Déjà vu – Mit aalglatten Lügen in neue Kriege? Wann wird der Westen den Donbass in Flammen setzen?

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Deja_vueHier ein aktueller Kommentar des ehemaligen Meisterspions Rainer Rupp:

rainer rupp

rainer rupp

https://apolut.net/deja-vu-mit-aalglatten-luegen-in-neue-kriege-von-rainer-rupp/

Veröffentlicht am: 11. Februar 2022 |
Auszüge:

Die anti-russische Hetze, die aus den Mainstream-Medien der USA zu uns in Europa herüberschwappt, wird hier von transatlantischen, auf Beißreflex eingestellten Blättern lautstark nach­gegeifert. Als könnte man den Krieg nicht schnell genug herbeischreiben.
Gods_Own_CountryDas erinnert an eine Episode, wie vor 124 Jahren illustrierte Zeitungen in den USA mit ihren manipulativen Texten und Bilden den Weg für den ersten imperialistischen Krieg der USA freigemacht haben.

Damals hatte der mächtige US-Zeitungsbesitzer William Randolf Hearst seinen Top-Reporter und Illustrator nach Kuba geschickt, um von dort über den lokalen Aufstand gegen die feudalen, spanischen Kolonialherren zu berichten.
Der Hintergrund war, dass Zeitungsmagnat Hearst, der aus einer vermögenden Industriellenfamilie kam, gemeinsam mit vielen US-Geschäftsleuten bereits jahrelang auf einen Krieg hingearbeitet hatte, um die alte, europäische Kolonialmacht aus Zentralamerika und der Karibik endgültig zu vertreiben, um dort deren Nachfolge anzutreten.

Als der von Hearst entsandte Reporter verzweifelt von Kuba nach Hause telegraphierte, dass er keinen Krieg sieht, über den er berichten könnte, antworte ihm sein Boss umgehend mit dem Befehl: „Du lieferst mir die Bilder und ich liefere den Krieg“.
Und tatsächlich zeitigte diese Methode einen durchschlagenden Erfolg. Mit den gefakten Bildern und mitreißenden Texten über die angebliche Grausamkeit der Spanier und die heldenmütigen kubanischen Freiheitskämpferinnen, gelang es dem Medienmogul die US-Bevölkerung für einen Krieg gegen Spanien aufzuputschen.

Mit dem höchst-wahrscheinlich selbst-verschuldeten Untergang des US-Schlachtschiffes „Maine“ im Jahr hat sich dann im Jahr 1892 die lang erhoffte Gelegenheit geboten. Die „Maine“ lag zu der Zeit lag zu einem „Freundschaftsbesuch“ der US-Kriegsmarine im Hafen von Havanna. Dort explodierte in der Nacht vom 15. Februar die Pulverkammer des Schiffes, das in zwei Teile brach und in Minutenschnelle sank. Dabei verloren 260 US-Matrosen ihr Leben.

Eine Unachtsamkeit der Besatzung, z.B. der später bezeugte Umgang mit offenem Feuer in der Pulverkammer, wurde von den Hearst-Zeitungen, die die US-Medienlandschaft beherrschten, kategorisch ausgeschlossen. Stattdessen wurden die perfiden Spanier für den heimtückischen „Terroranschlag“ auf die „Maine“ und für den Tod der heldenhaften US-Soldaten ver­antwortlich gemacht.
Der Weg für den Krieg gegen Spanien war endlich frei. So konnte in einer ersten Etappe im Jahr 1892 mit der Vertreibung der Spanier durch die US-Armee die begehrte Zuckerinsel Kuba für den amerikanischen Kapitalismus „befreit“ werden.

Heute sind sich auch US-Historiker einig, dass ohne das Zeitungsimperium von Hearst und seine reißerischen Illustrationen und Berichte es zum damaligen Zeitpunkt nicht möglich gewesen wäre, die US-Bevölkerung für diesen ersten imperialistischen Krieg fern der US-Grenzen zu begeistern.

Die Macht der Bilder und ihre Wirkung auf Menschen, wenn es darum geht, sie auf einen Konflikt einzustimmen oder für Krieg aufzustacheln, ist heute stärker und somit auch viel gefährlicher als früher. Denn heute sind solche Bilder mit neuesten technischen Methoden so manipuliert, dass sie – wie jeder aus der Wirkung der modernen Werbung kennt – auf bestimmte Teile des Unterbewusstseins wirken.
Zu einer noch viel höheren Gefahrenstufe gehören jedoch Bilder und Berichte aus Quellen, den die menschlichen Zielgruppen großes Vertrauen entgegenbringen. In Deutschland genießen leider immer noch die öffentlich-recht­lichen Medienanstalten dieses Vertrauen, obwohl die sich inzwischen immer mehr mit Fake News in Form von Weglassung und Unterdrückung von Fakten im Sinne der herrschenden Eliten arbeiten. Damit unterscheiden sie sich immer weniger vom Einheitsbrei der privaten Medien-Konzerne, der als „Nachrichten“ der breiten Öffentlichkeit vorgesetzt wird. Das hat sicherlich damit zu tun, dass die wenigen Leute, denen die großen Medienkonzerne gehören, auch die Parteien und damit auch die Regierungen und die angeblich so unabhängigen, öffentlich-rechtlichen Medien in der Tasche haben.

