wollte die CIA mit dem VS und dem BND ein Sammelbecken rechter Gewalttäter, um daraus eine Todesschwadron zu formen ?

Wetzel_NSU_Cover_3.Aufl.indd

Eyes Wide Shut

Wie finanzierte sich die Terrorgruppe des NSU?
Die Raubüberfälle, vergessene Opfer und das Wissen des Verfassungsschutzes

18. Dezember 1998, gegen 18 Uhr, ein Edeka-Markt am Rand von Chemnitz: Die Hauptkassiererin hat eben die Tagesseinnahmen eingesammelt, als ein Mann schreit: „Dies ist ein Überfall!“ Zwei Maskierte stehen in dem Markt. Einer bedroht die Kassiererin mit einer Pistole. Sie gibt ihm das Geld, etwa 30 000 D-Mark. Die zwei flüchten. Dabei schießen sie um sich. Vor dem Oberlandesgericht in München schildert im Juni 2015 ein junger Mann, wie ihm eine Kugel knapp am Kopf vorbeigeflogen ist. Die Täter nehmen den Tod von Passanten in Kauf. Für die Bundesanwaltschaft waren es Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos.

Mit diesem schweren Raub soll die Terrorserie des Nationalsozialistischen Untergrundes, der neun Migranten und eine Polizeibeamtin zum Opfer fielen, begonnen haben. 14 weitere Banküberfälle folgten, bei denen Menschen zum Teil schwer verletzt wurden. Opfer, die kaum bekannt…

Ursprünglichen Post anzeigen 2.943 weitere Wörter

Der Terror der Geheimdienste in Deutschland: VS, BND. NSA, MAD

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Die Linke Ulla Jelpke, MdB, auf den NachDenkSeiten spricht das aus, was auch ich vermute:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=26060
Auszüge:

Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst, Militärischer Abschirmdienst – die Liste der deutschen Geheimdienste ist lang. Und in Skandale und illegale Machenschaften scheinen sie allesamt verstrickt. Unterminiert das nicht wirklich kontrollierte Agieren der Dienste womöglich unsere Demokratie?
Zu diesen Fragen sprach
Jens Wernicke mit der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke, die in der Linksfraktion zu Sicherheits- und Grundrechtsfragen tätig ist.

Stasi versus NSA: Vergleich der Aktenmengen

Stasi versus NSA

Frau Jelpke, Sie kritisieren seit Langem die Geheimdienste im Land. Warum? Die Dienste beschützen uns doch vor Terror und anderer Gefahr…

Und ans Sandmännchen glauben Sie wahrscheinlich auch…

Wie meinen Sie das?

Ich kann mich an keinen Fall erinnern, in dem nachgewiesen wurde, dass die Geheimdienste wirklich einen Terroranschlag verhindert haben.
Aber es gibt viele Fälle, in denen sich die Geheimdienste selbst als Rechtsbrecher erwiesen haben.

Die aktuellen Berichte, wonach der BND Erkenntnisse zu europäischen Bürgern und Konzernen an die NSA übermittelt hat, sind ja nur die Spitze des Eisbergs.
Hier wurde jeder rechtsstaatliche Grundsatz verletzt: Von Grundrechten über das informationelle Selbstbestimmungsrecht bis hin zu den Interessen der Konzerne.

Nicht, dass mir das Interesse von Rüstungsschmieden an der Geheimhaltung ihrer Geschäfte besonders am Herzen liegen würde – ich hätte gar nichts dagegen, wenn deren dunkle Geschäfte ans Tageslicht kämen. Aber darum ging es ja nicht, sondern nur um Wirtschaftsspionage zugunsten der USA.
Dass sich der BND dazu bereitgefunden hat, und das angeblich keiner gemerkt haben will, ist für mich ein klares Zeichen dafür, dass er sich keinen Deut um seine rechtlichen Kompetenzen schert, sondern vielmehr wie ein Staat im Staate agiert.

