Washington und Berlin fordern Flugverbotszone für Syrien – nach Angriff unter falscher Flagge?

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Eine gewisse Regelmäßigkeit fraglicher Angriffe, die der syrischen oder russischen Armee zugeschoben werden, fällt auf, jeweils passend vor einer UN-Vollversammlung.
Dass das dort eingesetzte Nervengas Sarin nicht von der syrischen Armee, sondern aus den Beständen von (der früher von den USA unterstützten) al-Nusra stammte“, hat außer einer kleinen Randnotiz hier in der Presse auch noch keine Erwähnung gefunden. Niemand schämt sich, niemand entschuldigt sich für die Falschmeldung, die fast zu einem Weltkrieg geführt htte.
http://www.hintergrund.de/201609224118/politik/welt/syrien-washington-und-berlin-fordern-flugverbotszone.html

Den unaufgeklärten Angriff auf einen UN-Hilfskonvoi nehmen Washington und Berlin zum Anlass, auf die Einrichtung einer Flugverbotszone in Syrien zu drängen

Von REDAKTION, 22. September 2016

Während der gegenwärtig in New York tagenden UN-Vollversammlung machen sich die Konfliktparteien gegenseitig für ein Scheitern der Waffenruhe in Syrien verantwortlich. Aufgeheizt wird die Debatte durch einen in der Nacht zu Dienstag erfolgten Angriff auf einen UN-Hilfskonvoi, bei dem über zwanzig Menschen getötet worden sein sollen.

Der aus Fahrzeugen der UN und des Syrischen Arabischen Roten Halbmondes (SARC) bestehende Konvoi war aus dem von der Regierung kontrollierten Westteil Aleppos gestartet, wo er zuvor tagelang festsaß, bevor Damaskus schlielich grnes Licht fr die Weiterfahrt in die von Aufstndischen kontrollierte Kleinstadt Urum al-Kubra erteilte. Nach seiner Ankunft an einem dort befindlichen SARC-Lager, wo die Hilfsgüter entladen werden sollten, erfolgte der Angriff. Bei diesem sind nach Angaben von Hilfsorganisationen 18 der insgesamt 31 Lastwagen zerstört worden.

„Alle unsere Informationen besagen eindeutig, dass dieses ein Luftangriff war, für den nur zwei Einheiten verantwortlich sein können: das syrische Regime oder die russische Regierung“, sagte der stellvertretende Sicherheitsberater von US-Prsident Barack Obama, Ben Rhodes, am Dienstagabend in New York. „Auf jeden Fall machen wir Russland für Luftangriffe in dieser Gegend verantwortlich“, sagte Rhodes.

Es werde nach einer vorlufigen Einschätzung davon ausgegangen, dass russische Kampflugzeuge den UN-Konvoi angegriffen haben, zitierte CNN dann zwei US-Regierungsvertreter, die nicht namentlich genannt wurden. Alle Beweise, die wir haben, deuten auf diese Schlussfolgerung hin, sagte einer der beiden dem US-Sender. Um welche Beweise es sich dabei handeln soll, wurde nicht mitgeteilt.

Das Außenamt in Moskau wies die Anschuldigungen strikt zurck. „Mit Empörung nehmen wir die Versuche (…) wahr, der russischen und der syrischen Luftwaffe die Verantwortung fr den Zwischenfall zu geben“, hieß es nach Angaben der Agentur Interfax in einer Mitteilung. Für solche Anschuldigungen gebe es keine Beweise. „Das Militär wird die Vorgänge vom 19. September prüfen, um alle Details zu klären“, hieß es weiter.

Im Einklang mit den USA hat sich auch die Bundesregierung unverzüglich festgelegt, wer die Schuld an dem Angriff trgt. Kanzlerin Angela Merkel verurteilte diesen scharf. Offensichtlich besteht auf seiten des Regimes und seiner Verbündeten kaum Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts, ließ sie über die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer am Mittwoch verkünden.

Schuldzuweisung mit Widersprüchen

Russland hatte die Fahrt des Konvois mittels einer Aufklrungsdrohne bis zur Ankunft in Urum al-Kubra berwacht, woraufhin der Drohneneinsatz abgebrochen wurde. Entsprechendes Bildmaterial hatte das russische Verteidigungsministerium am Dienstag verffentlicht. Damit hat sich Moskau selbst überführt. zumindest wenn man der Argumentation  von Spiegel-Autor Christoph Sydow folgt, der in den Aufnahmen einen Beweis für Moskaus (Mit-)Täterschaft erkannt haben will: „Und vieles deutet auf einen gezielten Angriff durch die syrische oder russische Luftwaffe hin: Eine russische Drohne, die den Waffenstillstand in Aleppo und Umgebung berwachen sollte, filmte die Lastwagen, nachdem sie am östlichen Stadtrand von Urum al-Kubra eingetroffen waren. Der russische Staatssender  RT stellte die Bilder live ins Internet. Darauf sind die Fahrzeuge deutlich zu erkennen. Das legt den Schluss nahe, dass die Angreifer ganz genau wussten, wen sie treffen.“

Diese Schlussfolgerung liegt allerdings nur demjenigen nahe, der zuvor bereits wie der Autor des zitierten Artikels den Schluss gezogen hat, dass die Verantwortlichen des Drohneneinsatzes mit den Angreifern identisch sein müssen.
Wenn
die russische Luftwaffe den Hilfskonvoi bombardiert hat, dann wusste sie ganz genau, wen sie trifft – nur müsste gerade das zunächst bewiesen werden, um eine solche Schlussfolgerung zu ziehen.

Ähnlich schwach fehlt die Begründung aus, warum die USA nicht für den Angriff verantwortlich sein können:
„Für den Luftschlag kommen nur Assads Truppen und ihre russischen Verbündeten in Frage, denn die Anti-IS-Koalition der USA ist in dem Gebiet nicht aktiv weil Urum al-Kubra und Umgebung nicht unter Kontrolle des „Islamischen Staats“ (IS) stehen, das IS-Territorium liegt zig Kilometer entfernt.“

Hier wird unterschlagen, dass die US-Luftwaffe in Syrien zwar vornehmlich, aber nicht ausschlielich den IS ins Visier nimmt. Schon die ersten im September 2014 in Syrien durchgefhrten Luftschlge der US-geführten Koalition waren nicht allein dem IS vorbehalten, sondern richteten sich auch gegen die Nusra-Front und ihrem Ableger, der Khorasan-Gruppe.

