Amerikanischer Chauvinismus und russischer Nationalismus – der Clash und die Ukraine

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Ausgewogener Übersichtsartikel in den NachDenkSeiten: http://www.nachdenkseiten.de/?p=25412

Auszüge: Die chauvinistische Rechte der USA glaubt an die Überlegenheit der Amerikaner und die nationalistische Rechte in Russland träumt von einem eurasischen Reich, das von Lissabon bis Wladiwostok reicht. „Gottes eigenes Land“ auf der einen Seite steht gegen einen nostalgischen Nationalismus der anderen Seite.

Beide wirkmächtigen Strömungen prägen nicht nur die Stimmungslage von großen Teilen der jeweiligen Bevölkerung, sondern sie hetzen auch ihre politischen Führer auf, gegeneinander anzutreten und um Weltgeltung auf der einen und Vormacht auf der anderen Seite mit allen, bis hin zu kriegerischen Mitteln zu kämpfen.

Nutznießer dieser Spannungspolitik sind vor allem eben diese radikalen politischen Strömungen selbst. Aber auch die Regierungen der USA und Russland profitieren zumindest in einem Punkt: Indem ein äußeres Feindbild an die Wand gemalt wird, können sie von ihren innenpolitischen Katastrophen ablenken. Von Wolfgang Lieb und Jens Berger.

Barack Obama ist ein Getriebener der politischen Rechten, die von der erzkonservativen Tea Party dominiert wird. Seit den letzten Midterm Elections haben die Republikaner sowohl im Senat als auch im Repräsentantenhaus die Mehrheit und laufen sich schon für die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr warm. Auch Wladimir Putin ist ein Getriebener der politischen Rechten. Seit Peter dem Großen herrscht in Russland ein Kampf zwischen den Modernisieren und den Traditionalisten. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, in der sowohl die größtenteils konservativ bis reaktionäre orthodoxe Kirche und der russische Nationalismus zwangsweise kleingehalten wurden, erlebte der religiöse und nationalistische Revisionismus eine wahre Renaissance: “Rechtgläubigkeit – Autokratie – Volkstümlichkeit” erlebte eine Neuauflage. Das Ideal, nach dem die Russen nicht nur über die verschiedenen Ethnien im Vielvölkerstaat, sondern auch über die slawischen Völker Osteuropas herrschen sollen, ist nicht nur in rechten Zirkeln durchaus populär.

Anders als in den USA hatte bis vor der Ukraine-Krise der nationalistische Rollback in Russland jedoch keine grundlegenden Auswirkung auf die Außen- und Sicherheitspolitik, dafür aber um so mehr auf die Innen- und Gesellschaftspolitik. Um die immer lautstärker werdende Opposition von rechts außen ruhig zu stellen, verschärfte die Duma unter wohlwollender Begleitung durch Wladimir Putin beispielsweise die Anti-Homosexuellen-Gesetze und der Präsident stilisierte sich zum Schutzherren russischer Minderheiten in den Nachbarstaaten.

In den USA lässt sich die Regierung vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik seit langer Zeit von der politischen Rechten treiben. Da wird eine Nato-Osterweiterung und sogar eine Raketenstationierung bis an die Grenzen Russlands vorangetrieben. Die EU betreibt eine systematische Osterweiterung ohne wenigstens gleichzeitig die Zusammenarbeit und die Annäherung mit Moskau zu intensivieren. Die Reaktionen auf russischer Seite ließen nicht auf sich warten. Es fand in den letzten Jahren eine seit dem Kalten Krieg nicht mehr dagewesene Eskalation von Drohungen und konfrontativen Aktivitäten bis hin zu einer „hybriden Kriegsführung“ statt. Nach dem vom Westen mitbetriebenen Sturz des Ukrainischen Präsidenten Janukowitsch sieht sich Putingezwungen, mit der Arbeit zu beginnen, die Krim wieder an Russland anzuschließen“. Gerüchte über Geheimpapiere, dass Russland die Übernahme der Krim schon zuvor geplant habe gestreut. Es folgen die gegenseitigen Schuldzuweisungen um den Abschuss der malaysischen Boeing 777 des Fluges MH17.