„Staat im Staate“ meint dabei was genau?

Dass es praktisch keine Möglichkeiten gibt, zu kontrollieren, was der BND, und die anderen Geheimdienste, eigentlich treiben. Es gibt zwar interne und externe Kontrollinstanzen, insbesondere das Parlamentarische Kontrollgremium im Bundestag und jetzt auch einen Untersuchungsausschuss. Aber die sind zu einer wirklichen Kontrolle überhaupt nicht in der Lage.
Dem Untersuchungsausschuss etwa werden Akten vorenthalten oder geschwärzt vorgelegt, häufig auch erst in letzter Minute zugestellt. Die wirklich brisanten Meldungen über Skandale sind ja bislang immer von investigativen Journalisten in Zusammenarbeit mit Whistleblowern in die Öffentlichkeit gelangt.
Das hat mit einem rechtsstaatlich abgesicherten und effektiven Kontrollverfahren natürlich nichts zu tun.

Wenn ich aber einen Geheimdienst mit einem Budget von einigen Hundert Millionen Euro habe, der genau weiß, dass er von außen, sprich: von der zivilen Öffentlichkeit und dem Parlament, völlig abgeschottet ist, muss ich mich auch nicht wundern, dass er von diesem Freibrief auch Gebrauch macht und tut und lässt, was er für richtig hält.

Ich will damit nicht sagen, dass andere staatliche Institutionen alle supergut kontrolliert oder transparent wären. Aber es gibt schon Unterschiede. Ich erlebe das ja auch in meiner parlamentarischen Arbeit immer wieder: Da kann ich von der Bundesregierung im Rahmen so genannter „Kleiner Anfragen“ Auskunft über Details des Regierungshandelns bzw. von Erkenntnissen der Regierung verlangen, etwa was die Bundespolizei im Ausland so treibt. Die bekomme ich auch, wenn auch manchmal mit Widerstreben und nicht so ausführlich wie ich das für nötig halte. Aber wenn es um Geheimdienste geht, werden sofort die Jalousien runtergelassen: Absolute Geheimhaltung, nicht einmal im Geheimschutzbunker darf ich mir Unterlagen ansehen, weil angeblich Gefahr für den Fortbestand der westlichen Zivilisation bestünde.

„Wie uns angeblich noch keiner – um mit Bismarck zu reden – den preußischen Leutnant nachgemacht hat, so hat uns in der Tat noch keiner den preußisch-deutschen Militarismus ganz nachzumachen vermocht, der da nicht nur Staat im Staate, sondern geradezu ein Staat über dem Staat geworden ist (…).“

Karl Liebknecht

Und diese Probleme haben derlei Institutionen grundsätzlich? Also auch der VS, der MAD und wie sie alle heißen; auf alle trifft dasselbe zu?

Klar, die können ja genauso wenig kontrolliert werden. Der MAD ist ja ein vergleichsweise kleiner Dienst, der wenig Schaden anrichtet. In den Auslandseinsätzen ist sowieso schon der BND für die geheimdienstliche Aufklärung zuständig, der MAD agiert nur innerhalb der Bundeswehrcamps. Da wird ja auch von Seiten der herrschenden Regierungsparteien immer wieder eine Einsparung vorgeschlagen.
Allerdings fordert auch der MAD jetzt mehr Vollmachten zur Überprüfung von Bundeswehrrekruten – angeblich, um bereits im Vorfeld Salafisten erkennen zu können, die nur zur Bundeswehr gehen, um dort eine Kampfausbildung zu erhalten.

Und was den Verfassungsschutz angeht: Wir wissen ja mittlerweile, dass der einen aktiven Part dabei hatte, den Naziterroristen, die später beim NSU mordeten, den Rücken frei zu halten. Die haben denen Geld und falsche Ausweise verschafft und sie vor polizeilichen Ermittlungen bewahrt.