Im April dieses Jahres führte das US-Militär beispielsweise einen Luftschlag „gegen ein Treffen führender Al-Kaida-Mitglieder im Nordwesten Syriens durch, zahlreiche Feinde wurden getötet“wie ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums erklärte die genannten Angriffsziele lagen alle zig Kilometer vom IS-Territorium entfernt.

Zum Zeitpunkt des Angriffs auf den UN-Konvoi soll Moskau zufolge eine US-Kampfdrohne vom Typ Predator das Gebiet in 3600 Meter Höhe überflogen haben, die vom Stützpunkt Incirlik in der Türkei aufgestiegen sei.
Das knne mit Daten der Luftaufkälrung objektiv belegt werden, so das russische Verteidigungsministerium – Washington bestreitet diese Darstellung.

„Ich sage nicht, dass die USA den Konvoi bombardiert haben“, äußerte sich der Vizechef des Verteidigungsausschusses in Moskau, Franz Klinzewitsch. „Aber es ist klar, dass sie den Konvoi schamlos für einen Informationskrieg benutzen“, kritisierte er.
Russlands Außenminister Sergei Lawrow drängte am Mittwoch im UN-Sicherheitsrat auf eine eingehende und unabhängige Untersuchung des Vorfalls, den er als „inakzeptable Provokation“ bezeichnete.

„Ich schaue mir Möglichkeiten an, um diese und andere Gräueltaten gegen Zivilisten energisch zu untersuchen“, sagte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon am Mittwoch vor dem UN-Sicherheitsrat. Der Angriff sei eine Schandtat gewesen.

Indes ist noch unklar, ob dieser überhaupt aus der Luft erfolgte. Zumindest sät Moskau Zweifel an dieser Darstellung: „Wir haben Videoaufzeichnungen geprft und keine Anzeichen festgestellt, dass die Wagenkolonne von Munition – welcher Art auch immer – getroffen wurde. Zu sehen sind keine Bombentrichter, die Wagen weisen keine Schäden durch eine Druckwelle auf. Alles, was wir im Video gesehen haben, ist eine direkte Folge eines Brandes„, erklärte Generalmajor Igor Konaschenkow.

Aus bisher veröffentlichtem Bildmaterial lässt sich jedenfalls nicht zwingend schließen, dass der Angriff aus der Luft erfolgte –  ausschließen lsst sich das jedoch auch nicht. Die UN spricht daher lediglich von einem Angriff.
„Wir sind nicht in der Lage festzustellen, ob es sich tatschlich um einen Luftangriff gehandelt hat“, sagte UN-Sprecher Jens Laerke am Dienstag.

Widersprüchlich sind die Angaben, wie der Luftangriff erfolgt sein soll. Hussein Badawi, der den Syrischen Zivilschutz (Weißhelme *) in Uram al-Kubra leitet, sprach von einem Angriff durch Raketen und Hubschrauber, die Fassbomben abgeworfen hätten. Die Attacke habe sich über Stunden hingezogen.
Das Pentagon hingegen behauptet inzwischen, zwei russische Bomber vom Typ SU-24 hätten den Angriff geflogen, der zwei Stunden angedauert habe.

Angriff unter falscher Flagge?

Angesichts der Unmöglichkeit, die sich widersprechenden Aussagen und Vorwürfe überprfen zu können, drängt sich dem außenstehenden Beobachter die Frage nach einem möglichen Motiv geradezu auf, um zu einer besseren Einschätzung des Sachverhalts kommen zu können.
Und so stellt sich die Frage, aus welcher Absicht heraus Moskau einen UN-Hilfskonvoi angreifen sollte? Immerhin riskiert Russland in Syrien das Leben eigener Soldaten, um Transporte mit UN-Hilfsgütern zu ermöglichen.

Ein plausibles Motiv fehlt auch im Fall der syrischen Armee. Wenn diese mit dem Angriff verhindern wollte, dass der Konvoi sein Ziel erreicht, dann hätte sie ihn einfach gar nicht erst losfahren lassen mssen. #
Die Frage nach einem begründbaren Motiv wird von hiesigen Politikern und Leitmedien aber gar nicht erst gestellt. Moskau und Damaskus gehren ohnehin zu den Bösen, denen traut man auch zu, dass sie grundlos einen Hilfskonvoi plattbomben und damit einmal mehr der Weltöffentlichkeit den Beweis liefern, wie bsartig sie sind.

Für die USA hingegen kommt der Angriff auf den Konvoi geradezu wie gerufen.
Am Wochenende bombardierte die US-Luftwaffe Stellungen der syrischen Armee, bei der ber achtzig Soldaten getötet wurden, die einen Angriff des Islamischen Staat abwehren wollten. Die Schützenhilfe für die Terrormiliz ist nun kaum noch ein Thema.

Ebenso kann Washington davon ablenken, darüber hinaus maßgeblich für das Scheitern der Waffenruhe verantwortlich zu sein. Diese sah vor, dass die USA Druck auf die von ihr unterstützten „moderaten Rebellen“ ausüben, sich von den Dschihadisten der Fatah al-Sham (ehemals al-Nusra Front) zu distanzieren. Dazu ist es jedoch nicht gekommen. Der Anführer der „Armee der Eroberer“ – ein Rebellenbündnis, dem neben Fatah al-Sham auch moderate Kampfgruppen angehören – verhöhnte Washington kürzlich in einem Fernsehinterview. Die nicht erfolgte Distanzierung der „Moderaten“ von Fatah al-Sham bezeichnete Abullah Muhaysani darin als Ohrfeige für US-Außenminister John Kerry und all jene, die die verschiedenen Fraktionen gegeneinander aufhetzen wollten.