Obama verhöhnt Russland alsRegionalmachtund der US-Kongress verabschiedet mit einer überwältigenden Mehrheit die Resolution 758 und einen sog. „Ukraine Support Act“, Beschlüsse, die die verbale Aggression gegen Russland mit Einseitigkeiten bis hin zur glatten Lüge auf höchste verbale Eskalationsstufen treiben.

Hillary Clinton rückt Putin in die Nähe von Hitler.

Nicht nur der reaktionäre Hardliner John McCain, sondern auch „Fuck the EU“-Victoria Nuland, also die offizielle Europa-Beauftragte der amerikanischen Regierung, verlangen Waffenlieferungen an die Kiewer Regierung. Die US-Regierung unterstützt die Ukraine bereits mit nicht-tödlicher Ausrüstung, liefert unter anderem Nachtsicht- und Radargeräte, Helme und Schutzwesten, gleichzeitig hat die US-Regierung einseitig ihre Sanktionen gegen Russland ausgeweitet und will in den nächsten Wochen gepanzerte Fahrzeuge und Überwachungsdrohnen an die Ukraine liefern – Militärhilfen im Umfang von 75 Millionen Dollar. Als ob das nicht schon Provokation genug wäre, schicken die USA auch noch 3000 Soldaten zu Militärmanövern ins Baltikum unmittelbar an die russische Grenze, 750 Panzer und anderes schweres Gerät sollen den dortigen Militärs überlassen und 300 amerikanische Militärausbilder sollen in die Westukraine geschickt werden.

Ähnlich sieht es bei der von amerikanischen Militärstrategien dominierten Nato aus. Dort betreibt deren Oberbefehlshaber in Europa, General Philip Breedlove (Supreme Allied Commander Europe (SACEUR)) mit Lügen und Halbwahrheiten eine selbst in Berlin als „gefährlich“ eingestufte Propaganda. Mit dem Aufbau einer schnellen Eingreiftruppe setzt die Nato den größten Aufrüstungsplan seit dem Kalten Krieg um. Die Nato hält im Schwarzen Meer ein Manöver mit deutscher Beteiligungin Sichtweite russischer Militärs“ ab.

Auf der anderen Seite gibt es außergewöhnliche Luftmanöver russischer Kampfjets im internationalen Luftraum über Ostsee und Atlantik. Manöver an der ukrainischen Grenze, nicht genehmigte Hilfstransporte in die Ostukraine. Russische Staatsangehörige – viele von ihnen sind dem Vernehmen nach „beurlaubte“ Soldaten der russischen Streitkräfte – kämpfen auf der Seite der Abtrünnigen im Osten der Ukraine, die mit russischen Waffen ausgestattet sind (von wem auch immer geliefert bzw. erobert). Putin räumt mit der Teilnahme an den Minsker Gesprächen seinen (politischen) Einfluss auf die Rebellen ein. Russland will seinen Verteidigungshaushalt auf 76 Milliarden US-Dollar ausweiten.

Aktuell kündigt Russland den 1992 zwischen der Nato und dem ehemaligen Warschauer Pakt geschlossenen Vertrag über Konventionelle Streitkräfte (KSE), der schon seit 2007 als Reaktion auf die Nato-Osterweiterung ruhte, endgültig auf und testet eine atomar bestückbare Interkontinentalrakete.

Ein Ende dieser Eskalationsdynamik ist nicht absehbar. Im Gegenteil, in den USA geht es längst nicht mehr „nur“ um Russland. In der letzten Woche jagten die Republikaner ihren Präsidenten, indem 47 Senatoren in einem historisch geradezu einmaligen Vorgang einen offenen Brief ankündigen, dass sie ein noch gar nicht ausverhandelten Atomabkommen mit dem Iran, sollte es Barack Obama jemals unterzeichnen, widerrufen werden.