Verstehe ich recht: Sie sprechen nicht – wie andere – von „Ermittlungspannen“, sondern sagen: Der Verfassungsschutz hat diesen faschistischen Terror mutwillig ermöglicht und hiernach dann gedeckt?

Ich weiß, dass das ein harter Vorwurf ist. Und beweisen lässt sich so etwas natürlich derzeit noch nicht. Ich kann nur von den bislang bekannten Tatsachen und Indizien ausgehen.
So war nahezu jedes zehnte Mitglied der Neonazikameradschaft Thüringer Heimatschutz, dem die späteren NSU-Terroristen in den 90er Jahren angehörten, V-Mann eines Geheimdienstes. Und auch der Chef des Heimatschutzes, Tino Brandt, arbeitete für den Thüringer Verfassungsschutz und bezog dafür einen Agentenlohn von 200.000 Mark. Quasi vor den Augen des Verfassungsschutzes bzw. seiner V-Leute konnte das NSU-Trio dann abtauchen, als wegen Bombenfunden gegen die drei ermittelt wurde.
Der Verfassungsschutz versuchte, ihnen Geld für falsche Papiere zukommen zu lassen – und auch die Ausweise, die sie dann verwendeten, sollen aus Geheimdienstbeständen stammen. Über seine V-Leute war der Verfassungsschutz zumindest am Anfang eigentlich ständig über den Aufenthalt des Trios informiert.
Und dann haben wir den hessischen Verfassungsschützer Andreas Temme mit dem bezeichnenden Spitznamen „Klein Adolf“, der nicht nur angeblich zufällig während eines NSU-Mordes am Betreiber eines Kasseler Internetcafés anwesend war, von diesem aber nichts bemerkt haben will, sondern ebenfalls in unmittelbar zeitlicher Nähe zu weiteren NSU-Morden Telefonkontakte zu seinem V-Mann aus der militanten Naziszene unterhielt.
Wie aus einem Abhörprotokoll der Polizei hervorging, ermahnte der Geheimschutzbeauftragte des Verfassungsschutzes in Hessen Temme vor der Polizeivernehmung mit den Worten „Ich sage ja jedem: Wenn er weiß, dass irgendwo so etwas passiert, dann nicht vorbeifahren.“
Dass die Geheimdienste hier etwas zu verbergen haben, wird auch durch die umfangreiche Aktenschredderei nach Auffliegen der NSU-Zelle deutlich. Und inzwischen sind mehrere, zum Teil sehr junge Zeugen einschließlich V-Leuten plötzlich verstorben.

Über mögliche Motive bei den Verfassungsschützern können wir auch nur Mutmaßungen anstellen. Im harmloseren Fall wollten Geheimdienstler vielleicht ihre Quellen – also ihre V-Leute – nicht gefährden und haben darum nicht eingegriffen. Sie hofften, vielleicht, nach weiterem Abwarten ein großes Nazinetzwerk aufrollen zu können.
Sollte das der Plan gewesen sein, dann ist das natürlich gründlich danebengegangen. 10 Tote durch den NSU sind einfach ein zu hoher Preis dafür.

Ich möchte allerdings nicht ausschließen, dass hier eine Fraktion im Geheimdienst selbst aus dem Ruder gelaufen ist. Also eine faschistische Fraktion oder einzelne Verfassungsschutzmitarbeiter, die hier Killer aus der Nazi-Szene als Männer fürs Grobe rekrutieren wollten und daher den NSU an der langen Leine laufen ließen.
Es wäre ja nicht das erste Mal, dass sich der Staat auch solcher Mittel bediente. Ich erinnere da etwa an die NATO-Geheimarmee Gladio, die in allen NATO-Staaten – auch in der Bundesrepublik – existierte, zum Teil auch mit Beteiligung von Faschisten. Ursprünglich für den Fall einer sowjetischen Invasion zum Kampf hinter den feindlichen Linien gedacht, sollten Gladio-Kräfte später auch gegen vermeintliche innere Feinde – Kommunisten aber auch Sozialdemokraten – vorgehen, um eine politische Linksentwicklung zu verhindern. Zu diesem Vorgehen gehörten auch Terroranschläge und False-Flag-Operationen, wie wir sie insbesondere aus Italien kennen, wo Gladio ja auch hinter dem Anschlag auf den Bahnhof von Bologna im Jahr 1980 steckte.
Im gleichen Jahr kam es dann zu einem Anschlag eines Neonazis auf das Münchner Oktoberfest, für den es ebenfalls Hinweise auf eine Gladio-Verbindung gibt.