Auch in der jüngst von Washington hochgespielten „Ukraine-Krise“ spielen Bilder eine Schlüsselrolle. Die Medien haben auf Satelliten-Aufnahmen „erschreckende“ Entdeckungen gemacht: nämlich eine riesige Ansammlung von russischen Panzern und anderem schweren Kriegsgerät. Und das angeblich in unmittelbarer Nähe der Grenze zur Ukraine. Begleitet waren diese Bilder von ernsten Warnungen hinzugeschalteter US- oder NATO-„Experten“, die die Gefahr einer, „unmittelbar bevorstehenden, russischen Invasion“ und eines großen Krieges beschworen.
Die Satellitenaufnahmen wurden in den Nachrichtensendungen als unumstößlicher Beweis für die Behauptung der US/NATO präsentiert, dass eine russische Invasion in die friedfertige, demokratische Ukraine „unmittelbar bevorsteht“. Das wurde prompt in allen NATO-Ländern von US/NATO-Sprechpuppen nachgegeifert, die offensichtlich darin wetteiferten, wer die meiste Hysterie und Hetze gegen Russland schüren konnte. Von seriöser Berichterstattung hat man sich inzwischen Lichtjahre entfernt.
Davon zeigt auch der Umgang mit den inzwischen berühmten Satellitenbildern als Beweise für den angeblichen Aufmarsch von 100.000 russischen Soldaten in Grenznähe zur Ukraine. Bei den in den Medien präsentierten Aufnahmen der angeblichen, russischen Truppenkonzentration an der ukrainischen Grenze fiel auf, dass es sich immer nur um ein und dieselbe Satellitenaufnahme handelte, wobei mal das Gesamtbild oder vergrößerte Ausschnitte daraus gezeigt wurden. Damit sollte wohl der Eindruck vermittelt werden, dass es sich um unterschiedliche Orte handelte.

Bei einer ersten Internet-Medien-Recherche mit „Google-Bilder“ zeigt es sich, dass egal in welchem NATO-Land man sich bewegte, die Medien, von ZDF über BBC, The Guardian, die Washington Post, El Pais, Le Monde, etc. alle hatten dasselbe Satellitenbild gezeigt. Alles ging als nur auf ein einziges Bild zurück. Aber woher kam es?

Eine zweite Recherche zeigte, dass das Foto von der privaten Firma MAXAR Technologies stammte, mit der Washington schon öfters für propagandistische Medienkampagnen zusammengearbeitet hatte. Auf der Original MAXAR-Satellitenaufnahme wird auch der Name des russischen Ortes genannt, von dem die Aufnahme gemacht wurde. Der Ort heißt „Yelnya“ auf Englisch oder Jelnja auf Deutsch.

Keine einzige Redaktion der selbst-ernannten deutschen „Qualitätsmedien“ hat sich die kleine Mühe gemacht, um herauszufinden, wo genau dieser Ort mit der ominösen russischen Truppenkonzentration an der Grenze zur Ukraine auf der Landkarte liegt.
Eine Recherche von wenigen Minuten hätte zu Tage gefördert, dass es sich bei Jelnja um einen Ort im Oblast Smolensk handelt. Der Ort hat nicht nur 10.000 Zivilisten, sondern auch viele Soldaten sind dort stationiert, denn Jelnja ist laut der militärpolitischen, britischen Denkfabrik „Center for Strategic and International Studies (CSIS)” Standort der „41ten russischen Armee mit kombinierten Waffen.“

Am Standort einer ganzen „Kombinierten Waffen-Armee“ gibt es natürlich viele Panzer und anderes schweres Kriegsgerät. Aber warum steht das ganze Gerät mitten in der Pampa? Und wenn das ein Armee-Standort ist, wo sind dann die Unterkünfte der Soldaten? Die kann man auf Google-Maps gut erkennen. Die Unterkünfte der Soldaten bestehen aus einem großen Wohnviertel mit Supermärkten, Schule und Kindergarten, 500 Meter Luftlinie von dem geparkten Kriegsgerät entfernt. Aber die Satellitenaufnahme von MAXAR ist so geschickt gemacht, dass man nur das Kriegsgerät auf freiem Feld sieht. Dadurch wird der Eindruck vermittelt, dass das auf freiem Feld in der Nähe zur ukrainischen Grenze steht.

Tatsache ist aber, dass die russischen Soldaten, die diese eindrucksvolle Militärmaschinerie bedienen, nicht in kalten Zelten dicht an der ukrainischen Grenze biwakieren und ungeduldig auf den Befehl zum loszuschlagen warten, sondern sie schlafen bequem in ihren warmen Betten zu Hause an ihrem Standort Jelnja, mit Frau und Kindern.

Aber wie nahe liegt nun Jelnja zur Grenze der Ukraine, oder wie weit ist es von Moskau weg? Auch da hätte Google-Maps schnell Auskunft erteilt, wenn man gewollt hätte. Tatsächlich liegt Jelnja auf halbem Weg zwischen Moskau und dem am nächsten liegenden Grenzübergang zur Ukraine: Bryanskaya Tamozhnya.

Von Jelnja bis Moskau-Zentrum sind es 366 Km und etwa weniger als 5 Stunden PKW-Fahrzeit. Und von Jelnja bis zur ukrainischen Grenze sind es knapp über 300 Km, was im PKW etwas mehr als 4 Stunden dauert, aber für Konvois mit schwerem Militärgerät sehr viel länger.