Der mehrheitlich von den Republikanern beherrschte US-Kongress lädt ohne das Weiße Haus zu informieren, Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu einer Hass-Rede gegen den Iran ein, wissend dass Obama sich für ein Abkommen über die ausschließlich zivile Verwendung der Atomenergie in diesem Land einsetzt. Die Neocons verlangen härtere Sanktionen gegen Teheran. Das lenkt Wasser auf die Mühlen der iranischen Hardliner.

In den USA und Russland beeinflussen mittlerweile chauvinistische und nationalistische Kreise außerhalb der Regierungen, die von dieser Spannungspolitik profitieren und Zulauf erhalten, massiv die Politik der Regierungen. Was momentan stattfindet, ist ein Clash zwischen amerikanischem Chauvinismus und russischem Nationalismus.

Der Ukraine-Konflikt macht diesen Clash wie in einem Brennglas sichtbar. Offenbar findet Putin mit seinem Kurs bei immer mehr russischen Bürgern Zustimmung, angeblich sind derzeit 86 Prozent mit ihrem Staatschef zufrieden. Die Zuspitzung der Konfrontation trifft in Russland offenbar auf einen fruchtbaren nationalistischen Nährboden. Von rechtsextremen und antisemitischen Gruppierungen und Kultfiguren wie Alexander Dugin wird eine Ideologie des „Neo-Eurasismus“, eine krude Mixtur aus Mystik, Stalin-Nostalgie, orthodoxer Gläubigkeit, Traditionalismus und Großmachtansprüchen verbreitet, eine Stimmungslage, die Putin, schon um der eigenen Machtstabilisierung willen bedienen muss und angesichts einer auch von außen gestützten inneren Opposition auch bedienen will.

Paradoxerweise stärken die Sanktionen des Westens gegenüber Russland den Mythos des durch seine Leidensfähigkeit verbundenen russischen Volkes. Putin gilt als der Retter der russischen Großmacht. Zarenherrlichkeit und christlich-orthodoxe Sowjetnostalgie, der verletzte Stolz einer Großmacht gehen eine Symbiose ein und stillen eine Sehnsucht der notleidenden Masse der Russen nach Weltgröße. Die westlichen Sanktionen gegen Russland, stacheln den Hass gegen den Westen an und stärken nationalistische Tendenzen.

Je stärker Putin den russischen Nationalismus bedient desto mehr Zustimmung findet er und desto stabiler wird seine Macht. Die Ukraine ist zur Projektionsfläche von Chauvinisten und Weltmachtideologen im Westen und der Nationalisten und Großmachtphantasten in Russland geworden. Und da in kriegerischen Auseinandersetzungen nur noch gut und böse oder schwarz und weiß gemalt wird, wird die Stimmung im Osten wie im Westen immer mehr angeheizt.

Keine Umkehr in Sicht

Das Problem ist: Es gibt zu wenig gesellschaftliche Kräfte und eine zu schwache öffentliche Meinung die sich den irrationalen Scharfmachern entgegenstellen. Es gibt zu wenig Stimmen, die die Eskalation der militärischen Provokationen kritisieren. Und die politisch wahrnehmbaren Kräfte, die sich diesem Teufelskreis entgegen stellen könnten, sind entweder zersplittert oder dringen nicht durch.

Noch wäre es jedoch nicht zu spät, diesen Teufelskreis zu unterbrechen. Da Russland sich momentan in einer defensiven Situation befindet und die Opposition im Lande schwach ist, bleibt nur die Hoffnung auf eine Umkehr von der Spannungs- zu einer Entspannungspolitik auf der Seite des Westens.

Von Präsident Obama ist eine solche politische Wende nicht zu erwarten. Er ist eingemauert von der republikanischen Mehrheit, die wiederum von der erzreaktionären und radikalen Tea Party getrieben werden. Und Obama ist bislang außenpolitische stets den Weg des geringsten Widerstandes gegangen.

