Flassbeck zu Wahlen in Spanien: Die Demokratie ist einfach nicht austeritätstauglich – und Erich Kästners nicht austeritätstaugliches Weihnachtsgedicht

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Auch in Italien fängt die Regierung an zu merken, wie ihr seitens Merkel und Schäuble der rote Teppich unter den Füßen weggezogen wird. Wäre Renzi mal dem Tsipras an die Seite getreten…

aber vielleicht wird auch anderswo den korrupten Regierungen das Handwerk gelegt.

Nur: der Internationalismus der 99% Globalisierungverlierer wird noch klein geschrieben, selbst in den europäischen Linksparteien.

Ein berühmter US-Präsident sagte dazu: man kann eine große Menge Menschen für kurze Zeit belügen und eine kleine Gruppe auf Dauer, aber man kann nicht die große Mehrheit der Menschen auf Dauer belügen.
http://www.flassbeck-economics.de/die-wahlen-in-spanien-die-demokratie-ist-einfach-nicht-austeritaetstauglich/

Flasbeck2013 Auszüge:

Da haben alle Jubelmeldungen über die „starke spanische Wirtschaft“ und sogar der Besuch der deutschen Kanzlerin in Madrid vor einigen Monaten nichts geholfen: Die spanischen Konservativen sind abgewählt, obwohl sie, wie die deutsche Politik und die deutsche Presse nicht müde wurden zu betonen, die Wirtschaft „aus der Krise geführt haben“.

Die Menschen in Spanien haben jedoch besser verstanden, was passiert ist. Wie ich im Frühjahr 2014 schon beschrieben habe (hier), gab und gibt es in Spanien eine starke Bewegung in der Bevölkerung, die wusste, dass das, was über Spanien hereingebrochen ist, kein Tsunami war, sondern eine menschengemachte Katastrophe, für die die bis zuletzt herrschende konservative Partei (PP) die Hauptverantwortung trug, weil sie eilfertig exekutierte oder sogar vorwegnahm, was die Eurogruppe an Austerität empfahl.

Es müsste nun auch langsam dem letzten Verfechter der „schmerzhaften Reformen“ dämmern: Austerität ist einfach nicht demokratietauglich (umgekehrt ist es noch treffender: Demokratie ist nicht austeritätstauglich).
Was Wolfgang Schäuble schon lange befürchtete (wir haben das hier am Beispiel Frankreich belegt), bestätigt sich jetzt eindrucksvoll. Man kann den Menschen nicht beliebig lange erklären, es werde aufwärts gehen, wenn es in Wirklichkeit gar nicht aufwärts geht. Der Bürger erdreistet sich dann, Regierungen, die von der Aufschwungspropaganda leben, abzuwählen.
In Spanien hat er wie dereinst in Griechenland vor allem auf der linken Seite des politischen Spektrums Parteien gefunden, die sein Anliegen verstehen. Doch links oder rechts folgt hier eher einem Zufallsprinzip als politischer Strategie.*) In Portugal, Spanien und Griechenland war es links, in Frankreich und Italien wird es rechts sein.

Wie es nun ausgeht in Spanien, ist in meinen Augen relativ leicht vorherzusehen. Podemos ist zu schwach geblieben (obwohl 20 Prozent aus dem Stand ein phantastisches Ergebnis sind), um eine Alternative für eine Koalition zu schaffen, die wirklich etwas ändern will. Folglich werden es wieder einmal die Sozialdemokraten sein, die „in den sauren Apfel“ beißen und eine große Koalition mit den Konservativen eingehen. Die spanische Sozialdemokratie war schon zu Zeiten von Felipe González in wirtschaftspolitischen Fragen sehr konservativ und wird „einsehen“, dass in diesen schwierigen Zeiten nur nationale Einheit helfen kann.
Und sie wird es wohl tun, selbst wenn es um den Preis ist, einer konservativen Partei, die sich seit langem durch ein Höchstmaß an Korruptheit auszeichnet, dazu zu verhelfen, ihre vielfältigen Machenschaften weiter zu verbergen.

Das aber verschafft Podemos die Möglichkeit, genau wie vor einem Jahr SYRIZA in Griechenland, sich als wirkliche Alternative zu profilieren und folglich noch einmal deutlich hinzuzugewinnen. Zerbricht dann die große Koalition, weil es ihr nicht gelingt, die Wirtschaft zu beleben, wäre ein erneutes „griechisches Wunder“ möglich.
Ob das dann auf ähnlich unrühmliche Weise von der Eurogruppe beendet werden könnte wie in Griechenland, ist doch sehr zweifelhaft. Immer mehr Politiker in den traditionellen Parteien beginnen zu verstehen, dass langanhaltende Austerität die Wähler in Scharen von ihnen weg und zu Parteien treibt, die aus dem „normalen“ Spektrum weit herausragen. Aus reinem Selbsterhaltungstrieb müssen sie das verhindern. Folglich werden sich immer weniger traditionelle Parteien davon überzeugen lassen, dass der deutsche Weg der „Reformen“ ohne Alternative ist.

* Ich halte das NICHT für ein Zufallsprinzip. Da, wo die Wende nach rechts geht, ist eher die übriggebliebene GLADIO-Struktur noch am Werke, siehe https://josopon.wordpress.com/2015/11/18/italien-in-den-90ern-operation-gladio-faschisten-und-christdemokraten-mafia-und-cia-arbeiteten-hand-in-hand/ und https://josopon.wordpress.com/2015/05/11/der-terror-der-geheimdienste-in-deutschland-vs-bnd-nsa-mad/.
Und: wenn hier in der Bürgerpresse ein Anstieg der Umsätze um 1 – 2% als Zeichen für Aufschwung, bei den Gewerkschaften 1,5% Lohnerhöhung brutto pro Jahr als großer Erfolg gefeiert wird, werden sich hier vielleicht auch mehr Leute fragen, wer ihre Interessen vielleicht besser vertritt.
Nur das systematische Schüren von Sozialneid „Merkel, Du Volksverräterin, der Neger kriegt was, was mir wegsanktioniert wird!“ – kann die Leute vielleicht noch einige Jahre verblenden.

Über die Feiertage werde ich an der Vortragsveranstaltung mit Albrecht Müller über Meinungsmache und Manipulation am Freitag,19.2.2016 und meinem für 20.Februar geplanten Workshop, beides in Nördlingen, arbeiten.
Termine bitte vormerken.
Und hier das versprochene Weihnachtsgedicht:

Weihnachtslied, chemisch gereinigt (1927/28)

(Nach der Melodie: „Morgen, Kinder, wird’s was geben!“)
Morgen, Kinder, wird’s nichts geben!
 Nur wer hat, kriegt noch geschenkt.
Mutter schenkte Euch das Leben. 
Das genügt, wenn man’s bedenkt.
Einmal kommt auch eure Zeit.
Morgen ist’s noch nicht soweit.

Doch ihr dürft nicht traurig werden.
 Reiche haben Armut gern.
Gänsebraten macht Beschwerden.
 Puppen sind nicht mehr modern.
Morgen kommt der Weihnachtsmann.
Allerdings nur nebenan.

Lauft ein bißchen durch die Straßen!
 Dort gibt’s Weihnachtsfest genug.
Christentum, vom Turm geblasen,
 macht die kleinsten Kinder klug.
Kopf gut schütteln vor Gebrauch!
Ohne Christbaum geht es auch.

Tannengrün mit Osrambirnen – 
Lernt drauf pfeifen! Werdet stolz!
Reißt die Bretter von den Stirnen, 
denn im Ofen fehlt’s an Holz!
Stille Nacht und heil’ge Nacht –
Weint, wenn’s geht, nicht! Sondern lacht!

Morgen, Kinder, wird’s nichts geben!
 Wer nichts kriegt, der kriegt Geduld!
Morgen, Kinder, lernt fürs Leben!
 Gott ist nicht allein dran schuld.
Gottes Güte reicht so weit …
Ach, du liebe Weihnachtszeit!