Was lehrt und das? Die hysterischen Berichte über den russischen Militäraufmarsch an der ukrainischen Grenze sind frei erfunden. Die Satellitenaufnahmen sind so manipuliert, dass man nicht erkennen kann, dass die Panzer und das andere schwere Gerät ihren Parkplatz an der Kaserne am Armee-Standort nicht verlassen haben.

 

Nein_zur_Nato_DDR1957Es bedarf in der Tat viel Fantasie und eine hohe kriminelle Energie der US-Kriegstreiber und ihrer Anhänger in der NATO, um aus dem über 300 Km von der ukrainischen Grenze entfernten, langjährigen russischen Armeestandort Jelnja, eine vorgeschobene und unmittelbare Bedrohung der Ukraine zu machen. Das funktioniert nur, wenn die so genannte „Vierte Gewalt“, nämlich die Medien, in ihrer Aufgabe total versagt haben. Statt kritisch zu hinterfragen, sind sie nur noch das Propaganda-Megafon für die Expansionsgelüste der transatlantischen Eliten.

Auch die Öffentlich-Rechtlichen haben diesbezüglich Medienschrott niedrigster Qualität fabriziert. Sie haben sich entweder wissentlich oder aus Dummheit an diesem offensichtlich straff koordinierten Betrug der US/NATO-Experten für psychologische Kriegsführung beteiligt. Ob aus Dummheit oder Absicht ist eigentlich egal, denn in einer Demokratie wären die Verantwortlichen für einen derart gefährlichen Nachrichtenschrott in keiner öffentlich-rechtlichen Redaktion eine Minute länger tragbar. In unserer durch Korruption und Vetternwirtschaft verfilzten Demokratur dagegen regt sich niemanden mehr über sowas auf. *)

Der_SpeichelAn dieser Stelle ist es angebracht, an einen Leserbrief zu erinnern, den der Hamburger Publizist Paul Sethe am 5. März 1965, also vor 55 Jahren schon, an das Magazin DER SPIEGEL geschickt hat. Darin ging es darum, wie die zunehmende Konzentration in der deutschen Presse auch die innere Pressefreiheit berührt. In dem Brief von Sethe heißt es: „Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten. Frei ist, wer reich ist. Das Verhängnis besteht darin, dass die Besitzer der Zeitungen den Redakteuren immer weniger Freiheit lassen, dass sie ihnen immer mehr ihren Willen aufzwingen.“

Inzwischen ist die Konzentration nicht nur in der deutschen Medienlandschaft noch sehr viel weiter fortgeschritten. Heute sind es Mega-Finanzkonzerne wie BlackRock, die nicht nur Banken- und Industriekonzerne, sondern auch Regierungen ganzer Länder unter ihrer Kontrolle haben, was selbstredend auch für die großen Medienkonzerne gilt.
„Die Pressefreiheit“ war früher schon nichts anders als ein schönes Phantasiegebilde, von dem man träumen konnte. Heute muss man blind und sehr dumm sein, um auch nur noch davon zu träumen.

Um nicht unbewusst Opfer der Meinungsmanipulation der transatlantischen Eliten in unseren gleichgeschalteten Medien zu werden, sollten wir immer wieder unsere Sicht auf die reale Welt kritisch überprüfen und auch nicht davor zurückschrecken, alte Dogmen auf den Prüfstein zu stellen. Angesichts des Meinungsmonopols der etablierten Eliten und ihrer Parteien könnte dabei eine Methode des zivilen Widerstandes auf der Zeit der NAZI-Diktatur helfen, nämlich jeden Tag im stillen Kämmerlein einen „Feindsender“ hören. Früher war das BBC oder Radio Moskau gewesen. Heute kann man BBC vergessen. Dafür sind die russischen Nachrichtensender RT-Deutsch, RT-International auf Englisch und SNA/Sputnik (deutschsprachig) umso attraktiver.

Sergej_J_NetschajewNur wenn man die Gegenseite hört, kann man Auslassungen und Lügen der eigenen Seite erkennen und dagegenhalten. In diesem Sinn folgen hiernach einige Auszüge aus einem Interview, das die online-Zeitung „Deutsche Wirtschaftsnachrichten“ Anfang dieser Woche mit dem russischen Botschafter in Berlin, Sergej J. Netschajew, geführt hat. Der Titel lautet: “Die Deutschen werden gezwungen, auf vertrauensvolle Beziehungen mit Russland zu verzichten”. In dem Interview geht es unter anderem um den Ukraine-Konflikt, Nord Stream 2 sowie die deutschen Boykottmaßnahmen gegen den RT-Deutsch.

Botschafter Sergej J. Netschajew: Der Wunsch nach einer Lösung des inneren Konflikts im Osten der Ukraine muss uns nicht trennen, sondern verbinden. Es gibt einen eindeutigen Aktionsplan, der im Minsker Maßnahmenpaket festgeschrieben ist und im UNO-Sicherheitsrat gebilligt wurde. Es gilt, diesen strikt und konsequent umzusetzen. Die Versuche des Westens, Russland als Partei im innerukrainischen Konflikt darzustellen und für Kiews abenteuerliche Politik und die verheerenden Folgen des verfassungswidrigen Staatsstreichs 2014 verantwortlich zu machen, sind kontraproduktiv. Bei den Konfliktparteien handelt es sich um Kiew, Donezk und Lugansk. Die Letzteren sind bloß daran „schuld“, den Putsch und die antirussischen Parolen vom Maidan nicht unterstützt zu haben. Deshalb wurden sie von der neuen Kiewer Regierung zu „Terroristen“ erklärt. Der Westen bevorzugte es damals, sich auszuschweigen und den Umsturz und die darauf folgenden Verbrechen der Nationalisten zu übersehen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten:Könnte Deutschland im Ukraine-Konflikt vermitteln?