Dass Washington aus dem Angriff auf den Hilfskonvoi Vorteile schlagen kann, ist natürlich kein Beweis für eine Täterschaft. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass Rebellen auf eigene Faust einen Angriff unter falscher Flagge durchführten wie schon so oft im Verlaufe des Krieges.

Der Nahostexperte und Publizist Jürgen Todenhöfer (Inside IS) bezeichnete die Vorgehensweise, gezielt Zivilisten zu töten und diese anschließend als Opfer der Regierung auszugeben, als „Massaker-Marketing-Strategie“. Diese gehörezum Widerlichsten, was ich in kriegerischen Auseinandersetzungen jemals erlebt habe.“

Vorlufiger Höhepunkt des „Massaker-Marketings“ war der Giftgaseinsatz im August 2013 in Ghuta bei Damaskus, bei dem hunderte Menschen starben, und der beinahe eine direkte militrische Intervention der USA zur Folge gehabt htte. „Obama ließ einen Schlag mit seegestützten Cruise Missiles planen“, heisst es diesbezüglich in einem vor drei Wochen erschienen Artikel der Welt.
Eine vom britischen Nachrichtendienst vorgenommene Analyse des verwendeten Sarins habe jedoch ergeben, dass es sich nicht um Sarin des syrischen Regimes handeln konnte, sondern dieses aus den Beständen von al-Nusra stammte.
„Obama jedenfalls ließ seinen Plan fallen“, so der Artikel. Eine Fülle von Indizien weist in Richtung der Assad-Gegner als Urheber des Chemiewaffeneinsatzes  – entsprechende Konsequenzen seitens des Westens blieben allerdings aus.

„Ist Ihnen eigentlich nie aufgefallen, dass vier Massaker, die die Rebellen in den letzten vier Monaten der Regierung unterschieben wollten, teilweise unmittelbar vor oder während einer Sitzung des Uno-Sicherheitsrats stattfanden?“, fragte Todenhöfer seinen Kontrahenten in einem im Sommer 2012 vom Spiegel veröffentlichten Streitgespräch.

Pünktlich, so ließe sich daran anknüpfend sagen, erfolgte der Angriff auf den Hilfskonvoi zum Beginn der UN-Vollversammlung. John Kerry nutzte jedenfalls die Gunst der Stunde, um erneut auf die schon lange gewnschte Einrichtung einer Flugverbotszone ber den Gebieten zu drängen, die von den Aufständischen kontrolliert werden.

Kaum hatte der US-Außenminister seine Forderung nach einem Flugverbot ausgesprochen, eilte Berlin nach: „Wenn der Waffenstillstand überhaupt noch eine Chance haben soll, führt der Weg nur über ein zeitlich begrenztes, aber vollständiges Verbot aller militrischen Flugbewegungen ber Syrien mindestens für drei, besser für sieben Tage“, erklärte Außenminister Frank-Walter Steinmeier.
Er begründete seinen Vorschlag damit, dass mit einem solchen Flugverbot die Vereinten Nationen die Mglichkeit hätten, ihre Hilfslieferungen fr die notleidenden Menschen in Syrien wieder aufzunehmen.
Für eine Flugverbotszone sei es „allerhöchste Zeit“, erklärte auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen. Er forderte, dass nun auch Russland zur Verantwortung gezogen werde und solch einer Flugverbotszone zustimmen sollte.

Auch die Grünen-Politikerin Franziska Brantner untersttzt dieses Anliegen und brachte bei dieser Gelegenheit implizit den Einsatz von Bodentruppen ins Spiel: „Eine Flugverbotszone brächte wenig, wenn zwar vorbergehend nicht bombardiert wrde, Hunderttausende Menschen aber weiter ausgehungert würden“, so Brantner.

Die Begründung des Außenministers hinkt jedoch: Es war nicht die syrische Armee, sondern die vom Westen unterstützten Aufständischen, die die im Waffenstillstandsabkommen vereinbarten UN-Hilfslieferungen nach Aleppo blockierten.
Russlands Vizeaußenminister Sergej Rjabkow erteilte der Forderung nach einer Flugverbotszone bereits eine Absage: „Diese Initiative ist zumindest im Moment nicht umsetzbar“, sagte er am Donnerstag gegenüber Interfax. Zunächst müssten die USA und ihre Partner Druck ausüben „auf jene Kräfte, die denken, dass nur Krieg das Problem lösen kann.“

(mit dpa)

* Die Weißhelme sind eine eng mit den Aufständischen kooperierende Hilfsorganisation, die von westlichen Regierungen finanziert wird. Kritiker – wie jüngst chinesische Staatsmedien – werfen ihr vor, sich nicht von Terrorgruppen abzugrenzen und Propaganda für die Aufständischen zu betreiben.

Die Nukleardebatte der NATO: Atomwaffenverzicht „unrealistisch“ !

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Nein_zur_Nato_DDR1957Schlimme Neuigkeiten, die sich aber in das Gesamtmosaik einfügen, eine Großbedrohungslage zu erzeugen für die ganze Welt. Was wäre mit Nordkorea passiert, wenn der Staat keine Atomaufrüstung betreiben würde ?Was folgt aus einer solchen Logik, wenn das Pattsystem der großen Blöcke nicht mehr funktioniert ?
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59281
Auszüge:

BERLIN (Eigener Bericht) – Im Vorfeld des für Mitte dieses Jahres anberaumten NATO-Gipfels in Warschau diskutieren deutsche Militärs und Think-Tanks den Einsatz von Atomwaffen gegen Russland. Die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) etwa wirft Moskau eine „neo-imperiale Aggression“ gegen Osteuropa vor und fordert eine Wiederbelebung der Strategie der „nuklearen Abschreckung“.
Die Idee einer atomwaffenfreien Welt müsse als „unrealistisch“ betrachtet werden, heißt es – schließlich sei es „nicht der primäre Daseinszweck einer Nuklearwaffe, abgerüstet zu werden“. Ähnlich äußert sich auch die regierungsnahe Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Hier wendet man sich insbesondere gegen ein von einer Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen gefordertes generelles Atomwaffenverbot. Ein solcher „Verbotsvertrag“ stehe „im Widerspruch zur Rolle der Nato als ’nukleare Allianz'“, heißt es. „Denkbar“ sei vielmehr, dass „konventionelle und nukleare Fähigkeiten stärker verknüpft“ und Kernwaffen künftig verstärkt „in Übungsszenarien einbezogen“ werden.