Das wäre dann ja wörtlich das, was in Teilen der Linken üblicherweise unter dem Begriff „Staat im Staate“ adressiert wird: Geheimdienste, die vorgeben, die Bürger zu schützen, im Zweifelsfall aber vielmehr – zur Wahrung der Interessen einer kleinen, mächtigen Minderheit im Staate – selbst extralegal Verbrechen decken, zu solchen anstiften, töten oder gar Terror inszenieren.
In der interessierten Öffentlichkeit leidlich bekannt sind da etwa die Geschehnisse um das „Celler Loch“, die Forschungen von Daniele Ganser zu besagten NATO-Armeen Geheimarmeen sowie der kürzliche Zusammenbruch des Lügengebäudes um den Flugzeugabsturz von Ustica 1980.
Lassen Sie mich daher fragen: Wem dienen die Dienste Ihrer Einschätzung nach denn …hier? Wenn ich mich recht erinnere, war es etwa der Verfassungsschutz, der einst bei BILD ein- und ausging und Hand in Hand mit Springer daran arbeitete, Günter Wallraff politisch mundtot zu machen… Aber es ist ein paar Jahre her, dass ich das las – und vielleicht irre ich mich auch.

Ich würde weniger fragen, wem, sondern vielmehr, wozu die Geheimdienste dienen. Denn ihre Aufgabe ist letztlich wie bei allen Sicherheitsbehörden des bürgerlichen Staates die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Ordnung und der Schutz der Privilegien der Besitzenden. Das verbirgt sich hinter dem vielbemühten Schutz der Freiheitlich-Demokratischen Grundordnung, die in Wirklichkeit eine einseitige antisozialistische Auslegung des Grundgesetzes darstellt.

Klar war von Anfang an, dass für den Verfassungsschutz der Feind links steht. Er wurde ja zur Hochzeit des Kalten Krieges gegründet.
Seilschaften von Altnazis aus Gestapo, SD und SS gewannen zuerst als freie Mitarbeiter und später verbeamtet erheblichen Einfluss. Sie wurden aufgrund ihrer im Faschismus gewonnenen Erfahrung bei der Bekämpfung des Kommunismus gebraucht.
Und beim BND sieht es nicht viel anders aus, nur dass dieser Dienst weniger für den Kampf gegen linke, kapitalismuskritische Entwicklungen im Inland zuständig ist.
Er kümmert sich vielmehr um die Durchsetzung deutscher Macht-Interessen in aller Welt. Das heißt, darum, dass „unser“ Zugang zu Rohstoffen und Märkten, also die Ausplünderung anderer Länder, nicht von dortigen Befreiungsbewegungen, antiimperialistischem Widerstand oder antikolonialen Maßnahmen linker Regierungen gestört wird.