Botschafter Sergej J. Netschajew: Deutschland und Frankreich sind neben Russland Vermittler im Normandie-Format. Wir hoffen, dass sie aktiver auf die Kiewer Regierung einwirken werden, damit diese die eigenen Verpflichtungen erfüllt. Bislang zeitigt diese Mühe keine sichtbaren Ergebnisse. Kiew stellt sich demonstrativ gegen die Umsetzung der Minsker Abkommen und erklärt öffentlich, dass man keine Absicht habe, diese zu erfüllen und dass diese nur dafür gut seien, die Russland-Sanktionen möglichst lange zu erhalten. Berlin und Paris gehen aus unserer Sicht zu tolerant mit der Willkür der ukrainischen Regierung um, die sich gravierendste Verletzungen von Rechten und Freiheiten der russischsprachigen BürgerInnen des Landes, Schließung von oppositionellen Fernsehsendern, Verfolgung der Andersdenkenden etc. erlaubt.

Leider bieten die Deutsche Wirtschaftsnachrichten das Interview nur hinter einer Bezahlschranke an. Wer das ganze Interview lesen möchte, findet es auf der Webseite der russischen Botschaft. Der entsprechende Internet-Link befindet sich hier anklickbar.
https://russische-botschaft.ru/de/2022/02/07/interview-des-russischen-botschafters-in-deutschland-sergej-j-netschajew-der-internet-plattform-deutsche-wirtschaftsnachrichten/

Zum Schluss möchte der Autor auf einen aktuellen Artikel von Willy Wimmer über den weitreichenden Einfluss verweisen, den die mordenden Gruppen von ukrainischen Faschisten auf Politik und Militär ihres Landes haben: https://www.nachdenkseiten.de/?p=80606

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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*: Siehe dazu Thomas Röper, "Abhängig beschäftigt"
Mein Kommentar: Darüber, dass die Kiewer Regierung das Minsker Abkommen ständig verletzt bzw. noch gar nicht ratifiziert hat, fehlt in den deutschen Leim-Medien jedes Wort.
Über Kommentare auf meinem Blog hier würde ich mich freuen.

Jochen

Mit Dollars und Allah – Dschihadismus: Religiöser Fanatismus oder Business?

Jochens SOZIALPOLITISCHE NACHRICHTEN

Lesenswerter Artikel von Werner Ruf zu den Djihadisten — vor allem für diejenigen, die nicht ganz im Bilde sind.
http://www.jungewelt.de/2015/06-02/003.php

W_Ruf_image-06-175Mit Dollars und Allah – Dschihadismus: Religiöser Fanatismus oder Business?

Auszüge:

Als der Sozialismus sowjetischer Prägung real zusammenbrach und die Warschauer Vertragsorganisation sich auflöste, stand die NATO vor dem Problem der weiteren Legitimation ihrer Existenz.
Beschworen wurden als mögliche Bedrohungen sogenannte neue Risiken wie ökologische Veränderungen, transnationale organisierte Kriminalität, Migration und Terrorismus. Nimmt man diese Bedrohungen ernst, so ist ihnen eher mit dem Spektrum polizeilicher Maßnahmen zu begegnen als mittels der von Hightechwaffen starrenden NATO.
Bei der Suche nach einem neuen Feindbild kam der 1993 erschienene Aufsatz von Samuel P. Huntington »The Clash of Civilizations« (Der Kampf der Kulturen, 1996) gerade recht. In dem behauptete er, das Zeitalter der territorial fixierten Mächte und der zwischenstaatlichen Konflikte ginge zu Ende, die Kriege des 21. Jahrhunderts wären der Kampf oder die Kriege der Kulturen. Eine dieser Kulturen, der Islam, sei besonders gefährlich und aggressiv, denn: »Islam has bloody borders« (Der Islam hat blutige Grenzen).

Dieses neue Paradigma wurde geradezu gierig rezipiert. Der Aufsatz wurde zur Pflichtlektüre in den Außenämtern, in den militärischen Stäben, aber auch in der akademischen Debatte.
Und er zeigte Wirkung: Schon knapp ein Jahr später war im französischen Verteidigungsweißbuch zu lesen:
»Der islamistische Extremismus stellt ohne Frage die beunruhigendste Bedrohung dar. (…) Er nimmt oft den Platz ein, den der Kommunismus innehatte als Widerstandsform gegen die westliche Welt«, und der damalige NATO-Generalsekretär (Manfred Wörner; jW) erklärte, dass der Islam möglicherweise eine größere Bedrohung sei, als dies der Kommunismus je war.
In der Tat passt die von Huntington entworfene neue Weltsicht (oberflächlich gesehen, jW) hervorragend in die globalisierten Gesellschaften des 21. Jahrhunderts:
»Kulturen«, wenn man das so nennen will, haben sich transnational ausgebreitet, staatliche Grenzen werden zunehmend relativ – oder anders ausgedrückt: Dank der Migration steht der Feind jetzt hier, in unseren »multikulturell durchmischten« Städten. Die »Gastarbeiter«, die einst als Türken kamen, heißen jetzt »Muslime«.
Gleiches gilt für die Menschen nordafrikanischen oder pakistanischen Ursprungs in Frankreich und England. Die Internationalisierung des Dschihad in Syrien und Irak kann durchaus als eine Facette der Globalisierung verstanden werden.