Jochen

Klassenkampf der »Troika« in Griechenland: gegen Senkung der Rüstungsausgaben und gegen Einführung einer Reichensteuer

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Erst mal ein Glückwunsch an Syriza und Tsipras. Mögen sie aus dem Fitzelchen an demokratischer Einflussnahme, den ihnen die Troika noch lässt, etwas zum Wohle des ganzen Volkes anfangen!
Oft werde ich angesprochen, warum Tsipras im ersten Durchgang einige wichtige Wahlversprechen nicht durchsetzen konnte. Hier rechnet ein Fachmann vor, wei der deutsche Staat am Elend Griechenlands mehr als 600 Millionen € verdient hat:
http://www.jungewelt.de/2015/09-18/001.php
Auszüge:

EU, EZB und IWF waren bei den Verhandlungen mit der griechischen Regierung gegen Senkung der Rüstungsausgaben und gegen Einführung einer Reichensteuer

Giorgos Chondros
Giorgos Chondros ist Gründungs- und Vorstandsmitglied der griechischen Partei Syriza. Diese ist heute nicht mehr das, was sie noch Anfang 2015 war: eine radikal linke Partei. Deren Vorsitzender Alexis Tsipras übernahm am 25. Januar in dem gebeutelten Land das Amt des Premiers, das er nach misslungenen Verhandlungen mit EU, EZB und IWF über neue Kredite zur Rückzahlung bestehender Verbindlichkeiten an ausländische Privatbanken am 20. August wieder abgab. Die Partei spaltete sich – ihr linker Flügel hat sich als »Laiki Enotita«, als Volkseinheit, neu formiert –, die übrigen Mitglieder wollen die mit der »Troika« ausgemachten harten sozialen Einschnitte auch in einer kommenden Regierung mittragen.
Die Verhandlungen wurden von der Gläubigerseite hart und bedingungslos geführt. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Schäuble, und damit die EU, hatte neben dem Einkassieren der fälligen griechischen Tilgungsraten noch die Demütigung der linken Regierung im Sinn.
Wie diese Verhandlungen verlaufen sind, beschreibt Chondros unter anderem in dem hier vorab veröffentlichten Kapitel seines Buches »Die Wahrheit über Griechenland, die Euro-Krise und die Zukunft Europas«. Der Band erscheint in diesen Tagen im Westend Verlag Frankfurt am Main. Er ist vor Tsipras’ Rücktritt geschrieben worden.

jW druckt den Abschnitt zu den Themen Rüstungsausgaben, Reichensteuer und über den Schuldenprofiteur BRD um die Anmerkungen und eine Tabelle gekürzt ab. (jW)

Eine der wesentlichen Fragestellungen der entstellenden Propaganda und verdrehenden Meinungsmache gegen Syriza lautet so: »Warum senkt ihr die Rüstungsausgaben eigentlich nicht?«
Dass diese Frage einer linken Regierung und einer linken Partei gestellt wird, erinnert an die rhetorische Figur des Oxymorons, bei der eine Formulierung aus zwei sich gegenseitig ausschließenden Begriffen gebildet wird – Beispiele: Hassliebe, eile mit Weile, es lebe der Tod. Die Linke in ihrer Gesamtheit ist ihrem Wesen nach eine pazifistische Kraft, die Abrüstung immer für unabdingbar gehalten hat und sie auch weiterhin fordert. Sie dringt auf die Auflösung aggressiver Organisationen wie der NATO, weil sie von der Möglichkeit einer friedlichen Koexistenz der Völker auf der Grundlage gegenseitigen Nutzens und einer gemeinsamen Zukunft überzeugt ist. Besonders Syriza fördert (…) die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zur Türkei auf allen Ebenen, damit die beiden Völker ohne den Rüstungswahnsinn in Frieden und Wohlstand koexistieren können.

Griechenland ist aufgrund des konstruierten Szenarios einer türkischen Bedrohung tatsächlich das Land mit den relativ höchsten Rüstungsausgaben in der EU und der NATO. Es ist bemerkenswert, dass die Ausgaben in diesem Bereich die Ausgaben im Gesundheits- oder Bildungsbereich um ein Vielfaches übersteigen.
Obwohl die Rüstungsausgaben in den Krisenjahren fielen, wie wir der Tafel mit Daten des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) entnehmen können, bleiben sie dennoch weiterhin auf relativ hohem Niveau.

Eine der ersten Forderungen der Troika war die Liquidation der griechischen Rüstungsindustrie. Vor allem drei einheimische Unternehmen, die Waffen, Militärfahrzeuge, Munition und so weiter herstellen und von hohem öffentlichen Interesse sind, sollten schließen, womit mehr als 2.500 Beschäftigte in die Arbeitslosigkeit geführt worden wären.
Es liegt auf der Hand, dass vor allem die deutsche und die französische Rüstungsindustrie zu den Nutznießern dieser Schließung gehört hätten. Griechenland wäre weiterhin ihr bester Kunde geblieben, aber eben ohne inländische Konkurrenz.

Als die Frage der Senkung der Personalkosten beim griechischen Militär, dessen Berufsoffiziere wegen der Umsetzung der Memoranden¹ bereits Gehaltseinbußen von mehr als 40 Prozent hinnehmen mussten, auf den Tisch kam, wurde die Einstellung teurer Rüstungsprogramme nicht gestattet. Es handelt sich dabei um Programme, die direkt und ohne internationale Ausschreibungen unterzeichnet wurden.
Also ist die Regierung dazu gezwungen, Rüstungsgüter zu veräußern, um die von den Gläubigern geforderten 200 Millionen einzusparen.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, ein Sozialdemokrat und ehemaliger Ministerpräsident Norwegens, »hat die griechische Regierung vor Kürzungen des Militärbudgets gewarnt. Er erwarte, dass Athen auch weiterhin zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts für Verteidigung ausgäbe«.
Allein das ist ein hinreichender Beweis dafür, dass dem bankrotten Griechenland durch das internationale Kapital mit dem Ziel kreditiert wird, weiterhin in der Lage zu sein, sich teure Rüstungssysteme zu kaufen. Und zugleich wird es dazu gezwungen, die eigene Industrie zugrunde zu richten.

Warum also senkt auch die linke Syriza-Regierung die Rüstungsausgaben nicht?

Die Antwort lautet ganz einfach: »Weil uns die Gläubiger das nicht erlauben!«
Und wer profitiert von diesen aufgeblähten Rüstungsausgaben in Griechenland und der Türkei und dem so am Köcheln gehaltenen Konflikt zwischen den beiden Ländern?

BRD liefert die meisten Waffen

Von dieser Auseinandersetzung profitieren die zentralen Mächte der EU, zuallererst Deutschland und Frankreich. Gemäß dem aktualisierten Bericht der SIPRI liegt die Türkei mit 15,2 Prozent an erster Stelle der deutschen Rüstungsexporte, gefolgt von Griechenland an zweiter Stelle mit 12,9 Prozent.
En detail: Deutschland exportiert nach Griechenland primär »Leopard«-Panzer von Krauss-Maffei-Wegmann (KMW) und Kriegsschiffe von Thyssen-Krupp-Marine-Systems (TKMS). 2009 unterzeichnete das Unternehmen mit der Türkei einen Lizenzvertrag zur Herstellung von sechs deutschen U-Booten, deren Kosten sich auf zwei Milliarden Euro belaufen.
Auch die französische Rüstungsindustrie unterzeichnete einen Vertrag mit Griechenland über die Produktion von sechs Kriegsschiffen zum Preis von 2,5 Milliarden Euro. Und (…) der damalige deutsche Außenminister Guido Westerwelle schlug der griechischen Regierung während seines Besuchs in Griechenland 2010 vor, sich mit 60 Kampfflugzeugen des Typs »Eurofighter« zum Preis von fünf Milliarden Euro zu versorgen.

Natürlich spielt die »Lieblingsfirma« Griechenlands, Siemens, die zentrale Rolle im Waffenbusiness, denn sie ist der Lieferant der Brennstoffzellentechnik für die Firma HDW, welche die U-Boote für Griechenland herstellt, während sie auch einen Anteil von 49 Prozent an der KMW hält, welche Panzer herstellt. Der (PASOK-)»Sozialist« (…) und ehemalige Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Panos Beglitis, war sich sehr sicher und sagte: »Wir werden alle Rüstungsverträge der vorigen Regierung realisieren«, während der Verteidigungsminister und spätere Vorsitzende der Pasok, Evangelos Venizelos, kurze Zeit später erklärte: »Wir haben eine Lösung für die deutschen U-Boote gefunden, Griechenland wird sie abnehmen und 2,85 Milliarden Euro zahlen und auch zwei neue bestellen.«
Ich erinnere hier daran, dass er sich auf die U-Boote bezieht, die sich aufgrund eines Herstellungsfehlers zur Seite neigen.

Abschließend möchte ich ganz persönlich erklären, dass ich mit Leib und Seele für die drastische Einschränkung der Rüstungsausgaben stehe. Ich bin der Meinung, dass Organisationen wie die NATO in unserer Zeit keine Existenzberechtigung mehr haben. Ich behaupte sicherlich nicht, dass ein Land wie Griechenland die Möglichkeit hat, diese Ausgaben völlig auf null zurückzuführen, doch es könnte seine Verteidigung zu sehr viel geringeren Kosten sicherstellen. An dieser Stelle muss auf die Verantwortung der EU für die Sicherung ihrer Grenzen hingewiesen werden, aber auch auf die Notwendigkeit zur Verstärkung der Transparenz, indem alle Fälle von Schwarzgeldtransfers für Rüstungsprogramme thematisiert werden.
Auf jeden Fall ist die substantielle und in die Tiefe gehende Bewältigung der Rüstungsfrage zentral für die Schaffung eines »anderen Europas«. Eines Europas des Friedens und der Demokratie, eines Europas des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der Gerechtigkeit, eines Europas der offenen Grenzen und der Entwicklung.