Atomwaffenverzicht „unrealistisch“

Nach Auffassung des militärpolitischen Think-Tanks der Bundesregierung, der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), muss die „Nuklearstrategie“ der NATO „neu diskutiert“ werden – „mit Blick auf Russland„.[1]
Zur Begründung wird auf eine vermeintlich „neo-imperiale Aggression“ Moskaus gegen Osteuropa verwiesen: „Russland hat sich endgültig aus der Partnerschaft [mit der NATO] zurückgezogen und definiert sich selbst als anti-westliche Macht.“ Hieraus ergebe sich sowohl die „Forderung nach kürzeren Reaktionszeiten“ für den Einsatz von Atomwaffen als auch die Notwendigkeit „verstärkter Übungstätigkeit“ im „Nuklearbereich“.
Es entbehre dabei nicht einer „gewissen Ironie“, dass beides auf dem für Anfang Juni anberaumten Warschauer NATO-Gipfel thematisiert werden solle, wo der US-amerikanische Präsident Barack Obama „seinen Abschied von der NATO“ gebe, erklärt die BAKS. Schließlich sei es Obama gewesen, der 2009 den Friedensnobelpreis „für die aus heutiger Sicht unrealistische Idee von der nuklearwaffenfreien Welt“ erhalten habe.[2]

Die Renaissance der Abschreckung

Schon Anfang vergangenen Jahres hatte die BAKS konstatiert, dass die „Frage der nuklearen Abschreckung“ nach zwei Jahrzehnten relativer Marginalisierung nun wieder im „Vordergrund“ stehe. Zur Begründung wurde nicht nur auf die vermeintliche russische „Aggression gegen die Ukraine“ verwiesen, sondern auch auf „atomare Drohgebärden Moskaus“.
So habe Russland sein Atomwaffenarsenal „stetig verstärkt und verbessert“ und beziehe es zudem in „militärische Gedankenspiele“ ein, hieß es. 2009 etwa habe Moskau „Kernwaffeneinsätze gegen Polen simuliert“; seit dem Beginn des Bürgerkriegs in der Ukraine fänden entsprechende Manöver nun „nahezu im Monatsrhythmus“ statt.
In dieser Situation erfahre die NATO-Doktrin der „nuklearen Abschreckung“ eine „Renaissance“, erklärte die BAKS – wie in Zeiten des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion seien westliche Atomwaffen einmal mehr ein „Mittel zur Kriegsverhinderung“.[3]

Rüstungskontrolle „nachgeordnet“

Wie die BAKS weiter ausführte, könne sich die NATO dabei ganz auf die „Bündnisverantwortung“ Deutschlands verlassen. So werde die Bundeswehr weiterhin „nukleare Trägersysteme“ für die auf deutschem Boden stationierten US-Atomwaffen vorhalten – „selbst wenn dies mit höheren Kosten verbunden ist“.[4]
Passend dazu beteiligt sich die deutsche Luftwaffe regelmäßig an sogenannten SNOWCAT-Übungen („Support for Nuclear Operations With Conventional Air Tactics“), bei denen die Besatzungen der Kampfjets vom Typ „Tornado“ den Abwurf von Atombomben trainieren.
Die auf dem Fliegerhorst des Taktischen Luftwaffengeschwaders 33 im rheinland-pfälzischen Büchel lagernden Kernwaffen der US-Armee sollen in den nächsten Jahren mit neuen, hochpräzise lenkbaren Atomsprengköpfen ausgestattet werden . Diese verfügen über ein hochmodernes Zielerfassungssystem und haben zusammen eine Zerstörungskraft, die dem 80-fachen der Bombe entspricht, die die USA 1945 auf die japanische Stadt Hiroshima abgeworfen haben. Folgerichtig ist laut BAKS denn auch die „nukleare Rüstungskontrolle“ dem Ausbau des westlichen Atomwaffenarsenals „eindeutig nachgeordnet“: „Es ist nicht der primäre Daseinszweck einer Nuklearwaffe, abgerüstet zu werden.“[5]

Den Atomkrieg üben

Analog zur BAKS äußerte sich kürzlich die regierungsnahe Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). „Denkbar“ sei etwa eine „engere Einbindung von Kernwaffen“ in die Planungen der NATO, „indem konventionelle und nukleare Fähigkeiten stärker verknüpft werden„, heißt es. Zudem könnten „nuklearwaffenfähige Systeme in Übungsszenarien einbezogen“ sowie „häufigere und realitätsnähere Manöver abgehalten“ werden. Darüber hinaus bestehe die Möglichkeit, den Zeitraum deutlich zu verkürzen, „innerhalb dessen die in Europa stationierten US-Atomwaffen einsatzbereit sind“. Wie die BAKS spart auch die SWP dabei nicht mit eindeutigen Schuldzuweisungen: Die genannten Maßnahmen folgten lediglich dem „russischen Beispiel“, erklärt der Think-Tank.[6]

Nukleare Allianz

Besonderes Augenmerk widmet die SWP einer von den UN eingerichteten Arbeitsgruppe, die sich zum Ziel gesetzt hat, die internationale Ächtung von Atomwaffen noch im laufenden Jahr in Form eines „Verbotsvertrages“ maßgeblich voranzutreiben. Eine deutsche Beteiligung an der besagten „Open-ended Working Group“ (OEWG) sei „nicht ohne Risiko“, heißt es – bestehe doch die Möglichkeit, „dass Deutschland von den Befürwortern eines Verbotsvertrags vereinnahmt wird“. Damit würde Berlin „von Partnern und Verbündeten isoliert“, da jede Regelung, die die „atomare Abschreckung“ in Frage stelle, im „Widerspruch zur Rolle der NATO als ’nukleare Allianz‘“ stehe.[7]
Die Bundesregierung hat sich an diesem Punkt indes bereits eindeutig festgelegt: Vom Verteidigungsministerium mit der Erstellung eines neuen „Weißbuchs“ beauftragte Expertengremien forderten schon Mitte vergangenen Jahres die NATO auf, ihre im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion entwickelte Doktrin der atomaren „Abschreckung“ neu zu beleben – zwecks Abwehr der vermeintlich von Russland ausgehenden „Bedrohungen im Osten“ (german-foreign-policy.com berichtete [8]).