Eine De-Eskalationspolitik könnte eher noch von Europa ausgehen. Weil Europa von einem Konflikt mit Russland in viel stärkerem Maße betroffen ist als die USA. Weil die europäischen Länder viel intensivere wirtschaftliche Beziehungen und größere Abhängigkeiten mit Russland hat. Weil die europäischen Länder geografisch mit Russland verbunden sind – weil wir Nachbarn sind.

Wenn Europa aber zur Entspannung beitragen wollte, dann setzt das voraus, dass die europäischen Länder sich zumindest intern deutlicher gegen die eskalierende amerikanische Politik gegenüber Russland positionieren und dass Europa sich auch innerhalb der NATO stärker gegenüber den USA durchsetzt. Von den osteuropäischen und baltischen Staaten ist das nicht zu erwarten, die Südeuropäer haben andere Probleme, es länge also vor allem an Deutschland und Frankreich, sich endlich wieder auf eine De-Eskalationspolitik und Entspannungspolitik zu besinnen. Das würde zuallererst bedeuten, dass man die Geister, die man rief, wieder los werden müsste.

Und das verlangte vor allem auch mehr Druck aus der Bevölkerung.

Hier noch eine kurze Zusammenstellung von Dokumenten über die Eskalation des Konflikts mit Russland von Christian Reimann

Über Kommentare auf meinem Blog unter https://josopon.wordpress.com/ würde ich mich freuen. Wenn Ihr den Nachrichtenbrief nicht mehr beziehen wollt, schickt mir bitte eine kurze Elektropost. Jochen

Cui bono? – Zur Auseinandersetzung um den „Friedenswinter“

Vom Bundesverband Arbeiterfotografie:

Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt:

Liebe ArbeiterfotografInnen, liebe Freunde der Arbeiterfotografie,

anbei senden wir Euch einen Appell von Doris und George Pumphrey. Er ist unserer Meinung nach eine sehr notwendige Stellungnahme in einer Situation, die durchsetzt ist von Unterstellungen und Diffamierungen in einer Art, wie sie über den so genannten Church-Report hinsichtlich der Methoden zur Unterdrückung der Protestbewegungen in den USA der 50er und 60er Jahre bekannt geworden sind. Wir rufen deshalb auf, sich davon nicht abschrecken und in die Irre leiten zu lassen und an den Aktionen des Friedenswinters teilzunehmen (siehe unten)…

Mit besten Grüßen
Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

Friedenswinter2014Bochum

Friedenswinter2014Bochum

Cui bono?

von Doris und George Pumphrey, Berlin Dezember 2014

Nach der Pressekonferenz zum Friedenswinter 2014/2015 interviewte Ken Jebsen Reiner Braun (Sprecher der Kooperation für den Frieden), Lea Frings (Mitglied der neuen Friedensbewegung) und Michael Müller (ehemaliger Umweltstaatssekretär – SPD)
Hier zu sehen: https://www.youtube.com/watch?v=RY7uR5MuskI

Daraufhin verteilte Frank Brendle folgenden Kommentar:

Betreff:     Demo am 13. 12., Berlin: solidarisch mit Nazis
Datum:     Mon, 1 Dec 2014 15:35:03 +0000

Interview u. a. mit Lea Frings, Mahnwache Berlin und im KO-Kreis für die Demo am 13. 12. in Berlin, bei der auch etliche „alte“ Friedensbewegte mitmachen. So ungefähr ab Minute 13 plädiert Lea Frings für einen „kritisch-solidarischen“ Umgang mit Nazis. Und gegen ihre Ausgrenzung. Was der Reporter nicht weiter hinterfragt. Der heißt Ken Jebsen.  Und mit so was sollen wir gemeinsam demonstrieren? Was meinen diese Wahnwichtel eigentlich, wenn sie „Antifaschismus“ sagen? Da bleib ich doch lieber unsolidarisch…
Grüße, Frank

Hier unsere Antwort an Frank Brendle und andere in der Friedensbewegung, die ähnlich denken:

(Um einem Missverständnis vorzubeugen: Wenn wir hier das Wort Linke benutzen, reden wir nicht von der Partei gleichen Namens, sondern von linken Kräften allgemein.)