Brüssel streicht Reichensteuer

Die zweite laufend wiederholte Frage ist: »Warum besteuert ihr eigentlich die Reichen nicht?« Das ist natürlich eine Provokation, weil sie sich an eine Regierung und besonders an eine Partei richtet, für die die Besteuerung der Vermögenden und gut Verdienenden eine wesentliche programmatische Aussage ist.
Die zwei Parteien, die Griechenland in den letzten zwei Jahrzehnten regierten, Pasok und Nea Dimokratia (politisch verschwistert mit SPD bzw. CDU), errichteten ein politisches System, das nicht nur Steuerasyle für Reiche, vor allem für die Reeder, bot, sondern auch dafür sorgte, dass mit ihrer Zustimmung zu verschiedenen gesetzlichen Maßnahmen und Regelungen ein großer Teil des öffentlichen Vermögens auf privilegierte Privatleute übertragen werden konnte.

In Griechenland stammt der größte Teil der Steuereinnahmen schon immer von den Beschäftigten, den Lohn- und Gehaltsempfängern des öffentlichen und privaten Sektors und natürlich aus den indirekten Steuern² (Griechenland verzeichnet den größten Unterschied zwischen indirekten und direkten Steuern, zugunsten der indirekten). Von insgesamt sechs Millionen Steuererklärungen, die 2014 eingereicht wurden, betrafen gerade einmal 38.000 Fälle – ganze 0,6 Prozent aller Steuererklärungen! – Einkommen von über 100.000 Euro. Darüber hinaus erklärten lediglich 375 Griechen ein Einkommen von über 500 000 Euro, und angeblich nur 144 erzielten ein Einkommen von über einer Million Euro.

Für die Syriza-Regierung ist die Besteuerung des Reichtums nicht nur ein Mittel zur Erhöhung der Staatseinnahmen, sondern ein Hauptinstrument zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit beziehungsweise des Gerechtigkeitsempfindens eines Volkes, das unter einer schweren ökonomischen, sozialen und politischen Krise leidet.
Das stellt auch die Hans-Böckler-Stiftung in einer aktuellen Studie fest: »Der Austeritätskurs in Griechenland hat die Einkommen der privaten Haushalte in dem Krisenland drastisch einbrechen und die Armut ansteigen lassen. (…) So verloren (…) die zehn Prozent Haushalte mit den niedrigsten Einkommen gegenüber 2008 rund 86 Prozent. (…) Die 30 Prozent der Haushalte mit den höchsten Einkommen verloren zwischen knapp 20 und 17 Prozent.«

Gemäß ihren Ankündigungen hat die Regierung Tsipras auch bereits mit der Umsetzung einer Reihe von Maßnahmen mit dieser Zielsetzung begonnen. So hat sie beispielsweise – unter großem Zuspruch der Bevölkerung – die Möglichkeit zur Zahlung von Steuerschulden und Sozialversicherungsbeiträgen in über hundert Raten veranlasst und damit viele Betroffene mit geringen und mittleren Einkommen entlastet. Sie hat die Verfahren zum Eintreiben der Steuern von mutmaßlichen griechischen Steuerflüchtlingen, die auf der Lagarde-Liste³ verzeichnet sind, beschleunigt – es wurden bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt bereits Hunderte Millionen Euro eingenommen, die sich bisher im Steuerasyl befanden. Sie bereitet derzeit ein Abkommen mit der Schweiz zum direkten Beistand bei der Aufdeckung von mutmaßlichen Schwarzgeldkonten griechischer Kontoeigentümer vor.

In der Hauptsache sieht die Regierung die Installation eines neuen und gerechten Steuersystems vor, denn diejenigen, die bereits sehr viel mehr als alle anderen hatten, konnten ihr Vermögen während der Krise – wie auch anderswo – weiter erhöhen. Basierend auf dem einfachen Grundsatz, dass die Wohlhabenden ihren angemessenen Teil zum Wohlergehen der Gesellschaft beitragen sollen, enthielt das den Gläubigern Anfang Juni vorgeschlagene 47seitige Reformpaket eine Solidaritätsabgabe auf Jahreseinkommen über 500.000 Euro mit einem Satz von acht Prozent, die Erhebung einer Sonderabgabe von zwölf Prozent auf Unternehmensgewinne über 500.000 Euro und die Erhöhung der Unternehmenssteuer auf dieselben Gewinne von heute 26 Prozent auf 29 Prozent noch im Jahr 2015.

Zum großen Erstaunen aller wurden diese Maßnahmen aber von den Gläubigern mit der Begründung abgelehnt, sie würden die Konjunktur schwächen. Die Gläubiger forderten statt dessen mehr Ausgabenkürzungen, hauptsächlich im sozialen Bereich, bei den Renten und so weiter.
Es war nicht zuletzt diese Kontroverse, die die griechische Regierung dazu veranlasste, mit dem Referendum vom 5. Juli eine demokratische Entscheidung der Bevölkerung herbeizuführen.
Als dasselbe Thema eine Woche später, beim Gipfeltreffen am 12. Juli, erneut auf den Tisch kam, forderten die Gläubiger die Streichung der Regelung der achtprozentigen Solidaritätsabgabe auf Jahreseinkommen über 500.000 Euro und den Ersatz der damit zu erzielenden Einnahmen durch eine gleichwertige Einnahmequelle, vorzugsweise mittels Ausgabenkürzungen im sozialen Bereich. Was nur abermals belegt, dass das Griechenland auferlegte »Anpassungsprogramm« auch gleichzeitig ein Verfahren zur Umverteilung des Reichtums von unten nach oben ist, von den Vielen zu den Wenigen.
Es zeigt sich immer wieder und an verschiedenen Stellen, dass der Versuch von Syriza zur Umkehrung dieses Umverteilungsprozesses von unten nach oben auf den erbitterten Widerstand der Gläubiger trifft.

In der Konsequenz lautet die Antwort auf die Frage zur Besteuerung der Reichen: »Wir besteuern die Reichen deshalb nicht, weil uns die Gläubiger das nicht erlauben.«

Schuldenprofiteur Deutschland

Es gibt dann noch eine dritte – nein, keine Frage, sondern eine stereotyp vorgetragene Behauptung der deutschen Meinungsmacher. Eine gefährliche Behauptung, mit der der Erreger eines »passiven Hasses« gegen die griechische Regierung, gegen Syriza oder gegen »die Griechen« an sich verbreitet wird und jederzeit aktiviert werden kann.
Sie lautet: »Wir Deutschen zahlen für die Griechen.« Was meint, dass der selbst »fleißige und sparsame« deutsche Steuerzahler darauf gefasst sein muss, gegebenenfalls irgendwann dafür aufzukommen, dass »die Griechen über ihre Verhältnisse leben«.

Das stimmt natürlich vorne und hinten nicht. Weder der deutsche Staat noch die übrigen Länder der Euro-Zone haben Geld aus ihren Haushalten eingezahlt, sondern es sich bei der EZB zu einem jährlichen Zinssatz von ein Prozent bis drei Prozent geliehen, um es in der Folge zu einem höheren Zinssatz an Griechenland weiterzuverleihen, was ihnen logischerweise Geld einbrachte.
Im Zeitraum 2010/2011 etwa flossen aus diesem Zinsunterschied mehr als 300 Millionen Euro zusätzliche Mittel in die deutschen Staatskassen. Folglich legt der deutsche Steuerpflichtige nicht nur nichts drauf, sondern seine Regierung erzielt darüber hinaus sogar Einkünfte. Das ist auch weiterhin der Fall, obwohl die Zinsen auf griechische Anleihen seit 2012 gefallen sind.