Der richtige Mix

Entsprechend haben sich mittlerweile auch führende deutsche Militärs und Hochschullehrer geäußert. In einem zum Jahreswechsel erschienenen Interview mit der deutschen Presse erklärte etwa der Bundeswehrgeneral Hans-Lothar Domröse, Oberbefehlshaber der NATO-Kommandozentrale im niederländischen Brunssum, die Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin bereite ihm „große Sorgen“: „Wir müssen jetzt sehr genau beobachten, ob wir, die NATO, nicht zu klein werden und er zu groß. Wenn das Verhältnis zueinander nicht mehr stimmt, besteht die Gefahr, dass Abschreckung ins Wanken kommt.“ Nuklearwaffen wiederum gehörten „zur Abschreckung dazu“.[9]
Fast zeitgleich bekannte sich Carlo Masala, Professor für Politologie an der Bundeswehruniversität München, in einem Medienbeitrag zur Strategie der atomaren „Abschreckung“ gegenüber Russland. Diese müsse allerdings von „Kooperationsangeboten“ flankiert werden, erklärte der Wissenschaftler – entscheidend sei der „richtige Mix“.[10]

[1] Karl-Heinz Kamp: Das atomare Element im Russland-Ukraine-Konflikt. Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Arbeitspapier Sicherheitspolitik 3/2015.
[2] Karl-Heinz Kamp: Die Agenda des NATO-Gipfels von Warschau. Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Arbeitspapier Sicherheitspolitik 9/2015.
[3], [4], [5] Karl-Heinz Kamp: Das atomare Element im Russland-Ukraine-Konflikt. Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Arbeitspapier Sicherheitspolitik 3/2015.
[6], [7] Oliver Meier: Deutschland und die nukleare Abschreckung. Zwischen Ächtung und Aufwertung von Atomwaffen. SWP-Aktuell 97, Dezember 2015.
[8] Siehe dazu Modernes Strategieverständnis (III) und Modernes Strategieverständnis (IV).
[9] Deutscher Nato-General sieht Machtbalance in Gefahr. www.focus.de 30.12.2015.
[10] Carlo Masala: Drei großen Problemen muss sich Deutschlands Außenpolitik 2016 unbedingt stellen. www.focus.de 02.01.2016.

 

Wir als Friedensbewegung müssen uns insgesamt und unter Einschluss aller, die sich betroffen fühlen, dieser neuen Aufrüstung entgegen stellen !

AtombombenexplosionAktueller Nachtrag hier: https://josopon.wordpress.com/2018/06/15/atomkrieg-ist-eine-dumme-idee-der-nukleare-winter-droht/

Jochen

Himmlischer Segen: Wie die IS-Revolution stark gebombt wird.

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Ein sehr lesenswerter Artikel aus den USA, hier auf Deutsch:IPGlogo
http://www.ipg-journal.de/schwerpunkt-des-monats/religion-und-politik/artikel/detail/himmlischer-segen-1177/
Dazu wäre noch anzumerken:
Es fehlt völlig der Gesichtspunkt, den IS von seinen Finanzierungsquellen abzuschneiden, die in Gestalt von Öl-, Waffen-, und Menschenhandel über die Türkei, Saudi-Arabien, Qatar u.a. sprudeln.
Es fehlt auch der Gesichtspunkt, dass weder die USA noch die türkische Regierung den IS völlig vernichten wollen, weil sie dessen Bedrohungspotential gegen die rechtmäßig gewählte Regierung Syriens einerseits, gegen die Kurden andererseits noch brauchen. Aus diesem Grund lassen beide auch einen kontinuierlichen Strom von Waffen in das Krisengebiet zu.

Die seitens der UN unterstützten diplomatischen Konfliktbeilegungsversuche unter Einschluss der Regierung Syriens wurden seitens der NATO und Saudi-Arabien untergraben. Um so zynischer und verlogener sind nun die „Bemühungen“ der deutschen Regierung um eine „diplomatische Lösung“.

Die Parallelen zwischen der islamistischen „Revolution“ und denen in Frankreich, Russland, China und Kuba kann nur jemand ziehen, der von der materialistischen bewegungskraft der Geschichte nun wirklich völlig unbeleckt und weltfremd ist, wie leider die Mehrzahl der US-Intellektuellen.

Und hier auszugsweise der Artikel:

Die brutale Taktik und der religiöse Extremismus des sogenannten Islamischen Staates (IS) wirken auf den Betrachter schockierend und brandgefährlich. Den Aussagen ihrer Anführer zufolge will die Gruppe Ungläubige eliminieren, weltweit die Scharia einführen und die Wiederkehr des Propheten beschleunigen. Die Fußsoldaten des Islamischen Staates verfolgen diese Ziele mit erstaunlicher Grausamkeit.
Doch anders als die ursprüngliche Al-Kaida, die sich wenig für die Kontrolle von Gebieten interessierte, versucht der IS in den von ihm besetzten Gebieten auch die Grundlagen für einen echten Staat zu legen. Er hat eine klare Zuständigkeitshierarchie ebenso eingerichtet wie ein Steuer- und Bildungssystem und einen ausgeklügelten Propagandaapparat. Der IS mag sich selbst als »Kalifat« bezeichnen und das derzeitige internationale Staatensystem ablehnen, aber seine Führer haben genau das im Sinn: einen Territorialstaat.

Doch der Islamische Staat ist beileibe nicht die erste extremistische Bewegung, die einen Hang zur Gewalt mit vollmundige Zielen und Gebietskontrolle verbindet. Ungeachtet der religiösen Dimension ist die Gruppe nur die jüngste in einer langen Reihe staatenbildender Revolutionäre und ähnelt in verblüffender Weise den Regimes, die aus den Revolutionen in Frankreich, Russland, China, Kuba, Kambodscha und dem Iran hervorgingen. Diese Bewegungen standen vorherrschenden internationalen Normen ebenso ablehnend gegenüber wie der Islamische Staat heute, und auch sie setzten skrupellos Gewalt ein, um ihre Gegner auszuschalten oder einzuschüchtern und der Welt ihre Macht zu demonstrieren.