Um zu wissen, auf was sich Frank bezieht, sollte man sich zunächst die drei Beiträge anhören. Und um zu wissen, was Lea meint, genügt es nicht, das Video ab Minute 13 zu sehen. Aus dem Kontext herausgenommen entsteht nämlich eine Verkürzung, die Leas Meinung verfälscht.

Es geht Lea offensichtlich nicht um den kritisch-solidarischen „Umgang mit Nazis“ per se. Sie betont, dass es nicht um die Akzeptanz und Respektierung faschistischer Ansätze geht, sondern darum, diesen Tendenzen entgegenzuwirken. „Wir müssen in ihren Köpfen etwas ändern, denn da ist ja offensichtlich in ihrer gesellschaftlichen Sozialisation etwas schief gelaufen.“ Sie plädiert dafür, jene, die von der rechten Ideologie beeinflusst sind, nicht auszuschließen oder zu denunzieren, denn das würde nur zu ihrer weiteren Radikalisierung führen. Man müsse dem entgegenwirken, indem man „kritisch aber solidarisch mit ihnen redet“. Das ist etwas anderes als Franks Verkürzung.

Es war schon immer auch Aufgabe der Linken und der Arbeiterbewegung, Menschen nicht den Rechten zu überlassen, selbst wenn sie bereits von deren Ideologie beeinflusst sind. Es geht vielfach um Menschen, denen das soziale Abseits droht oder die ins soziale Abseits gedrängt wurden. Die Abwesenheit, Schwäche oder das politische Versagen der Linken schafft ein Vakuum, das einfacher von Rechts gefüllt werden kann.
Es bleibt dennoch Aufgabe der Linken, diesen Menschen durch die besseren Argumente einen anderen Weg aufzuzeigen. Sicherlich sind nicht alle zu gewinnen. Der bequemere Weg ist natürlich, diese Menschen von vornherein als „Nazis“ abzustempeln und rechts liegen zu lassen, und jene Linke als „Wahnwichtel“ zu bezeichnen, die meinen, wir müssten uns darum bemühen, damit sie „nicht nach rechts radikalisieren“, wie Lea es ausdrückte.


Frank und andere meinen natürlich auch Einzelpersonen, die bei den Montagsmahnwachen eine prominente Rolle spielen. Konkret geht es hier um den „Friedenswinter“ und unmittelbar auch um die Demonstration am 13. Dezember gegen die Kriegs- und Konfrontationspolitik der Bundesregierung und den Aufruf, der neben vielen aus der breiten linken und Antikriegsbewegung, auch von Vertretern der Montagsmahnwachen unterschrieben ist. (1) 
Das allein ist nun für einige aus der „alten“ FriedensBewegung der Grund, sich zu distanzieren oder gar zu hoffen, dass nur wenige Menschen dem Aufruf folgen – obwohl es KEINEN grundsätzlichen Dissens zum INHALT des Aufrufs gibt.


Uns geht es hier allgemein um den Umgang von Linken mit einer Entwicklung, derer sich manche vielleicht noch nicht ganz bewusst sind. Um nur kurz das Problem anzudeuten, ohne hier auf seine Ursachen einzugehen:

Die Fronten zwischen Links und Rechts sind heute verschwommener als zuvor. Was als „links“ gilt, ist heute bis zur Unkenntlichkeit verwischt. Exemplarisch sieht man das an der Linkspartei, in der rechte Kräfte wie BAK-Shalom agieren können. Nicht anders erging es offensichtlich rechten Organisationen. Das beste Beispiel wäre hierfür die Front National in Frankreich, die es mit manchen ihrer Positionen der Linken Fraktion im Europaparlament schwer macht, sich von ihr abzusetzen, weil sie sich ähneln.

paul findleydie israel lobby

paul findley die israel lobby

Die sog. „Antideutschen“ (mit ihrem spiegelbildlichen Nationalismus und Antisemitismus) gewannen an Einfluss, selbst unter vielen, ansonsten sehr kritischen Linken, im VVN-BdA und in der Friedensbewegung. Israel wird zum Synonym für Juden gemacht und die Israellobby entscheidet, wer als Antisemit zu gelten hat.