Es wird geschätzt, dass Deutschland aus seinen über die KfW-Bank (Kreditinstitut für Wiederaufbau, jW) abgewickelten zwischenstaatlichen Krediten an Griechenland während des Zeitraums 2010 bis 2014 mehr als 360 Millionen Euro an Zinserträgen erzielt hat. Auch in dieser Hinsicht erweist sich noch ein weiteres Mal, dass die »Rettung« den Banken und nicht Griechenland galt und gilt.
Allerdings will ich nicht verhehlen, dass der deutsche und der europäische Steuerzahler in Zukunft tatsächlich Gefahr laufen, für die Bankverluste aufkommen zu müssen, nämlich dann, wenn Griechenland – oder welches krisengeschüttelte Land auch immer – zur Zahlung seiner Schulden nicht in der Lage sein sollte.
Und: Laut der Leibniz-Studie⁴ steht speziell Deutschland anders da: »Selbst wenn Griechenland seine derzeitigen Schulden überhaupt nicht zurückzahlen würde, hätte Deutschland von der griechischen Krise profitiert, also mehr eingenommen als dafür gezahlt.«
Übrigens war das der Grund für die Sozialisierung der privaten Schulden Griechenlands: die Absicherung der privaten oder teilprivaten Banken mit Mitteln aus den Staatshaushalten, letztlich also durch die Bürger des Staates. (…)

Der gerade bekanntgewordenen Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) zufolge profitiert Deutschland finanziell stark von der Krise in Griechenland. »Seit deren Ausbruch 2010 sei der deutsche Staatshaushalt um rund 100 Milliarden Euro oder gut drei Prozent im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt entlastet worden«, erklärte das Institut, heißt es in Die Presse vom 10. August 2015. Deutschlands zusätzliche Einnahmen von (kumuliert seit 2010) bis zu 100 Milliarden Euro sind besonders darauf zurückzuführen, dass die Zinsen für deutsche Anleihen stark gesunken sind, weil sie im Vergleich als sehr sicher eingeschätzt werden.
Somit übertreffen die Ersparnisse den deutschen Anteil an den bisherigen Rettungspaketen für Griechenland, der auf rund 90 Milliarden Euro beziffert wird.

Selbst wenn Griechenland seine derzeitigen Schulden überhaupt nicht zurückzahlen würde, hätte Deutschland von der griechischen Krise profitiert, also mehr eingenommen als dafür gezahlt.

Zwar haben dem IWH zufolge auch andere Länder wie Frankreich in bezug auf ihre Zinseinnahmen profitiert, aber keines so viel wie Deutschland. Schäubles schwarze Null im Bundeshaushalt ist, wenn man so will, nur mit griechischer Hilfe zustande gekommen!

Anmerkungen

1 Darunter sind die Verträge mit EU, EZB und IWF gemeint, in denen festgelegt ist, unter welchen Bedingungen Geld aus Brüssel und Washington fließt. (jW)

2 Der damaligen französischen Finanzministerin Christine Lagarde wurde 2010 ein Datenträger mit entwendeten Kontodaten von über 2.000 griechischen Kunden der Schweizer Banktochter der HSBC zugespielt. Lagarde reichte diese Liste nach Athen weiter, wo sie zunächst keinen Anlass zu größeren Ermittlungen bot, aber zugleich doch mehrere politische Skandale auslöste.

3 Indirekte Steuer sind Verbrauchersteuer und treffen darum in erster Linie Beschäftigte. Direkte Steuern sind Einkommens- und Vermögenssteuer. (jW)

4 Wahrscheinlich ist eine Untersuchung des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle an der Saale (IWH) vom August 2015 gemeint. (jW)

Giorgos Chondros: Die Wahrheit über Griechenland, die Eurokrise und die Zukunft Europas, übersetzt von Céline Melanie Spieker. Westend Verlag, Frankfurt am Main 2015, 236 Seiten, 16,99 Euro – auch im jW-Shop erhältlich.

Jochen

Griechenlandkrise: Gefangen in der Eurozone

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Mal ausnahmsweise ein nicht tendenziöser Artikel auf SPIEGEL Online von Wolfgang Streeck:
http://www.spiegel.de/politik/ausland/griechenland-gefangen-in-der-eurozone-a-1042521.html
Auszüge:

Es gibt noch Fortschritt in Europa. Als der damalige griechische Ministerpräsident Georgios Papandreou 2011 ein Referendum über die Austeritätswünsche seiner europäischen Kollegen abhalten wollte, wurde er von diesen kurzerhand abgesetzt.Als Nachfolger entsandten Brüssel und Berlin einen gewissen Loukas Papademos, Vertrauensmann der internationalen Finanzindustrie, der Anfang der 2000er Jahre als griechischer Zentralbankchef mithalf, sein Land mit Hilfe von Goldman Sachs Euro-würdig zu rechnen.
So etwas ging diesmal nicht – dank eben jener Restbestände nationaler Demokratie, die die deutschen Europhilen zugunsten einer zukünftigen „europäischen Demokratie“ suspendieren wollen.

Niemand kann sagen, wie es nach dem überwältigenden „Nein“ des griechischen Volkes im Einzelnen weitergehen wird. Dazu ist die Lage zu turbulent: Zu vieles ist gleichzeitig in Bewegung, die Kausalzusammenhänge sind aufgeweicht und unerprobt, Vorhersagen sind nur noch Ratespiele.
Was man immerhin weiß ist, dass die ganze unsägliche Einschüchterungskampagne nichts genutzt hat, nicht einmal der laufend erteilte gute Ja-Rat der deutschen Einheitspresse, die so viel besser wusste und weiß, was gut ist für Griechenland, als die gewählte griechische Regierung.
Und gezeigt hat sich auch, dass man in Südeuropa mit Merkel– und Schäuble-Plakaten nicht nur Wahlen gewinnen kann, sondern auch Volksabstimmungen.

Die selbsternannten „Europäer“ im sicheren Norden haben die Verzweiflung der Griechen nach dem Scheitern des frivolen Experiments ihrer Auf- und Übernahme in die Währungsunion ebenso unterschätzt wie ihre Wut darüber, im eigenen Land zu Objekten von Brüsseler Geheimverhandlungen gemacht zu werden.
Ob freilich die Brüsseler Profis aus ihrer Niederlage gegen die Athener Amateure etwas lernen werden, darf man bezweifeln. Eher werden sie versuchen, die versäumte vorbeugende Absetzung der griechischen Regierung doch noch nachzuholen.

Es wird richtig teuer

Auf kurze Sicht allerdings hat sich die Hoffnung in den vereinigten Hauptstädten zerschlagen, nach dem Referendum mit den langjährig bewährten griechischen Repräsentanten der „europäischen Idee“, wie Samaras, Venizelos, Papandreou III, Karamanlis II und Konsorten, wieder business as usual betreiben zu können.
Das heißt auf Deutsch: Es wird richtig teuer. Was den an den innereuropäischen Goldstandard gefesselten Griechen fünf Jahre lang geboten wurde, war zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel – und dass der Weg zur Erhaltung oder gar Erhöhung ihres Wohlstands über seinen auf unabsehbare Zeit weitergehenden Abbau führen soll, wollten die neoklassisch uneingeweihten Griechen partout nicht kapieren.

Da der deutschen Presse zufolge Leuten wie Tsipras alles zuzutrauen ist, einschließlich eines finanziellen Selbstmordattentats in Gestalt einer einseitig erklärten Insolvenz, werden Kröten im Akkord zu schlucken und Schulden ohne Ende zu erlassen sein – vielleicht als Zahlungsaufschub ad calendas graecas.
Und im Vergleich zu dem Wachstums- und Stabilitätsprogramm, das nach der Niederlage im Nervenkrieg gegen Syriza als Reparation fällig werden wird, könnten sich die wenigen, ohnehin fiktiven Juncker-Milliarden sehr schnell als peanuts erweisen.

Syriza, noch immer die einzige nicht von der landesüblichen politischen Korruption befallene griechische Partei, wird nun mehr wollen und wollen müssen als den zum Zusammenhalt einer Brüssel-hörigen Klientelismus-Pyramide erforderlichen, von Halbjahr zu Halbjahr neu zu verhandelnden Minimalzuschuss.
Man muss hoffen, dass sie sich davon nicht abbringen lässt und damit das Gerede von der Währungsunion als Ausgeburt einer „europäischen Idee“ mitsamt „europäischer Solidarität“ als das erkennbar macht, was es ist: Gerede.
Bleibt Syriza bei ihren Forderungen, dann könnte auf beiden Seiten ein fruchtbarer Lernprozess beginnen: in „Europa“, insbesondere in Deutschland, könnte die Einsicht wachsen, dass eine Hartwährungsunion mit demokratisch organisierten Weichwährungsgesellschaften nur als eben jene auf Dauer gestellte Transferunion möglich ist, vor der uns die neoliberalen Euro-Gegner immer gewarnt haben; und in Griechenland würde klar werden, dass das, was in Brüssel und Berlin zu holen ist, auf Jahrzehnte – und das heißt praktisch: für immer – weit hinter dem zurückbleiben wird, was auch nur für die Restaurierung des Wohlstandsniveaus von vor der Krise gebraucht würde.