Bei der Betrachtung des Islamischen Staats wirkt der Blick auf frühere Episoden durchaus beruhigend. Sie zeigen, dass Revolutionen nur dann eine ernsthafte Gefahr darstellen, wenn sie sich in Großmächten vollziehen, da nur Großmächte in der Lage sind, ihre revolutionären Prinzipien zu verbreiten. Der Islamische Staat wird nicht einmal annähernd zu einer Großmacht aufsteigen, und obwohl er, genau wie frühere Revolutionen auch, Sympathisanten im Ausland gewonnen hat, ist seine Ideologie zu eng, seine Macht zu begrenzt, als dass ihm außerhalb Iraks und Syriens eine ähnliche Machtübernahme gelingen könnte.

Die Geschichte lehrt uns auch, dass Bemühungen von außen, einen revolutionären Staat zu stürzen, oft nach hinten losgehen, weil sie die Hardliner stärken und ihnen zusätzliche Chancen für eine Expansion eröffnen. Die aktuellen Bemühungen der USA, den Islamischen Staat, wie die Regierung Obama es ausdrückt, zu »erodieren und letztlich zu zerstören«, könnte das Ansehen der Extremisten heben und ihre Darstellung vom islamfeindlichen Westen sowie ihre Selbststilisierung als eiserne Verfechter des Islam stärken. Besser wäre es, wenn die USA im Hintergrund geduldig abwarteten, dass Akteure in der Region der Gruppe Einhalt gebieten. Für diesen Ansatz muss man den Islamischen Staat als das nehmen, was er ist: eine kleine und schlecht ausgestattete revolutionäre Bewegung, die zu schwach ist, als dass sie die Sicherheit ernsthaft bedrohen könnte, sieht man einmal von der Sicherheit der unglücklichen Menschen ab, die unter ihrem Machteinfluss leben.

Wenn Extremisten die Macht übernehmen

Weil Revolutionäre in brutalen Kämpfen gigantische Hindernisse zu überwinden haben, brauchen ihre Anführer reichlich Glück, um ein Regime zu stürzen und anschließend ihre Macht zu konsolidieren. Sie müssen zudem ihre Anhänger dazu bringen, dass sie sich in große Gefahr begeben und ihre natürliche Neigung überwinden, andere für die Sache kämpfen und sterben zu lassen.

Revolutionäre Bewegungen bedienen sich meist einer Kombination aus Verführung, Einschüchterung und Indoktrination, um Gehorsam durchzusetzen und die Opferbereitschaft zu heben, genau wie es der Islamische Staat gerade tut. Insbesondere liefern sie Ideologien, mit denen sie ihre extremen Methoden rechtfertigen und ihren Anhängern versichern, dass ihre Opfer Früchte tragen werden. Die spezifischen Inhalte dieser Ideologien variieren, doch immer geht es darum, die Anhänger davon zu überzeugen, dass die bestehende Ordnung ersetzt werden muss und ihr Kampf am Ende zum Erfolg führt. Revolutionäre Ideologien tun dies auf dreierlei Weise.

Erstens werden die Gegner als bösartig, feindlich und reformunfähig dargestellt. Weil Kompromisse unmöglich sind, muss die alte Ordnung zerstört und ersetzt werden. Der Islamische Staat ist da nicht anders. Seine Anführer und Ideologen stellen den Westen als von Natur aus feindselig dar, bestehende arabische und muslimische Regierungen als ketzerisch und mit der wahren Natur des Islam unvereinbar. Kompromisse mit solchen Ungläubigen und Abtrünnigen seien sinnlos. Sie müssten beseitigt und von Anführern ersetzt werden, die die wahren islamischen Prinzipien, wie vom IS definiert, anwenden.

Zweitens predigen revolutionäre Organisationen, der Sieg sei gewiss, solange die Anhänger gehorsam und standfest blieben. Lenin erklärte, der Kapitalismus sei wegen seiner inneren Widersprüche zum Untergang verdammt, und Mao bezeichnete Imperialisten als »Papiertiger«; beide führten ihren Anhängern so den sicheren Triumph der Revolution vor Augen. Der derzeitige Anführer des Islamischen Staats, Abu Bakr al-Baghdadi, gab im November 2014 eine ähnlich optimistische Einschätzung ab. »Eurem Staat geht es gut, er ist in bester Verfassung. Sein Vormarsch wird sich fortsetzen«, sagte er seinem Publikum.

Drittens betrachten die Anführer revolutionärer Bewegungen ihr Modell als universell anwendbar. Wenn sie den Sieg davongetragen haben, versprechen sie ihren Anhängern, wird die Revolution Millionen befreien, eine bessere Welt schaffen und einen gottgegeben Plan erfüllen. Französische Radikale forderten in den 1790er Jahren »einen Kreuzzug« für die universelle Freiheit, und Marxisten-Leninisten glaubten, die Weltrevolution werde eine friedliche klassenlose und staatenlose Gemeinschaft hervorbringen. Auch Khomeini und seine Anhänger sahen in der Revolution im Iran den ersten Schritt hin zur Abschaffung des »unislamischen« Nationalstaatssystems und zur Etablierung einer globalen islamischen Gemeinschaft.

De Anführer des Islamischen Staats glauben, dass ihre fundamentalistische Botschaft für die gesamte muslimische Welt und darüber hinaus Geltung hat. Seine Bewegung werde eines Tages »die Kaukasier, Inder, Chinesen, Syrer, Iraker, Jemeniten, Ägypter, Nordafrikaner, Amerikaner, Franzosen, Deutschen und Australier« einen, erklärte Baghdadi im Juli 2014. Der IS verbreitet seine Botschaft im Ausland über soziale Netzwerke und bekennt sich bereitwillig zu Gewaltakten, die in fernen Ländern begangen wurden. Dieser Anspruch auf universelle Geltung ist einer der Hauptgründe, warum die Gruppe bei Ausländern Anklang findet und die Regierungen sie mit solcher Sorge betrachten.