Doch bliebe sie unverständlich, würde nicht mitbedacht, wie Huntingtons Paradigma zur Grundlage politischen Handelns und der Kriegsführung der USA im Nahen Osten wurde:
Nicht nur der Krieg gegen die Taliban im Gefolge von 9/11, sondern vor allem die »Neuordnung« des Irak nach dem Krieg von 2003 erfolgte nach rein konfessionellen Mustern.
Indem sich politisches Handeln an den Kategorien Huntingtons orientierte, wurde es zur Self fulfilling prophecy: Der säkulare Diktator Saddam Hussein wurde mitsamt der kompletten irakischen Armee und der in weiten Teilen hochprofessionellen Verwaltung als sunnitisch identifiziert, die neue Herrschaft den Schiiten unter dem von den USA ausgesuchten Nuri Al-Maliki übertragen.
Die Konfessionszugehörigkeit, nicht die Kompetenz, wurde zum Kriterium der Übertragung von Ämtern und damit Vetternwirtschaft und Korruption.
Dies galt vor allem auch für die offiziell 350.000 Mann starke Armee, wo ganze »Geisterbataillone« existierten, deren Sold in den Taschen der Generäle landete.
So ist es kein Wunder, dass während der ersten Angriffe des »Islamischen Staats« (IS) auf Mosul die beiden kommandierenden Generäle sich als erste absetzten, während die vorhandenen Einheiten ohne ausreichende Munition an die Front geschickt wurden.

Privates militärisches Unternehmen

Gleichfalls nach dem Ende der Bipolarität schossen vor allem in den USA private militärische Unternehmen aus dem Boden, die spätestens in den Kriegen in Afghanistan und Irak, aber auch in den Balkankriegen oft die schmutzige Arbeit verrichteten und durchaus als eine moderne Form des Söldnertums angesehen werden können.
Als eine Frühform solcher Gewaltakteure können jene (muslimischen) Banden gesehen werden, die als »Freiheitskämpfer«, ausgebildet von der CIA und königlich finanziert von Saudi-Arabien, in den 1980er Jahren in Afghanistan gegen die (gottlose) Sowjetunion kämpften. Die Krieger rekrutierten sich aus nahezu allen arabischen Ländern und stellen dort heute – vom Sahel bis in den Nahen Osten – als sogenannte »Afghanen« die Anführer der schon nicht mehr zählbaren, sich auf den Islam berufenden Banden.
Der einzige Unterschied zu den privaten westlichen Gewaltakteuren besteht darin, dass sie sich auf eine einigende Ideologie berufen, eine Variante des saudisch-wahabitischen Islams.

Zu zentralen Akteuren wurden solche Banden während des nun schon vier Jahre dauernden Krieges in Syrien. Bereits 2012 zählte die International Crisis Group mindestens zehn verschiedene islamistische Gruppen, die, von unterschiedlichen ausländischen Akteuren unterstützt, je nach momentaner Konjunktur teilweise im Verbund, teilweise gegeneinander kämpften.
Auch der Kriegstourismus nach Syrien wird überwiegend von den Golfstaaten finanziert, allen voran Saudi-Arabien und Qatar. Dabei spielen nicht nur die dortigen Regierungen eine wichtige Rolle; viel Geld fließt auch von reichen Familien in diesen reaktionären Staaten und zahlreichen in Saudi-Arabien angesiedelten religiösen Stiftungen zur Verbreitung des Wahabismus.
Außerdem gibt es Hinweise, dass die USA über ihre Geheimdienste schon seit 2011 Al-Qaida nahestehende Gruppen finanzieren.

Die meist jungen Männer, oft auch Kinder im Alter zwischen 14 und 18 Jahren, die beispielsweise aus Tunesien nach Syrien in den Krieg ziehen, erhalten ein Handgeld von bis zu 6.000 oder 8.000 US-Dollar, so die tunesische Tageszeitung Achourouk vom 28. Mai 2013. Manche Quellen sprechen von Summen bis zu 20.000 Dollar, was aber übertrieben sein dürfte.
Der tägliche Sold soll bei etwa 300 Dollar liegen, stellt Jürgen Todenhöfer in der FAZ vom 3. Mai 2013 fest. Für die perspektivlosen Jugendlichen der Elendsviertel sind dies gewaltige Summen. Erstmalig können sie zum Familienunterhalt beitragen, ihrem Vater ein Auto kaufen usw.
Die Zahl allein der tunesischen Kämpfer in Syrien wird inzwischen auf mindestens 5.000 geschätzt. Versprochen wird auch finanzielle Hilfe für die Bestattung, sollte ein Kämpfer den »Märtyrertod« erleiden.

Ein besonders widerlicher Aspekt des Dschihad-Tourismus nach Syrien ist der »sexuelle Dschihad«: Junge Frauen und Mädchen (in der österreichischen Presse auch »Dschihad-Bräute« genannt) gehen freiwillig nach Syrien, um dort mit sexuellen Dienstleistungen die Moral der Kämpfer zu stärken.
Dabei berufen sich die Dschihadisten auf eine ominöse Fatwa eines bis dahin unbekannten Scheichs. Dass es sich bei diesem »sexuellen Dschihad« nicht um ein Einzelphänomen handelt, bestätigt der ehemalige Mufti der (theologischen) Zituna-Universität in Tunis, der von der islamistischen Ennahda-Partei abgesetzt worden war.