„Griechische Tragödie“

Überhaupt stehen der durch das Referendum im Amt gefestigten Syriza-Regierung schmerzliche Erfahrungen bevor. Die Brüsseler Profimannschaft wird wissen, wie sie sicherstellt, dass jeder, der wie Syriza in der EWU bleiben will, nach den dort geltenden neokapitalistischen Regeln zu spielen hat. Die werden nicht zuletzt von Regierungen bestimmt, die Angst vor ihren Wählern haben, vor allem vor denen, die sich zurzeit überall hinter aufsteigenden rechten Souveränitätsparteien neu organisieren.
„Solidarität“ über nationale Grenzen hinweg von Gesellschaften zu erwarten, die sich immer schwerer damit tun, Solidarität innerhalb ihrer Grenzen zu praktizieren – von fiskalisch konsolidierenden Hochleistungsgesellschaften, geprägt von einem sich ständig verschärfenden Rattenrennen um Geld und „Karriere“ und mit wachsenden, vom Dauerwettbewerb aussortierten Unterschichten – ist, mit Talleyrand, schlimmer als eine Sünde: es ist ein Fehler.
Und dasselbe gilt für die Vorstellung, so es diese denn tatsächlich gibt, dass Sozialismus in Griechenland auf eine umverteilende Zuteilung des Wohlstands der westeuropäischen Mittelschicht mittels nicht rückzahlbarer kapitalistischer Kredite gegründet werden könnte – zumal dieser Wohlstand dort, wo er einmal zuhause war, zusehends abbröckelt.

Auch für Deutschland und seine Regierung wird es eng. Wenn die Griechen ihre neu gemischten Karten klug spielen, werden sich die Kosten der Währungsunion für die deutschen Steuerzahler endgültig nicht mehr verstecken lassen. Dass diese weiterhin bereit sein werden, die Marktzugangsgebühren für die deutsche Exportindustrie im Euroland und den Preis für den aberwitzig niedrigen Außenwert der in Deutschland geltenden Währung zu entrichten, ist alles andere als sicher; nicht jeder arbeitet schließlich beim Daimler.
Zufälligerweise erschien am Tag des griechischen Referendums erstmals eine potenziell konkurrenzfähige rechtspopulistische Partei am deutschen innenpolitischen Horizont. Der Zeitpunkt, an dem die Koalition ihr und den Bürgern wird vorrechnen müssen, was ihre „europäische Idee“ bisher gekostet hat und weiter kosten wird, könnte zur Sternstunde einer Partei werden, die die CDU/CSU auf das Stimmenniveau der SPD reduzieren könnte. „Populismus“ als politische Perspektive, die die Welt in selbstbezügliche Eliten und von ihnen hinter das Licht geführte Massen einteilt, hat in der Europäischen Union beste Aussichten, den Wählern als plausibel zu erscheinen.

In der deutschen Innenpolitik haben in den letzten Monaten Linke und Grüne Merkel und Rechte Tsipras beschuldigt, es an „europäischem Geist“ fehlen zu lassen. Dabei ist wohl nicht zufällig aus dem Blick geraten, dass das eigentliche Problem die Konstruktion der Währungsunion ist und bleiben wird, die nach dem Vorbild des Goldstandards Griechenland – und den Ländern des Mittelmeerraums insgesamt – die Möglichkeit einer flankierenden Unterstützung wirtschaftlicher Anpassung mittels Abwertung ihrer Währung verwehrt.
Vor dem als Währungsunion errichteten „Gehäuse der Hörigkeit“ (Max Weber) und den in ihm konstituierten Interessenlagen muss sich jede „Idee“ immer wieder „blamieren“ (Karl Marx). Auch Gabriel oder Steinmeier hätten als Bundeskanzler nicht anders gehandelt und handeln können als Merkel oder Schäuble, so sehr sie sich bis kurz vor dem griechischen Referendum aus Rücksicht auf eine von Habermas’scher Euro-Rhetorik wirtschaftsfern konfirmierte grün-rote Partialklientel mit entsprechenden öffentlichen Bekenntnissen zurückgehalten haben.
Ähnliches gilt, bei aller Exzentrik, für Tsipras und Varoufakis, die ja (noch?) nicht zum traditionellen von „Europa“ ausgehaltenen klientelistischen Establishment ihres Landes gehören. Insoweit ist es durchaus kein Zeichen mangelnder literarischer Bildung, wenn ständig von einer „griechischen Tragödie“ die Rede ist.

Tiefe, dauerhafte Spaltung Europas

Dass Syriza die Abstimmung gewonnen hat, sorgt vielleicht dafür, dass die strukturellen Probleme der Währungsunion nicht erneut durch „europäische“ Rhetorik verkleistert werden. Solange es die Währungsunion gibt, wird selbst die Erhaltung des gegenwärtigen Abstands zwischen den reichen und armen Mitgliedstaaten, von der erhofften wirtschaftlichen Konvergenz zu schweigen, nur durch wie immer deklarierte Ausgleichs-, Unterstützungs-, Hilfs- und sonstige Zahlungen überhaupt vorstellbar sein.
Gewährt werden derartige Mittel in der realen Welt aber nur gegen Kontrolle, also verbunden mit tiefen Eingriffen von oben, in die staatliche Souveränität der Empfängerländer.
Dabei ist abzusehen, dass diese die ihnen zur Verfügung gestellten Mittel als unzulänglich und das im Gegenzug verlangte „Durchregieren“ des Nordens in ihre inneren Angelegenheiten als exzessiv empfinden und die Geberländer umgekehrt sich zugleich materiell überfordert und politisch übervorteilt fühlen werden.
Entlang dieser Linie wird sich die Innenpolitik der Währungsunion stabil nationalistisch polarisieren, unabhängig davon, ob und wie die griechischen Schulden in den nächsten Wochen gestrichen oder umverteilt werden – nicht nur, weil dann unvermeidlich auch die italienischen und spanischen Schulden zur Diskussion stehen werden (in Spanien nach einem dann sicheren Wahlsieg von Podemos), sondern vor allem angesichts der zu erwartenden weiteren Polarisierung der Einkommensverteilung innerhalb der Währungsunion.*)

Welche Ereignisse immer sich in den kommenden Wochen unvorhersehbar überschlagen werden, unter der turbulenten tagespolitischen Oberfläche lässt sich nach anderthalb Jahrzehnten Währungsunion schon jetzt ein ausgedehntes Trümmerfeld besichtigen, dessen Ausmaße es mit den Ruinen des mythischen Atlantis ohne weiteres aufnehmen können.

Was man dort sieht ist, erstens, eine tiefe und dauerhafte Spaltung Europas, außenpolitisch zwischen Nord und Süd und Mitgliedern und Nichtmitgliedern von Währungsunion und EU, und nach innen zwischen den staatstragenden, von ihren Wählern zunehmend verlassenen Altparteien und den neuen, rechten wie linken, aber meist rechten „Populisten“.

Zweitens, eine auf Jahrzehnte felsenfeste Blockade des vielbeschworenen Weges zu einer „immer engeren Union der Völker Europas“: keine europäische Regierung wird es auf absehbare Zeit wagen, ihren Wählern eine weitere Abtretung von Souveränität an die Herren Juncker und Schulz zu empfehlen.

Und drittens zu besichtigen ist ein Scherbenhaufen der deutschen Nachkriegspolitik, die ja bekanntlich darin bestand, jeden Anschein zu vermeiden, dass Deutschland auch nur im Traum daran dächte, eine Hegemonialstellung in Europa zu beanspruchen.
Deutschland, das die Währungsunion nicht gewollt hat, gilt als deren Folge heute als Zwingherr und Zuchtmeister der europäischen Völker.
Die nicht zuletzt aus den USA herüberkommende Moralisierung der Makroökonomie – gerne aufgegriffen in den Kanzlerbezichtigungen der deutschen Linken – hat die öffentliche Meinung in allen europäischen Ländern, auf die es ankommt, davon überzeugt, dass die Krise in Griechenland und anderswo nicht Teil der globalen Krise des ablaufenden Finanzkapitalismus ist, sondern auf den Unverstand oder den Sadismus, die schwäbische Hausfrauenmentalität oder den imperialistischen Herrschaftsanspruch der deutschen und ihrer Regierung, und am besten auf alles auf einmal, zurückgeht.
So weit hat es die deutsche Politik mit ihrer Sakralisierung der Währungsunion als Emanation der „europäischen Idee“ gebracht.

Vielleicht ist ja die Krise um Griechenland und Europa tatsächlich eine, für die es keine Lösung gibt – nicht einmal mehr in Form eines Rückbaus der unseligen Währungsunion.
Vielleicht ist das, was wir heute erleben, nichts anderes als die europäische Vorschau auf eine bevorstehende globale Schulden- und Wachstumskrise – von Detroit über Puerto Rico, wo unter der Aufsicht der Vereinigten Staaten gerade „Austerität“ durchgesetzt wird, über Brasilien und Russland bis hin zu China mit seinem gigantischen, durch eine tiefe Rezession weiter vergrößerten Schuldenberg.
Schulden überall, und möglicherweise längst jenseits des noch verbliebenen, schrumpfenden Wachstumspotentials.
Vielleicht ist Griechenland nur einer der immer zahlreicher werdenden Plätze am Rande des Imperiums, wo das Kartenhaus der leeren, in immer neuen „Finanzinnovationen“ verbrieften Versprechungen, auf das unser Wohlstand gebaut ist, zusammenzubrechen beginnt?