Zur Bekämpfung linker Bewegungen im Inland gehört aber nicht nur ihre geheime Bespitzelung durch die Geheimdienste. Das sieht man etwa an der Partei DIE LINKE.
Die wurde bis vor kurzem ganz offen beobachtet, angeblich nur unter Auswertung öffentlich zugänglicher Quellen. Heute werden „nur noch“ die vermeintlich extremistischen Zirkel beobachtet, zu denen etwa die AG Cuba Si gehört.
Nur ist klar: Staatsgefährdende Umtriebe gehen von der LINKEN nicht aus. Warum also die Beobachtung? Ich glaube, hier steht vor allem der Aspekt von Einschüchterung und Diffamierung im Vordergrund.
Die Bundesregierung setzt darauf, alles, was auch nur im Verdacht steht, antikapitalistisch zu sein, zum Paria zu machen, zu Schmuddelkindern, mit denen wahre Demokraten nicht spielen dürfen. So könnten sich einfache Bürger etwa gehemmt sehen, Wahlkreisbüros von LINKEN aufzusuchen, weil sie Sorge haben, dann selbst in den Fokus des Geheimdienstes zu geraten.
Das gleiche Konzept verfolgt die ewige Vorfeld-Kriminalisierung beispielsweise von Gipfelprotesten, die als „extremistisch“ verteufelt werden, um sie möglichst klein zu halten.

Der Erfolg dieser Taktik ist allerdings fraglich – ich habe die Hoffnung, dass immer mehr Menschen erkennen, dass der Kapitalismus keineswegs unter Verfassungsschutz steht und Opposition zu diesem Ausbeutungssystem nicht nur berechtigt, sondern auch notwendig ist.

„Also haben wir es sowohl mit einem Geheimdienst- als auch mit einem Regierungsskandal zu tun. Skandal? Das klingt so wie Ausnahme, Einzelfall oder Ausreißer. Doch davon müssen wir uns verabschieden – denn die zahlreichen „Skandale“, von denen wir seit Snowdens Enthüllungen, seit Aufdeckung der NSU-Mordserie und der Verwicklungen des „Verfassungsschutzes“ in Neonaziszenen erfahren mussten, führen uns deutlich vor Augen: Diese Skandale haben System, und dieses System ist ein Geheimsystem, das mit den technologischen Möglichkeiten des digitalen Zeitalters Gesellschaften und Demokratien auf immer aggressivere Weise durchsetzt. Der „tiefe Staat“ lässt grüßen. Dafür verantwortlich sind Bundesregierungen und Parlamentsmehrheiten, die dieses System aufrechterhalten und es wuchern lassen – trotz aller Gefährdungen des demokratischen Rechtsstaats und seiner Bürger, trotz millionenfacher Verletzung ihrer Freiheitsrechte und Privatsphäre.“

Rolf Gössner in: „BND und NSA Eine grauenhafte Allianz

Und welche Funktion spielt die „Extremismustheorie“ bei alledem?

Nun, die Bundesregierung, vor allem die Unionsfraktion, ist ja eine große Verfechterin des „Extremismusansatzes“, sprich der Gleichsetzung von Rechts- und Links-Extremisten. Nur konsequent also, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz im Oktober 2011 ein Aussteigerprogramm Links ins Leben gerufen hat. Eines für Nazis gibt es ja schon, also musste auch eines für Linke her.

Die Hilfsangebote umfassen prinzipiell auch Hilfe bei der Wohnungssuche und beim Umzug – falls eben jemand aus einer linken WG raus will. Im Wesentlichen, so meint die Bundesregierung, besteht die Funktion des Geheimdienstes dabei darin, „als Gesprächspartner“ zu dienen; für Leute, die „kaum über soziale Kontakte außerhalb der Szene“ verfügen. Wer Angst hat, keine Freunde mehr zu haben, wenn er die 1.-Mai-Demo meidet und nicht mehr zum Antifa-Plenum geht, soll also seinen Kontaktmann beim Verfassungsschutz anrufen – eine ziemlich absurde Vorstellung.