Revolution und Krieg

Beobachter fürchten zu Recht, dass sich der revolutionäre Staat ausdehnen könnte. Revolutionsführer halten es meist für ihre Pflicht, ihre Bewegung zu exportieren, weil sie auf die Art am besten zu erhalten sei – eine Vorstellung, die sich im Leitspruch des Islamischen Staates »bleiben und ausweiten« (baqiya wa tatamaddad) widerspiegelt.
Es überrascht daher nicht, dass Nachbarn revolutionärer Staaten meist Präventivmaßnahmen ergreifen, um das neue Regime zu schwächen oder zu stürzen.
Eine Spirale aus Misstrauen und eine erhöhte Kriegsgefahr sind die Folgen.

Paradoxerweise können die Ungewissheiten, die mit den meisten Revolutionen einhergehen, dem neuen Staat das Überleben sogar sichern. Weil ausländische Mächte nicht genau wissen, wie einflussreich oder zugkräftig die Revolution sein wird, können sie nur schwer entscheiden, was gefährlicher ist: die Revolution selbst oder die Möglichkeit, dass Dritte das sich daraus ergebende Chaos nutzen und ihre eigene Position stärken.
Die Revolution in Frankreich überlebte zum Teil nur deshalb, weil feindliche Monarchien einander misstrauten und zunächst stärker an Gebietszugewinnen interessiert waren als daran, Louis XVI. wieder auf den Thron zu bringen.
Ähnliches geschah in Russland: Uneinigkeit unter den wichtigsten Mächten und die Ungewissheit darüber, was die Bolschewiken langfristig vorhatten, behinderten einen koordinierten Kampf gegen die Revolution und halfen Lenin und seinen Anhängern nach 1917, an der Macht zu bleiben.

Wie bei früheren revolutionären Bewegungen auch wurden Versuche, den Islamischen Staat zu besiegen, durch die widersprüchlichen Ziele seiner Gegner untergraben. Sowohl die Vereinigten Staaten als auch der Iran wünschen sich das Ende des Islamischen Staats, doch kein Land will dem anderen mehr Einfluss im Irak verschaffen. Auch die Türkei betrachtet den IS als Bedrohung, lehnt aber das Assad-Regime in Syrien ab und stellt sich gegen jede Aktion, die den kurdischen Nationalismus stärken könnte.
Saudi-Arabien wiederum betrachtet die fundamentalistische Ideologie des Islamischen Staates als Bedrohung für seine eigene Legitimität, fürchtet aber den iranischen und schiitischen Einfluss gleichermaßen, wenn nicht noch mehr. Die Folge ist, dass keines dieser Länder dem Sieg über den Islamischen Staat oberste Priorität einräumt.

Ungeachtet seines Hangs zur Gewalt und der sexuellen Versklavung ist am Islamischen Staat kaum etwas neu. In seinen grundlegenden Merkmalen und seiner Wirkung ist der IS früheren revolutionären Staaten erstaunlich ähnlich. Wir haben diesen Film schon oft gesehen. Aber wie geht er aus?

Die Revolution wird sich nicht ausbreiten

Revolutionen können sich auf zwei Arten verbreiten. Mächtige revolutionäre Staaten setzen auf Eroberung: In den 1790er Jahren führte Frankreich Krieg gegen Monarchien in ganz Europa, und nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm die Sowjetunion Osteuropa. Schwächere revolutionäre Staaten dagegen müssen darauf hoffen, dass sie mit ihrem Vorbild andere mitreißen. Nordkorea unter der Familie Kim, Kuba unter Fidel Castro, Äthiopien unter der sogenannten Derg, Kambodscha unter den Roten Khmer, Nicaragua unter den Sandinisten – sie alle verfügten nicht über die Macht, ihr Modell mit Waffengewalt zu verbreiten.

Das gilt auch für den Islamischen Staat. Die Sowjetunion konnte Osteuropa den Kommunismus mithilfe der mächtigen Roten Armee aufzwängen, wohingegen der Islamische Staat dem US-Militärgeheimdienst zufolge rund 30 000 verlässliche Kämpfer und kein militärisches Leistungsvermögen für die Machtprojektion hat. Auch wenn Panikmacher davor warnen, dass der Islamische Staat heute ein Gebiet kontrolliert, das größer ist als das Vereinigte Königreich, so besteht es doch überwiegend aus unbewohnter Wüste. Das Gebiet des IS produziert jährlich Waren und Dienstleistungen im Wert von 4 bis 6 Milliarden Dollar; damit liegt das Bruttosozialprodukt des Islamischen Staats auf dem Niveau von Barbados. Die jährlichen Staatseinnahmen betragen etwa 500 Millionen Dollar – das entspricht etwa einem Zehntel des Jahresbudgets der Universität Harvard –, und das mit abnehmender Tendenz. Der Islamische Staat ist von einer Großmacht weit entfernt, und angesichts der kleinen Bevölkerungszahl und der unterentwickelten Wirtschaft wird er auch nie eine werden.

Ebenso wenig wird er sich durch Ansteckung ausbreiten. Auch nur eine schwache Regierung zu stürzen, ist ein schwieriges Unterfangen, das revolutionären Bewegungen nur sehr selten gelingt. Es brauchte zwei Weltkriege, um die Marxisten in Russland und China an die Macht zu bringen, und der Erfolg des Islamischen Staats beruht bislang auf für ihn glücklichen Umständen: Die Vereinigten Staaten marschierten törichterweise in den Irak ein, der irakische Premierminister Nuri al-Maliki spaltete das Land, und Syrien versank in einem Bürgerkrieg. Sofern der Islamische Staat nicht auch weiter viel Glück hat, wird er sich schwer tun, seinen Aufstieg in anderen Ländern zu wiederholen. Auch seine Ideologie setzt seinem Wachstum enge Grenzen.