Wolfgang Streeck, geboren 1946, ist Soziologe und emeritierter Direktor des Max-Plank-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln. 2013 erschien bei Suhrkamp sein Buch „Gekaufte Zeit: Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus“.

Dazu auch nochmals der Hinweis auf Gysis Rede von 1998: https://youtu.be/x1ef0BBtuYA
*) Anzumerken ist, dass sich das ganze durch Einführung von TTIP und TISA noch weiter beschleunigen wird.

Jochen

Griechenland 1967 – Erinnerungen an einen NATO-Militärputsch

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Spoo2015Eckart Spoo erinnert sich hier:
http://www.sopos.org/aufsaetze/50dc8888e0f6d/1.phtml
Ähnlichkeiten mit der Situation in der Ukraine ssind unverkennbar.
Vielleicht war es auch für Tsipras ein grund, den gut vernetzten Konservativen mit in die Koalition zu holen.
Man hat bisher noch nichts davon gehört, dass an den milliardenschweren Kriegsflottenbestellungen etwas gekürzt werden soll.
Diese waren ja 2008 Voraussetzung dafür, dass Griechenland überhaupt Hilfe aus der EU bekam.

Ein aktuelles Interview mit E.Spoo zum Thema Kriegspropganda und Medien findet sich hier auf „Der fehlende Part“ ab der 22.Minute:

ttps://www.youtube.com/watch?v=3PVPEFQS4pE

Hier auszugsweise Eckard Spoo:

Nein_zur_Nato_DDR1957Die Nordatlantikpakt-Organisation (NATO), 1949 in Washington gegründet, verpflichtet ihre Mitglieder, »die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu gewährleisten« (Präambel des Nordatlantikvertrags).
Zu den Gründungsmitgliedern dieses Militärbündnisses gehörte Portugal, das damals und noch viele Jahre nicht vom Recht, sondern vom Salazar-Regime mit faschistischen Methoden beherrscht wurde. Unterstützung fand das Regime bei der von CDU/CSU und FDP regierten Bundesrepublik Deutschland. Westdeutsche Konzerne erhielten durch Salazar Zugang zu billigen Rohstoffen und Arbeitskräften in den damaligen portugiesischen Kolonien und belieferten ihn mit Waffen für den Kolonialkrieg.
Salazar war es, der 1952 die Aufnahme der BRD in die NATO beantragte.

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Als Griechenland 1967 durch einen Militärputsch unter faschistische Herrschaft geriet, geschah das nach dem NATO-Generalstabsplan »Prometheus«.
Die hehren »Grundsätze der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts« wurden nicht gewährleistet, sondern außer Kraft gesetzt.
Sieben Jahre lang dauerte das blutige Regime der griechischen NATO-Offiziere, das von Anfang an besonders starken Rückhalt in der BRD hatte.

Am 21. April jenes Jahres, kurz vor dem Termin einer Parlamentswahl, bei der aller Voraussicht nach die Linke gesiegt hätte, verbreitete am frühen Morgen der Rundfunk eine Proklamation der Armee, die dem Volk verkündete, sie habe die Macht übernommen, »um einer Machtübernahme der Kommunisten zuvorzukommen«.
Panzer rollten in die großen Städte, Parlament, Regierungsgebäude, Zeitungshäuser wurden besetzt, Funktionäre demokratischer Organisationen verhaftet, viele von ihnen in Konzentrationslager auf vegetationslosen Inseln deportiert, Versammlungen verboten, Gesetze aus der Zeit der Nazi-Okkupation wieder für gültig erklärt, gewerkschaftliche Organisationen und Streiks unterdrückt und Militärgerichte eingesetzt. Wahlen fanden nicht mehr statt.
Im Befehl Nr. 13 verbot die Armee, »Musik und Lieder des Komponisten Mikis Theodorakis zu verbreiten oder zu spielen«.

Der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß bescheinigte dem von den Putschisten regierten Griechenland, es sei zur »Stabilität« zurückgekehrt, und das CSU-Organ Bayernkurier rühmte den von der Junta ernannten Ministerpräsident Kollias: »Jurist durch und durch, eine beeindruckende Legierung von persönlicher Bescheidenheit, gedanklicher Präzision und repräsentativer Würde, verkörpert er die Zustimmung der guten alten Honoratiorenschicht zum Regime.«
Aber Stabilität stellte sich nicht ein, stattdessen stieg die Inflation, der Widerstand im Volk ließ sich nicht überwinden – auch nicht durch die Festnahme und Verschleppung von mehr als 150.000 »Ordnungsstörern« während der sieben Diktaturjahre. Die Europäische Kommission für Menschenrechte bezeichnete 1969 nach gründlichen Untersuchungen Folter als »eine in Griechenland übliche Verwaltungsmaßnahme.«

Im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten unterließ es die BRD, die Militärdiktatur und deren Verbrechen zu verurteilen. Bundespräsident Heinrich Lübke würdigte vielmehr die »traditionelle Freundschaft« zwischen beiden Ländern, die sich auf »das hohe Ideal der Freiheit« gründe. In der Großen Koalition gab es keine Differenzen wegen des Verhältnisses zu Griechenland.
Der SPD-Vorsitzende und damalige Außenminister Willy Brandt hielt aufgebrachten Parteimitgliedern entgegen: Wer den Abbruch der diplomatischen Beziehungen fordere, »vertritt nicht die Interessen des Staates«. Der damalige stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Hans Apel, erklärte: »Was hätten wir eigentlich davon, wenn die jetzige Diktatur abgelöst würde zum Beispiel durch eine prokommunistische?«
Bei dieser offiziellen Haltung blieb es auch nach dem Wechsel von der Großen zur SPD/FDP-Koalition. Für das Auswärtige Amt blieb Griechenland »ein wichtiger Bündnispartner, mit dem uns eine Vielzahl gemeinsamer Interessen verbindet«, und Bundesverteidigungsminister Georg Leber stellte es schlicht als unzulässig dar, Bündnispartner zu kritisieren.
Vom ersten bis zum letzten Tag der griechischen Militärdiktatur hat Bonn so geredet und gehandelt, wie es das CSU-Organ Bayernkurier einmal empfohlen hat: Das Gesamtinteresse des Westens muß hier vor der Ideologie rangieren«, also vor Freiheit, Recht und Demokratie.

Als im November 1973 Studierende des Athener Polytechnikums in den Streik und Arbeiter in Solidaritätsstreiks traten, entwickelten sich Massendemonstrationen, gegen die das Militär mit Panzern, Tränengas, Schußwaffen vorging. Daraus entstand ein Massaker: Mehr als 200 Demonstranten wurden getötet, weit über 2.000 verletzt.
Aber noch wenige Wochen bevor das Militärregime abtreten mußte, stellte die Wirtschaftswoche fest: »Wenn Diktatoren herrschen, bekommen Anleger gern feuchte Augen. In Griechenland hat sich der Aktienindex seit dem Obristenputsch vom April 1967 verfünffacht.«
Die Welt
aus dem Springer-Konzern resümierte: »Allein 1973 nahm der Warenaustausch zwischen den beiden Ländern um 44 Prozent zu« – die Bundesrepublik habe »sowohl unter den Lieferanten als auch den Abnehmern der griechischen Wirtschaft den ersten Rang« eingenommen.

Die Erwartungen, mit denen deutsche Konzerne 1967 den Putsch begleitet hatten, wurden also nicht enttäuscht. Damals hatte das Handelsblatt geschrieben, man erwarte eine »Verbesserung der technischen Abwicklung der Geschäfte«, weil die Verzögerungen infolge »dauernder Streiks« durch »energisches Eingreifen der Regierung in aller Kürze beseitigt sein werden«.

Auch in den folgenden Jahren fand das Handelsblatt immer wieder Argumente für den Kapitalexport nach Griechenland, das nicht nur »ein wichtiger Stützpfeiler der NATO«, sondern auch ein »lohnender Markt« sei. Den griechischen Arbeitsmarkt pries das Blatt mit den Worten, die Löhne seien »weiterhin niedrig«.

Die militärische Zusammenarbeit zwischen den beiden NATO-Partnern wurde in den sieben Jahren der Diktatur sehr eng. Westdeutschland lieferte U-Boote, Hunderte Transportflugzeuge, Unmengen an Feuerwaffen der Firmen Heckler & Koch und Rheinmetall und vieles mehr.
Die Bundeswehr durfte griechische Militärflugplätze und einen Raketenschießplatz auf Kreta benutzen. Solche Kooperationen wurden mit der Notwendigkeit begründet, die Südostflanke der NATO zu sichern und zu stärken. Gestärkt wurde das Obristenregime.