Die Rollen Saudi-Arabiens, Qatars …

Die Finanzierung dieser Gruppen entspringt nicht religiösen Motiven, sondern machtpolitischen Interessen. Saudi-Arabien betreibt mit der Unterstützung salafistischer Gruppen im ganzen Nahen Osten wie auch im Sahel eine Ausbreitung seiner reaktionären Staatsideologie des Wahabismus. Diese soll schon im geographischen Vorfeld dafür sorgen, dass »Instabilitäten« wie etwa der »Arabische Frühling« sich nicht mehr ereignen.
Anschaulich wird diese Politik in der Unterstützung salafistischer Gruppen in Tunesien und Libyen wie auch der ägyptischen salafistischen An-Nour-Partei, aber auch in der brutalen Niederschlagung der als schiitisch gebrandmarkten Rebellion im Nachbarstaat Bahrain.
Qatar seinerseits unterstützt die Muslimbruderschaft, eine im ganzen arabischen Raum mächtige Massenbewegung, die sich mit den Saudis schon im zweiten Golfkrieg (1990/91) durch ihre Parteinahme für Saddam Hussein überworfen hatte und von den Saudis wohl wegen ihrer zentralen Forderung nach sozialer Gerechtigkeit gefürchtet wird.

Nicht zu vergessen sind aber die katarischen geostrategischen Interessen: Seit Jahren versucht Qatar eine Pipeline zwecks Exports seiner gigantischen Erdgasvorräte zu bauen, die in der Türkei an die großen nach Europa führenden Pipelines angeschlossen werden soll. Ihr Weg kann nur durch Syrien führen.
Schließlich gehört in den Kontext der regionalen hegemonialen Auseinandersetzungen die AKP-Regierung der Türkei, die primär den wichtigsten Partner des Assad-Regimes, den Iran, zu schwächen versucht und mit der Errichtung eines den Muslimbrüdern nahestehenden Systems in Syrien eine territoriale Neuordnung verfolgt, die sich an den Grenzen des Osmanischen Reiches orientiert. Vor diesem Hintergrund ist es kein Zufall, dass die syrisch-türkische Grenzregion zur Durchzugsgebiet von Dschihadisten jeglicher Couleur geworden ist.

… sowie Russlands und der USA

Nicht zuletzt aber sind auch die Großmächte selbst involviert: Russland besitzt in der syrischen Mittelmeerstadt Tartus seinen einzigen Kriegshafen außerhalb des russischen Territoriums, zu dem inzwischen auch die Krim gehört.
Die USA (und Israel) arbeiten gemeinsam am Sturz oder zumindest an der entscheidenden Schwächung des Regimes in Teheran, das gewissermaßen als schiitische Achse in dieser Sicht der Dinge von der Hisbollah in Libanon über die alawitische (also schiitische) Assad-Familie bis Teheran reicht.
Indem die salafistischen (sunnitischen) Gruppen die Schiiten zu Ungläubigen erklären, wird der »Kampf der Kulturen« auch zu einer innerislamischen Frontlinie.

Indem sie sich voll die konfessionelle Lektüre der Konflikte zu eigen machen, fordern einflussreiche Kreise in den USA um der Durchsetzung tagespolitischer Interessen willen abermals die Unterstützung von Al-Qaida. So schrieb beispielsweise der wichtige US-Thinktank Council on Foreign Relations schon am 6. August 2012:
»Die syrischen Rebellen wären heute ohne Al-Qaida in ihren Reihen unermesslich schwächer. Die Einheiten der Freien Syrischen Armee sind weitgehend erschöpft, zerstritten, chaotisch und ineffektiv. (…) Al-Qaidas Kämpfer können jedoch helfen, die Moral zu steigern. Der Zustrom der Dschihadisten bringt Disziplin, religiöse Leidenschaft, Kampferfahrung aus dem Irak, Finanzmittel von sunnitischen Sympathisanten aus den Golfstaaten, und, am wichtigsten, tödliche Resultate mit sich. Kurz gesagt, die ›Freie Syrische Armee‹ braucht Al-Qaida – jetzt.«¹

Offenkundig ist, dass die USA, wenn sie schon nicht selbst Waffen liefern, die Unterstützung der Banden durch Saudi-Arabien und Qatar zumindest tolerieren. Nicht enden wollen die Meldungen, wonach die USA neben ihrer Unterstützung für die »Freie Syrische Armee«, die inzwischen militärisch kaum mehr eine Rolle zu spielen scheint, immer wieder, vor allem in Jordanien und in der Türkei, aber wohl auch in Syrien selbst, die militärische Ausbildung »gemäßigter« islamistischer Gruppen vorantreiben.
Was dann »gemäßigt« ist, wird wohl nach Gutdünken und tagespolitischer Lage entschieden. Wenn es nützlich zu sein scheint, finanziert die CIA wohl auch mit Al-Qaida verbündete Gruppen.