Die Anführer der Gruppe mögen ihre Vision eines neuen Kalifats für unwiderstehlich halten, doch steht zu bezweifeln, dass sie damit genügend Herzen und Köpfe gewinnen werden. Das in der Amerikanischen und Französischen Revolution verkörperte Ideal von Freiheit und Gleichheit hat sich in der Welt verbreitet, und die kommunistische Vision eines klassenlosen Utopia hat Millionen verarmter Arbeiter und Bauern mitgerissen. Die puritanische Botschaft des Islamischen Staats und seine brutalen Methoden breiten sich dagegen nicht so leicht aus, und der Entwurf eines expansiven Kalifats beißt sich mit den starken nationalen, religiösen und ethnischen Identitäten im Nahen Osten.
Auch über Twitter, YouTube oder Instagram wird die Kernbotschaft für die meisten Muslime nicht schmackhafter, zumal, wenn der Neuheitseffekt nachlässt und potenzielle Rekruten erfahren, wie es sich im Islamischen Staat tatsächlich lebt. Und eine Version des Islam, die schon der großen Mehrheit der Muslime ein Gräuel ist, wird bei Nicht-Muslimen schon gar keine nennenswerte Anhängerschaft finden. Wer versuchte, ein revolutionäres Credo zu erfinden, dem jede universelle Anziehungskraft abgeht, täte sich schwer, die harte und begrenzte Weltsicht des Islamischen Staates zu übertrumpfen.

Und sollte es schließlich einer IS-ähnlichen Bewegung gelingen, außerhalb Iraks und Syriens an die Macht zu kommen – im chaotischen Libyen könnte das durchaus geschehen –, würden die Anführer dieser Gruppe ihre eigenen Interessen verfolgen, statt sklavisch Baghdadis Befehlen zu gehorchen.
Außenstehende nehmen radikale Gruppen oft als monolithisch wahr – besonders, wenn sie die Rhetorik der Revolutionäre allzu ernst nehmen –, doch solche Bewegungen sind bekanntermaßen anfällig für interne Machtkämpfe. Tiefe Gräben trennten die Girondins und die Jakobiner, die Bolschewiki und die Menschewiki, die Stalinisten und die Trotzkisten, Chruschtschow und Mao. Da der Islamische Staat dazu neigt, schon geringen Widerspruch als ketzerischen Akt zu behandeln, auf den die Todesstrafe steht, sind solche Streitigkeiten unvermeidbar. Sie haben sogar schon ernsthafte Auseinandersetzungen mit Al-Kaida und anderen extremistischen Gruppen nach sich gezogen.

Abwarten und Tee trinken

Nur weil der Islamische Staat sein langfristiges Ziel unweigerlich verfehlen wird, heißt das jedoch nicht, dass sich die Gruppe leicht beseitigen ließe. Ein Blick in die Geschichte zeigt vielmehr, dass der Versuch, solche Bewegungen mit militärischen Mitteln zu zerstören, leicht nach hinten losgehen kann. Die Intervention durch Österreich und Preußen radikalisierte die Französische Revolution, und die Invasion der Iraker im Iran im Jahr 1980 erlaubte Khomeini und seinen Anhängern eine »Säuberung« unter moderaten Kräften der Islamischen Republik. Lenin, Stalin und Mao nutzten Bedrohungen von außen, um Unterstützung zu mobilisieren und ihre Macht zu konsolidieren, und sowohl die russische als auch die chinesische Revolution überlebten mehrere Versuche von außen, sie zunichte zu machen.
Aggressive Versuche, den Islamischen Staat zu zerstören, könnten sein Überleben sichern, besonders dann, wenn die Vereinigten Staaten sich an die Spitze dieser Bemühungen setzen.

Damit bleibt als beste Lösung die geduldige Containment-Politik. Mit der Zeit könnte die Bewegung an ihren eigenen Exzessen und inneren Spaltungen zu Grunde gehen. Siege, die der IS tatsächlich davonträgt, werden heftigere Gegenreaktionen von Seiten der Nachbarn provozieren.

Washington sollte zur Unterstützung solcher Anstrengungen Geheimdienstinformationen, Waffen und Militärausbildung bereitstellen, jedoch seine Rolle so klein wie möglich halten und klarstellen, dass es in erster Linie an den Streitkräften der Region ist, dem Islamischen Staat Einhalt zu gebieten. Die US-Luftwaffe sollte daher ausschließlich dafür eingesetzt werden, eine Ausdehnung des IS zu verhindern.
Der Versuch, den Islamischen Staat mit Bombenangriffen zu unterwerfen, wird unweigerlich unschuldige Zivilisten das Leben kosten und antiamerikanische Gefühle ebenso stärken wie die Popularität des Islamischen Staates.

Die politischen Entscheidungsträger in den USA sollten eines bedenken: Je intensiver sich die Vereinigten Staaten für die Eindämmung des Islamischen Staates engagieren, desto stärker hetzt die IS-Propaganda gegen westliche Kreuzritter und ihre angeblich ketzerischen muslimischen Verbündeten.
Was die verschiedenen muslimischen Glaubensrichtungen angeht, so würden die Vereinigten Staaten mit dem Versuch, einmal mehr unter hohen Kosten die irakischen Sicherheitskräfte aufzubauen, als Komplizen der anti-sunnitischen Politik dastehen, die dem IS erst zu seiner Popularität verhalf; die Sunniten im Irak und in Ostsyrien würden in ihrer Loyalität zum IS bestärkt.

Eine US-geführte Militärkampagne gegen den Islamischen Staat erhöht zudem das Risiko, dass der Zuspruch für ihn wächst: Wenn das mächtigste Land der Welt die Gruppe dauernd als ernsthafte Bedrohung darstellt, dann gewinnt die Selbstdarstellung des IS als standhaftester Verfechter des Islam an Glaubwürdigkeit.
Statt die Bedrohung zu dramatisieren und der IS-Propaganda in die Hände zu spielen, sollten die politischen Entscheidungsträger in den Vereinigten Staaten die Gruppe als ein eher nebensächliches Problem behandeln, das für die USA nicht oberste Priorität hat.

Bei dem Beitrag handelt es sich um eine gekürzte Version eines Foreign Affairs Artikels.

Von: Stephen M. Walt
Veröffentlicht am 30.11.2015
Jochen