Auch die Verniedlichung nationalchauvinistischen Denkens und Handelns ist inzwischen weitverbreitet, wenn Leute des „Nationalismus“ oder gar „Rechtsextremismus“ bezichtigt werden, nur weil sie die nationale Souveränität als eine völkerrechtliche Errungenschaft verteidigen, die für alle Nationen gelten muss, auch gegen die EU.

Nicht nur die Bezeichnungen „Antisemit“, sondern auch „Nationalist“, „Rechtsextremist“ und „Nazi“ werden inzwischen inflationär benutzt und verlieren damit ihre Bedeutung. Es dient natürlich dem Zweck, sich nicht nur einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den so Bezeichneten und einer wirklichen Klärung von möglichen Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu entziehen, sondern auch der Diskussion mit jenen, die verlangen, dass man genauer hinsehen sollte, bevor man andere in dieser Weise denunziert.

Es gab und gibt in der „alten“ Friedensbewegung sehr unterschiedliche Kräfte, mit unterschiedlicher ideologischer Orientierung, mit mehr und weniger politischer Erfahrung. Das führte und führt zwar oft zu heißen (und notwendigen) Auseinandersetzungen, aber das Entscheidende war und ist am Ende die Einigung auf den Minimalkonsens für gemeinsame Aufrufe und Aktionen. Auch in der „alten“ FB waren und sind nicht alle allen „koscher“, aus unterschiedlichen Gründen, aus Verdächtigungen heraus, ob der möglichen persönlichen Motivation, etc.

Wer will sich anmaßen zu entscheiden ob und ab wann die Motivation derer, die nun den gemeinsamen Aufruf zum Friedenswinter und der Demonstration unterschrieben haben, „koscher“ ist oder nicht? Und welcher Maßstab soll angelegt werden, wenn wir in der „alten“ FB schon so unterschiedliche Maßstäbe haben? Soll die Antikriegsbewegung Gesinnungsprüfung einführen? Oder gilt die gemeinsame Aktion mit den gemeinsamen Forderungen? Worauf kommt es nun an und wer ist der eigentliche Gegner?

Es ist sehr einfach, rückblickend in der Geschichte Fehler von Linken zu entdecken, zu sagen, warum haben die nicht breitere Bündnisse gemacht nur um Krieg zu verhindern, trotz aller anderen Unterschiede. Und heute?

Die Kriegsgefahr wächst und man glaubt sich mit dem Verbleib im linken Wohlfühleck weiterhin begnügen zu können? Sich damit begnügen, mit eingeübten Kleinaktionen „symbolische Zeichen zu setzen“, um ein paar Fotos ins Internet zu stellen, während die BRD sich an immer mehr Interventionen und Kriegen beteiligt, während sie sich dem Druck der USA beugt und die Konfrontation mit Russland vorantreibt? Gerade unser Land, das Russland bzw. der SU so unermessliches Leid in der Vergangenheit zugefügt hat? Während die transatlantischen Kriegstreiber die Medien bestimmen, um die Bevölkerung gegen Russland aufzuhetzen und vor keiner Lüge und Entstellung mehr Halt machen?

Der US-Kongress hat eine Resolution verabschiedet, die einer Kriegserklärung gegen Russland nahe kommt, die dazu aufruft, Russland zu isolieren und das US-Militär umfassend für eine militärische Konfrontation zu rüsten – eine militärische Konfrontation in Europa, die zu einem atomaren Weltbrand führen kann.