Finanzquellen des IS

So verdichtet sich die Annahme, dass es beim Krieg der Milizen und Banden in Syrien wenig um Religion, dafür umso mehr um Geld geht. ISIS oder ISIL (Islamischer Staat in Irak und Syrien oder Islamischer Staat in Irak und der Levante), der sich heute kurz IS nennt, kämpfte – neben vielen anderen – unter wechselnden Namen zuvor in Syrien. In die Schlagzeilen unserer Medien geriet er aber erst, als er im Norden des Irak die Armee überrannte und mittlerweile bis vor die Tore von Bagdad vorstieß. Die Bande zeichnet sich (wie drei Jahre lang zuvor scheinbar unbemerkt in Syrien) durch ungeheure Grausamkeit und Brutalität gegen nichtsunnitische Minderheiten, aber ebenso gegen säkulare Sunniten aus.
Der Terror verfolgt das Ziel, durch die Verbreitung von Angst und Schrecken die Herrschaft ihres »islamischen« Systems zu sichern.
Zugleich aber nimmt der IS staatliche Funktionen wahr: Erstmals seit Jahren funktioniert die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, Strom und Wasser wieder einigermaßen.
Der IS kann dies, weil er über gigantische Finanzmittel verfügt. Auch zahlt er offensichtlich mehr Sold als die anderen Terrorgruppen, was viele Kämpfer motiviert, zu ihm überzulaufen.
Auch hier also: Es geht nicht um Religion, sondern um Geld. Meldungen mit Schätzungen über die Truppenstärke des IS überschlagen sich während der Fertigstellung dieses Manuskripts fast täglich, letzte von der CIA gelieferte Zahlen belaufen sich auf »bis zu 31.500 Kämpfer«² Andere Schätzungen sprechen inzwischen von 50.000 Söldnern.

Die Einnahmen des IS werden auf weit über zwei Millionen Dollar pro Tag geschätzt. Wie bei jeder anderen dieser terroristischen Organisationen stammen die Gelder aus Erpressungen, die »Steuern« genannt werden: Insbesondere Kopfsteuern von nichtsunnitischen Personen, »Wegezölle« an Straßensperren, Schutzgelderpressungen.
Hinzu kommen die nach Entführungen, oft von Kindern, abgepressten Lösegelder. Allein diese Einnahmen werden auf jährlich zehn Millionen Dollar geschätzt.
Ferner verübt der IS Banküberfälle in großem Stil und die Plünderung der archäologischen Schätze einer eingenommenen Region (Museen, Ausgrabungsstätten, Kirchen).
Als weitere Finanzquelle kommt der Verkauf von Öl aus Syrien und dem Nordirak hinzu: Der IS kontrolliert sieben Ölfelder und zwei Raffinerien im Nordirak und sechs der zehn Ölfelder in Ostsyrien. Über »türkische Mittelsmänner« wird das Öl vermarktet, etwa zum halben Preis der Börsennotierungen.
Bereits hier zeigt sich, dass diese Praktiken offensichtlich international toleriert werden. Die im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise gegen Russland verhängten Sanktionen zeigen, wie präzise diese ausgesprochen und auch durchgesetzt werden können, wenn der politische Wille vorhanden ist.
Doch das Gegenteil ist der Fall: EU-Länder sind selbst am Handel mit vom IS vermarktetem Öl beteiligt. Allein der Ölexport soll Einnahmen von zwei Millionen Dollar pro Tag erbringen.³

Eine weitere Finanzierungsquelle soll der Organhandel sein. Dies zumindest behauptete der irakische UN-Botschafter vor dem UN-Sicherheitsrat.
Seine Aussagen wurden gestützt vom UN-Sondergesandten für den Irak. Demnach wurden in Massengräbern Leichen mit Spuren von chirurgischen Eingriffen gefunden, denen die Nieren fehlten.
Außerdem handelt der IS mit den Leichen gefallener (kurdischer) Kämpfer, die deren Angehörige für Beträge zwischen 10.000 und 20.000 US-Dollar zurückkaufen können, um sie in Würde zu bestatten.
In den Kontext der Finanzierung gehört eine weitere Praxis der Banden des IS: Quantitativ vielleicht weniger bedeutsam, in seiner Abartigkeit aber kaum zu überbieten ist der Verkauf von Frauen (bisher meist Jesidinnen) in die Sexsklaverei oder deren Missbrauch als Sexsklavinnen der Krieger.

Dank dieser Finanzierungsquellen konnte der IS sich von seinen ausländischen Geldgebern unabhängig machen: Er mordet, terrorisiert und erpresst inzwischen unabhängig von seinen einstigen Förderern auf eigene Rechnung und wendet sich teilweise gegen sie.
Der von den Banden des IS praktizierte Terror hat nichts mit Religion zu tun. Die brutale, oft öffentliche, teils durch Videos zur Schau gestellte Ermordung von Menschen, darunter sogar Kinder, hat System: Sie verbreitet wirksam Angst und Schrecken und demonstriert die Glaubwürdigkeit der von den Banditen angedrohten Maßnahmen, wodurch von jedem Widerstand abgeschreckt werden soll. Gleichzeitig spekuliert der IS auch gezielt auf den Hass auf die USA, der seit Guantánamo, Abu Ghraib im Irak, Bagram in Afghanistan tief in der arabischen und islamischen Öffentlichkeit verwurzelt ist.
Es kann kein Zufall sein, dass Gefangene von ihren Mördern in exakt jenen orangefarbenen Overalls zur Hinrichtung geführt werden, die die Insassen von Guantánamo tragen müssen.

Ein – weiterer – islamischer Staat?