Aber als 1974 die Türkei, Griechenlands Nachbar, gleichfalls NATO-Mitglied und weit entfernt davon, Freiheit, Recht und Demokratie zu gewährleisten, den Norden der Republik Zypern besetzte (den sie noch heute besetzt hält) und die griechische Bevölkerung vertrieb, richtete sich der Zorn der Griechen nicht nur gegen die Türken, sondern auch gegen die NATO und gegen die Junta in Athen, die bald abtreten mußte, und das befreite Griechenland löste sich aus der militärischen Zusammenarbeit in der NATO; etliche Jahre widersetzte es sich dem Druck aus Washington und Bonn, bis es sich wieder eingliederte.

Eine ausführliche Darstellung der griechischen Militärdiktatur gibt das Buch »Unser Faschismus nebenan – Erfahrungen bei NATO-Partnern« von Günter Wallraff und Eckart Spoo, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch.

Jochen

Als die GRIECHEN frech geworden… EU-Verlegenheitskommissar Oettinger sollte mal dankbar sein und schön die Klappe halten !

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Ausgerechnet dieser Oettinger, als Energiekommissar ein blander Versager und nun auf einem hoch dotierten Gnadenposten als Dummschwätzer, wo er nicht mehr so viel versemmeln kann – der, der in seinem Schwabenländle einen Sumpf von Korruption hat entstehen lasen, aus dem dann solche Gestalten wie Mappus krochen und Stuttgart 21 möglich machten – ausgerechnet der wirft sich jetzt in die Brust.
Der soll doch dankbar sein, dass ihn die Griechen aufs Pöstchen geholfen haben und nun anteilig sein Gehalt zahlen.
Auf dem Weg in sein Altenteil scheint er der letzte Rest Schamgefühl verloren zu haben.
Guter Kommentar dazu in der jungen Welt:
https://www.jungewelt.de/2015/02-02/049.php
Auszüge:

Notausstieg für Hellas

Entsetzen in Brüssel: Athen widersetzt sich neoliberalem Diktat der Troika

Von Rainer Rupp

Auch eine Woche nach den Wahlen in Griechenland steckt Brüssel weiter in einer Art Schockstarre: Teils entsetzt, teils ratlos reagiert das neoliberale EU-Establishment auf die feste Haltung der neuen Athener Regierung.
EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) schäumte am Wochenende vor Wut und bezeichnete den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras als »frech und unverschämt« – einzig weil dieser, anders als hiesige Politiker, seine Wahlversprechen ernst nimmt. »Die Brüskierung der EU-Institutionen« sei, so Oettinger weiter, »ein bisher einmaliger Vorgang in der Geschichte«.
Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments (EP), warnte den neuen griechischen Premier vor weiteren verbalen Attacken auf die Bundesregierung. Tsipras sei »gut beraten, seine Angriffe auf Bundeskanzlerin Angela Merkel zu beenden«, sagte Schulz der Welt am Sonntag.

VaroufakisEmpört ist man auch darüber, dass der neue Finanzminister Giannis Varoufakis am Freitag den EU-Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem bei dessen Besuch in Athen abblitzen ließ. Dijsselbloem hatte die weitere Kooperation Athens mit dem Kontrollgremium Troika sondieren wollen und bekam von Varoufakis Klartext zu hören: »Mit diesem auf verrotteten Grundlagen errichteten Ausschuss werden wir nicht mehr zusammenarbeiten«, sagte er Medienberichten zufolge. Und fuhr fort, der griechische Staat habe eine Zukunft, werde aber keine »sich selbst verstärkende Krise« aus Deflation und untragbaren Schulden akzeptieren.

In den letzten Jahren hatte der international bekannte Ökonomieprofessor Varoufakis immer wieder darauf hingewiesen, dass die »EU-Rettungspakete« fast ausschließlich an die Finanzkonzerne in anderen EU-Ländern gingen, um dort eine Bankenpleite zu vermeiden. Die Kosten dafür seien aber den griechischen Bürgern aufgebürdet worden.
Dieser Vorwurf wurde jetzt durch eine Untersuchung der griechischen Nachrichtenagentur MacroPolis mit Fakten unterlegt. Demnach sind lediglich zehn Prozent der 240 Milliarden Euro »Rettungsgelder« in Händen der griechischen Regierung verblieben, der Rest ging sofort zurück an ausländische Banken und andere Gläubiger.
Aus Varoufakis‘ Sicht ist das aber nur Teil eines finsteren Gesamtplans.

In einem Interview aus dem Jahr 2010 berichtete er von einem Gespräch mit einem hochrangigen Beamten der Europäischen Zentralbank, der ihm ein Vorhaben internationaler Gläubiger offenbart hatte. Demzufolge sollte Griechenland in eine »dauerhafte Rezession« gestoßen werden, um so drastische Kürzungen von Löhnen, Gehältern und Sozialleistungen durchsetzen und das Land umfassend neoliberal »reformieren« zu können.
Die Troika hat diesen Plan offensichtlich umgesetzt. Nur folgerichtig, dass Varoufakis das laufende »Rettungsprogramm« der Vertreter von EZB, IWF und Europäischer Kommission sofort beenden will, selbst wenn daraus noch Zahlungen ausstehen.

Auch die Drohung von EP-Präsident Schulz, dass bei Nichterfüllung des zwischen der Troika und den vorherigen Regierungen Vereinbarten »kein Geld mehr fließt«, scheint auf Athen keinen Eindruck zu machen. Allerdings wurde am Wochenende Tsipras’ Satz, er wolle »eine für beide Seiten nützliche Einigung erzielen – für Griechenland und für Europa als Ganzes«, weithin zitiert als Beweis für dessen angebliche Bemühungen, die Wogen zu glätten.
Richtig gelesen bedeutet der Satz jedoch:
Nützlich für Griechenland ist nur ein Schuldenschnitt – und für Gesamteuropa nur das Ende der von Berlin verordneten Verarmungspolitik
.

Anmerkung: Also doch wieder eine Anwendung von Naomi Kleins Schock-Strategie.

Jochen

Europas Seele und widerliche Kommentare in der ARD

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Gestern, nach Anschauen der Tagesthemen, ist mir schon wieder der Hals geschwollen.
Von meinen Gebühren bezahlte Regierungspropagandisten dürfen sich mit ihren verdrehungen verbreiten.
Der von mir früher geschätzte Euro-Schulz spielt sich als Oberlehrer in marktbestimmter Postdemokratie auf.
Ich gestatte mir in diesem Zusammenhang nochmals, auf den Appell
„Für eine faire Berichterstattung über demokratische Entscheidungen in Griechenland“ hinzuweisen.
Danke an Klaus, Pia, Gunther für die Unterzeichnung: http://appell-hellas.de/

Heute der passende Artikel dazu:
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59044
Auszüge:

ATHEN/BERLIN
(Eigener Bericht) – Mit massivem Druck nötigt Berlin die neue griechische Regierung zur Preisgabe zentraler politischer Positionen.
Ein Schwerpunkt liegt zunächst darauf, Griechenlands Bemühungen um eine eigenständige Annäherung an Russland zu brechen. Er habe „mit Entsetzen“ registriert, dass Athen sich Sanktionen gegenüber Russland verweigern wolle, erklärt der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD): Er habe „keinen Bock, ideologische Debatten zu führen“. Außenminister Frank-Walter Steinmeier erklärt, er „hoffe“, sein griechischer Amtskollege werde „bei den anstehenden nächsten Debatten im Sinne Europas … entscheiden“. Griechenland unterhält traditionell Beziehungen zu Moskau und leidet schwer unter den Russland-Sanktionen, die unter anderem zahlreiche landwirtschaftliche Kleinbetriebe in den Ruin zu treiben drohen.
Die neue Regierung sucht nun eine gewisse Nähe zu Moskau, um sich ein Gegengewicht gegen die alleinige Dominanz Berlins zu verschaffen. Im deutschen Establishment wird dies nicht toleriert.