US-Paratroopers_in_Polen2014

Paratroopers from the U.S. Army’s 173rd Infantry Brigade Combat Team participate in training exercises with the Polish 6 Airborne Brigade soldiers at the Land Forces Training Centre in Oleszno near Drawsko Pomorskie, north west Poland, May 1, 2014. American ground troops who arrived in Poland last week took part in military exercises with Polish parachuters as a part of NATO cooperation. REUTERS/Kacper Pempel (POLAND – Tags: MILITARY POLITICS) © Kacper Pempel/​Reuters

Wie gefährlich die derzeitige Entwicklung ist, wird von immer mehr Menschen hierzulande erkannt. Mehr als 60 prominente Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien haben nun einen Aufruf gegen die Konfrontationspolitik veröffentlicht. (2) Dieser Aufruf wird auch von Politikern unterstützt, die nach dem Ende der deutschen Zweistaatlichkeit für die Aufgabe der militärischen Zurückhaltung Deutschlands und für die erste Militäraggression seit dem Ende des Faschismus verantwortlich sind, ebenso wie für den Abbau demokratischer und sozialstaatlicher Errungenschaften, für wachsende Armut und Ausgrenzung.

Man muss nicht alle Punkte in der politischen Einschätzung in ihrem Aufruf teilen. Aber wer in der Friedensbewegung könnte nicht die Forderungen dieser Prominenten unterschreiben, die Konfrontationspolitik und Dämonisierung Russland zu beenden und den gleichberechtigten Dialog mit der russischen Regierung zu suchen? Und wenn einige von ihnen mit uns auf die Straße gingen, um gegen die Gefahr eines neuen Weltkriegs zu demonstrieren, würden wir uns dann von ihnen distanzieren, sie denunzieren, würden wir der Demonstration fern bleiben? Stärkt die deutliche Stellungnahme dieser Prominenten nicht unseren Widerstand gegen die Kriegs- und Konfrontationspolitik?

Gleichzeitig zelebrieren nicht wenige in der „alten“ Friedensbewegung Distanzierungen von Vertretern der „neuen“ Friedensbewegung, obwohl diese – im Gegensatz zu einigen Unterstützern des Aufrufs der Prominenten – keine Kriegsverbrechen und massives Unrecht zu verantworten haben. Sie wollen nicht mit Vertretern der „neuen“ Friedensbewegung reden und mit ihnen gegen den Krieg auf die Straße gehen, obwohl sie gemeinsame Forderungen haben.
Erinnert ein derartiges Herangehen innerhalb der Friedensbewegung nicht an die Methode der westlichen Kriegstreiber in den internationalen Beziehungen: Denunzierung, Unterstellung und Verweigerung eines fairen Dialogs? Cui bono? Jetzt wo es darauf ankommt, wieder Massen auf die Straße zu bringen, um der Entwicklung Richtung Weltkrieg Einhalt zu gebieten!


Nur wenn alle Kräfte mobilisiert werden, können wir der gefährlichen Kriegs- und Konfrontationspolitik Einhalt gebieten – egal ob und wie weit man in allen anderen Punkten übereinstimmt.
Anstelle von Pauschalisierungen, Totschlagargumenten und Denunzierung, muss die jeweils notwendige faire politische Auseinandersetzung treten.
Nur so können wir den Kriegstreibern in Politik und Medien einen Strich durch die Rechnung machen in ihrem Bemühen, die Antikriegsbewegung klein, unbedeutend und ineffektiv zu halten. Vielleicht haben wir so die Chance aus dem „Friedenswinter“ einen „Friedensfrühling“ zu machen.


1 (2020 nicht mehr zu finden) http://friedenswinter.de/Kategory/demo/demo-berlin/
2 http://www.zeit.de/politik/2014-12/aufruf-russland-dialog
Über Diskussionsbeiträge hier würde ich mich freuen.

Jochen