Ich habe mich in zwei parlamentarischen Anfragen nach diesem Programm erkundigt und konnte feststellen: Der Arbeitsaufwand für den Verfassungsschutz hält sich in engen Grenzen. Im ersten Jahr gab es immerhin noch 33 Kontaktaufnahmen. Die meisten Anrufer waren allerdings Scherzbolde oder Journalisten.
In drei Fällen folgten persönliche Gespräche, und am Ende hat, nach Regierungsangaben, ein – ich wiederhole: ein – junger Mann in Bayern mit Hilfe des Verfassungsschutzes die autonome Szene verlassen. Inwiefern die geheimdienstliche Unterstützung dabei ausschlaggebend war, kann ich nicht genau sagen.
Der Erfolg des ersten Jahres konnte jedenfalls nicht wiederholt werden: Im Jahr 2013 gab es nur noch fünf Kontaktaufnahmen und keinen einzigen Aussteiger mehr.
Das Programm verläuft damit ganz zu meiner Zufriedenheit: Im Sande.

All das ist dann wohl auch der Grund, warum einige Linke meinen, „Geheimdienste“ seien mit einem demokratischen Rechtsstaat per se nicht zu vereinbaren und sollten daher aufgelöst werden, was andere wiederum für utopisch oder gar verrückt halten, da diese der Auffassung sind, die Dienste beschützen sie doch.
Wie sehen Sie das? Was wäre Ihre Option?

Man muss zunächst einmal klarmachen, dass die Geheimdienste keinen Schutz gewähren, sondern eine alltägliche Bedrohung sind.
Sie geben vor, die Freiheit zu verteidigen, aber was sie tatsächlich tun, ist, Grundsätze der Freiheit, des Rechts, der Privatsphäre usw. immer wieder zu verletzen.
Und das sind keine Ausrutscher, sondern das ist System, wobei ich behaupten würde, dass das im Wesen von Geheimdiensten generell liegt.
Auch die Staatssicherheit der DDR unterlag keiner gesellschaftlichen Kontrolle und keiner Transparenz und hatte deswegen ihre bekannten Auswüchse. Genutzt hat sie am Ende sowieso nichts.

Meine Position ist und bleibt daher, dass es in einer Demokratie keine Bereiche geben darf, in denen staatliche Organe klandestin und ohne effektive Kontrolle agieren, denn das bedeutet zwangsläufig, dass sie auch jenseits von Recht und Gesetz agieren.

Wie aber sollte es ohne sie gehen?

So, wie es in einem Rechtsstaat auch vorgesehen ist: Für die Kriminalitätsbekämpfung ist die Polizei zuständig. Wenn ihr Anhaltspunkte bekannt sind, dass jemand einen Anschlag plant, kann sie beim zuständigen Gericht eine Telekommunikationsüberwachung beantragen usw. usf. Wer sagt denn, dass das nicht ausreichend ist?

Ich warne jedenfalls davor, einen Mittelweg in Form eines „gezähmten“ Geheimdienstes für realistisch zu halten. Denn den gibt es nicht.
Gleichzeitig geht keiner der parlamentarischen Reformvorschläge, die ich kenne, wirklich soweit, die Geheimdienste auch nur jenem Maß an Kontrolle zu unterwerfen, das für die Polizei verbindlich ist. Die Vorschläge erschöpfen sich vielmehr darin, Regelungen zu ersinnen, welche die Herausnahme der Geheimdienste aus dem rechtsstaatlichen Transparenzgebot nur anders organisieren und begründen.
Da sollen dann beispielsweise das Parlamentarische Kontrollgremium durch neue Mitarbeiterposten verstärkt und Oppositionsrechte gestärkt werden.

Die SPD hat in einem Papier sogar mal behauptet, ein Umzug des Verfassungsschutzes von Köln nach Berlin wäre schon ein Gewinn für die Demokratie, weil an der Spree ein demokratischerer Geist wehe. Das ist natürlich Quatsch.
Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist vielmehr jene: Wollen wir, dass eine Behörde mit einem Millionenbudget im Verborgenen agiert, ihr damit also auch weitere Straftaten möglich sind, oder wollen wir die Demokratie tatsächlich schützen – was, wie ich meine, mit Anti-Demokratie nicht möglich ist?