Sicherlich gibt es bereits die (schiitische) Islamische Republik Iran. Auch Mauretanien nennt sich Islamische Republik.
Mit dem »Islamischen Staat« tritt jedoch ein neuer, Staatlichkeit beanspruchender Akteur auf den Plan. Hier kämpft eine ungeheuer brutale, zugleich aber disziplinierte und hierarchisch aufgebaute Truppe, die eigenständig und unabhängig von fernen Auftraggebern effizient agiert.
Mit der Proklamation eines Kalifats durch den selbsternannten Kalifen mit dem Kriegsnamen Abu Bakr Al-Baghdadi ist das Chaos im Mittleren Osten in eine qualitativ neue Phase getreten: Im Gegensatz zu Al-Qaida, die sich dem Kampf gegen »den Westen« verschworen hat, erhebt »Kalif Ibrahim« erstmals den Anspruch auf ein Staatsgebiet, das Syrien, den Libanon und wesentliche Gebiete des Irak umfassen soll. Mittlerweile sind seine Truppen aber auch in Libyen zu einer starken Macht geworden.
Der IS bemüht in besonderer Weise Symbolik: Mit seinem Kriegsnamen Abu Bakr knüpfe der »Kalif« – so heißt es – an den ersten rechtgeleiteten Kalifen und direkten Nachfolger des Propheten an und beschwört symbolisch den Beginn des »goldenen Zeitalters« arabischer Herrschaft. Mit »Al-Baghdadi« verweist der nicht in Bagdad, sondern in Samarra geborene Dschihadist auf das Abassidenreich, in dem 762 die Stadt Bagdad gegründet wurde.

In den von ihm kontrollierten Gebieten in Syrien und Irak hat sich der IS eine territoriale Basis geschaffen, die erstmals konkret die bestehende räumliche Ordnung des Nahen und Mittleren Ostens in Frage stellt. Dieses »Kalifat« könnte 100 Jahre nach Beginn des Ersten Weltkrieges der Ordnung von Sèvres, die auf dem britisch-französischen Sykes-Picot-Abkommen von 1916 basierte, endgültig den Todesstoß versetzen: Im Pariser Vorort Sèvres war 1920 das Osmanische Reich von den Siegermächten aufgeteilt worden. Die imperialistischen Großmächte hatten damals jene bis heute gültigen Grenzen gezogen und Regime installiert (oder gestürzt), wie dies ihren Interessen und damaligen politischen Zielsetzungen entsprach; keinesfalls aber bilden die Grenzen von Sèvres die ethnischen oder religiös-kulturellen Gegebenheiten der Region ab.
All dies und nicht nur die damals ungelöste Kurdenfrage und das Palästina-Problem kommen nun wieder auf die politische Tagesordnung. Der vollendete Regime change im Irak und der seit drei Jahren mittels bewaffneter Subunternehmer betriebene in Syrien erweisen sich als ein Sprengsatz, der nun unmittelbar die territoriale Ordnung der Region zu bedrohen scheint.

Es erscheint wie ein Fluch: Überall dort, wo der Westen intervenierte, gelang es zwar, Diktatoren von der Macht zu vertreiben, die bestehende Staatlichkeit aber wurde zerstört.
Die multikonfessionellen und multiethnischen Gesellschaften versinken in Chaos und Barbarei – in Somalia, Afghanistan, Irak, Libyen, wo inzwischen Banden und Milizen stellvertretend oder auf eigene Rechnung kämpfen und Religionszugehörigkeit zum neuen identitären Konzept erheben. Der »Islamische Staat« schreitet von Erfolg zu Erfolg. Trotz massiver Bombardements ist er weiter auf dem Vormarsch. Die Zahl seiner Kämpfer steigt weiter. In der arabischen Welt wächst die Unterstützung durch Terrorgruppen, die sich ihm in Algerien, Libyen, Jemen anschließen.

Der vom Westen initiierte Zerfall von Staaten impliziert nicht nur das Ende der »Ordnung« von Sèvres. Die Übertragung des fatalen Huntingtonschen Paradigmas vom »Kampf der Kulturen« auf die politische Landschaft des Nahen und Mittleren Ostens droht die gesamte Region in ein Chaos zu stürzen, in dem die Religion als neue staatsbildende Ideologie für Jahrzehnte zu blutigen Auseinandersetzungen, Vertreibungen, ja Völkermord führen kann.
Dringend notwendige politische Lösungen werden durch den Westen und deren sich fast täglich ändernde Unterstützung für wechselnde Milizen und Akteure verhindert.
Die Konfessionalisierung der Konflikte wird weiter angeheizt und dadurch noch unkontrollierbarer. Die weltlichen Konflikte um geostrategische Interessen und Ressourcensicherung werden in religiöse Gewänder gehüllt und entfalten so eine Eigendynamik (…).

Anmerkungen

1 www.cfr.org/syria/al-qaedas-specter-syria/p28782. (Neuerdings sind Geheimpapiere der US-Behörden veröffentlicht worden; siehe jW vom 26.5.2015, jW)

2 www.handelsblatt.com/politik/international/cia-bericht-terrormiliz-is-ha…

3 The Wall Street Journal vom 16.9.2014, zitiert nach Loretta Napoleon: Der islamische Phönix, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 3/2015, S. 48

Werner Ruf ist emeritierter Professor der Politikwissenschaften. Er schrieb zuletzt auf diesen Seiten am 28.5.2014 über den Bürgerkrieg in der Zentralafrikanischen Republik.

Jochen