Eine Fußnote

Die Auseinandersetzungen um die Haltung der neuen griechischen Regierung zum Machtkampf des Westens gegen Russland hatten sich am Dienstag an einer Stellungnahme aus Athen entzündet. An diesem Tag hatte zunächst die EU in einer offiziellen Erklärung im Namen sämtlicher 28 Mitgliedstaaten behauptet, Russland trage „Verantwortung“ für den Raketenangriff auf Mariupol. Zudem hatte sie indirekt mit der Verhängung neuer Sanktionen gedroht.
Die Erklärung ist offenbar eigenmächtig veröffentlicht worden. Mitarbeiter von EU-Ratspräsident Donald Tusk, der das Papier verantwortet, räumen ein, von der griechischen Regierung über deren ablehnende Haltung in Kenntnis gesetzt worden zu sein. Man habe Athen angeboten, dies in einer Fußnote zu vermerken, dann aber, nachdem eine Fußnote als unzureichend abgelehnt worden sei, Athen ignoriert und die Erklärung publiziert.
Dem Vorgehen kommt eine umso größere Bedeutung zu, als nicht nur Griechenland, sondern auch Österreich, Ungarn und die Slowakei zuvor textliche Änderungen an dem Dokument verlangt hatten – ohne Erfolg.
Die neue griechische Regierung hat dies nun in einer Stellungnahme öffentlich gemacht, die wiederum in Berlin und Brüssel Empörung ausgelöst hat. Derlei Beschwerden habe es „nie zuvor gegeben“, bestätigen EU-Insider.[1]

Keine Lust

Seitdem nimmt der Druck auf die griechische Regierung zu. Er habe „mit Entsetzen“ registriert, dass Athen sich der Brüsseler Erklärung gegenüber Russland verweigere, erklärte der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz. Er habe „keinen Bock, ideologische Debatten zu führen mit einer Regierung, die gerade mal zwei Tage im Amt ist“; die neue Koalition in Athen sei „nicht gut für das Land“.[2]
Vor einem Treffen mit Tsipras drohte der Sozialdemokrat öffentlich: „Ich werde sicherlich Tacheles mit ihm reden“. Nach der Zusammenkunft kündigte er gestern an, es werde „weitere Diskussionen“ geben; die Auseinandersetzung mit Tsipras sei „manchmal anstrengend“ gewesen.[3]
Während Schulz Tsipras schulmeisterte, wurde der griechische Außenminister Nikos Kotzias nach einem Treffen mit Frank-Walter Steinmeier auf einem Treffen mit seinen EU-Amtskollegen zur Zustimmung zu personenbezogenen Sanktionen gegen einige weitere ostukrainische Aufständische genötigt.
Steinmeier gab anschließend ultimativ zu Protokoll, er „hoffe“, Kotzias werde in Zukunft „genug Spielraum aus Athen bekommen, um bei den anstehenden nächsten Debatten im Sinne Europas zu entscheiden“.[4]

Schäden, kein Gewinn

Der massive Druck aus Berlin und Brüssel gilt einem Land, das traditionell enge Beziehungen zu Russland unterhält, vermittelt unter anderem durch religiöse Prägungen der orthodoxen Kirche. Aggressionen wie der NATO-Überfall auf Jugoslawien, die russische Interessen stark schädigten, sind immer wieder auf heftige Proteste in Griechenland gestoßen.
Russland ist zudem 2013 zum bedeutendsten Handelspartner Griechenlands aufgestiegen – noch vor Deutschland. Entsprechend hart treffen die Russland-Sanktionen der EU das Land.

Sollen die Sanktionen Moskau zur Unterordnung unter den Westen zwingen und damit die Hegemonie der westlichen Hauptmächte USA und Deutschland noch weiter nach Osten ausdehnen, so hat Griechenland, ein schwächerer Staat an der EU-Peripherie, von dem Machtkampf keinerlei Einflussgewinn, von den Sanktionen aber höchst schmerzhafte Einbußen zu erwarten.
Tatsächlich treffen allein die russischen Gegensanktionen, die die Einfuhr von Agrarprodukten aus der EU untersagen, bis zu zwei Fünftel der griechischen Russland-Exporte; sie können damit leicht einen Wert von bis zu 200 Millionen Euro erreichen – ein Betrag, den die wohlhabende deutsche Wirtschaft noch verschmerzen könnte, der für das schwer krisengeplagte Griechenland jedoch schwer wiegt.
Bereits die vorige Athener Regierung hatte deshalb Gespräche mit Moskau über mögliche Ausnahmen von den Gegensanktionen geführt.[5]

Auf der Suche nach Alternativen

Die neue griechische Regierung ist nun offenbar nicht mehr bereit, umstandslos die Kosten einer gefährlichen Machtpolitik zu tragen, die dem deutschen Hegemonialzentrum nützt, der EU-Peripherie jedoch einen hohen Preis dafür abverlangt.
Ministerpräsident Alexis Tsipras ist schon im vergangenen Mai zu Verhandlungen in Moskau gewesen; dort habe er sich „gegen die weitere Expansion der NATO nach Osten und für eine konstruktive Politik der EU gegenüber der Ukraine und Russland“ ausgesprochen, heißt es.[6]
In Berlin ist sorgsam registriert worden, dass Tsipras sich am Montag keine zwei Stunden nach seinem Amtsantritt mit dem Botschafter Russlands in Griechenland traf – als erstem Vertreter eines fremden Staats. Gute Beziehungen nach Moskau werden vor allem auch Außenminister Nikos Kotzias nachgesagt.
Russland hat seinerseits mehrfach angekündigt, die gegen die EU verhängten Gegensanktionen für Griechenland umgehend aufzuheben, sollte das Land wegen der Eurokrise die EU verlassen müssen.
Beobachter stellen fest, dass auch die jüngsten russischen Alternativpläne für das gestoppte Pipelineprojekt „South Stream“ für Griechenland günstig sind: Sie sehen den Bau einer Erdgas-Verteilerstation an der türkisch-griechischen Grenze vor und würden Griechenland in gewissem Umfang zur Erdgas-Drehscheibe aufwerten.[7]

„Putin-Bewunderer, Chinafreund, Deutschlandhass“

Schon die erste Unbotmäßigkeit gegenüber Berlin hat genügt, um die neue griechische Regierung einer massiven Medienkampagne auszusetzen. Über Außenminister Kotzias schreibt eine führende deutsche Tageszeitung unter Berufung auf eine anonyme angebliche Quelle, er sei „Nationalist, Putin-Bewunderer, Chinafreund und einer der Chefideologen des Deutschlandhasses“.[8]
In der Internet-Ausgabe einer bekannten Wochenzeitung wird die griechische Regierung umstandslos als „Putins Trojaner“ denunziert: „Den Griechen und dem Rest der EU ist jetzt nur eins zu wünschen: Dass diese Athener Regierung sich an ihrer inneren Widersprüchlichkeit und äußeren Absurdität möglichst schnell selbst zerlegt“.[9]
Der Autor des Beitrags, der in den Jahren 2012 und 2013 an der Erstellung eines offiziösen Grundlagenpapiers für die deutsche Außenpolitik mitgewirkt hat (german-foreign-policy.com berichtete [10]), warnt, sollte die Athener Regierung die Zusammenarbeit mit Moskau fortsetzen, seien die „Integrität“ und die „Seele Europas“ bedroht.

Keine Eigenständigkeit

„Europas Integrität“ und „Europas Seele“ verlangen demzufolge von der EU-Peripherie die Preisgabe eigenständiger Traditionen und eigener Handlungsspielräume zugunsten der Unterordnung unter eine deutsch geprägte Aggressionspolitik.
Beide bedroht es hingegen nicht, fremde Staaten mit Krieg zu überziehen (Libyen) oder Kriege dort zu unterstützen (Syrien), Foltergefängnisse auf eigenem Territorium zu dulden (Polen, Rumänien) oder Beihilfe zu Verschleppung und Folter Verdächtiger sowie zu Drohnen-Exekutionen ohne Gerichtsurteil zu leisten (Deutschland, german-foreign-policy.com berichtete [11]).

Die Weltmachtpolitik, der all dies entspringt, mit einer eigenständigen Außenpolitik in Frage zu stellen – das ist in der deutsch dominierten EU nicht erlaubt.

[1] Andrew Rettman: Greece says No to EU statement on Russia. euobserver.com 27.01.2015.
[2] „Griechenland muss EU respektieren“. www.tagesschau.de 29.01.2015.
[3] Wie Europa Tsipras zähmen will. www.spiegel.de 29.01.2015.
[4] Barbara Wesel: EU-Treffen zu Russland-Sanktionen: Lauer Kompromiss und keine Blockade. www.dw.de 29.01.2015.
[5] Thomas Bormann: Die Erben des Sisyphos. www.tagesschau.de 08.08.2014.
[6] Glückwünsche von Putin. orf.at 29.01.2015.
[7] S. dazu Die geplatzte Pipeline.
[8] Michael Martens: Tsipras bildet Kabinett in Rekordzeit. Frankfurter Allgemeine Zeitung 28.01.2015.
[9] Jochen Bittner: Putins Trojaner. www.zeit.de 29.01.2015.
[10] S. dazu Die Neuvermessung der deutschen Weltpolitik.
[11] S. dazu Mitwisser und Profiteure, Perioden des „Anti-Terror-Kriegs“ und Die Phase der gezielten Tötungen.

Jochen