Sie würden die Dienste also auflösen?

Ja, unbedingt. Denn, wie gesagt: Der Schutz der Verfassung, wenn er denn ernst genommen wird, ist ja eine absolut notwendige Sache.
Und mit dieser Position bin ich auch nicht allein: Die Linksfraktion hat Mitte April einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der darauf hinausläuft, den sich „Verfassungsschutz“ nennenden Inlandsgeheimdienst abzuschaffen.

Wir wollen das Bundesamt für Verfassungsschutz abwickeln und stattdessen eine „Koordinierungsstelle zur Dokumentation neonazistischer, rassistischer und antisemitischer Einstellungen und Bestrebungen sowie sonstiger Erscheinungsformen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ schaffen. Die soll, wie es auch im Grundgesetz vorgesehen ist, Unterlagen über einschlägige verfassungsfeindliche Bestrebungen sammeln und für ihre koordinierte Weiterleitung sorgen, etwa an die Polizeien der Länder. Sie ist aber ausdrücklich nicht zur eigenständigen Erhebung von Informationen befugt, und zwar weder aus geheimen Beobachtungen noch aus öffentlich zugänglichen Quellen. Damit unterscheidet sie sich fundamental vom geheimdienstlichen Verfassungsschutz.

Dem Schutz der Verfassung wäre damit gedient, ohne die Nachteile eines unkontrollierten Staates im Staate in Kauf zu nehmen.

Dann … eine letzte Frage noch: Seit Stuttgart21 und verstärkt noch nach den Ausschreitungen bei Blockupy wird immer wieder über sogenannte „Polizei-Provokateure“ gesprochen, denen man zuschreibt, sie würden Gewalt unter den Demonstranten gezielt eskalieren, um die – in aller Regel kritischen – Versammlungen hierdurch ihrer obrigkeitsstaatlichen Auflösung zuführen zu können. Ist das wahr oder Verschwörungstheorie – was ist Ihr Wissensstand hierzu?

Agents Provocateures oder Lockspitzel sind keine Verschwörungstheorie sondern ein altes Mittel staatlicher Behörden, um Proteste zu diskreditieren.

Ein bekannter Fall war in den späten 60er Jahren der Verfassungsschutzagent Peter Urbach, der die linksradikale Szene ungefragt mit Schusswaffen, Molotowcocktails, Spreng- und Brandbomben belieferte und damit zur Militarisierung dieser Szene bis zur Herausbildung von Stadtguerillagruppen beitrug. Auch spätere RAF-Mitglieder erhielten Waffen von dem Verfassungsschutzmann.

Und in Berlin haben wir vor einigen Jahren beim 1. Mai erlebt, wie schwarz-vermummte scheinbare Autonome aus Polizeiwagen stiegen und sich unter die Demonstranten mischten, von wo kurz darauf Steine und Flaschen geworfen wurden.

Im jetzt von der Regierung vorgelegten Gesetz zur Neuregelung der Kompetenzen von V-Leuten des Verfassungsschutzes werden übrigens beispielsweise militante Aktionen auf oder nach Demonstrationen ausdrücklich als zulässig betrachtet, wenn ein V-Mann so seine Glaubwürdigkeit in der jeweiligen Szene sichern muss. Der Übergang zum Agent Provocateur ist da fließend.

Ich bedanke mich für das Gespräch.


Weiterlesen:

Mein Nachtrag: Bei der großen Demo gegen Stuttgart 21 wurde tatsächlich ein schwarz vermummter Polizeiagent enttarnt. Der damalige Ministerpräsident Mappus hatte sich vom hessischen Kollegen Koch dessen Polizeiexperten "ausgeliehen".
Und es gab bei den letzten Blockupy-Demos gegen die EZB-Eröffnung in Frankfurt Neonazi-Gruppen, die versuchten, unter den Autonomen unterzutauchen. Wurden die vielleicht auch von einem Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes geführt ?

 Jochen